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Autismus-Spektrum-Störungen im kirchlichen Umfeld
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Ebook168 pages1 hour

Autismus-Spektrum-Störungen im kirchlichen Umfeld

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Katrin Moser legt eine bisher einmalige Arbeit über die Autismus-Spektrum-Störungen im kirchlichen Umfeld vor. Dabei geht sie auf Menschen mit Behinderung im kirchlichen Kontext ein, erläutert die Ideen der Inklusion in diesem Rahmen und beschreibt vor allem, auf welche Besonderheiten die Mitarbeiter im kirchlichen Zusammenhang achten sollten, wenn sie mit Menschen aus dem autistischen Spektrum arbeiten. In Auseinandersetzung mit christlichen Riten und Gebräuchen reflektiert sie die Bedürfnisse besonderer Menschen. Spannend und neu in der intensiven Auseinandersetzung mit diesem Thema.
LanguageDeutsch
PublisherXinXii
Release dateDec 13, 2014
ISBN9783828022751
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    Book preview

    Autismus-Spektrum-Störungen im kirchlichen Umfeld - Katrin Moser

    Fußnotenverzeichnis

    I. Einleitung - Die Relevanz einer Beschäftigung mit den Autismus-Spektrum-Störungen im kirchlichen Umfeld

    Bis vor wenigen Jahren führte Autismus ein Schattendasein im Bereich der psychischen Entwicklungsstörungen. Eine „Abnormität unter vielen, irgendwo vergraben im diagnostischen Manual. 1988 brachte der Film „Rain Man einen autistischen Savant¹, gespielt von Dustin Hoffman, auf die Leinwand. Bis heute – so kann man aus zahlreichen Berichten von Autisten erfahren² – prägt dieser Film die Vorstellung vieler Menschen über das, was Autismus ist und ausmacht. Die Feinheiten der Unterscheidung zwischen Autismus und Savant, zwischen Begabung und Handicap, gehen dabei in der Alltagsübertragung verloren. So scheint es, dass Autisten gerne als Mathegenies gesehen werden, die im schlimmsten Fall nicht sprechen können und kein eigenständiges Leben führen, dafür aber zu jedem Kalendertag auch gleich den Wochentag nennen können und mit Vorliebe Telefonbücher auswendig lernen.

    War zum Zeitpunkt des Films, 1988, die Zahl der (diagnostizierten) Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen (im Folgenden AS genannt) noch relativ gering (10 von 10.000)³, so lässt sich im Laufe der Jahre bis einschließlich heute eine signifikante Zunahme in den Diagnosestellungen erkennen. 2006 wurden bereits 116 von 10.000 Menschen dem autistischen Spektrum zugeordnet.⁴

    Woran es liegt, dass die Zahlen gestiegen sind, darüber wird innerhalb der Fachwelt lediglich spekuliert. Zum einen hat sicherlich die Aufnahme des Asperger-Syndroms 1994 in das diagnostische Manual⁵ dazu beigetragen, dass auch verhältnismäßig unauffällige Menschen mit AS als solche erkannt wurden. Eine weitere Möglichkeit für eine gestiegene Anzahl der Diagnosen kann zudem im Wandel der Arbeitswelt innerhalb der vergangenen Dekaden vermutet werden. In der Berufswelt wird heutzutage zunehmend ein hohes Maß an Kommunikationsfähigkeit und Flexibilität (betreffend der Arbeitsplatzgestaltung, der Arbeitszeiten u. a.) erwartet.⁶ Konnte ein Mensch mit AS früher – sofern ein gewisses Maß an Eigenständigkeit gewährleistet war – in einem spezialisierten Betrieb ohne Probleme einsteigen und dort über Jahre arbeiten, so stellt heute ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in einem bestimmten Bereich die Ausnahme dar.⁷ Auch die sozialen Anforderungen und Erwartungen sind immens gestiegen, so dass für Personen, die gerade in diesen Bereichen Schwierigkeiten haben, vermehrt Probleme entstehen können. Waren „unerkannte autistische Personen vorher vielleicht schrullig oder verschroben, so werden sie heute zunehmend wegen ihrer Andersartigkeit ausgegrenzt, ausgeschlossen und isoliert. Über kurz oder lang führt viele dann der Weg zum Arzt, in der Hoffnung, dass man ihr „So-Sein behandeln könne.

    Damit einhergehend ist sicher auch das fortgeschrittene Wissen und Interesse innerhalb der Forschung maßgeblich dafür, dass immer mehr Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen, sowohl bereits Erwachsene wie auch Kinder, als solche erkannt werden und entsprechende Fördermöglichkeiten erhalten können.

