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DAS THEMA MEINER SEMINARARBEIT LAUTET:

DAS WUNDERVERSTÄNDNIS VON KARL HEIM

Autor: Markus Nagel FB 2 TH Darmstadt

Veranstaltung: Seminar, WS 95/96: Wunder im NT

Dozent: Prof. Dr. Josef Hainz


Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.2/37
Inhaltsangabe:

1. EINLEITUNG...............................................................................................................................................3

2. HAUPTTEIL.................................................................................................................................................4
2.1. ÜBER KARL HEIM....................................................................................................................................4
2.1.1. Biographisches.....................................................................................................................................4
2.1.2. Sein Lebenswerk...................................................................................................................................5
2.2. DAS MODERNE WELTBILD...........................................................................................................................6
2.2.1. Kausalität.............................................................................................................................................6
2.2.2. Energetik-Weltbild...............................................................................................................................8
2.2.3. Dynamisches Weltbild..........................................................................................................................9
Werden und Gewordensein......................................................................................................................... ............10
Subjekt-Objekt-Schema........................................................................................................................... ...............10
2.2.4. Das anschauliche und nichtanschauliche Wirklichkeitsbild.............................................................10
2.2.5. Ablösung.............................................................................................................................................11
2.3. DASEINSANALYSE....................................................................................................................................13
2.3.1. Struktur und Verhältnis von Werden und Gewordensein...................................................................13
2.3.2. Polarer und überpolarer Raum..........................................................................................................14
2.4. DIE BEDEUTUNG JESU CHRISTI FÜR DAS WUNDERVERSTÄNDNIS BEI KARL HEIM...................................................17
2.4.1. Christologie und Satanologie............................................................................................................17
Jesus als der Christus............................................................................................................................................ ..17
Der Vergangene................................................................................................................................................. .17
Der Auferstandene................................................................................................................................ .............18
Phänomen und Überwindung des Satanischen................................................................................... ....................18
2.4.2. Die Bedeutung der Auferstehung Christi..........................................................................................22
2.5. DAS VERSTÄNDNIS DES BIBLISCH EVANGELISCHEN WUNDERS............................................................................25
2.5.1. Biblische Wunder als Zeichen der Gottesoffenbarung......................................................................25
Biblische Gotteswunder und Naturordnung........................................................................................................ ....26
Biblische Wunder und Schuld.............................................................................................................................. ...26
2.5.2. Die Wunder Jesu als Heilszeichen.....................................................................................................27
Notwendigkeit der Wunder Jesu............................................................................................................... ..............27
Jesu Wunder als ein Ringen mit den widergöttlichen Mächten.................................................................. ............28
Die Macht Jesu und die Wunderereignisse in unserer Zeit............................................................... .....................28
2.6. STRUKTUR UND SINN DES WUNDERS NACH KARL HEIM..................................................................................29
2.6.1. Das Wunder als Willensakt................................................................................................................29
Gebetswunder.......................................................................................................................................... ...............29
Handeln und Glaube................................................................................................................................ ...............29
Glaube an das Handeln Gottes.............................................................................................................................. ..30
Das neuschaffende Handeln Gottes/Wunder als punktuelle Neuschöpfung..................................... ......................30
Bedeutung des heilsgeschichtlichen Wunders................................................................................... .....................30
2.6.2. Die Gewißheit des Wunders...............................................................................................................31
Die naturwissenschaftliche Gewißheit des Wunders................................................................................ ..............31
Offenbarungsgewißheit des Wunders.................................................................................................................... ..31
3. SCHLUSS.....................................................................................................................................................31
3.1. VERSUCH EINER EIGENEN STELLUNGNAHME...................................................................................................31
3.2. LITERATURLISTE......................................................................................................................................34
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.3/37

1. Einleitung

Romano Guardini sagte auf einer Tagung der Bayrischen Akademie der Schönen Künste im
Jahr 1955 : „Im Maß, [indem] die Natur als Gegenstand rationaler Durchforschung und
technischer Verwertung gesehen wird, verliert sie die Dimension der Transzendenz.“1 Dieser
Prozeß, den Guardini damals aufzeigte, entwickelte sich bis heute auf rasante Weise weiter.
Der Mensch durchforscht sogar das unsere Natur umgebende Weltall. Nach einem
transzendenten Gott zu fragen, erscheint vielen Menschen als schwierige Denkleistung. Ja,
für viele Menschen stellt schon die Tatsache eines transzendenten Gottes eine denkerische
Unmöglichkeit dar. Ist es überhaupt noch zeitgemäß, von einem transzendenten Gott zu
reden, so wie von ihm in der Bibel berichtet wird? Man hat erkannt, daß das Weltall
unendlich ist. Deshalb kann man sich eine räumliche Transzendenz (im ursprünglichen Sinn
der alten Metaphysik) eines höheren Wesens nicht mehr vorstellen. Wenn ein Gegenstand
unendlich ist, kann auch nichts, räumlich gesehen „dahinter“ sein. „Der echte Säkularismus,
mit dem wir es heute zu tun haben, ist weder eine prometheische Auflehnung des Menschen
gegen Gott noch der Ausdruck einer müden Resignation angesichts des Dunkels, das über
unserer Existenz liegt. Sondern er ergibt sich notwendig aus einem Weltbild, das gerade
durch seine Einfachheit und Durchsichtigkeit und durch Ausschaltung aller dunklen
metaphysischen Welthintergründe für die Menschen des Maschinenzeitalters, die zwei
Weltkriege erlebt haben, etwas außergewöhnlich Einleuchtendes hat. […] Das Verstummen
der religiösen Frage ist in Wahrheit der stillschweigende Ausdruck einer sehr radikalen

1
Guardini, Romano; Der Mensch in der technisierten Welt, Vortrag an der Bayrischen Akademie der Schönen Künste,
1955, Tonbandaufzeichnung.
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Das Wunderverständnis von Karl Heim S.4/37
Frage, […] Die radikale Frage, die heute zur Debatte steht, geht nicht auf irgendeinen
einzelnen Punkt der Kirchenlehre. Sie geht aufs Ganze. Es ist die Frage: Ist denn überhaupt
für Menschen der heutigen Zeit, die auf dem Boden des jetzigen Naturbildes stehen, noch
irgendein anderes Weltbild möglich als das des Säkularismus? Ist nicht jede andere
Weltauffassung ein Rückfall in das durch Naturforschung und Lebenserfahrung, längst
überholte Weltbild unserer Väter?“2
Wenn aber schon ein „Gott denken“ immer denkschwieriger wird, wie bewältigt dann ein
modern denkender Mensch das christliche Bekenntnis an einen Wunder wirkenden, das
heißt, an einen in den Weltlauf eingreifenden Gott? Die Wunder, von denen in der Bibel
berichtet wird, stellen damit das größte „Ärgernis“ im christlichen Bekenntnis dar.
Mit der Wunderproblematik in einem umfassenden Sinn möchte ich mich nun in meiner
Seminararbeit beschäftigen. Ich will vor allem der einen Fragestellung nachgehen:
Wie kann ein moderner Mensch an Wunder glauben, ohne dabei seinem Intellekt
Gewalt antun zu müssen? Sind Wunder denkmöglich?
Ich versuche den Rahmen aufzuzeigen, in dem biblischer Wunderglaube „Luft zum Atmen“
hat. Meine Seminararbeit soll weder einen „Wunder- oder Gottesbeweis“ liefern, noch einen
exegetischen Versuch darstellen. Ich beabsichtige, eine Zusammenschau des biblischen
Wunderverständnisses in ein modernes Weltverständnis einzuordnen. Für diese
Fragestellung hat vor allem der Theologe Karl Heim Großes geleistet. Seine Sicht der
Wunderproblematik soll im Mittelpunkt der Seminararbeit stehen. Beim Aufbau meiner
Arbeit übernehme ich, mit Einschränkungen, die Gliederung aus der Dissertation von Hans
Schwarz.3

2. Hauptteil

2.1. Über Karl Heim

2.1.1. Biographisches4

Da Karl Heim (Heim) nahezu in Vergessenheit geraten ist, möchte ich ihn und sein
Lebenswerk in aller Kürze vorstellen:

2
Heim, Karl; Der christliche Gottesglaube und die Naturwissenschaft, Erster Teilband: Grundlegung, Tübingen 1949,
S. 24f.
3
Schwarz, Hans; Das Verständnis des Wunders bei Heim und Bultmann, Stuttgart 1966.
4
zusammengefaßt nach: Müller-Schwefe Hans-Rudolf, Karl Heim. In: Greschat, Martin (Hrsg.); Gestalten der
Kirchengeschichte, Die neueste Zeit III, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz, 1985 und Köberle, Adolf; Karl Heim, Denker
und Verkündiger aus evangelischem Glauben, Hamburg 1973.
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Heim wurde im Jahr 1874 im „Schwabenland“ in Frauenzimmern bei Heilbronn geboren und
starb 1958 in Tübingen. Er studierte Theologie und Philosophie in Tübingen. Dort
promovierte er im Jahr 1899 zum Dr. phil. und erwarb 1905 ebenfalls in Tübingen den Titel
lic. theol. 1907 habilitierte er sich an der Universität in Halle. 1914 wurde Heim an die
neugegründete Universität in Münster/Westfalen auf einen Lehrstuhl für systematische
Theologie berufen. Zum Sommersemester 1920 durfte Heim ins heimische Württemberg
wechseln. Er erhielt eine ordentliche Professur für systematische Theologie an der Eberhard
Karl Universität in Tübingen. Dort lehrte er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1939.
Während des Dritten Reiches bekam er das verlockende Angebot einer Berufung an die
Universität in Princeton/USA. Dort lehrte auch Albert Einstein. Heim lehnte das Angebot
aber ab.

2.1.2. Sein Lebenswerk

Um die Jahrhundertwende schrieb Heim ein vielbeachtetes Buch: Das Weltbild der Zukunft.5
Die Meinungen über das Buch waren geteilt: Von den einen wurde es „geliebt“, von den
anderen „gehaßt“. Es bildeten sich Studentenkreise, die sich nur zum Lesen und Diskutieren
des Heim’schen Buches trafen. In der akademischen Fachwelt erntete das Buch
vernichtende Kritiken. Man sagte, Heim hätte mit nichts seiner akademischen Karierre so
sehr im Weg stehen können als mit diesem Buch. Heim’s sechsbändiges Werk ist
genaugenommen Fortführung und Ausgestaltung des „Weltbildes“.

Was war der Verdienst von Karl Heim?

Heim hat in einer Zeit, in der der Theologie zunehmend nur noch eine Existenz am Rand der
Wissenschaften zugebilligt wurde, versucht, die Theologie aus dieser Engführung
herauszureißen. Er wollte die Theologie für die ganze Existenz geltend machen. Deshalb
nahm er den abgebrochenen Dialog der Theologie mit der Naturwissenschaft wieder auf. Er
dachte die wissenschaftlichen Ergebnisse mit aller Konsequenz ans Ende, blieb nicht auf
halber Strecke stehen. Die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse sollten so für den
christlichen Glauben fruchtbar werden. Seine Arbeit brachte Heim viel Anerkennung von
seinen Kollegen aus den Naturwissenschaften ein.6 Im Kreis seiner Fachkollegen blieb Heim
allerdings immer ein Außenseiter. Vielen war seine Arbeitsweise sehr suspekt, weil
5
Heim; Das Weltbild der Zukunft, Eine Auseinandersetzung zwischen Philosophie, Naturwissenschaft und Theologie,
Wuppertal 1980.
6
Pascual Jordan, *1902, Physikprofessor, war maßgebend an der Ausbildung der Quantenmechanik beteiligt, schreibt
im Klappentext von: Heim, Karl; Der christliche Gottesglaube und die Naturwissenschaft, erster Teilband:
Grundlegung, Tübingen 1949: „Endlich ein Theologe, der das Gewicht und die Bedeutung der Naturwissenschaften
in der heutigen Welt in voller Breite und Tiefe zu würdigen weiß. Für die Fähigkeit der Kirche, sich mit den Fragen
und Aufgaben unserer Zeit treffend auseinander zu setzen, wird es ein Prüfstein, wie weit sie die tiefgründigen
Gedanken dieses bewegenden Buches aufzunehmen und zu verarbeiten mag.“
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unorthodox. Heim bewahrte sich in all seinem Forschen eine tiefe pietistische Frömmigkeit.
Er schloß sich keiner theologischen Schule an. All das mögen Gründe dafür sein, daß Heim
heute fast gänzlich in Vergessenheit geraten ist.

