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Autonomie in der Kunst: Ein werkanalytischer und kunstphilosophischer Streifzug
Autonomie in der Kunst: Ein werkanalytischer und kunstphilosophischer Streifzug
Autonomie in der Kunst: Ein werkanalytischer und kunstphilosophischer Streifzug
Ebook338 pages3 hours

Autonomie in der Kunst: Ein werkanalytischer und kunstphilosophischer Streifzug

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About this ebook

Der Leser begibt sich auf das Terrain sachhaltiger kritischer Kunstbetrachtung. Bildnerische Werke von zeitgenössischen und modernen, von bekannten, aber auch weniger bekannten Künstlern werden kritisch hinterfragt und das in ihnen eingeschriebene Kunstverständnis ihrer Produzenten aufgedeckt.
Auf der Grundlage von objektiven Werkanalysen und aus diesen abgeschöpften strukturellen Erkenntnissen werden interessante und lehrreiche philosophische Exkurse über elementare künstlerische Themen gestartet. Das Buch stellt damit unter Beweis, dass eine nachhaltige Auseinandersetzung mit bildender Kunst zu universellen Erkenntnissen über sie selbst und ihre Grundbedingungen führen kann.
Autonomie in der Kunst wird dabei zum Dreh- und Angelpunkt der Diskussionen. Was ist letztlich von einer Kunst zu halten, die sich freiwillig ihrer eigenen Deautonomisierung unterwirft?
Werke folgender Künstler werden zur Grundlage einer anregungsreichen Diskussion genommen: Gerhard Richter, Georg Baselitz, Jörg Immendorff, Julian Schnabel, Ellsworth Kelly, Jeff Koons, Rupprecht Geiger, Bernard Schultze, Bernhard Springer, Klaus von Gaffron, Max Kaminski, Bernd Zimmer, Dieter Breitschwerdt, das King Kong Kunstkabinett, Siamak Azmi, Miriam Cahn und Wang Guangle.
LanguageDeutsch
Release dateNov 30, 2017
ISBN9783746071459
Autonomie in der Kunst: Ein werkanalytischer und kunstphilosophischer Streifzug
Author

Michael Becker

Michael Becker (Dr. phil.) (geb. 1972) studierte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Soziologie, Philosophie, Kunstgeschichte, Psychoanalyse sowie parallel dazu Kunst an der Wiesbadener Freien Kunstschule, die 1972 von seinem Vater gegründet wurde und die er seit 1998 in leitender Funktion übernahm. Seine Dissertation entwickelt eine Konstitutionstheorie kunstpädagogischer Professionalität. Bis heute setzt er sich für eine intensive Grundlagenausbildung auf dem Sektor der bildenden Kunst ein. Folgende Bücher sind von Michael Becker im Buchhandel erhältlich: Eine universelle Kompositionslehre Methode der objektiven Werkanalyse Subjektive Hermeneutik Krise und Klang Ein Spaziergang durch Physik und Kunst Autonomie in der Kunst Die Kunst der Reduktion Autonomie in Zeiten von Corona

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    Book preview

    Autonomie in der Kunst - Michael Becker

    Für Ben

    Mit Farbabbildungen

    Inhaltsverzeichnis

    Einführung

    Bernhard Springer

    Strukturbestimmung einer Maske

    Authentizität einer künstlerischen Kriseninszenierung fraglich

    Inhaltlicher und formaler Konflikt

    Kultureller Clash?

    Kunst = Zerstörung und Wiederaufbau in einem

    Sinnlose Sinndestruktion

    Krisenmoment / Kunstmoment

    Autonome vs. coole Farbgebung

    Klaus von Gaffron

    Markenzeichen Konkreter Kunst bleiben gestalterisch unterbelichtet

    Assoziative Offenheit

    Festigkeit durch gespiegelte Verdopplung

    Symmetrie heilt eine willkürliche Gestaltung

    Max Kaminski

    Abstraktion vs. konkret-autonomer Bildgestaltung

    Brüchige Dialektik aus Einzelnem und Ganzem

    Zur Sendereihe „kunstraum"

    Vermeidung einer Kollision von objektiver Werkstruktur und Künstleraussage?

