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t e n d e n z e n b e o b a c h t e n

#23
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!
Wir sind die Roboter k l u g e m a s c h i n e n f ü r d e n a l l t a g
Futurefarming s t a d t w i r t s c h a f t I d e r a n b a u f o l g t d e m m e n s c h e n
Midager t s c h ü s s j u g e n d k u l t u r , h a l l o j u g e n d k u l t I d a s n e u e m i t t e l a l t e r i s t d a
Aufzugwissen t e c h n i k u n d b a d e s p o r t
Redaktion:
Ji-Hun Kim
Jan-Peter Wulf
Layout:
Barbara Mayer, Anne Peters
Liebe node-Leserin, lieber node-Leser,
die 23 ist jene Zahl, die eng mit irrsinnigen Verschwörungen
einhergeht. Da wollen wir in dieser Ausgabe mit reflektiert
angezogener Handbremse einsteigen und feststellen,
dass einige althergebrachte Prinzipien mal neu durchdacht
werden könnten.
Erstes Beispiel: die Roboter. Quasi durch Literatur und
Film erst erfunden, sind sie nun nicht mehr nur teure
Exponate oder utopische Wunschträume. Mittlerweile
sind Roboter, egal in welcher Ausführung, für fast jeden
erwerbbar, und die Anwendungsbereiche sind äußerst
divers. Ob als Barkeeper oder als Krankenschwester:
Roboter werden immer mehr zur Alltagsrealität.
Roboter
node  23 I Editorial I 01
Kontakt:
node.contact@gmail.com
Web:
http://nodeland.org
Zweites Beispiel: Die Trennung von Stadt und Land.
Urbanität und Agrarökonomie standen seit der Indus-
trialisierung wie Magnetpole gegenüber. Verschiede-
ne Typen Mensch stehen seitdem in ewigem Konkur-
renzkampf: Großstadtpenner vs. Dorfdepp z.B. Seit 2007
leben zum ersten Mal mehr Menschen in der Stadt als
auf dem Land. Das hat Folgen, unter anderem auch im
Anbau von Lebensmitteln. Damit beschäftigen wir uns in
Future Farming.
Drittes Beispiel: das Prinzip Jugend. Die Alten werden
immer jünger und die Jungen tragen die Sachen ihrer
Urgroßeltern. Midager, Kidults oder Youngminder, es ist
Future Farming Prinzip Jugend
nicht mehr so leicht festzustellen, wie jung man ist und
was Jugendlichkeit nun wirklich bedeutet.
Nach soviel angestrengtem Prinzipienüberdenkenmüssen
widmet sich das Aufzugwissen ganz relaxt einem be-
liebten Sommersport: dem Planschen. Was Google Earth
mit Poolpartys zu tun hat und wie das Planetarium in die
Kachelwanne kommt, das wird hier verraten.
Eine aufschlussreiche Lektüre und einen schönen
Restsommer
wünscht die node-Redaktion
Berlin, Juli 2008
Aufzugwissen
 Wir sind die Roboter
Kluge Maschinen für den Alltag

„Wir laden unsre Batterie jetzt sind wir voller Energie. Wir
sind die Roboter, wir sind die Roboter.“ (Kraftwerk)

In Filmen schon immer Thema gewesen und in Forschung

und Science Fiction schon immer Szenario für waghalsige
Zukunftsvisionen: Roboter kommen jetzt näher, Roboter
klopfen an der Haustür und Roboter kommen immer mehr
in die eigenen Wände und für den privaten Gebrauch.
Ob als Spielzeug oder ernstzunehmende Helfershelfer,
bislang war die humanoide Maschine durch aufwendige
Produktion und irrsinniges Know-how eher für Eliten
und nicht für den Normalsterblichen gedacht. Aber was
in Streifen wie I- Robot, Artificial Intelligence und
Nummer 5 skizziert wurde, scheint im 21. Jahrhundert
immer realisierbarer. Ein Versuch des Einblicks in den
boomenden Bereich diverser Roboter.
In der Literatur tauchte der Roboter wohl zuerst bei Isaac

