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Notfallseelsorge: Ein Handbuch
Notfallseelsorge: Ein Handbuch
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Ebook559 pages18 hours

Notfallseelsorge: Ein Handbuch

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About this ebook

Die Bedeutung Notfallseelsorge wird zunehmend erkannt. Inzwischen gehört der Bereich zu den meist spezialisierten Gebieten der Pastoral. Dem will das völlig neu konzipierte, kompakte Handbuch entsprechen. In fast 30 Beiträgen gibt es Auskunft zu unterschiedlichsten Aspekten der seelsorglichen Krisenbegleitung. Die Autoren des Bandes stammen fachübergreifend aus den Bereichen Theologie, Jura, Medizin, Psychologie und Philologie.

Damit bietet der Band allen, die ehren- und hauptamtlich mit Notfallsituationen konfrontiert werden oder hier begleitend engagiert sind, eine Fülle an hilfreicher und solider Handreichung.
LanguageDeutsch
PublisherAschendorff
Release dateJun 18, 2013
ISBN9783402196847
Notfallseelsorge: Ein Handbuch

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    Notfallseelsorge - Christof Breitsameter

    Breitsameter

    01. Einleitung

    Notfallseelsorge

    Entwicklungen – Gegenwart – offene Zukunft

    1. Definition und Kontext

    „Notfallseelsorge ist ein seelsorgliches Angebot für Menschen, die in Momenten schwersten Leids und existentiellen Krisen mit dem nahen und plötzlichen Tod konfrontiert sind." (Die Akademie Bruderhilfe et al. 2009, 21) Wir sprechen an dieser Stelle auch gerne von ‚Lebenswenden‘ und ‚Schnittstellen‘, an denen sich der Weg eines Menschen so einschneidend verändert, dass von einem Moment auf den anderen nichts mehr so ist, wie es vorher einmal war.

    „Die Kirche der Zukunft ist eine Kirche an den Lebenswegen der Menschen schreiben Bischof Dr. Wolfgang Huber und Erzbischof Dr. Robert Zollitsch in einem Geleitwort einer Handreichung der Akademie Bruderhilfe (ebd. 2009, 3). Sie beziehen diese Aussage auch auf Notfälle und Krisensituationen. In solchen Momenten ist die Notfallseelsorge als „Erste Hilfe für die Seele mit verlässlicher Präsenz und Begleitung bei den betroffenen Menschen und deren Angehörigen. Notfallseelsorgende sind da, um nach Wegen zu suchen, Gefühlen Ausdruck zu geben, zuzuhören, zu beten und zu bezeugen, Riten des Abschieds und der Trauer anzubieten oder auch manchmal ‚nur‘ still für die Menschen da zu sein.

    Für Bischof Huber und Erzbischof Zollitsch ist Notfallseelsorge als organisierter Bereitschaftsdienst der Kirchen in ökumenischer Verbundenheit zur Selbstverständlichkeit geworden.

    Notfallseelsorge ist keine neue Erfindung unserer Zeit. Es gibt die Sorge um die Seele des Menschen sicherlich schon so lange, wie es Menschen gibt.

    2. Unheilssituationen im Alten Testament

    In Gen 4,1–24 erschlägt Kain seinen Bruder Abel. Gott greift ein, verflucht ihn und verbannt ihn vom Ackerboden (Vers 11). Kain erkennt seine Lage: „Zu groß ist meine Strafe (Schuld?, Anm. d. Verf.), als dass ich sie tragen könnte. Siehe du treibst mich heute vom Ackerboden weg, und vor deinem Angesicht muss ich mich verbergen. Ich muss mich verbergen. Ich muss unstet und flüchtig auf Erden sein, und jeder, der mich findet, wird mich töten." (Vers 13f). Gott rechtfertigt den Mörder nicht, sondern hört ihm zu, unterbricht die Spirale der Gewalt und spricht das Gesetz gegen den Mord aus – womit ein kultureller Entwicklungsstart der Menschheit beginnt.

    In Gen 6,1–7 wird eine Katastrophe beschrieben. Mensch und Tier sollen vom Erdboden vertilgt werden (Vers 7). In Vers 8 heißt es aber: „Noah hatte in den Augen Jahwes Gnade gefunden." Er wird von Gott gesegnet und mit ihm und seiner Familie beginnt ein neuer Start, ein Bündnis zwischen Gott und den Menschen (vgl. Guballa 2004).

    3. Neutestamentliche Beispiele ‚notfallseelsorglicher‘ Tätigkeit

    Der ‚Barmherzige Samariter‘ (Lk 10,25–37) steht an erster Stelle für die Veranschaulichung der notfallseelsorglichen Tätigkeit. „Ein Samariter aber, der des Weges zog, kam in die Nähe, sah ihn und wurde von Mitleid bewegt. Er trat hinzu, verband seine Wunden und goss Öl und Wein darauf. Dann setzte er ihn auf sein Lasttier, brachte ihn in eine Herberge und sorgte für ihn." (Vers 33–35). Dieses Beispiel für Hilfe an einem Menschen, der überfallen worden ist, zeigt uns sehr schön den Weg der Handlung in der Notfallseelsorge auf. Der helfende Samariter a) hält an, b) schaut hin, c) lässt sich berühren von der Situation, d) hört zu, was gebraucht wird und e) veranlasst das ‚Not-wendigste‘. Er ist zugleich jemand, der nicht dem religiösen Establishment angehört, sondern ein Fremder, der zu einem Fremden geht. – Weil Gott uns liebt.

    Dieses Gleichnis endet so mit der Aufforderung Jesu an die damaligen Zuhörer, aber auch an uns Christen heute „Geh hin, und tu desgleichen." (Vers 37)

    Die Heilungsgeschichten Jesu dienen als Ermutigung für uns, ebenfalls für die von Notfällen betroffenen Menschen tätig zu werden und ‚heilsam‘ zu wirken. Diese Geschichten von Jesu Tätigkeit haben schließlich einen konkreten Hintergrund. Sie sollen uns und damit auch den Betroffenen aufzeigen, dass Leiden nach Gottes Willen nicht sein soll. Die Beispiele helfen uns auch, eine mögliche Antwort auf die immer wieder gestellte Theodizee-Frage zu finden: Warum kann Gott das zulassen?

