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Frühstücksgeschichten aus Birk: Band 2
Frühstücksgeschichten aus Birk: Band 2
Frühstücksgeschichten aus Birk: Band 2
Ebook194 pages2 hours

Frühstücksgeschichten aus Birk: Band 2

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About this ebook

Der Männer-Frühstückskreis trifft sich im ev. Gemeindehaus in Birk am ersten Dienstag im Monat. Die Konfession spielt dabei keine Rolle. Wichtig ist nur: Keiner sollte mehr im Arbeitsleben stehen. Und über Krankheiten wird während des Frühstücks nicht geredet.
Immer wenn ein neuer Teilnehmer zu der Gruppe stieß, gab es bei den Vorstellungsrunden kleine und größere Geschichten zu erzählen. Die Themenvielfalt überraschte alle. Man spürte, dass in dem Frühstückskreis viele Berufs- und Lebenswelten vorhanden waren. Jeder konnte so hinzugewinnen, und jeder von sich etwas weitergeben.
Da entstand die Idee, Erinne­rungen in einem Buch festzuhalten. In diesem zweiten Buch sind Geschichten von 15 Mit-Frühstückern enthalten.
LanguageDeutsch
Release dateJun 5, 2015
ISBN9783939829867
Frühstücksgeschichten aus Birk: Band 2

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    Frühstücksgeschichten aus Birk - Verlag ratio-books

    Als ich Schüler war

    Wenn man unsere Schulerlebnisse aus den vierziger und fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit denen unserer Enkelgeneration vergleicht, gibt es unter anderem für mich zwei bedeutende Unterschiede: Zum einen rutschten damals bei einigen wenigen Lehrern schon einmal die Hände aus, wenn es um „Fehlverhalten" unsererseits ging. Das wäre heute vollkommen unmöglich, sei die Provokation noch so groß. Zum anderen konnten wir uns bei pauschalen Beurteilungen – damals ohne Notendifferenzierungen (von 1,1 bis 4,9) – zufrieden geben. Denn neben der Schule gab es genug Freizeit, zum Beispiel für Sport oder Musik. Wir standen einmal unter Druck, aber Stress war uns unbekannt.

    Wie war das also vor langer Zeit?

    Im harten Winter 1947 kam ich von der vierten Jungen- und Mädchen-Klasse der evangelischen Humperdinck-Schule in Siegburg nach eintägiger Prüfung zum Staatlichen Gymnasium, Siegburg (heute Anno-Gymnasium). Da gab es nun im Frühjahr drei Sexten (heute 5. Klassen) mit je über 50 Jungen. Das Mädchen-Gymnasium hatte damals in den ersten zwei Jahren noch kein eigenes Gebäude; deswegen befanden sich die Mädchen zwar separat, aber wie wir im gleichen Gebäude (heute Volkshochschule) im Schichtunterricht. Unsere drei Sexten waren so eingeteilt, dass in der a-Klasse die katholischen Schüler aus Siegburg waren. In der b-Klasse waren die restlichen katholischen Schüler des Siegkreises (aus der unteren und der oberen Sieg, aus dem Aggertal, aus der Much-/Neunkirchen-Gegend sowie aus Richtung Bonn) untergebracht. Der c-Klasse, in der auch ich war, waren die evangelischen Schüler und einige „Reste" zugeordnet worden. Dankenswerterweise gibt es schon seit Langem solche religiösen und geschlechtsspezifischen Differenzierungen nicht mehr.

    Das Schuljahr begann mit einem Schulsportfest am Brückberg auf dem Platz des Siegburger Turnvereins. Eröffnet wurde die Veranstaltung mit dem uralten Turnerlied:

    Turner auf zum Streite,

    Tretet in die Bahn,

    Kraft und Mut geleite

    Uns den Weg hinan!

    Jede Klasse durfte sich in einer bestimmten Disziplin betätigen; die drei Sexten liefen Pendelstaffeln, sodass wohl alle Schüler beteiligt werden konnten. Erinnern kann ich mich nicht mehr, ob wir gewonnen hatten; das bedeutet wohl Platz zwei oder drei.

