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Energiepolitik im Wandel - READER

Energieträger
Erdöl ist der wichtigste Energieträger weltweit. 36 Prozent des gesamten globalen
Primärenergiebedarfs wurden 2007 durch Erdöl gedeckt. Wie beim Öl konzentrieren sich
auch beim Gas die Vorkommen auf nur wenige Länder. Das schafft Abhängigkeiten bei
Ländern wie Deutschland, die auf Energieimporte angewiesen sind. Auch Kohle bleibt ein
wichtiger Energieträger, vor allem in Asien trägt der fossile Brennstoff zur Energieversorgung
bei. Die Nuklearenergie ist in den USA, in Teilen Europas und Asiens von Bedeutung.
Moderne Nutzungsformen erneuerbarer Energien wie Sonne, Wind, Biomasse und
Geothermie gewinnen vor allem in Europa an Wichtigkeit.

Öl hält die Weltwirtschaft am Laufen

Erdöl ist der wichtigste Rohstoff auf dem internationalen Energiemark. Aber wie lange
reichen die Ölvorräte aus, wenn die Nachfrage stetig steigt?

Die Destillationsanlage der Erdölraffinerie


Leuna in Sachsen-Anhalt. Durch die über
700 Kilometer Rohrleitungen der gesamten
Anlage fließen täglich rund 30.000
Kubikmeter Rohöl zur Verarbeitung. Foto:
AP

Öl ist und bleibt auf absehbare Zeit


die wichtigste Energiequelle
weltweit. 2007 verbrauchte die
Weltgemeinschaft rund 85 Millionen
Barrel Öl pro Tag, ein Barrel
entspricht 159 Litern. Der Rohstoff
deckte damit 36 Prozent des gesamten globalen Primärenergiebedarfs ab. Wird die
Ölförderung im heutigen Ausmaß beibehalten, reichen die zurzeit bekannten Reserven noch
schätzungsweise 40 Jahre – bei unverändertem Konsum.

Doch der Bedarf wird zunehmen: So prognostiziert die Internationale Energieagentur (IEA)
für 2030 einen Verbrauch von täglich 116 Mio. Barrel Öl. Vor allem in den Schwellenländern
soll der Ölkonsum wachsen. Das gilt für China und Indien, aber auch Brasilien und Mexiko.
Wie groß der Öldurst tatsächlich sein wird, lässt sich nur schwer voraussagen.

So ist auch unklar, wann der letzte Tropfen Öl fließen wird. Die so genannte Reichweite des
Erdöls verschiebt sich immer wieder. In den 1970er Jahren hatte der Club of Rome das Ende
des Ölzeitalters für Anfang des 21. Jahrhunderts vorausgesagt. Es kam anders: Einerseits
wurden und werden neue Vorkommen erschlossen, andererseits helfen modernere Techniken
dabei, Lagerstätten intensiver zu nutzen, also mehr Erdöl herauszupressen. Noch dazu macht
der steigende Ölpreis bislang unrentable Ölfelder durchaus lukrativ. Auch so genanntes
unkonventionelles Öl gewinnt an Wirtschaftlichkeit – Ressourcen wie Ölsande und
Ölschiefer, die bislang nicht konkurrenzfähig waren. Doch modernere Fördertechniken setzen
zunächst massive Investitionen voraus.

Genaue Schätzungen über die tatsächliche Reichweite des Öls sind auch schwierig, da private
Ölkonzerne Zahlen über die Vorkommen sehr vertraulich behandeln. Ebenso sind die

1
Prognosen der Golfstaaten mit Skepsis zu genießen. Laut Bundesanstalt für
Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) wurden bis Ende 2006 weltweit seit Beginn der
industriellen Erdölförderung 147 Gigatonnen Erdöl gewonnen, die Hälfte davon innerhalb der
letzten 22 Jahre. Das Maximum des Öl-Fördervolumens, der Peak-Oil, scheint realistischer zu
werden. Die BGR, die als Fachbehörde die Bundesregierung in Rohstoff-Fragen berät,
erwartet den Peak-Oil für 2015 bis 2020. Danach muss mit dem Rückgang der Förderung
gerechnet werden.

Der Ölboom begann in den USA

Blick auf den Bohrer auf dem Ölförderschiff "Discoverer


Deep Seas" im Golf von Mexiko. Verbesserte Technologien
und der steigende Ölpreis machen das Bohren nach Öl im
Tiefwasser wieder rentabel. Foto: AP

Erdöl wie auch Erdgas sind aus biologischen


Rückständen unter hohem Druck, hoher
Temperatur und Luftabschluss entstanden – über
Jahrmillionen hinweg. Erdöl bildete sich vor 90 bis
150 Millionen Jahren: Große Mengen toten
organischen Materials sammelten sich auf dem
Boden riesiger Ozeane, der so genannte
Faulschlamm entstand. Durch Sedimentablagerungen wurden die organischen Substanzen
immer weiter in die Tiefe gedrückt. In einer Tiefe von 2.000 bis 4.000 Metern und einer
Temperatur von 80 bis 120 Grad Celsius bildete sich schließlich infolge chemischer Prozesse
Erdöl. Der Rohstoff wurde quasi aus dem Faulschlamm herausgekocht.

Erdöl wird schon seit einigen Tausend Jahren genutzt. Auch weil es in manchen Regionen aus
dem Boden sickerte, war es früh bekannt. Doch die industrielle Nutzung von Erdöl setzte
Mitte des 19. Jahrhunderts im US-Bundesstaat Pennsylvania ein. Dort wurde die erste größere
Erdölquelle erschlossen.[1] Es folgte ein wahrer Ölboom.

Die Produktpalette ist riesig

Bis heute hält Erdöl die industrielle Welt am Laufen; es ist das "Schmiermittel der
Wirtschaft". Erdöl findet sich längst nicht mehr nur im Transportsektor oder dient der
Wärmeerzeugung, verstärkt wird es in der Textil- und Pharmaindustrie oder als Grundstoff in
der Chemieindustrie verwandt. Je nach Raffination, also Verarbeitung, bringt Rohöl eine
umfangreiche Produktpalette hervor: Heizöl, Benzin, Diesel, Schmierstoffe. Rohöl lässt sich
in verschiedene Sorten, auch in unterschiedliche Qualitäten unterteilen. Im Mittleren Osten
findet sich vor allem das Schweröl mit einem hohen Schwefelgehalt. Das leichte Rohöl mit
weniger Schwefel findet sich zum Beispiel in der Nordsee. Seine Förderung ist etwas teurer,
doch dafür muss während der Raffination weniger Schwefel herausgetrennt werden, was die
Kosten senkt.

Fast 100 Prozent werden importiert

In Deutschland wurden 2007 112 Mio. Tonnen Öl verbraucht, das waren täglich rund 2,4 Mio
Barrel. Deutschland war auf Rang 6 der größten Ölverbraucher weltweit. Doch der deutsche
Ölkonsum nimmt langsam ab: 1997 wurden noch 136 Mio. Tonnen Öl verbraucht, ein
Rückgang von knapp 22 Prozent innerhalb der letzten 10 Jahre. Das ist ein Resultat milder
Temperaturen, steigender Preise für Kraftstoff aber auch Heizöl und der Beimischung von

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Biokraftstoffen. Doch Öl bleibt wichtig. 2007 trug der Rohstoff knapp 34 Prozent zum
Primärenergieverbrauch bei und war damit der wichtigste Energieträger.

Auch in Deutschland findet sich Erdöl: am meisten fördert die Öl-Bohrinsel Mittelplate in der
Nordsee vor Büsum. Doch die heimische Förderung deckt nur knapp 3 Prozent des Bedarfs,
der Rest wird importiert. Die wichtigsten Lieferländer waren 2007 Russland, Norwegen,
Großbritannien und Libyen: Sie sorgten gemeinsam für 70 Prozent der Ölimporte.

Der Mittlere Osten dominiert den Ölmarkt

Auch andere Länder sind in hohem Maße abhängig von Erdölimporten. Die weltweiten
Ölvorkommen konzentrieren sich auf nur wenige Länder. 5 Staaten besitzen knapp 60 Prozent
der weltweit wirtschaftlich förderbaren Ölreserven: das sind Iran, Irak, Kuwait, die
Vereinigten Arabischen Staaten und vor allem Saudi-Arabien. Das Königreich hält allein über
20 Prozent der konventionellen Rohölreserven.

Die fünf ölreichen Länder gehören der OPEC an, der Organistion der Erdöl exportierenden
Länder. Die OPEC, mit ihren insgesamt 11 Mitgliedsstaaten, funktioniert als eine Art
Förderkartell. Man verständigt sich auf Fördermengen sowie die Erdölpreise. Die OPEC-
Staaten verfügen gemeinsam über mehr als 75 Prozent der heute wirtschaftlich förderbaren
Erdölreserven. 2007 trug die OPEC mehr als 40 Prozent zur weltweiten Ölproduktion bei.

2007 wurden fast 55 Mio. Barrel Erdöl pro Tag weltweit gehandelt. Öl ist die wichtigste Ware
auf dem internationalen Energiemarkt. Rund 25 Prozent importierten die USA, ebenso viel
ging nach Europa. Auch Japan ist stark von Erdölimporten abhängig. Die Lieferanten sind vor
allem die Länder des Mittleren Osten, sie trugen fast 36 Prozent zu den gehandelten
Ölmengen bei. An zweiter Stelle folgte Russland mit rund 15 Prozent.

Die steigenden Ölpreise haben erneut eine Diskussion über die Abhängigkeit vom Öl
entfacht: Seit 2004 hat der Ölpreis stetig zugelegt, in den letzten Monaten erreichte er
nochmals ungekannte Höhen. Die Erklärungen dafür gehen auseinander. Manche erkennen
darin die Verknappung der Ölreserven plus steigender Nachfrage; andere werfen der OPEC
vor, sie treibe die Preise gezielt in die Höhe, oder sie machen eine Spekulationsblase
verantwortlich. Sicher ist nur, mit stark sinkenden Ölpreisen ist nicht zu rechnen.

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Gasmärkte sind regional

Erdgas gewinnt an Bedeutung, die teuren Ölpreise machen den Energieträger


interessant. Gas wird zur Wärme- und auch Stromerzeugung eingesetzt. Der Transport
über lange Strecken verläuft per Pipeline oder auch als LNG, als Flüssiggas.

Bau einer Erdgasfernleitung bei Gießen/Hessen


Mit Stahlrohren wurde 2007 eine neue
Erdgasfernleitung bei Gießen gebaut. Die Gas-
Pipeline verbindet Lauterbach in Mittelhessen
mit Scheidt in Rheinland-Pfalz. In Deutschland
versorgt ein weit verzweigtes, rund 360.000
Kilometer langes Pipeline-System die
Gaskunden. Foto: AP

Sie bleibt umstritten: Die 1.200


Kilometer lange North-Stream-
Gasleitung vom russischen Wyborg
nach Greifswald in Mecklenburg-
Vorpommern. Ab 2011 sollen bis zu 55
Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr per Unterwasserröhre durch die Ostsee strömen. Doch
Anrainerstaaten wie Schweden und auch Estland haben Bedenken angemeldet, sie sorgen sich
um Umwelt- wie auch Sicherheitsaspekte.

Mit der North-Stream-Leitung sollen neue Transportkapazitäten geschaffen werden. Noch


dazu würde die Pipeline den direkten Anschluss Westeuropas an die russischen
Gasvorkommen garantieren. Zurzeit wird das russische Erdgas über Land über mehr als 5.000
Kilometer von Westsibirien nach Deutschland und Westeuropa transportiert.

Da Erdgas leitungsgebunden ist, wird bislang der Großteil über Pipelines transportiert. Dies
hat zur Folge, dass Gas sehr viel regionaler gehandelt wird als Erdöl. Zurzeit bestehen vier
große Märkte: der europäische Gasmarkt, der vor allem durch Russland, Norwegen, die
Niederlande und die Länder Nordafrikas versorgt wird. Der nordamerikanische Markt, wo in
erster Linie Kanada die USA mit Erdgas beliefern. Auch in Südamerika entwickelt sich ein
Gasmarkt – mit Bolivien als wichtigem Gasproduzenten, Brasilien und Chile als Abnehmern.
Auf dem asiatischen Gasmarkt sind die großen Importeure Japan und Südkorea; zu den Gas-
Exporteuren zählen Indonesien, Malaysia, Australien sowie die Golfstaaten, vor allem Qatar
und Oman.

Flüssiggas als Transportoption


Gastankschiff im Hafen von Ras Laffan/Katar
Im Hafen von Ras Laffan im Norden Katars wird
ein Spezial-Schiff mit Flüssiggas betankt. Das
LNG, das Liquefied Natural Gas, wird von Katar
vor allem nach Japan und Süd-Korea exportiert.
Das Geschäft mit Flüssiggas soll in den nächsten
Jahren stark wachsen. Foto: AP

Auf dem Gasmarkt Asiens wird der


Rohstoff nur in geringen Mengen per
Pipeline, sondern vor allem als Liquefied
Natural Gas (LNG) per Schiff
transportiert. Erdgas wird auf -162 Grad Celsius abgekühlt und damit verflüssigt. Das LNG

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wird dann mit speziellen Hochseetankern befördert. Auch auf dem europäischen Gasmarkt
wird Flüssiggas als Transportoption genutzt. Verflüssigtes Erdgas wurde erstmals 1964 von
Algerien nach Großbritannien geliefert. 2006 lag der Anteil am weltweit grenzüberschreitend
gehandelten Erdgas bei 24 Prozent; wichtigster LNG-Exporteur war Qatar.

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe prognostiziert mittelfristig eine


starke Zunahme beim Handel mit LNG und damit auch eine Entspannung auf dem
Erdgasmarkt. Hierzu müssen die Importländer jedoch mehr Anlandeterminals bauen, in denen
das LNG in seinen gasförmigen Zustand zurückversetzt und in Pipelines gepumpt wird.

Ab 4.000 Metern Tiefe und 120 Grad

Erdgas besteht zum Großteil aus dem brennbaren Kohlenwasserstoff Methan. Weitere
Kohlenwasserstoffverbindungen wie Ethan, Propan und Butan finden sich ebenso darin,
außerdem Kohlenstoffdioxid und Schwefelwasserstoff.

Wie auch Erdöl entstand Erdgas aus organischem Material. Es bildete sich vor etwa 15 bis
600 Millionen Jahren – aus abgestorbener Biomasse unter Luftabschluss, erhöhten
Temperaturen und hohem Druck. Oft findet sich Erdgas gemeinsam mit Erdöl, da beide auf
ähnliche Weise entstanden sind. Vor Jahrmillionen bildete sich Faulschlamm: abgestorbene
und auf den Grund der damaligen Ozeane abgesunkene Organismusreste – Pflanzen und
Kleinstlebewesen – konnten wegen Sauerstoffmangel nicht verwesen. Darüber lagerten sich
Ton- und Sandschichten ab, die das tote organische Material immer weiter in die Tiefe
drückten. Druck und Temperatur nahmen zu.

In einer Tiefe von 4.000 bis 6.000 Metern und einer Temperatur von 120 bis 180 Grad Celsius
liefen komplexe chemische Prozesse ab, die schließlich zur Bildung von Erdgas führten. Nach
der Erdgaswerdung wurden die Kohlenwasserstoffe durch den enormen Druck nach oben,
Richtung Erdoberfläche, gepresst und zwar soweit, bis sie durch eine dichte Schicht aus Ton,
Sand- oder Kalkstein gestoppt wurden und sich sammelten. So bildeten sich große
Lagerstätten.

Der Gebrauch von Erdgas lässt sich bis in das Altertum zurückverfolgen. Doch erst mit dem
Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Erdgas systematisch genutzt. Zunächst wurde Erdgas oft
nur als Begleitgas bei der Förderung von Erdöl gewonnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg
gewann der Rohstoff zunehmend an Bedeutung, es entwickelten sich erste regionale
Gasmärkte, und Erdgas wurde zu einem eigenständigen energiewirtschaftlichen Sektor.[1]

Gefördert wird auch in Deutschland

Der Großteil des Erdgases wird heute an Land gewonnen. Ein geringerer Anteil wird offshore
gefördert, also vor der Küste. Auch in Deutschland finden sich Erdgasfelder: 2007 wurden
knapp 19 Milliarden Kubikmeter gefördert, das entsprach 166 Milliarden Kilowattstunden.
Über 90 Prozent davon in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Der Verbrauch lag jedoch
bei 960 Mrd. kWh. Die restlichen rund 85 Prozent wurden importiert, vor allem aus Russland
(37 Prozent), Norwegen (26 Prozent) und den Niederlande (18 Prozent). In Deutschland
versorgt ein weit verzweigtes, rund 360.000 Kilometer langes Pipeline-System die
Gaskunden. Zunehmend wird Erdgas zur Wärmeerzeugung eingesetzt. Beim Neubau von
Wohnungen in Deutschland liegt die Gasheizung vorn: 2007 hatte sie bei den zum Bau
genehmigten Wohnungen einen Marktanteil von rund 66 Prozent. Ebenso wird Erdgas zur

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Stromerzeugung eingesetzt: 2007 trug der Rohstoff knapp 12 Prozent zur
Bruttostromerzeugung bei.

Erdgas wird wichtiger

Nach Öl und Kohle ist Erdgas der drittwichtigste Energieträger weltweit. 2007 wurden 24
Prozent des weltweiten Primärenergieverbrauchs mit Erdgas gedeckt. Bei gleich bleibendem
Verbrauch und Förderung werden die bestehenden bekannten Weltreserven in
schätzungsweise 60 Jahren erschöpft sein. Doch man vermutet weitere Erdgasressourcen, die
noch nicht erschlossen sind.

Ähnlich wie beim Erdöl konzentrieren sich die Vorkommen beim Erdgas auf nur wenige
Länder. Mehr als die Hälfte der Welt-Gasreserven finden sich in nur 3 Ländern: Russland,
Iran und Qatar. Die größten Verbraucher sind die USA, Russland und Iran. Deutschland liegt
beim Gasverbrauch weltweit auf Rang 7.

Erdgas hat in den letzten Jahren an Bedeutung bei der Energieversorgung gewonnen. In
Anbetracht steigender Ölpreise wird der Rohstoff zunehmend zur Alternative. Laut
Internationaler Energieagentur wird Erdgas unter den fossilen Energieträgern in den
kommenden Jahren am stärksten zulegen. Außerdem hat Erdgas aufgrund seiner chemischen
Zusammensetzung eine bessere Klimabilanz als Öl und Kohle: Bei der Verbrennung werden
geringere Emissionen freigesetzt. Doch neben der Transportfrage beim Gas, die in
Westeuropa wohl vorläufig per Pipeline geregelt wird, bleibt das Problem der
Importabhängigkeit bestehen – zumindest für Deutschland.

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Heimischer Rohstoff Kohle

2007 trugen Stein- und Braunkohle 47 Prozent zur Stromerzeugung in Deutschland bei. Vor
allem Braunkohle ist ein wichtiger heimischer Rohstoff. Weltweit ist Kohle der
zweitwichtigste Energieträger. Doch Kohle trägt auch zu den CO2-Emissionen bei.

Tagebau Schleenhain bei Leipzig


Braunkohle-Tagebau in Schleenhain bei Leipzig: Mit
einem Schaufelradbagger dieser Bauart können 100
Kubikmeter Kohle bzw. Abraum pro Minute gefördert
werden. Foto: AP

Klingt einfach: Das in Kohlekraftwerken


freigesetzte CO2 wird aufgefangen,
verdichtet und in unterirdischen Lagerstätten
gespeichert. Rund 80 Prozent der üblichen
Kohlendioxidmenge sollen damit nicht mehr
ins Klima gelangen. An der CCS-
Technologie (Carbon Dioxide Capture and Storage) – also Abscheidung und Speicherung von
CO2 – wird seit längerem gearbeitet.

Anfang September nahm Vattenfall ein Demo-Kraftwerk mit CCS-Technologie in der Lausitz
in Betrieb. In der weltweit ersten Pilotanlage für ein Braunkohlekraftwerk wird noch kein
CO2-freier Strom, aber kohlendioxidarme Wärme erzeugt. Doch die CCS-Technologie ist
noch in der Erprobung. Ob das in die Erde verpresste Kohlendioxid tatsächlich dort bleibt, ob
es nicht langfristig mit Wasser und Gestein reagiert, ist noch nicht abschließend geklärt. Doch
manche sehen in der CCS-Technologie die Chance auf eine Renaissance der Kohle.

Kohle wird vor allem zur Stromerzeugung eingesetzt, und Kohlekraftwerke gelten bislang als
Klimakiller. Die spezifischen CO2-Emissionen sind bei der Kohle höher als bei anderen
fossilen Energieträgern. 2005 trug Braunkohle 11 Prozent zum Primärenergieverbrauch in
Deutschland bei, aber 23 Prozent zum energiebedingten CO2-Ausstoß. Doch nicht allein der
Aspekt der Klimaverträglichkeit spielt zunehmend eine Rolle, auch die Frage der
Versorgungssicherheit, und da bietet Kohle einen großen Vorteil: Deutschland verfügt über
eigene Reserven, Kohle ist der wichtigste einheimische Energieträger.

Die Inkohlung dauerte Jahrmillionen

Schwarzkaue im Schacht Voerde


Ein Bergmann in der Schwarzkaue, der Umkleide,
in der die Arbeitskleidung bleibt. Das Steinkohle-
Bergwerk Walsum in Duisburg wurde im Juni
2008 stillgelegt. Die Förderung von Steinkohle in
Deutschland ist teurer als im Ausland. Foto: AP

Die heutige Kohle entstand im Laufe von


Millionen von Jahren aus abgestorbenem
organischen Material. Durch die
Überdeckung mit Wasser-, Erd- und
Steinschichten lief der bio- und
geochemische Prozess der Inkohlung ab:
Unter Druck und Luftabschluss wurde die
Kohlesubstanz zunehmend reicher an

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Kohlenstoff und ärmer an Wasser und flüchtigen Bestandteilen.

Die Steinkohle bildete sich vor 200 bis 400 Millionen Jahren und findet sich in tieferen
Schichten, so dass der Abbau teils in über 1.500 Metern Tiefe stattfindet. Braunkohle
hingegen ist die "jüngere" Kohleart, aber auch sie entstand vor 10 bis 20 Millionen Jahren,
und findet sich in geringem Abstand zur Erdoberfläche. Sie hat jedoch einen geringeren
Energiegehalt.

Der Kohlebergbau nahm seinen Anfang bereits in der Antike. Doch über lange Zeit hinweg
blieb Holz entscheidend, das ausreichend vorhanden war. Erst im 16. Jahrhundert begann die
Kohle ihren Siegeszug. [1] Mit der wachsenden Bevölkerung und den Anfängen der
Industrialisierung wurde Holz als Energieträger nach und nach durch Kohle ersetzt, die
bestimmend für die industrielle Revolution war.

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts verlor Kohle in Deutschland zunehmend an Bedeutung.


Erdöl war im Kommen, ebenso wurden Erdgas, später dann Kernenergie zur Konkurrenz. Seit
den 1960er Jahren erlebte vor allem der Steinkohlebergbau einen tiefen Strukturwandel. Denn
anders als Braunkohle kann Steinkohle in Deutschland nur unter Tage abgebaut werden, was
mit erheblichen Förderkosten verbunden ist. In Australien oder auch China ist die Förderung
von Steinkohle im Tagebau möglich. In Deutschland setzte die Subvention der Steinkohle ein,
die bis heute politisch umstritten ist. Befürworter begründen die Finanzhilfe mit der
notwendigen Versorgungssicherheit für den deutschen Energiemarkt. Trotzdem ist die
Fördermenge kontinuierlich zurückgegangen; heute werden über 60 Prozent der verbrauchten
Steinkohle importiert.

Kohle wird vor allem verstromt

In Deutschland sind zurzeit noch acht Steinkohlebergwerke in Betrieb. 2007 wurde


Steinkohle im Umfang von etwa 22 Millionen Tonnen SKE (Steinkohleeinheit) gefördert, 68
Mio. Tonnen wurden verbraucht. Die restlichen rund 46 Mio. Tonnen SKE wurden importiert
– vor allem aus Russland, Südafrika und Polen.

93 Prozent der Steinkohle gingen in die Erzeugung von Fernwärme und insbesondere von
Strom: 2007 wurden 145 Milliarden Kilowattstunden erzeugt, knapp 23 Prozent der
Stromerzeugung insgesamt. Noch stärker wurde die Braunkohle genutzt: Sie lieferte 156 Mrd.
Kilowattstunden, ein Anteil von über 24 Prozent. Damit trug Kohle 47 Prozent zur
Stromerzeugung insgesamt bei. Braunkohle war sogar der wichtigste Energieträger bei der
Stromerzeugung und überholte die Atomenergie, was aber auch mit der zeitweisen
Abschaltung von bis zu sechs Kernkraftwerken zusammenhing.

Mit 18 Prozent ist Deutschland der weltweit größte Förderer von Braunkohle. 2007 wurden
180 Mio. Tonnen Braunkohle in Deutschland produziert, schwerpunktmäßig im Rheinland.
Dort wurden mit 100 Mio. Tonnen 55 Prozent der deutschen Braunkohle gefördert. Weitere
Reviere finden sich in der Lausitz, in Mitteldeutschland sowie in Helmstedt. Bei der
Braunkohle waren keine Importe notwendig, die Förderung deckte den Verbrauch.