I-Robot Artificial Intelligence Nummer 5 lebt

node  23 I Technik I 02

Asimov auf bzw. wurde dann zuerst einem größeren Pu-
blikum bekannt. In der Erzählung Runaround wurden
auch die asimovschen Robotergesetze formuliert, die wie
folgt lauten:
1.Ein Roboter darf kein menschliches Wesen (wissentlich)
verletzen oder durch Untätigkeit gestatten, dass einem
menschlichen Wesen (wissentlich) Schaden zugefügt
wird.
2. Ein Roboter muss den ihm von einem Menschen
gegebenen Befehlen gehorchen – es sei denn, ein solcher
Befehl würde mit Regel eins kollidieren.
3. Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange
dieser Schutz nicht mit Regel eins oder zwei kollidiert.
Diese im Jahre 1942 formulierten Thesen bestimmten
auch die Definition für die folgende Science Fiction-
Literatur, wo Roboter immer häufiger eine zentrale Rolle
Isaac Asimov Runaround
node  23 I Technik I 03
ASIMO
einnahmen. In der heutigen Realität gelten die Gesetze
zwangsläufig nicht (man denke an militärische Roboter).
Im Film tauchte der erste Roboter wissentlich im Epos
Metropolis von Fritz Lang auf. Das war im Jahr 1927.
Häufig ging es in den Sequels der Thematisierung
darum, inwiefern Roboter ihr Eigenleben entwickeln
würden, klüger und stärker als die Menschen würden
und schlimmstenfalls eine Bedrohung für die gesamte
menschliche Spezies darstellten (I, Robot, Terminator).
Mit dem Animationsfilm Wall-E wird erneut ein Roboter
zum Filmstar. Einen Hauptteil nehmen Roboter seit
langem in der Autoproduktion und ähnlichen Bereichen
ein. Wenn von humanoiden Robotern bzw. Robotern, die
anderen Lebewesen ähneln die Rede war, dann in der
Regel von ASIMO, dem bekannten Modell von Honda
oder dem Robo-Hund AIBO von Sony. Das ist nun schon
ein Weilchen her.
Metropolis Wall-E
Japan nimmt weiterhin die Vorreiterstellung weltweit
ein, was die Entwicklung von humanoiden Robotern
und dem Einsatz in Lebensbereiche betrifft. Es scheint
nicht mehr lange zu dauern, bis die bislang vorgestellten
Krankenpflege- oder Serviceroboter auch in hiesigen
Bereichen zu finden sein werden. Allerdings ist die
Arbeitslosenquote dort auch bedeutend niedriger. Was
heißt, dass das, was in Deutschland in den 60ern und
70ern mit Gastarbeitern kompensiert werden konnte, im
Land der aufgehenden Sonne mit Technik versucht wird.
Hierzulande messen sich die Universitäten lieber im
Robocup, der Fußball-WM für “kluge“ Maschinen.
Exoskelette
Das Thema Exoskeleton ist hierbei von enormer
Bedeutung. Zwar handelt es sich nicht um Roboter an
sich, aber um eine Potenzierung menschlicher physischer
Robocup
 Exoskeleton
Fähigkeiten in hochtechnisierter Ausführung. Aus dem
Film Alien mag man die Szene kennen, wo Ripley
in einen übergroßen Roboteranzug schlüpft, um den
ankommenden Schleimmonstern den Garaus zu machen.
Das Wort Exoskeleton (Exoskelett) ist von den Insekten
und anderen Panzertierchen übernommen, bei denen die
Organe und Innereien durch die Außenschicht gehalten
werden.
Der Mensch und andere Säugetiere besitzen ein En-
doskelett. Einer der bekanntesten Exoskelette ist der
HAL (Hybrid Assistive Limb), den es mittlerweile in
der 5. Ausführung gibt (HAL5). Ob Kubricks Space-Epos
für den Namen Pate stand? Entwickelt wurde dieser
an der Tsukuba University of Japan und ermöglicht
eine Steigerung der Muskelkraft ins Übermenschliche.
Ursprünglich sollte dieses Konzept dazu dienen, kranken
Menschen, die unter Multipler Sklerose oder anderen
Alien HAL (Hybrid Assistive Limb) Tsukuba University of Japan
