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Der Kirchenlehrer
Routiniert, souverän, modern – ein Meister seines Fachs. Joseph Ratzinger
wird als einer der ganz großen Theologen dieser Zeit in die Geschichte ein-
gehen. Ein Text aus dem Jahr 1962 zeigt, wie der junge Professor sich schon
damals nicht scheute, dem heiligen Augustinus Fehler nachzuweisen

Von Paul Badde und Guido Horst

I
n der Ruinenbasilika San Giovanni seit seiner Wahl angesammelt hat, weist sprechen wird. Hier hat Joseph Ratzinger,
Rotondo auf dem Celio-Hügel steht ihn schon jetzt als weiteren großen Kir- einer der großen Theologen der heutigen
links neben dem Eingang fast unbe- chenlehrer aus. Zeit, mit einer langen Erfahrung auf den
achtet ein antiker Marmorschemel an Dabei geht er überaus systematisch Feldern des Austauschs zwischen Glaube
der Wand. Es ist der alte Bischofssitz vor. Nach seiner Wahl hat er zuerst alle und Vernunft, auf ganz natürliche Weise
Papst Gregors des Großen. In Sankt Peter Apostel Stück für Stück und hintereinan- seine Hauptaufgabe als Papst gefunden.
schwebt der Heilige Stuhl in der Apsis der behandelt, dann den heiligen Stepha- Dabei zitiert er auch einmal Dante
vom Heiligen Geist herab in die Hände nus und die Gestalten der frühen Kirche, oder unbekanntere Kirchenlehrer wie den
von Johannes Chrysostomos, Athanasius, die großen Kirchenväter und inzwischen – heiligen Andreas von Kreta. In fast jeder
Ambrosius und Augustinus. Die Cathe- wir haben ja das Paulus-Jahr – das Leben Ansprache bei der Generalaudienz oder
dra der Nachfolger Petri war immer auch und Denken des Völkerapostels. zum sonntäglichen Angelus-Gebet geht
schon ein Sitz der Kirchenlehrer für Ost Die beständige Lehre ist die Grund- Benedikt XVI. auf die Grundlagen des
und West. konstante im Pontifikat Benedikts XVI., Glaubens und die letzten Heilsgeheimnisse
Routiniert wie ein Schuster Schuhe die von Anfang an als das größte Anliegen zurück. Er muss nicht mehr wie früher als
besohlt, hat auf diesem Stuhl auch der des Theologen-Papstes zu erahnen war: Präfekt der vatikanischen Glaubenskon-
266. Nachfolger Petri diese Aufgabe über- Die unablässige Darlegung der Glaubens- gregation die scharfe Unterscheidung zwi-
nommen, oder vielleicht doch noch etwas wahrheiten. Er krempelt nicht die Medien- schen reiner Lehre und häretischer Abwei-
routinierter. Denn ihm – dem Professor Arbeit des Vatikans um, auch die Reorga- chung ziehen. Vom Verteidiger des Glau-
Papst – ist diese Rolle wie auf den Leib nisation der römischen Kurie wird er wohl bens – was mitunter auch disziplinarische
geschrieben. einem seiner Nachfolger überlassen. Eben- Maßnahmen der Glaubenskongregation
Mittwoch für Mittwoch hält er deshalb falls ist Benedikt XVI. kein „Reise-Papst“, einschloss – zum Verkünder des Glaubens
auf dem Petersplatz oder in der Audienz- auch wenn er pro Jahr einige wenige, dafür gewandelt legt der deutsche Theologen-
halle kleine Vorlesungen auf Italienisch, aber wichtige Auslandsbesuche auf dem Papst den ganzen Schatz der kirchlichen
die nur wenige der angereisten Pilger ver- Programm hat. Stattdessen reiht er sich Erlösungslehre dar.
stehen, aber wohl alle in das große Lehr- selber in die lange Abfolge der Kirchen- Die letzten zwanzig Generalaudienzen
buch der Kirche eingefügt werden. Das lehrer ein, über die er in der Katechese bei hat er dem heiligen Paulus gewidmet und
Schrifttum, das Benedikt XVI. dabei allein den Generalaudienzen spricht und weiter wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme,