    Unser Klassenlehrer Dr. Müller (Mü 3, natürlich waren da auch Mü 2 und Mü 1, der übrigens der violette Mü genannt wurde) gab nicht nur Latein, sondern er vermittelte dabei auch römische Geschichte. Er war verständnisvoll und souverän, was bei mehr als 50 Schülern bestimmt nicht einfach war. Dass er nacheinander alle Eltern besuchte, war einmalig und bemerkenswert.

    Unser Lehrer für Deutsch und Erdkunde, genannt Bömmel, pflegte einen sehr rauen Ton. Wer ihm nicht passte, konnte schon einmal als Meerschweinchen oder Prolet bezeichnet werden. Im Steigerungsfall wurden sogar Leute vor die Tür gesetzt, bald schon eine Unmöglichkeit.

    Am Anfang des Unterrichts wurden manchmal essbare Naturalien eingesammelt, was sicher der Versorgungssituation geschuldet war und sich für den Geber nicht negativ auswirkte. Ich erinnere mich an ein Friseurgeschäft, dass der Bömmel regelmäßig auf dem Heimweg mit seinem Fahrrad passierte. Er fragte einmal die Klasse, wie das Gebäude aussah. Die Antworten, es sei ein Friseursalon, schienen ihn nicht zufriedenzustellen. Da das Schild Salon Michels infolge von Bombensplittern das „n verloren hatte, wagte ich die Antwort „Salo Michels und ging sofort in Deckung, weil ich eine „unfreundliche Handlung erwartete. Doch zu meinem Erstaunen wurde ich wegen meiner „aufmerksamer Beobachtung gelobt.

    Im Laufe mehrerer Jahre, nach der Währungsreform (1948) und nach einigen Wechseln von Lehrern und Direktor normalisierte sich der Schulbetrieb, und aus den über 150 Schülern der damaligen Sexten wurden dann im achten Schuljahr zwei Klassen mit jeweils etwa 30 Schülern.

    Von besonderer Erinnerung blieb mir Studienrat K., Herr der Biologie und des Turnsports. Als ihn die „bösen Schüler zu sehr ärgerten, drohte er damit, in kommenden Kriegs- und Hungersituationen seine „mühsam erworbenen Erkenntnisse zur Zucht von Riesenkarnickeln uns nicht zur Verfügung zu stellen. Er sagte, er werde „schweigen wie ein Grab. Seine Eintragungen ins Klassenbuch waren zahlreich und sollten der Disziplinierung dienen. Eine harmlose Form war: „Becker macht freche Bemerkungen. Schlimmer empfand ich, als ich wegen „Unbotmäßigkeit nach vorne zitiert wurde und von ihm gefragt wurde, ob ich es tragen wollte, wie ein Mann. Die Ohrfeige war nicht leicht. Beim Turnunterricht hielt Studienrat K. in ähnlicher Manier auf Disziplin. Auf dem Sportplatz des Siegburger Sportvereins an der Waldstraße war von ihm eine Bahn zum 3000-m-Lauf abgesteckt worden. Die von ihm gestoppte Siegerzeit war phänomenal, weshalb ein Kenner der Leichtathletik sagte: „Aber Herr Studienrat, das wäre doch Weltrekord. Die Antwort war überraschend sanft: „Na, dann freut Euch doch!"

    Am letzten Schultag in der Mittelstufe (Untersekunda = 10. Klasse) gab es in der Klassenpause ein großes Chaos. Zufällig kam der sehr gefürchtete Oberstudienrat Dr. Schwamborn, der stellvertretende Direktor (übrigens aus Heide) dazu, rief uns zur Ordnung und verließ den Klassenraum mit der Drohung, dass er „den Sauhaufen auf Vordermann bringen würde, sollte er einmal unser Lehrer sein. Am ersten Schultag der Oberstufe geschah das nicht Erwartete: Dr. Schwamborn wurde prompt der Klassenlehrer. Französisch und Englisch waren seine und unsere Fächer. Entgegen allen Erwartungen erwies sich „Schwamborns Hein, wie er unter Schülern genannt wurde, als ausgezeichneter Pädagoge und äußerst verständnisvoller, toller Lehrer.