2.2. Das moderne Weltbild

Wenn Heim sein Wunderverständnis entfaltet, übernimmt er nicht irgendein Weltbild, egal
wie modern es zu sein scheint. Er untersucht die naturwissenschaftlichen Fundamente
unseres wissenschaftlichen Weltbildes auf ihre Tragfähigkeit. Denn das „wissenschaftliche
Weltbild“ ist es, das den Eindruck entstehen läßt, an Wunder zu glauben wäre antiquiert und
deshalb für modern denkende Menschen eine große Zumutung. Heim kann ein
Nebeneinander oder gar Gegeneinander von naturwissenschaftlicher Erkenntnis und
biblischem Wunder- und Gottesverständnis nicht ertragen. Glaube an Gott und Erforschung
der Wirklichkeit gehören für ihn eng zusammen, ja bedingen sich sogar gegenseitig. Aus
modernster naturwissenschaftlicher Erkenntnis seiner Zeit erarbeitet Heim ein modernes,
„dynamisches Weltbild“, in dem gerade auch der christliche/biblische Wunderglaube seinen
Platz hat. Heim zeigt auf, wo der naturwissenschaftlichen Forschung und Erkenntnis
Grenzen gesetzt sind, wo sie bereits die Grenze überschritten haben. Das hat zur Folge, daß,
statt gesicherte Wissenschaft zu treiben, man sich bereits im Fahrwasser von Spekulation,
Ideologie und Religion befindet.

2.2.1. Kausalität

Das Prinzip der Kausalität muß man eigentlich als wichtigsten Baustein des
wissenschaftlichen Weltbildes bezeichnen. Das Kausalitätsprinzip gibt dem
Wunderverständnis nur in Form des Thomistischen Wunderbegriffs Raum.7 Kausalität ist
immer rückwärts gewandt. Eine feststellbare Wirkung steht unlöslich in Verbindung mit der
die Wirkung hervorrufenden tieferliegenden Ursache. Die Ursache ist nur an ihren
Wirkungen feststellbar, deren Ursache tiefer liegt. Bis ins Unendliche kann die Kausalkette
zurückgeführt werden. Eine letzte große Unsicherheit breitet sich aus, wenn es nicht einen
Punkt in der Kausalkette gibt, von dem her alle Kausalität begründet ist. Der Punkt muß
notwendigerweise akausal sein, das heißt, für ihn darf es keine tieferliegende Begründung,
Ursache mehr geben. Er muß in sich selbst begründet sein. Kausalität ist also nur möglich,
wenn es einen Wirklichkeitsinhalt gibt, der zwar einseitig dem Kausalzusammenhang
angehört, als die „Ur“-sache, der aber Ausdruck unberechenbarer, nicht wissenschaftlich

7
geht zurück auf Thomas von Aquin, der im Wunder eine göttliche Tat sah, die den Weltlauf unterbrach, das Wunder
wirkte und danach den Weltlauf wieder in Bewegung setzte- Heim lehnte diese Sicht des Wunders zutiefst als
unmodern und unbiblisch ab.
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erfassbarer Energie ist. Die „Ur“-sache steht im Kausalzusammenhang, und durchbricht im
selben Moment denselben. Heim zeigt mit seinen Überlegungen auf, daß das ganze rationale
Geschehen eine zutiefst nichtrationale Begründung hat. Somit ist das Akausale die
Voraussetzung jeder Erklärung. In der modernen naturwissenschaftlichen Forschung macht
sich deshalb große Unsicherheit breit. Der Wissenschaftler kann nur noch mit
Warscheinlichkeit zukünftige wissenschaftliche Ergebnisse vorherberechnen. Die
Naturgesetze haben allenfalls noch den Rang einer Regel. „Was wir brauchen, ist eine
Gewißheit über die Regeln, unter denen die Zukunft steht, in die wir jeden Augenblick aufs
neue hineingehen müssen. Denn das gehört zu unserem Schicksal, daß über der Zukunft, der
wir entgegengehen, ein Schleier hängt. Wir sind nicht Herr der Zukunft. Wir müssen uns
diesen entscheidend wichtigen Umstand zuerst deutlich zum Bewußtsein bringen. Nur dann
verstehen wir die große praktische Bedeutung des Kausalprinzips. […] In den Krupp-
Werken wurde früher den Besuchern ein Riesendampfhammer vorgeführt, der, wenn man
auf einen Knopf drückte, mit ungeheuerer Wucht auf den Amboß niedersauste und jeden
Gegenstand, den man dort hingelegt hatte, zermalmte. Der Apparat, der diesen Hammer in
Bewegung setzte, war so eingerichtet, daß der Arbeiter, der den Hammer bewegte, den
Hammer an jeder beliebigen Stelle stillstellen konnte. Man konnte ein Glasgefäß oder eine
Taschenuhr auf den Amboß legen, wenn man den Hammer vorher auf die Größe dieses
Gegenstandes eingestellt hatte. Dann sauste er zwar in voller Wucht nieder, machte aber
wenige Zentimeter über dem Amboß an der Stelle halt, wo der Gegenstand lag, so daß
dieser völlig unversehrt blieb. […] Interessant war es nun, was geschah, wenn man nun an
die Besucher des Werkes die Aufforderung richtete: Bitte versuchen sie selbst, ob ich recht
habe! Legen sie ihre Hand auf den Amboß, dann wollen wir die praktische Probe damit
machen, ob der Hammer wirklich funktioniert, daß wirklich nichts geschehen kann, was
nicht in der Hand des Mannes, der den Hammer auf eine bestimmte Stelle eingestellt hat.
Was geschah auf diese Aufforderung? Kein einziger der Besucher wagte wirklich, dieser
Aufforderung zu folgen und die gefährliche Probe zu machen. Jeder stand zwar unter dem
Eindruck, daß nichts passieren könnte. Woher kam trotzdem das leise Zittern schon bei dem
Gedanken, er müßte seine eigene Hand auf den Amboß legen? Nicht weil er kein Vertrauen
zu der Zulässigkeit der Maschine hatte oder zu dem Mann, der sie bediente. Nein, der
entscheidende Grund dieser Unsicherheit, dieses unschlüssigen Zögerns, dieses leisen
Zitterns bestand einzig und allein darin, daß das Ereignis, um das es hier ging, nicht in der
Vergangenheit lag, in der alles schon feststeht, in der also auch die Zuverlässigkeit der
ganzen maschinellen Einrichtung tausendfach ausprobiert war, sondern daß es erst der
Zukunft angehörte. […] Bei jedem Schritt in die dunkle Zukunft hinein müssen wir je nach
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Sachlage mit mehr oder weniger Unsicherheit die Hand auf den Amboß legen. „Ewig still
steht die Vergangenheit.“ […] Aber alles, was Futurum ist, auch wenn es nach den
bekanntesten immer wieder erprobten physikalischen Gesetzen mit der Sicherheit einer
Mondfinsternis zu erwarten ist, also einfach kommen muß, kann nie absolut gewiß sein,
sondern immer nur möglich, also potentiell, im besten Fall wahrscheinlich sein, sogar sehr
wahrscheinlich, aber nie absolut gewiß. Das kommt uns zum Bewußtsein, sooft wir uns auf
ein Gesetz unbedingt verlassen, das nach dem kausal-mechanischen Weltbild zu allen Zeiten
gegolten hat.“8 Wir sind genötigt, alles Geschehen im Zusammenhang mit allem übrigen zu
begreifen. Damit ist die streng kausale Betrachtungsweise durch eine rein empirische
Wahrscheinlichkeit ersetzt. Die Freiheit Gottes ist denkmöglich als „Urgrund“ aller Dinge.

2.2.2. Energetik-Weltbild

Energetik bedeutet laut Duden: die philosophische Lehre, die die Energie als Wesen und
Grundkraft aller Energie erklärt.9 Auch dieser wichtige Baustein des wissenschaftlichen
Weltbildes bedarf einer eingehenden Überprüfung. Man begreift „alles Neue als Abwandlung
von schon einmal Dagewesenem.“10 Das Energetische Weltbild muß ein geschlossenes sein.
Wenn wissenschaftliche Ergebnisse exakt sein sollen, müssen wir energetisch von einem
geschlossenen Universum ausgehen. Um einen Raum mit einem bestimmten
Energiequantum energetisch abzuschließen, bedarf es eines Energiequantums, welches
größer ist als das abzuschließende. Es ergibt einen Prozess, der ins Unendliche ausläuft. Wir
können in unserem Universum niemals alle Energien kennenlernen und ihre Stärke messen.
Deshalb ist auch im Weltbild der Energetik die Unsicherheit das entscheidene Faktum.
Zusammenfassend muß man sagen:

In weiten Teilen der naturwissenschaftlichen Forschung ist ein absolutes Denken in


Kausalketten nur noch bedingt möglich. Der ‘Ur-Grund’ läßt sich ja nicht mehr erfassen. Er
entzieht sich aller wissenschaftlichen Erforschung.

Inzwischen erlaubt man in der Wissenschaft sogar dualistische Erkenntnisweise. Materie


kann auf verschiedene, sich gegenseitig ausschließende Weise dem Beobachter erscheinen.
Nils Bohr führt den Begriff der Komplemetarität in die Naturwissenschaft ein. Er beschreibt
damit die Eigenschaften von Licht. Als Teilchen- oder als Wellenform kann es
wissenschaftlich nachgewiesen werden. Beide Anschauungsweisen treten niemals

8
Heim, Karl; Die Wandlung im naturwissenschaftlichen Weltbild, Hamburg 1951, 2. Auflage, S. 125ff.
9
Duden; Die Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter, (Der Große Duden Band 1), Mannheim
1967, 16. Auflage.
10
Heim, Karl; Glaube und Denken, Philosophische Grundlegung einer christlichen Lebensanschauung, Neukirchen-
Vluyn 1985, 7. Auflage, S. 182.
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gleichzeitig auf, schließen sich sogar gegenseitig aus. Man muß auf eine einseitige Sicht der
Wirklichkeit verzichten.

Aber wer erklärt das? In unserem aufgeklärten Denken stoßen wir hier auf eine schier
unüberbrückbare Barriere. „Die in der Welt bestehenden Kausalketten müssen nach Kant
alle in sich zufällig bleiben, wenn sie nicht auf ein absolutes Glied zurückzuführen wären,
von dem sie ausgehen. […] Diese Kantische Idee wird für Heim zur lebendigen Realität.
Wenn sich uns die allumfassende Realität Gottes aufschließt, gewinnen wir die Erkenntnis
der wahren Lage und damit die gültige Legitimation für unser Handeln. Durch den
Zusammenbruch des lückenlosen Kausalmechanismus ist die kühne Behauptung eines
allmächtigen Gottes, der jeden Augenblick den Kausalzusammenhang zerreißen kann,
unnötig geworden.“11 Der Weltlauf kann somit auch „als Ausfluß eines persönlichen Willens
betrachtet werden.“12 „Jede Abweichung von einem „Naturgesetz“ kann also ein Beweis für
die Vorläufigkeit desselben sein. Aber es kann ebenso von einer Wirklichkeit zeugen, die
jenseits unserer raumzeitlichen Wirklichkeit liegt.“13

2.2.3. Dynamisches Weltbild

Wir haben festgestellt, daß die exakte wissenschaftliche Welterfassung immer mehr von sich
breit machender Unsicherheit gestört wird. Paul Schütz14 spricht nicht von der sich breit
machenden Unsicherheit im naturwissenschaftlichen Weltbild, wenn er von derselben
Problematik spricht. „Das wissenschaftliche Denken bestreicht mit seinen Geschützen nur
eine sehr schmale Zone der Wirklichkeit. Es tut dies hier mit einer gewissen Sicherheit. Um
dieser Sicherheit willen ist ihr Feld so klein, das - nur ein Fragment - im Unermeßlichen,
dem Offenen der Freiheit, schwebt. […] Jordan15 spricht hier ‘vom Halberforschten’, von
‘noch unaufgelöstem Nebel’. Zugleich aber spricht Jordan immer wieder von der demütigen
Hinnahme des Dunkels.“16

Heim setzt dem wissenschaftlichen Weltbild sein dynamisches Weltbild entgegen. Es entsteht
durch Ordnen und Einteilen der uns umgebenden Erscheinungswelt. Auf kausale Denkweise
sind wir in Heim’s Weltbild dennoch angewiesen. Um Zukunft planen zu können, müssen
wir kausal denken.