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Der junge Theologe
Joseph Ratzinger.
Foto: KNA

dass er eines fernen Tages ganz bei sich derts schon einmal vorsorglich aufgesetzt Geringsten von den römischen Glaubens-
selbst ankommen wird, dem wohl bedeu- hatten. wächtern unter Kardinal Alfredo Ottavi-
tendsten Kirchenlehrer des 21. Jahrhun- Der Text trägt das Datum vom 10. ani beeindrucken. Nicht nur dass er den
derts. Angefangen hat er mit der Arbeit Oktober 1962 – einen Tag später begann – wohl zu ängstlichen und älterem Lehr-
der Kirchenlehre schon in der Mitte des das Konzil –, behandelt den Entwurf für buchwissen verpflichteten – Autoren des
letzten Jahrhunderts – wie der folgende ein Konzilsschreiben zur Offenbarung, wie Offenbarungs-Entwurfs kräftig auf die
Text zeigt, den der junge Joseph Ratzin- sie in Heiliger Schrift und Überlieferung Finger klopfte. So ganz nebenbei bekam
ger vor dem Zweiten Vatikanischen Kon- zu Tage tritt – und zeigt schon die ganze auch der heilige Augustinus eins ausge-
zil verfasst hat, als Stellungnahme zu den Souveränität, mit der der damals 35 Jahre wischt. Der Text ist hochtheologisch, aber
so genannten Schemata, den Entwürfen alte Ratzinger sein theologisches Hand- auch für Laien verständlich und behan-
der Konzilstexte, die die Vorbereitungs- werk betrieb. Als Berater des Kölner Erzbi- delt die zentrale Frage, auf welche Weise
kommissionen für diese größte Kirchen- schofs Joseph Kardinal Frings war er nach der Gott der Christen zu den Menschen
versammlung des vergangenen Jahrhun- Rom gekommen und ließ sich nicht im gesprochen hat.

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Die Offenbarung:
Ausdruck einer Geschichte
Gottes mit den Menschen
Einspruch! Wie Professor Ratzinger 1962 einen Entwurf der Vorbereitungs-
kommissionen des Zweiten Vatikanums über die Heilige Schrift und die Tra-
dition zerlegte. Auszüge aus seiner Stellungnahme