Kohlereserven en masse

Im Vergleich zu Erdöl oder Erdgas verfügt Kohle über die größten Reserven weltweit. 2007
waren es 847 Mrd. Tonnen. Wird die Kohleförderung im heutigen Ausmaß beibehalten,
reichen die Reserven noch schätzungsweise 130 bis 140 Jahre. Doch die Kohleressourcen

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liegen noch weit darüber, einige bekannte Lagerstätten sind bislang noch nicht rentabel zu
fördern. Die USA sind mit einem Anteil von knapp 30 Prozent das kohlereichste Land.
Russland kommt auf 18 und China auf über 13 Prozent. 2007 hatten Kohlen, vor allem die
Steinkohle, einen Anteil von 27 Prozent am weltweiten Primärenergieverbrauch. Nur der
Verbrauch von Erdöl lag darüber. Bei der Stromerzeugung ist Kohle der wichtigste
Energierohstoff.

Der internationale Handel mit Steinkohle wächst, Australien und Indonesien sind die
wichtigsten Exporteure. Für Braunkohle gibt es keinen globalen Markt: Da der Energiegehalt
geringer ist, rentieren sich keine langen Transportwege. Braunkohle wird deshalb vor Ort
genutzt. Insbesondere in Asien ist Kohle eine bedeutende Energiequelle und trägt
entscheidend zum Wirtschaftsboom bei. In China deckt Kohle 60 Prozent des
Primärenergieverbrauch, in Indien über 30 Prozent. Die steigenden Ölpreise machen Kohle
attraktiv. Noch dazu sind in den Entwicklungs- und Schwellenländern die Förderkosten
gering – die Arbeitskräfte sind günstig und die Sicherheitsstandards niedrig. China ist mit
einem Anteil von 46 Prozent zurzeit der weltweit größte Produzent von Kohle. Zugleich trägt
Kohle zu den steigenden CO2-Emissionen bei.

Renaissance eines Energieträgers?

In Deutschland gerät Kohle immer wieder in die Kritik. Zuletzt gab es wiederholt Proteste
von Anwohnern gegen Kohlekraftwerke. Im saarländischen Ensdorf sorgte 2007 ein
Bürgerentscheid für das Ende eines geplanten Steinkohlekraftwerks. Die Befürworter sehen in
Kohle die Möglichkeit einer günstigen Energieversorgung in Anbetracht steigender Öl- und
Gaspreise. Dabei sei der Bau neuer Kohlekraftwerke mit moderner Technik wie auch die
Förderung der CCS-Technologie die Chance, den CO2-Ausstoß zu mindern. Außerdem
reduziere die Kohle die Abhängigkeit von ausländischem Öl und Gas. Kritiker hingegen
sehen in der Kohle vor allem einen CO2-Emittenten. Förderung neuer Kraftwerke oder
Technologien lehnen sie ab, da mit den erneuerbaren Energien schon jetzt ausreichend CO2-
frei Strom und Wärme zu erzeugen seien.

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Atomenergie – (K)ein Ausstieg

2000 wurde in Deutschland der Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. In Zeiten
steigender Ölpreise und der Debatte um den Klimaschutz gewinnt die Atomkraft wieder an
Befürwortern. Welche Rolle ihr künftig zukommt, ist noch nicht entschieden.

Atomkraftwerk Neckarwestheim/Baden-
Würtemberg: die beiden Druckwasserreaktoren
gingen 1976 und 1989 in Betrieb. Block 1 soll 2009
im Rahmen des Atomausstiegs vom Netz gehen.
Foto: AP

Im Jahr 2000 vereinbarten die


Bundesregierung und die
Energieversorgungsunternehmen die
Befristung der Atomenergie. Mit der
"Geordneten Beendigung der Nutzung der
Kernenergie" wurde der langsame Ausstieg
aus der Atomkraft besiegelt. Voraussichtlich 2021 soll das letzte Kernkraftwerk,
Neckarwestheim 2, vom Netz gehen.

Doch jüngst gewinnt die Kernenergie wieder an Befürwortern. Kernenergiestrom sei


preisgünstig, versorgungssicher und klimafreundlich. Atomstrom kostet rund 2,7 Cent pro
Kilowattstunde (kWh), Steinkohle liegt mit 3,3 Cent und Erdgas mit 4,9 Cent pro kWh
darüber. 2007 stammten rund 22 Prozent der Bruttostromerzeugung aus Atomkraftwerken.
Bei der Grundlastversorgung mit Strom sorgten die AKWs für knapp 48 Prozent. Die
Grundlastversorgung bezeichnet die permanent benötigte Leistung für eine stabile
Stromversorgung. Hier setzt auch die Kritik an den erneuerbaren Energien an: Wind- und
auch Solarenergie könnten keine stabile Versorgung garantieren – vor allem solange es keine
Speichermöglichkeiten für die gewonnenen Energien gebe.

Die Debatte um die Atomkraft

Kontrollraum im Atomkraftwerk Indian Point in


Buchanan bei New York. Nach den Terror-
Anschlägen am 11.September gelten verschärfte
Sicherheitsvorkehrungen. Es besteht die Gefahr,
Terroristen könnten den Meiler ins Visier nehmen.
Foto: AP

Ein Argument gegen den Ausstieg aus der


Atomkraft ist außerdem die Klimabilanz:
Denn Nuklearenergie ist
umweltfreundlicher als Kohle oder Gas.
Doch hier setzt die Kritik jener an, die
den Ausstieg befürworten. Bislang sei für
die radioaktiven Abfälle keine sichere
Endlagerung garantiert. Noch dazu seien
die Kosten nur schwer zu schätzen. In Deutschland wurde zuletzt Schacht Konrad in
Salzgitter als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle genehmigt. Ab 2013 soll
dort der Betrieb aufgenommen werden.

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Ebenso läuft die Erkundung des Salzstockes in Gorleben, im dem hochradioaktive, Wärme
entwickelnde Abfälle endgelagert werden sollen. Zurzeit steht auch zur Diskussion, ob noch
weitere mögliche Endlager geprüft werden. Die Debatte um die Endlagerung wurde auch neu
entfacht, nachdem im Atommüll-Versuchsendlager in Asse Missstände aufgetaucht sind. In
dem früheren Salzbergwerk sind Salzlaugen mit einer Radioaktivität gemessen worden, die
weit über den Grenzwerten liegt.

Gegen die Atomenergie werden auch Sicherheitsbedenken angeführt. So zum Beispiel die
Gefahr auf internationaler Ebene einer militärischen Nutzung des waffenfähigen
Nuklearmaterials. Ebenso könnten AKWs dem internationalen Terrorismus als Angriffsziel
dienen. Aber auch die Einhaltung der Sicherheitsstandards der Atomkraftanlagen selbst sind
weltweit nicht in gleichem Maße gegeben. 1986 ereignete sich in der Ukraine ein
folgenschwerer Störfall im Kernkraftwerk von Tschernobyl, nachdem der Kern im Reaktor
geschmolzen war. Als Folge zog eine radioaktive Wolke über Mitteleuropa hinweg.

Kernspaltung schuf eine neue Energiequelle

Erstmals entdeckten die beiden deutschen Chemiker Otto Hahn und Franz Straßmann 1938
die Kernspaltung. Die Errungenschaft wurde zunächst für militärische Zwecke eingesetzt:
1945 bei den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki. Erst später entwickelte die
Energiewirtschaft ein Interesse an der Kernspaltung als einer neuen Energiequelle.

Die Kernkraft nutzt die Energie, die bei der Spaltung von Atomkernen freigesetzt wird. In
einem Atomkraftwerk geht die Spaltung in einem Druckbehälter vor sich. Die entstehende
Wärme heizt zumeist Wasser auf mehrere Hundert Grad Celsius auf und erzeugt dadurch
Wasserdampf, der wiederum eine Dampfturbine antreibt. Diese erzeugt über einen Generator
elektrischen Strom. So wird Kernenergie indirekt in elektrische Energie umgewandelt. Es gibt
verschiedene Reaktortypen, die sich auch darin entscheiden, ob Wasser oder beispielsweise
Helium verwandt wird. Unterscheiden lassen sich unter anderem Schwerwasser- und
Hochtemperaturreaktoren, ebenso Leichtwasserreaktoren, die vor allem in Deutschland
genutzt werden. Als Kernbrennstoff wird Uran eingesetzt.

Uran wird in 18 Ländern gefördert. Wichtige Produzenten sind Kanada, Australien,


Kasachstan, Russland und Namibia. Laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
(BGR) finden sich weltweit Uranreserven von 1,95 Megatonnen. Damit sei die Versorgung
der Kraftwerke für die nächsten Jahrzehnte gesichert. 2006 verbrauchten die Kernkraftwerke
rund 66.500 Tonnen Natururan, rund 40.000 Tonnen stammten aus der Bergwerksproduktion.

Abschalten, aber auch Ausbau

In Deutschland wird kein Uran mehr gefördert. Doch die DDR war ein wichtiger
Uranproduzent, unter anderem wurde in der Sächsischen Schweiz und im Erzgebirge Uran
abgebaut. In Deutschland sind zurzeit 17 Kernkraftwerke an 12 Standorten mit einer Leistung
von rund 140 Milliarden kWh am Netz.

In Europa gibt es in insgesamt 15 der 27 EU-Mitgliedsstaaten Atomkraftwerke, darunter


Belgien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Litauen, Rumänien, Slowenien, Spanien und
Ungarn. Knapp ein Drittel des Stroms innerhalb der EU ist Atomstrom. Doch laut
Europäischer Kommission, Direktion Energie und Transport, wird der Anteil auf 20 Prozent
in 2030 zurückgehen.

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Weltweit trägt Kernenergie zurzeit einen Anteil von rund 15 Prozent zur globalen
Stromerzeugung bei. Laut BGR gab es 2006 weltweit 442 Kernkraftwerke in 28 Ländern.
Weitere 28 AKWs befanden sich noch im Bau und 62 in Planung. Die wichtigsten
Verbraucher von Atomenergie sind aktuell die USA, Frankreich und Japan. Laut
Internationaler Energieagentur wurden im Jahr 2005 368 Gigawatt Atomstrom produziert. Die
Kapazität wird sich bis 2030 zwar auf 416 Gigawatt erhöhen, doch der Anteil an der
Stromerzeugung wird auf rund 10 Prozent zurückgehen. Denn in den kommenden Jahren wird
der Stromverbrauch insgesamt zulegen, doch die Atomenergie wird voraussichtlich nicht im
gleichen Maße zulegen.

Doch zurzeit ist es kaum möglich, die künftige Bedeutung von Atomenergie vorauszusagen.
In einzelnen Ländern wird die Kernenergie ausgebaut, hierzu zählen China, Indien, Russland
und auch Brasilien, das gerade den Bau von über 50 neuen Atomkraftanlagen angekündigt
hat, um Gasimportabhängigkeiten zu dämpfen. Zugleich werden altersbedingt Meiler vom
Netz genommen oder Länder entscheiden sich bewusst für den Ausstieg aus der Atomenergie.
Auch in Deutschland wird die Diskussion über Atomkraft noch weitergehen.

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Erneuerbare Energien – "Grüner Strom" auf dem Vormarsch

Sie gelten als die Klimaretter, die regenerativen Energien. In Deutschland tragen Wind,
Wasser, Sonne und Biomasse zunehmend zur Stromerzeugung bei. Doch weltweit spielen die
erneuerbaren Energien noch keine zentrale Rolle. Obwohl sie gerade für Entwicklungsländer
dezentrale Lösungen bei der Energieversorgung bieten.

Windkraftanlage in Nordlinnau bei Flensburg


Der Rotor einer Windkraftanlage in Nordlinnau bei
Flensburg. Deutschland ist mit rund 24 Prozent
weltweit Spitzenreiter bei der Nutzung der
Windkraft. Foto: AP

Die Nutzung erneuerbarer Energien ist


nichts Neues. Seit Jahrtausenden wird Holz
verheizt, seit Jahrhunderten wird die Kraft
des Wassers und des Windes genutzt. Doch
aktuell erleben regenerative Energien neue
Aufmerksamkeit, vor allem ihre modernen
Nutzungsformen. Sie sollen helfen, die Abhängigkeit von Kohle, Gas und Öl zu verringern,
und nicht zuletzt sollen sie das Klima schonen.

Zu den erneuerbaren Energien zählen Wasserkraft, Wind- und Solarenergie, Geothermie und
Energie aus Biomasse – einschließlich Bio-, Deponie- und Klärgas – sowie aus dem
biologisch abbaubaren Anteil von Abfällen. Im Jahr 2007 trugen die erneuerbaren Energien
8,6 Prozent zum Endenergieverbrauch in Deutschland bei; 2000 waren es noch 3,8 Prozent.
Bis 2020 will die Bundesregierung im Rahmen der Richtlinien der Europäischen Union (EU)
einen Anteil von 18 Prozent erreichen. Längst ist der Sektor der erneuerbaren Energien ein
wichtiger Wirtschaftsfaktor: 2007 wurden in Deutschland mit erneuerbaren Energien rund 25
Milliarden Euro Gesamtumsatz erzielt.

Entscheidend für den Ausbau der Öko-Energien ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG).
Bereits 1991 wurde ein Stromeinspeisungsgesetz für regenerative Energien beschlossen, das
durch das EEG im Jahr 2000 abgelöst wurde. Das Regelwerk gilt als wichtiger Baustein der
Energie- und Klimapolitik der rot-grünen Koalition; zuletzt gab es im Juni 2008 eine Novelle.
Zum einen werden die Energieversorgungsunternehmen mit dem EEG verpflichtet,
regenerativ erzeugten Strom abzunehmen; zum anderen wird der Preis dafür festgelegt. Diese
garantierte Vergütung unterscheidet sich je nach Energieträger: Für Strom aus Sonnenenergie
gibt es mehr als aus Biomasse. Entscheidend ist auch, wie leistungsstark die Anlage ist.

Anreize für "grünen Strom"

In der Regel wird mit dem EEG eine Vergütung für eine Dauer von 20 Jahren garantiert.
Diese Planungssicherheit schafft Anreize für Investitionen in die Erzeugung von Öko-Strom.
Denn bislang ist "grüner Strom" – rein betriebswirtschaftlich – nicht konkurrenzfähig mit der
konventionellen Stromerzeugung.

Die Förderkosten werden auf die gesamte Stromkundschaft verteilt: Die so genannten
Differenzkosten betrugen 2007 4,3 Milliarden Euro. Sie ergeben sich aus der Differenz der
Vergütung des Öko-Stroms an die Anlagenbetreiber – 2007 waren dies 7,7 Milliarden Euro –
und der Einsparung der Kosten der Energieversorger für die Beschaffung konventionellen
Stroms in gleicher Menge. Verteilt auf die Stromkunden, bedeutete dies 1 Cent mehr pro

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Kilowattstunde. Auch in anderen EU-Mitgliedsstaaten werden erneuerbare Energien
gefördert. Teils wie in Deutschland über Einspeiseregelungen, teils über Quoten oder auch
steuerliche Vorteile. In 2006 erzielten die erneuerbaren Energien innerhalb der EU einen
Anteil von 8 Prozent am Endenergieverbrauch.

Ausbau der Windkraft

In Deutschland haben die erneuerbaren Energien zuletzt vor allem im Strommarkt, aber auch
im Wärme- und Verkehrssektor an Bedeutung gewonnen. 2007 trugen sie 14,2 Prozent zum
Bruttostromverbrauch bei, über 6 Prozent zum Endenergieverbrauch für Wärme und 7,6
Prozent zum Kraftstoffverbrauch. Bei der Stromerzeugung ist die Windkraft entscheidend:
Sie trug 2007 6,4 Prozent zur Bruttostromerzeugung insgesamt bei. Seit 2000 hat sich die
Anzahl der Windkraftanlagen in Deutschland verdoppelt: Waren es damals noch rund 9.300,
finden sich heute über 19.000.

Mit einem Anteil von 24 Prozent ist Deutschland weltweit Spitzenreiter bei der
Windkraftnutzung. Die USA liegen mit 18 Prozent auf Platz 2, dann folgt Spanien mit rund
16 Prozent. Die EU war auch 2007 der größte Windenergiemarkt: 61 Prozent der
Windenergie weltweit wurden in der EU genutzt. Global trägt Windkraft einen nur geringen
Anteil zur Energieversorgung bei.

Energie aus Wasser und Sonne

Anders sieht das bei der Wasserkraft aus, die derzeit einen Anteil von rund 16 Prozent an der
Stromproduktion weltweit hat. Sie trug 2005 gut 2 Prozent zum globalen
Primärenergieverbrauch bei. In Norwegen und Brasilien trägt die Wasserkraft entscheidend
zur Stromproduktion bei. Auch in China und Indien wird Wasserkraftstrom genutzt. Doch der
Bau großer Staudämme hat für die Umwelt und die Menschen vor Ort meist gravierende
Folgen, so dass die Nachhaltigkeit der Nutzung von Wasserkraft teils umstritten ist.

In Deutschland spielt Wasserkraft keine entscheidende Rolle. 2007 wurde mit rund 20
Terawattstunden (TWh) zwar mehr Wasserkraftstrom produziert als im Vorjahr, doch
Zuwachsraten wie bei der Windenergie oder Biomasse sind nicht zu verzeichnen. Der Anteil
an der Bruttostromerzeugung lag bei rund 4 Prozent.

Auch aus Sonnenenergie wird Strom gewonnen und zwar durch Photovoltaik-Anlagen. Auch
werden Sonnenkollektoren eingesetzt, die für Warmwasser und Raumwärme sorgen. 2007
trug Sonnenenergie rund 0,6 Prozent zum Bruttostromverbrauch in Deutschland bei; mit
einem Zuwachs von 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bei der Wärmebereitstellung aus
erneuerbaren Energien trug Solarthermie rund 4 Prozent bei. Weltweit ist Sonnenenergie
bislang nicht entscheidend, doch die Jahresproduktionen nehmen stetig zu. Bei der
Photovoltaik liegen Deutschland, Japan und die USA vorne, bei der Solarthermie China und
Japan.

Biomasse und Geothermie sind zuverlässig

Anders als Wind-, Sonnen- oder Wasserenergie, die von den Witterungsbedingungen
abhängig sind, steht Geothermie rund um die Uhr zur Verfügung. Dabei wird die im
Erdinnern gespeicherte Wärme genutzt, um Wärme aber auch Strom zu erzeugen. 2007 nahm
in Landau das zweite deutsche Geothermie-Kraftwerk seinen Betrieb auf. Ebenso wird

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Geothermie in Privathaushalten eingesetzt. Weltweit sind die USA und die Philippinen
Vorreiter.

Auch Energie aus Biomasse kann unabhängig von der Wetterlage genutzt werden, doch
braucht es dafür Holz, Energiepflanzen wie Raps und Mais, ebenso Gülle oder Klärschlamm.
Biomasse trägt vor allem zur Wärmeerzeugung bei: 2007 mit rund 84 TWh, das waren 93
Prozent der Wärmebereitstellung aus erneuerbaren Energien insgesamt. Aber auch bei der
Stromerzeugung legte die Biomasse – feste und flüssige sowie Biogas – zu und erreichte
einen Anteil von 3,8 Prozent bei der Bruttostromversorgung. Weltweit trägt feste Biomasse
knapp 10 Prozent zum Primärenergieverbrauch bei. Vor allem in Afrika und Asien wird
Biomasse genutzt und zwar traditionell. Mit Holz wird gekocht und geheizt, doch oft mit
offenem Feuer, das für die Menschen gesundheitsschädlich ist. Ebenso werden die Wälder
teils stark gerodet.

Energiepflanzen werden auch als Biokraftstoffe genutzt. 2007 wurden 7,6 Prozent des
Kraftstoffbedarfs in Deutschland damit gedeckt: Zu knapp 74 Prozent wurde Biodiesel
verbraucht. Der Rest waren Pflanzenöl und Bioethanol. Letzteres wird vor allem in den USA
und Brasilien produziert und genutzt.

In Deutschland ist umstritten, wie rasch und zu welchem Ausmaß ein Umstieg auf
erneuerbare Energien möglich ist. Befürworter sehen einen schnellen Umstieg in den nächsten
20 bis 30 Jahren für möglich und auch nötig. Kritiker halten das für unrealistisch, sie erwarten
einen Energieversorgungsengpass. Doch immerhin konnten die erneuerbaren Energien in
Deutschland schon 2007 rund 115 Millionen Tonnen an CO2-Ausstoß vermeiden.

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Grundlagen der deutschen und der EU-Energiepolitik
Lange galt die Energieversorgung als ein weitgehend politikfreier Raum. Das änderte sich mit
dem Ölpreisschock von 1973/1974: Erstmals wurde den Industrienationen die Abhängigkeit
ihrer Ökonomien von Rohstoffimporten deutlich. Ab den 1970er Jahren organisierte sich die
Anti-Atomkraftbewegung. Später rückten erneuerbare Energieträger, eine effizientere
Nutzung fossiler Energien und auch das Energiesparen ins öffentliche Bewusstsein. In den
letzten Jahren wurde verstärkt auch über die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte
diskutiert – in Deutschland wie auch innerhalb der Europäischen Union. Nach wie vor gibt es
keinen EU-Binnenmarkt für Elektrizität oder Gas: Die EU-Staaten verfolgen jeweils ihre
eigene nationale Energiepolitik. Doch in Anbetracht zunehmender Importabhängigkeiten und
der steigenden Bedeutung der Energieversorgungssicherheit, zeichnet sich auf EU-Ebene die
Perspektive einer gemeinsamen Energieaußenpolitik ab.

Einführung: Die Energiepolitik

Die fossilen Energien sprengten die Wachstumsgrenzen

Zur Person
PD Dr. Danyel Reiche, FU-Berlin Forschungsstelle für Umweltpolitik. Seine
Schwerpunkte sind Energiepolitik sowie erneuerbare Energien. Reiche war von 2006 bis
2007 Gastprofessor für Energie und Internationale Beziehungen an der School of Foreign
Services der Georgetown University in Washington. Er ist Herausgeber des Buches
"Grundlagen der Energiepolitik" (2005).

Der Siegeszug fossiler und später auch atomarer Energie führte zu einem veränderten
energetischen Grundverständnis: An die Stelle der früher wahrgenommenen
Beschränkungen durch regenerative Energien trat nun die Grenzenlosigkeit.

Rapsfeld bei Schkopau, Sachsen-Anhalt


Biokraftstoffe aus Raps und Windkraft tragen verstärkt zur
Energieversorung in Deutschland bei. Seit 2000 regelt das
Erneuerbare-Energien-Gesetz die Einspeisung von Öko-
Strom: Ein energiepolitisches Instrument, das hierachisch
wirkt. Foto: AP

Weite Teile der Menschheitsgeschichte sind von


der Nutzung regenerativer Energien geprägt
gewesen. Die Standortgebundenheit von Wasser-
und Windrädern und der mit ihrer Nutzung
einhergehende Zwang zur Dezentralität, der die industrielle Dynamik bremste, waren eine
Voraussetzung für die energetische Epochenscheide im 19. Jahrhundert. Als ein zweites
Hemmnis des regenerativen Zeitalters wurden seine Wachstumsgrenzen empfunden. Die
Menschheitsgeschichte war bis dahin durch einen Zwang zur Sparsamkeit charakterisiert.
Insbesondere die fortwährende Angst vor Holzverknappung war für das regenerative Zeitalter
prägend. Die Abhängigkeit von erneuerbaren Energien setzte Bevölkerung und Wirtschaft
eine natürliche Schranke.

Fossile Energien sprengten die Wachstumsgrenzen des regenerativen Zeitalters und


ermöglichten eine rasche Expansion von Produktion, Verbrauch und eine Zunahme der
Anzahl der Menschen. Der Siegeszug fossiler (und später auch atomarer) Energie führte zu
einem veränderten energetischen Grundverständnis: An die Stelle der früher

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wahrgenommenen Beschränkungen trat die Grenzenlosigkeit. Energie schien im Überfluss
vorhanden und die Ära eines verschwenderischen Umgangs mit Ressourcen wurde
eingeläutet. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wandelte sich das menschliche
Bewusstsein im Umgang mit Energie [1].

Entstehung der Energiepolitik

Die Energieversorgung galt lange als ein weitgehend politikfreier Raum. Energie-"Politik"
wurde so verstanden, dass die Perspektive der Produzenten zu übernehmen ist, die eine
sichere und preisgünstige Versorgung gewährleisten [2]. Die Entwicklung der Energiepolitik
beschreibt Mez treffend "als eine wechselnde Festlegung auf die jeweils vermeintlich
billigsten Energieträger"[3]. Nachdem im Zuge der Industrialisierung erneuerbare Energien
durch Kohle verdrängt worden waren, wurde diese später sukzessive durch Öl ersetzt, ehe
Atom und Gas in den Mittelpunkt des Interesses rückten.

Autofreier Sonntag 1973


Kaum zu glauben: 1973 wurden infolge der Ölkrise mehrere
autofreie Sonntage erlassen. Wann tatsächlich die Grenzen
der Ölreserven erreicht sind, ist umstritten. Foto: AP

In der jüngeren Vergangenheit rückten erneuerbare


Energieträger, eine effizientere Nutzung fossiler
Energien und Energiesparen in den öffentlichen
Fokus. Hierfür entscheidend war der Ölpreisschock
von 1973/1974. Er führte den Industrienationen
erstmals die Abhängigkeit ihres Energiesystems
von externen Faktoren vor Augen. In den 1970er
Jahren kam auch eine breite globale Debatte über die Erschöpfbarkeit der Antriebsstoffe der
Moderne in Gang. Weltweites Aufsehen erregte 1972 das Buch "Die Grenzen des
Wachstums". Es fasst eine Studie zusammen, die auf Initiative des "Club of Rome" von
Wissenschaftlern am Massachusetts Institute of Technology (MIT) erstellt und von der
Volkswagen-Stiftung finanziert worden war [4]. Wenn die Ausbeutung der Rohstoffe
unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen im Laufe der nächsten hundert
Jahre erreicht sein, lautete die zentrale Botschaft des Reports. Das Thema erneuerbare
Energien war fortan auf der politischen Agenda.