    Hervorzuheben ist schließlich auch das Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25,31–36). Die dort erwähnten ‚Werke der Barmherzigkeit‘: Hungernde zu speisen, Durstigen zu trinken zu geben, Nackte zu kleiden, Fremde aufzunehmen, Gefangene und Kranke zu besuchen, werden in Tob1,16f durch: die Bestattung der Toten und den Besuch der Trauernden (Sir 7, 34) ergänzt.

    Die ‚geistlichen Werke der Barmherzigkeit‘: zu belehren, raten, trösten, ermutigen, vergeben und Unrecht geduldig zu ertragen, finden sich zusätzlich im Katechismus der Katholischen Kirche (Nr. 2447)(Vgl. Zippert 2006, 33).

    Im Laufe der letzten Jahrhunderte haben sich Christen immer wieder besonders in der Begleitung von Kranken und Sterbenden engagiert. Neben dem Gebet und Ritualen (z. B. Berührung und Segen) ist auch das Sakrament der Krankensalbung in der Katholischen Kirche zu erwähnen, dass dem Kranken zur Stärkung und zur Linderung der Schmerzen gespendet wird.

    Bis heute ist das Sakrament der ‚Kranken‘ (nicht der Verstorbenen)-Salbung in der Bevölkerung als ‚letzte Ölung‘ im Bewusstsein der Betroffenen, wenn ein Angehöriger plötzlich verstorben ist, und wird immer wieder mit der Tätigkeit der Notfallseelsorge gleichgesetzt. Hier bedarf es der entsprechenden Erklärung und Aufklärung, welches breite und differenzierte Angebot des Beistands Notfallseelsorge auf die jeweilige Situation hin leisten kann (vgl. zu biblischen Wurzeln auch Waterstraat 2006).

    4. Notfallseelsorge seit Ende der 1980er Jahre

    Die Notfallseelsorge – wie wir sie heute kennen – ist Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre in einer organisierten Form in Deutschland an verschiedenen Orten durch Einzelinitiativen entstanden. Einige dieser Initiativen verstanden ihre Arbeit als ‚grundpastorale Aufgabe der Gemeindeseelsorge‘, wohingegen andere sie klar als ‚Kategorialseelsorge‘ etablieren wollten. Beide Sichtweisen bestehen bis heute.

    Grundsätzlich ist jedoch festzuhalten: Notfallseelsorge wird durch Einsatzkräfte des Krankentransportes, Rettungsdienstes, der Feuerwehr oder Polizei über eine Leitstelle angefordert. Im Laufe der Jahre hat sich der Notfalldienst mit seinem Blickwinkel der medizinisch-technischen Versorgung oder Rettung auch dem Angehörigen oder ‚unverletzten‘ Unfallbeteiligten zugewandt, der menschliches Leid und plötzlichen Tod persönlich und direkt erlebt hat. In diesen Situationen wird das Angebot einer ‚Seel-Sorge‘ gemacht, die speziell auf den Ablauf eines Einsatzes ausgerichtet ist, als eigenverantwortliche Tätigkeit von den Einsatzkräften vorgeschlagen und von den Betroffenen oder deren Angehörigen gewünscht wird. Notfallseelsorge wird in ökumenischer Verantwortung wahrgenommen und durch Beauftragungen der Bistümer und Landeskirchen an vielen Orten in Deutschland abgesichert. (An einigen Orten heißen Systeme in nicht kirchlicher Trägerschaft beispielsweise ‚Notfallbegleitung‘ oder ‚Krisenintervention‘ und werden von Kommunen oder Hilfsorganisationen getragen.)

    5. Stabilität und Mobilität der Kirchen

    Kirche hat in Zeiten großer Mobilität der Menschen neben der Stabilität im Bereich der Gemeinden und Pfarreien, auch auf die Mobilität der Menschen zu reagieren. Wenn Menschen nicht mehr unsere Orte der Verkündigung aufsuchen, müssen wir die Orte aufsuchen, an denen Menschen sich befinden (Heming 2002, 201). In der akuten Krise der Menschen kommt Kirche mit der Notfallseelsorge an den Ort des Geschehens, und zwar ohne lange nach Gründen für die Bitte zu fragen oder Terminen zu suchen, sondern hic et nunc.

    Getreu dem Namen Gottes ‚Ich-bin-da für dich‘ (vgl. Ex 3,13–15) reichen die Notfallseelsorgenden dem Menschen in seiner Krise, seinem Notfall, die Hand, begleiten ihn eine begrenzte Zeit und schaffen Raum für das ‚Not-wendigste‘. An diesen ‚Schnittstellen‘ lassen die Menschen ahnen, dass im Letzten nicht alles von uns und durch uns zu planen ist, dass wir moderne Menschen nicht alles im Griff haben oder regeln können.

    „An diesen ‚Schnittstellen‘ menschlicher Lebensläufe sind Beistand und Zuspruch, Orientierung und Deutung, nicht zuletzt Sinngebung gefragt. Das alles wird nicht mehr selbstverständlich vom christlichen Glauben erwartet oder bei den Kirchen gesucht. Dennoch wird gerade in diesen Lebensfragen den Kirchen immer noch und wieder mehr hohe Kompetenz zuerkannt. Dies trifft auch auf Menschen zu, die keine Beziehung mehr zur Kirche haben." (Heming 2001, 202f). Es zeigt die Erfahrung der letzten Jahre die Chance, dass diese ‚Schnittstellen‘ möglicherweise auch Ausgangspunkte für den persönlichen Neubeginn mit Gott, mit Glaube und mit Kirche sind oder ein Grund, nicht aus der Kirche auszutreten.

    6. Fünf Prinzipien der Notfallseelsorge

    Damit Notfallseelsorge auch wirklich nach den Anforderungen in einem modernen System des ‚Notfallmanagements‘ funktionieren kann, sind fünf Prinzipien der NFS im Rahmen der Pastoraltheologie eine wichtige Orientierung (vgl. Zippert 2006, 68ff).

    6.1 Das Prinzip der Kooperation Notfallseelsorge muss jeweils in kirchlichen Strukturen und in den Strukturen der Feuerwehr und des Rettungsdienstes eingebunden sein. Nur dann, wenn beide an einem Tisch sitzen, abfragen was der Wunsch der einen Seite und die Möglichkeit der anderen Seite ist, kann vor Ort, i. e. in einer Stadt, einer Region, ein realistisches Angebot und eine erfolgreiche Notfallseelsorge gelingen. Auch die Kooperation mit anderen Diensten (Caritas, Diakonie, Sozialer Dienst der Kommune, …) ist zwingend erforderlich. Es darf nicht nebeneinander gearbeitet werden, sondern alle Beteiligten müssen miteinander an einem Strang ziehen und für den Menschen da sein.