node  23 I Technik I 04
Muskelkrankheiten leiden, wieder ein normales Leben zu
ermöglichen. Die Umsetzung indes ist sehr erstaunlich
und überzeugend. Schnell lassen sich auf einem Arm fünf
große Reissäcke heben.
Im Bereich des Transportwesens scheint dieses Exo-
skelett genauso interessant, wie (leider so oft) auch im
Verteidigungswesen. Polizisten und Soldaten könnten
bald mit ähnlichen Anzügen ausgestattet werden. Zwar
ist der HAL 5 noch nicht so wendig, als dass man darin
besonders schnelle Bewegungen machen könnte (man
denke an Cybersport, wie in manchen TV-Werbefilmchen
bereits inszeniert), aber das Prinzip des Exeskeletons ist
keine ferne Träumerei mehr. In Japan lässt sich der HAL
5 bereits für knapp 600 Dollar im Monat ausleihen. Und
die Vertriebsfirma hat mittlerweile eine Dependance in
Amsterdam öffnen lassen.
AIBO
Haustier und Haustiersitter
AIBO war das erste bekannte Roboterhaustier. Noch
immer sorgt der Hund für Aufsehen, seit 2006 wird
er aber nicht mehr hergestellt und kostet trotzdem
oder deshalb noch immer knapp 5.000 Euro. Das geht
günstiger und viele Nachfolger sind in den Startlöchern.
Ein gutes Beispiel ist der Pleo. Dieser Robosaurier ist
für unter 400 Euro zu erwerben und ist die Mischung aus
Tamagotchi und Urzeithaustier. Er zeigt vermeintliche
Gefühle, geht und lernt dabei die Umwelt kennen und reift
zum Quasi-Erwachsenen an. Die Art und Weise seiner
Bewegungsabläufe scheinen schon sehr tierisch-echt.
USB-Port, und SD-Flashspeicher inklusive Netcommunity
verstehen sich heutzutage ja von selbst.
Der Rovio nimmt das ganze Thema von der anderen
Seite an. Hierbei handelt es sich nämlich um einen
Hausbewacher, der vor allem auf die daheim gebliebenen
Robosaurier Rovio
Pleo
 Robovie
Haustiere per WiFi beobachtet und dem Herrchen
immer per Webcam zeigt, was zuhause alles passiert.
In groß und humanoid nennt sich das dann Robovie.
Dieser Überwachungsroboter soll dazu dienen, in Ein-
kaufszentren Menschen darüber zu informieren, wo sich
welches Geschäft befindet. Er kann aber auch Menschen
per RFID orten, ist daher mit 16 Kameras ausgestattet
und schaut einen mit leicht lethargischem Blick an.
Neben den oben genannten Beispielen, existieren viele
weitere Neuigkeiten, gerade auch im Mini-Bereich. Klein-
roboter, die zwar nicht über eine „hohe“ Intelligenz oder
hochkomplexe Techniken verfügen, dafür aber auch ohne
Weihnachtsgeld erwerbbar sind. Beliebt sind die Modelle
der Firma Hex Bug. Kleine Insekten und Krebse, die
huschig über den Schreibtisch wandern und auf Klänge
und im Weg stehende Gegenstände reagieren. Und
wer lieber selbst einen basteln möchte, kann sich dem
Hausbewacher Überwachungsroboter
node  23 I Technik I 05
Hex Bug Hexsinch
Wochenendprojekt Yellow Drum Machine widmen.
Dieser musikalische Freund nämlich ortet Dinge wie
Milchkartons und Flaschen auf und trommelt auf denen
herum. Gar nicht unrhythmisch und sehr spannend!
Robots are taking over?
Ob nun all die dunklen Szenarien sich wie in genannten
literarischen und filmischen Darstellungen ebenso gen
Alltag laufen, ist nicht klar. Bis dahin dürfte auch noch
ein bisschen Zeit sein. Denn eine eigene Intelligenz
aufzubauen, ist jenen Maschinen so fern wie der VfL
Bochum einem deutschen Meistertitiel. Um Kraftwerk
noch einmal anzuführen: „Wir sind auf alles programmiert
und was DU willst wird ausgeführt.“
Yellow Drum Machine Kraftwerk
 NEBEN Mc donalds
steht ne farm...
stadtwirtschaft I Der Anbau folgt dem Menschen