    Neben Schule und Spiel gab es für mich noch das Singen bei den Siegburger Sängerknaben (SSK), die am Anfang des Jahres 1948 gegründet wurden. Die ersten Auftritte hatten wir im Saal des Restaurants Lindenhof in der Kronprinzenstraße. Von besonderer Bedeutung war wohl die Teilnahme an einer Veranstaltung in der Bonner Pädagogischen Akademie, wo im Rahmen der Eröffnung zum Deutschen Bundestag neben unserem Knabenchor auch Operettensängerinnen und Operettensänger (Schenkt man sich Rosen in Tirol etc.) auftraten. Dass ich im SSK die vierte und im Schulchor die erste Stimme hatte, schien nicht nur für meine „Vielseitigkeit zu sprechen, sondern auch für die „Flexibilität der Lehrer.

    In guter Erinnerung ist auch eine Außenprobe des Knabenchors am Johannistürmchen des Michaelsberges. Der Text der ersten Strophe wäre eigentlich heute viel aktueller:

    Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit

    Klingt ein Lied mir immerdar.

    Oh wie liegt so weit, oh wie liegt so weit,

    was mein einst war.

    Wolfgang Beyer

    Mein Leben als Asylant

    Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland in mehrere Besatzungszonen aufgeteilt, in denen die jeweilige Siegermacht nach ihren Vorstellungen die Staatsmacht ausübte. Für Deutschland als Ganzes gab es den Alliierten Kontrollrat, der versuchte, allgemeine Regeln für die Behandlung des besiegten Deutschland aufzustellen. So lief im Frühjahr 1946 in der deutschen Bevölkerung die Meldung um, der Kontrollrat habe empfohlen, auf den „sogenannten gefährlichen deutschen Nachwuchs zu achten und ihn „sicher zu verwahren. Diese Direktive wurde äußerst unterschiedlich umgesetzt. Während Amerikaner, Engländer und Franzosen sie großzügig handhabten, setzten sie Russen und Polen umso rigider um. „Gefährlicher Nachwuchs war unter anderem jeder, der vor dem Jahre 1945 eine weiterführende Schule, zum Beispiel – wie ich – das Gymnasium besucht hatte. Sie gingen dabei so „gründlich vor, dass von meinen über 40 Mitschülern der Quarta nur drei das Jahr 1946 überlebten.

    So erschienen im Juni 1946 auch zwei bewaffnete russische Soldaten bei uns auf dem Hof in Badenau, Kreis Leobschütz, Oberschlesien und verlangten, mich zu sprechen. Als sie mich sahen – ich war ein 14 Jahre altes, kleines schmächtiges Kerlchen – fingen sie an, untereinander zu diskutieren. Während sie noch miteinander redeten, tauchte plötzlich und völlig unvorhergesehen ein junges Mädchen auf. Von da an spielte ich keine Rolle mehr, sondern die Russen nahmen sie mit, vergewaltigten sie und ließen sie dann wieder laufen. Mich hatten sie offensichtlich völlig vergessen. Meine Mutter war es, die als Erste den Ernst der Lage begriffen hatte und erklärte: „Junge, du bist hier nicht mehr sicher, du musst weg. Sie begann noch an demselben Tag, ein Bündel Fluchtgepäck für mich zu schnüren. Dann begannen sich die Ereignisse zu überschlagen. Als ich am nächsten Tag in der Nähe der Polizeistation herumstrolchte, hörte ich durch das offene Fenster die Polizisten wiederholt meinen Namen nennen. Ich ahnte, was das bedeutete und lief nach Hause. Dort erwartete mich schon meine Mutter, denn ein Pole habe ihr soeben höhnisch gesagt, „heute würde ihr Sohn eingefangen. Es blieb für mich nur die Zeit, zwei Anzüge übereinander anzuziehen, mein Bündel zu schnappen und durch die Felder in Richtung Tschechoslowakei abzuhauen. Wenige Minuten später durchsuchten die Polen unser Haus und dessen Umgebung, natürlich ohne Erfolg. Da die Polizisten nicht wussten, wohin ich verschwunden war, stellten sie zunächst die Suche mit dem Bemerken ein, sie oder ihre Kollegen in den Nachbarorten würden mich schon finden.