    6.2 Kollegialität und Regionalität zur Sicherstellung der Erreichbarkeit Seelsorgende können nicht immer erreichbar sein. Trotzdem heißt es zu überlegen, wie es möglich sein kann, dass an einem Ort, in einer Region, immer ein Seelsorgender zu erreichen ist. Hier ist ein Kreis gefordert zu überlegen, wie Erreichbarkeiten organisiert und gewährleistet werden.

    6.3 Das Prinzip der Gemeindebezogenheit und Ökumene Notfallseelsorge soll Gemeindeseelsorge nicht ersetzen, sondern von ihr ausgehen und wieder in sie münden. Je nach Alarmierungsweg in einem NFS-System wird als Erstes versucht, den Gemeindeseelsorgenden zu erreichen. Sollte diese / / r nicht anzutreffen sein, macht sich der Notfallseelsorgende auf den Weg. Nach dem akuten Einsatz ist immer die schnellstmögliche Rückmeldung an den Gemeindeseelsorgenden angesagt. Sie ist auch deshalb wichtig, weil eine weitere Begleitung der Betroffenen, z. B. durch Trauergruppen u. a. erforderlich sein kann.

    Die Zusammenarbeit geschieht in ökumenischer Offenheit und beinhaltet, dass erst einmal die Kontaktkette nach dem Rettungsdiensteinsatz nicht unterbrochen wird. Sollte dann z. B. die Vertreterin / der Vertreter einer bestimmten Konfession gefordert sein, so wird dem Wunsch des betroffenen Menschen gerne nachgegangen.

    6.4 Das Prinzip der Freiwilligkeit Seelsorge in Notfällen ist eigentlich Teil des ‚normalen‘ Seelsorgeauftrages der Kirchen. Es ist allerdings nicht jedem Menschen gegeben, sich von jetzt auf gleich in außergewöhnliche Situationen zu begeben und das noch zu jeder Tages- und Nachtzeit.

    Um trotzdem an möglichst vielen Orten die Dienste anzubieten ist es nötig, unterschiedliche Fähigkeiten zu erkennen und evtl., in Zeiten von Rufbereitschaften, sich gegenseitig zu unterstützen. Wer sich mit einer konkreten seelsorgerlichen Aufgabe überfordert fühlt, soll wissen, wen er um Hilfe bitten kann. Die Teilnahme sollte unbedingt freiwillig sein, denn Aufgaben, die von ‚oben‘ verordnet werden zeigen eine andere Qualität als eine, von der ich überzeugt bin und die ich gerne vollziehe.

    6.5 Das Prinzip der Professionalität Notfallseelsorge erfordert bei Mitarbeit in einem bestimmten System immer eine Aus- und Fortbildung. Wie in anderen Bereichen (z. B. Krankenhaus- / Telefonseelsorge) zeigt es sich als sehr hilfreich, auf bestimmte Situationen vorbereitet zu werden oder Hintergründe eines Einsatzgeschehens bei Feuerwehr und Rettungsdienst und Polizei zu kennen. Dies dient einerseits dazu, mich gelassener in eine Situation zu begeben, der ich mich gewachsen fühle, andererseits dient es auch der Qualität meines Seelsorgeangebotes. Im Einsatz erscheinen die Notfallseelsorgenden nicht als ‚unbeholfene‘ Fremdkörper, sondern als geschätzte Fachkraft mit speziellen Fähigkeiten.

    7. Indikationen für einen Einsatz

    Neben den Prinzipien der NFS benötigen Alarmierungssysteme auch einen Indikationskatalog für den Einsatz der Notfallseelsorge. Unklare Definitionen des Tätigkeitsfeldes und des dahinter stehenden Angebotes zeigten bei den ersten Initiativen die Problematik auf, dass Rettungskräfte sich nicht sicher waren, ob sie für diese Situation die seelsorgliche Unterstützung anfordern können. Die Seelsorgenden wiederum fühlten sich durch fehlende Aus- und Fortbildung nicht immer kompetent für den angefragten außergewöhnlichen Einsatz.

    Eine der klassischen und häufigsten Anfragen wird im Zusammenhang mit der ‚ natürlichen Todesursache im häuslichen Bereich‘ gestellt. In dieser Situation des plötzlichen Todes erfahren Angehörige, dass die Rettungsdienstkräfte sie nicht allein mit den Verstorbenen zurücklassen, sondern dass jemand kommt, ihnen ‚bei-steht‘ und sich Zeit nimmt für die Bedürfnisse der Menschen.

    „Durch die Notfallseelsorge ist die Kirche diakonisch präsent als Trost für Trauernde." (Müller-Cyran 2009, 238). Sie bezieht sich in diesen Momenten auf die Erkenntnisse der Psychotraumatologie, wobei die seelsorgliche Identität nach außen überall dort sichtbar wird, wo die Seelsorgenden im Notfall Menschen begegnen, die christlich-religiöse Bedürfnisse äußern. Falls die Anwesenden es wünschen, wird gemeinsam gebetet und der Segen gespendet. Die Orientierung an den Bedürfnissen der Menschen zeigt aber auch bei denjenigen, die eher selten oder gar nicht christlich-religiös orientiert sind, dass dort eine spezifische seelsorgliche Identität nicht immer direkt sichtbar ist.