11
Schwarz; a.a.O., S. 24f.
12
Heim; Wandlung, a.a.O., S. 256.
13
Schwarz; a.a.O., S. 25.
14
Schütz, Paul, 1891-1985, ‘Querdenker’, Theologe, lehrte an den Universitäten Gießen und Hamburg.
15
Jordan, Pascual, Physiker.
16
Schütz, Paul; Freiheit, Hoffnung, Prophetie, Von der Gegenwärtigkeit des Zukünftigen, Gesammelte Werke Band 3,
Moers 1986, S. 438 - 445.
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Werden und Gewordensein

Heim unterscheidet einen Vorgang nach seinem Werden und nach seinem Gewordensein.
Das Werden als solches läßt sich nicht wahrnehmen. Alles was wir sehen, ist bereits
geworden und liegt damit schon in der Vergangenheit. Das kausale Deutungsverfahren kann
sich deshalb nur an die Vergangenheit wenden und die dort offenbar werdenden
Kausalreihen untersuchen.

An den Werdeprozeß kommt man mit den Beobachtungs- und Analysemethoden der
Wissen-schaft nicht heran.

Subjekt-Objekt-Schema

Um etwas beobachten zu können, benötigt man:

• Subjekt

• Objekt

• Verbindungsmöglichkeit

Ein Erklärungsbeispiel: Ich sehe einen Stuhl.

„Ich“ ist in diesem Fall das Subjekt, der Stuhl das Objekt und die Verbindung zwischen
beiden bildet der Sehvorgang.

Wenn Naturwissenschaft betrieben werden soll, muß das Subjekt zwingend vorausgesetzt
werden. Wirklichkeit ist erst dann Wirklichkeit, wenn ein Subjekt sie als Wirklichkeit
wahrnimmt. Subjekt und Objekt können nicht identisch sein. Heim ordnet das Subjekt-
Objekt-Schema in seine eigene Weltsicht ein. Er setzt das Subjekt, das sehende Ich, mit der
Gegenwart gleich. Die Gegenwart ist nicht objektivierbar, für naturwissenschaftliche
Forschung nicht zugänglich. Das Objekt ist analog dazu Vergangenheit. Alle Beobachtungen
haben damit zutiefst subjektiven Charakter, da sie Erlebnisse des eigenen Ich’s sind. Das
Bild der objektiven Außenwelt ist darum immer durch das eigene Ich als Subjekt bedingt. Es
gibt folglich keine reine Zuschauerhaltung. Wir müssen uns immer mit der uns umgebenden
Wirklichkeit auseinandersetzten.

2.2.4. Das anschauliche und nichtanschauliche Wirklichkeitsbild

Heim unterteilt die uns umgebende Wirklichkeit auch in ein anschauliches und in ein
nichtanschauliches Wirklichkeitsbild. Nur das anschauliche, das heißt das gegenständliche
Wirklichkeitsbild kann man beobachten und wissenschaftlich erfassen. Es ist notwendig, die
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Wirklichkeit in einzelne Wirklichkeitskomplexe abzugrenzen. Das Subjekt kann von der
Wirklichkeit immer nur einen Teilaspekt erfassen. Eine Fotografie gibt zum Beispiel auch
immer nur einen Teilaspekt wieder, nie die ganze Wirklichkeit. Das Subjekt grenzt
willkürlich ab. Durch Empirie kann man also nie sicher sein, dass man die gesamte
Wirklichkeit erfaßt hat.
„Daß es keine „Gesamterfassung gebe“, ist eine „notwendige Folgerung
naturwissenschaftlicher Methodik“. Es bleibt immer nur ein „bruchstückhafter Ausschnitt“,
auf den sich die naturwissenschaftlichen Aussagen beziehen.“17
Naturwissenschaft ist deshalb auf den ordnenden Verstand und die Sinnesorgane des
Menschen angewiesen. Nur das, was der Naturwissenschaftler erfaßt, kann als
naturwissenschaftliches Wirklichkeitsbild anschaulich gemacht werden. Die gesamte
Wirklichkeit läßt sich nicht in ein Aussagesystem fassen. Das naturwissenschaftliche
Wirklichkeitsbild beinhaltet nur die anschauliche Seite der Wirklichkeit.
Neben der gegenständlichen Welt gibt es auch eine nichtgegenständliche Welt. Sie ist völlig
anders strukturiert. Heim bringt jetzt den Begriff des Raumes in die Debatte ein. „Ein Raum
ist jedes in sich unabschließbare Kontinuum, innerhalb dessen nach einem in der Struktur
desselben enthaltenen Ordnungsprinzip eine Mannigfaltigkeit inhaltlicher Unterscheidungen
vorgenommen werden kann.“18 Die gegenständliche Welt bildet einen Raum ebenso wie die
nichtgegenständliche Welt. Im gegenständlichen Raum unterliegt jedes Geschehen, auch das
Wunder, dem Kausalitätsprinzip. Im nichtgegenständlichen Raum kann sich das Wunder
auch als Ausdruck des Gotteswillens ergeben.

2.2.5. Ablösung

Heim glaubt genügend Gründe gefunden zu haben, die es rechtfertigen, das


naturwissenschaftliche Weltbild durch das dynamische Weltbild zu ersetzten, „mit der
Überwindung der Alleinherrschaft der Objektivität hängt eine zweite Veränderung des
ganzen Weltbildes zusammen. An die Stelle des statischen Weltbildes und Lebensgefühls,
das der Alleinherrschaft der Objektivität entsprach, tritt ein neues dynamisches Weltbild“19,
denn die Welt ist fortwährend in Wandlung begriffen, das statische Weltbild ist
verschwunden.
Für Heim ist es unumgänglich, die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse dieses Jahrhunderts
theologisch auszuwerten. „Er hat die naturwissenschaftlichen Ergebnisse nicht ignoriert, er
hat sie auch nicht bekämpft, [wie viele seiner Theologenkollegen,] er hat sie vielmehr bejaht
17
Schütz; Freiheit, Hoffnung, Prophetie, a.a.O., S. 445.
18
Heim; Glaube und Denken, a.a.O., S. 61.
19
Ebenda; S. 168.
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und sie gleichzeitig bis zur letzten Konsequenz hin vorangetrieben und ausgewertet. […]
Heim hat mit der modernen Naturwissenschaft nicht nur Schritt gehalten und ihre
Ergebnisse für den Gottesglauben unmittelbar fruchtbar gemacht, er konnte auch angreifen
und abwehren, da wo die Naturwissenschaft ihre Grenze eindeutig überschritt.“20

Das Ganzheitsprinzip in der Natur ist ein Beispiel für eine im Wandel begriffene Natur.
„Dieser Begriff des „Ganzheitsprinzips“ war ein Ergebnis der Erforschung der
Restitutionsprozesse durch Driesch. Hans Driesch studierte die Restitutionsprozesse an
beschädigten Tuboliten. An diesen seerosenartigen Polypen konnte eine Wiederherstellung
des verletzten Organismus beobachtet werden, die kausalmechanisch nicht zu deuten war.
[…] Auch viele Heilungsprozesse in der Medizin lassen die berechtigte Behauptung
aufkommen, daß an einer Zielstrebigkeit des Organischen kein Zweifel besteht. Viele
lebende Organismen sind von einem Zweckgedanken beherrscht, der sich mit dem
blindwirkenden Kausalgesetz nicht verträgt. […] In den letzten Jahrzehnten wurde diese
Ganzheitsauffassung, die ursprünglich der Biologie enttstammte, denn auch innerhalb der
Naturwissenschaft aufgegriffen. Man wollte damit der Natur einen Sinn geben. So hat das
dynamische Weltbild als Grundlage ein organisches Naturbild. Die Ganzheitstendenz […]
muß in unserem dynamischen Weltbild die zentrale Stelle einnehmen, die im mechanistischen
Weltbild die elementaren Urbeziehungen von Druck, Stoß und Gravitation hatten.“21 Die
Ganzheitstendenz scheint also ein unerklärbares Urdatum zu sein, eine letzte Instanz, der ein
bestimmtes Wollen innewohnt. Der Wille gehört zum nichtgegenständlichen Raum, ist
deswegen nicht objektivierbar und damit „unsichtbar“. Heim erwägt drei
Deutungsmöglichkeiten für die Ganzheitstendenz:

• Pantheismus: Bedeutet laut Definition des Dudens eine Allgottlehre. „Gott


und Welt sind identisch. Gott ist das Leben des Weltalls
selbst. Damit ist der Wille/Ganzheitstendenz von göttlicher
Natur.“22

• Panentheismus: Bedeutet die Lehre, nach der die Welt in Gott eingeschlossen
ist. Das ganze Weltgeschehen ist in die Universalität Gottes
eingebettet. „In ihm leben, weben und sind wir.“23

20
Köberle, Adolf; Karl Heim, Denker und Verkündiger aus evangelischem Glauben, Hamburg 1973, S. 38f.
21
Schwarz; a.a.O., S. 32f.
22
siehe Duden.
23
Apostelgeschichte (Apg.) 17,28. Ich verwende die üblichen Abkürzungen der biblischen Bücher.
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• Schöpfungsgedanke: Die Ganzheitstendenz kann auch die Auswirkung auf ein
zielbewußtes schöpferisches Wort sein.

Auf die dritte Deutungsmöglichkeit zielt Heim ab. Sie ist die ins dynamische Weltbild
passende.

2.3. Daseinsanalyse

Jetzt stellen sich folgende Fragen: Wie lebt der Mensch in diesem Raum? Welcher Art sind
die Beziehungen, Strukturen in diesem Raum, zwischen den verschiedenen Gegebenheiten?

2.3.1. Struktur und Verhältnis von Werden und Gewordensein

Zwischen der Zeit und dem Raum besteht eine Beziehung. Alles Zeitliche, das heißt alles
Vergangene muß einmal Gegenwart gewesen sein. Alles räumlich Ausgedehnte muß
nichtgegenständlich gewesen sein. Das Räumlich-zeitliche muß, um zustandezukommen,
von einem perspektivischen Zentralpunkt abhängig sein. Er bildet den Übergang vom
Nichtgegenständlichen zum Gegenständlichen. An der Grenze befindet sich auch das
beobachtende Ich. Somit ist der Perspektivismus die notwendige Grundstruktur allen
Geschehens und Seins. Erst wenn ein Ereignis „geworden“ ist, wird es als vergangenes
Geschehen gegenständlich und in die gegenständliche Welt des Daseins eingereiht. Erst jetzt
können wir das Geschehen objektivieren, das heißt naturwissenschaftlich erforschen. Der
Werdeprozess durchläuft zwei Phasen:

1. den zeitlosen Punkt der Gegenwart: In dieser Phase ist alles noch unentschieden
und damit noch veränderlich.

2. den zeitliche Zustand der Vergangenheit: Die zweite Phase, die der Werdeprozess
durchläuft, ist der zeitliche Zustand der
Vergangenheit. Hier liegt alles fest. Es ist in
den Kausalzusammenhang eingeordnet.

In der Gegenwart findet ständig eine Entscheidung über die Gestalt der Welt statt, von
jedem Augenblick zum nächsten. Heim mißt dem Menschen ein Mitbestimmungsrecht am
Werden der Welt zu. Er vergleicht das Geschehen mit einem feuerflüssigen Zustand. Wenn
die feuerflüssige und damit formbare Masse den Jetzt-Gegenwartspunkt überschritten hat,
erstarrt sie. „Die Eigenart der Zeit, die jede räumliche Veranschaulichung ausschließt, liegt
darin: jeder Augenblick ist nur einmal Gegenwart, dann ist er vorüber, unwiederbringlich
dahin und läßt sich nicht mehr rückgängig machen. Soeben war noch alles möglich. Jetzt
sind die Würfel gefallen, die Akten sind geschlossen. Ewig still steht die Vergangenheit. […]
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.14/37
Alle Ereignisse, die den Jetztpunkt passieren, gehen über einen flüssigen Aggregatszustand,
in dem eine Möglichkeit ein für allemal Wirklichkeit geworden ist. […] Wir haben zwei
Zustände, die das Weltgeschehen stetig durchläuft, den Zustand der Gegenwart, in dem alles
noch unentschieden und veränderlich ist, und den Zustand der Vergangenheit, in dem alles
unveränderlich geworden ist. Das Jetzt ist nicht ein wandernder Punkt, [auf einer Zeitlinie]
sondern einer der beiden Zustände, der von jedem Ereignis durchlaufen werden muß. Das
Geschehen ist ein fließender Strom, der, sobald er eine bestimmte Stelle passiert hat,
plötzlich zu Eis erstarrt. Diese Stelle ist der Übergangspunkt zwischen Gegenwart und
Vergangenheit, der Punkt, in dem der unentschiedene Zustand des Geschehens in den
entschiedenen Zustand übergeht.“24

Welche „Kraft“ entscheidet aber nun die Gegenwart? Wer bestimmt, welcher Teil der
Wirklichkeit übernommen wird und welcher verändert, fortgeführt oder komplett neu
gestaltet wird?