Klima als neues Politikfeld

Doch noch nie zuvor hatten sich so viele Menschen mit der Nutzung von Energie beschäftigt
wie im Zuge der Auseinandersetzung um die Kernenergie. Das Wogegen rückte sukzessive
auch die Frage nach dem Wofür in den Blickpunkt. Neben dem effizienteren Einsatz fossiler
Ressourcen wurde der verstärkte Einsatz regenerativer Energien als Alternative zur Atomkraft
propagiert. Die Kritik an diesem Energieträger diffundierte von Ende der 1960er Jahre an aus
den USA in alle Industrienationen. Der Protest- folgte die Gestaltungsphase: War es den Anti-
Atom-Bewegungen zunächst vorrangig darum gegangen, die Gefahren der Kernenergie in den
öffentlichen Diskurs einzuspeisen, sollte es mit der Zeit auch darum gehen, Alternativen zu
skizzieren. Bei Demonstrationen tauchte, etwa auf Buttons und Luftballons, die Sonne als
Symbol für erneuerbare Energien auf.

Ende der 1970er Jahre bildete sich national wie international das Politikfeld Klima heraus und
schuf die Grundlage für die Etablierung und Weiterentwicklung der Diskussion um
umweltverträgliche Alternativen in der Energiepolitik. Voraussetzung war die Wahrnehmung

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des Phänomens des Treibhauseffekts. Mit der Vergabe des Friedensnobelpreises 2007 an Al
Gore für seinen Film "Eine unbequeme Wahrheit" über den Klimawandel und die
Wissenschaftler des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ist das Thema
endgültig auch in der breiten Öffentlichkeit etabliert.

Auch die Sicherheitspolitik wird zunehmend zu einem "Driver" für die energiepolitische
Diskussion. So beträgt die Energieimportabhängigkeit der USA 30, die Deutschlands sogar 60
Prozent. Das bedeutet, dass die außenpolitische Sicherung von Energielieferungen an
Bedeutung gewinnt. Neben der Umwelt- und Sicherheitspolitik ist die Wirtschaftspolitik ein
weiteres zentrales Element der Energiepolitik. Die Energiewirtschaft ist einerseits ein
wichtiger ökonomischer Faktor, andererseits geht es auch um die Wirtschaftlichkeit von
Energien. Zunehmend werden auch die ökonomischen Chancen eines ökologischen
Transformationsprozesses der Energiewirtschaft thematisiert. So sind in Deutschland schon
über 200.000 Arbeitsplätze im Bereich erneuerbarer Energien entstanden.

Rolle des Staates – kooperativ oder hierarchisch

Mit den neuen Prioritäten erneuerbare Energien, Energiesparen und Energieeffizienz wandelte
sich auch die Rolle des Staates, der nicht weiter allein die Perspektive der Produzenten
fossiler Energien einnahm, sondern teilweise auch gegen deren Interessen agierte und
Fördergesetze für erneuerbare Energien und Anreize zum Energiesparen setzte sowie die
Nutzung bestimmter nicht-regenerativer Energieträger (Atom, Steinkohle) beschränkte. Die
Initiativen des bundesdeutschen Staates stellten dabei eine Kombination aus hierarchischen
Interventionen und kooperativen Aushandlungsprozessen dar, wie die Gesetze zur Förderung
erneuerbarer Energien (hierarchisch) und zum Atomausstieg (kooperativ) zeigen.

Nach dem Regierungswechsel 1998 und der Bildung einer Koalition aus SPD und den aus der
Anti-Atom-Bewegung hervorgegangenen Grünen ist mit der Vereinbarung zwischen der
Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000 eine
Verständigung über ein sukzessives Auslaufen der Atomkraftnutzung in Deutschland erzielt
worden. Die Eckpfeiler dieser Vereinbarung sind eine Befristung der Regellaufzeit auf 32
Kalenderjahre, auf dieser Grundlage die anlagenbezogene Festlegung von noch maximal zu
produzierenden Strommengen ab dem 01.01.2000 (Reststrommenge) und ein
Flexibilisierungsmodell, nach dem Strommengen von älteren auf jüngere Anlagen übertragen
werden können (umgekehrt bedarf es der Zustimmung der Bundesregierung).

Das Auslaufen bestehender Atomkraftwerke ist somit geregelt. Ebenso wird es keinen
Neubau von Atomkraftwerken geben. Die Bundesregierung hätte die Laufzeit der
Atomreaktoren auch ohne eine Verständigung mit den Betreibern befristen können. Vorteil
der konsensualen Entscheidungsfindung (die gleichwohl "im Schatten der Hierarchie"
stattfand, denn das Damoklesschwert einer gesetzlichen Festlegung schwebte stets im Raum)
ist das Umgehen einer langwierigen juristischen Auseinandersetzung, die das
energiepolitische Patt bis zu einer endgültigen Entscheidung konserviert hätte und deren
Ausgang ungewiss gewesen wäre. Es fallen auch keine milliardenschweren
Entschädigungszahlungen an, mit der etwa die schwedische Regierung ihren
Ausstiegswunsch erkauft hat.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus dem Jahr 2000 beruht auf den Grundsätzen des
1991 in Kraft getretenen Gesetzes über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien
in das öffentliche Netz, dem Stromeinspeisungsgesetz. Danach besteht für die
Energieversorgungsunternehmen eine Abnahmepflicht für regenerativ erzeugten Strom.

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Außerdem regelt das Gesetz die Höhe der Vergütung. Dieser Strom wird ausschließlich aus
Wasserkraft, Windkraft, solarer Strahlungsenergie, Geothermie, Deponiegas, Klärgas,
Grubengas und aus Biomasse gewonnen. Die nach Energieträger differenzierten
Vergütungssätze werden für eine Dauer von in der Regel 20 Jahren garantiert. Diese
Planungssicherheit legte die Grundlage für einen beispielhaften Boom vor allem bei Wind-
und Solarenergie, wo Deutschland weltweit führend ist. Das EEG ist von vielen anderen
Ländern kopiert worden, teilweise sogar mehr oder weniger wortgleich.

Energiepolitik im Mehrebenensystem der EU

Innerhalb der Europäischen Union (EU) ist ein Steuerungsmuster entstanden, das nationales
Pionierverhalten begünstigt. In diesem Zusammenhang wird auch von der Methode der
offenen Koordination gesprochen. Dies meint die Abkehr von klassischen Formen
gemeinschaftlicher Politikgestaltung auf der Basis rechtlich verbindlicher Richtlinien oder
Verordnungen. Stattdessen hat sich ein Mechanismus durchgesetzt, der die Vereinbarung
rechtlich nicht verbindlicher Zielvorgaben vorsieht, ebenso die jährliche Berichterstattung und
Evaluation sowie die Analyse und Förderung des EU-weiten Transfers von Politik die sich in
einzelnen Mitgliedsstaaten als erfolgreich erwiesen hat. Beispiele für eine solche offene
Koordination sind die beiden Richtlinien der EU zu Biokraftstoffen und zur Stromerzeugung
aus erneuerbaren Energien, die indikative Ziele vorsehen. So ist die Erhöhung des Anteils von
Biokraftstoffen auf 5,75 Prozent bis 2010 vorgesehen, aber nicht verbindlich festgelegt.

Allein die Ankündigung solcher Harmonisierungsbestrebungen seitens der EU-Kommission


kann zu regulativen Wettbewerb führen. Nach der von Héritier geprägten These vom
regulativen Wettbewerb findet ein Wettstreit zwischen den Mitgliedsländern der EU um
Konzepte und Instrumente statt, weil als Belohnung die Vergemeinschaftlichung des eigenen
Steuerungsansatzes winkt und damit Anpassungskosten vermieden werden [5]. Ein Beispiel
ist die EU-Richtlinie zur Kennzeichnung des Energieverbrauchs von Haushaltsgeräten, das
sich exakt am dänischen Modell orientiert. Neben dem regulativen Wettbewerb ist es auch die
Effizienzlogik vieler Länder – auch best practice genannt – die nationales Vorreiterverhalten
begünstigt. Denn viele Staaten orientieren sich an Pionierländern.

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Energie in Deutschland

Wie abhängig ist Deutschland von Energieimporten?


Nur gut ein Viertel der in Deutschland verbrauchten Energien sind heimisch – das sind
vor allem Kohle und erneuerbare Energien. Der Rest kommt aus dem Ausland. Woher
kommen unser Gas und Öl? Und wer verbraucht was auf dem deutschen
Energiemarkt?
Zur Person

Andreas Mihm, Jahrgang 1960, hat an der Universität zu Köln Volkswirtschaft und
politische Wissenschaften studiert und danach für unterschiedliche Medien gearbeitet.
Seit 2001 Parlamentskorrespondent der Frankfurter Allgemeine Zeitung in Berlin mit
den Schwerpunkten Wirtschafts- und Gesundheitspolitik. Verheiratet, zwei Kinder.
(Foto: A. Schoelzel)

Ölhafen Wilhelmshaven
Der Ölhafen Wilhelmshaven: Hier wird fast ein Fünftel
der Rohölversorgung Deutschlands angelandet und über
die Nord-West-Leitung verteilt. 2,3 Millionen Barrel Öl
pro Tag verbrauchten die Deutschen in 2007. Foto: AP

Deutschland ist ein reiches Land. Sein


Reichtum speist sich aus vielen Quellen,
Bodenschätze gehören dazu. Doch die Zeiten,
in denen Deutschland sich vor allem auf
heimische Energiequellen stützen konnte, sind
lange vorbei. Noch dazu wächst die internationale Konkurrenz um Energierohstoffe. Die
Menschen in Schwellenländern wie China und Indien erarbeiten sich mehr Wohlstand – die
Nachfrage nach Öl, Gas und Kohle steigt. Das schlägt sich auch hierzulande in spürbar
höheren Energiekosten nieder. Sorgen vor einer politischen Erpressbarkeit durch
Energielieferländer kommen hinzu, und nicht zuletzt spielen der Umweltschutz und der
Kampf gegen die Folgen des Klimawandels eine immer wichtiger werdende Rolle.

Doch wie viel Energie (ver-)braucht Deutschland, wo liegen die Bezugsquellen, wie haben
sich Verbrauch und Abhängigkeiten im Laufe der Zeit verändert? Und wie werden sie sich
vermutlich in Zukunft ändern? Eine Gegenüberstellung von Gewinnung und Verbrauch macht
klar, dass nur gut ein Viertel der hierzulande verbrauchten Energie auch hier gewonnen wird.
2007 haben Wirtschaft und Haushalte in Deutschland nach einer Übersicht der
Arbeitsgemeinschaft für Energiebilanzen 473,6 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten (SKE)
verbraucht. Dem stand aber nur eine heimische Primärenergiegewinnung in Höhe von 135
Mio. Tonnen SKE gegenüber. Die Differenz deckt das Ausland.

Gewinnung und Nachfrage in Deutschland

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Kraftwerke und Verbundnetze in Deutschland. Quelle: Umweltbundesamt

21
Dabei fiel die inländische Energiegewinnung in 2007 sogar 3,3 Prozent höher aus als im
Vorjahr. Während die Förderung von Mineralöl (-3,8 Prozent) und Erdgas (-8,8 Prozent)
angesichts weitgehend leer gepumpter Felder weiter zurückging, legte die Produktion von
Stein- und Braunkohle mit 2,3 bzw. 2,4 Prozent deutlich zu. Den größten Zuwachs trugen
indes die erneuerbaren Energien mit einem Plus von mehr als 4 Mio. Tonnen SKE bei. Unter
dem Strich hat sich damit der Anteil der Inlandsenergie von 26,3 Prozent im Jahr 2006 auf
28,5 Prozent in 2007 erhöht. Wichtigster inländischer Energieträger war die Braunkohle (41
Prozent) vor erneuerbaren Energien (23 Prozent), Steinkohle (16 Prozent) und Erdgas (14
Prozent).

In manchen Berechnungen wird auch die Kernenergie als "heimische" Energiequelle geführt.
Da auf sie 11 Prozent der Primärenergie entfällt, steigt die inländische Energiegewinnung in
dieser Rechnung auf knapp 40 Prozent. Zwar wird in Deutschland Uran nicht mehr gefördert,
doch wird für den Betrieb der Reaktoren vergleichsweise wenig Uran benötigt. Die Mengen
können für Jahre gebunkert werden. Sie sind dann vor Preissprüngen und politischen
Versorgungskrisen gefeit.

Die deutsche Energienachfrage wird durch ein breites Angebot unterschiedlicher Quellen
gedeckt. 2007 sah der Mix wie folgt aus: Öl (33,8 Prozent), Gas (22,7 Prozent), Steinkohle
(14,1 Prozent), Braunkohle (11,7 Prozent), Kernenergie (11,1 Prozent) sowie regenerative
Energien (6,6 Prozent). Dieser Mix der Energieträger hat sich in den vergangenen Jahren
grundsätzlich wenig verändert.

Mineralöl bleibt begehrt

Mit fast 34 Prozent machen Mineralöle immer noch den mit Abstand größten Brocken vom
Primärenergieverbrauch aus. Zwar ist ihr Verbrauch zuletzt wegen steigender Preise, der
milden Witterung, sparsamerer Motoren und zunehmender Beimischung von Biokraftstoffen
massiv gesunken. Dennoch wurden 2007 noch 108,1 (im Vorjahr: 118,7) Mio. Tonnen
Mineralölprodukte verbraucht. 1990 waren es 123 Mio. Tonnen, 1995 sogar 134,7 Mio.
Tonnen. Wegen der geringen inländischen Produktion mussten im vergangenen Jahr 107 Mio.
Tonnen Mineralöle eingeführt werden. Wichtigste Lieferländer waren Russland (31,8
Prozent), Norwegen (15,8 Prozent), Großbritannien (12,8 Prozent) und Libyen (10,2 Prozent).

Auch 2007 waren die Autofahrer der größte inländische Verbraucher. Laut
Mineralölwirtschaftsverband (MWV) flossen 50 Mio. Tonnen des Mineralölverbrauchs (46
Prozent) via Benzin (21,3 Mio. Tonnen) und Diesel (29,1 Mio. Tonnen) in den gewerblichen
und privaten Kraftfahrzeugverkehr. Gerade 15 Prozent des Rohöls wurden zu leichtem Heizöl
verarbeitet, was die schwindende Bedeutung von Öl als Heizenergie in privaten Haushalten
unterstreicht. Die verbleibenden rund 35 Prozent gingen vor allem in die Industrie, als
Schweres Heizöl, Rohbenzin, Chemieprodukte, oder wurden als Eigenverbrauch im
Raffinerieprozess benötigt.

Allgemein geht man von einer sinkenden Nachfrage in den nächsten Jahren aus: Sparsamere
Motoren, widerstandsärmere Reifen und steigende Preise sind die Gründe. Doch solche
Voraussagen sind äußerst unsicher. Bestes Beispiel ist eine Mitte 2006 abgegebene Prognose
des Mineralölwirtschaftsverbands: Darin wurde der Ölabsatz in Deutschland für das Jahr
2015 auf 108 Mio. Tonnen veranschlagt. Das Niveau war aber bereits 2007 fast erreicht! Bis
2025 sollte der Mineralölabsatz laut Prognose auf weniger als 100 Mio. Tonnen sinken.

22
Der Gasverbrauch nimmt zu – die Lieferabhängigkeiten auch

Mehr als ein Fünftel der deutschen Primärenergieversorgung, 2007 waren es genau 22,5
Prozent, wird durch Erdgas gedeckt. Fast jeder zweite Haushalt heizt mit Erdgas. Im Jahr
2007 wurde fast fünfmal soviel verbraucht wie noch 1970. Zwar sank der Verbrauch zuletzt
um 5 Prozent auf 106 Mio. Steinkohleeinheiten. Grund war aber vor allem die milde
Witterung. Erdgas gilt als vergleichsweise sauber, weil es bei der Verbrennung nur wenig
Kohlendioxid freisetzt. Deshalb soll es künftig vermehrt auch zur Stromerzeugung eingesetzt
werden – was die Nachfrage weiter steigern dürfte.

Doch der Haken ist, dass auch die Förderung von Erdgas in Deutschland nachlässt, 2007 um 9
Prozent. Damit werden zurzeit noch rund 15 Prozent des Verbrauchs aus inländischen
Quellen gespeist, 85 Prozent stammen aus dem Ausland und zwar aus wenigen Quellen. Wie
beim Öl ist Russland auch beim Gas der mit Abstand wichtigste (und wichtiger werdende)
Lieferant mit 37 Prozent, gefolgt von Norwegen (26 Prozent) und den Niederlanden (18
Prozent). Da die Produktion in Holland zurückgeht, die Gasnachfrage in ganz Europa aber
steigt, wird der Einfluss Russlands als Lieferant kontinuierlich wachsen.

Der größte Gasverbraucher in Deutschland ist die Industrie. Nach Ermittlungen des
Bundesverbands der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) nahm sie im Jahre
2006 rund 41 Prozent (1996: 39) des Angebots ab. Zweitgrößte Verbrauchergruppe waren die
privaten Haushalte mit 30 Prozent (1996: 35). Unverändert 18 Prozent wurden an Gewerbe,
Handel und Unternehmen der Dienstleistungsbranche gepumpt. Von 8 auf 11 Prozent stieg
der Einsatz von Gas zur Stromgewinnung in Gaskraftwerken. Hier dürfte auch in den
kommenden Jahren die Zuwachsrate am größten sein. Dagegen werden verbesserte
Prozessabläufe in der Industrie und Dämmungen von Wohnungen und Häusern die Nachfrage
von Gas als Wärmelieferant eher dämpfen.

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Bruttostromerzeugung in Deutschland 2006 nach Primärenergieträgern. Quelle: Umweltbundesamt

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Kohle dient vor allem der Stromerzeugung

Steinkohle kommt in der Verbrauchsstatistik der Primärenergien an dritter Stelle. Der


Verbrauch hat 2007 gegen den Trend der letzten Jahre zugenommen, um 3,5 Prozent auf
knapp 68 Mio. Tonnen Steinkohleeinheiten. Grund dafür war die größere Nachfrage in der
Elektrizitätswirtschaft und Stahlindustrie. Die heimische Förderung in den acht noch in
Betrieb befindlichen Steinkohlebergwerken stieg gegen den Trend der letzten Jahre leicht um
eine halbe auf 22 Mio. Tonnen SKE. Mitte des nächsten Jahrzehnts soll der
steuerbezuschusste Abbau von deutscher Steinkohle beendet sein. Deshalb wird die
Nachfrage, die Anfang der 1990er Jahre noch zu mehr als 80 Prozent aus heimischer
Förderung befriedigt wurde, wohl verstärkt aus dem Ausland gedeckt werden. Die aktuelle
Liste der wichtigsten Herkunftsländer führt erneut Russland (19 Prozent) vor Südafrika (17
Prozent), Polen (16 Prozent), Australien und Kolumbien (je 13 Prozent) an.

Als Heizenergie in privaten Haushalten ist die Kohle fast ganz aus der Mode gekommen. Sie
wird vor allem zur Stromerzeugung und in der Stahl- und Hüttenindustrie eingesetzt.
Experten erwarten künftig eine sinkende Nachfrage. Wie stark die ausfällt, das hängt vor
allem davon ab, wie viele neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Maßgebend dafür sind neben
den Herstellungskosten vor allem drei Faktoren: die Kosten für CO²-Emissionsrechte, die
technischen Neuerungen zur Abspaltung und sicheren Lagerung von Kohlendioxid und die
Bereitschaft der Politiker und Bürger, an den Standorten Neubauprojekte zu tolerieren.

Neurath bei Grevenbroich: Hier baut RWE ein


neues Braunkohlekraftwerk. Trotz der hohen
Kohlendioxidemissionen ist der Bau weiterer
Braunkohlekraftwerke geplant. Braunkohle ist der
wichtigste heimische Energieträger. Foto: AP

Braunkohle wird in großen Mengen in


Revieren des Rheinlands, der Lausitz und
Mitteldeutschlands abgebaut und auch nur
dort verbraucht. Ihr Transport über
weitere Entfernungen ist unwirtschaftlich.
Der Brennstoff hat 2007 11,6 Prozent der
Primärenergie- nachfrage gedeckt. Der
allergrößte Teil der 180 Mio. geförderten
Tonnen wurde verstromt. Braunkohle macht mehr als 40 Prozent der inländischen
Energiegewinnung aus. Sie ist damit der mit Abstand wichtigste heimische Energieträger.
Allerdings ist sie wegen ihres hohen Kohlendioxid-Gehalts mehr noch als Steinkohle als
"Klimakiller" in Verruf geraten. Für den Neubau von Braunkohlekraftwerken gelten deshalb
die gleichen Überlegungen wie für Steinkohlekraftwerke.

In der Stromerzeugung spielt Öl aus Kostengründen eine zu vernachlässigende Rolle. Der


Energiemix zur Stromherstellung hat sich seit der deutschen Einheit wenig geändert: Die
Kernenergie trug 2007 22,1 Prozent bei und fiel damit erstmals als Folge von ungeplanten
Stillständen mehrerer Großkraftwerke hinter die Braunkohle mit 24,5 und die Steinkohle mit
22,8 Prozent zurück. Die verbleibenden rund 30 Prozent werden, allerdings mit einem
deutlich zunehmenden Anteil, aus Erdgas (11,2 Prozent) und erneuerbaren Quellen wie Wind,
Wasser, Biomasse oder Photovoltaik (13,6 Prozent) gespeist.

Auf der Seite der Stromverbraucher dominierte 2006 die Industrie mit 47 Prozent (1996: 46).
An zweiter Stelle folgen die privaten Haushalte. Sie konnten ihren Konsum leicht von 28 auf

25
26 Prozent drosseln. Fast unverändert folgen Gewerbe, Handel und Dienstleitungen mit 22
Prozent (1996: 21). Der Verkehr mit 3 und die Landwirtschaft mit 2 Prozent sind als
Stromkunden fast ohne Bedeutung.

Die Grüne Energie im Aufwind

Kraftwerke und Windleistung in Deutschland. Quelle: Umweltbundesamt

Die erneuerbaren Energien sind der Shootingstar in der Stromerzeugung. Sie sind neben
Braunkohle die wichtigste heimische Energiequelle. Der Löwenanteil im Jahr 2007 entfiel auf

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die 20.000 Windräder mit 6,2 Prozent der Stromerzeugung – was einem Zuwachs zum
Vorjahr von 29 Prozent entspricht. Strom aus Wasserkraft erreichte 3,2 Prozent der gesamten
Erzeugung, knapp vor der Biomasse (3,1 Prozent). Der Anteil der Stromerzeugung aus
Sonnenlicht erreichte 0,5 Prozent der Gesamterzeugung und der aus der Müllverbrennung 0,6
Prozent, wobei dort allerdings fossile Brennstoffe beigemischt werden.

Nach dem Klima- und Energieprogramm der Bundesregierung soll der Anteil regenerativer
Quellen an der deutschen Stromerzeugung bis 2020 massiv ausgebaut werden. Wind, Wasser,
Sonne und Biomassen sollen 30 Prozent der Stromnachfrage decken, weitere 25 Prozent mit
Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) erzeugt werden. Mit der KWK-Technologie kann Strom und
Wärme zugleich gewonnen werden, was besonders effizient ist. Der Zugewinn soll den
Wegfall der Kernenergie ausgleichen, die nach heutigem Fahrplan in Deutschland im Jahre
2022 vom Netz gehen soll. Zudem soll der Verbrauch von Stein- und Braunkohle sinken,
auch weil der Stromverbrauch insgesamt kleiner werden soll, indem Industrie und Haushalte
Strom noch effizienter einsetzen. Die Bundesregierung hat ihr Konzept “ehrgeizig“ genannt.
Manche Experten bezweifeln, dass die Ziele überhaupt erreicht werden können,
Umweltverbänden gehen sie indes noch nicht weit genug.

Die Analyse zeigt: Die deutsche Volkswirtschaft kann ihren Energiebedarf nur zum Teil und
künftig noch weniger als heute aus eigener Kraft decken. Sie ist stark von ausländischen
Energiebezügen abhängig. Dabei kommt vor allem Russland eine große Bedeutung zu. Bei
Öl, Gas und Steinkohle, den wichtigsten Primärenergieträgern, steht es jeweils an Platz 1 der
Lieferantenliste. Diese Position dürfte sich zumindest beim Gas noch ausweiten, weil andere
Lieferländer ihre Quellen erschöpft haben und die globale Nachfrage weiter steigt.
Preiserhöhungen, ein auch vom Staat verordneter rationellerer Energieeinsatz, die bessere
Dämmung von Häusern, effizientere Motoren und Kraftwerke werden die Nachfrage senken.
Doch die Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten wird damit allenfalls graduell
reduziert. Denn heimische Quellen versiegen, teils weil sie erschöpft sind – wie beim Öl und
Gas – oder aus (umwelt-)politischen Gründen nicht mehr genutzt werden sollen: Die
Kernkraftwerke sollen 2022 vom Netz, gegen den Bau von Braun- und Steinkohlekraftwerke
wird vermehrt protestiert. Ob allein der rationellere Einsatz von Energie und der Ausbau
regenerativer Energien diese sich öffnende Lücke zu bezahlbaren Kosten schließen kann,
bleibt abzuwarten.