    In der Veröffentlichung der deutschen Bischöfe zur Bestattungskultur im Wandel aus katholischer Sicht unter dem Titel ‚Tote begraben und Trauernde trösten‘ (2005) steht unter dem Kapitel ‚Pastorales Verhalten bei plötzlichen Todesfällen‘: „An der Schnittstelle von Leben und oft ‚unzeitigem‘ Tod drängen häufig die Fragen von Sinn, Schuld und Vergebung an die Oberfläche, droht der Verlust an Lebenskraft und Glaubenszuversicht, stehen die Würde des Menschen und zuweilen auch das Selbstverständnis der Seelsorger auf dem Prüfstand und muss sich in der Auferstehungshoffnung bewähren." (41)

    Die deutschen Bischöfe weisen in diesem Zusammenhang auf ein differenziertes pastorales Handeln hin. Die Situation und psychische Verfassung erfordert ein flexibles pastorales Handeln. Das Angebot der Notfallseelsorge ist aus ihrer Sicht ein fachkundiger, achtsamer und bewährter Beistand. Aufgabe ist in diesen Momenten primär: Menschen zu stabilisieren, zu beruhigen; das Chaos durch Informationen zu strukturieren; den Bezug zur Realität und deren Wahrnehmung möglich zu machen (vgl. Kast 1982, Trauerphase 1: Realisierung des Todes); Worte für das Erlebte zu finden und der Emotionalität Raum zu geben (vgl. ebd., Trauerphase 2: Aufbrechen der Gefühle); Abschied zu nehmen und wenn gewünscht, da zu sein mit Gebet und Segen. Dabei heißt es, das soziale Umfeld mit ein zu beziehen und bei Bedarf auf weiterführende Einrichtungen (auf kirchlicher und kommunaler Ebene) hinzuweisen (vgl. Die deutschen Bischöfe 2005, 41f).

    Zu einem Einsatz ‚ungeklärter Todesursache im häuslichen Bereich‘ gehören alle Situationen, in denen der Arzt vor Ort die Todesursache nicht direkt feststellen kann, der Suizid und auch der Verdacht auf einen ‚Plötzlichen Säuglingstod‘. In diesen Momenten des Verlustes kommt neben den Kräften des Rettungsdienstes zusätzlich die Polizei mit ihrem Ermittlungsdienst ins Haus, um herauszufinden, woran der oder die Tote verstorben ist. Während dieser Rechtsakt abläuft, haben die Angehörigen keine Möglichkeit, in das Zimmer zu gehen und Abschied zu nehmen. Zusätzlich stehen sie unter potentiellem Verdacht, für die Tat verantwortlich zu sein.

    In dieser ‚spannungsgeladenen‘ Situation ist den Seelsorgenden eine zweifache Aufgabe gestellt: a) zu helfen, den Verlust zu realisieren und b) zu erläutern, was gerade zu welchem Zweck ermittelt wird. An dieser Stelle ist deutlich erkennbar, dass die Tätigkeit in der Notfallseelsorge unbedingt entsprechender Kenntnisse einer solchen Einsatzlage bedarf, um qualifiziert den Dienst zu tun.

    Auch bei der Einsatzindikation: Verdacht auf den ‚Plötzlichen Säuglingstod‘ ist die Ermittlung durch Polizei und Staatsanwaltschaft in den meisten Städten grundsätzlich vorgesehen. Eltern können sich oft nicht von ihrem Säugling vor Ort verabschieden und müssen bis nach einer Obduktion und Freigabe durch den Staatsanwalt warten. Diese seelsorgliche Herausforderung ist in der Regel nicht nach 2–4 Stunden beendet, sondern beinhaltet weitere Kontakte und Weitervermittlung, beispielsweise an die ‚Gemeinsame Elterninitiative Plötzlicher Säuglingstod‘ (GEPS). Die Organisation ist ein Zusammenschluss von betroffenen Eltern, die sich um die Erforschung der Ursachen und die Begleitung von Eltern engagieren. Sie haben enge Kontakte zu Seelsorgenden und sind eine wertvolle Unterstützung in der Notfallseelsorge.

    Im außerhäuslichen Bereich sind es häufig Einsätze im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, in denen es um die Betreuung von Menschen geht, die keine medizinisch-technische Hilfe benötigen, aber beispielsweise mit in einem Fahrzeug gesessen haben oder Augenzeugen eines schweren Unfalls waren. Eindrücke, die Betroffene oft schildern, sprechen davon, dass alles wie in einem Traum oder Film erlebt wurde. Sie stehen nicht selten ‚neben sich‘ und brauchen jemanden, der ihnen zur Seite steht und zuhört, was jetzt gebraucht wird.

    Der Bei-Stand gilt in dieser Situation allen Beteiligten des Unfalls, sowohl den Opfern, als auch den Verursachern. Die Frage der Schuld lastet schwer auf den Schultern der Menschen, und auch sie haben, wie Opfer und Augenzeugen, es nötig, unterstützt zu werden. Notfallseelsorge hat nicht die Aufgabe der Verurteilung, sondern den Menschen in Not im Blick zu haben, unabhängig von Religion, Geschlecht oder Herkunft.

    Menschen, die beispielsweise durch einen Wohnhausbrand oder eine Explosion ihr Hab und Gut verloren haben, werden sicherlich vorläufig durch das Ordnungsamt eine Unterkunft erhalten. Aber wer begleitet diese Menschen, die all ihre Dinge verloren haben, die ihnen persönlich etwas bedeutet haben und die sich nicht materiell ersetzen lassen? Wir Christen haben die Möglichkeit, die in Mt 25,31–46 beschriebene Szene des Jüngsten Gerichtes auf diese Einsatzindikation zu übertragen und als einen Auftrag zum Handeln zu sehen.

    Schließlich gehört die Überbringung einer Todesnachricht in Zusammenarbeit mit der Polizei in den Indikationskatalog. Es ist originäre Aufgabe der Polizei, eine Todesnachricht zu überbringen. Zur Unterstützung des anschließenden persönlichen Gespräches kann die Aufgabe an einen Seelsorgenden übertragen werden.

    Hintergrund ist, dass derjenige, der eine negative Nachricht überbracht hat, in der Regel aufgrund der situativen Dynamik ohne persönlichen Anteil anschließend nicht die Ebene des persönlichen Kontaktes treffen kann und spontan eher abgelehnt wird, obwohl ein Gespräch, ein Beistand, Abschiednahme oder Weitervermittlung unbedingt nötig wären.

    Theologisch ist für die Notfallseelsorge damit ein Aspekt im Raum, der in der Eucharistiefeier mit der Akklamation verbunden ist, die der Diakon oder Priester spricht: ‚Geheimnis des Glaubens‘, worauf die Gemeinde antwortet: ‚Deinen Tod, oh Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir ...‘ Wer um den Prozess der Trauer Hinterbliebener weiß, der kann sich vorstellen, was es heißt, wenn der Tod nicht verkündet wurde, nicht realisiert wurde, dass ein Angehöriger ‚end-gültig‘ nicht mehr – deutlicher gesagt: nie wieder – nach Hause kommt. Sie stellt eine unverzichtbare, dialektische Komponente des Preisens von Auferstehung dar. Nur dort, wo Tod verkündet wurde, kann das spätere Preisen der Auferstehung erfolgen. Übergeht man den Schritt der Verkündigung des Todes, bleibt das Preisen der Auferstehung psychisch wie liturgisch in der Luft hängen, weil seine Voraussetzung fehlt. Seelsorge im Notfall des Todes bringt seine Verkündigung zur konkreten Darstellung (vgl. Müller-Cyran 2009, 241f).