Ein freier Willensakt könnte im Jetztpunkt auf das Geschehen einwirken und ihm sein
Gepräge geben. Laut Heim ergibt sich eine Doppeldeutigkeit der Welt: In der
gegenständlichen Welt erscheint uns die Wirklichkeit als eine energetisch messbare. In der
nichtgegenständlichen Welt erscheint die Wirklichkeit als Kampf zwischen zwei
Willensmächten. Es scheint so, als ob „das ganze Geschehen, von dem wir getragen sind,
ein lebendiges Ringen von Gewalten sei, die irgend eine Ähnlichkeit mit unserem Willen
haben.“25

2.3.2. Polarer und überpolarer Raum

Wie läßt sich die Vorstellung eines transzendenten Wesens in das Beziehungsgeflecht von
Werden und Gewordensein logisch einordnen? Mit seinem System vom polaren und
überpolaren Raum wendet sich Heim gegen die traditionelle Auffassung der Metaphysik.26
Sie steht, wie bereits dargelegt wurde, nicht im Einklang mit naturwissenschaftlicher
Erkenntnis.

Ich bin als Wesen der Welt ganz auf unseren Weltzustand angewiesen. Ich fühle und handle
in der mich umgebenden Gegenstandswelt. Ich kann mich nicht aus dem Weltzustand
entfernen. Ich bin schicksalshaft mit ihm verbunden. Alle meine Vorstellungen,
Denkkategorien habe ich aus den jetzigen Weltzustand entnommen. Wenn Gott existiert,

24
Köberle; a.a.O., S. 213.
25
Heim, Karl; Die neue Welt Gottes, Eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, Berlin 1928.
26
Heim; Gottesglaube, a.a.O., S. 169ff.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.15/37
und wenn ich an ihn als das Wesen glaube, auf dem mein Dasein ruht, ergibt sich für meine
Vorstellung über Gott folgendes:

• Gott muß außerhalb meines Daseins stehen.

• Aussagen über Gott können nur in Verneinungen oder in Form von Gleichnissen
geschehen.

Wenn ich ohne Negierung und gleichnishafte Bilder über Gott rede, bleibt das Reden von
Gott unanschaulich, abstrakt, das heißt, das Reden bleibt dann belanglos. Aufgrund der
Begrenztheit unserer Begrifflichkeiten muß das Reden von Gott notwendigerweise von
mythologischer Bildhaftigkeit geprägt sein, will es nicht dürr und nichtssagend sein.

Die Wirklichkeit läßt sich immer nur aus einer bestimmten Perspektive sehen, aus meiner
Perspektive. Ich kann nie mit Sicherheit sagen, welche begrenzte Wirklichkeit aus dem
unendlichen Wirklichkeitsspektrum mein Gegenüber erfaßt.

Die Wirklichkeit, deren Teil wir sind, besteht aus einem Spannungsfeld von Polaritäten.
Jeder Teil der Wirklichkeit erscheint für mich nur sichtbar und damit wahrnehmbar in
Verbindung mit seinem Gegensatz. Licht kann ich nur als Licht erfahren, wenn es von
Dunkelheit umgeben ist. Sogar unsere Gefühlswahrnehmung basiert auf dem Wechselspiel
zweier Gegensätze: Sympathie/Antiphatie, Freude/Trauer, Liebe/Hass. Alle Maßstäbe der
Welt sind nur relativer Natur: Sie sind zum einen subjektiv, weil nur über mein Ich
erschließbar. Zum anderen verschweigen mir die Maßstäbe, welches Fundament sie haben.
Der Gedanke, sie seien willkürlich gesetzt, drängt sich auf. Er führt, wie bereits erwähnt
wurde, zu einer großen Unsicherheit über den möglichen Verlauf meiner Zukunft. „Alles
was wir wahrnehmen, vorstellen und denken können, das liegt damit innerhalb der
unabschließbaren Reihen, in die wir wie in ein unendliches Gefängnis eingeschlossen sind.“ 27
Wir können nicht aus unserer polaren Welt heraustreten. Die Polarität ist ein Aspekt aus
Gottes guter Schöpfungsordnung.28

Wenn Gott Gott ist, dann muß er „alles in allem“29 sein. „Ist aber Gott alles in allem, gibt es
also ein allerfüllendes Sein, das wir nicht zum Höchstwert erhoben haben, sondern das
durch sich selbst der Wert ist, über den hinaus nichts größeres gedacht werden kann, dann
ist dieses Sein für unser polares Denken und Erkennen unerreichbar. Mit anderen Worten:
Wir können Gott nicht schauen. Gottes Wesen ist unseren Augen nicht bloß in dem Sinn
27
Heim, Karl; Jesus der Herr, Die Herrschervollmacht Jesu und die Gottesoffenbarung in Christus, Wuppertal 1977, 5.
Auflage, S. 35.
28
1. Mose 1,3-19+31.
29
1. Kor. 15,28.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.16/37
verborgen und unsichtbar, wie der glühende Kern unsres Planeten unseren Augen verborgen
ist oder wie uns an den tiefsten Stellen des Stillen Ozeans, die kein Taucher mehr erreichen
kann, der Meeresgrund ein verborgenes Geheimnis bleibt. Das wäre ja nur eine relative
Verborgenheit. Es wäre denkbar, daß sie einmal durch technische Fortschritte überwunden
werden könnte. Gott ist uns aber auf eine absolute Weise verborgen und unanschaulich.“30

Gott ist demnach nicht Bestandteil des polaren Raumes. Er muß einem anderen
Raumschema angehören. Heim nennt es den überpolaren Raum. Hier ist Gott
allgegenwärtig. Ich kann mir diesen Raum nicht selbst erschließen, egal wie sehr ich es auch
durch Meditatition und Kontemplation versuche. Ich kann den überpolaren Raum nur im
Glauben erfassen. Nur Christus kann uns diesen Raum erschließen.31 Wir beginnen zu ahnen,
daß „hinter“ unserer sichtbaren Wirklichkeit die entscheidende Wirklichkeit Gottes steht.
Das hebt uns aus unserem polaren Denken heraus.

„Die Entdeckung des überpolaren Raums, durch die mit einem Schlag der letzte Rest der
Ungewißheitskomponente verschwindet, zeigt sich in den Christusworten darin, daß die
Ungewißheit der Zukunftserwartung verschwindet, also der Zweifel an der Erhörung des
Gebets und dem Eintreffen der erbetenen Wunderheilung. Vorher herrschte sozusagen ein
Zustand des Halbdunkels. Auf der einen Seite war schon das Licht einer schwachen
Hoffnung auf Erhörung, auf der anderen Seite die Nacht des Zweifels und des
„Unglaubens“, in welchem die Hoffnung auf die Erhörung mit entgegengesetzten
Möglichkeiten rang. Nun aber bricht in dieses Halbdunkel das siegreiche Licht der
Glaubensgewißheit. In dem Wort „Glaube“ ist das ganze Geheimnis der Wundermacht
enthalten, von der in all diesen Worten die Rede ist. Was bedeutet dieses Wort „Glaube“? Es
bedeutet offenbar nicht irgendeine menschliche Aktion wie etwa Vertrauen und
Fürwahrhalten unsichtbarer Wirklichkeiten. Das Wort Glaube hat einen viel umfassenderen
Sinn. Dieser geht uns nur auf, wenn wir begonnen haben, in „Räumen“ zu denken. Glauben
ist die Art, wie wir in einem Raum existieren, aus ihm heraus leben, ganz und gar in ihm
verwurzelt sind. Was das bedeutet, das wissen wir zunächst von den polaren Räumen, deren
Wesen uns unmittelbar vertraut ist, wie etwa vom dreidimensionalen Körperraum, aus dem
heraus das ganze materialistisch-mechanische Weltbild erwächst. Wenn nun das Wunder
geschehen ist, daß uns der überpolare Raum aufgeschlossen ist, dann wird es uns möglich,
genau so im überpolaren Raum zu stehen, wie wir bisher etwa im dreidimensionalen
Körperraum gestanden haben. Der Glaube ist also das Sein des ganzen Menschen in der

30
Heim; Jesus der Herr, a.a.O., S. 34f.
31
Jesus sagt: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich. (Joh.
14,6).
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.17/37
überpolaren Sphäre. […] Wir […] werden von allen Kräften getragen, die uns hier [im
überpolaren Raum] allgegenwärtig umgeben. Wenn wir zu Ende denken, was das bedeutet,
ahnen wir, was Jesus mit dem Wort „Glauben“ meint. Wir begreifen, warum Jesus so
ungeheuer Großes über den Glauben sagt, warum nach Jesu Wort der Glaube der Schlüssel
ist, der alle Schätze der ewigen Welt aufschließt, und die Kraft, die allen Kräften der Erde
weit überlegen ist, so daß ein Mensch, der glaubt, „Berge ins Meer versetzen“ kann.“32

Jedoch erschließt sich uns hier auf der Welt nie die ewige Wirklichkeit Gottes selbst. Wir
erfahren immer nur Aspekte seiner Wirklichkeit.

2.4. Die Bedeutung Jesu Christi für das Wunderverständnis bei Karl Heim

2.4.1. Christologie und Satanologie


Nachdem wir uns Gedanken über das Weldbild Heim’s gemacht, die Beziehungen und
Strukturen, die zwischen den Gegebenheiten herrschen, erklärt und analysiert haben,
besitzen wir genug Hintergrundinformation, um Heim’s Sicht über Jesus Christus
nachzuvollziehen. Jesus Christus ist für sein Wunderverständnis von elementarer
Bedeutung.

„Heim versteht das Werk Christi von unserer Sünde und der ihr zugrunde liegenden
widergöttlichen Wirklichkeit her. Auch das Leben Jesu vollzieht sich nach Heim in ständiger
Konfrontation mit dem Satan. Deswegen muß man Christologie und Satanologie bei Heim
zusammen besprechen.“33

Jesus als der Christus


Der irdische Christus, Jesus von Nazareth kann nach Heim aus zwei verschiedenen
Perspektiven gesehen werden:

Der Vergangene
Als der Vergangene ist er in die Weltgeschichte eingegangen, ist ein Teil von ihr geworden.
Er ist Fleisch geworden und „wohnte unter uns.“34 Somit kann, ja er muß als Person in den
Kausalzusammenhang eingeordnet werden. Die Ergebnisse haben immer nur vorläufigen
Charakter - bis etwas Neues entdeckt wird.