Schrift und Überlieferung

» Wenn man Schrift und Überlieferung als


die Quellen der Offenbarung bezeichnet,
identifiziert man praktisch die Offenba-
ist; sobald man begriffen hat, daß Offenba-
rung in jedem Fall ihren materialen Bezeu-
gungen vorausliegt, besteht die Gefahr
lierte Mitteilung des letzten Apostels zur
Verfügung, der testamentarisch hinter-
ließ, welche Bücher zusammen die Schrift
rung mit ihren Materialprinzipien. In die- des Skripturismus überhaupt nicht mehr. ausmachen sollten. Sondern sie mußte
sem Fall wird die Gefahr, in den Skriptu- Denn dann ist klar, daß die Offenbarung sich in der Selbstbesinnung auf den in ihr
rismus, das heißt in das sola scriptura, in selbst immer ein Mehr ist gegenüber ihrer wirksamen Heiligen Geist in der Mühsal
die Identifizierung von Schrift und Offen- fixierten Bezeugung in der Schrift, daß sie menschlicher Geschichte fragen, in wel-
barung, abzugleiten, besonder akut. Man das Lebendige ist, das die Schrift umgreift chen Bücher sie diesen Geist erkannte und
braucht ja nur zu behaupten, daß die und entfaltet. (...) in welchen nicht, ehe sie scheiden konnte,
Überlieferung keine zusätzlichen Inhalte Das sachliche Ergebnis der bisherigen was ihr Wesengesetz ausdrückte und was
zur Schrift hinzubringe, dann ist damit Überlegungen könnte lauten: Das Verhält- nicht. (...)
schon klar, daß die Schrift die ganze Offen- nis der beiden Größen Schrift und Über- Natürlich drängt sich hier sofort der
barung ist, daß Schrift und Offenbarung lieferung ist nur zu begreifen in Unter- Einwand auf: Aber es gibt doch Dogmen,
sich decken, daß sola scriptura in einem ordnung dieser beiden Größen unter die die nur aus der Überlieferung, nicht aus
strengen und exklusiven Sinne gilt. Diese dritte, die in Wahrheit die erste ist, unter der Schrift zu beweisen sind. Nach 1950
Gefahr ist mit dem eingentümlichen Posi- die Offenbarung selbst, die ihren posi- war keine Auskunft beliebter als zu sagen,
tivismus, der die Offenbarung mit ihren tiven Bezeugungen vorausliegt und sie dieses Dogma sei ein typisches Beispiel
konkreten Zeugnissen gleichsetzt, unaus- übergreift. Schrift und Überlieferung eines nur durch die Tradition zu bewei-
weichlich gegeben. sind Erkenntnis-und Materialprinzipien senden Satzes. In Wirklichkeit ist gerade in
In der Tat sind die Verfasser unseres der Offenbarung, nicht die Offenbarung diesem Fall mit einer solchen Auskunft gar
Schemas offenbar in diese Falle gegangen: selbst. (...) nichts gewonnen, sie ist im Grunde eine
Sie verteidigen, wie anschließend zu zei- Die Geschichte kann praktisch keine Flucht, keine Erklärung. Denn auch die
gen sein wird, die Lehre, die Überlieferung Satz nennen, der einerseits nicht in der Überlieferung weiß bekanntlich vor dem
müsse eigene Materialien neben der Schrift Schrift enthalten ist und andererseits auch 5. Jahrhundert von der assumptio corpora-
enthalten, weil sie offensichtlich meinen, nur mit einiger historischer Wahrschein- lis der Gottesmutter nichts und es ist histo-
nur so sich gegen das sola scriptura abschir- lichkeit bis auf die Apostel zurückgeführt risch vollständig klar, daß es sich bei den
men zu können. Sobald man aber begrif- werden könnte. Gerade die drei klas- ersten schließlich auftauchenden Nach-
fen hat, daß dieser Positivismus, der über- sischen Lehrbuchbeispiele – Kanon der richten keineswegs um verspätete Nieder-
dies auf einer Vermengung von Seins- und Schrift, Siebenzahl der Sakramente, Kin- schriften einer bisher nur mündlich wei-
Erkenntnisordnung und einer Absolutset- dertaufe – bestehen diese Probe nicht... tergegebenen Nachricht handelt, sondern
zung der Subjektperspektive beruht, falsch Nein, die Kirche hatte keine fertig formu- um eine Erkenntnis, die eben erst neu ans

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Licht drängt, um deren Verständnis dann Professor Ratzinger trifft zum Inspiration und Irrtums-
ein jahrhundertelanges Ringen anhebt und Konzil auf dem römischen
von der schließlich 1950 die Kirche erklärt Flughafen Fiumicino ein.
losigkeit der Schrift
hat, daß es eine Erkenntnis im Heiligen
Geiste war, die zum Grundbestand der
Offenbarung zu rechnen ist. Die Tradition
als ein eigenes Materialprinzip kann man
Foto: SLOMI

