Frühstück bei Fortuna
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Am Anfang hat Erik das Wort, verunsichert in seiner Liebe zu ihr. Er spürt, dass sie die Zellen mindestens so liebt wie ihn und vielleicht sogar Leo, über den sie
nie spricht. Wie mit einem Toten konkurrieren, wie mit Zellen? Sie liebt auch den Wienerwald. Die Lichtspiele, die Vielfalt der Farben, die Zartheit der wilden Blumen. Doch mitten
im Märchenwald: Pilze. Schwarze Riesenpilze, am Wegrand aufgereiht wie Wachsoldaten. Die wissenschaftliche Neugier hat ihren Preis. Der ausgelöste Strahlen -
alarm im Institut lässt Fassaden bröckeln, Beziehungsgerüste zusammenbrechen und ermöglicht neue Sehnsüchte.
Liebe in ihrer Vielschichtigkeit, Hass und Angst, eine Natur, die nicht vergisst, Wissenschaft an der Grenze zur Legalität inmitten unserer Gegenwart: alles erfahrbar
durch Figuren, die auf ihren Eigenartig keiten bestehen. Faszinierend und irritierend ermöglichen sie eine andere Neugier auf uns selbst.
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Frühstück bei Fortuna - Elisabeth Reichart
sie.
1
In die Arbeit fallen, in meine Zeitlosigkeit, drei Wochen zeitlos leben, immer noch fasziniert von unseren Zellen. Ich möchte ihnen ihre Vollkommenheit zurückgeben, nichts Schöneres vorstellbar als vibrierende Zellen, absolute Perfektion. Ein Gedanke der Lust, nicht des Leids. Auch Schmerz kann vollkommen sein, Zellen im Schmerzzustand, erstarrte Zellen … Absolut ist nur der Zelltod, sagte ich mir, starrte auf die tote Masse in der Petrischale, spürte meine Hilflosigkeit, meine zunehmende Wut. Ich möchte so gerne können, was ich will. Aber ich kann nur, was möglich ist.
Rettungsbesessen nennt Erik mich. Verantwortungsbewusst antworte ich. In drei Wochen wird Erik wieder bei mir sein, wird die Zeit wieder gültig, der Rhythmus von Tag und Nacht. Die zunehmenden Streiks brachten unsere Pläne manchmal durcheinander, ließen Wiedersehen ausfallen, verlängerten andere. Nie flog ich nach Berlin, immer flog Erik nach Wien. Er hasste seine Wohnung, war zu beschäftigt für einen Umzug. Erik und ich wollten den ganzen Sonntag für uns, der Nachmittagsflug hätte die Zeit zusammenschrumpfen lassen, lieber fuhr ich mit sechzig auf der Autobahn nach Hause. Mein Körper vibrierte noch und ich spürte seine Hände in meinem Nacken, ließ sie vorsichtshalber dort liegen, um mich auf den Verkehr konzentrieren zu können, überdreht von der Intensität unserer Sinnlichkeit, unserer Lust/verschmolzene Lust, jede Trennung in ihr weiter weg als die sieben Berge der Märchen. Vielleicht würde dieses Vibrieren wieder tagelang bleiben, manchmal geschah es …
Als nichts mehr fuhr, ich in einem Stau gelandet war, nichts passieren konnte, kein Mensch in Gefahr war, überfahren zu werden, merkte ich, dass meine Benzinanzeige blinkte. Während der Fahrt zum Flughafen hatte ich nur Eriks Gegenwart genossen und für Augenblicke den vertrauten Abschiedsschmerz gespürt.