2007 fand der „demographic turn“ statt: Erstmals lebten

weltweit mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land.
Und diese Tendenz wird sich verstärken: 2050, so
schätzen die Vereinten Nationen, werden 70 Prozent
in den Stadtregionen leben. 6,4 Milliarden Menschen
(das ist nur geringfügig weniger, als derzeit insgesamt
die Welt bevölkern), bei einer geschätzten Gesamtzahl
von 9,2 Milliarden Menschen. Sie werden sich, so wird
prognostiziert, vor allem am Rande großer Städte an-
siedeln, so dass dort neue Großstädte zweiter Kategorie,
mit bis zu 500.000 Einwohnern, entstehen werden.

Es wird eng
Schon jetzt werden die Begriffe „Stadt“ oder „City“ immer
häufiger gegen „Stadtregion“, „urban area“ oder „metro
area“ ausgetauscht, wenn es um die zunehmende Urba-
nisierung geht, weil das klassische Stadtbild in diesem

Entwicklung der Weltbevölkerung Vereinten Nationen

Vertical Farm Innen

node  23 I Wirtschaft I 06
 Vertical Farm
Zusammenhang ausgedient hat. Ein Beispiel: Entlang des
Golfs von Guinea in Westafrika wird bis 2020 ein Geflecht
von 300 Städten mit jeweils mehr als 100.000 Einwohnern
entstehen, deren Zentren fünf Städte mit über einer Million
bilden. Insgesamt werden an diesem rund 600 Kilometer
langen Streifen über 60 Millionen Menschen leben. Und
„es wird wohl auch der weltweit größte Ballungsraum
städtischer Armut sein“, wie Mike Davis es in seinem
Buch Planet der Slums beschreibt.
Eines der größten Probleme: Versiegelung, also Bebauung
der Flächen macht eine Bewirtschaftung mit Nutzpflanzen
unmöglich. Die NASA hat berechnet, dass derzeit rund 80
Prozent der globalen Gesamtfläche, die für Landwirtschaft
nutzbar ist, bestellt wird. Kurz: Es ist nicht mehr genug Platz
vorhanden, um anbauen zu können – von ökonomischen
und ökologischen Gefahren mal ganz zu schweigen.
Stadtwirtschaft als Lösung?
Eine Lösung des Problems versprechen Ansätze, die
Mike Davis - Planet der Slums NASA
node  23 I Wirtschaft I 07
Anbausorten in einer Vertical Farm
konsequenterweise dem Städtebau entlehnt sind. Vertical
Farming ist im Grunde klassischer Hochbau, nur dass in
den Wolkenkratzern eben Getreide, Gemüse und andere
Nutzpflanzen angebaut werden.
Sich spiralenförmig windend oder in Stockwerken angelegt:
Wenn es nach dem „Erfinder“ der Hochhaustreibhäuser,
Dr. Dickson Despommier von der Columbia University
geht, sollen vertikale Farmen in allen Stadtregionen
entstehen, mitten in Harlem oder auf dem Lake Michigan,
gleich hinter der Skyline Chicagos, wie in einem Interview
mit Despommier im Colbert Report auf Comedy Central
zu sehen ist.
Die beanspruchte Grundstücksfläche ist klein, ein
ausgeklügeltes System aus nachhaltiger Wasser-, Licht-
und Energieversorgung soll die hohen Baukosten, die ein
solches Projekt mit sich bringt, gegenüber klassischem
Feldanbau amortisieren. Statt eines gedüngten Bodens
wird Hydrokultur die Pflanzen ernährt. Nur einige der
Vorteile des Vertical Farmings: Es kann das ganze Jahr
Dr. Dickson Despommier - Columbia University Vertical Farming Interview mit Despommier im Colbert Report
 Underground Farming
über angebaut werden, Herbizide und Pestizide benötigt
das geschlossene System nicht, Erosionen und Abwasser
werden durch Wiederverwendung des Wassers vermieden