» Die Inspirationslehre, wie sie in Abschnitt


8-11 von Caput 2 entwickelt wird, hat
zweifellos wiederum einen Großteil der
gerade von hier aus nicht beweisen, son- gegenwärtigen theologischen Lehrbücher
dern wiederum erscheint sie als der Vor- hinter sich, aber das allein kann doch nicht
gang der geistigen Aneignung und Ent- genügen, um sie konzilsreif erscheinen zu
faltung des Christusgeheimnisses in der lassen. Viel eher ist dies einer der Punkte,
geschichtlichen Mühsal der Kirche. die an den bisher vorgelegten Schemata
Ich glaube, daß dieser historische Tat- besorgt stimmen können: Daß man den
bestand entscheidend sein sollte, um eine Eindruck gewinnen muß, hier werde ver-
Fixierung in dem von der Vorlage vor- sucht, die Durchschnitts-Theologie der
gesehen Sinn auf alle Fälle zu verneinen. lateinischen Lehrbücher, die als solche
Ich sage nochmal: Es gibt keinen Satz, der durchaus ihr Recht und ihre Bedeutung
einerseits nicht in der Schrift steht und hat, dogmatisch verbindlich zu machen,
anderseits mit irgendeiner historischen was nun doch hieße, dieser Theologie, die
Wahrscheinlichkeit bis in die Apostel- als Theologie ihr Recht hat, ein kirchliches
zeit zurückgeführt werden könnte. Wenn Gewicht zu geben, das sie von der Überlie-
es so ist – und es ist so –, dann darf man ferung her nicht beanspruchen kann. Der
Überlieferung nicht als materiale Weiter- erste Wunsch, der hier anzumelden ist,
gabe ungeschriebener Sätze definieren. Die wäre demnach wiederum der, das Konzil
Väter und die vortridentinischen Schola-
stik haben das auch nicht getan. (...)

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« möge keine unnötigen Fixierung bringen,
es möge darauf verzichten, die Einzelheiten

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des Inspirationsvorganges zu beschreiben,


wie schon das Tridentinum und das Vati-
canum I nicht ohne guten Grund darauf
verzichtet haben. (...)
Neben diesem negativen Wunsch
drängt sich aber auch eine positive Überle-
gung auf. Die Schilderung des Inspirations-
vorganges geschieht nämlich in Abschnitt
8 in Anschluß an Vorstellungen, die vor
allen Dingen durch Augustinus in der latei-
nischen Kirche angesiedelt wurden.
Augustinus ist dabei seinerseits durch
einige Vermittlungen hindurch weit­
gehendst von Philo abhängig, der seiner-
seits wiederum seine Inspirationsvorstel-
lung eigenartigerweise nicht aus der pro-
phetischen Überlieferung seines Volkes,
sondern aus der Mystik des mittleren Pla-
tonismus und überhaupt des Hellenismus
seiner Zeit geschöpft hat.
Daß diese heidnische Inspirationsvor-
stellung sich durch die Autorität Augustins
später in solchem Maß durchsetzen konn-
te, muß als ein Unglück angesehen werden.
Sie schließt nämlich zwei Akzentsetzungen
ein, die für eine christliche Inspirationsleh-
re denkbar ungeeignet sind: Erstens geht
sie im Anschluß an die griechische Identi-
tätsmystik von einer vollkommenen Über-
mächtigung des Menschen durch die Gott-
heit aus; der Mensch wird zum willen-
losen Instrument der Gottheit... Mit die-
ser Entmächtigung der menschlichen Per-
son hängt ein zweites Phänomen zusam-
men: der ungeschichtliche Charakter die-
ser Inspirationsvorstellung. Was sich hier
abspielt, hat keinen irgendwie konstituti-
ven Zusammenhang mit Geschichte, weil Der Konzilspast Johannes XIII., auf dem Bild links neben ihm
ja der Mensch völlig verschlungen ist von Kardinal Alfredo Ottaviani. Foto: SLOMI
dem allein handelnden und sprechenden
Gott. Das eigentümliche der biblischen
Offenbarung aber ist es gerade, daß sie
Ausdruck einer Geschichte ist, die Gott mit
den Menschen macht. teilung der Idee des Gemeingeistes sagt, Inspirationslehre umfaßt die Grundkate-
Das ließe sich übrigens auf die ganze es sei aber richtig, daß die Beachtung der gorien der Person, die Gott als solche (und
Breite der Religionsgeschichte anwenden: geschichtlichen Umstände für die Exege- nicht als organon) anruft und in Dienst
Der Unterschied der Bibel zu den Heiligen se sehr nützlich sein könne, so zeigt dies, nimmt, der Geschichte, des Gottesvolkes:
Büchern etwa des Hinduismus oder des daß der Verfasser das eigentliche Anliegen, lauter Kategorien, die in der philonischen
Buddhismus oder des Islam ist es gerade, um das es hier geht, gar nicht zu Gesicht Lehre gar nicht auftreten können. Gewiß,
daß die letzteren als ein zeitloses göttliches bekommen hat: die notwendige Einfügung es ist trotzdem alles Wesentliche in der
Diktat gelten, während die Bibel Nieder- der Heiligen Schrift in den Organismus des katholischen Theologie immer bewahrt
schlag des geschichtlichen Dialogs Gottes Gottesvolkes, auf der ja erst die Möglich- worden, aber eine einheitliche Inspirati-
mit den Menschen ist und nur durch diese keit des kirchlichen Lehramtes und jener onslehre ließ sich nicht entwickeln, son-
Geschichte hindurch und in ihr Sinn und lebendigen Überlieferung gründet, die der dern es blieb bei einer mühsamen Zusam-
Bedeutung hat. (...) Schrift ihre wahre Bedeutung gibt. Eine aus menfügung von teils recht heterogenen
Wenn Abschnitt 10 nach der Verur- dem eigentlich Christlichen entwickelte Elementen. Es wäre ein Unglück für The-