27
Energie als Ware

Verschiedenste Faktoren bestimmen die Preisentwicklung

Michael Bauchmüller, geb. 1973, berichtet für die Süddeutsche Zeitung seit fünf Jahren
über Energiepolitik. Seit 2005 ist er Korrespondent in Berlin. Neben Energiethemen
kümmert er sich dort auch um Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes sowie um
Verkehrspolitik. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.
(Foto: Rolf Walter/Xpress)

Die steigenden Preise für Strom wie auch Öl sorgen immer wieder für
Ärger. Aber wie gestaltet sich eigentlich die Preisentwicklung auf dem
Markt der Energien? Wer nimmt Einfluss, was passiert an der Strombörse
in Leipzig und müssen wir künftig mit stetigen Preiszunahmen rechnen?

Experten sehen die Lösung des Problems


steigender Strompreise auch beim
Verbraucher. Indem Nachfragespitzen beim
Strom duch den gezielten Einsatz z.B. von
Haushaltsgeräten vermieden werden,
bleiben die Preise an der Leipziger
Strombörse niedrig. Foto: AP

Deutschland, mittags um zwölf.


Bundesweit laufen jetzt gerade
Herdplatten heiß. Die Fabriken
arbeiten auf Hochtouren, Computer
sind angeschaltet, Waschmaschinen
rotieren. Und bei der Strombörse in Leipzig gehen die Preise hoch.

In dem unscheinbaren Handelsraum der Börse, der European Energy Exchange (EEX),
können die Händler genau nachvollziehen, wann die Deutschen wie viel Strom nachfragen.
Sie können sehen, wann Heiligabend republikweit die Christbaumbeleuchtung angeschaltet
wird. Sie sehen die Halbzeitpause im Fußballspiel, wenn sich in Stadt und Land die
Kühlschränke öffnen. Immer dann geht der Verbrauch rauf – und der Strompreis auch. Sie
sehen aber auch, wenn der Wind nachts bläst, und Strom plötzlich so gut wie nichts mehr
kostet, weil plötzlich mehr als genug davon vorhanden ist.

Zugleich ist der Strompreis extrem sprunghaft. Denn Strom lässt sich kaum lagern, das
unterscheidet ihn von allen anderen Gütern. Weil immer so viel Elektrizität erzeugt werden
muss, wie aus irgendwelchen Steckdosen fließt, ist der Fluss zwischen Kraftwerken und
Verbrauchern ein ständiges Auf und Ab. Und der Preis ist es auch.

Was genau passiert da? Warum wird Strom tendenziell immer teurer? Und was hat das mit
den großen Energiekonzernen zu tun? Vielleicht hilft eine Reise zu den Ursprüngen der
Elektrizität, in die Kraftwerke. Die holen ihren Strom aus unterschiedlichen Quellen, zu
unterschiedlichen Preisen. Da gibt es die Windräder, die nur Wind brauchen. Es gibt
Kernkraftwerke, die sind größtenteils abgeschrieben und deshalb günstig. Es gibt große
Kohlekraftwerke und welche, die Gas und Öl verbrennen, die teuersten Brennstoffe in
deutschen Kraftwerkskesseln. Kurz: Es gibt teuer und billig.

Zugeschaltet wird, wenn es sich rechnet

28
Deutschland, mittags um zwölf. An der Strombörse klettert der Preis. Wer daran verdienen
kann, schaltet jetzt sein Kraftwerk zu – wenn sich das rechnet. Beispiel Gas: Gaskraftwerke
sind flexibel, wie eine Glühbirne kann man sie schnell an- und wieder abschalten. Aber Gas
ist auch teuer. Also werden die Kraftwerke erst zugeschaltet, wenn der Strompreis eine
bestimmte Schwelle überschritten hat, ansonsten würde das Kraftwerk ja Verluste machen.
Umgekehrt gilt damit: Den Strompreis bestimmt immer das letzte zugeschaltete Kraftwerk.
Ökonomen nennen seine Kosten die "Grenzkosten".

In der Theorie würden erst alle anderen Kraftwerke angeschaltet, die billigeren. Da liefen
zuerst Windräder oder Kernkraftwerke – reicht nicht, Preis steigt. Dann liefen alle
verfügbaren Kohlekraftwerke, reicht auch nicht, Preis steigt weiter. Dann schließlich würden
die Gaskraftwerke hinzukommen.

Ein Honda Civic Hybrid: Die Hybridtechnologie hilft nicht


nur beim Benzinsparen. Der Hybridmotor kann auch wie
ein Akku zum Speichern von Strom genutzt werden. Foto:
AP

Aber nicht nur die Brennstoffe, auch der


Klimaschutz hat in dieser Logik seinen Einfluss
auf den Preis. Schließlich müssen die
Stromerzeuger seit 2005 so genannte
Emissionsrechte besitzen, wenn sie Strom
erzeugen wollen. Das betrifft vor allem
Kraftwerke, die Braun- und Steinkohle
verbrennen. Sie bleiben nur solange am Netz, wie der Strompreis hoch genug ist, um den
Betrieb des Kraftwerks plus die nötige Kohle plus die Emissionsrechte zu finanzieren. Und
weil diese Emissionsrechte in der Europäischen Union (EU) von Jahr zu Jahr knapper werden,
steigt auch ihr Preis – und der des Stroms. Auf der anderen Seite sorgen erneuerbare Energien
für Entspannung. Je mehr Strom sie in das deutsche Netz einspeisen, desto weniger teure
Kraftwerke müssen arbeiten – also sinkt der Strompreis.

Der Strompreis wird an der Leipziger Börse gemacht

Im Ergebnis verdienen die vier großen deutschen Stromkonzerne an ihrem günstigsten Strom.
E.on, RWE, EnBW und Vattenfall Europe können in abgeschriebenen Kernkraftwerken
relativ preisgünstig produzieren, den Strom aber teuer über die Börse verkaufen. Das
allerdings weckte auch immer wieder den Verdacht der Manipulation. Schließlich könnten die
Unternehmen gezielt Kraftwerke aus dem Markt nehmen, um den Strom knapper zu machen
und so den Preis zu treiben. Bewiesen freilich wurde dieser Verdacht nie. Inzwischen geben
die großen Erzeuger auch Daten ihrer einzelnen Kraftwerke heraus. Sie legen dar, welches
Kraftwerk wann Strom erzeugt und welches vielleicht wegen einer Überprüfung stillsteht.

Aus der Kritik sind sie damit allerdings noch lange nicht. Zum einen wird nur rund ein
Sechstel des deutschen Stroms über die Leipziger Strombörse EEX gehandelt – und trotzdem
ist dieser Preis Richtschnur für alle Stromverträge: zwischen Erzeugern und Industrie,
zwischen Erzeugern und Stadtwerken, die oft ihren Strom zukaufen müssen. Damit gilt der
Börsenpreis letztlich für alle deutschen Haushalte. Gleichzeitig vereinen die vier großen
Stromkonzerne 80 Prozent aller Kraftwerks-Kapazitäten auf sich, obendrein betreiben sie
auch noch das komplette deutsche Hochspannungsnetz. Das sorgt für Misstrauen. Die EU-
Kommission hegt den Verdacht, die Konzerne könnten sich absprechen. Politiker schärfen die

29
Rechte des Bundeskartellamtes, manche fordern gar, die großen Konzerne zum Verkauf von
Kraftwerken zu zwingen.

In der Tat könnte mehr Strom von dritten Anbietern dem deutschen Markt helfen. Angelockt
von den hohen Strompreisen planen vor allem im Norden und Westen der Republik auch
Unternehmen jenseits der großen vier Stromkonzerne neue Kraftwerke, so zum Beispiel der
Stadtwerke-Verbund Trianel, die belgische Electrabel, Russlands Gazprom oder die dänische
Dong Energy. Dass deshalb aber die Strompreise sinken, ist eher unwahrscheinlich. Denn die
neuen Kraftwerke sind teure Kraftwerke, sie werden nur bei ausreichend hohen Strompreisen
zum Einsatz kommen. Und während der deutsche Kraftwerkspark in die Jahre kommt, sagen
immer mehr Firmen ihre Neubau-Projekte ab. Mal scheitern sie am Widerstand von
Bürgerinitiativen, mal haben sie Angst vor strengen Klimaschutz-Vorgaben, mal ist ihnen ihr
Kraftwerk schlicht zu teuer geworden: Hohe Stahlpreise haben schon manche Kalkulation
über den Haufen geworfen.

Rohstoffe werden rar, die Preise klettern

Die Auswirkungen auf die Stromkunden sind nicht günstig. Fehlen die neuen Kraftwerke,
fehlt auch der Wettbewerb zwischen den Erzeugern. Auch bleiben dann alte, wenig effiziente
Kraftwerke länger am Netz, die zu allem Überfluss viel Kohlendioxid in die Luft blasen.
Damit aber müssen die Erzeuger entsprechend viel für den Emissionshandel ausgeben – und
der Strompreis bleibt hoch. Kohle, Gas, selbst Uran sind inzwischen teils um ein Vielfaches
teurer als noch vor wenigen Jahren. Sinkende Strompreise jedenfalls zeichnen sich nicht ab.

Auch der Ölpreis hat inzwischen alle Prognosen weit übertroffen, regelmäßig stellt er
Rekorde ein. Wo er enden wird, weiß derzeit kein Mensch. Vor allem der wachsende
Energiehunger in den Boomländern Asiens hält die Nachfrage hoch, damit auch den Preis.

Entscheidend für die weitere Entwicklung des Ölpreises sind inzwischen zwei Fragen, eine
kurzfristige, eine langfristige. Auf kurze Sicht fragt sich, wie lange die Weltwirtschaft im
derzeitigen Tempo wächst, wie lange also für jeden Tropfen Öl solch eine Nachfrage besteht
wie derzeit. In den vergangenen Jahren konnten Händler relativ gefahrlos auf steigende Preise
wetten. Öl lässt sich gut lagern und hat eine treue Kundschaft. Verlieren aber Spekulanten die
Hoffnung auf steigende Ölpreise, könnte der Preis schnell fallen – die Erwartung weiter
fallender Preise führt dann in eine Spirale nach unten. Niemand will ein Gut lange besitzen,
das rasch an Wert verlieren könnte. Wie groß der "spekulative" Anteil am Ölpreis ist, vermag
jedoch niemand zu sagen. Schätzungen liegen mal bei 20 bis 30 Dollar, mal sogar darüber.

Wichtiger noch ist die langfristige Frage. Wann hat das Erdöl seinen Gipfel erreicht? Wann
ist der Tag, ab dem die globale Erdölförderung zurückgeht, weil sich die erschlossenen oder
leicht erschließbaren Vorräte dem Ende zuneigen? Und: Lassen sich darüber hinaus noch
Ölmengen wirtschaftlich fördern, also zu einem Preis, den Verbraucher auch zu zahlen bereit
sind? Wann dieser Punkt erreicht sein wird, ist seit fast hundert Jahren Gegenstand heftiger
Spekulationen. Bislang aber wurden alle Weltuntergansszenarien regelmäßig von der Realität
überholt. Auch lohnen sich mit steigenden Ölpreisen plötzlich Fördermethoden, die noch vor
wenigen Jahren als unrentabel galten – sodass die Ölreserven regelmäßig nach oben korrigiert
werden. So teuer wie heute allerdings war Öl noch nie. Und damit auch Erdgas, dessen Preis
meist an den des Öls gekoppelt ist.

Am Ende sind auch die Stromkunden gefragt

30
Deutschland, mittags um zwölf, im Jahr 2025. Überall gehen die Herdplatten an, aber der
Strompreis steigt sachte. In Nord- und Ostsee weht eine steife Brise, der Strom schwemmt ins
Land. Die Waschmaschine steht still, sie wartet auf einen günstigeren Strompreis an der
Börse. Das Hybrid-Auto parkt am Stromdock, seine Batterie entlädt sich gerade und sorgt so
für zusätzliches Stromangebot. Später, wenn die Nachfrage fällt und damit der Strompreis,
wird es sich wieder aufladen.

Eine Vision nur. Aber Experten sehen die Lösung des Problems zunehmend auch bei den
Stromkunden, nicht mehr nur bei Kraftwerken oder Strombörse. Lässt sich der Verbrauch
besser steuern, etwa durch intelligente Stromzähler und durch Hausgeräte, die nur in Zeiten
billigen Stroms laufen, dann bräuchte es auch weniger Kraftwerke. Ließe sich noch weit mehr
Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen, würde das Land auch unabhängiger von teuren
Brennstoffen, außerdem kämen weitere Stromerzeuger auf den Markt – mehr als nur vier.
Und ließe sich dann noch Strom speichern, etwa durch ein Netz von Hybrid-Fahrzeugen, die
beim Parken Strom aufnehmen oder abgeben, dann könnte sich manches Energiepreis-
Problem über Nacht erledigen. Das ist das Gute jeder Krise, und sei es eine Versorgungskrise:
Es liegt eine riesige Chance darin.

31
Regulierung des Energiemarkts

Wie wird in den Strom- und Gasmarkt bislang eingegriffen?

Zur Person:
Ariette Nüßler arbeitet seit 2007 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Energiewirtschaftlichen Institut der Universität zu Köln und beschäftigt sich u.a.
mit der Regulierung des deutschen Strommarktes sowie dem Marktdesign des
deutschen und der europäischen Regelenergiemärkte. Sie studierte "International
Economic Studies" (Volkswirtschaftslehre) an der Universität Maastricht,
Niederlande.

Die einen fordern mehr Regulierung, die anderen warnen vor einer
Überregulierung. Besonders um den Strommarkt wird gestritten:
Steigende Strompreise lassen das Misstrauen gegenüber der
Energiewirtschaft wachsen. Aber wer reguliert eigentlich den
deutschen Strommarkt und wie?

Untergrundspeicher für Erdgas in Bad


Lauchstädt. Aufgrund ihrer
Monopolstellung unterliegen die
Gasnetzbetreiber der Regulierung durch
die Bundesnetzagentur bzw. durch die
entsprechenden Agenturen auf
Landesebene. Foto: AP

Regulierung stellt den Eingriff des


Staates in das Marktgeschehen dar,
mit dem Ziel entweder
Marktversagen zu korrigieren oder
staatliche Ziele durchzusetzen.
Teile des deutschen und
europäischen Energiemarktes
unterliegen einer solchen Regulierung. Die verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette
beim Strom – d.h. die einzelnen Schritte vom Kraftwerk bis zur Steckdose des
Endverbrauchers – können in (1) Erzeugung, (2) (Groß-) Handel, (3) Transportnetze (Hoch-
und Höchstspannung), (4) Vertrieb, und (5) Verteilnetze unterteilt werden. Vor der
Liberalisierung des Strommarktes 1998 wurden jeweils die ersten drei Stufen (z.B. die
Energiekonzerne RWE, E.ON, Vattenfall, EnBW) bzw. Stufe 4 und 5 (z.B. Stadtwerke) von
jeweils nur einem einzelnen Energieversorgungsunternehmen (EVU) durchgeführt. Man
spricht hier von vertikal integrierten Unternehmen. Durch die Liberalisierung wurde auf den
Stufen Erzeugung, (Groß-)Handel und Vertrieb freier Wettbewerb eingeführt.

Notwendigkeit für Regulierung im Energiemarkt

Die Transport- und Verteilnetze hingegen stellen ein so genanntes natürliches Monopol dar –
d.h. ein Anbieter kann das Gut "Stromtransport" kostengünstiger bereitstellen als mehrere
Anbieter. Dies ist dadurch zu erklären, dass Stromtransport – ähnlich wie z.B. die Eisenbahn
– an eine Infrastruktur, also die Stromnetze, gebunden ist, die einen Großteil der Kosten
ausmachen. Mehrere parallele Stromnetze, wie es im Falle mehrerer Anbieter nötig wäre, sind
nicht sinnvoll, da dies teurer wäre. Folglich wurde auf dieser Stufe das Gebietsmonopol der
Netzbetreiber beibehalten. Die EVU mussten allerdings den Unternehmenszweig Transport-

32
und/oder Verteilnetze auf rechtlicher, operationeller, informatorischer sowie buchhalterischer
Ebene von den übrigen, dem Wettbewerb ausgesetzten Märkten trennen.

Damit wurden bei der so genannten vertikalen Entflechtung oder "unbundling" zwar
eigenständige Unternehmen ausgegründet, diese verblieben jedoch im Besitz des
Mutterkonzerns. Bei der zurzeit diskutierten eigentumsrechtlichen Entflechtung ("ownership
unbundling") ist es hingegen nicht mehr zulässig, dass sich innerhalb eines Mutterkonzerns
sowohl ein monopolistisches (und daher reguliertes) als auch ein dem Wettbewerb
ausgesetztes Unternehmen der Energiewirtschaft befinden. Das bedeutet, dass ein
Unternehmen nicht mehr zugleich Energie erzeugen und verteilen darf, so wie es bei den
Energiekonzernen RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW aktuell der Fall ist. Die Trennung von
Erzeugung und Transport wäre dann notwendig.

Alle Teilnehmer in vor- und nachgelagerten Märkten sind auf die Nutzung der Netze
angewiesen und müssen dafür Netzentgelte bezahlen. Ein Kraftwerk muss an das Netz
angeschlossen sein, und Vertriebsunternehmen müssen das Netz nutzen, um ihre Kunden zu
erreichen. Aufgrund der Monopolstellung der Transport- und Verteilungsnetzbetreiber ist
allerdings zu befürchten, dass sie diese ausnutzen, indem sie überhöhte Preise fordern und
somit Übergewinne, so genannte Monopolrenten, einfahren. Oder aber, dass sie
konzernfremde Netznutzer durch höhere Preise oder Verzögerungen beim Netzanschluss
diskriminieren, um dem eigenen Unternehmen in anderen Teilen der Wertschöpfungskette
einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Folglich ist eine Regulierung des natürlichen
Monopols "Netz" notwendig, um Monopolrenten der Netzbetreiber zu verhindern sowie den
Wettbewerb auf den anderen Teilmärkten zu ermöglichen.

Regelungen in Deutschland und der EU

Strommasten
Seit 2005 überwacht und kontrolliert die Bundesnetzagentur
den Netzzugang und die Netznutzungsentgelte sowohl des
Strom- als auch des Gasmarktes. Foto: AP

Den rechtlichen Rahmen für die Umsetzung und


Regulierung eines wettbewerbs- orientierten
Energiebinnenmarkts der Europäischen Union
(EU) bilden auf EU-Ebene die EU-Binnenmarkt-
richtlinien Elektrizität (1996) und Gas (1998).
2003 wurde zusätzlich die so genannte
Beschleunigungsrichtlinie erlassen, die
einheitliche Wettbewerbsbedingungen aller Mitgliedstaaten anstrebt, indem diverse
Wahlmöglichkeiten bei der Ausgestaltung des Marktes abgeschafft wurden. In Deutschland
wurden die EU-Vorgaben durch das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG von 1998) und das
novellierte EnWG vom 13. Juli 2005 in nationales Recht umgesetzt.

In der Bundesrepublik gibt es mehrere Regulierungsbehörden. Zum einen gibt es auf


Bundesebene die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und
Eisenbahn (BNetzA) mit Sitz in Bonn, die eine selbständige Behörde im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie ist. Auf Länderebene gibt es die
jeweiligen Landesregulierungsbehörden. Die Landesbehörden sind für alle EVU zuständig,
deren Netze sich innerhalb des jeweiligen Bundeslandes befinden und an deren Netz weniger
als 100.000 Kunden angeschlossen sind. Für alle übrigen EVU ist die BNetzA zuständig.

33
Die Regulierungsbehörden sorgen für die Einhaltung des EnWG sowie des Europäischen
Gemeinschaftsrechts. Des Weiteren treiben sie die Liberalisierung und Deregulierung voran
und sollen einen diskriminierungsfreien Netzzugang und effiziente Netznutzungsentgelte
garantieren. Die konkreten Tätigkeiten umfassen u.a.: (1) die Genehmigung und/oder
Festlegung der Netzentgelte für Strom und Gas, (2) die Überwachung der Entflechtung
("unbundling"), (3) die Verbesserung der Netzanschlussbedingungen und die Beseitigung von
Hindernissen beim Netzzugang sowie (4) die Missbrauchsaufsicht.

Regulierung des Netzzugangs

Noch in der EU-Stromrichtlinie von 1996 wurde den teilnehmenden Ländern die Möglichkeit
offen gelassen, entweder einen verhandelten oder einen regulierten Netzzugang zu wählen.
Alle Mitgliedsstaaten mit Ausnahme von Deutschland wählten einen regulierten Netzzugang:
Hierbei werden die Tarife und Konditionen für den Netzzugang durch die
Regulierungsbehörde des jeweiligen Landes festgelegt. In Deutschland hingegen erfolgte im
Rahmen des EnWG (1998) die Einführung des verhandelten Netzzugangs [1].

Dies erlaubte es den jeweiligen Netzbetreibern die Bedingungen für den Netzzugang
eigenverantwortlich zu überwachen und zu kontrollieren. Ausschlaggebend dafür war die
Initiative verschiedener Verbände, die, um einem regulierten Netzzugang zu entgehen, die so
genannte Verbändevereinbarung beschlossen: Hierbei einigten sich verschiedene
Interessensgruppen (u.a. der Verband der Netzbetreiber (VDN), der Bundesverband der
Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und der Bundesverband der deutschen Industrie
(BDI)) darauf, Dritten gegenüber den Markt für Netzdienstleistungen zu öffnen.

Die EU Beschleunigungsrichtlinie von 2003 beendete die Wahlfreiheit zwischen einem


verhandelten und einem regulierten Netzzugang, so dass nur noch ein regulierter Zugang
zulässig ist. Außerdem wurde den Mitgliedsländern die Einrichtung einer
Regulierungsbehörde vorgeschrieben. Seit 2005 wird daher der Netzzugang und die
Netznutzungsentgelte sowohl des Strommarktes als auch des Gasmarktes durch die BNetzA
überwacht und kontrolliert.

Die Ex-Post-Regulierung der Netznutzungsentgelte

Ebenso wie der Netzzugang unterliegen auch die Netznutzungsentgelte der Regulierung. Seit
der Novellierung des EnWG (2005) basiert das Regulierungskonzept auf der so genannten
kostenorientierten Ex-Post-Regulierung. Dabei setzt der Netzbetreiber die Tarife und
Konditionen selbst fest und übermittelt die bei den Kunden erhobenen Kosten an die BNetzA.
Diese überprüft anhand von Strukturklassen, ob die Entgelte auf Grundlage der anfallenden
Kosten einer effizienten Betriebsführung gebildet wurden [2]. Nach dieser Richtlinie dürfen
die Kosten nicht höher sein als die durchschnittlichen Kosten aller Netzbetreiber pro
Strukturklasse. Strukturklasse heißt hierbei, dass die Netzbetreiber nur mit solchen
Unternehmen verglichen werden, die ähnliche Netzbedingungen haben. Unternehmen, die
beispielsweise in Bergregionen agieren, stehen durch die Netzausbauten einem höheren
Kostenaufwand gegenüber als Unternehmen in flachen Gebieten. Somit werden
Kostenstrukturunterschiede berücksichtigt.

Die Vorteile der kostenorientierten Regulierung liegen darin, dass die BNetzA unmittelbar auf
unangemessene Tarife reagieren kann, indem sie ein direktes Bußgeldverfahren einleitet.
Weiterhin setzt ein Vergleich mit strukturell ähnlichen Unternehmen Anreize, diesen
Kostendurchschnitt nicht zu überschreiten. Nachteilig an dieser Regulierungsform ist, dass die

34
erlaubten Tarife sich an den tatsächlichen Kosten der Unternehmen orientieren, wodurch
diese kaum Anreiz haben, ihre Kosten durch technologische Neuerungen oder durch
effizientere Investitionsentscheidungen zu senken. Vielmehr kann diese Regulierungsform zu
einem Übermaß an Investitionen und somit zu höheren Tarifen führen [3]. Außerdem bedarf
es eines hohen administrativen Aufwands durch die BNetzA und einer häufigen
regulatorischen Überprüfung.

Die Ex-Ante-Regulierung nutzt eine Erlösobergrenze

Diese Form der Regulierung der Netznutzungsentgelte soll nun abgelöst werden: Mit der am
13.06.2007 durch das Bundeskabinett verabschiedeten Anreizregulierungsverordnung [4]
wurde eine neue und im Ausland bereits häufig angewandte Erlösobergrenzenregulierung
beschlossen, die 2009 in Kraft tritt. Diese Regulierungsform sieht vor, dass die BNetzA den
Netzbetreiber für den Zeitraum einer Regulierungsperiode von fünf Jahren im Voraus, also
ex-ante, die maximalen Erlöse festsetzt. Die Höhe der Erlösobergrenze berechnet sich auf der
Grundlage von Kostendaten, zu deren Übermittlung der Netzbetreiber verpflichtet ist. Die
Kostendaten werden dabei mit den Daten aller Unternehmen verglichen, um die Effizienz im
Verhältnis zu anderen Unternehmen bewerten zu können. Basierend auf diesem bundesweiten
Effizienzvergleich setzt die BNetzA für jedes Unternehmen eine Erlösobergrenze fest. Wenn
sie die vorgegebenen Effizienzziele übertreffen und somit geringere Kosten haben, können sie
überdurchschnittliche Erlöse erwirtschaften.