und das nicht beanspruchte Land könnte renaturiert
werden.
Erste Testläufe mit futuristischen Agro-Maschinen wie
dem Omega Garden (der in seiner kleinsten Ausführung
bezeichnenderweise Volksgarden heißt) sind bereits
durchgeführt worden. Die Idee klingt viel versprechend
und gut aussehen tun die vertikalen Farmen auch – die
Sci-Fi-Vorbilder mit Bauernhöfen an Bord à la Odyssee
im Weltraum oder Sunshine lassen grüßen.
U-Farm
Ein anderes Konzept will die Kluft zwischen Stadt und
Land, zwischen Mensch und Natur unterirdisch schließen
und bedient sich des Tiefbaus: Underground Farming. Was
nach Dope-Anbau klingt, soll Kids im Pasona O2 in Tokio
Omega Garden Volksgarden Odyssee im Weltraum
node  23 I Wirtschaft I 08
lehren, wie ihre Nahrungsmittel überhaupt entstehen,
leben sie doch in der größten Metropolregion der Welt (37
Millionen Menschen in der Region Tokio-Yokohama) und
viele, viele Kilometer vom nächsten Feld entfernt.
In den riesigen Kellergewölben und Tresorräumen eines
ehemaligen Bankgebäudes, mitten im Geschäftsviertel
Otemachi, wurde insgesamt ein Quadratkilometer Nähr-
boden ausgelegt. Hier lernen die Kids, wie Reis angebaut
wird, wie Kartoffeln und Tomaten gepflanzt werden,
insgesamt sind es über 100 Pflanzenarten.
Vor allem die „freeters“, so werden die jungen japanischen
Menschen genannt, die über keinen regelmäßigen Job
verfügen (der japanische Begriff für Jobben, „arubaito“,
leitet sich übrigens vom deutschen Wort „Arbeit“ ab),
sollen hier die Möglichkeit finden, einen der traditionellsten
Berufe überhaupt zu erlernen, umgeben von High Tech-
Anlagen und dem superurbanen Leben Tokios. Tatsächlich
pilgern auch Geschäftsleute in das Pasona, um in den
Sunshine Pasona O2 „freeters“
subterranen Grünanlagen umherzupilgern oder einen
garantiert pestizidfreien Salat zu essen – die Erzeugnisse
werden nämlich ab U-Hof verkauft.
Guerilla Farming
Doch nicht nur Großprojekte wie diese wollen neue,
städtische Formen der Agrikultur vorantreiben, auch das
Kleingärtnertum hält Einzug in die Metropolen. Ist es in
Städten wie Berlin mit seiner Lauben- und Datschenkultur
oder „metro areas“ wie dem Ruhrgebiet mit zahllosen
Schrebergartenkolonien seit jeher verbreitet, werden
unter dem Motto Urban Farming, ähnlich wie das Gue-
rilla Gardening, ungenutzte Flächen in US-Städten in
Gemüsebeete umgewandelt.
Selbst züchten ist ein landesweiter Trend geworden: Der
nationale Gartenverband der USA gab bekannt, dass die
Amerikaner heute 25 Prozent mehr für Gemüsegärten
ausgeben als 2006. Bei Urban Farming-Projekten
Urban Farming Guerilla Gardening
 Urban Farming

wie etwa in Detroit geht es vor allem darum, in sozial
schwachen Stadtteilen gemeinschaftlich Brachflächen zu
bewirtschaften, um den Beteiligten einen günstigen Bezug
von gesunden Nahrungsmitteln zu ermöglichen, Wissen
über die Produktion dieser Erzeugnisse zu vermitteln und
über den Verkauf sogar neue Einkommensmöglichkeiten
zu schaffen – Hilfe zur Selbsthilfe mitten in der westlichen
Großstadt.
Spätestens jetzt wird klar: Agrikultur und Metropolenleben
dicht zusammenrücken zu lassen, macht nicht nur aus
purem visionären Idealismus Sinn. Bleibt abzuwarten,
wann in Downtown der erste Veggie-Burger-Laden mit ga-
rantiert in Brooklyn gezüchtetem Mangoldtofu aufmacht.