    Beschneidung von künstlerischer Autonomie

    Objektive Werkanalyse

    Kongruenz vs. Nichtkongruenz

    Bernd Zimmer

    Was ist ein künstlerisch relevanter Rätselcharakter?

    Dieter Breitschwerdt

    Was ist unter einem humanistischen Potential zu verstehen?

    Werkeigene Bordmittel

    Offenheit und Geschlossenheit eines Kunstwerkes

    Rätselcharakter vs. Polyvalenz

    Der Künstler als Spinner

    Ignoranz gegenüber dem Werk

    Notwendigkeit der Suggestivität

    Wie entsteht eigentlich eine Ausdrucksgestalt?

    Umsetzungsproblem

    Sich selbst übertreffen

    Uhrwerk

    Konstruktivität

    King Kong Kunstkabinett

    Die Autonomisierung der Malerei

    Autonomie des Werkes und Autonomie des Künstlers

    Die Professionalisierung des Künstlers

    Krise, Autonomie und Professionalisierung

    Krise und Darstellungsart

    Der Künstler als Stellvertreter

    Die manipulative Kraft der Fotografie

    Bernard Schultze

    Was sind willkürliche gestalterische Entscheidungen in der bildenden Kunst?

    Produktive Krise

    Freiheit der Kunst

    Warum überhaupt Musikalität? Was bedeutet Musikalität?

    Struktureller Realismus

    Symphonie

    Harmonische Farbgebung

    Die künstlerische Handschrift

    Manierismus

    Der geistige Fingerabdruck

    Der authentische Künstler

    Wahrheit

    Abstraktheit von Musik

    Krise und Klang

    Künstlerische Phantasie

    Krise und Autonomie

    Beziehung

    Uhrwerk

    Innere Notwendigkeit

    Unendliche Betrachtung

    Wirkung als Vehikel des Geistes

    Rationale Irrationalität – irrationale Rationalität

    Gerhard Richter

    Tragfähigkeit der Farbe

    Proportionaler Gleichstand

    Das Besondere in der bildenden Kunst

    Das künstlerische Experiment

    Das künstlerische Problem

    Rätselcharakter durch veranschaulichte dialektische Einheit

    Anschauliches Denken

    Siamak Azmi

    Fotorealismus als Fleißarbeit

    Kunstcharakter der Abstraktion

    Technik als Selbstzweck

    Reproduzierbarkeit

    Miriam Cahn

    Kulturpessimistische Kampfansage

    Wang Guangle

    Energetische Verdichtung

    Transzendenz durch Lasur

    Malerei als Weg zur Sakralität

    Das sakrale Potential von Farbe

    Georg Baselitz

    Konzeptkunst

    Sinnlose Provokation?

    Künstlerisches Markenzeichen

    Jörg Immendorff

    Kompositorische Autonomie

    Banalisierende Konkretisierung

    Gefällige Gestaltung

    Julian Schnabel

    Zusammenführung von Gegenständlichkeit und ungegenständlicher Malerei

    Verspielter Dekor

    Literarische Krise

    Künstlerische Symbole

    Ellsworth Kelly

    Lakonische Kompositionen

    Abweichung als Kunstcharakter

    Asymmetrie als künstlerische Sprache

    Jeff Koons

    Bedürfnis nach lautem Buntem

    Perversion von Antikunst

    Greifbare Farbe

    Hochtrabende Deutungsversuche

    Freiwillige Deautonomisierung

    Rupprecht Geiger

    Aufhebung der Schwerkraft

    Kräfteverteilung

    Schluss

    Copyrights

    Zum Autor

    Einführung

    Mit diesem Buch lade ich den Leser zu einem Streifzug durch die Welt der modernen und zeitgenössischen Kunst ein. Ich erhebe dabei nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr beschäftige ich mich mit einzelnen Werken, die mir bei aktuellen Ausstellungen, im Fernsehen, in Katalogen oder im weltweiten Netz vor die Linse gekommen sind.

    Es ist erstaunlich, zu welchen interessanten und aufschlussreichen Erkenntnissen man über Kunst und ihre Grundbedingungen gelangt, wenn man die individuelle Sprache eines einzelnen Werkes versucht zu entschlüsseln.