Durch die Erlösobergrenzenregulierung steigt für die Netzbetreiber jedoch der Anreiz,
notwendige Investitionsaufwendungen zu vernachlässigen, um Kosten zu reduzieren und
somit einen höheren Gewinn zu generieren. Dies könnte zu einer Verringerung der
Versorgungsqualität führen.[5] Um diesem Anreiz entgegenzuwirken, müssen die
Netzbetreiber zum einen verschiedene Berichts- und Dokumentationspflichten erfüllen. Zum
anderen ist die gleichzeitige Einführung einer Qualitätsregulierung vorgesehen. Die Idee
dabei ist, die Erlösobergrenze in Abhängigkeit der bereitgestellten Qualität – d.h. in Form der
Dauer und der Häufigkeit von Stromausfällen – durch Straf- und Bonuszahlungen
anzupassen.

Mit der Einführung der Erlösobergrenzenregulierung wird das Ziel verfolgt, den
Netzbetreibern durch eine Beschränkung der Erlöse einen stärkeren Anreiz zur
Kostensenkung durch technologischen Fortschritt oder effizienteren Einsatz von Ressourcen
zu geben. Weiterhin haben die Netzbetreiber die Möglichkeit bei einer frühzeitigen
Effizienzsteigerung innerhalb der Regulierungsperiode entsprechende Gewinne zu generieren.
Zugleich profitieren die Kunden nach Ablauf der Regulierungsperiode durch Weitergabe der
Kostensenkung von niedrigeren Netznutzungsentgelten, welche derzeit rund ein Drittel des
Strompreises ausmachen.

35
Der Energiebinnenmarkt der EU
Ein fairer Wettbewerb findet bislang nicht statt
Oliver Geden
Zur Person

Dr. Oliver Geden ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung


Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Er ist (gemeinsam mit Severin
Fischer) Autor des Buches "Die Energie- und Klimapolitik der
Europäischen Union. Bestandsaufnahme und Perspektiven" (Nomos-
Verlag, 2008).

Bis heute gibt es keinen integrierten EU-Binnenmarkt für Gas und Strom.
Doch gemäß dem Prinzip der Nicht-Diskriminierung muss es auch für die
Anbieter von Strom und Gas einen fairen Wettbewerb geben. Darüber hinaus ist nur so eine
EU-weite Energie-Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Offshore Windpark vor der Küste Dänemarks


bei Esbjerg. Innerhalb der EU schwanken
nicht nur die Preise für Strom und Gas, auch
der Grad der Liberalisierung der Märkte ist je
nach Mitgliedsstaat verschieden. Foto: AP

Die Europäische Union (EU) verfügt


seit 1993 über einen sehr weitgehend
integrierten Binnenmarkt, der in vielen
Wirtschaftssektoren für europaweit
einheitliche Bedingungen sorgt und
einen diskriminierungsfreien Zugang
aller Anbieter in jedem Mitgliedstaat
gewährleistet. Eine der bedeutendsten
Ausnahmen bildet der Handel mit den leitungsgebundenen Energieträgern Strom und Gas.
Trotz zahlreicher Anläufe will das Projekt der Schaffung eines funktionierenden
Energiebinnenmarkts bis in die Gegenwart nicht gelingen. Die nationalen Energiemärkte sind
grenzüberschreitend kaum miteinander verknüpft, und die Mitgliedstaaten unterscheiden sich
stark in ihrer Energiepolitik.

Betrachtet man den EU-Gesamtenergiemix, so halten die fossilen Energieträger Öl (36,9


Prozent), Gas (24 Prozent) und Kohle (17,8 Prozent) nach wie vor die größten Anteile.
Atomenergie macht 14 Prozent aus und die Erneuerbaren Energieträger kommen auf 7,1
Prozent. Die Importabhängigkeit ist bei Rohöl mit 84 und bei Erdgas mit 61 Prozent schon
jetzt sehr hoch, bei Kohle beträgt sie vergleichsweise niedrige 41 Prozent. Problematisch ist
dabei nicht zuletzt auch die Abhängigkeit von nur wenigen Lieferländern. So deckt Russland
im Gassektor 42 Prozent des Importbedarfs, gefolgt von Norwegen mit 24 und Algerien mit
18 Prozent. Da sich die Energiemärkte weltweit in einer Umbruchphase befinden, sind
zukünftige Trends derzeit nur sehr schwer zu bestimmen. Sicher ist lediglich, dass der Anteil
der Erneuerbaren Energien in Europa deutlich ansteigen wird. Bis 2020 soll er auf mindestens
20 Prozent ausgebaut werden.

Bei der Bewertung solcher Zahlen muss immer berücksichtigt werden, dass es sich lediglich
um europäische Durchschnittswerte handelt. Die Strukturen in den einzelnen Mitgliedstaaten
unterscheiden sich zum Teil beträchtlich voneinander. So weist etwa Frankreich mit 42

36
Prozent einen besonders hohen Anteil von Atomenergie auf. Polens Energieversorgung
basiert größtenteils auf Kohle (58 Prozent). Schweden erreicht bei den Erneuerbaren Energien
einen Anteil von knapp 30 Prozent. Ähnlich ungleich verteilt sind Ausmaß und Herkunft der
Energieeinfuhren. Während einige wenige Mitgliedstaaten gegenwärtig sogar mehr Rohstoffe
fördern als sie selbst verbrauchen – so zum Beispiel Dänemark bei Öl und Gas,
Großbritannien bei Öl, Tschechien und Polen bei Kohle – sind viele Staaten fast vollständig
auf Energieimporte angewiesen. Insbesondere im Gassektor existieren häufig 100-prozentige
Abhängigkeiten von einem einzigen Lieferanten. In Mittel- und Osteuropa ist dieser Lieferant
in der Regel Russland, auf der iberischen Halbinsel aber wird der Bedarf überwiegend aus
afrikanischen Quellen gedeckt.

Ein fairer Wettbewerb findet noch nicht statt

Atomkraftwerk Doel in Belgien. Jeder Staat der EU hat seinen eigenen


Energiemix. Die Anteile von Atomenergie und erneuerbaren Energien
variieren dabei stark. Foto: AP

Die zum Teil deutlichen Unterschiede zwischen den


Mitgliedstaaten sind vor allem deshalb relevant, weil die
nationalen Energiemärkte auch heute noch weitgehend
voneinander abgeschottet sind. Es existiert bislang kein
einheitlicher europäischer Binnenmarkt für die
leitungsgebundenen Energieträger Strom und Gas. Zudem
sind auch die Marktstrukturen innerhalb einzelner
Mitgliedstaaten nur unvollständig liberalisiert und
unzureichend reguliert worden. Da Aufbau und Wartung
großflächiger Strom- und Gasnetze sehr hohe Investitionen
erfordern, sind auf den mitgliedstaatlichen und/oder
regionalen Energiemärkten heute diejenigen
Energieversorgungsunternehmen im Vorteil, die als
einstige Gebietsmonopolisten nach wie vor über die
Übertragungs- und Fernleitungsnetze verfügen. Unternehmen wie die französische EdF oder
die deutsche RWE produzieren nicht nur selbst Strom (oder fördern bzw. importieren Gas),
sie betreiben zudem die Netze und sind zum Teil auch direkt im lukrativen
Endkundengeschäft tätig.

In der Logik des EU-Binnenmarkts gelten Strom und Gas jedoch als warenförmige Güter.
Deshalb muss es gemäß dem Prinzip der Nicht-Diskriminierung jedem neuen Anbieter
möglich sein, seine Ware Strom bzw. Gas in jedem Mitgliedstaat ungehindert zu verkaufen.
Da es für einen neuen Produzenten zu kostspielig und in volkswirtschaftlicher Perspektive
auch widersinnig wäre, zu diesem Zweck jeweils eigene Leitungen aufzubauen, kommt der
Regulierung des Netzzugangs eine entscheidende Bedeutung zu. Zwar sind die
Netzeigentümer in der gesamten EU zur Durchleitung von Strom- und Gaslieferungen Dritter
grundsätzlich verpflichtet. Doch wenn diese selbst auch Energieproduzenten oder -importeure
sind, haben sie nur ein geringes Eigeninteresse daran, die neuen Anbieter fair zu behandeln.
Nicht selten lehnen sie die Durchleitung mit dem Argument ab, die Kapazität ihres Netzes sei
bereits ausgelastet, während sie gleichzeitig notwendige Erweiterungsinvestitionen
verweigern oder hohe Durchleitungsgebühren verlangen. Ein fairer Wettbewerb wird dadurch
behindert.

Verstärkt wird diese Problemkonstellation durch den in der EU nur unzureichenden Ausbau
grenzüberschreitender, die nationalen Energienetze verknüpfender Energieleitungen, so

37
genannter Interkonnektoren. Zudem werden zwischenstaatliche Unterschiede bei technischen
Standards nur sehr langsam angeglichen, was den grenzüberschreitenden Handel ebenfalls
behindert. Ein Wettbewerb zwischen Energieversorgern verschiedener Mitgliedstaaten findet
dementsprechend kaum statt.

Die nationalen Preisniveaus weisen vor allem im Stromsektor sehr große Unterschiede auf. In
vielen EU-Staaten haben sich bis heute Quasi-Monopole oder -Oligopole halten können, etwa
in Frankreich oder Deutschland. Ausnahmen bilden einige wenige Länder mit vollständig
oder weitgehend liberalisierten Energiemärkten: allen voran Großbritannien, die Niederlande
sowie die skandinavischen Staaten. Ein Großteil der mitgliedstaatlichen Regierungen
betrachtet die Energieversorgung jedoch immer noch vornehmlich als zentralen Bestandteil
der "nationalen Souveränität" und begegnet häufig selbst Unternehmen aus anderen EU-
Staaten mit großem Misstrauen. Zudem existieren nach wie vor auch "Energieinseln", die –
wie im Stromsektor etwa die baltischen Staaten – nur unzureichend an die europäischen
Verbundnetze angeschlossen sind und im Krisenfall nur notdürftig aus anderen EU-Staaten
mitversorgt werden können.

Der Ausbau des Energiebinnenmarkts lässt auf sich warten

Innerhalb der EU ist es insbesondere die mit einem Initiativmonopol und weitgehenden
kartellrechtlichen Kompetenzen ausgestattete Kommission, die sich dem Projekt einer
"Vollendung" des Energiebinnenmarkts verschrieben hat. Die Gesetzgebungsorgane, der EU-
Ministerrat und das Europäische Parlament agieren in dieser Frage jedoch weitaus
zögerlicher. Der Ausbau des Energiebinnenmarktes kommt deshalb nur sehr schleppend
voran. Die ersten Liberalisierungsrichtlinien wurden bereits 1996 für Strom und 1998 für Gas
erlassen. Aufgrund nur mangelhafter Fortschritte bei der Umsetzung folgten 2003 zunächst
zwei Binnenmarkt-Beschleunigungsrichtlinien. Anfang 2007 kam die Kommission nach einer
eingehenden Untersuchung der Energiemärkte zu dem Schluss, dass weitere gesetzliche
Regelungen notwendig sind.

Im Vordergrund stehen dabei insbesondere die wirksame Trennung der Energieproduktion


von den Übertragungs- bzw. Fernleitungsnetzen, eine Ausweitung der Befugnisse der
nationalen Regulierungsbehörden sowie ein Ausbau der Interkonnektoren. Im September
2007 legte die Kommission ein Paket mit fünf neuen Gesetzesvorschlägen vor, über die
seither erbittert gestritten wird. Obwohl auch die Mitgliedstaaten, das Parlament und selbst
die Energieversorgungsunternehmen eine stärkere Integration der europäischen
Energiemärkte grundsätzlich befürworten, gehen die Meinungen über Auswahl und
Eingriffstiefe der Maßnahmen weit auseinander. Und auch innerhalb der verschiedenen
Akteursgruppen existiert zu den Kommissionsvorlagen keineswegs eine einheitliche Haltung.
Wann die Richtlinien- und Verordnungsvorschläge in eine verbindliche Gesetzesform
gegossen werden können, ist angesichts der großen Uneinigkeit noch nicht abzusehen.

Die EU-Staaten müssten in Energiefragen Souveränität aufgeben

Doch die Schaffung eines funktionierenden Energiebinnenmarkts ist ein zentrales


Handlungsfeld der europäischen Energiepolitik, mit mittelfristig großen Potenzialen nicht nur
in Fragen der Wettbewerbsfähigkeit. Ebenso zentral ist ein integrierter Energiebinnenmarkt in
Fragen der Versorgungssicherheit, denn nur so sind Solidaritätslieferungen im Krisenfall
technisch realisierbar. Sollte es tatsächlich zu einem freien europäischen Markt für den
Handel mit Energieträgern kommen, so wird dies langfristig auch tiefgreifende
Veränderungen in der europäischen Energiepolitik nach sich ziehen, vor allem durch eine

38
weitgehende Relativierung der nationalen Souveränität in energiepolitischen Fragen. Wenn
das Ziel, jedem Anbieter einen diskriminierungsfreien Zugang zum europäischen
Energiemarkt zu eröffnen, erreicht würde, könnte ein Mitgliedstaat zwar noch immer starken
Einfluss darauf nehmen, wie sich die Energieproduktion auf seinem Territorium gestaltet:
etwa durch den Vollzug des Ausstiegs aus der Atomenergie wie in Deutschland oder deren
Ausbau wie in Finnland und in Frankreich. Doch der Einfluss der Mitgliedstaaten in der
letztlich entscheidenderen Frage, nämlich auf welche Energieträger sich der heimische
Verbrauch stützt, würde drastisch schwinden.

Durch den freien Markt würde sich die Bedeutung der nationalen Souveränität über die
Energieerzeugung relativieren und deren Struktur zu einer gesamteuropäischen Frage werden.
Eine energiepolitische Steuerung wäre auf mitgliedstaatlicher Ebene nur noch eingeschränkt
möglich bzw. sinnvoll. Im Fokus der Akteure im EU-Ministerrat stünde nicht mehr der
jeweilige nationale Energiemix, sondern weitaus stärker als heute die gemeinsame
europäische Energieversorgungsstruktur.

39
Die EU-Energiestrategien
Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Energieaußenpolitik?
Frank Umbach
Zur Person
Dr. Frank Umbach, geb. 1963, ist derzeit Senior Associate für internationale
Energiesicherheit am Centre for European Security Strategies (CESS), München-Berlin.
Zuvor war er von 1996 bis Ende 2007 Programmleiter für internationale Energiesicherheit
und Sicherheitspolitik in Asien-Pazifik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige
Politik (DGAP). Er ist u.a. Autor des Buches "Globale Energiesicherheit: Strategische
Herausforderungen für die europäische und deutsche Außenpolitik".

Für die EU spielte eine gemeinsame Energieaußenpolitik lange Zeit keine


Rolle. Erst in jüngster Zeit versucht man gemeinsame Positionen zu erarbeiten, wenn auch
regelmäßig Rückschläge drohen. Doch die Notwendigkeit machte nicht zuletzt der russisch-
ukrainische Gaskonflikt deutlich, auch der aktuelle Konflikt in Georgien trägt dazu bei.

Baustelle der Ostsee-Pipeline von Russland


nach Deutschland. Es gab viel Kritik an dem
Vertrag zwischen dem russischen
Energiekonzern Gazprom und den deutschen
Firmen BASF und E.ON. Polen, die
baltischen Staaten und auch Schweden haben
Bedenken. Foto: AP

Am 8. bis 9. März 2007 ist auf dem


Frühjahrsgipfel der Staats- und
Regierungschefs der EU im Rahmen
ihrer gemeinsamen "integrierten
Klima- und Energiepolitik" u.a. ein
"Energieaktionsplan" verabschiedet
worden, der auch eine gemeinsame "Energieaußenpolitik" der EU-Staaten vorsieht. Bis dahin
wurde weder in Deutschland noch der EU eine spezifische Energieaußenpolitik als notwendig
erachtet.

Während in den USA und Asien die nationale Energiepolitik stets mit ihrer Außen- und
Sicherheitspolitik verbunden waren und Energieversorgungssicherheit sowie
importabhängigkeiten im Mittelpunkt ihrer Staatsräson standen, war ihre Bedeutung in
Europa seit der Ölkrise in den 1970er Jahren weitgehend in Vergessenheit geraten.

Europa setzte mehr denn je auf einen marktwirtschaftlichen Ansatz, bei dem
Energieversorgungssicherheit keine größere Bedeutung zugewiesen wurde. Demnach
schienen auch Diskussionen über die globale Bedeutung und die außenpolitischen
Auswirkungen des Energiehungers Chinas und Asiens auf Europa und Deutschland
entbehrlich. Die Frage der Energieversorgungssicherheit (mit Ausnahme der strategischen Öl-
und Gasbevorratung) konnte so weitgehend der Privatindustrie überlassen werden. Je weniger
sich der Staat in die Energiepolitik einmischte, um so besser.

Obwohl ein solcher Ansatz wünschenswert ist, suggeriert ein solches Denken, dass
Energiepolitik quasi in einem politikleeren Umfeld stattfindet und sich Europa von der
Außenwelt trotz eines globalen Erdölmarktes abkoppeln könnte. Vor allem in Deutschland
erschöpften sich die zumeist provinziellen Debatten der Energiepolitik in der Befürwortung
oder Gegnerschaft von Kernenergie und erneuerbaren Energien. Selbst nach den

40
Terroranschlägen vom 11. September 2001 – 11 der 15 Terroristen kamen aus Saudi-Arabien,
der weltweit größte Erdölproduzent und –exporteur mit den global größten Erdölreserven –
sahen die EU-Staaten im Gegensatz zum Rest der Welt bis 2003/2004 keinen Anlass, die
künftige europäische Energiesicherheit zu thematisieren.

Erste Ansätze einer gemeinsamen EU-Energie(außen)politik

Bundeskanzlerin Merkel und EU-


Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso (hier
im Bild) auf dem EU-Gipfel im März 2007.
Erstmals verabschiedete die EU einen Aktionsplan
zu einer gemeinsamen "integrierten Klima- und
Energiepolitik". Foto: AP

Nur die Europäische Kommission hatte


sich mit ihrem ersten Grünbuch vom
November 2000 frühzeitig mit Fragen der
künftigen Energiesicherheit der EU
beschäftigt und dringenden
Handlungsbedarf für eine gemeinsame
Energiepolitik signalisiert, da in den
kommenden 20 bis 30 Jahren bis zu 70
Prozent ihrer Energienachfrage durch höhere Importe aus zumeist politisch instabilen
Produzentenstaaten gedeckt werden müssten – gegenwärtig sind es 50 Prozent.

Erstmals hatte das Thema "Energiesicherheit" und ihre außenpolitischen Dimensionen im


Dezember 2003 in der ersten globalen "Europäischen Sicherheitsstrategie" der EU (dem
wichtigsten Dokument der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, GASP) kurze
Erwähnung gefunden. Erstaunlich war einerseits, wie sehr die GASP konzeptionell auf einem
"erweiterten Sicherheitsbegriff" fußen sollte, andererseits, wie schwer es den Mitgliedsstaaten
fiel, diesen zu konzeptionalisieren und "Energiesicherheit" auch als außen- sowie
sicherheitspolitische Herausforderung sowie als politisches Querschnittsthema zu begreifen.
Einmal mehr war es das britische Foreign & Commonwealth Office, das als erster EU-
Mitgliedsstaat eine internationale "Energy Strategy" mit außenpolitischen Gesichtspunkten
veröffentlichte.

Die Kommission hatte seit Ende 2000 nicht nur konkrete Ideen und Strategien für eine
gemeinschaftliche Energieaußenpolitik (oder "Auswärtige Energiebeziehungen")
vorgeschlagen, sondern diese mit ihren begrenzten Kompetenzen in Form einer Vielzahl von
Energiedialogen als Teil ihrer "äußeren Energiebeziehungen" sowohl mit Produzenten- und
Transitstaaten an der Peripherie Europas als auch auf globaler Ebene bis 2006 bereits
implementiert.

Der strategische Wandel des internationalen Umfeldes

Der russisch-ukrainische Gaskonflikt Anfang 2006 war aus Sicht der Kommission und
zahlreicher Energieexperten keineswegs lediglich ein Konflikt nur über die Anhebung der
Gaspreise auf ein marktgerechteres Niveau. Die EU hatte sich in ihrer Energiepartnerschaft
mit Russland im Oktober 2000 einer verstärkten interdependenten Abhängigkeit mit Russland
verschrieben, die jedoch auf der Erwartung gründete, dass Russland seine
marktwirtschaftliche Ausrichtung noch verstärke und keine weitergehenden geopolitischen
Ambitionen verfolge.

41
Doch die Energiepolitik Putins verkehrte sich ins Gegenteil: In der Innenpolitik wurde die
Energiewirtschaft einer weitgehenden Renationalisierung unterzogen, die zugleich die
Voraussetzung für die Instrumentalisierung der Energieressourcen, der energiepolitischen
Abhängigkeiten und der Pipelinediplomatie für die Außen- und Sicherheitspolitik Russlands
bildete. Die von der EU forcierte Liberalisierung ihrer Energiewirtschaft und besonders des
Gassektors steht jedoch im diametralen Gegensatz zur Bewahrung und zum Ausbau der
energiepolitischen Monopolstrategien Russlands, die nur begrenzten Spielraum für eine
wirklich partnerschaftliche Energiepolitik lassen.

Problematisch ist in diesem Zusammenhang vor allem der hohe Gasimportbedarf für die
nächsten Jahre und Jahrzehnte. Bereits heute ist Europa der größte Erdgasimportmarkt (2005:
EU-27 = 317 Milliarden Kubikmeter) und wird bis 2030 nach Prognosen der Internationalen
Energieagentur (IEA) in Paris mit fast 490 Milliarden Kubikmeter (USA: 159, China/Indien:
83 Milliarden Kubikmeter) weiter den absoluten Spitzenplatz unter den Gasimporteuren der
Welt behalten. Doch bereits gegenwärtig stammen rund 80 Prozent der Gasimporte aus nur
drei Ländern: Russland (42%), Norwegen (24%) und Algerien (18%).

Viele Länder betreiben einen Ressourcennationalismus

Zudem haben der wirtschaftliche Aufstieg und die rapide zunehmende Energienachfrage
Asiens (vor allem Chinas) zahlreiche Fragen auch für die Außen- und Sicherheitspolitik der
EU aufgeworfen. So haben sich die EU-China-Beziehungen in den letzten Jahren durch eine
unterschiedliche Interessenlage als Folge der neuen energiepolitischen Abhängigkeiten sowie
der tradierten Nichteinmischungspolitik Pekings in der Iran-, Afrika- (wie im Sudan) und
Zentralasienpolitik stark gewandelt.

Noch weitaus gravierender sind die weltweiten Trends in Richtung einer Renationalisierung
der Energiepolitik und eines Ressourcennationalismus vieler Länder. Aufgrund der
weltweiten Nachfrageexplosion nach Öl und Gas, der zunehmenden politischen Instabilitäten
in vielen Produzentenländern und der befürchteten "Spitzennachfrage" nach Erdöl ("Peak
Oil") im Zeitraum 2010 bis 2020 hat sich das globale Kräfteverhältnis zwischen
Energieproduzenten und -konsumenten bereits grundlegend verändert. Die Produzentenländer
sind politisch wesentlich gestärkt worden: Je höher die durchschnittlichen Öl- und Gaspreise
auf dem internationalen Markt sind, desto geringer ist die Bereitschaft von Regierungen zu
interner politischer sowie wirtschaftlicher Reform und desto konfrontativer droht ihre Außen-
und Sicherheitspolitik zu werden. Dies hat einen "Petro-Autoritarismus" mit weitreichenden
Auswirkungen auf die Weltpolitik zur Folge.

Vor diesem Hintergrund ist eine allein nationalstaatliche Energiepolitik nicht mehr
ausreichend, um gleichzeitig die globalen Herausforderungen der internationalen
Energieversorgungssicherheit und des Klimawandels zu bewältigen. In den letzten 20 Jahren
überließen die meisten EU-Mitgliedsstaaten die Energieversorgungssicherheit weitgehend der
privatwirtschaftlichen Energieindustrie: Deren Geschäftsinteressen sind jedoch vor allem
durch kurzfristige wirtschaftliche Gewinne in einer zunehmend konkurrenzbetonten Umwelt
bestimmt.

In Richtung einer gemeinsamen Energieaußenpolitik der EU

Bereits zwei Monate nach dem russisch-ukrainischen Gaskonflikt hatte die Europäische
Kommission am 8. März 2006 ihr drittes Grünbuch zu Energiefragen herausgegeben, welches

42
auch die Notwendigkeit einer gemeinsamen "äußeren Energiepolitik" ("external energy
policy") als integralen Bestandteil der GASP und Nachbarschaftspolitik der EU vorsieht.

Als Folge des Gaskonfliktes warnte nun auch der neue deutsche Außenminister Frank-Walter
Steinmeier: "Energie darf nicht zur Machtwährung in den internationalen Beziehungen
werden. Dies ist das Ziel deutscher Energieaußen- und Sicherheitspolitik. [...]Weltweit gilt es,
mögliche Spannungen aus Verteilungs- und Zugangskonflikten um Energie im Vorfeld zu
erkennen und zu entschärfen."