32
Heim; Wandlung, a.a.O., S. 154f.
33
Schwarz; a.a.O., S. 88.
34
Joh. 1,14.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.18/37
Der Auferstandene
Jesus ist aber auch der auferstandene Christus, der nie Vergangene, der stets Gegenwärtige.
„Nur wenn es nicht schwärmerische Anmaßung, sondern Wahrheit ist, daß die
neutestamentliche Christusgemeinde das lebendige Gotteswort in ihrer Mitte hat als eine
Person, an die sie sich wenden kann, wird die ganze Verkündigung des neuen Testamentes
verständlich.“35

Jesus war ja nicht ein Mensch, der eine wichtige Botschaft gebracht hatte, die es über den
Tod des Boten hinaus zu erhalten galt. Sonst hätten die Verfasser akribisch genau alle Worte
ihres Lehrers aufschreiben und wie ein Testament weitergeben müssen. Statt dessen
erzählen die neutestamentlichen Verfasser selektiv und sehr subjektiv von ihren Erfahrungen
mit Jesus. „Diese Sorglosigkeit im Verschweigen und Wiedergeben der Worte und Taten des
Einzigartigen erklärt sich nur daraus, daß die Boten überzeugt waren, daß sie nicht von
einem Toten, sondern von einem Lebendigen redeten. Wenn wir von Worten und Taten einer
Person erzählen, die noch lebt und handelt, kann diese Erzählung immer nur den Sinn
haben, die Menschen, denen wir berichten, zu diesem Lebendigen hinzuführen. […] Wir
lassen sie einen Trunk aus der Heilquelle tun, um ihnen Mut zu machen, selbst zur Quelle zu
gehen.“36 Aus dieser Quelle sprudelt unendliche Kraft, die allen Weltkräften überlegen ist.
Die Wirkungen davon werden, wie der historische Jesus Teil der Weltgeschichte und somit
objektivierbar. Wir müssen die Wirkungen der göttlichen „Energie“ in den
Kausalzusammenhang einordnen. Heim stellt Christus ins Zentrum seiner Weltanschauung.
Wie eine Sonne wirft Christus auf alles sein Licht. Alles erhält durch ihn erst seine
Lebensmöglichkeit. Strahlenförmig läuft alles auf Christus zu. Die Rahmenbedingungen des
Heim’schen Weltbildes erfahren durch Christus als ihre Mitte ihre letzte tiefe Festigkeit. „In
Christus offenbart sich gleichsam die höchste Ordnung aller Dinge, die unsere
widersprüchlichen Erfahrungsformen aufhebt.“37

Phänomen und Überwindung des Satanischen


In Heim’s Weltbild spielt neben Christus die satanische Wirklichkeit eine große Rolle.
„Innerhalb der Theologie der Gegenwart nimmt Karl Heim insofern eine einsame Stellung
ein, als er mit Nachdruck den dämonischen und satanischen Hintergrund der Welt vertreten
hat. Niemals hätte er sich bereit gefunden, die personale Wirklichkeit des Lügners von
Anbeginn zu entmythologisieren zugunsten eines bösen Prinzips oder einer widergöttlichen
Idee. [Heim sah] den Riesenschatten des Satanischen über die ganze Welt hin ausgebreitet
35
Heim; Jesus der Herr S. 184.
36
Ebenda; S. 185.
37
Schwarz; a.a.O., S. 90.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.19/37
und in allem als versucherische Macht wirksam.“38 Er weiß von der Realität eines
satanischen Gegenwillens. In der Erzählung vom Sündenfall blitzt bereits die Ursache des
satanischen Willens auf. „Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet keineswegs des
Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen
aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“ 39 „Wenn ich
meine Hände gegen Gott erhebe - und jede Schuld ist nicht eine gegen Menschen, sondern
gegen Gott gerichtete Bewegung -, will die Macht in mir, die Gott auf der ihm eigenen
überpolaren Ebene des Daseins entgegentritt und die den ungeheuerlichen Anspruch macht,
die Stelle einzunehmen, die Gott allein gebührt, also die Jenseitige und doch allerfüllende
Gegenwart.“40 Es entsteht eine gegen Gott gerichtete „Gegenaktion“41, eine quasi
„Gegenschöpfung“. „Aus der Ohnmacht der Gottverlassenheit wird ein dämonisches
Gegenbild göttlicher Allmacht, nämlich die teuflische Macht der Gottlosigkeit. Aus der
Unseligkeit, die aus dem Verlust der Gottesgemeinschaft entsteht, wird ein dämonisches
Gegenbild der Seligkeit der Gotteskinder, nämlich die teuflische Lust der Sünde, die
berauschende Wollust der Weltfreude. Diese ist gleichsam ein Raub an der Seligkeit, die wir
nur in Gott haben. […] So entsteht das unentwirrbare Gegeneinander und Ineinander von
Göttlichem und Teuflischem, von Macht und Ohnmacht, Rausch und Elend, das die
Offenbarung Johannis meint, wenn sie sagt: Der Satan ist es, der die ganze Welt verwirrt
(Offb.12,9). Nur wenn wir unter dem vollen Eindruck dieser unentwirrbaren Weltlage
stehen, können wir ermessen, was es bedeutet, wenn die Zeugen Jesu in triumphierender
Freude die Nachricht durch die Welt tragen: Christus ist gesandt, „um die Werke des Teufels
zu zerstören“42.Die Sendung Christi und die dadurch begründete Christengemeinde ist also
der von Gott ausgehende Gegenschlag gegen den satanischen Angriff auf die
Alleinherrschaft Gottes.“43 In dem Gegenschlag Gottes in Christus sieht Heim die ganze
Sendung Christi zusammengefasst. Dazu zitiert er Paulus aus 1. Korinther 15,24ff.44

38
Köberle; a.a.O., S. 49.
39
1. Mose 3,4+5.
40
Heim, Karl; Jesus der Weltvollender, Der Glaube an die Versöhnung und Weltverwandlung, Neukirchen-Vluyn 1985,
6. Auflage, S. 62.
41
Ebenda; S. 63.
42
1. Joh. 3,8.
43
Heim; Weltvollender; a.a.O., S. 63:
44
...danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, überantworten wird, wenn er vernichtet haben wird alle
Herrschaft und alle Obrigkeit und alle Gewalt. Denn er muß herrschen, bis daß er alle Feinde unter seine Füße lege.
Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod. Denn alles hat er unter seine Füße getan. Wenn er aber sagt, alles
sei unertan, ist’s offenbar, daß ausgenommen ist der, der ihm alles unergetan hat. Wenn aber alles ihm untertan sein
wird, alsdann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles unergetan hat, auf daß Gott sei alles in
allem.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.20/37
Nach Heim ist also die Wirklichkeit, in der wir leben das Ergebnis eines übermächtigen
Willenskampfes. Das Satanische ist nicht sichtbar. In Heim’s Raumvorstellung ist es ebenso
wie Gott im überpolaren Raum anzusiedeln. Die Satanische Wirklichkeit ist deshalb auch
nicht wissenschaftlich erklärbar. Alle Psi-Forschung hat sehr fragwürdigen Charakter, ist
eigentlich pseudowissenschaftlich. Das Satanische kann man nur in seinen Auswirkungen
erfahren und beschreiben. In der satanischen Wirklichkeit offenbart sich ein Machtkomlex,
der sich nicht der Allmacht Gottes beugt.

Heim sieht die Weltgeschichte mit einem neuen Aspekt. Es tobt ein großer Kampf um den
absoluten Herrschschaftsanspruch, zwischen dem Reich der Finsternis und dem Reich des
Lichtes. Darin ist auch die ganze Heilsgeschichte einbezogen. Das Finale dieses Kampfes
wurde Teil der Geschichte, im Todeskampf des Jesus von Nazareth auf dem
Hinrichtungshügel von Golgatha. Ein beträchtlicher Teil des Kampfes liegt allerdings nicht
im Gegenständlichen. Er war auch den Menschen der damaligen Zeit verborgen. Die
Autoren des Neuen Testamentes bleiben aber hier nicht stehen. Nicht das Scheitern des
Jesus von Nazareth durch seinen Tod wie ein Verbrecher ist allein Inhalt des Evangeliums,
das sie verkündigen. Sie berichten vom Sieg Jesu über den Tod, in seiner Auferstehung45.

Heim’s Lehre vom Kampf erinnert auf den ersten Blick an eine Form des Dualismus. Heim
vertritt aber keinen Dualismus. Er folgt in der Frage Martin Luther: Streng genommen ist
der Satan doch nur Gottes Satan. Heim stellt zwei Gesamtbilder der Wirklichkeit
gegeneinander, die er zwar beide für zutreffend hält, die aber beide miteinander unvereinbar
sind. Seiner Meinung nach müssen beide Gesamtbilder trotzdem eine Einheit bilden. „Wenn
unser Denken die Urbeziehung begrifflich fassen will, zerbricht es daran. Es bricht in zwei
unvereinbare Gesamtbilder auseinander, das monistische Gesamtbild der Alleinwirksamkeit
Gottes und das dualistische Gesamtbild des Kampfes von zwei miteinander ringenden
Gewalten. Das Stehen in der Urbeziehung ist die unbegreifliche Gewißheit, daß die beiden
Bilder, die für unser Denken auseinanderbrechen, dennoch eine unzertrennliche Einheit
miteinander bilden, ohne daß unser „euklidischer Verstand“ begreifen könnte, wie das
möglich ist.“46

Wir Menschen leben nicht in einer Gottesunmittelbarkeit. Wir können, wie schon dargestellt
wurde, Gott nicht aus uns selbst heraus erfassen. Wir befinden uns scheinbar in einer
unüberbrückbaren Trennung von Gott. Wir leben nicht in ihm. Damit stoßen wir auf einen
schwerwiegenden Widerspruch. „Es gehört zum Wesen Gottes, daß Gott alles in allem

45
z.B. Lukas 24,5ff. oder Apg. 2,22ff. oder 1. Kor. 15,3ff.
46
Heim; Jesus der Herr, a.a.O., S. 114.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.21/37
wirkt.[ ] Wenn es irgend etwas gibt, in dem Gott nicht der Wirkende ist, etwas, was
außerhalb seines Machtbereichs steht, ist damit die Gottheit Gottes aufgehoben. Gott ist in
den Bereich der polaren Verhältnisse hereingezogen, in dem sich unser menschlicher
Lebenskampf abspielt. Gott ist zu einem innerweltlichen Machtfaktor geworden, der mit
anderen Mächten in Konkurrenz tritt. Wenn wir darum betend vor Gott stehen, können wir
den Gedanken, daß es einen Satan gibt, nicht fassen und ertragen, ohne daß wir mit Luther
die andere Aussage machen: Gott als der Allgegenwärtige ist „selbst im Teufel
gegenwärtig“. Der Teufel ist nur „Gottes Teufel“, also ein Werkzeug Gottes. […] Gott ist
auch im Teufel gegenwärtig, und zwar nicht bloß als Zuschauer, sondern als Handelnder.
Denn sobald Gott irgendwo nicht der Handelnde ist, sondern nur der Zuschauer, ist er
entthront. […] An der Wahrheit, daß Gott „alle Dinge tue“, daß wir ihn für alles, was
geschieht, loben und ihm dafür danken dürfen, darf also nichts abgebrochen werden. Sonst
verliert der Gottesglauben seine ganze Kraft.“47

„Sobald wir nur die eine Aussage machen, der Teufel sei ein untergeordnetes Geschöpf, […]
nur ein harmloses Werkzeug des einen Gottes, der alles in allem wirkt, haben wir den Ernst
unserer Lage verkannt und das Bild der Wirklichkeit, in der wir stehen, nach unsern eigenen
Wünschen verzeichnet. Die Versuchung Jesu und sein Kampf in Gethsemane wären nur
einen Kampf gegen Windmühlen gewesen gewesen, ein Scheingefecht mit einem machtlosen
Gegner, den ein Mann, hinter dem Gott steht, als Feind überhaupt nicht ernst könnte, wenn
wir nicht sagen müßten: in diesem Augenblick stand die Sache Gottes wirklich auf dem
Spiel; dem, der die Sache Gottes führte, trat ein Todfeind gegenüber, den er in höchstem
Maße ernst nahm. Wir müssen also den furchtbaren Satz aussprechen, ob wir ihn fassen
können oder nicht: Es ist eine finstere Macht da, die Gott entthronen will, und es ist nicht
selbstverständlich, daß diese Macht überwunden wird.“48

Wenn wir das Geheimnis des Todes Jesu durchschauen wollen, stoßen wir auf „die letzte
Antinomie der Wirklichkeit.“49Wir können mit unserem aufgeklärten Verstand nur daran
zerbrechen, „verbluten“50. Heim wehrt sich gegen jede Relativierung des unüberbrückbaren
Gegensatzes der zwei Gesamtbilder der Wirklichkeit. „Nur wenn wir die Hochspannung
zwischen diesen beiden Wahrheiten aushalten, ohne einen Ausgleich zu versuchen, stehen
wir in der Wirklichkeit.“51