    Ich bin davon überzeugt, dass sich die mühsame detektivische Arbeit gelohnt hat, beschenkt sie uns doch mit Antworten, die jeden Künstler oder Kunstinteressierten angehen dürften. Vielleicht motiviert dieses Buch den einen oder anderen sogar, selbst einen solchen Streifzug zu starten.

    Bilder lehren uns viel, wenn wir ihnen nicht allein sehend begegnen, sondern sie strukturell erfassen – was nichts anderes heißt, als zu ihrem innersten Geheimnis vorzudringen. Vor allem tun wir ihnen Unrecht, wenn wir ihnen mit vorgefassten Urteilen begegnen.

    Vorurteile aller Art schwächen vor allem uns selbst und hemmen eine offene, sachhaltige Auseinandersetzung. Die Grundmaximen der objektiven Werkanalyse helfen dabei, dem autonomen Prozess der Wirkungsentfaltung eines individuellen Werkes zu folgen.

    Der Begriff der Autonomie genießt für meine Auseinandersetzung einen hohen Stellenwert. Er wird zum Maßstab zur Beurteilung der einzelnen Werke im Hinblick auf Gelungenheit, Gestaltdichte, Suggestivkraft etc.

    Der Leser begibt sich mit der Lektüre dieses Buches auf das Terrain sachhaltiger kritischer Kunstbetrachtung. Bildnerische Werke von zeitgenössischen und modernen, von bekannten, aber auch weniger bekannten Künstlern werden kritisch hinterfragt und das in ihnen eingeschriebene Kunstverständnis ihrer Produzenten aufgedeckt.

    Auf der Grundlage von objektiven Werkanalysen und aus diesen abgeschöpften strukturellen Erkenntnissen werden interessante und lehrreiche philosophische Exkurse über elementare künstlerische Themen gestartet. Das Buch stellt damit unter Beweis, dass eine nachhaltige Auseinandersetzung mit bildender Kunst zu universellen Erkenntnissen über sie selbst und ihre Grundbedingungen führen kann.

    Folgende künstlerische Themengebiete werden herausdestilliert und diskutiert:

    Was sind bildnerische Kräfte?

    Sind die Konzepte und Ideen des Künstlers mit der Bildaussage deckungsgleich?

    Wird die Kunstqualität eines Werkes durch den äußeren Kontext bestimmt?

    Was bedeutet künstlerische Autonomie?

    Was ist ein künstlerisch relevanter Rätselcharakter?

    Was ist der Unterschied zwischen dem Rätselcharakter und der Polyvalenz eines Kunstwerks?

    Was ist unter einem humanistischen Potential zu verstehen?

    Was bedeuten Offenheit und Geschlossenheit eines Kunstwerkes?

    Ist der Künstler ein Spinner?

    Muss ein Werk suggestiv sein?

    Wie entsteht eine Ausdrucksgestalt?

    Was hat es mit dem Umsetzungsproblem auf sich?

    Funktioniert ein Kunstwerk wie ein Uhrwerk?

    Wie ist das Verhältnis von Autonomie des Werkes und Autonomie des Künstlers einzuschätzen?

    Wie vollzieht sich die Professionalisierung des Künstlers?

    Wie hängen Krise, Autonomie und Professionalisierung zusammen?

    Übernimmt der Künstler eine Stellvertreterposition?

    Wann ist eine Malerei manieristisch?

    Was hat es mit dem geistigen Fingerabdruck des Künstlers auf sich?

    Was ist unter einem authentischen Künstler zu verstehen?

    Wie ist der Wahrheitsbegriff heutzutage einzuschätzen?

    Wie ist das Verhältnis von Krise und Klang zu charakterisieren?

    Was bedeutet künstlerische Phantasie?

    Wann folgt ein Bild einer inneren Notwendigkeit?

    Inwieweit ist die „unendliche Betrachtung" ein Gütekriterium für ein gelungenes Werk?

    Was sind und bedeuten willkürliche gestalterische Entscheidungen in der bildenden Kunst?

    Was ist eine produktive Krise?

    Wie steht es mit der vielbeschworenen Freiheit in der Kunst?

    Wann wird Farbe tragfähig zum Einsatz gebracht?

    Was ist unter einem proportionalen Gleichstand zu verstehen?