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ologie und Kirche, wenn die philonisch- einstimmung mit dem, was in Abschnitt muß diese „Ergänzung“ der Schrift umso
augustinische Inspirationslehre nach Jahr- 13 recht gut ausgeführt wird, die Irrtums- mehr bedenklich stimmen, als in Mk 13,32
hunderten, in denen man sie auf die Lehr- losigkeit der Schrift auf die vere enuntiata ausdrücklich das Gegenteil gesagt wird,
bücher beschränkte, gerade in dem Augen- beschränkt werden, wenn nicht die histo- wenn es heißt: «Über jenen Tag und jene
blick kirchlich sanktioniert würde, in dem rische Vernunft in einen geradezu ausweg- Stunde aber weiß niemand etwas, auch
sich endlich die Möglichkeit anbietet, eine losen Konflikt geführt werden soll. nicht die Engel im Himmel, auch nicht der
Inspirationslehre genuin-biblischer Prä- Der Schluß des 2. Kapitels fordert Sohn, sondern nur der Vater“. Wie immer
gung zu entwickeln. (...) nocheinmal eine Bemerkung heraus: Es dieser Vers auch auszulegen ist, er zeigt
Mit dem Gesagten fällt auch Licht auf wird Hebr 4,15 zitiert: Der Herr ist uns in auf jeden Fall, daß in einem bestimmten
die Frage der Irrtumslosigkeit und Histo- allem ähnlich geworden „praeter pecca- (gewiß näherer Erläuterung fähigen und
rizität der Heiligen Schrift, die in den fol- tum“ (außer der Sünde). Der Verfasser des bedürftigen) Sinn von einem Nichtwis-
genden Abschnitten angegangen wird. Schemas scheint indes mit der Schrift nicht sen des Menschen Jesus gesprochen wer-
Das Schema spricht hier eine sehr scharfe zufrieden; er fügt hinzu: „et ignorantiam“ den darf und daß es sich im vorliegenden
Sprache. Es deduziert: Gott ist die höchste (und der Unkenntnis). Das ist, um offen Text um eine recht anfechtbare Ergänzung
Wahrheit und kann sich nicht irren. Gott zu sein, ein wenig erbauliches Verfahren, der Schrift handelt, die zu streichen ist,
hat die Schrift diktiert. Also ist die Schrift das vor allem auch die getrennten Brüder zumal sie auch in der ersten Vorlage nicht
genau so irrtumsfrei wie Gott selbst „in mit Mißbehagen erfüllen wird. Überdies gestanden hatte. (...)
qualibet re religiosa vel profana“ (in religi-
ösen wie in profanen Dingen). Nun drückt
aber die hier unterstellte Diktattheorie, wie Ratzinger 1955 als Dozent für Dogmatik und Fundamentaltheologie in Freising.
eben gesagt, gar keinen spezifisch christ- Foto: KNA
lichen Gedanken aus. So braucht es nicht
zu verwundern, daß sich in profanen, für
die eigentliche Aussageabsicht der Schrift
belanglosen Dingen nach der einmütigen
und kaum noch zu widerlegenden Ansicht
der Historiker durchaus auch Versehen
und Irrtümer in der Bibel finden. Man
kann auf Kleinigkeiten verweisen, wie die
Tatsache, daß Markus (2,26) vom Hohen-
priester Abiathar redet, statt von dessen
Vater Achimelech, ein Irrtum, den dann
Matthäus und Lukas in ihrem Text korri-
giert haben. Man könnte auf größere Dinge
wie auf die bekannten Abweichungen
der Chronikbücher von den Königsbü-
chern, auf die ungeschichtliche Bezeich-
nung Belsazars als Sohn Nebukadnezars
bei Daniel und anderen verweisen; eines
dürfte heute klar sein: Es war offensicht-
lich nicht der Sinn der Inspiration, in dem
breiten Horizont der menschlichen Aus-
sagen jede Randunschärfe in den beiläu-
fig mitgesagten Dingen zu vermeiden, son-
dern es war ihr Sinn, in wahrhaft mensch-
lichen Worten den Menschen das Geheim-
nis Gottes nahekommen zu lassen. Die
wahre Menschlichkeit der Schrift, hinter
der sich umso größer das Geheimnis des
göttlichen Erbarmens erhebt, kommt uns
erst allmählich zum Bewußtsein; irrtumlos
ist und bliebt die Schrift ohne Zweifel in all
dem, was sie eigentlich aussagen will, aber
nicht notwendig in dem in der Aussage
Mitgesagten, das kein Teil der eigentlichen
Aussage selber ist. Deshalb muß, in Über-