47
Ebenda; S. 102f.
48
Ebenda; S. 105f.
49
Heim; Weltvollender, a.a.O., S. 109.
50
Ebenda; S. 109.
51
Ebenda; S. 109.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.22/37
2.4.2. Die Bedeutung der Auferstehung Christi
Der Glaube an die Auferstehung Christi beeinflußt aufs stärkste die Lehre vom biblischen
Wunderglauben. Heim nimmt die Tatsache der Auferstehung in seinen Überlegungen sehr
ernst. Sie bildet nach seinem Verständnis Dreh- und Angelpunkt des biblischen
Wunderglaubens. Hans Schwarz faßt die Verbindung zwischen Wunder und Auferstehung in
mehreren Kernsätzen zusammen:

• Jesus kann nur auferstanden sein, wenn er Tod und Teufel besiegt hat.52

• Wenn Jesus nicht aufertsanden ist, kann er auch nicht heute als Auferstandener und
Erhöhter Wunder tun, ja in unser Leben eingreifen, das heißt es leiten und führen. Dann
verliert auch das Bittgebet für den Gläubigen an Bedeutung.53

• Gibt es heute keine Wunder mehr, dann haben selbst genau historisch erwiesene Wunder
der Vergangenheit für uns heute keine Bdeutung mehr.54

Heim begreift die Auferstehung als Schöpfungsakt, als Neuschöpfung. Dadurch wird die
Welt vollkommen verwandelt. Als Urwunder hebt sich die Auferstehung als Tat Gottes von
allen Wundern grundsätzlich ab. Im Ostergeschehen bricht ein neues Dasein in die Sphäre
des alten Seins herein.55

„Was ist das für ein Ereignis, das alle, die es sahen, innerlich umwandelte? Die Wirkung ist
nur unter einer Voraussetzung begreiflich, nämlich dann, wenn die Auferstehung Christi
überhaupt kein Ereignis ist, das als Glied in die Kette der Ereignisse der jetzigen Weltzeit
hineingehört. Sie ist auch nicht eines der Wunderereignisse, die in dieser Weltzeit ab und zu
einmal vorkommen, wie die Heilungswunder und Totenerweckung der Apostelzeit. Die
Auferweckung Christi ist etwas, was sich von allen Ereignissen, die sich auf der Ebene der
gegenwärtigen Weltzeit abspielen, grundsätzlich unterscheidet, nämlich der Beginn der
Weltvollendung, der Anfang vom Weltsieg Gottes über diese Erde.[…] Die Auferstehung
Christi ist also der Anbruch der Neuschöpfung der Welt, die nur durch die „schöpferische
Pause“, in der wir jetzt noch stehen, für eine bestimmte Zeit unterbrochen worden ist, ehe
sie vollends zum Abschluß kommt.“56

52
Schwarz; a.a.O., S. 94.
53
Ebenda; S. 94.
54
Ebenda; S. 94.
55
siehe Pfingstpredigt des Petrus Apg. 2,29ff. und Christushymnus Phil. 2,5-11.
56
Heim; Weltvollender, a.a.O., S. 161f.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.23/37
Heim ist überzeugt davon, daß Christus durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung
den Tod besiegt hat. Dadurch ist uns der Weg frei in eine neue Wirklichkeit, die unsre
Vorstellungskraft sprengt. „Gott muß sich darstellen als eine vollendete Gestalt, von der alle
Schranken weggenommen sind, die infolge der Gottentfremdung und des tragischen
Gesetzes der gegenseitigen Verdrängung die volle Entfaltung der Leiblichkeit im
gegenwärtigen Weltzustand noch aufhalten. Nur aus dieser Schau heraus geht uns der
Gehalt der Auferstehung Christi auf; und wir begreifen, daß jeder, der sie sah, dadurch
selbst zum zweitenmal geboren wurde. Die Auferweckung Christi ist der Anbruch der
vollendeten Leiblichkeit, deren schattenhaftes Vorstadium die ganze bisherige
Körperlichkeit ist.

Die Jünger, denen es vergönnt war, den Auferstandenen zu sehen, haben darum in der Tat
etwas Ungeheures, mit Menschenworten gar nicht zu Beschreibendes geschaut.“57In den
Auferstehungsberichten der Evangelien58 wird von dem Erschrecken, ja Entsetzen berichtet,
welches die Jünger überkam, als sie die Auferstehungsbotschaft vernahmen. Sie konnten das
Geschehen nicht verstehen und nicht einordnen. Daher rühren wohl auch die
Unstimmigkeiten in den Berichten der Zeugen - sie widersprechen sich zum Teil. „ Man
sieht aus diesen Unstimmigkeiten: die Jünger konnten nicht beschreiben, was sie gesehen
hatten. Aber sie wußten, daß sie an einer kleinen Stelle für ganz kurze Zeit in die
Wirklichkeit hineingeschaut hatten, die das Schicksal der kommenden Welt, die Zukunft der
Natur und der Menschenwelt in sich schloß.

„Niemand von uns kann sich auch nur eine entfernte Vorstellung davon machen, welche
Gestalt die Schöpfung hätte, wenn die Schranke des Todes, die alles fortwährend begrenzt
und einengt, weggenommen wäre. […]Aber wenn wir nur einmal in die unerschöpfliche
Fülle und Fruchtbarkeit der Pflanzen- und Tierwelt eines tropischen Urwaldes am
Amazonasstrom hineinschauen oder, um ein Beispiel aus einem ganz anderen Gebiet zu
nehmen, wenn wir sehen, wie der blinde Thomaskantor Johann Sebastian Bach unter allen
Hemmungen der äußeren Lebensverhältnisse eine musikalische Weltschöpfung hervorbringt,
deren erhaltene Bruchstücke schon genügen, daß sich die Menschen ganzer Jahrhunderte
nicht satt daran hören können, so staunen wir immer wieder aufs neue, was für eine
Lebensfülle und Schöpferkraft diese Welt ausströmt, obwohl sie von allen Seiten vom Tod
begrenzt und überschattet ist. Dann kommt uns wohl einmal der Gedanke: Was für eine

57
Ebenda; S. 166.
58
z.B. Mark. 16,8.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.24/37
Lebensfülle müßte erst aus der Schöpfung hervorbrechen, wenn diese hemmende Schranke
weggenommen wäre, die den Kraftstrom immer noch fesselt und zurückhält!“59

Zu allen Zeiten hat man versucht, das Ostergeschehen in ein Weltbild einzuordnen, ohne die
vom menschlichen Geist aufgestellten Naturgesetze zu verletzen. Wenn in der Auferstehung
die neue Welt Gottes aufleuchtet und Teil unserer Wirklichkeit wird, dann muß sie
zwangsläufig jedes vernünftige Denken sprengen. Heim versucht nie die Osterbotschaft zu
relativieren, ihrer Ungeheuerlichkeit zu entledigen. Er wollte dem überlieferten Bericht der
Urgemeinde gerecht werden. Für sie stellte die Osterbotschaft „er ist auferstanden“60 ein
objektives Faktum dar. Wir haben den Auferstandenen gesehen61, lautet das Bekenntnis62 am
Beginn der Kirche. Erst daraus entwickelte sich der christliche Glaube. Im Christushymnus63
des Philipperbriefes schlägt uns die ganze Dynamik des Osterglaubens der Urgemeinde
entgegen.

Es gibt für uns Menschen nur zwei radikal entgegengesetze Stellungen, die wir zur
Osterbotschaft einnehmen können, darin ist Heim sich sicher:

• Wir lehnen den Osterglauben aus irgendwelchen Gründen ab. Als Folge davon verfallen
wir in einen hoffnungslosen Nihilismus, „für den der ganze jetzige Weltlauf nur eine
Episode ist, die aus dem Nichts auftaucht und wieder im Nichts versinkt, ohne
irgendwelche Spuren zu hinterlassen.“64

• Wir glauben an die universale Weltumwandlung, die im Ostergeschehen ihren Anfang


nahm. „Nach diesem Osterglauben ist dieser Weltlauf nicht eine bloße Episode, sondern
das Vorspiel oder Präludium des neuen Weltzustandes, der allein unserem persönlichen
Leben und auch dem Völkerleben seinen letzten ewigen Sinn gibt.“65

„Die kritische Theologie ist durch die Anklänge der Osterbotschaft an gewisse
Frühlingsmythen auf den Gedanken geführt worden, das ganze Zeugnis von dem am dritten
Tage auferstandenen Christus sei aus dem Mythos vom sterbenden und
wiederauferstandenen Frühlingsgott herausgewachsen. In Wahrheit ist das Verhältnis gerade
umgekehrt. Dieser Mythus ist ein Ausdruck der unerfüllten Sensucht, die nur in der
59
Heim; Weltvollender, a.a.O., S. 167.
60
Matth. 28,1-10; Mark. 16,1-8; Luk. 24,1-12; Joh. 20,1-10.
61
1. Kor. 15,1ff.
62
Heim, Karl; Weltschöpfung und Weltende, Hamburg 1952, S. 162.
63
Phil. 2,5-11, Wahrscheinlich übernahm der Schreiber des Philipperbriefes den Christushymnus als bekanntes Lied
aus der urchristlichen Gottesdienstliturgie in seinen Brief an die Gemeinde in Philippi.
64
Heim; Weltschöpfung, a.a.O., S. 170.
65
Ebenda; S. 170.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.25/37
Ostertatsache zur Erfüllung kommt. […] Hier gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder,
diese Sehnsucht bleibt für immer unerfüllt. Oder sie wird erfüllt. Das ist aber nur dann der
Fall, wenn es einen Endsieg des Lebens über den Tod gibt, wenn also die Welt einem neuen
Zustand entgegengeht, indem der periodische Wechsel zwischen Aufblühen und Absterben,
der in allen Frühlingsmythen ausgedrückt ist, für immer aufhört und ein Weltfrühling
beginnt, der kein Ende hat. Dieser Endsieg ist aber nur da, wenn der große Überwinder
gekommen ist, der den Tod „ein für allemal“ hinter sich hat. Ist dieser Sieg wirklich
errungen, dann ist das Ostern, das Wald und Feld feiern, nachdem sie durch den Tod des
Winters gegangen sind, in der Tat das erste Morgenlicht der Weltverwandlung, die anbricht,
wenn der winterliche Schatten des Todes von der Schöpfung gewichen ist. Und das
tiefsinnige Wort ist wahr: „Natura spirat resurrectionem“.“66

2.5. Das Verständnis des biblisch evangelischen Wunders


Ich komme nun zum eigentlichen Thema meiner Seminararbeit. Wie versteht Heim die
biblischen Wunderberichte? Die vorangegangenen Kapitel waren aber nicht nur ein
„Vorgeplänkel“ für das eigentliche Thema. Es sind notwendige und grundlegende
Vorüberlegungen für die Einschätzung von Wundern. Heim fragt, ob und wie der moderne
Mensch die biblischen Wunder überhaupt noch verstehen kann.