    Katastrophen oder Großschadensereignisse in Ramstein, Eschede, Winnenden oder Duisburg haben über die oben genannten Beispiele hinaus noch einmal eine besondere Stellung. Sie zeigen während und nach dem Geschehen die besondere Bedeutung der Notfallseelsorge in der gesamten Geschehensbearbeitung auf. Ohne die Unterstützung der Einsatzkräfte von Rettungsdienst, Feuerwehr und Polizei durch die NFS würde sicherlich ein nicht unerheblicher Teil der Versorgung der betroffenen Menschen fehlen. Das gilt auch umgekehrt.

    Der Einsatz im Großschadensereignis bedarf einer zusätzlichen Vorbereitung (Aus- und Fortbildung) und ist auch für die Seelsorgenden nicht ohne erhöhtes Risiko einer eigenen Betroffenheit. Ebenfalls ist die Dauer der Begleitung eines solchen Trauerprozesses zu beachten, der durchaus über die akute Phase hinaus organisiert und evtl. durchgeführt werden muss.

    8. Essentials

    Die Konferenz der Evangelischen Notfallseelsorge verabschiedete am 12. September 2007 die Hamburger Thesen als Aktualisierung der über die ersten Jahre geltenden Kasseler Thesen von 1997. Das Selbstverständnis wird neu beschrieben und die NFS als ein Grundbestandteil des Seelsorgeauftrages der Kirchen bezeichnet mit ökumenischer Ausrichtung. Handlungsraum und Anlässe werden aufgeführt sowie besondere Arbeitsfelder beschrieben. Hier finden die Großschadenslagen / Katastrophen Erwähnung, ebenso wie der Hinweis auf die seelsorgliche Begleitung von Einsatzkräften, die als eigenes seelsorgliches Angebot der Kirchen mit zusätzlicher Qualifikation, Ressourcen und Beauftragungen geschaffen werden soll. In den Anfangsjahren wurden diese Bereiche nicht differenziert, so dass Notfallseelsorgende leicht mit dem Wunsch der Begleitung einer traumatisierten Einsatzkraft überfordert sein konnten. Auch die Rahmenbedingungen zeigen in diesem Papier auf, welche Anbindung an Einsatzstrukturen zu erfolgen hat und wie die Beauftragungen auf unterschiedlichen kirchlichen Ebenen durchgeführt werden sollen.

    Auf Bundesebene ist für entstandene ‚Konferenz der Landeskirchlich Beauftragten für die Notfallseelsorge‘ erwähnt, die analog zur ‚Konferenz der Diözesanbeauftragten der (Erz-)Bistümer‘ besteht. Neu ist weiter, dass neben hauptamtlichen Seelsorgenden auch Ehrenamtliche ‚Mitarbeitende in der Notfall- und Feuerwehrseelsorge’ werden können. Ferner soll ein enger Austausch mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen durchgeführt werden (vgl. Die Akademie Bruderhilfe et al. 2009, 25f).

    Zwei Jahre später erschien das ‚Proprium Notfallseelsorge‘ als Ergebnis zweier Studientagungen der Diözesanbeauftragten für Notfallseelsorge in den deutschen (Erz-)Bistümern. Theologische Begründung und Darstellung des pastoralen Arbeitsfeldes und Orientierung der Mitarbeitenden stehen im Vordergrund. Dadurch soll außerhalb des katholischkirchlichen Rahmens das Selbstverständnis der NFS für Kooperationspartner im Bereich der psychosozialen Unterstützungssysteme erkennbar und verlässlich gemacht werden (vgl. Die Akademie Bruderhilfe et al. 2009, 21).

    Auch in diesem Papier wird auf die Beauftragungen hingewiesen, die konfessionelle Zusammenarbeit als bewährt hervorgehoben und die Vernetzung mit den Strukturen der Gefahrenabwehr im Kontext der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) angeregt. Ebenso ist die Rolle der NFS bei Großschadenslagen / Katastrophen beschrieben sowie die Differenzierung der Betreuung von Betroffenen im Vergleich zur Begleitung von Einsatzkräften, die als (kategoriale) Fachseelsorge gesehen wird.

    9. Neue Herausforderungen

    In der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) der Bundesrepublik Deutschland zeigt sich um die Jahrtausendwende das Erfordernis des strukturellen Ausbaus und die wissenschaftliche Unterfütterung des Arbeitsfeldes. Standardisierung, Strukturierung und Qualitätssicherung stehen dabei im Vordergrund.

    „Ein Team um Prof. Dr. Irmtraud Berlage (FH Magdeburg-Stendal) arbeitete an der ‚Entwicklung von Standards, Empfehlungen und Umsetzungsplänen für ein Netzwerk zur bundesweiten Strukturierung und Organisation psychosozialer Notfallversorgung‘ sowie zu ‚Organisationsprofilen, Gesundheit und Engagement im Einsatzwesen‘, während Prof. Dr. Willi Butollo (Ludwig-Maximilians-Universität München) mit seinen Mitarbeitern zur ‚Primären und sekundären Prävention im Einsatzwesen‘ geforscht hat." (Blank-Gorki 2011, 22).

    In einem Konsensus-Prozess von 2007 bis 2010 wurden gemeinsame Leitlinien und Standards für die PSNV geschaffen. Sechs Themenfelder standen dabei im Blickfeld der Bearbeitung: 1) Informationsmanagement, 2) Psychosoziales Krisenmanagement und strukturelle Regelungen, 3) Einbindung der PSNV in den Einsatzalltag, 4) Zuständigkeiten, Schnittstellen und Vernetzung, 5) Aus- und Fortbildung, 6) PSNV auf der Ebene der Bundesländer. Die Ergebnisse sind von Personen verschiedener Organisationen und Institutionen unterzeichnet worden, die damit die freiwillige Selbstverpflichtung zur Einhaltung und Umsetzung der Leitlinien und Empfehlungen zusicherten.