Im Frühjahr 2006 hatte der Europäische Rat die Kommission aufgefordert, einen konkreten
Aktionsplan für die Energiesicherheit und Energieaußenpolitik der EU bis 2007
auszuarbeiten. Am 15. bis 16. Juni 2006 hatten der Hohe Repräsentant der GASP, Javier
Solana, und die Kommission konkrete Vorschläge erarbeitet, die am 12. Oktober 2006 in
einem Aktionsplan der Kommission mündeten. Am 20. Oktober 2006 auf dem Lahti-EU-
Gipfel sprach die EU erstmals mit "einer Stimme" gegenüber Russland.

Auch die zahlreichen Initiativen und die Reisediplomatie des deutschen Außenministers
Frank-Walter Steinmeier ab 2006 (wie nach Zentralasien Ende Oktober) dienten dem Ziel,
eine kohärente nationale und europäische Energieaußenpolitik zu forcieren. Gleichwohl gibt
es innerhalb der Bundesregierung unterschiedliche Akzentuierungen: Dies ist besonders in der
Russlandpolitik zu erkennen, die von Merkel und Teilen der Union mit einer kritischeren
Sicht betrieben wird und die deutsche Erwartungshaltung gegenüber Russland nicht zu hoch
hängt. Damit wurden neue Akzente für eine gemeinsame Energieaußenpolitik gesetzt und
Abstand genommen von einem energie- und außenpolitischen "Sonderweg Deutschlands",
wie er für die Schröder-Ära charakteristisch war und aus Sicht vieler anderer EU-Staaten auf
Kosten ihrer und der gemeinsamen Energiesicherheit der EU ging.

Die Energiestrategie der EU: Der Energieaktionsplan vom März 2008

Auf ihrem Frühjahrsgipfel der Staats- und Regierungschefs am 18-19. März 2007 hat die EU
die weltweit ehrgeizigste "integrierte Klima- und Energiepolitik" verkündet. Unter der
deutschen EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 wurden die Zielvorgaben auf dem
Märzgipfel der EU 2007 entsprechend verschärft:

* Die Energieeffizienz der EU soll um insgesamt 20 Prozent verbessert werden;


* die Bestimmungen des Kyoto-Protokolls zur Einsparung von CO2-Gasen sollen
übertroffen und die Emissionen innerhalb der EU bis 2020 um ein Fünftel (20%) gesenkt
werden (bzw. um 30%, sollten sich andere Industrieländer wie die USA, Indien, China u.a.
hierzu bereit erklären);
* außerdem soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch bis
2020 von derzeit 8,5 Prozent auf 20 Prozent angehoben werden. Dieses Ziel erreichen heute
allerdings schon Lettland, Schweden, Finnland und Österreich, wobei die Erfolge Schwedens
und Finnlands auf die Nutzung von Kernenergie zurückzuführen sind.

Darüber hinaus soll der Anteil der Biokraftstoffe wie Bioethanol und Biodiesel am
Treibstoffverbrauch auf 10 Prozent bis 2020 zu steigen. Auch die Biospritvorgaben sind Teil
der integrierten Klima- und Energiestrategie, mit der die EU ihren Treibhausgasausstoß um
20 Prozent senken will. Doch die anhaltende globale Kritik und neue Studien wie von der
Weltbank, denen zufolge der weltweite Anstieg der Nahrungsmittelpreise wesentlich das
Resultat der Nachfrage für Biotreibstoffe der Industriestaaten ist, da diese für die Produktion
von Biotreibstoffen vor allem Nahrungsmittelpflanzen wie Mais und Getreide wie Weizen

43
verwenden, haben zum Überdenken dieser Zielsetzung geführt. Stattdessen soll Biosprit, der
künftig in der EU zu zwei Dritteln importiert wird, künftig auch umwelt- und
sozialverträglich sein und demnach nicht länger aus Nahrungsmittelpflanzen und Getreide
gewonnen werden.

Damit droht die Biospritzielsetzung von 2007 bereits nach nur einem Jahr hinfällig zu werden
und zugleich die Einhaltung der ambitiösen Klimaschutzpläne der EU mehr denn je in Frage
zu stellen. So bestand vor dem Märzgipfel 2007 ohnehin keine wirkliche Einigkeit bezüglich
der Klimaziele, wie der Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien auf 20 Prozent des
Gesamtenergieverbrauchs bis 2020. Hierbei war vor allem umstritten, ob bei der Ermittlung
dieses Wertes die Kernenergie berücksichtigt werden sollte. So konnte sich die deutsche
Ratspräsidentschaft in dieser Frage nur noch auf die explizite Unterstützung Österreichs
gegen die Anrechnung von Kernenergie als kohlenstofffreie Energiequelle stützen.

Zudem war der von der EU gleichzeitig verabschiedete Energieaktionsplan (2007-2009)


gegenüber der Klimaschutzkonzeption vor und nach dem EU-Gipfel weit weniger beachtet
worden. Als Folge dessen und der Zielkonflikte innerhalb des Trias drohen entgegen der im
Energieaktionsplan verabschiedeten Zielsetzung der Bewahrung des Gleichgewichts
innerhalb des Energietrias künftig Versorgungssicherheit und Wettbewerb zugunsten der
Klimapolitik eher untergeordnet zu werden.

Aus Sicht der EU-27 soll die zukünftige Versorgungssicherheit der EU durch eine aktive
Diversifizierung der Energieträger und der Importe von Erdöl sowie Erdgas gestärkt werden.
Dieser Zielsetzung dient auch die am 22. Juni von der EU verabschiedete
Zentralasienstrategie, die eine verstärkte sicherheits- und energiepolitische Zusammenarbeit
mit den Regionalstaaten Zentralasiens und der Kaspischen Region vorsieht.

Problematisch ist der Zielkonflikt zwischen Klima- und Versorgungssicherheit vor allem
hinsichtlich des bereits angesprochenen stark ansteigendes Gasimportbedarfs der EU. So ist es
in den energiepolitischen Diskussionen vor allem Deutschlands seit dem Märzgipfel der EU
von 2007 nicht überraschend, dass die Frage der Diversifizierung mehr denn je auf die
Bezugsquellen und Importe beschränkt wird. Tatsächlich lehrt die Ölkrise 1973/74, dass die
Notwendigkeit einer Diversifizierung zunächst mit dem Energieträgermix beginnt. Je kleiner
der Energieträgermix, um so abhängiger sind Staat und Energiefirmen von den übrigen
Energiequellen. Insoweit verstoßen der geplante Ausstieg aus der Kernenergie bis 2012 und
auch die gegenwärtigen Diskussionen des Stops des Baus neuer Kohlekraftwerke gegen diese
entscheidende Lehre. So wird der deutsche Kernenergieausstieg mit einer höheren
Abhängigkeit von Gasimporten erkauft, die gegenüber Öl und Kohle als klimafreundlicher
gelten. Dies aber geht zulasten der deutschen Versorgungssicherheit, da die
Gasimportabhängigkeit von Russland und politisch instabilen Importländern weiter erhöht
wird.

Zudem droht der künftige Gasbedarf vor allem aus klimapolitischen Gründen noch weiter
zuzunehmen, da die Zahl der Kraftwerke, die mit Öl und Kohle gefeuert werden, abnimmt. In
Deutschland wird erwartet, dass zwar ein Rückgang des Energieverbrauchs um bis zu 17
Prozent als Folge der Energiebeschlüsse der EU und der Bundesregierung möglich ist, dass
der Anteil von Naturgas jedoch von 23 auf 27-29 Prozent im Primärenergieverbrauchs-Anteil
steigen würde. Mit einer Laufzeitverlängerung der bestehenden Kernkraftwerke könnte dieser
Gasanteil jedoch wieder auf 24 Prozent sinken. Dies wäre auch deshalb sinnvoll, weil der
Gasimportanteil in Deutschland mit 85 Prozent im Vergleich zum EU-Durchschnitt ohnehin
hoch ist. Bereits heute ist Deutschland nach den USA der weltweit größte Gasimporteur und

44
mit 18 Prozent am europäischen Gasverbrauch derzeit der zweitgrößte Gasmarkt in Europa
nach Großbritannien (mit rd. 20%).

Ein Verzicht auf den Bau neuer Kohlekraftwerke würde in diesem Zusammenhang die
Erdgasabhängigkeit noch einmal verstärken, was für den Grundlastbedarf – der sich
gegenwärtig vor allem noch auf die weitaus billigere Kernenergie und Kohlekraftwerke
abstützt – und damit auch für den Verbraucher mit einer drastischen Preiserhöhung des
wesentlich teueren Erdgases verbunden wäre. Zwar würden damit die nationalen
Zielsetzungen der Reduzierung des Treibhausausstoßes leichter zu erreichen sein, doch
würden die globalen Bemühungen der Reduzierungen der CO2-Emissionen erheblich
erschwert: Ein erhöhter Import von russischem Erdgas würde Moskau aufgrund seiner
Gaskrise (s.u.) noch stärker zwingen, auf den Ausbau der Kohleproduktion für die
Stromerzeugung und den heimischen Wärmemarkt zu setzen, um den für den Export höheren
Gasbedarf innenpolitisch durch andere Energieträger zu kompensieren.

Dies ist zwar ohnehin der Plan des früheren Präsidenten und heutigen Ministerpräsidenten
Russlands, Vladimir Putins, die Gaskrise in den Griff zu bekommen, würde die Problematik
aber noch zusätzlich verstärken. Da der drastische Ausbau von neuen Kohlekraftwerken in
Russland nicht den gleichen durchschnittlichen Wirkungsgrad wie in Deutschland aufweisen
wird, würde Russland künftig erheblich mehr Treibhausgase als Deutschland mit
modernisierten Kohlekraftwerken emittieren. Im Resultat würden global mehr CO2-
Emissionen emittiert. Dies aber würde den globalen Zielsetzungen der deutschen Klimapolitik
widersprechen und diese innerhalb der EU-27 als politisch unglaubwürdig erscheinen lassen.

Auch die Pläne, 30 riesige Windradparks in Nord- und Ostsee zu forcieren (um so den Anteil
der erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung von derzeit 14 auf mindestens 30 Prozent
bis 2020 zu erhöhen), läuft der deutschen Versorgungssicherheit entgegen. Zwar stärkt der
Ausbau der erneuerbaren Energien allgemein die Versorgungssicherheit. Doch mit einem
derartigen Ausbau der Windenergie im Widerspruch zu einem ausgewogenen Energiemix
werden noch erheblich größere Investitionen zur Sicherung der Grundlastversorgung
notwendig. Diese würden jedoch vor allem in Gasturbinen erfolgen und so ebenfalls die
Abhängigkeit von Gasimporten aus Russland erhöhen und damit dem Gebot der Stärkung der
Versorgungssicherheit zur Bewahrung des Gleichgewichts im Energietrias widersprechen.
Zugleich würde dies den Zielsetzungen des Energieaktionsplanes der EU-27 widersprechen.

Demgegenüber ist es im Gegensatz zu Deutschland vor allem bei den neuen EU-
Mitgliedsstaaten mehr als nur fraglich, ob diese ohnehin kleineren und politisch schwächeren
Staaten mit ihrer zudem höheren Gasabhängigkeit von Russland die nationale
Versorgungssicherheit einer international sehr ambitionierten Klimaschutzpolitik der EU
vergleichbar unterordnen werden.

Zwei Schritte vor, einer zurück

Die aktive Forcierung neuer bilateraler Energiekooperationen mit Italien, Ungarn,


Griechenland, Bulgarien und Österreich sowie mit Kasachstan und Turkmenistan durch den
russischen Präsidenten Vladimir Putin nach dem EU-Märzgipfel 2007 hat jedoch die
Diversifizierungs- und neue Zentralasienstrategie der EU noch vor Ende der deutschen EU-
Präsidentschaft bereits in Frage gestellt.

Zugleich wurden damit neue und alte Zielkonflikte in der Russland- und/oder
Zentralasienpolitik der EU und Deutschlands aufgeworfen, die eine gemeinsame

45
Energieaußenpolitik gegenüber Moskau mehr denn je in Frage stellen. Während zum
Zeitpunkt der deutsch-russischen Unterzeichnung der Nordstream-Pipeline in der Ostsee im
September 2005 zumindest formell noch keine gemeinsame Energiepolitik von Seiten der
EU-27 proklamiert worden war, widersprechen die jüngsten bilateralen Energiedeals der
angeführten EU-Staaten eindeutig Geist und Buchstaben der im März verabschiedeten
gemeinsamen Energiepolitik.

Als Folge exklusiver bilateraler Abkommen mit europäischen Unternehmen statt wirklicher
gleichberechtigter Partnerschaften hat Moskau die Konkurrenz zwischen europäischen
Unternehmen und Staaten um den Zugang zu russischen Energieressourcen erheblich
verschärft. Dies versetzt den Kreml in die Lage und entspricht seinem geopolitischen
Interesse, die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten und europäischen Energieunternehmen
gegeneinander auszuspielen.

Wie stark ist Moskaus strategische Kontrolle?

Durch den systematischen Kauf von Anteilen an europäischen Energiefirmen und deren
Infrastruktur (wie Pipelines, Raffinerien, Gasspeicher etc.) und durch die aktive politisch-
diplomatische Absicherung des eurasisch-europäischen Gaspipeline-Monopols droht
inzwischen aus Sicht der Kommission, der Experten von EU-Außenvertreter Javier Solana,
des Europäischen Parlaments und unabhängiger Experten eine regelrechte "Einkreisung"
Europas durch eine strategische Kontrolle Moskaus der eurasischen und nordafrikanischen
Gaszufuhr nach Europa, des Gashandels innerhalb der EU und der Gasspeicherung durch
Gazprom und den Kreml. Diese droht die energie- und außenpolitischen Optionen der EU in
mittel- und langfristiger Sicht stark einzuschränken und mit einem problematischen Verlust
von Souveränität in beiden strategischen Politikfeldern verbunden zu sein.

Bereits das Europäische Parlament hatte im September 2007 auf Initiative des Auswärtigen
Ausschusses seine Verärgerung über die jüngsten Alleingänge einzelner EU-Staaten geäußert
und massiv Kritik geübt. Dieser "Bericht zur gemeinsamen europäischen Außenpolitik zu
Energie", der fraktionsübergreifend mit einer beeindruckenden Mehrheit von 553 Stimmen
gegen 103 Gegenstimmen bei 27 Enthaltungen verabschiedet wurde, signalisiert, dass die
europäischen Parlamentarier in Brüssel parteiübergreifend weitaus mehr als ihre Kollegen und
Regierungen in den Mitgliedsstaaten die Herausforderungen begriffen haben und mit den
Fort- bzw. Rückschritten auf dem Weg zu einer wirklich gemeinsamen Energie(außen)politik
nach den März-Entscheidungen von 2007 des Europäischen Rates absolut unzufrieden sind.

Der einzige Ausweg gegenüber Russland, Gazprom, aber auch den großen globalen energie-
und klimapolitischen Herausforderungen liegt in der Forcierung eines wirklich gemeinsamen
europäischen Energie- und besonders Gasmarktes auf der Basis einer weitgehenden
liberalisierten Marktwirtschaft (die eine verstärkte kontrollierende und regulierende Rolle des
Staates und der Brüssel Behörden jedoch keineswegs ausschließt, sondern voraussetzt), und
einer gemeinsamen Energieaußenpolitik, die mit einer Stimme gegenüber Russland sowie der
Welt spricht und dabei nicht nur auf dem Papier steht.

Nur dann werden die EU und Deutschland auch künftig international Gehör finden, und nur
dann werden sie ihren strategischen Einfluss in einer zunehmend multipolaren Weltordnung
wahren können. Auf diesem Weg dürfte die russische Militärinvasion in Georgien – wie
andere außenpolitische Krisen zuvor – einmal mehr ein Katalysator auf dem Weg zu einer
wirklich gemeinsamen Energie(außen)politik der EU sein.

46
Energie-Perspektiven
Auch Sparsamkeit gehört künftig zur Energiepolitik

Zur Person
Dr. Stefan Thomas ist Physiker und Politikwissenschaftler. Seit 2003 leitet er die
Forschungsgruppe Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik des Wuppertal Instituts.
Arbeitsschwerpunkte sind Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen. Hier forscht
er insbesondere zur Analyse, Evaluierung, Entwicklung und Erprobung neuer
Politikinstrumente für verbesserte Endenergieeffizienz sowie zu neuen
Unternehmenskonzepten und förderlichen Rahmenbedingungen in der Energiewirtschaft.

Energie wird nicht nur zunehmend teurer, sondern auch knapp. Dabei gibt
es beim Energieverbrauch selbst noch große Einsparpotenziale, auch durch eine verbesserte
Energieeffizienz. Bislang werden diese Möglichkeiten aber bei weitem nicht ausgeschöpft.

Klimafreundliches Fahrrad
Das Fahrradfahren ist sicherlich energiesparend.
Doch Klimaanlagen, vor allem ältere Modelle,
sind echte Energieschlucker. Foto: AP

In den kommenden Jahrzehnten steht der


Strom- und Wärmemarkt in Europa vor
erheblichen Herausforderungen. Neben
Anzeichen für kommende Verknappungen
bei den fossilen Energieträgern besteht ein
großer Bedarf an neuer
Kraftwerkskapazität. Gleichzeitig ist es
aus gesamtwirtschaftlichen Gründen und
für den Klimaschutz dringend erforderlich, die Energiekosten zu verringern und die
Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren. Bei einem ungebremsten "Weiter-so" wäre
die Europäische Union (EU) zudem schon 2020 zu 70 Prozent von Energieimporten
abhängig.

Vor diesem Hintergrund erhält das Energiesparen durch verbesserte Energieeffizienz auf der
Nachfrageseite – auch als Endenergieeffizienz bezeichnet – neue Aufmerksamkeit auf der
Ebene der Vereinten Nationen (UN), der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (OECD) über die EU bis hin zur deutschen Politik. Ein Beispiel sind der
von der EU Ende 2006 beschlossene Aktionsplan Energieeffizienz und die Beschlüsse des
Ministerrats im März 2007, unter anderem die Energieeffizienz in der EU bis 2020 gegenüber
dem Trend um 20 Prozent zu verbessern. Hierbei bestehen erhebliche
Gestaltungsmöglichkeiten bei der Nachfrage sowohl für Strom als auch für
Wärmeenergieträger.

Bedeutung der Energieeffizienz im Kontext der Energie- und Klimapolitik

Szenarienrechnungen (bspw. für den World Wide Fund for Nature (WWF) 2005) kommen zu
dem Schluss, dass bei verstärkten Anstrengungen in der EU und auch in Deutschland
insgesamt bis zum Jahr 2020 mehr als 20 Prozent des Verbrauchs an Endenergie – also Strom,
Gas, Heizöl, Benzin, Diesel und andere – gegenüber dem Trend eingespart werden könnten.
Hinzu kommen Einsparpotenziale auf der Angebotsseite von Energie, zum Beispiel durch
Kraft-Wärme-Kopplung. Dabei wird die Abwärme aus der Stromerzeugung zum Heizen oder
für die Produktion verwendet.

47
Energieeffizienz, vor allem auf der Nachfrageseite – Endenergieeffizienz also – ist daher der
Schlüssel zu einer nachhaltigen Energieversorgung. In Kombination mit dem Ausbau
erneuerbarer Energien kann die entschiedene Nutzung der Energieeffizienz die Umsetzung
der Ziele der Energie- und Klimapolitik ermöglichen. Der vom Bundesumweltminister im
Mai 2007 vorgestellte Acht-Punkte-Plan zum Klimaschutz kann bei vollständiger Umsetzung
das Ziel der Treibhausgasreduktion in Deutschland um 40 Prozent bis 2020 gegenüber 1990
bei gleichzeitigem Auslaufen der Kernenergie gemäß dem geltenden Gesetz erreichen (vgl.
Abbildung 1).

Abbildung 1. Quelle: Wuppertal Institut 2008 nach Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit 2007

Abbildung 1: Der Acht-Punkte-Plan der Bundesregierung zum Klimaschutz. Die Maßnahmen


1, 5 und 7 zielen auf das Energiesparen durch Verbesserung der Energieeffizienz auf der
Nachfrageseite (Endenergieeffizienz), die Maßnahmen 2 und 4 auf ein energieeffizienteres
Energieangebot.

Zugleich zeigen aktuelle Untersuchungen für das Bundesumweltministerium (ISI/ÖKO/STE


2007), dass hiermit ein wirtschaftlicher Gewinn verbunden wäre. Eine zentrale Rolle spielt
dabei die Energieeffizienz. Durch die Energiekosteneinsparung ist Energieeffizienz in der
Regel sehr wirtschaftlich. Energiesparmaßnahmen bringen oft eine Verzinsung des
eingesetzten Kapitals von 30 Prozent oder mehr. Im Gesamtsystem können dadurch die
zeitweiligen Mehrkosten für den Ausbau der erneuerbaren Energien mehr als wett gemacht
werden.

Energieeffizienz und Einsparpotenziale

Doch was genau bedeutet Energieeffizienz, und wie groß sind die Potenziale? Energiesparen
durch effiziente Energienutzung heißt, für die gleiche Dienstleistung – z.B. warme und helle
Räume, Transport, Produktion – weniger Energie einzusetzen. Dazu kann entweder in
effizientere Technik investiert werden, oder es kann effiziente Technik z.B. durch

48
Energiemanagement besser genutzt werden, oder es kann Energieverschwendung z.B. durch
Abschalten nicht benötigter Geräte und Anlagen vermieden werden.

Die Potenziale der effizienten Energienutzung sind enorm. Die sparsamsten Kühl- und
Gefriergeräte verbrauchen heute zwei Drittel weniger Strom als Geräte im Durchschnitt vor
zehn Jahren. Passivhäuser brauchen dank verstärkter Wärmedämmung sowie effizienter
Lüftung und Heizung nur 20 Prozent der Heizenergie eines Neubaus nach der
Energieeinsparverordnung – bei guter Planung und Ausführung entstehen keine großen
Mehrkosten. Bei elektrischen Antrieben sind ähnliche Einsparungen möglich: Bei
Heizungsumwälzpumpen sparen z.B. die neue EC-Motor-Pumpe und eine Optimierung des
Heizkreislaufs bis zu 90 Prozent. EC-Motoren drosseln mittels eines Permanentmagneten
elektrische Verluste. Mehrere Hersteller bieten bereits "3-Liter-Autos" an, und mit
Leichtbauweise, Hybridantrieb etc. können auch Mittelklassemodelle in absehbarer Zeit
solche niedrigen Verbrauchswerte erreichen.

Insgesamt ist es im Rahmen der normalen Erneuerungszyklen für Geräte, Fahrzeuge, Anlagen
und Gebäude gesamtwirtschaftlich und für die Energieverbraucher lohnend sowie technisch
möglich, zusätzlich bis zu zwei Prozent pro Jahr gegenüber bisherigen Trends einzusparen.
Abbildung 2 zeigt, in welchen Bereichen besonders große und wirtschaftliche Potenziale zur
Treibhausgas-Minderung durch Endenergieeffizienz bestehen.

Abbildung 2. Quelle: Wuppertal Institut 2006

Abbildung 2: Potenziale zur Treibhausgas-Minderung durch Endenergieeffizienz innerhalb


von 10 Jahren, wenn in jedem Fall die effizienteste Technik zum Einsatz kommt, und
Nettokosten aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive: durchschnittliche Energieeinsparkosten
(dicke Linie) und CO2-Vermeidungskosten (dünne Linie) im Vergleich zu den Kosten bei
ohnehin durchzuführenden Maßnahmen, unter Berücksichtigung der eingesparten
Energiesystemkosten (daher Nettokosten). Die Breite der Stufen in der Treppenkurve zeigt
das Potenzial einer Technik, die Tiefe auf der Treppe ihre Wirtschaftlichkeit. Wenn die
Kosten eingesparter Energie kleiner als Null sind, ist das Potenzial wirtschaftlich. Links unten

49
sind daher die wirtschaftlichsten Potenziale. Den Berechnungen liegen Energiepreise von
2004 zugrunde.

So entsteht eine Win-win-Situation, bei der alle profitieren: Innovation, Arbeitsplätze und
Wertschöpfung können wirtschaftlich mit dem Klimaschutz verbunden werden.

Hemmnisse für Energieeffizienz und Aufgaben der Energiepolitik

Warum gibt es nach wie vor diese Potenziale, wenn sie doch eigentlich wirtschaftlich sind?
Der Grund ist eine Vielzahl von Hemmnissen, die die Umsetzung selbst wirtschaftlicher
Energieeffizienzmaßnahmen verhindern. Energieeffizienz hat bei Anschaffungen, Planungen
und Instandsetzungen meist keine Priorität: Sie ist geknüpft an viele kleine und mittlere
technische Verbesserungen bei Gebäuden, Anlagen oder Techniken und ist nicht deren
Hauptzweck. Es fehlt daher an Überblick über mögliche Potenziale genauso wie an
Detailwissen zu deren Erschließung oder ab wann sich die Mehrkosten amortisiert haben etc.
Bei der Auswahl von Maßnahmen sind häufig die Anfangsinvestitionen ausschlaggebend, die
gesamten Lebenszykluskosten bleiben allzu oft unberücksichtigt. Für die Analyse dieser
Lebenszykluskosten gibt es zu wenige einfach handhabbare Werkzeuge.

Außerdem gibt es in der Regel wenig Anreize, um sparsamste Geräte und Anlagen
anzuschaffen, oder die Anreize sind nicht offensichtlich (z. B. Verminderung der
Betriebskosten). Zu solchen Hindernissen kann es beispielsweise kommen, wenn Nutzer und
Investor nicht identisch sind und darum unterschiedliche Interessen haben. Ein Beispiel dafür
ist das Verhältnis von Mieter und Vermieter: Der Vermieter bezahlt nicht die
Energierechnung und hat deshalb auch kein Interesse an Investitionen zur Verbesserung der
Energieeffizienz wie z. B. Umstellung der Warmwasserversorgung von Strom auf Gas- und
Solarwärme. Häufig stehen auch nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung, um in
wirtschaftliche Effizienzmaßnahmen zu investieren.