    Für mich gab es nur ein Ziel, mich nach Langendorf, Kreis Sternberg in der Tschechoslowakei, durchzuschlagen. Dorthin hatte es meinen Onkel Anton, bis 1945 Arzt in Branitz bei Troppau, verschlagen. Da die Tschechen zu wenige eigene Ärzte hatten, hatten sie meinen Onkel zur Behandlung ihrer Leute in Langendorf festgesetzt. Er hatte im Erdgeschoss des örtlichen Schlosses seine Praxis und seine Wohnung. Da der örtliche Polizeikommandant im ersten Stock des Schlosses sein Büro und seine Wohnung hatte, war auf diskrete Weise für die Kontrolle des Deutschen gesorgt. Dieser Onkel war einer der in der Familie verabredeten Punkte, bei denen sich die Mitglieder der Sippe melden sollten, wenn sie den Krieg überlebt hatten.

    Für uns unter den Russen und Polen leidenden Deutschen galt die Tschechoslowakei damals – vor der Machtergreifung durch die Kommunisten – noch als Rechtsstaat und Hort der Menschlichkeit. Wir kannten nicht das Schicksal der Sudetendeutschen. Dementsprechend hatten mir meine Eltern als Ziel meiner Flucht blauäugig Langendorf, Kreis Sternberg, vorgegeben. Da ich die Umgebung meines Elternhauses bis zu einem Radius von 30 Kilometern von Treibjagden und Ausflügen her kannte, konnte ich Ortschaften und Straßen umgehen. Dabei stieß ich immer wieder auf Deutsche, die mir halfen und mich vor Kontrollpunkten warnten. Das war aber auch notwendig, da ich inzwischen aufgrund der scheinbaren Leichtigkeit meiner Flucht leichtsinnig wurde und, statt querfeldein zu gehen, die bequemeren breiten Straßen benutzte. Ich stellte oft fest, dass der Name meines Onkels der Schlüssel für die Hilfsbereitschaft der für mich unbekannten Menschen war. Er genoss hohes Ansehen, weil er hilfsbedürftige Kranke ohne Rücksicht auf ein Honorar behandelte.

    Nach einem mehrtägigen strammen Marsch erreichte ich an einem Nachmittag den Ort Langendorf, fand ohne Mühe das Schloss und setzte mich in den Warteraum, in dem sich noch zwei weitere Personen befanden. Geduldig wartete ich, bis ich an der Reihe war. Als mich die Sprechstundenhilfe schließlich fragte, was mir fehle, antwortete ich wahrheitsgemäß: „Nichts! Auf die weitere Frage, was ich dann hier wolle, antwortete ich ebenso wahrheitsgemäß: „Hierbleiben. Ich habe selten in meinem Leben ein so verdutztes Gesicht gesehen. Mit offenem Mund starrte die Sprechstundenhilfe mich an, bis sie mich erkannte und umarmte. Wir hatten uns mindestens seit dem Jahre 1943 nicht mehr gesehen und jetzt viel zu erzählen. Aber zuerst wurde ich in die Badewanne gesteckt, um mich nach dem Kampieren in Scheunen und dem Staub der Straßen und Feldwege wieder zu einem Menschen zu machen.

    Drei Tage nach meiner Ankunft sagte mein Onkel, er müsse mich „ehrlich machen und bei der Polizei als „Zugang anmelden. Etwa 14 Tage später erhielt ich eine Vorladung vor einen Ausschuss in der Kreisstadt Sternberg. Dem Gremium aus fünf Männern trug ich meine Geschichte vor, wobei deren Gesichter von Minute zu Minute skeptischer wurden. Mein Onkel übersetzte mir die Randbemerkungen des Ausschusses mit: „Räuberpistole, Lügenmärchen, alles erfunden, schmutziger Deutscher, der eine slawische Brudernation schlecht machen will." Mein Onkel blieb die Ruhe selbst. Er sagte, er wolle die Kompetenz des Gremiums keineswegs anzweifeln. Aber in diesen turbulenten Zeiten sei es durchaus möglich, dass nicht jede Nachricht sofort allen zugänglich sei. Er schlage daher vor, in den Ministerien in Prag nachzufragen, welche Erkenntnisse dort über die Zustände in Schlesien vorlägen. Mit Rücksicht auf die Person meines

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