    Die Konferenz der Diözesanbeauftragten für Notfallseelsorge in den (Erz-)Bistümern sowie die Konferenz der Landeskirchlich Beauftragten für die Notfallseelsorge gehören neben den Hilfsorganisationen, der AG der Leiter der Berufsfeuerwehren, dem Deutschen Feuerwehrverband, der Bundesärztekammer, der Bundespsychotherapeutenkammer u. a. dazu (Blank-Gorki 2011, 23).

    10. Notfallseelsorge heute

    Im Bundesland NRW gibt es beispielsweise eine einheitliche Ausbildungsvereinbarung, die die ökumenische Konferenz der Bistums- und Landeskirchlichen Beauftragten für die NFS gemeinsam erarbeitet haben und die regelmäßig auf Aktualität und wissenschaftliche Weiterentwicklung hin überarbeitet wird. Damit wird versucht, die o. g. Standards zu erfüllen und zur Qualitätssicherung beizutragen.

    Mit der wissenschaftlichen Fortbildung an der Ruhr-Universität Bochum wird seit dem Wintersemester 2003 / 2004 eine Veranstaltung (zuerst nur für Notfallseelsorgende, später für Fachberater Seelsorge der Feuerwehr und Mitglieder von Teams der psychosozialen Unterstützung erweitert) durchgeführt, die sich ebenfalls zum Ziel gesetzt hat, eine wissenschaftliche Unterfütterung, aber auch eine Anregung zur Forschung in verschiedenen Bereichen zu geben. Die Themen für die Vorträge werden aus der Gruppe der Praktizierenden und dem Vorbereitungsteam (Vertretern der Universität Bochum und der ökumenischen Konferenz NRW) vorgeschlagen. Das Team versucht die kompetenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Fakultäten der Universität für den Vortrag über das gewünschte Thema zu gewinnen und stellt so ein Programm von Tagesveranstaltungen mit jeweils zwei Themenblöcken zusammen. Das Besondere ist neben dem wissenschaftlichen Input die anschließende Diskussion / das Gespräch, in dem beide Seiten sich gegenseitig über die jeweiligen Themen und Tätigkeiten informieren / aus- und fortbilden lassen.

    Aufgrund der Nachfrage von Einsatzkräften zur Unterstützung der Betreuung von Muslimen in Notfällen hat die Christlich-Islamische Gesellschaft 2008 eine Fachtagung in Köln durchgeführt zum Thema: Notfallseelsorge für und mit Muslimen. Daraus entwickelte sich ein Ausbildungsmodell (orientiert an der Vereinbarung der Bistümer und Landeskirchen in NRW), nach dem seit 2009 Musliminnen und Muslime zu ehrenamtlichen Notfallbegleitenden ausgebildet werden. (Der Begriff ‚Notfallbegleitung‘ wird in diesem Zusammenhang bewusst gewählt, weil der Begriff ‚Notfallseelsorge‘ an das christliche Verständnis der Seelsorge gebunden ist, vgl. Lemmen / Yardim / Müller-Lange 2011, 7). Die Resonanz auf die Möglichkeit zur Ausbildung ist so groß, dass bereits zwei Jahre später ca. 100 Frauen und Männer den Kurs belegt haben. Sie werden über die örtlichen Notfallseelsorgesysteme und deren Leitstellen / Einsatzzentralen nach entsprechend festgelegter Indikation eingesetzt.

    Die wissenschaftliche Fortbildung an der Bochumer Universität steht auch dieser Personengruppe zur Aus- und Fortbildung zur Verfügung und bietet sowohl Teilnehmenden als auch Referierenden ein Podium für interreligiösen Dialog und Zusammenarbeit.

    11. Perspektiven

    Bei der Notfallseelsorge handelt es sich um einen schwerpunktmäßig ‚diakonischen‘ und im Akt des ‚Hingehens‘ und ‚Daseins‘ missionarischen Dienst (vgl. Dittscheidt 2009, 278). In den Wandlungsprozessen unserer Kirchen ist dieser Dienst von steigender Bedeutung in unserer Gesellschaft. Die Fragen nach dem Grundauftrag der Kirche sind gestellt und es soll dort ‚wo Seelsorge draufsteht, auch Seelsorge geleistet werden‘. Wir stellen allerdings fest, dass in Zukunft durch Zusammenlegungen von Gemeinden und Diensten immer weniger hauptamtlich Seelsorgende in der Lage sind, diese Unterstützung zu leisten. Hier heißt es heraus zu finden, welche Kompetenz (G. Dittscheidt schreibt: spezifische Charismen) von Ehrenamtlichen bei kirchlich engagierten und eingebundenen psychosozial ausgebildeten Menschen es gibt, die an dieser Stelle eingesetzt werden können. Aber Vorsicht, wenn es darum geht das Schwergewicht zu verlagern. Ehrenamt braucht hauptamtliche Begleitung. Wenn wir in den letzten Jahren an den Standards gearbeitet haben und unsere Qualifikation heute anerkannt und geschätzt wird, dann muss das auch perspektivisch unsere Auswahl und unser Handeln bestimmen.

    Gerhard Dittscheidt spricht von der ‚Aktie‘ Notfallseelsorge und äußert in diesem Zusammenhang eine ‚Gewinnwarnung‘ – und meint damit: Es handelt sich um einen tief greifenden Verlust, wenn wir als Kirchen uns möglicherweise aus diesem Aufgabenfeld des Beistandes von Menschen in Not verabschieden.

    Für die Wissenschaftliche Fortbildung an der Bochumer Universität wünsche ich mir deshalb, dass aus der Veranstaltung vielleicht einmal ein Lehrstuhl erwächst, der diese Bedürfnisse der Menschen nach Begleitung und Unterstützung in Notfällen und Krisen aus verschiedenen Fakultäten aufgreift und sowohl junge als auch berufserfahrene Menschen qualifiziert.

    Abschließend möchte ich nach der ‚Gewinnwarnung‘ auf den ‚Gewinn‘ des Engagements in der Notfallseelsorge hinweisen. Ein Pfarrer beschrieb ihn auf einer Veranstaltung: Mein Einsatz der Begleitung einer jungen Familie, deren Vater plötzlich verstorben ist, hält mir in diesen schwierigen Zeiten vor Augen, warum ich Priester geworden bin – nicht aber die Bearbeitung von Formularen und die Vorbereitung der nächsten Kirchenvorstandssitzung.