    Demnach lässt sich pauschal nicht sagen – wie es in den Diskussionen gerne mal auftaucht – dass es sich bei der erhöhten Prävalenz von Autismus-Spektrum-Störungenen um eine „Mode-Diagnose"⁸ handelt, die gerade gerne verteilt wird, weil es ein Trend ist. Vielmehr scheint es, dass die veränderten Lebensumstände und -anforderungen verbunden mit den Fortschritten in Medizin und Forschung dazu beitragen, dass Menschen mit AS, die vorher schlicht durchs Raster gefallen wären, nun eindeutig identifiziert werden können. Auch wird vermutet, dass die Abnahme der Hemmschwelle, sich Hilfen aus dem psychologischen und psychiatrischen Bereich zu suchen, dazu beigetragen hat, dass heute viel mehr Menschen als vorher an entsprechende Fachstellen gelangen.⁹

    Entgegen dem Vorurteil, alle autistischen Menschen seien intellektuell eingeschränkt, zeigt sich bei einer Betrachtung des Spektrums, dass es sowohl autistische Personen mit Intelligenzminderung als auch welche mit einer Norm-Intelligenz gibt.¹⁰ Demnach gibt es durchaus autistische Menschen, die sich sprachlich nicht ausdrücken können oder in der intellektuellen Leistung beeinträchtigt sind. Eine fehlende Sprachentwicklung allein hat jedoch nicht zwingend einen Einfluss auf den Intellekt.¹¹ Ebenso lassen sich auch autistische Menschen finden, die normal- bis hochintelligent sind und zudem über ein hohes Maß an Kompensationsfähigkeit verfügen.¹² Somit wird ihr Verhalten von der Umwelt zwar als „seltsam und „skurril, nicht aber als „krankhaft" angesehen wird. Das wiederum bedeutet, dass sich in allen Gesellschaftsschichten, Milieus und Kulturkreisen zu jeder Zeit Menschen mit AS finden lassen.

    In Schulen wurde bereits auf diese Entwicklung reagiert: Heute ist es durchaus möglich, autistische Kinder in eine Regelschule zu schicken, einige schaffen es auch bis zum Abitur oder zu einem Studienabschluss. Im Rahmen der Inklusionsbemühungen der Bundesrepublik Deutschland wird versucht, für Kinder mit einer Behinderung (wozu auch Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen zählen) günstige Bedingungen für ein effektives Lernen und eine soziale Eingliederung zu schaffen.¹³ Allerdings hört ein autistisches Kind mit dem Klingeln der Schulglocke nicht auf, autistisch zu sein. Unter Umständen ist es in Vereinen eingegliedert oder engagiert sich in Gruppen wie bei den Pfadfindern oder den Messdienern. Im Gegensatz zur Schulpädagogik gibt es jedoch keinerlei fachspezifische Literatur oder Hilfestellung für Gruppen- oder Gemeindeleiter (sondern lediglich für Mitarbeiter in sozialen und medizinischen Berufen), falls diese sich mit einem Menschen mit AS konfrontiert sehen. Bestimmte Verhaltensweisen oder Wahrnehmungsbesonderheiten von autistischen Menschen können zu Missverständnissen, Problemen und im schlimmsten Fall zu Mobbing und Ausgrenzung führen.

    Das Anliegen dieses Buches ist es, nicht nur mögliche Fallstricke aufzuzeigen, die im Zusammenleben mit autistischen Menschen innerhalb einer Gemeinde entstehen können, sondern auch einen Handlungsleitfaden zu erstellen, der es pastoralen Mitarbeitern und Ehrenamtlichen ermöglicht, sich schnell und grundlegend zu informieren. Ziel sollte es sein, dass Missverständnisse gar nicht erst entstehen und es Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen möglich bzw. einfacher ist, in einem solchen geschlossenen Mikrokosmos wie einer Gemeinde einen akzeptierten und respektierten Platz zu finden.

    Das Buch ist in zwei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil werden die fachlichen Aspekte aus den Bereichen Theologie und Psychologie bzw. Psychiatrie dargelegt (Kap. I-IV). Der zweite Teil soll vor allem in der praktischen Arbeit in den Gemeinden zum Tragen kommen können (Kap. V-VII). Hier wird von einer Zielgruppe ausgegangen, die nur in begrenztem Rahmen über theologische und psychologische Fachkenntnisse verfügt. Eine entsprechende sprachliche Anpassung ist in diesem Fall gewollt und beabsichtigt.