Mit ihm gab es nur meine Wohnung, das griechische Lokal ums Eck und hin und wieder eine Ausstellung an einem sonnigen Tag. Sobald es regnete oder nur die vage Möglichkeit von Regen bestand, weigerte sich Erik, die Wohnung zu verlassen. Er hasste die Natur, außer vom Auto aus die Rocky Mountains oder die Torbögen aus Stein im Arches Nationalpark, ihre durch die Windschutzscheibe sichtbare Schönheit. Manchmal erinnerte ich mich noch an diese gemeinsame Reise durch die USA. Inzwischen hat sie etwas Unwirkliches, da wir weder davor noch danach gemeinsam verreist sind. Hatten wir uns wirklich nächtelang in diesen riesigen Betten geliebt? Waren wir wahrhaftig im Zentrum eines Tornados gewesen, nur um nicht von ihm durch die Luft geschleudert zu werden? Ich erinnere mich an die Schönheit des Grand Canyon, den wir mit einem Hubschrauber überflogen, um in seine Tiefe sehen zu können, manchmal sogar den Colorado River erspähend. Abends, vor dem Wohnwagen, der einzigen Bleibe, die wir in dieser verlassenen Gegend finden konnten, kam es zu diesem merkwürdigen Gespräch mit einem Ureinwohner, der immerzu lachte, während er uns von den schrecklichen Verbrechen gegen seine Menschen, die Ureinwohner dieses Kontinents, erzählte. Erik hatte sein Diktiergerät eingeschaltet, doch als wir uns die Aufnahme am nächsten Tag anhören wollten, waren nur Naturgeräusche auf dem Band. Hatten wir mit einem Geist geredet? Oder besaß dieser Mensch wirklich die Macht, alles Unwichtige beeinflussen zu können, wie er behauptet hatte? Und sein Leid sei darin begründet, dass er nur sein Leben spielerisch gestalten könne, nicht das von anderen. Seine Kumpane seien während der Uranabbauten gestorben, nichts hätte er für sie tun können, nur sein Leben retten. Ein Engel ausschließlich für sich, das sei kein Engel, sondern gleiche eher dem christlichen Teufel! Er war abwechselnd lustig und verzweifelt. Wir schrieben alles auf, woran wir uns erinnerten. Das Aufnahmegerät funktionierte perfekt. Ach, was heißt Aufnahmegerät. Erik hatte in jeder Jackentasche eines und konnte sie so einschalten, dass nicht einmal ich es merkte, wenn er manchmal ein Gespräch von uns aufnahm, das er witzig fand. Ich verließ mich lieber auf mein Gedächtnis, das Gespräche wortwörtlich wiedergeben konnte, was wir manchmal testeten, bis Erik mir glaubte.
Die Schönheit der Natur ist mir noch in Erinnerung und New York, aber bei New York bin ich mir nicht sicher, ob es das New York mit Erik ist oder das von einer der unzähligen Konferenzen, die ich dort besuchte. Mein Gedächtnis funktioniert nur, wenn etwas wichtig ist, und unterscheidbare Erinnerungen an New York findet es offensichtlich unbedeutend.
Neben der Natur hasste Erik es noch mehr, Tourist zu spielen, weswegen unsere Ausstellungsbesuche während anhaltender Schönwetterperioden immer seltener wurden. Zu viele Touristen in Wien, ausschließlich Touristen in den Museen – seine Stimme klang nicht nur empört, er war es. In Berlin hatte er sich eine Wohnung gleich neben der Redaktion gesucht, um den Touristen nicht begegnen zu müssen. Immer noch faszinierte mich sein sprechendes Gesicht, in dem sich jede Empfindung augenblicklich zeigte. Wie ein Mensch ohne die Möglichkeit der Tarnung erfolgreich inmitten von Verstellungskünstlern leben konnte, verblüffte mich immer wieder.
Niemand außer mir genoss den Stau. Das Hupkonzert wurde lauter. Manche stiegen aus, Gruppen bildeten sich. Ich entschied mich herumzufragen, ob jemand einen Reservekanister besaß und hatte Glück: Ein junges Paar half mir ohne Kommentar.
Je länger ich menschliche Zellen unter dem Mikroskop beobachtete, desto öfter passierte es mir, dass ich die Menschen um mich in ihrer Zellstruktur sah: Das freundliche Lächeln, die zärtliche Geste der Frau, die Achtsamkeit, mit der er das Benzin einfüllte, jedes wütende Gesicht der Wartenden, alles löste sich in wundervolle Zellbilder auf. Ein Glücksmoment, der dauerte, bis ich weiterfuhr.
Ich konnte dieses Wunder nicht beeinflussen. Es geschah oder es geschah nicht. Ich wünschte mir nur, dass jeder Mensch dieses Wunder erleben könnte. Diese Schönheit erleben könnte. Inmitten der Zellen gibt es nichts Hässliches. Nur Zartheit, Schwingung, Leben, Vielfalt, Veränderung, Zusammenarbeit, Verständigung, Information …
… und Deformation, nicht sichtbar …
… und Erstarrung, sichtbar …
Einmal rettete uns meine Zellsicht das Leben und das Leben derer, die mitten auf der Autobahn gingen und keine Ahnung von der Gefahr hatten, in der sie sich befanden. Unbekannte Autobahn, schmälere Straßen gewöhnt, andere Transportmittel. Zum Glück war zu dieser späten Stunde kaum Verkehr. Ich schaltete die Warnblinkanlage ein, drosselte das Tempo. Erik fragte, ob mir schlecht sei. Sicher hast du nichts getrunken, während du warten musstest. Diese Verspätung, tut mir