It´s the LOHAS, stupid!

In New York – natürlich – gibt es schon eine ganze Reihe
von urbanen Erzeugern, die gut davon leben können.
Beispielsweise der Imker David Graves, der seine Bie-
nenstöcke auf Brooklyns Hausdächern aufgebaut hat und
den Honig für satte fünf Dollar (250 g) verkaufen kann.
Kein Wunder: Schließlich wohnen hier die berühmt-
berüchtigten LOHAS, die auf solche Produkte nur warten.

Detroit David Graves LOHAS

node  23 I Wirtschaft I 09
 but it´s A real good feeling
Tschüss Jugendkultur, hallo Jugendkult: Das Neue Mittelalter ist Da

Bis vor kurzem sah das erste Brainstorming für die

Einführung eines neuen Lifestyle-Produkts meistens
noch in etwa so aus: An wen wollen wir verkaufen?
Zielgruppe, klar, 14 bis 29. Gut, vielleicht bis 39, aber auf
jeden Fall erlebnisorientiert, konsumfreudig, innovativ und
unkonventionell.

Da wollen sie alle hin, daran hat sich bis heute nichts
geändert. Fast. Denn bei der Zielgruppeneinteilung, die
bislang jeden Über-Vierzigjährigen so diskriminierend
behandelte wie die seltsamen Altersangaben der
Brettspielhersteller (empfohlen von 9 bis 99 Jahren – und
dann?), wird mittlerweile immer öfter über den imaginären
Altershorizont geschaut. Aus gutem Grund, denn da
taucht ein echter Silberstreif auf: Klaffte hier bis in die
Neunziger hinein die große Lücke, zwischen Marketing für
Teens und Twens und den Nahrungsergänzungsmitteln

node  23 I Prinzip Jugend I 10

 iPhone
für die Rentnerzielgruppe nur durch Hochpreisprodukte
wie Autos oder Familienmagarine gefüllt, wird es jetzt auf
einmal spannend, denn es finden sich Konsumenten, die
alles andere als „alt“ sein wollen. Sie tragen die gleichen
Shirts von Abercrombie&Fitch oder Onitsuka-Sneakers
wie ihre Sprösslinge, haben natürlich einen iPod (im
Zweifelsfall das teurere Modell), werden das „alte“ iPhone
ihren Kindern geben und sich das neue zulegen, pflegen
ihr Facebook-Profil lieber als das bei Xing und kaufen,
trotz drastischer Preiserhöhung, Bionade kistenweise für
die ganze Familie.
Alt ist das neue jung
Überhaupt, das als szenige Indie-Limo eingeführte Ge-
tränk mit seinem Mod-Kronkorken wird längst genauso
dort getrunken, wo es draußen nur Kännchen gibt, der
klassischen Oma-Opa-Gastronomie. Auch deswegen
Abercrombie&Fitch Onitsuka iPod Facebook Xing
Bionade
McCafés
wird der Marktriese Coca Cola sich den Erfolg nicht
mehr länger mit ansehen und wirft im August den „er-
wachsenen Softdrink“ Georgia auf den Markt. Spontane
Werbeschaltungsanfragen von Szenemagazinen weist
Coca Cola zurück: zu jung.
Und zu wenig vielleicht auch: Eine aktuelle Studie des
Marktforschungsinstituts CHD Expert wies nach, dass
zwei Drittel der Gastronomiebesucher in Deutschland
sogar über 40 Jahre alt sind. Darauf reagiert sogar
Gastro-Dickschiff McDonalds (dann muss ja was dran
sein an der Sache) und will seine knapp 500 deutschen
McCafés auf 1.500 in vier Jahren aufstocken. 70 Prozent
der Neukunden in den Burgercafés sind über 50 Jahre
alt – eine spezielle Werbekampagne für die Älteren ist
gerade in der Mache.
Endlich Ü30!
Coca Cola McDonalds CHD Expert
Georgia
Bislang hatte die Jugendforschung für diejenigen, die sich
über ihre Kleidung und sonstige Konsumpräferenz an
Jüngeren orientierten, wenig mehr als einen pejorativen
Begriff übrig: Kidults. Wer mit Miss Sixty-Jeans, mit
Bowlingtäschchen aus Kunstlack oder mit silberglänzenden
Adidas Superstars durch die Gegend stolzierte und dabei
älter als 25 war, der outete sich als offensichtlich massiv
unter dem Faktum des Älterwerdens leidend. „Grow up!“
würde ihm (in diesem Fall wahrscheinlich ihr) mittlerweile
kaum noch jemand vorwerfen, höchstens noch eine
mangelnde Stilsicherheit bei der Produktwahl.
Doch die Älteren sind immer besser informiert, was „vor“
und was „zurück“ ist, wie es im Blondmag so schön heißt.
Der Leser des Konkurrenzmagazins Neon beispielsweise,
inhaltlich zweifellos zwischen 16 und Twentysomething
positioniert, ist im Schnitt dreißig Jahre alt, ein Großteil der
Leser liegt ergo deutlich darüber. Berufsjugendliche, an
Kidults Miss Sixty Adidas Superstars Blondmag Neon