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Altes Testament, Dingen, die sich auf die Grundlegung der


christlichen Religion beziehen, bestehe die
Neues Testament und Autorität des Alten Testaments fort. Das
Weltgeschichte ist zu wenig und zu viel in einem. Denn

» Zum bisher übersprungenen Caput III


mögen mir abschließend noch zwei klei-
ne Bemerkungen gestattet sein, die über
mit einer solchen Formulierung wird der
Eindruck erweckt, als ob sich bestimmte
Teile des Alten Testaments nicht auf die
Grundlegung der christlichen Religi-
das Inspirationsthema hinausführen auf on bezögen und daher einfachhin ver-
das gründsatzliche Gesamtverständnis der gangen seien, als ob andere Dinge gleich-
Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen sam schon direkt christlich seien und so
hin. Da findet sich zunächst in Abschnitt als solche weiterbestehen würden.
15 eine Formulierung, die der Einheit der Die paulinische und überhaupt neute-
Heilsgeschichte nicht genügend gerecht zu stamentliche Sicht des Alten Testaments ist
werden scheint, wenn gesagt wird, in jenen eine andere: Sie klingt in dem Zitat an, das
Gewiß ist es richtig, daß man die These
ablehnen muß, die in den Evangelien
berichteten Worte Jesu seien meistens gar Holte den Münchener Kardinal schließlich an die Glaubenskongregation
nicht Worte des Herrn, sondern des Evan- nach Rom: Johannes Paul II. Foto: KNA
gelisten oder der Gemeinde. Kein katho-
lischer Theologe behauptet solches. Aber
das Problem, um das es geht, erscheint
dabei doch allzusehr vereinfacht. Denn wir
wissen heute, daß die Gemeinde einerseits
nicht gewagt hat, Herrenworte zu „erfin-
den“, sondern sich wirklich an das gebun-
den wußte, was die Augenzeuge gese-
hen und gehört hatten; daß sie sich aber
wohl ermächtigt und verpflichtet wußte,
diese Herrenworte nicht einfach archiva-
risch wie die Worte eines Toten weiterzu-
geben, sondern sie als Worte eines Leben-
digen, des Christus heute, weitergege-
ben hat, sie in der Vollmacht des Heiligen
Geistes weitertrug (was wir Überlieferung
heißen) und auch ihr kirchliches Heute
in diese Worte mithineingehört hat, wie
die Geschichte der synoptischen Überlie-
ferung aufs deutlichste beweist. Nichts ist
dem katholichen Verständnis von Schrift
und Überlieferung, von Christus und Kir-
che gemäßer als das, aber der Verfasser
ist wiederum (ähnlich wie bei der Frage
Inspiration und Gemeinde) zum wirk-
lichen positiven Problem gar nicht vorge-
stoßen, sondern ist, von dem Gespenst des
Modernismus geblendet, bei einer Gefahr
stehen geblieben, in der es im Grunde
um etwas ganz anderes, eben um die Idee
des Gemeingeistes geht, die vom moder-
nistischen Schreck her manchen Theolo-
gen offenbar noch so sehr in den Gliedern