2.5.1. Biblische Wunder als Zeichen der Gottesoffenbarung


Nach herkömmlicher Weise glaubt man, daß das Wunder einer Ausschaltung des
Naturzusammenhangs bedarf.67 Heim entlarvt diese Vorstellung als bedauerliche
theologische Irrung. „In der Bibel steht das Wunder, das Gott tut, nie im Gegensatz zum
Naturgesetz oder zum Kausalzusammenhang. Wo die Bibel von Naturordnung redet68, da ist
die Regelmäßigkeit des Geschehens eine Setzung Gottes und ein Ausdruck dafür, daß Gott
den Menschen aus dem Chaos erlöst und ihm in Gnaden eine Ordnung gibt, nach der er sein
Leben und Handeln einrichten kann. […] Weil die Regeln, unter denen das Naturgeschehen
steht, göttliche „Erhaltungsordnungen“ sind, die allein ein geordnetes menschliches
Zusammenleben möglich machen, so kann in der Bibel das Naturgesetz nicht im Gegensatz
zum göttlichen Handeln stehen.“69

66
Heim; Weltvollender, a.a.O., S. 177.
67
Siehe Thomistischer Wunderbegriff.
68
1. Mose 8,22; Jerem. 31,35ff.
69
Heim; Wandlung, a.a.O., S. 197.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.26/37
Biblische Gotteswunder und Naturordnung
Es ergibt sich eine grundlegende Änderung in der Fragestellung. Die Frage darf nicht lauten:
Liegen die Erscheinungen innerhalb oder außerhalb des Kausalzusammenhanges?, sondern:
Welche Kraft steht hinter den Erscheinungen? Gott ist als der Schöpfer und Erhalter des
Universums ständig am Werk. Er leitet den Lauf der Geschichte und der Natur. Dabei stößt
er auf eine dämonische Macht, ihm entgegengerichtet, die das Ziel verfolgt, Gottes
Gnadenordnung zu zerstören. „Das Wunder ist die Machttat, durch die der eine Gott den
dämonischen Mächten entgegentritt, die nach seiner Selbstkundgebung in Opposition gegen
ihn verharren wollen. Darum wird das Wesen des Wunders am anschaulichsten in der
weltgeschichtlichen Stunde, da der eine in die Welt getreten ist, der im Gegensatz zu allen
anderen Gott ganz gehorsam blieb, „gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz“70. Als
der Bevollmächtigte des einen Gottes hat Christus den Auftrag, die dämonischen Gewalten
niederzuschlagen, die innerhalb der menschlichen und außermenschlichen Welt der
Alleinherrschaft Gottes trotzen wollen. Diese Willensmächte stehen nach biblischer
Anschauung unter einem einheitlichen Willen, der das Ziel hat, Gott zu entthronen und die
Schöpfung Gottes zu zerstören. Dieser Vernichtungswille tobt sich nicht nur dort in
furchtbarer Form aus, wo Dämonen von Menschen direkt Besitz ergriffen haben, sodaß
diese die Herrschaft über ihren Körper verlieren und im Zustand der Besessenheit ruhelos
umhergetrieben und fortgerissen werden. Der satanische Zerstörungswille steht auch hinter
dem ganzen Heer der Krankheiten, die den menschlichen Körper entstellen und langsam
zerstören. Nun weiß sich Christus gesandt, diese ganze Revolution niederzuschlagen, die
die Gegenmacht in die Schöpfung hineingetragen hat. In der Apostelgeschichte wird der
Sinn seiner Sendung einmal in den einfachen Worten zusammengefaßt: „Er machte gesund
alle, die vom Teufel vergewaltigt waren, denn Gott war mit ihm“(Apg[…]. 10,38). Weil
Gott, der Herr des Alls, mit ihm ist, weil er als Auftraggeber hinter ihm steht, darum ist er
allen diesen Willensmächten von vornherein überlegen.“71

Biblische Wunder und Schuld


Die zentrale Frage unsres Lebens ist die Frage nach der Schuld. „Wie bekomme ich einen
gnädigen Gott?“ Das war bereits für den jungen Luther die entscheidende Lebensfrage.
„Luther schreibt: „Wiewohl ich als untadeliger Mönch lebte, verspürte ich doch unruhiges
Gewissen, daß ich vor Gott ein Sünder sei und daß ich mich nicht darauf verlassen könnte,
durch meine eigene Genugtuung versöhnt zu sein. Ich liebte nicht nur nicht - nein ich haßte
den gerechten Gott, der die Sünder straft. […] Bis Gott sich erbarmte und ich, der ich Tag

70
Phil. 2,8b.
71
Heim; Wandlung, a.a.O., S. 197f.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.27/37
und Nacht nachgedacht hatte, den Zusammenhang der Worte begriff, nämlich: Gerechtigkeit
Gottes wird offenbart in dem, was geschrieben steht: der Gerechte wird aus Glauben
leben.“72

Heim stellt zwischen der Sündenvergebung und dem Wunder ein Zusammenhang her. Er
veranschaulicht das mit dem biblischen Bericht von der Heilung des Gichtbrüchigen. Jesus
spricht zu dem Gelähmten: „„Damit ihr aber sehet, daß des Menschen Sohn Vollmacht hat,
auf Erden Sünden zu vergeben“ - sprach er zum Gichtbrüchigen: „Ich sage dir, steh auf,
nimm dein Bett und gehe in dein Haus!“ (Mark.2,10f.). Die Vergebung der Schuld ist der
entscheidende Sieg, auf den alles ankommt. Die Überwindung der Krankeitsmacht ist nur
das sekundäre Symptom dafür, daß jener Sieg errungen ist.“73 „Daß Christus wirklich der
ist, der ohne Gotteslästerung sagen kann: „Dir sind deine Sünden vergeben“, das muß sich
nun auch äußerlich darin zeigen, daß er auch Herr ist über die Krankheitsmächte, die das
Menschenleben hemmen.“74 Das Wunder erschließt sich uns demnach nur, wenn wir mit
Gott versöhnt leben.

„Das Wunder der Bibel ist darum nur in einer bestimmten inneren Haltung zugänglich,
nämlich in der Haltung des betenden Menschen. Denn Beten heißt ja nichts anderes als im
unentschiedenen Augenblick der Gegenwart vor Gott stehen, durch den Jetztpunkt, indem
sich alles im glutflüssigen Zustand befindet und chaotisch durcheinander wogt, an der Hand
Gottes hindurchgehen.“75 Ich kann Gotteswunder nur in Zwiesprache mit Gott als echte
Gotteswunder erkennen und glaubensstärkende Kraft daraus ziehen.

2.5.2. Die Wunder Jesu als Heilszeichen

Jesus Christus als die zentrale Gestalt des Neuen Testamentes, spielt beim Heim’schen
Wunderverständnis die wichtigste Rolle.

Notwendigkeit der Wunder Jesu


An der Person Jesus Christus lassen sich zwei Aspekte des Wunders deutlich machen: Jesus
tat in Vollmacht Gotteswunder, und er war als Person das „Urwunder“ 76 Gottes, welches als
solches keine Analogie in der Geschichte besitzt. Die „Wunder sind mit der Einzigartigkeit

72
Lilje, Hanns; Martin Luther, Eine Bildmonographie, Hamburg 1964, S. 134.
73
Heim; Weltvollender, a.a.O., S. 35.
74
Ebenda; S. 37f.
75
Heim, Karl; Zur Frage der Wunderheilungen. In: Köberle, Adolf, Karl Heim, Denker und Verkündiger aus
evangelischem Glauben, Hamburg 1973, S. 222.
76
Walter Künneth spricht in seinem Buch: Theologie der Auferstehung, Siebenstein-Taschenbuch 108/109, München
1968, 5. Auflage, vom „Urwunder“ (S. 81f.). Er bezeichnet mit diesem Begriff zwar nur die Auferstehung Jesu, Heim
würde aber die Person Jesus von Nazareth mit dieser Bezeichnung belegen.
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seiner Lehre die Legitimation seiner Person.“77 Sie haben zeichenhaften Charakter und
künden von der Neuschöpfung Gottes.

Jesu Wunder als ein Ringen mit den widergöttlichen Mächten


In der biblischen Überlieferung wird von Jesus berichtet, daß ihm die Dämonen gehorchen
müssen.78 „Denn jetzt geht es nur darum, daß da und dort Machttaten geschehen, die wie
hochaufgerichtete Zeichen alle die, denen die Augen dafür geöffnet werden, auf die
Überlegenheit Gottes und seines Bevollmächtigten über die Dämonenwelt aufmerksam
machen.“79 Jesu Wunder sind Teil seiner Botschaft vom Reich Gottes.80 Seine Worte und
seine Taten stehen in engem Zusammenhang, sie dürfen und können daher nicht
auseinandergerissen werden.81

Die Macht Jesu und die Wunderereignisse in unserer Zeit


Die „wunderbaren“ Taten, die Jesus vollbracht hat, und die auch von seinen Jüngern
berichtet werden, sind Geschehnisse aus der Vergangenheit. Sind sie für uns heutige
Menschen noch bedeutsam? Nur dann, wenn solches auch in der Gegenwart geschehen
kann. Gibt es gegewärtig in unserer Zeit „wunderbare“ Erfahrungen?

In Heim’s Veröffentlichungen wird nicht selten von Wundern der heutigen Zeit berichtet.82
Damit manövrierte Heim sich als ernstzunehmender Theologe ins Abseits. Bei genauerer
Betrachtung haben die Wundergeschichten, von denen Heim als Wunder Gottes berichtet,
nichts Anrüchiges an sich. Man betrachte nur einmal genau und aufmerksam die
Veröffentlichungen83 zu dieser Thematik aus dem Dunstkreis der wachsenden
Charismatischen Bewegung, die langsam und sicher von den etablierten Großkirchen nicht
mehr totgeschwiegen werden können. Die Wundergeschichten, von denen Heim berichtet,
passen bei genauem Hinsehen sehr gut in das dynamische Weltbild hinein.

„Dieses freiheitliche Handeln Gottes ist nur in Christus zugänglich. Er ist die Gewalt, die
stärker ist als die Gewalten des energetischen Kausalzusammenhangs; er durchbricht den
Kausalzusammenhang übernatürlich. Dabei dürfen wir uns nicht vorstellen, daß es sich um
77
Schwarz; a.a.O., S. 135.
78
Z.B. Luk. 13,16 und Mark. 1,23f + 34.
79
Heim; Wandlung, a.a.O., S. 199.
80
Z.B. Luk. 4,16ff.
81
Z.B. Mark. 1,23ff.
82
Z.B. Heim; Wandlung, a.a.O., S. 201 - Erfahrung einer Heilung von Marie Hesse (Mutter von Hermann Hesse) durch
gläubiges Gebet mit Handauflegung, oder Ebenda; S. 180 - die Blumhardt’schen Erfahrungen in Möttlingen.
83
Z.B. Deere, Jack; Überrascht von der Kraft des Heiligen Geistes, Ein Theologieprofessor gerät in das Spannungsfeld
von Theologie und Erfahrung, Wiesbaden 1995; Schlink, M. Basilea; Realitäten, Gottes Wirken heute erlebt,
Darmstadt 1975, 9. Auflage; Hallesby, Ole; Vom Beten, Eine kleine Schule des Gebets, Wuppertal 1984, 19. Auflage.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.29/37
eine thomistische Auffassung handelt. […] Vielmehr müssen wir hier auf den Schöpfer
sehen, der auch die Ordnung des Kausalzusammenhanges geschaffen hat und - entweder in
jedem Augenblick neu bestätigt oder eben nicht bestätigt, also unsere bisherige Erfahrung
durch eine neue ersetzt und damit vor unseren Augen ein Wunder geschehen läßt.“84

2.6. Struktur und Sinn des Wunders nach Karl Heim

2.6.1. Das Wunder als Willensakt


„Nach Heim begründet der Wille alles Geschehen und damit auch das Wunder. Ein Wunder
kann nur durch einen allmächtigen Willen bewirkt werden, der alles in seiner Gewalt hat;
[…] Der Wille ist nur in seinen Auswirkungen sichtbar.“85

Wir stoßen auf das Weltgeheimnis, welches alles bestimmt und alles trägt: der Wille. Er ist
ständig in Bewegung begriffen. Nichts geschieht ohne Beteiligung dieses Willens.