Altershipness „Erkrankte“. Ü30 and beyond spionieren in
den jünger positionierten Angeboten, um zu wissen, was
geht. Aber nicht nur das: Ein Großteil von ihnen ist schlicht
mit diesen jugendmedialen Angeboten groß geworden
und sieht gar nicht ein, von ihnen abzulassen.
MTV hat dieses Phänomen in seiner Youngminder-Studie
beleuchtet. Mehr als ein Drittel der Zuschauer ist über 30
Jahre alt. Ein verblüffendes Ergebnis: „Mehr Individualität,
weniger Anpassung und Konformität“ – klassischerweise
der Jugend zugeschrieben – werden von den Teilnehmern
als der wichtigste „Altersgewinn“ beschrieben. Schluss-
folgerung der Studie: „Als Youngminder sind sie zu den
‚Checkern‘ geworden, die sie mit 18 so gerne gewesen
wären und sie haben dabei im Gegensatz zu früheren
Generationen immer die Populärkultur im Auge behalten.“
Frei nach dem Motto: Endlich 30 – endlich frei und endlich
so viel Geld, dass ich mir die Technics auch leisten kann,
die ich vor zehn Jahren gerne gehabt hätte. Und die
Platten gleich dazu.
Jugendlichkeit statt Jugend
Auch die akademische Wissenschaft beschäftigt sich
Altershipness MTV Youngminder-Studie
node  23 I Prinzip Jugend I 12
30 - bis hierher und wie weiter? Lenzer I Holstein
Jo Groebel
mit dem Phänomen, dass Jugendkultur, nicht mehr
so zeitlich und räumlich eingeschränkt werden kann
wie noch in den Neunzigern. Damals verlängerten die
führenden Studien von Shell oder IBM die Jugend mit
dem Hilfsbegriff Postadoleszenz bis in die späten 20er
hinein, das reicht heute ganz offensichtlich nicht mehr.
Ein Anfang des Jahres gestartetes Forschungsprojekt der
BerlinMediaProfessionalSchool beleuchtet zusammen
mit dem Deutschen Digital Institut die Jugendkulturen
im digilogen Zeitalter und schafft den Begriff Jugendkultur
mal gleich ab. Der Ausgangspunkt: „An die Stelle einer alles
dominierenden Jugendkultur seien individuelle, plurale und
tendenziell altersunabhängige Mediennutzungsmuster
als gemeinschaftsstiftende Faktoren getreten.“ Und
weiter: „An – durch die Digitalisierung stark anwachsenden
– virtuellen Gemeinschaften und Netz-Communitys
könne potenziell jeder teilhaben, ungeachtet seiner
demographischen Merkmale, solange die entsprechenden
Kommunikationscodes beherrscht würden.“ Die Leiter des
Projekts, Klaus Siebenhaar und Medien-Guru Jo Groebel
meinen folglich: „Jugend ist nicht mehr nur ein begrenzter
Lebensabschnitt oder ein Altersmerkmal, vielmehr ist
Postadoleszenz BerlinMediaProfessionalSchool Deutschen Digital Institut Jugendkulturen im digilogen Zeitalter
Midlife Crisis
Jugendlichkeit zu einem dauerhaften Lebensgefühl
geworden.“
Na dann…
…können ja alle Über-Dreißigjährigen so weitermachen
wie bisher, wäre ergo die bislang schudig gebliebene
Antwort auf die Frage des durchaus lesenswerten Buchs