    Kirche braucht beides: Stabilität und Mobilität. Wie heißt es noch im Evangelium (Lk 10,25–37)? „… Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen und von ganzer Seele, mit all deiner Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten sollst du lieben, wie dich selbst. ...Was meinst du: Wer von diesen dreien hat den Mann, der von den Räubern überfallen wurde, wie seinen Nächsten behandelt? Der Gesetzeslehrer antwortete: Der, der barmherzig war und ihm geholfen hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh hin und handle genauso."

    Ulrich Slatosch

    Literatur

    Die Akademie Bruderhilfe-Pax-Familienfürsorge/Konferenz Evangelische Notfallseelsorge in der EKD/Zusammenkunft der Diözesanbeauftragten für Notfallseelsorge (Hrsg.), Notfallseelsorge. Von der Initiative zur Institution, Unna 2009.

    Verena Blank-Gorki, Psychosoziale Notfallversorgung, in: Rettungsdienst 34 (2011), 22–25.

    Gerhard Dittscheidt, Ist eine „Gewinnwarnung" für die Notfallseelsorge abwendbar? Ein Plädoyer gegen pragmatische Resignation in der Seelsorge, in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln, Osnabrück 9 (2009), 278–284.

    Werner Guballa, Das Angebot kirchlicher Begleitung für Menschen in unheilen Situationen. Vortrag auf dem 7. Bundeskongress Notfallseelsorge und Krisenintervention in Frankfurt 2004. Online verfügbar unter http://www.notfallseelsorge-wetterau.de/fileadmin/user_upload/Guballa_2004_05_14.pdf; verifiziert am 25.03. 2011.

    Heinrich Heming, Neue Seelsorge – Inhalte und Schwerpunkte, in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln, Osnabrück 7 (2002), 200–208.

    Jochen M.Heinecke, Klagen statt bewältigen. Aufgaben von Notfallseelsorge gegen den Trend der Welt. Vortrag auf dem Bundeskongress für Notfallseelsorge und Krisenintervention, Halle/S. am 20.Mai 2005. Online verfügbar unter http://www.fachverband-nkm.de/img/050520_Klage.pdf; verifiziert am 25.03. 2011.

    Jochen M.Heinecke, Notfallseelsorge – ständige Vergewisserung der Barmherzigkeit Gottes, in: Doris Hiller/Christine Kress (Hrsg.), Dass Gott eine große Barmherzigkeit habe, Leipzig 2001, 211–222.

    Verena Kast, Trauern: Phasen und Chancen des psychischen Prozesses, Freiburg 1982.

    Marion Krüsmann/Andreas Müller-Cyran, Trauma und frühe Interventionen. Möglichkeiten und Grenzen von Kriseninterventionen und Notfallpsychologie, Stuttgart 2005.

    Thomas Lemmen/Nigar Yardim/Joachim Müller-Lange (Hrsg.), Notfallbegleitung für Muslime und mit Muslimen. Ein Kursbuch zur Ausbildung Ehrenamtlicher, Gütersloh 2011.

    Andreas Müller-Cyran, Spiritual Care angesichts des plötzlichen Todes, in: Eckhard Frick/Traugott Roser (Hrsg.), Spiritualität und Medizin. Gemeinsame Sorge für den kranken Menschen, Stuttgart 2009, 237–243.

    Joachim Müller-Lange (Hrsg.), Handbuch Notfallseelsorge, Edewecht 2006.

    Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Tote begraben und Trauernde trösten, Die deutschen Bischöfe 81, 2005.

    Ulrich Slatosch, Einsatz – Mosaiksteine eines Notfallseelsorgers, in: Günther Nuth (Hrsg.), Blaulicht im Feuer. Was uns bleibt, sind die Bilder! Vechta 2010, 163–176.

    Barbara S. Tarnow/Katharina M. Gladisch, Seele in Not. Notfall-Seelsorge als Hilfe in Grenzsituationen, Gütersloh 2007.

    Frank Waterstraat, Wenn plötzlich alles anders ist: Notfallseelsorge im Einsatz. Ein Leitfaden für die Praxis, Hannover 2008.

    Thomas Zippert, Notfallseelsorge. Grundlegungen Orientierungen Erfahrungen, Heidelberg 2006.

    02. Theologie

    Tod im häuslichen Bereich: Verabschiedung, rituelle Hilfen

    1. Tod im häuslichen Bereich

    Die Konstellationen, in denen Sterben geschieht und in denen Sterben wahrgenommen wird haben sich verändert. Die Entstehung und Entwicklung des modernen Krankenhauses sowie von Einrichtungen zur Pflege und Betreuung alter Menschen hat dazu geführt, dass lediglich 20–25 % der Sterbefälle in der häuslichen Umgebung geschehen. War in prämodernen Gesellschaften Tod und Trauer ein Ereignis, was in der umgebenden Gruppe der Nachbarn etc. seine soziale Abstützung in der Öffentlichkeit fand, so bleibt es heute eine Angelegenheit der engsten Bezugspersonen. Hinzu kommt, „dass aufgrund der höheren Lebenserwartung, begründet im medizinischen Fortschritt und der Verbesserung der Lebensqualität, der Tod im engeren familiären Umfeld nur noch alle 15 bis 20 Jahre erlebt wird" (Kirsch 2005, 223). Tradierte Rituale und Verhaltensweisen werden prekär. Sie verstehen sich nicht mehr von selbst; sie sind weitgehend unbekannt.

    Der häusliche Tod hat seinen Ort in einem Raumkontext, der nicht primär funktional bestimmt ist. Das unterscheidet etwa das Schlaf­zimmer oder das Wohnzimmer der häuslichen Wohnung von einem Krankenhauszimmer. Im Krankenhauszimmer stehen die Funktion – Ermöglichung umfassender medizinischer Betreuung – und ent­sprechend die Funktionalität im Vordergrund. Anders ist es mit einem Zimmer der vertrauten Wohnung.