    Wie kommt das Besondere in der Kunst zustande?

    Was ist unter einem künstlerischen Experiment zu verstehen?

    Was bedeutet anschauliches Denken?

    Inwieweit kann man von einem künstlerischen Potential der Abstraktion ausgehen?

    Wann ist Technik reiner Selbstzweck?

    Kunst als kulturpessimistische Kampfansage?

    Was ist unter einer energetischen Verdichtung zu verstehen?

    Ist Malerei ein Weg zur Sakralität?

    Hat Farbe ein sakrales Potential?

    Was ist unter Konzeptkunst zu verstehen?

    Welche Bedeutung hat ein künstlerisches Markenzeichen?

    Was bedeutet kompositorische Autonomie?

    Was ist eine gefällige Gestaltung?

    Darf Kunst dekorativ sein?

    Was ist eine literarische Krise in der Kunst?

    Was ist ein künstlerisches Symbol?

    Ist Asymmetrie die Sprache der Kunst?

    Welche Chancen und Gefahren liegen in einer symmetrischen Gestaltung?

    Wie ist das Bedürfnis nach lautem Buntem einzuschätzen?

    Was bedeutet es, wenn ein Künstler sich freiwillig deautonomisiert?

    Zu Beginn präsentiere ich einige Werke von Künstlern, die in einer Sendereihe des Fernsehsenders 3Sat bzw. in dem DVD-Buch „Kunstraum – Forum der Gegenwartskunst" des Bayerischen Rundfunks filmisch vorgestellt wurden. Folgende Künstler bzw. Künstlergemeinschaften stehen hier im Fokus: Bernhard Springer, Klaus von Gaffron, Max Kaminski, Bernd Zimmer, Dieter Breitschwerdt sowie das King Kong Kunstkabinett.

    Dabei erfolgt u.a. eine substantielle Kritik der Sendereihe.

    Im Anschluss beschäftige ich mich mit Werken folgender weiterer Künstler: Bernard Schultze, Gerhard Richter, Siamak Azmi, Miriam Cahn, Wang Guangle, Georg Baselitz, Jörg Immendorff, Julian Schnabel, Ellsworth Kelly, Jeff Koons und Rupprecht Geiger.

    Hinter dieser willkürlich wirkenden Auswahl verbirgt sich eine strukturelle Systematik, durch die das Verständnis um die Autonomie in der Kunst heranreifen soll.

    Autonomie in der Kunst wird dabei zum Dreh- und Angelpunkt der Diskussionen. Was ist letztlich von einer Kunst zu halten, die sich freiwillig ihrer eigenen Deautonomisierung unterwirft?

    Beginnen wir mit der Analyse von Werken von Bernhard Springer.

    Bernhard Springer

    Bernhard Springer, Groupies

    Acrylfarbe + Sprühlack auf Leinwand, 105 x 115 cm, 2009

    Das Werk „Groupies" vermittelt entgegen der proportionalen Faktenlage eine quadratische und dadurch neutrale Formatwirkung. Zu erkennen sind ausschnitthaft drei Figuren, die allesamt einen jugendlichen Charakter ausstrahlen. Besonders auffällig ist vor allem die das Gesicht der zentralen Figur verdeckenden Maskenform, die sich farblich und formal deutlich von der restlichen Machart des Bildes abhebt. Obgleich keines der drei Gesichter erkennbar ist, fällt die Maske als Instrument der Verdeckung als Besonderheit heraus.

    Wir erkennen drei unterschiedliche Möglichkeiten, wie die Nichterkennbarkeit und damit Nichtidentifizierbarkeit der drei Personen erreicht wird. Die weibliche Figur links oben wird einfach angeschnitten präsentiert, so dass sie ab dem Hals nicht mehr sichtbar ist, da sie aus dem Bildraum herausragt (bedingt durch das quadratische Bildformat). Die rechte weibliche Figur wird von der Seite gezeigt, während ihre Haare das Gesicht im Profil bedecken. Die zentrale Figur könnte aufgrund ihrer direkten sitzenden Position ohne weiteres erkannt werden. Diese Direktheit wird nun als Anlass, als Gelegenheit genommen, das Gesicht mit einer Maske zu überzeichnen und dadurch unkenntlich zu machen. Eine Maske ist für die beiden weiblichen Figuren nicht vorgesehen, da diese durch andere, bekanntere, normalere Möglichkeiten anonymisiert werden.

    Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass das Gesicht der zentralen männlichen Figur nicht wirklich von einer Maske im üblichen Verständnis von Maske verdeckt wird. Das Gesicht des Mannes bleibt schematisch sichtbar, denn die Maske selbst ist in wesentlichen Anteilen durchsichtig. Sie ist also nicht eine verdeckende Ganzheit, sondern eine weiße Strichzeichnung mit übrig gebliebenen Zwischenräumen, die den Blick auf das Dahinter freigeben. Dieses Dahinter lässt ein durch Farbe pauschal transparent übermaltes (übersprühtes) Gesicht erkennen. Dieses wird also weniger durch die Maske selbst denn durch die malerische Vorbehandlung verdeckt. Die „Maske" wird nachträglich mit einhergehender funktional begrenzter Wirkung aufgebracht.

    Während die jugendlichen Gestalten in bunten, poppigen Farben gemalt sind, erscheint die seltsame Maske in einem archaischen Kontrast zu diesen.

    Strukturbestimmung einer Maske

    Um diesen Kontrast semantisch und strukturell zu erfassen und zu beurteilen, bedarf es zunächst einer Strukturbestimmung der Bedeutung und Funktion einer Maske. Eine Maske ist ein grob bis fein an die Physiognomie eines Gesichtes angepasste oberflächliche Schicht, die das Gesicht teilweise bis komplett verdeckt, so dass dieses zu wesentlichen Anteilen unkenntlich gemacht wird. Da das Gesicht die entscheidenden Wiedererkennungsmerkmale einer Person aufweist, bedeutet die Verdeckung des Gesichts die Anonymisierung der Person. Damit aber nicht genug. Da eine Maske in den seltensten Fällen einfach nur neutral das Gesicht bedeckt und unkenntlich macht, sondern ein „phantastisches" Antlitz präsentiert, das zwar leblos ist, dennoch aber, wenn gelungen, sehr effektiv den Charakter des Trägers erheblich zu modifizieren oder gar zu verwandeln vermag, kann im besten Fall eine komplette Aufgabe der eigentlichen Person oder zumindest eine effektive Ablenkung von dieser erreicht werden. Die Kraft der Maske ist in diesem Falle stark genug, einen neuen, aufgesetzten Charakter durchzusetzen. Die eigentliche Person dahinter kann auf diese Weise kurzzeitig in Vergessenheit geraten und gänzlich im Charakter der aufgesetzten Phantasiefigur aufgehen. Durch eine Maske kann man – je nach Grad der Gelungenheit – die Illusion einer Phantasiefigur, eines Phantasiecharakters heraufbeschwören. Je höher der Realitätsgrad der Maske ist, desto gelungener kann das Täuschungsmanöver geraten. In diesem Falle kann in der Tat eine in sich eigenständig wirkende Personalität illusioniert werden.

    Die hier inszenierte Masken-Situation unterscheidet sich in mehreren Hinsichten von einer authentischen Verwendung einer Maske. Vor allem ist die hier sichtbare Maske malerisch hinzugefügt worden, der dargestellten mittleren männlichen Gestalt wird eine Strichlinienmaske nachträglich aufgemalt. Es wird nicht etwa ein Maskenträger gemalt, sondern einer gemalten männlichen Gestalt wird nachträglich ein malerisches Gebilde aufgesetzt, das durch seine Aufgesetztheit den oben bereits angesprochenen archaischen Kontrast unterstützt. Der gemalten Gestalt wird ein archaisches Label aufgepfropft. Es handelt sich um eine malerische Entscheidung, nicht um eine szenische. Die Szenerie wird durch das fremde Maskenlabel gestört oder sogar in ihrer Sinnentfaltung inhibiert. Es wirkt wie ein hineinoperierter Fremdkörper, der den internen Sinn der Interaktion stört. Eine echte Integration durch assimilierte Kontrastivität wird nicht erreicht.

    Authentizität einer künstlerischen Kriseninszenierung fraglich

    Die Authentizität einer künstlerischen Kriseninszenierung muss daher in Frage gestellt werden.