30 - bis hierher und wie weiter? von Kathrin Lenzer
und Philipp Holstein. Jugendlich sein wollen ist kein
Symptom von Torschlusspanik oder Vorbote einer an-
stehenden Midlife Crisis mehr, sondern demnächst
wohl allgemein akzeptierter Ausdruck einer Generation,
die sich nun ökonomisch und ästhetisch all das leisten
kann, was früher auf dem Wunschzettel nicht abgehakt
werden konnte. Und die Kids, von Zukunftssorgen und
Budgetrestriktionen geplagt und an der Mündung ver-
bindlicher Jugendkulturströmungen in ein anything goes-
Delta stehend, sehen dabei womöglich immer häufiger ein
bisschen ratlos, wenn nicht gar neidisch zu…
 Night Swimming mit Google Earth Dipping
Technik und Badesport
Night Swimming mit Google Earth Dipping nennt sich
das neue Hipsterphänomen in England. Die Idee: Über
Google Earth Swimmingpools suchen und sich über
Social Networks wie Facebook und Bebo zum Baden
verabreden. Die Regeln lauten wie folgt: Bier mitbringen,
fancy Kleidung und ein Fahrrad, damit man auch zeitig
vor den Bobbies die Flucht ergreifen kann. Verschiedene
Swimmingpoolbesitzer bemerkten auf einmal Lärm im
heimischen Garten und entdeckten die Eindringlinge in
Badehosen im eigenen Planschbecken. Die englische
Polizei warnt indes: Auch Dipping ist eine illegale Handlung.
Ob das nun die englische Jugend davon abhalten wird, das
ganze auch zum Massenphänomen ausarten zu lassen,
bleibt fragwürdig. Im Land des CCTV bedarf es dann
im Überwachungszwang dann eventuell einer weiteren
Google Earth Facebook Bebo
node  23 I Aufzugwissen I 13
Badezimmerplanetarium
Ebene. Wir empfehlen Webcasting der Hauseigentümer Audiosignale von PC und MP3-Player auf und sorgt so für
an das lokale Polizeipräsidium. Aber wenn man im 2.0- ungehemmten Headbang-Spaß, für all die, die nicht genug
Zeitalter schon von Informationssharing redet, dann wieso auf die Ohren bekommen. Für alle, die weniger aufs Hören
nicht auch Schwimmbecken teilen und wie man schon von im Wasser aus sind und die weißen Kacheln im Bad mit der
den Simpsons weiß: Wer den schöneren Swimmingpool Zeit zu dröge finden, der besorgt sich den Homestar Spa.
hat, hat auch mehr Freunde. Ein kleines Planetarium für die Badewanne. Sieht aus wie
ein kleiner Saturn und macht aus jeder Körperpflege ein
stellares Event. Bei Whirpools sollte man auf jeden Fall
Neues für den Heimplanscher schwindelfrei, bzw. man ist ohnehin Fan von tanzenden
Sternen im Warpmodus sein.
Wenn der Sommer dann wieder ausklingt und das hei-
mische Nassmachen in der Badewanne wieder angesagt
ist, der kann sich auf hochmoderne Quietscheentchen
freuen. Wer hätte gedacht, dass Baden so spannend
werden würde. Zum einen kann mit dem Floating Speaker
Musik in der Wanne gehört werden. Der schwimmende
Lautsprecher, auch Pool-tauglich, nimmt per Funk
Floating Speaker