Eine dringende Aufgabe der Energiepolitik in Deutschland ist es daher, die vielfältigen
Hemmnisse für Energieeffizienz noch besser zu überwinden als bisher. Nötig sind
Informationen, z.B. durch Energieberatung, betriebliche Energieanalysen, Energielabel, einen
aussagekräftigen Energieausweis für Gebäude, Datenbanken sparsamer Geräte und
Fahrzeuge, aber auch bessere Aus- und Weiterbildung. Ebenso ist die finanzielle Förderung
für Beratung und/oder Investition zur Energieeinsparung von Bedeutung. Hier gibt es z.B.
Programme der KfW-Förderbank der Bundesregierung sowie Programme der Länder und
Kommunen. Auch schärfere Grenzwerte für den Energieverbrauch von Fahrzeugen, Geräten,
Gebäuden und Anlagen (u.a. durch die Energieeinsparverordnung und die EcoDesign-
Richtlinie sowie die vorgeschlagene Regulierung des CO2-Ausstoßes von Autos) sind
entscheidend. Nicht zuletzt ist die Nutzung des öffentlichen Einkaufs wichtig, um sparsame
Technik schneller in den Markt zu bringen (vgl. Borg 2003).

Es muss also ein Gesamtpaket von Maßnahmen und Instrumenten umgesetzt werden, um
Energieeffizienz insgesamt so einfach und attraktiv wie möglich zu machen – durch
individuelle Beratung, praktische Anleitungen und konkrete Handlungsempfehlungen,
Sicherstellung der Verfügbarkeit der empfohlenen Maßnahmen, Schulungen, Regulierung,
finanzielle Anreize und Finanzierungsangebote. Mit anderen Worten: eine Kombination aus
"Zuckerbrot, Peitsche und Werbetrommel".

Dieses Bündel von Maßnahmen und Instrumenten sollte sich an alle Akteure in den
jeweiligen Marktketten richten, wie Abbildung 3 veranschaulicht.

50
Abbildung 3. Quelle: Wuppertal Institut, 2007

Abbildung 3: Der generelle Politikinstrumente-Mix zur Förderung der Verbesserung der


Endenergieeffizienz. Die Abbildung zeigt, dass dabei zunächst in einem Technikmarkt bei der
Energieanwendung die Hemmnisse für alle Marktakteure analysiert werden müssen. Sodann
gilt es, aus dem dargestellten Mix das jeweils geeignete Paket von Instrumenten zu schnüren.

Wichtig für die Umsetzung ist es, dass die dezentralen Angebote zur Information,
Weiterbildung und Förderung jeweils bundesweit gebündelt und finanziert werden. Mit einem
solchen Gesamtrahmen haben es z.B. Großbritannien und Dänemark ermöglicht, jedes Jahr
zusätzlich mehr als ein Prozent Energie einzusparen. Sie nutzen dazu eine Kombination aus
Verpflichtungen der Energiewirtschaft, eine bestimmte Menge an Energieeinsparungen bei
ihren Kunden nachzuweisen, und staatlich finanzierten Energiesparfonds. Auch in
Deutschland könnte ein solcher Energiesparfonds ein wirksames Instrument sein: Ein Beitrag
von durchschnittlich etwa 0,1 Cent pro kWh, z.B. aus der Energiesteuer auf Strom, Gas und
Öl, würde genügen, um die Energierechnungen (Verbrauch mal Preis) von Industrie, Handel,
Gewerbe und Haushalten deutlich zu senken (Thomas/Irrek 2006).

51
Ein Dorf schafft die Wende
In Jühnde setzt man auf Biomasse als Energieträger
Sonja Ernst
Zur Person
Sonja Ernst ist freie Journalistin und Redakteurin in Köln. Zu ihrenSchwerpunkten
gehören Themen aus Politik und Gesellschaft.

Als erster Ort in Deutschland bezieht Jühnde seit 2005 in Eigenregie


Energie aus Biomasse – erfolgreich. Die Biogasanlage produziert Strom im
Überfluss und versorgt die Häuser mit Wärme und Heißwasser. Doch die
ersten Schritte hin zur Energiewende waren nicht immer einfach.

Bioenergieanlage in Jühnde
Seit 2005 versorgt die Biogasanlage die
Bürger Jühndes mit Strom und Wärme.
So sparen die Jühnder jährlich pro Kopf
3.300 Tonnen CO2 ein, ohne auf Auto,
Kühlschrank oder Fernseher zu
verzichten. Foto: AP

Öl- und Gaspreise steigen,


Verbraucher sind verärgert. Doch
in einem kleinen Dorf bei
Göttingen bleibt die Empörung
aus, denn hier ist man unabhängig
vom Geschehen auf dem
internationalen Öl- und Gasmarkt.
Die Jühnder haben die Energiewende geschafft und versorgen sich seit 2005 selbst mit
Energie.

Am Rande des 700-Einwohnerdorfes steht eine Biogasanlage. Sie sorgt für Wärme und
Strom. In einem runden, 3.000 Kubikmeter großen Fermenter vergärt Biomasse – Mais,
Sonnenblumen, Raps – gemeinsam mit Gülle zu Ethanolgas. Das Biogas wir im
angeschlossenen Blockkraftheizwerk verbrannt und erzeugt über einen Generator Strom.
Zusätzlich werden über ein Nahwärme-Netz die Häuser in Jühnde mit der Abwärme des
Blockkraftheizwerkes versorgt. Pro Kopf sparen die Jühnder jährlich 3.300 Tonnen CO2 ein,
ohne auf Auto, Kühlschrank oder Fernseher zu verzichten.

Nun könnte man annehmen, in Jühnde leben nur überzeugte "Ökos". Weit gefehlt. Auch hier
findet sich eine gemischte soziale Gemeinschaft, so dass der Umstieg auf Biomasse als
Energieträger nicht nur ein technischer, sondern auch ein mühsamer politischer Prozess war.
Über Monate hinweg wurde verhandelt, wurden die verschiedenen Interessen sowie Risiken
abgewägt: Es gab Idealisten und Skeptiker, die Bauern, die Biomasse anbauen und verkaufen
wollten, und die Einwohner, die auf günstige Energiepreise aus waren. Nach zahlreichen
Anhörungen und Gesprächen fiel schließlich die Entscheidung: 70 Prozent der Jühnder
machten mit, 142 von 200 Haushalten.

Die Energie eines Dorfes

"Heraus gekommen ist ein Hightech-Projekt mit sozialer Dimension", so Eckhard Fangmeier.
Für den 49-jährigen Physiker stand der Umweltschutz im Mittelpunkt. Fangmeier ist
mittlerweile Vorstand und Sprecher der Betriebs- Genossenschaft Jühnde, die die
52
Biogasanlage betreibt. Jeder Haushalt, der mitmachte, kaufte zu Beginn drei Anteile an der
Genossenschaft, für insgesamt 1.500 Euro. 1.000 Euro kostete dann noch der Anschluss an
das Nahwärme-Netz.

Doch insgesamt mussten über fünf Millionen für die Biogasanlage und das Nahwärme-Netz
aufgebracht werden. Fördergelder kamen vom Bundesministerium für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft, auch das Land Niedersachsen, der Landkreis Göttingen und
die Gemeinde Jühnde beteiligten sich. "Damals brauchte es diese Fördergelder", so
Fangmeier. Jühnde war das erste deutsche Bioenergiedorf, ein Modellprojekt ohne Vorläufer.

"Doch den Rucksack trägt das Dorf", meint Fangmeier. Denn die Fördergelder in Höhe von
rund 1,5 Millionen Euro reichten nicht aus; ebenso wenig das Eigenkapital einiger Jühnder,
immerhin eine halbe Million, das in die Genossenschaft investiert wurde. Kredite in Höhe von
3,5 Millionen Euro waren nötig, die die Betriebsgenossenschaft aufnahm. Die Biogasanlage
muss also rentabel laufen und Gewinne erwirtschaften.

Strom im Überfluss

Eckard Fangmeier, Vorstand und Sprecher der


Betriebsgenossenschaft Jühnde: "Mit Bioenergie kann das
Energieproblem der Welt zwar nicht gelöst werden, aber sie
ist ein Schritt in die richtige Richtung." Foto: Sonja Ernst

Mittlerweile produziert die Anlage über fünf


Millionen Kilowatt-Stunden im Jahr. Das Dorf
verbraucht knapp zwei Millionen. Wobei der Strom
aus der Biogasanlage in das Stromnetz des
regionalen Energieversorgers gespeist wird und die
Jühnder ganz normal am Monatsende ihre
Stromrechnung begleichen müssen. Die
Genossenschaft bekommt jedoch für den eingespeisten Strom Geld und zwar zu einem
festgeschriebenen Preis. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz garantiert der
Betriebsgenossenschaft für 20 Jahre um die 17 Cent pro eingespeister Kilowatt-Stunde. Der
Strompreis richtet sich nach Art der Erneuerbaren Energie. Hält die Biogasanlage ihren
momentanen Output, dann sind das Einnahmen von rund 900.000 Euro im Jahr.

Auch die Versorgung mit Wärme läuft stabil. Mit der Abwärme aus dem Blockkraftheizwerk
wird Wasser erhitzt, das über ein unterirdisches Leitungssystem direkt in die Häuser gelangt
für Warmwasser und Heizung. In ihren Häusern übernahmen die Jühnder dafür selbst das
Kommando: Der alte Ölkessel flog raus und eine so genannte Übernahmestation kam rein, die
mit einem Wasserbehälter verbunden ist.

Beim Warmwasser und der Heizung liegt der Kostengewinn für die Jühnder. Denn die Preise
liegen deutlich unter den aktuellen Öl- und Gaspreisen. Sie sind zwar nicht garantiert und
falls Biomasse teurer werden sollte, müssen auch die Jühnder mehr zahlen, doch
voraussichtlich nicht so viel wie für Öl und Gas.

Die Bakterien brauchen die richtige Temperatur

Um die Energieversorgung zu sichern, braucht es ordentlich Biomasse und frische Gülle, die
von den Landwirten in und um Jühnde geliefert wird. 2007 wurden 10.000 Tonnen Biomasse

53
und 9.000 Kubikmeter Gülle verbraucht. Beides wird dem Fermenter zugeführt; vier
Rührwerke halten im Gär-Tank die Masse in ständiger Bewegung.

"Im Fermenter herrschen quasi Urbedingungen", so Fangmeier. Gülle enthält


Methanbakterien, die den Biobrei zersetzen und damit Methan freisetzen, sprich Biogas.
Dafür brauchen die Bakterien die richtige Temperatur von etwa 38 bis 40 Grad. Im Sommer
reichen dafür die üblichen Wärmegrade, im Winter wird der Fermenter mit Abwärme aus dem
Blockkraftheizwerk mitversorgt.

In den kalten Monaten, wenn die Biomasse des letzten Jahres aufgebraucht und die neue
Ernte noch auf dem Feld steht, kann auch der Nachschub für die Biogasanlage schon mal
knapp werden. An die Biogasanlage ist deshalb ein Holzhackschnitze-Heizwerk
angeschlossen, in dem Restholz verbrannt wird, das aus den umliegenden Wäldern stammt.
Für einen dramatischen Kälteeinbruch oder auch für den Ausfall der Biogasanlage steht noch
ein Ölheizkraftwerk bereit, das bislang nur in Ausnahmefällen zugeschaltet wurde.

Die Felder als Energiekammern?

Ein Vorteil der Erzeugung von Energie durch Biomasse ist die so genannte
"Grundlastfähigkeit". Anders als bei Wind- oder Solarenergie kann Energie aus Biomasse
ohne Unterbrechung produziert werden, es braucht nur Nachschub an Pflanzen. "Biomasse ist
nichts anderes als gespeicherte Sonnenenergie, die zeitlich unabhängig eingesetzt werden
kann", so Uwe R. Fritsche vom Öko-Institut, Büro Darmstadt.

Im Landkreis Göttingen finden sich mittlerweile 10 weitere Energie-Projekte, die auf


Biomasse basieren, und nochmal 20 bis 30 Initiativen im übrigen Deutschland. "Der ländliche
Raum ist natürlich prädestiniert. Da fällt die Biomasse an", sagt Fritsche, der den Bereich
Energie und Klimaschutz koordiniert; Biomasse als Energiesystem zählt zu seinen
Arbeitsgebieten.

Biomasse sind einerseits Rest- und Abfallstoffe, wie Restholz, Fäkalien oder Essensabfälle
sowie andererseits Energiepflanzen wie Mais, Raps und Sonnenblumen, die angebaut werden
müssen. "Die entscheidende Frage ist hierbei natürlich, wie viel Fläche hat man?", so
Fritsche. Um Konkurrenzen auszuschließen, muss ausreichend Anbaufläche für die
Nahrungsmittelproduktion bleiben, ebenso braucht es bewaldete Flächen und solche für den
Naturschutz. "Wenn man aber berücksichtigt, dass ein effizienterer Anbau möglich und ein
demographischer Rückgang in Deutschland festzustellen ist, dann ergeben sich 3 bis 4
Millionen Hektar, die man nicht mehr braucht." Auf dieser Fläche sei der Anbau von
Biomasse möglich, um 10 Prozent des aktuellen Energiebedarfs zu decken; 15 bis 18 Prozent
wenn man optimistisch rechne.

Zurzeit trägt Biomasse rund 4 Prozent zum deutschen Energiemix bei. "Diesen Anteil kann
man schon in kurzer Zeit leicht verdoppeln", meint Fritsche. Aktuell werden nur 15 Prozent
der Gülle genutzt, ebenso werden organische Abfallstoffe nur in geringem Maße eingesetzt.
Energiemodelle wie in Jühnde seien nicht auf ländliche Gebiete begrenzt, auch für Städte
sieht Fritsche eine Chance. Grünschnitt, Fäkalien und weitere organische Abfälle könnten für
Wärme- und Stromerzeugung sehr viel umfangreicher eingesetzt werden. Ebenso seien
größere Biogasanlagen auf dem Land denkbar: Die dort erzeugte Elektrizität wird in das
Stromnetz eingespeist und die Wärme über ein Fernwärmenetz in nahe gelegene Städte
transportiert oder das Biogas wird aufbereitet und in das Gasnetz eingespeist.

54
Energie-Tourismus in Jühnde

Doch vorerst bleibt Jühnde eher die Ausnahme und ist mittlerweile zur Energie-Attraktion
geworden. In den ersten Jahren kamen täglich busweise Fachleute und Laien, die das autarke
Dorf betrachten wollten. Mittlerweile hat der Besucherstrom abgenommen, abgerissen ist er
noch lange nicht. Auch aus Japan, Thailand und den USA kamen und kommen Besucher.
"Wir sind zum Aushängeschild im Bereich ländliche Bioenergienutzung für Deutschland
geworden", so Fangmeier.

Das primäre Ziel war die Wärmeversorgung für das Dorf zu erwirtschaften und, dass die
Anlage rentabel läuft. Das sei gelungen, meint Fangmeier. Ist das Dorf Jühnde also eine
Antwort auf eine drohende Energiekrise? Der Physiker sieht in Jühnde zwar einen Baustein
für sichere und klimafreundliche Energieversorgung. "Allein mit Bioenergiedörfern können
wir unsere Energieproblem auf der Welt nicht lösen. Aber bei uns selbst anzufangen und
Lösungsbeiträge zu liefern, ist der richtige Ansatz", so Fangmeier.

55
Dezentrale Stromerzeugung wird an Bedeutung gewinnen
Vier Fragen an Dierk Bauknecht

Dierk Bauknecht ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Öko-


Institut e.V. Zu seinen Schwerpunkten zählt u.a. die
Netzregulierung und die Integration dezentraler
Stromerzeugung sowie die Entwicklung von
Strommarktmodellen. Das Öko-Institut ist eine unabhängige
Forschungs- und Beratungseinrichtung mit drei Standorten
in Freiburg, Darmstadt und Berlin.

Schon mehrere Dörfer in Deutschland versorgen sich


selbst mit Energie aus Biomasse und/oder Windkraft.
Manche Gemeinden sind sogar autark. Wie bewerten
Sie solche Modelle?

Erneuerbare Energien sind oft dezentrale Ressourcen, und


entsprechend können dezentrale Akteure wie Kommunen
eine wichtige Rolle dabei spielen, diese Ressourcen zu
erschließen. Kommunale Stadtwerke sind seit langem ein
wichtiger Bestandteil der deutschen Stromwirtschaft und
entscheidend für die Entwicklung des Wettbewerbs. Häufig haben sich Kommunen ganz oder
teilweise aus der Stromversorgung zurückgezogen. Umso erfreulicher ist es, wenn neue
Initiativen entstehen. Auch haben sich die meisten Stadtwerke bislang darauf konzentriert,
Strom von der Übertragungsnetzebene zu den Verbrauchern durchzuleiten. Selten sind sie
aktiv geworden, um die dezentralen Ressourcen in ihrem Netzgebiet zu erschließen. Die
Vision einer Versorgung mit erneuerbaren Energien kann eine wichtige strategische
Bedeutung haben, viele Kräfte mobilisieren und nicht zuletzt auch finanziell attraktiv sein.
Doch das Hauptziel sollte nicht die autarke Energieversorgung einzelner Dörfer sein, sondern
die möglichst effiziente Entwicklung erneuerbarer Ressourcen insgesamt.

Sind solche dezentralen Versorgungsnetze, die auf regenerative Energien setzen,


deutschlandweit möglich und wünschenswert?

Es ist sicherlich deutschlandweit möglich und wünschenswert, dezentrale Akteure in der


Stromerzeugung zu stärken. Mit einem zunehmenden Anteil der Stromerzeugung mit
erneuerbaren Energien und in Kraft-Wärme-Kopplung nimmt auch der Anteil der Kraftwerke
zu, der an die Verteilnetze angeschlossen ist. Damit wächst die Bedeutung der Verteilnetze:
Strom wird nicht mehr einfach nur von Großkraftwerken zu den Kunden durchgeleitet,
sondern in den Verteilnetzen wird Strom vor Ort erzeugt und der Stromverbrauch gesteuert.
Gerade für kleine Gemeinden dürfte es aber sehr schwer sein, unter den gegebenen
Rahmenbedingungen die Netze zu übernehmen und selbst zu betreiben. Nicht sinnvoll sind
schließlich autarke Netze im Sinne der Abkopplung vom übergeordneten Netz. Dazu müssten
Stromerzeugung und -verbrauch vor Ort jederzeit ausgeglichen werden. Dieser Aufwand wäre
nicht gerechtfertigt und die Vorteile eines überregionalen Stromverbundes gingen verloren,
die gerade auch den erneuerbaren Energien zugute kommen.

Auch die Kraft-Wärme-Kopplung kann dezentral genutzt werden. Seit 2002 wird sie
durch das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz gefördert. Welches Potential steckt in der
KWK als dezentrale Lösung?

56
Die Entwicklung der erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung sollte bei der
Gestaltung eines nachhaltigen Energiesystems Hand in Hand gehen. Die KWK kann auch
deshalb eine wichtige Rolle spielen, weil sie insgesamt besser steuerbar ist als die oftmals
wetterabhängige und daher fluktuierende Erzeugung aus erneuerbaren Energien. Zwar können
auch Großkraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplung betrieben werden, was bei neuen
Kraftwerken, wo immer möglich auch genutzt werden sollte. Allerdings liegen große
Potenziale der KWK gerade in der dezentralen Nutzung. Denn so kann die Wärme am besten
in der Nähe der Wärmeverbraucher erzeugt werden. Wichtig ist aber eine verlässliche
Förderung der KWK. In vielen Fällen wird auch der Aufbau von Wärmenetzen notwendig
sein.

Kann mit vielen dezentralen Lösungen die Energieversorgung deutschlandweit gesichert


werden?

Die dezentrale Stromerzeugung wird an Bedeutung gewinnen. Damit wächst auch die
Bedeutung der Betreiber der Verteilnetze. Allerdings werden auch zentrale Großkraftwerke
weiterhin eine Rolle spielen, nicht zuletzt weil die Stromerzeugung in Windkraftwerken und
Offshore-Windparks meist keine dezentrale Stromerzeugung darstellt. Eine Dezentralisierung
der Stromversorgung bedeutet also nicht, dass künftig wieder autarke Systeme betrieben
werden, die nicht miteinander gekoppelt sind – so wie es zu Beginn der Entwicklung der
Stromversorgung bereits einmal der Fall war. Dezentralisierung wird vielmehr einhergehen
mit einer stärkeren Integration dezentraler Systeme mit zentralen Strukturen. Dabei werden
moderne Kommunikationstechnologien eine zentrale Rolle spielen. Wie sich eine solche
Entwicklung auf die Versorgungssicherheit auswirkt, ist noch weitgehend offen. Eine
Herausforderung ist, wie mit der zeitlich unregelmäßigen und kaum steuerbaren
Stromerzeugung vieler erneuerbarer Energien – ob dezentral oder zentral – umgegangen
werden kann.

08. Januar 2009

57
Auch künftig Mix aus zentraler und dezentraler Erzeugung
Vier Fragen an Dr. Oliver Weinmann

Zur Person Dr. Oliver Weinmann ist Leiter des


Innovationsmanagements der Vattenfall Europe AG.

Schon mehrere Dörfer in Deutschland versorgen sich


selbst mit Energie aus Biomasse und/oder Windkraft.
Manche Gemeinden sind sogar autark. Wie bewerten
Sie solche Modelle?

Die Energieerzeugung aus Biomasse wird sicherlich


zunehmen. Allerdings halte ich wenig von der Formel:
"Biomasse plus Dezentralität ist per se wünschenswert und
gut fürs Klima." Solche Lösungen sind nur dort sinnvoll,
wo sie effizient und wirtschaftlich sind sowie den
größtmöglichen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz
leisten. Denn nicht immer ist "small" auch "beautiful".
Biomasse-Mitverbrennung in bestehenden Kraftwerken ist
besser fürs Klima, da die Biomasse die Kohle direkt
ersetzt. Diese Kraftwerke verfügen über deutlich höhere
Wirkungsgrade als Kleinkraftwerke und sind mit hochmodernen Rauchgasreinigungsanlagen
ausgerüstet, die spezifischen Schadstoffemissionen sind geringer. Durch die bereits
vorhandene Infrastruktur sind die Anlagen zudem kostengünstiger.

Was den Wind betrifft, werden wir hier in Deutschland eine Entwicklung weg vom Land
hinaus auf das Meer erleben. Weg von der kleinteiligen Erzeugung mit relativ wenigen
Anlagen und geringer Leistung, hin zur Erzeugung von Strom aus leistungsstarken Offshore-
Windparks.

Sind solche dezentralen Versorgungsnetze, die auf regenerative Energien setzen,


deutschlandweit möglich und wünschenswert?

Sie sind wünschenswert dort, wo sie möglich sind, unter den bereits genannten Aspekten:
Biomasse-Anlagen müssen mit hohem Wirkungsgrad Strom und Wärme produzieren können,
sie müssen wirtschaftlich und umweltschonend sein. Ebenso muss die Biomasse in räumlicher
Nähe zum Ort ihrer Verwertung verfügbar sein. Es nützt nichts, Biomasse kreuz und quer
durchs Land zu transportieren nur um einer Dezentralität willen. Zudem ist Biomasse nicht
unbegrenzt verfügbar: Die Anbauflächen stehen in unmittelbarer Konkurrenz zu Agrarflächen
für die Nahrungsmittelproduktion.

Die Nutzung der Windenergie ist an Land stark abhängig von lokalen Windverhältnissen,
insofern wäre ich vorsichtig mit dem Begriff "deutschlandweit". Geeignete Wind-Standorte
an Land werden bereits weitgehend genutzt. Hier kommt eher das so genannte Repowering
infrage, d.h. alte Windenergieanlagen werden durch neue Anlagen mit höherer Leistung
ersetzt. Viel wichtiger jedoch ist: Wollen wir die Ausbauziele der Bundesregierung in puncto
Windenergie erreichen, müssen wir in Deutschland mit den Windenergieanlagen raus aufs
Meer.

58
Auch die Kraft-Wärme-Kopplung kann dezentral genutzt werden. Seit 2002 wird sie
durch das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz gefördert. Welches Potential steckt in der
KWK als dezentrale Lösung?

Eine dezentrale Energieerzeugung auf Basis von Biomasse erfordert zwingend Kraft-Wärme-
Kopplung. Alles andere wäre Verschwendung von wertvollen Ressourcen. Weiteres Potenzial
liegt in so genannten Kleinst-KWK-Anlagen. Das sind Anlagen, die Ein-, Zwei- oder
Mehrfamilienhäuser mit Strom und Wärme versorgen. Hier zeigt die neuere
Technologieentwicklung vielversprechende Ansätze wie z.B. Stirling Motoren oder
Brennstoffzellen. Aber auch motorgetriebene KWK-Anlagen sind denkbar.

Kann mit vielen dezentralen Lösungen die Energieversorgung deutschlandweit gesichert


werden?