«
liegt, daß sie, wo sie Gemeinde hören,
überhaupt nichts anderes mehr denken
können. (...)

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Foto: SLOMI
der Text des Schemas selbst bietet: Quae-
cumque enim scripta sunt, ad nostram
doctrinam scripta sunt (Röm 15,4) – das
ganze Alte Testament redet von Christus,
ist christologisch gemeint und ist als sol-
ches Grundlegung, Fundament der christ-
lichen Religion, nicht bloß einzelne Stücke
daraus. Aber auch das ganze Alte Testa-
ment muß gleichsam durch die christolo-
gische Verwandlung hindurch, gilt nicht
aus sich heraus, sondern von Christus her
und auf Christus hin, der erst den Schleier
wegzieht, der über dem Antlitz des Moses
gelegen hatte (2 Kor 3,12-18).
Noch ein Stück weiter führt die Über-
legung, zu der der folgende Abschnitt 16
Anlaß gibt, wenn es heißt: „Gottes Hin-
wendung zum Menschen zielte vom Sün-
denfall Adams an darauf ab, daß durch
die Verheißungen an die Väter, durch die
prophetische Vorankündigung des Erlö-
sers und durch die fortwährend deut- titativ gesehen der Anteil der sogenannten rung des Christusheiles weiß, daß es nicht
lichere Botschaft von ihm jeder mensch- Heilsgeschichte an der Weltgeschichte ver- in den Gittern eines mitteralterlichen
lichen Kreatur der Zugang zur Heilshoff- schwindend gering ist. Das alte Wort von Geschichtsbildes gefangen so etwas wie
nung offen stünde.“ Dieser Satz ist richtig. der Ecclesia ab Abel gewinnt damit eine einen kirchlichen Provinzialismus pflegt,
Aber er berücksichtigt in seiner Formulie- neue Bedeutung; es läßt uns wissen, daß sondern die Frage des Menschen von
rung doch wohl zu wenig den ungeheuren dennoch diese ganze Geschichte letzter- heute verstanden hat und bereit ist, ihr
Wandel des Welt- und Geschichtsbildes, dings christologisch strukturiert ist und in Antwort zu geben. Es müßte also in der
der sich in den letzten hundert Jahren ihrer Ganzheit verborgenerweise von der Formulierung, deutlicher als es geschieht,
zugetragen und der christlichen Botschaft Helligkeit jener schmalen Lichtspur lebt, zum Vorschein kommen, daß das Chri-
einen ganz neuen Hintergrund gegeben die mit Abraham beginnt und in Christus stusheil, das sich in der Geschichte Israels
hat, sodaß sie vor diesem Hintergrund sich sich als das wahre Licht eines jeden Men- und der Kirche manifestiert, nicht an die
selbst neu auslegen muß, wenn sie in ihrer schen enthüllt, der in diese Welt kommt. äußeren Mauern Israels und der Kirche

«
alten einen Wahrheit verständlich bleiben Ein Konzil, auf das heute die ganze, gebunden ist, sondern allezeit allen offen
will. Wir wissen heute, daß die Geschichte auch die nicht christliche Welt hinschaut, stand. (...)
Israels und der Kirche nur einen winzigen sollte auch erkennen lassen, daß es um die
Ausschnitt aus der Gesamtgeschichte der ganze Breite und Höhe, Länge und Tiefe, Zitiert aus der Zeitschrift Gregorianum,
Menschheit darstellt, daß also rein quan- um die wahrhaft kosmische Dimensionie- Februar 2008.

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