    Versuchen wir also zunächst, den krisenhaften Aufprall näher zu beleuchten. Zunächst erfolgt eine genauere Untersuchung des Wirkungscharakters der Maske. Ihr kompositorischer Aufbau setzt ohne Frage bestimmte Wirkungsmuster frei, die es hier zu erforschen gilt.

    Die Maske ist über ein System von Kreisformen aufgebaut. Augen und Mund bilden eine schematische Einheit eines strichmännchenartigen Antlitzes. Sie drücken gerade aufgrund des Kreischarakters (dieser bedingt seinerseits große offene Augen und Mund) Erstaunen, aber auch Erschrecken o.ä. aus. Der sonnenstrahlenschematisierte Kopfschmuck kann in diesem Zusammenhang durchaus dem Sprichwort, dass jemandem vor Schreck die Haare zu Berge stehen, entsprechen. Gleichzeitig ist der Kopfschmuck aber auch Ausdruck von Pracht, Prestige und Herrschaftlichkeit. Durch die Körperhaltung der zentralen Figur wird das Moment von Lässigkeit und Ungezwungenheit mit dem Ausdruck von Pracht, Prestige und Herrschaftlichkeit gepaart. Der heraufbeschworene Konflikt wird also gestalterisch eingepflegt, dennoch bleiben die strukturellen Inkonsistenzen erhalten. Gleichzeitig entsteht durch die Einpflegung des Ausdruckscharakters der Maske eine semantische Brücke, die konfliktreiche Informationen provoziert.

    Inhaltlicher und formaler Konflikt

    Worin bestehen diese konfliktreichen Informationen? Was bedeutet es zum Beispiel, einer gemalten jugendlichen Person mit poppigen Farben eine archaische Maske aufzusetzen? Die jugendliche Person wird mehr als anonymisiert: Ihr wird ein neuer, fremdartiger, im Grunde unpassender Charakter aufgesetzt. Der Ausdruck des Erstaunens und Erschrecktseins passt nicht zur lässigen Haltung der gemalten Person, dafür aber der Ausdruck des Herrschaftlichen. Beide Ausdrucksformen passen semantisch nun aber nicht wirklich zusammen. Es entsteht also sowohl ein inhaltlicher als auch formaler Konflikt, der sich nicht künstlerisch auflösen lässt.

    Kultureller Clash?

    Man könnte diesen Konflikt als ein bewusstes künstlerisches Heraufbeschwören eines kulturellen Clashs interpretieren. Allerdings findet hier ein Zusammenprall mit Integrationsbemühen statt. Dieses Bemühen kann aber nur als aufgesetzt qualifiziert werden. Vor allem geht diese Integration auf Kosten der personellen Integrität der zentralen Person. Eine ursprüngliche, möglicherweise in sich konsistente Szenerie wird semantisch gestört.

    Kunst = Zerstörung und Wiederaufbau in einem

    Kunst geht durchaus mit Zerstörung einher, zugleich aber auch mit Wiederaufbau. Der Wiederaufbau reduziert sich hier auf eine leger sitzende jugendliche Gestalt mit entfremdender maskenartiger Strichlinienzeichnung.

    Unter Einbeziehung der gesamten Interaktionsdynamik des Bildes könnte eine Sinnfälligkeit der Maskenidee herausgestellt werden: Zwei junge weibliche Gestalten in leichter bis allzu leichter Bekleidung und z.T. bauchfreier Pose flankieren die zentrale Figur in lässiger Manier. Sie zeigen sich der mittleren Person aktiv zugewandt, die linke Frau scheint ihn mit ihrem Arm zu berühren, die rechte Frau scheint etwas auf seinen Unterarm zu schreiben. Der Schriftzug des T-Shirts enthält die klischeeisierte und pauschalisierte Liebesbekundung: „I love RW, wobei „love durch ein rotes Herz symbolisiert wird. Das recht enge, knappe Höschen der linken Frau lässt ihr Geschlecht zwar nicht wirklich ordinärobszön, aber dennoch ausreichend deutlich herauskonturieren, was auf eine Sexualisierung als zusätzliche Komponente der Flankierung der zentralen Figur verweisen könnte.