Gebetswunder
In den Berichten des Neuen Testamentes werden die Gläubigen dazu aufgefordert, sich in
Bittgebeten an Gott zu wenden.86 Es ergibt aber nur dann einen Sinn, Gott um etwas zu
bitten, wenn Gotteswunder auch heute möglich sind. Am Ende eines Vortrags über das
Gebet faßt Heim seine Ansichten über das Gebet in einem kurzen Statement noch einmal
zusammen: „Das Gebet ist nicht eine Schwäche, sondern unsere höchste Kraft. Es ist nicht
eine Autosuggestion des notleidenden Menschen, sondern die Urfunktion des
[menschlichen] Geistes. Alle Fragen der Weltanschauung sind in der einen Frage
zusammengefaßt, ob das Gebet wirkungslos verhallt oder ob es erhört wird. Bei uns allen
wird darum im Kämmerlein die Entscheidungsschlacht unseres Lebens geschlagen. […]
Luther sagt darum mit Recht: Das Gebet ist die höchste Kunst, die wir zu lernen haben.“87

Handeln und Glaube


Wunder in der Bibel stehen meist in engem Zusammenhang mit dem Glauben der Menschen
an Wunder.88 Der Glaube an sich bringt aber keine übernatürlichen Kräfte hervor. Heim
meint, daß alle unsere Handlungen im tiefsten Glaubenshandlungen sind. „Schon der
alltägliche Willensakt, durch den wir etwa unseren Händen den Befehl geben, ein Werkzeug
zu ergreifen und den von uns gewollten Hammerschlag oder Axthieb auszuführen oder die

84
Schwarz; a.a.O., S. 137.
85
Ebenda; S. 154.
86
Z.B. Joh. 16,23b und Mark. 11,22f und Joh. 14,13f und Matth. 6,9ff und Luk. 11,1-4.
87
Heim, Karl; Das Gebet als philosophisches Problem. In: Köberle, Adolf; Karl Heim, Denker und Verkündiger aus
evangelischem Glauben, Hamburg 1973, S. 147.
88
Z.B. Luk. 5,20ff, Mark. 11,22f, Joh. 11,40.
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Das Wunderverständnis von Karl Heim S.30/37
Tasten eines Klaviers anzuschlagen oder ein Satz aufs Papier zu schreiben, ist etwas höchst
Geheimnisvolles. […] der Befehl wird ausgeführt. Es ist mir völlig dunkel, wie ich zu
diesem Wissen [daß mein Befehl von meinem Körper ausgeführt wird] komme. […] Schon
die allereinfachste Handlung unseres alltäglichen Lebens ruht, wenn man so sagen darf, auf
einem Glauben, ohne zu sehen, auf einem Glauben, ohne zu zweifeln.“89

Glaube an das Handeln Gottes


Wir haben uns bereits klar gemacht, daß ein Wunder nicht den Naturzusammenhang
sprengt. Alle Geschehnisse, so haben wir auch gesehen, sind letztlich Handeln Gottes, egal
welche profane Ursache dahinter steckt. Die Hiobgeschichte kann als Beispiel dienen: „Der
Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt.“90 „Es
kommt dem biblischen Menschen immer nur alles darauf an, daß hinter allem Geschehen,
auch hinter den Ordnungen der Welt, der lebendige Gott als die lenkende Macht steht.“91
Wir sind mit unserem Leben also nicht an ein blindes Schicksal gebunden. Vielmehr waltet
der allmächtige Gott in allem. Er bestätigt die Gestalt der Welt oder er führt sie fort in einer
neuen Gestalt.92

Das neuschaffende Handeln Gottes/Wunder als punktuelle Neuschöpfung


Gott zeigt uns im Wunder, daß er den polaren Charakter unserer Wirklichkeit einmal
aufheben wird. Zeichenhaft hebt er die Todesform der Weltwirklichkeit punktuell auf - als
Vorschau der kommenden Weltvollendung. „Ein Todkranker wird gesund, ein Lahmer kann
wieder gehen, die uns bedrohende Naturgewalt wird durch ein Machtwort Gottes
gebändigt. […] Er ist uns im Wunder gnädig und errettet uns in einem bestimmten Punkt
von dieser gefallenen Welt und zeigt uns gleichzeitig, wie die Welt einmal aussehen wird.“93

Bedeutung des heilsgeschichtlichen Wunders


Das Wunder ist ein heilsgeschichtliches Ereignis, das Heil bringt, und das gleichzeitig auf
das künftige Heil hinweist. „Durch diese Wundertaten wird die anbrechende
Gottesherrschaft angekündigt, und diese Wunder sind zugleich die Gottesherrschaft
selbst.“94 Ihre heilsgeschichtliche Bedeutung wird durch Jesu Tod und Auferstehung
fundamentiert.

89
Heim; Wandlung, a.a.O., S. 183f.
90
Hiob 1,21.
91
Heim; Wandlung, a.a.O., S. 168.
92
Offb. 21,5.
93
Schwarz; S. 169.
94
Ebenda; S. 173.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.31/37
2.6.2. Die Gewißheit des Wunders
Alles wäre jetzt gesagt, um Heim’s Wunderverständnis zumindest im Grundsatz zu
verstehen. Was wir gesagt haben, bleibt aber hypothetisch, wenn wir uns nicht der Frage
gestellt haben, wie wir des Wunders gewiß werden können.

Die naturwissenschaftliche Gewißheit des Wunders


Ich muß ein Wunder als solches in meiner Daseinswirklichkeit erkennen, nur dann kann ich
mir des Wunders gewiß werden. „Unsere Daseinswirklichkeit ist durch ihren dynamischen
Charakter, ihre dimensionale Struktur und den kausalen Zusammenhang entscheidend
geprägt.“95 Mit dem modernen Weltverständnis, wie wir es bei Heim lernen, können wir
glaubwürdig die Möglichkeit von Gotteswundern erwägen. Beweisen können wir das
Wunder mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht. „Wir können nicht von der
Naturwissenschaft erwarten, daß sie Gott als Ursache des Geschehens erweist.“96

Offenbarungsgewißheit des Wunders


Nur durch eine direkte Gottesoffenbarung kann ich mir eines Wunders gewiß werden.
Unmittelbare Begegnungen mit Gott, so wurde bereits ausgeführt, sind nur im Gebet
möglich. Ohne eine Gottesbegegnung bleibt ein Gotteswunder im Ursprung unerkennbar.
Ich muß das Wunder unmittelbar erleben und es in einer Glaubensentscheidung für mich in
Anspruch nehmen. Dann bekommt das Wunder als göttliche Wirklichkeit für und in meinem
Leben Bedeutung.

3. Schluß

3.1. Versuch einer eigenen Stellungnahme


Ich vergleiche die Auseinandersetzung mit der Wunderproblematik gern mit dem Besteigen
eines steilen Berges, zum Beispiel des Eigers. Es ist lebensgefährlich, ohne Vorkenntnis und
geeignete Ausrüstung speziell die Nordwand zu besteigen. Leichtsinn und schlechte

95
Ebenda; S. 174.
96
Ebenda; S. 178.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.32/37
Ausrüstung führen immer wieder zu tragischen Unfällen im Gebirge. Ein Bergsteiger muß
sich stets mit Haken und Seil am Berg sichern. Jeder, der sich intensiv mit Wundern
beschäftigt, lebt „gefährlich“. Viele Menschen sind dabei schon „abgestürzt“.

Mir sind einige Überlegungen zum Thema Wunder wichtig geworden, wie „Haken“, die in
den „Berg der Wunder“ zu schlagen sind, um nicht abzustürzen:

• Es gehört zu meiner Verantwortung als Christ, daß mein Glaube Auswirkungen auf alle
Bereiche meines Lebens hat.97 Dazu gehört auch eine intensive Suche nach der
„Wahrheit“, nach den tragenden Fundamenten des Seins.

• Wundergeschichten aus der Vergangenheit haben für mich nur dann einen Bedeutung,
wenn auch heute diese Wunder möglich sind.

• Wunder sind kein Aussetzen von Naturgesetzen im Sinn des Thomas von Aquin.

• Ich glaube an einen in den Weltenlauf eingreifenden Gott. Ich erwarte von ihm, daß er
mich segnet98, daß heißt mein Leben leitet und führt, damit ich am Ende meines Lebens
sagen kann: Mein Leben ist gelungen. Ich wende mich auch in Bitt - und Fürbittgebet an
Gott und erwarte, daß er eingreift und mir hilft. Meine eigenen Erfahrungen und die
anderer helfen mir, an diesem Glauben festzuhalten.

• Ich kenne auch aus meinem Leben Situationen, wo ich von Gott Hilfe erwarte und die
Hilfe ausbleibt. Ich kenne Leiderfahrung aus meinem eigenen Leben und dem Leben
meiner nächsten Angehörigen. Hier weiß ich mich wie die Psalmbeter99 von Gott
getragen. Ich kann und möchte damit das Theodizeeproblem nicht relativieren.

• An Gott muß alles vorbei.100 Darauf vertraue ich und baue mein Leben darauf auf. Denn
„denen, die Gott lieben, [müssen] alle Dinge zum Besten dienen.“101

Der Aufwand lohnt sich. Der Blick vom „Gipfel der Wunder“ ist ein wunderschöner - weitet

meinen Horizont, weist mich hin auf meinen Gott. Mich treffen dort die Strahlen der

aufgehenden Sonne aus Gottes Welt und meiner Zukünftigen.102

97
Sch’ma Israel, 5. Mose, 4f.
98
1. Mose 12,3b
99
Psalm 73, und vor allen Dingen Psalm 69.
100
Hiob 1,21b.
101
Röm. 8,28a.
102
Offb. 21,1-7.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.33/37

Allein den Betern


Allein den Betern kann es noch gelingen,
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten
Und diese Welt den richtenden Gewalten
Durch ein geheiligt Leben abzuringen.

Denn Täter werden nie den Himmel zwingen:


Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,
Was sie erneuern, über Nacht veralten,
Und was sie stiften, Not und Unheil bringen.

Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt,


Und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,
Indes im Dom die Beter sich verhüllen.

Bis Gott aus unsern Opfern Segen wirkt


Und in den Tiefen, die kein Aug’ entschleiert,
Die trocknen Brunnen sich mit Leben füllen.103

103
Schneider, Reinhold; Allein den Betern. aus: Schultz, Hans Jürgen; Reinhold Schneiders Widerstand für den Frieden.
In: OJC Anstiftung zum gemeinsamen Christenleben / Freundesbrief der Offensive Junger Christen, 83/2.
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.34/37

3.2. Literaturliste
• Deere, Jack; Überrascht von der Kraft des Heiligen Geistes, Ein Theologieprofessor
gerät in das Spannungsfeld von Theologie und Erfahrung, Wiesbaden 1995

• Die Bibel, nach der Übersetzung von Martin Luther, Stuttgart 1966

• Duden; Die Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter, (Der Große
Duden Band 1), Mannheim 1967, 16. Auflage

• Heim, Karl; Das Gebet als philosophisches Problem. In: Köberle Adolf, Karl Heim,
Denker und Verkündiger aus evangelischem Glauben, Hamburg 1973, S. 124-148

• Ders.; Das Weltbild der Zukunft, Eine Auseinandersetzung zwischen Philosophie,


Naturwissenschaft und Theologie, Wuppertal 1980

• Ders.; Der christliche Gottesglaube und die Naturwissenschaft, erster Teilband:


Grundlegung, Tübingen 1949

• Ders.; Die neue Welt Gottes, Eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens,
Berlin 1928, 2. Auflage

• Ders.; Die Wandlung im naturwissenschaftlichen Weltbild, Hamburg 1951, 2.Auflage

• Ders.; Glaube und Denken, Philosophische Grundlegung einer christlichen


Lebensanschauung, Neukirchen-Vluyn 1985, 7. Auflage

• Ders.; Jesus der Herr, Die Herrschervollmacht Jesu und die Gottesoffenbarung in
Christus, Wuppertal 1977, 5. Auflage

• Ders.; Jesus der Weltvollender, Der Glaube an die Versöhnung und Weltverwandlung,
Neukirchen-Vluyn 1985, 6. Auflage

• Ders.; Weltschöpfung und Weltende, Hamburg 1952

• Ders.; Zur Frage der Wunderheilungen. In: Köberle Adolf, Karl Heim, Denker und
Verkündiger aus evangelischem Glauben, Hamburg 1973, S. 207-224

• Hallesby, Ole; Vom Beten, Eine kleine Schule des Gebets, Wuppertal 1984, 19. Auflage
Markus Nagel im WS 95/96:
Das Wunderverständnis von Karl Heim S.35/37
• Köberle, Adolf; Karl Heim, Denker und Verkündiger aus evangelischem Glauben,
Hamburg 1973

• Künneth, Walter; Theologie der Auferstehung, Siebenstein Taschenbuch 108/109,


München 1968, 5. Auflage

• Lilje, Hanns; Martin Luther, Eine Bildmonographie, Hamburg 1964

• Müller-Schwefe, Hans-Rudolf; Karl Heim. In: Greschat, Martin (Hrsg): Gestalten der
Kirchengeschichte, Die neueste Zeit III, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz, 1985

• Schlink, M. Basilea; Realitäten, Gottes Wirken - heute erlebt, Darmstadt 1975, 9.


Auflage

• Schneider, Reinhold; Allein den Betern. In: Schultz, Hans Jürgen; Reinhold Schneiders
Widerstand für den Frieden. In: OJC Anstiftung zum gemeinsamen Christenleben /
Freundesbrief der Offensive Junger Christen, 83/2

• Schütz, Paul; Freiheit, Hoffnung, Prophetie, Von der Gegenwärtigkeit des Zukünftigen,
Gesammelte Werke Band 3, Moers 1986

• Schwarz, Hans; Das Verständnis des Wunders bei Heim und Bultmann / Arbeiten zur
Theologie 2. Reihe Band 6, Stuttgart 1966

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