    Zu Beginn wird dargelegt, wie der Begriff der Inklusion verstanden werden kann und inwiefern die Inklusion einer bloßen Integration vorzuziehen ist. Anschließend werden die theologisch-anthropologischen Aspekte herausgearbeitet, die für das Verständnis des Menschen als Person und Wesen allgemein – und damit auch für Menschen mit einer Behinderung – von Relevanz sind. Von hier wird der Bogen in die Pastoralpsychologie geschlagen, mit dem Schwerpunkt auf einer stärken- und nicht defizit-orientierten Sicht auf den Menschen und seine Psyche. In einem weiteren Schritt werden die psychiatrischen Grundlagen der Autismus-Spektrum-Störungen dargelegt und zudem einige auch für den Gemeindekontext relevanten Auffälligkeiten hervorgehoben. Darauf folgt eine Erarbeitung der möglichen Situationen innerhalb der Gemeinde wie beispielsweise der Kommunion und Firmung oder der Seelsorge, in der es im Bereich des Möglichen liegt, dass pastorale Mitarbeiter oder Gemeindemitglieder auf Menschen mit AS treffen. Hier sollen zusätzlich auch innerkirchliche Räume aufgezeigt werden, die besonders für autistische Menschen geeignet zu sein scheinen. Um damit in Zukunft auch in der Gemeinde arbeiten zu können, folgt anschließend ein Leitfaden mit zwölf Punkten, anhand derer sich pastorale Mitarbeiter orientieren können, wenn sie mit Menschen mit AS zu tun haben. Abschließend werden die wichtigsten Erkenntnisse dieser Arbeit zusammengefasst. Das davon ausgehende Fazit soll vor allem eine Anregung sein, inwiefern Menschen mit AS keine Last, sondern eine Bereicherung für eine bunte Gemeinde sein können.

    II. Inklusiver Begriff einer theologischen Anthropologie

    1. Was ist Inklusion?

    Der Begriff „Inklusion" wird besonders in der Schulpolitik vermehrt gebraucht. In aller Regel werden damit pädagogische Programme bezeichnet, die das gemeinsame Unterrichten von Schülern mit und ohne Behinderung (sowie von Schülern mit Migrationshintergrund) ermöglichen sollen (vgl. Kap I). Allerdings lässt sich der Inklusionsbegriff noch viel weiter fassen und wird durch eine bloße Reduktion auf den Schulalltag erheblich eingeschränkt.


    ¹ Mensch mit einer Intelligenzminderung, der jedoch in Teilbereichen über außergewöhnliche Talente (sog. Inselbegabung) verfügt.

    ² [U. a.] vgl.: Brauns, Axel: Buntschatten und Fledermäuse: Mein Leben in einer anderen Welt, München 2004.

    ³ Vgl.: Bryson, Susan et al.: First Report of a Canadian Epidemiology Study of Autistic Syndromes. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry 29; 1988. S. 433-445.

    ⁴ Baird, Gillian et al.: Prevalence of disorders of the autism spectrum in a population cohort of children in South Thames: the Special Needs and Autism Project (SNAP). The Lancet, Vol. 368, Nr. 9531, 2006. S. 210-215.

    ⁵ Vgl.: American Psychiatric Association: Diagnostic and statistical manual of mental disorders IV, Arlington 1994.

    ⁶ Vgl.: http://www.bpb.de/apuz/25662/die-flexibilisierung-der-arbeitszeiten-in-der-bundesrepublik-deutschland?p=all (zuletzt abgerufen: 15.08.2013, 23:19 Uhr).

    ⁷ Vgl.: http://www.boeckler.de/41389_41400.htm (zuletzt abgerufen: 15.08.2013, 23:22 Uhr).

    ⁸ Vgl.: Tebartz van Elst, Ludger: Die Bedeutung der Autismus-Spektrum-Störungenen für die Erwachsenenpsychiatrie und –psychotherapie, in: Tebartz van Elst, Ludger (Hrsg.): Das Asperger-Syndrom im Erwachsenenalter und andere hochfunktionale Autismus-Spektrum-Störungenen; Berlin 2013. S. 97.

    ⁹ Vgl.: Tebartz van Elst, Ludger: Die Bedeutung der Autismus-Spektrum-Störungenen für die Erwachsenenpsychiatrie und –psychotherapie, in: Tebartz van Elst, Ludger (Hrsg.): Das Asperger-Syndrom im Erwachsenenalter und andere hochfunktionale Autismus-Spektrum-Störungenen; Berlin 2013. S. 97.

    ¹⁰ Vgl.: Attwood, Tony: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom; 2. Auflage Stuttgart 2012. S. 56.

    ¹¹ Vgl.: Rohde, Katja: Ich Igelkind. Botschaften aus einem autistischen Ich. 5. Auflage München 1999.

    Anm.: Die Autorin kann sich sprachlich nicht artikulieren, das von ihr verfasste Werk zeigt jedoch beispielhaft, dass

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