    Der Mann im Zentrum wird umgarnt, was dieser vermittelt durch seine legere Körperhaltung mit demonstrativer Gelassenheit hinnimmt bzw. es sich gefallen lässt. Etwas undeutlich, aber durch die Maske sowie den roten Schleier hindurch dennoch erkennbar, scheint das Antlitz des Mannes einen genießenden Ausdruck an den Tag zu legen. Die Geste der Hand verweist darauf, dass der Mann eine Zigarette in der Hand hält, die gerade vor sich hinglimmen dürfte. Diese Attribute des Genusses ergeben im Zusammenspiel mit der restlichen umgarnenden Szenerie eine in sich unfraglich gelungene Thematik des weiblichen Umwerbens – dies in Verbindung mit einem Hauch profaner, harmloser Sexualisierung. Dabei spielt die körperliche Übergriffigkeit der rechten weiblichen Gestalt eine tragende Rolle. Das Beschreiben eines Körperteiles ist eine intime Handlung, unsichtbare Schranken der körperlichen Distanz scheinen überschritten werden zu können. Die zentrale Figur scheint jedenfalls nichts dagegen zu haben.

    Sinnlose Sinndestruktion

    Der Ausdruck der Maske dagegen vermittelt in der Tat Erstaunen und Erschrecken. Genau deshalb jedoch wird der Fremdkörpercharakter der Maske provoziert. Das Bild wird zum Ausdruck der künstlerischen Tradition der sinnlosen Sinndestruktion unter dem Vorwand eines künstlerisch provozierten kulturellen Clashs, der letztendlich ins Leere läuft.

    Wenn wir nun den Titel („Groupies") mit ins interpretative Boot holen, so scheint dieser ausschließlich für die ursprüngliche Malerei zu gelten. Die Lässigkeit und das Rauchen der zentralen Gestalt sowie vor allem das Herumschlawenzeln der beiden weiblichen Figuren vermitteln in der Tat das Thema von Groupies, die sich hier definitionsgemäß zwischen Fan und Stalker ansiedeln lassen. Die archaische Maske passt inhaltlich und formal nicht zu diesem Thema.

    Welche Intentionen könnten nun diesem unpassenden Gestaltungsakt zugrunde liegen? Die Provokation eines kulturellen Clashs soll / kann Befremden, Unverständnis auslösen. Dieses wird fraglos provoziert, allein das versöhnende Angebot fehlt. Sollen verschiedene Kulturen miteinander vermittelt werden, dann fehlt hier definitiv das vermittelnde Moment. Insofern müssen wir also eher von einem rohen Zusammenprall ausgehen. Zu fragen wäre allerdings, welche „Kulturen" überhaupt hier aufeinanderprallen.

    Das Phänomen des Groupietums ist Ausdruck der Popbzw. Massenkultur des 20. Jahrhunderts. Mit dem aufkommenden Starkult verbindet sich der Wunsch junger weiblicher Personen, die durch Medien gestiftete Nähe-Distanz-Logik zu durchbrechen, um direkten Kontakt zur geliebten Person aufnehmen zu können. Gerade der damit verbundene sexuelle Anklang wird durch das Bild deutlich herausgestellt. Nicht selten führen sexuelle Strategien zum Erfolg.

    Die Integration einer Maske in eine Groupie-Situation kann als Schutz vor den Übergriffen der weiblichen Fans zum Einsatz gebracht werden. Allerdings erwiese sich die hier vorliegende Maskierung als unnütz, da die weiblichen Fans ja bereits zu ihrem angehimmelten Idol vorgedrungen sind. Wenn nun der Angehimmelte vor den Augen seiner Groupies demonstrativ eine Maske aufsetzen würde, wäre dies ein unernstes Signal, sie mögen ihn in Ruhe lassen. Zu diesem Zweck könnte die Maske ein beliebiges Motiv transportieren, solange sie in der Lage ist, das Antlitz zu verbergen. Der kulturelle Clash entpuppt sich letztlich als willkürlicher, zu belächelnder Spaß.

    Krisenmoment / Kunstmoment

    Was für ein Kunstverständnis lässt sich nun aus dem Bild ableiten? Das Bild enthält ein Krisenmoment. Krisenmomente müssen

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