    2. Sterben und Abschied-Nehmen in einem Raum, der biographisch besetzt ist

    In der jüngeren Literatur zur Sterbebegleitung wird die bewusste Gestaltung des Sterbezimmers als eine neu ergriffene Aufgabe gesehen und es werden manche Hinweise zur Veränderung der Atmosphäre im Raum gegeben. Nicht die Hilfsmittel zur Versorgung des sterbenden Menschen, sondern vielmehr Kerzen, Blumen und Bilder sollen den Eindruck des Zimmers prägen. Diese Hinweise beziehen sich v.a. auf die Situation des Krankenhauses.

    Bei dem Sterben im häuslichen Bereich gibt es eine andere Kon­stellation. Der Raum, vielleicht das Schlaf- oder das Wohnzimmer, stellt die vertraute räumliche Umgebung für den sterbenden Menschen dar.

    Räumlichkeit kann philosophisch als Grundbefindlichkeit menschli­chen Daseins beschrieben werden. Die Rede ist hier von der Leiblichkeit. Das Leben des Menschen ist nicht nur durch das körperliche Dasein, also die physiologischen Funktionen des Organismus, bestimmt. Das menschliche Dasein ist ebenso mit der Leiblichkeit des Menschen verbunden. Der Leib als dreidimensionaler Raum ist in einem drei­dimensionalen Raum, z. B. in einem Zimmer. Es gilt also: ‚Der Raum, der ich bin‘, und: ‚Der Raum, in dem ich bin‘. Der Mensch ‚bewohnt‘ seinen Leib und in gleicher Weise auch den ihn umgebenden Raum.

    Der den Menschen umgebende Raum ist für diesen nicht eigen­schaftslos und gleichgültig. Die Rede von den vier Wänden, die jeder Mensch braucht, kann verdeutlichen, was der Begriff Raum bezeichnet: Einen abgegrenzten bzw. eingegrenzten, überschaubaren Bereich. Ent­scheidend ist zunächst, dass durch die Abgrenzung unterschieden werden kann zwischen einem besonderen – ‚unserm Raum‘ – und dem allgemeinen, sich unendlich erstreckenden Raum außerhalb. Damit ist zugleich der Gegensatz zwischen drinnen und draußen angesprochen. ‚Draußen‘ empfindet sich der Mensch unbehaust, erlebt sich verloren in einem unübersehbaren Raum. Im Folgenden geht es allein um den umgrenzten, Raum, um das ‚Drinnen-Sein‘, um ‚unsern Raum‘.

    Jedes Raumerlebnis ist stets abhängig sowohl von der objektiven Beschaffenheit des Raumes als auch von den Voraussetzungen auf Seiten des Individuums. Raumwahrnehmung ist nie voraussetzungslos. Sie ist mit Bedeutungszuweisungen verbunden, die nur bedingt verall­gemeinbar sind. Solche Bedeutungen entstehen in dem Subjekt in einem Prozess der Enkulturation, d.h. sie beruhen auf Erfahrungen. Dem erlebten Raum, dem durchlebten Raum werden Bedeutungen zu­geschrieben, die aus persönlich bedeutsamen Erlebnissen resultieren.

    Aus dem allen ergibt sich: Der den konkreten Menschen umgebende Raum ist ein ‚gestimmter Raum‘. Der Mensch kann sich in diesem Raum „verloren oder geborgen, in der Einheit mit ihm oder im Gefühl der Fremdheit zu ihm finden" (Bollnow 2004, 220).

    Ein Zusammenstimmen von Raumwirkung und von subjektiver Intention lässt ein Gefühl der Sicherheit und des Sich-Wohlfühlens entstehen. Dabei ist ein Wiedererkennungseffekt nicht ohne Bedeutung. Raumerleben kann somit auch eine tröstende Wirkung haben: Im Raumerleben, durch die Beziehung zum umgebenden Raum werden Gefühlsqualitäten wachgerufen, die tröstlich empfunden werden (Vgl. Schneider-Harpprecht 1989, 258ff.; Eulenberger 2007, 15ff.). Für einen Menschen in der letzten Lebensphase kann das Sich-Wissen in einem solchen gestimmten Raum Geborgenheitsqualitäten freisetzen.

    Das Haus, die Wohnung, ein bestimmtes Zimmer darin können als erweiterter Leib betrachtet werden, mit dem wir unmittelbar identifiziert sind. Dieser Raum gehört zu uns, zu unserer Existenz unmittelbar dazu. Der umgebende, „gestimmte Raum" ist gleichsam ein Stück des Men­schen. Und das gilt dann umso mehr, wenn dieser Raum nicht mehr selb­ständig und aus eigenem Antrieb verlassen werden kann.

    3. Sterben / Abschied-Nehmen und Körperkontakt

    Die Körpererfahrung ist für menschliches Bewusstsein grundlegend (Vgl. Schneider-Harpprecht 1989, 240ff.; Eulenberger 2007, 146ff.) Der Leib des Menschen ist das Medium, durch welches das Individuum in der Welt verankert ist. Körpererfahrung kann das Individuum sich nicht selbst verschaffen. Dazu bedarf es der Impulse von jenseits des eigenen Körpers.

    Die menschliche Haut ist ein lebenswichtiges Sinnesorgan und es ist zugleich das größte Sinnesorgan. Die Haut ist gleichsam die Brücke zwischen Innen und außen. Die Haut ist ebenfalls das wichtigste Organ des Hörens. Das, was die Haut durchdringt und durch-klingt (per-sonare) berührt uns als Person. Und das geschieht auch da, wo sprachliche Verständigung und intellektuelle Ansprache nicht oder nicht mehr möglich sind. Der Wunsch und insbesondere die Fähigkeit zu fühlen und zu hören sind die Sinne des Menschen, die als letzte erlöschen. Der Tastsinn ist aber auch in der menschlichen Entwicklung der erste Sinn, der sich entwickelt.

    Zwischenmenschlicher Körperkontakt geschieht meist durch Berüh­ren mit den Fingerspitzen. Die Hände des Menschen sind, so wie auch die Lippen, der wichtigste Bereich taktiler Sensibilität im menschlichen Körper. Kinder erfuhren und erfahren hoffentlich die Hand der er­wachse­nen Bezugsperson als beruhigend, beschützend, bergend. Solche Erfahrungen werden bewahrt und sie werden als Leibgedächtnis ge­speichert. So ist im Menschen das ganze Leben hindurch bei der Empfindung des Berührt-Werdens die Hand immer wieder als schützende und tröstende Hand des Erwachsenen im kind­lichen Leben präsent. Das gilt

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