Es wird auch zukünftig einen Mix aus zentraler und dezentraler Energieerzeugung geben,
wobei dezentrale Lösungen die zentrale Energieversorgung mehr und mehr sinnvoll ergänzen
werden. Ein solch komplexes System aus zentraler und dezentraler Erzeugung erfordert
jedoch den weiteren Ausbau des Stromnetzes. Denn der Regel- und Steuerungsbedarf wird
zunehmen, so dass wir intelligente Netze benötigen, die zudem einen effektiven
Datenaustausch ermöglichen. Es müssen die Prognoseverfahren, gerade für die schwankende
dezentrale Stromproduktion aus erneuerbaren Energien wie beispielsweise Windenergie
verbessert werden. Es muss das Lastmanagement verbessert werden. Kurzum: Das
schwankende Angebot und die schwankende Nachfrage müssen möglichst passgenau zur
Deckung gebracht werden, und das gespeist aus vielen kleinen Quellen. Denn es nützt nichts
viel Energie dezentral und regenerativ zu erzeugen zu Zeiten, zu denen sie niemand benötigt,
um in Spitzenzeiten mangels Angebot auf konventionelle Erzeugung zurückgreifen zu
müssen.

59
Wir benötigen mehr Wettbewerb
Fünf Fragen an Claudia Kemfert

Zur Person
Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr
und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und
Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie
School of Governance in Berlin. Im September 2008 erschien ihr Buch
"Die andere Klimazukunft: Innovation statt Depression".

Auf dem deutschen Strommarkt gibt es vier große


Versorgungsunternehmen: EnBW, E.on, Vattenfall
und RWE. Brauchen wir mehr Wettbewerb?

Ja, wir benötigen mehr Wettbewerb. Die vier großen


Unternehmen haben derzeit über 80 Prozent der deutschen
Kraftwerkskapazitäten inne und besitzen die Stromnetze.
Es gibt somit potentiell die Gefahr, dass eben diese großen
Vier an der Strombörse das Stromangebot künstlich
kontrollieren und somit auch Einfluss auf die Preise
nehmen können. Der Börsenpreis ist der Preis, der den
Verbrauchern dann in Rechnung gestellt wird, obwohl viel
preisgünstiger Strom anhand von abgeschriebenen Kohle- und Kernkraftwerken produziert
wurde. Zudem können durch überhöhte Durchleitungsentgelte potentielle Wettbewerber und
neue Anbieter abgeschreckt werden. Daher sollte der Wettbewerb in erster Linie durch den
Ausbau der Stromnetze ins Europäische Ausland angekurbelt werden, sodass neue
Energiehersteller Interesse haben, auf dem deutschen Markt Strom anzubieten. Die
Bundesnetzagentur kontrolliert schon die Durchleitungsentgelte, dies ist ein wichtiger
Baustein für mehr Wettbewerb.

In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Erhöhungen des Strompreises. Ist diese
Preissteigerung gerechtfertigt?

Ja und nein. Ein Teil der Preiserhöhungen ist mit der Zunahme von Steuern und Abgaben zu
erklären: die Mehrwertsteuer wurde erhöht, zudem zahlen die Verbraucher mittlerweile bis zu
fünf Prozent des Strompreises für die Förderung von erneuerbaren Energien und Kraft-
Wärme-Kopplung. Die Preissteigerungen, die durch die Konzerne ausgelöst wurden, sind
zwar zu erklären, wären aber durch mehr Wettbewerb zu verhindern gewesen. Denn die
Konzerne haben die Emissionszertifikate, die sie kostenlos zugeteilt bekommen haben, auf
den Strompreis umgelegt – dies hat zu Extra-Profiten der Konzerne in einer Größenordnung
von bis zu fünf Milliarden Euro geführt. Zudem stellen die Konzerne die Großhandelspreise
den Verbrauchern in Rechnung, obwohl nur 17 Prozent des Stroms an der Börse gehandelt
wird. Der Großteil des Stroms wird durch preisgünstige Kohle- und Kernkraftwerke
gewonnen und über bilaterale Verträge gehandelt. Die Produktionskosten sind nicht in dem
Umfang gestiegen, dass damit die Preissteigerungen zu erklären wären.

Um für mehr Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt zu sorgen, wird – auch aus
Brüssel – gefordert, den Betrieb von Kraftwerken und Netzen nicht nur organisatorisch,
sondern auch eigentumsrechtlich zu trennen. Wie bewerten Sie diese Forderung?

60
Sie ist nicht falsch, nur hätte man dies gleich zu Beginn der Öffnung des Marktes machen
müssen: die Forderung kommt zehn Jahre zu spät. Eine Trennung von Netz und Produktion
kann zumindest verhindern, dass durch Marktdominanz ungerechtfertigte Preise verlangt
werden. Allerdings ist es unerheblich, wem die Netze gehören, wenn die
Regulierungsbehörde die Netzentgelte überwacht und somit ausschließt, dass die
Durchleitungsentgelte durch strategische Interessen beeinflusst werden. Die Netze werden
aber durch die Kostenkontrolle finanziell unattraktiv, daher wollen Eon und nun auch
Vattenfall die Stromnetze verkaufen. RWE plant, das Gasnetz zu verkaufen. Wichtig ist aber
der Netzausbau, damit neue Anbieter auf den Markt kommen – die Diskussion um das
Eigentum der Netze und nun auch der Verkauf führen dazu, dass kostbare Zeit verloren geht.
Zeit, die genutzt werden sollte, um die Netze auszubauen. Denn nur durch den Netzausbau
können die erneuerbaren Energien in den Markt integriert und der Stromfluss innerhalb
Europas garantiert werden.

Als Lösung für die Trennung von Kraftwerksbetrieb und Netz wurde unter anderem
eine Netz AG vorgeschlagen. In dieser AG sollten die Netze der vier überregionalen
Stromversorger zusammengeführt werden und sie sollte als unabhängiger Betreiber
agieren. E.on und Vattenfall gehen nun einen anderen Weg, sie wollen ihr
Hochspannungsnetz verkaufen. Ist die Netz AG damit hinfällig? Wie könnte eine andere
Lösung aussehen?

Ich denke nicht, dass die Netz AG damit hinfällig wird. Sie ist aber auch nicht unbedingt
notwendig, jetzt, wo die Konzerne mehr oder weniger freiwillig die Netze verkaufen. Die
Frage ist ja, wer das Netz dann erwerben wird – vielleicht Infrastrukturgesellschaften, die
Erfahrungen in anderen liberalisierten Energiemärkten sammeln konnten. Im Grunde wäre es
aber wichtig, dass es nicht nur eine deutsche Netz AG geben kann, sondern ebenso eine
europäische. Denn der kritische Punkt ist derzeit die Sicherstellung des Wettbewerbs und die
Versorgungssicherheit in ganz Europa. Dazu müssen zunächst identische Spielregeln in allen
europäischen Ländern dazu führen, dass nicht nur einige wenige Ländern für mehr
Wettbewerb sorgen, sondern alle. Die verschiedenen Netz AGs sollten zumindest
kooperieren, damit der Netzausbau zwischen den europäischen Ländern sichergestellt wird.

Bislang gibt es keinen integrierten EU-Binnenmarkt für Strom. Ist solch eine Integration
wünschenswert, und würde sie für mehr Wettbewerb sorgen? Ja, unbedingt! Denn nur ein
solcher EU-Binnenmarkt kann für ausreichend Wettbewerb sorgen. Derzeit gibt es allerdings
leider immer noch sehr ungleiche Entwicklungen in den verschiedenen Ländern. Manche
Länder, wie die skandinavischen oder auch England, haben ihre Märkte schon lang geöffnet
und einen ausreichenden Wettbewerb sichergestellt. Deutschland hat zwar den Markt
liberalisiert, doch zu wenig für die Sicherstellung eines funktionsfähigen Wettbewerbs getan.
Andere Ländern wiederum, wie Frankreich oder Spanien, schotten ihren Markt systematisch
ab, kreieren nationale Champions, die dann in anderen Ländern auf Einkaufstour gehen – das
kann nicht richtig sein. Wenn Wettbewerb gewünscht wird, dann müssen auch alle Länder
ihre Märkte ausreichend öffnen. Ein wirklich fairer EU-Binnenmarkt sollte von einer EU-
Regulierungsbehörde in Ergänzung zu den nationalen Behörden überwacht werden.

24. November 2008

61
Dynamik auf dem Strommarkt hat zugenommen
Fünf Fragen an Hildegard Müller

Zur Person
Hildegard Müller, geb. 1967, ist seit 1. Oktober 2008 Vorsitzende der
Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie-und
Wasserwirtschaft (BDEW), Berlin. Der Verband vertrit 1800
Unternehmen aller Größenklassen aus den Bereichen Strom, Erdgas,
Fernwärme, Wasser und Abwasser.

Auf dem deutschen Strommarkt gibt es vier große


Versorgungsunternehmen: EnBW, E.on, Vattenfall
und RWE. Brauchen wir mehr Wettbewerb?

Wir haben auf dem deutschen Strommarkt einen


intensiven Wettbewerb. Rund 150 neue Stromanbieter sind
heute aktiv. In Deutschland herrscht seit 1998 Wettbewerb
zwischen rund 1100 Stromunternehmen – jeder Haushalt
kann seinen Lieferanten frei wählen. Die Stromkunden
nutzen diesen Wettbewerb und entscheiden sich immer
häufiger für neue Tarife und Produkte: Seit Beginn der
Liberalisierung im Jahr 1998 haben 62 Prozent der
Privathaushalte entweder einen neuen Stromtarif ihres alten Stromversorgers oder einen
neuen Stromversorger gewählt. Das sind elf Prozentpunkte mehr als noch zum Jahresende
2007. Der von der Liberalisierung ausgelöste Wettbewerb hat neue Anbieter angezogen, die
Dynamik auf dem Strommarkt hat deutlich zugenommen. Große internationale Konzerne
gehören ebenso zu den Marktteilnehmern wie regionale Energieversorger, Stadtwerke,
Stromhändler, neue Stromanbieter oder reine Ökostrom-Anbieter. Diese Dynamik schlägt
sich auch in den Investitionszahlen der Branche nieder. In diesem Jahr wird mit gut
9.Milliarden Euro fast drei Mal so viel für neue Erzeugungsanlagen und Stromnetze
ausgegeben wie im Jahr 2000.

In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Erhöhungen des Strompreises. Ist diese
Preissteigerung gerechtfertigt?

Seit der Liberalisierung bilden sich die Strompreise aufgrund von Angebot und Nachfrage am
Markt. Und der Markt, auf dem das passiert, ist die Strombörse in Leipzig. Dort kaufen die
Unternehmen auf eine Frist von teilweise bis zu zwei Jahren im Voraus den Strom ein, den sie
aufgrund ihrer Prognosen benötigen werden. Sie tun dieses, um nicht von kurzfristigen
Schwankungen abhängig zu sein. Die Strombörse in Leipzig wiederum ist nicht frei von den
Entwicklungen auf den internationalen Energiemärkten. Dort sind die Preise beispielsweise
für Öl und Kohle aufgrund der starken Nachfrage insbesondere aus China, Indien und
Brasilien in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Dieses hat auch die Großhandelspreise
für Strom an den europäischen Strombörsen und damit auch in Deutschland kräftig nach oben
getrieben. Weil aber Öl und Kohle inzwischen wieder billiger geworden sind, werden
wahrscheinlich auch die Strompreise wieder sinken. Vergessen darf man auch nicht, dass
Steuern und Abgaben inzwischen 40 Prozent des Strompreises in Deutschland ausmachen.
Ohne diese Belastungen läge der Strompreis heute auf dem Niveau von 1998.

62
Um für mehr Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt zu sorgen, wird – auch aus
Brüssel – gefordert, den Betrieb von Kraftwerken und Netzen nicht nur organisatorisch,
sondern auch eigentumsrechtlich zu trennen. Wie bewerten Sie diese Forderung?

Die eigentumsrechtliche Entflechtung der Übertragungs- und Fernleitungsnetze stellt einen


unverhältnismäßigen und ungerechtfertigten Eingriff in das Eigentumsrecht der Unternehmen
dar. Die erwünschte Wirkung des diskriminierungsfreien Netzzugangs kann auch durch die in
allen EU-Staaten praktizierte Regulierung erreicht werden. Mehrere Staaten haben darauf
hingewiesen, dass es bisher keine belastbaren Erkenntnisse über Vorteile der
eigentumsrechtlichen Entflechtung zum Beispiel im Hinblick auf die Strompreise gebe.
Deutschland, Frankreich, Österreich, aber auch Bulgarien, Lettland, Griechenland, Slowakei
und Luxemburg haben die Vorschläge der Kommission zur eigentumsrechtlichen
Entflechtung zu Recht abgelehnt.

Als Lösung für die Trennung von Kraftwerksbetrieb und Netz wurde unter anderem
eine Netz AG vorgeschlagen. In dieser AG sollten die Netze der vier überregionalen
Stromversorger zusammengeführt werden und sie sollte als unabhängiger Betreiber
agieren. E.on und Vattenfall gehen nun einen anderen Weg, sie wollen ihr
Hochspannungsnetz verkaufen. Ist die Netz AG damit hinfällig? Wie könnte eine andere
Lösung aussehen?

Entscheidend für den Energiemarkt ist eine effiziente Regulierung der Netze und nicht die
Frage, wer Eigentümer dieser Netze ist. Und die Regulierung in Deutschland funktioniert sehr
gut. Sie sorgt für einen diskriminierungsfreien Netzzugang und eine diskriminierungs-freie
Nutzung. Dazu muss Regulierung auch Sorge dafür tragen, dass für Unternehmen
Investitionen zum Erhalt sowie notwendigen Aus- und Umbau des Netzes möglich sind.

Bislang gibt es keinen integrierten EU-Binnenmarkt für Strom. Ist solch eine
Integration wünschenswert, und würde sie für mehr Wettbewerb sorgen?

Die Energiewirtschaft in Deutschland setzt sich aktiv für ein Zusammenwachsen der bislang
überwiegend nationalstaatlich ausgerichteten Märkte für leitungsgebundene Energien zu
einem einheitlichen europäischen Markt ein. Denn ein funktionierender, liberalisierter,
europäischer Energiemarkt bietet die besten Chancen, die Ziele, welche die EU-Kommission
mit ihrem dritten Binnenmarktpaket verbindet, zu erreichen: wettbewerbsfähige Preise, hohe
Versorgungssicherheit und hohe Klima- und Umweltstandards. Dass sich aktuell in einem
ersten Schritt Betroffene aus mehreren Mitgliedsstaaten zu grenzüberschreitenden
Regionalmärkten zusammenfinden, so wie es in Nordwesteuropa schon geschehen ist, ist ein
notwendiger Zwischenschritt, um diese Ziele zu erreichen. Die Kopplung der Strom- und
Gasmärkte in Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg hat
Modellcharakter.

63
Anteil der Erneuerbaren Energien an der Energieversorgung
steigern
Sechs Fragen an Björn Klusmann
Zur Person
Björn Klusmann ist Geschäftsführer des Bundesverband Erneuerbare
Energie e.V. Der BEE wurde 1991 als Dachverband der
Fachverbände der Erneuerbaren Energien gegründet. Ihm gehören
rund 20 Verbände aus den Bereichen Wasserkraft, Windenergie,
Biomasse, Solarenergie und Geothermie an.

Deutschland ist Vorreiter bei der Nutzung


erneuerbarer Energien. 2007 trugen die
Erneuerbaren 6,6 Prozent zum gesamten
Primärenergieverbrauch bei. Um wie viel kann dieser
Anteil noch gesteigert werden?

Der Anteil Erneuerbarer Energien am


Endenergieverbrauch lag im vergangenen Jahr mit 8,6
Prozent sogar noch deutlich höher. Zur Stromversorgung
tragen die Erneuerbaren Energien schon jetzt mehr als 15
Prozent bei, zur Wärmeversorgung derzeit 6,5 Prozent
und im Mobilitätssektor etwa 7 Prozent. Langfristig können und müssen wir die
Energieversorgung vollständig auf Erneuerbare Energien umstellen. Alle anderen
Energieträger sind endlich. Es wäre gegenüber kommenden Generationen unverantwortlich,
Öl, Gas, Kohle und Uran zu verbrauchen, ohne bereits jetzt den Ausbau Erneuerbarer
Energien voranzutreiben. Die vollständige Umstellung auf Sonne, Wind, Wasser, Bioenergie
und Geothermie wird noch in diesem Jahrhundert kommen. Noch vor 2050 werden wir bereits
unseren gesamten Stromverbrauch aus diesen unendlich lange verfügbaren Energieträgern
decken können.

Ist ein weitreichender Umstieg auf erneuerbare Energien, bei Beibehaltung des
Ausstiegs aus der Atomenergie, möglich? Und zwar ohne große Preisschübe im
Energiesektor?

Es wäre sogar kontraproduktiv, die Atomkraft länger als vereinbart zu nutzen. Der Ausbau
Erneuerbarer Energien im Stromsektor geht deutlich schneller voran als der Ausstieg aus der
Atomenergie. Der wegfallende Atomstrom wird mehr als kompensiert. Außerdem ist der
Ausstieg Teil der Investitionsbedingungen für unsere Unternehmen. Unter diesen
Bedingungen haben wir entschieden, bis 2020 mehr als 200 Milliarden Euro in Erneuerbare
Energien zu investieren. Wer den Atomausstieg ständig in Frage stellt, verunsichert damit
auch die Investoren unserer Branche.

Dass Atomkraft günstige Strompreise garantiert, ist im Übrigen ein Märchen. Heute steigen
die Strompreise, obwohl die Atomkraft noch am Netz ist. Der Strompreis an der Börse wird
vom teuersten Kraftwerk bestimmt. Wenn Konzerne abgeschriebene Atomkraftwerke
betreiben, senkt das nicht den Strompreis, sondern steigert den Gewinn. Darauf zu hoffen,
dass diese Zusatzgewinne an die Verbraucher oder den Staat abgegeben werden, wie dies
einige Politiker derzeit vorschlagen, ist vollkommen naiv.

Seit 2000 fördert das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) regenerative Energien. Wie


bewerten Sie dieses Gesetz, und wie wichtig ist die Förderung regenerativer Energien?

64
Das EEG ist das zentrale Förderinstrument für Wind, Wasser, Sonne, Bioenergie und
Geothermie im Stromsektor. Es garantiert verlässliche Investitionsbedingungen für
Kraftwerke, die ansonsten derzeit noch keine Chance hätten. Weil der Preis für fossile
Energieträger die Kosten für Umweltschäden nicht ausreichend widerspiegelt, sind
Erneuerbare Energien heute teilweise noch etwas teurer als die so genannten konventionellen
Energien. Das EEG gleicht dies aus, indem es feste Einspeisetarife für Strom aus
Erneuerbaren Energien garantiert. Trotzdem ist das Gesetz keine Dauersubvention. Die
Vergütungssätze für neue Anlagen sinken von Jahr zu Jahr. Das zwingt die Anlagenhersteller,
in jedem Jahr etwas kostengünstiger zu produzieren. Solch strenge Effizienzvorgaben gibt es
für keine andere Branche. Schon heute kostet Windstrom nur noch halb so viel wie noch
Anfang der 1990er Jahre. Der Mix aus allen Erneuerbaren Energien wird noch vor 2020
günstiger sein als der fossile Rest der Stromproduktion.

Sollte neben den erneuerbaren Energien verstärkt auch eine effizientere und
umweltschonendere Ausbeute fossiler Brennstoffe gefördert werden?

Wir haben das Ziel, möglichst schnell den Anteil der Erneuerbaren Energien an der
Energieversorgung zu steigern. Dies geht umso schneller, je weniger Energie insgesamt
verbraucht wird. Aus diesem Grund setzen wir uns sehr für wirksame Effizienzmaßnahmen
ein. Aus unserer Sicht müssen der Ausbau Erneuerbarer Energien und Effizienz Hand in Hand
gehen. Leider werden die Ansätze beim Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz nicht optimal
verzahnt. Wer sein Haus besser dämmt, wird von der Pflicht zum Einsatz Erneuerbarer
Energien befreit. Dies verhindert die notwendige Kombination beider Ansätze.

Zurzeit gewinnt Biomasse an Bedeutung. Wie viel Potential steckt in der Biomasse als
Energielieferant?

Die Bioenergie ist derzeit der Erneuerbare Energieträger, der am meisten zur
Energieproduktion beiträgt. Im Wärme- und im Mobilitätssektor sind Holz und
Energiepflanzen die Hauptträger des Beitrages Erneuerbarer Energien. Dies wird in der
öffentlichen Diskussion, die häufig sehr auf den Stromsektor verengt ist, leider übersehen.
Aus unserer Sicht ist es möglich, auf 25 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Energie
zu produzieren. Früher, als noch Zugtiere eingesetzt wurden, wurde sogar auf mehr als 30
Prozent der Fläche Kraftstoff für Pferde und Ochsen angebaut. Langfristig wird die
Bioenergie in Deutschland mindestens 25 Prozent des Energieverbrauchs abdecken.

Weltweit wächst die Nutzung und auch das Interesse an erneuerbaren Energien.
Welchen Vorteil kann Deutschland als Industriestandort aus dem Wissensvorsprung bei
der Entwicklung der erneuerbaren Energien ziehen?

Unsere Wirtschaft profitiert schon in hohem Maße von dem Effekt, den wir "Pionierrendite"
nennen. Weil hierzulande frühzeitig auf den Ausbau Erneuerbarer Energien gesetzt wurde,
sind Unternehmen aus Deutschland in vielen Teilbereichen der Branche technologisch
weltweit führend. Im vergangenen Jahr wurden bereits Anlagen im Wert von mehr als 8,5
Milliarden Euro aus Deutschland exportiert. Der Exportanteil an unserem Gesamtumsatz
wächst rasant. Während heute 250.000 Menschen in unserer Branche arbeiten, werden es
2020 mehr als 500.000 sein. Grund hierfür ist auch der schnell wachsende Exportanteil. Die
Zukunftsaussichten sind bestens. Während 2006 weltweit noch rund 60 Milliarden Euro in
Anlagen zur Nutzung Erneuerbarer Energien investiert wurden, wird dieses
Weltmarktvolumen bis 2020 auf mehr als 400 Milliarden Euro explodieren.

65
Energieeffizienz fängt bereits bei der Erschließung und
Förderung von Energievorkommen an
Sechs Fragen an Jörg Adolf

Zur Person
Dr. Jörg Adolf ist Chefvolkswirt der Shell Deutschland Oil GmbH.
Shell ist eine globale Gruppe aus Energie- und
Petrochemieunternehmen, die in mehr als 110 Länder tätig ist.

Deutschland ist Vorreiter bei der Nutzung


erneuerbarer Energien. 2007 trugen die Erneuerbaren
6,6 Prozent zum gesamten Primärenergieverbrauch
bei. Um wie viel kann dieser Anteil noch gesteigert
werden?

Wirtschaft und Politik haben in den vergangenen Jahren


erhebliche Anstrengungen unternommen, den Anteil
erneuerbarer Energien am Energieverbrauch zu steigern.
Dabei konnten zuletzt beachtliche Fortschritte erzielt
werden; zum Beispiel machten Biokraftstoffe im
vergangenen Jahr bereits 7,6 Prozent am gesamten Kraftstoff-Absatz in Deutschland aus;
damit liegt Deutschland weit über dem EU-Durchschnitt.

Im internationalen Vergleich ist das Potenzial für erneuerbare Energien in Deutschland aber
eher unterdurchschnittlich. Während Erneuerbare weniger als 10 Prozent zum
Endenergieverbrauch in Deutschland beitragen, sind es – dank Wasserkraft - zum Beispiel in
Österreich über 20 Prozent und in Schweden fast 40 Prozent. Um so mehr kommt es darauf
an, bestehende erneuerbare Technologien weiter zu entwickeln und neue zur
Anwendungsreife zu bringen. Hier leistet Shell zum Beispiel wichtige Beiträge, um heutige
Biokraftstoffe nachhaltiger zu machen, oder Biokraftstoffe zweiter Generation auf den Markt
zu bringen.

Ist ein weitreichender Umstieg auf erneuerbare Energien, bei Beibehaltung des
Ausstiegs aus der Atomenergie, möglich? Und zwar ohne große Preisschübe im
Energiesektor?

Wir haben gesehen, dass der Anteil erneuerbarer Energien in Deutschland wächst, aber auch
bei starkem Anstieg wird er weiterhin unterdurchschnittlich bleiben. Deutschland wird also
auch in Zukunft auf einen ausgewogenen, breiten Energie-Mix angewiesen sein. Mit Blick auf
den Klimaschutz kommt hierbei CO2-armen und -freien Energietechnologien – wie Erdgas,
erneuerbare Energien oder eben Atomkraft – große Bedeutung zu.

Darüber hinaus muss man auch die globalen Entwicklungen beachten: Die weltweite
Energienachfrage wird weiter wachsen; bis zum Jahre 2050 halten wir eine Verdoppelung für
möglich. Für eine wirtschaftliche, sichere und nachhaltige Energieversorgung können wir
auch hier auf keine Alternative verzichten. Dabei verzeichnen wir eine zunehmende
Umstellung auf erneuerbare Energien; bis 2050 rechnen wir mit einem erneuerbaren Anteil
von einem Drittel. Das heißt aber auch, dass selbst zur Mitte des Jahrhunderts noch immer
rund 60 Prozent der Energieversorgung weltweit auf Erdöl, Erdgas und Kohle basieren wird.

66
Seit 2000 fördert das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) regenerative Energien. Wie
bewerten Sie dieses Gesetz, und wie wichtig ist die Förderung regenerativer Energien?

Shell tritt ein für Wettbewerb und Marktwirtschaft; von daher müssen sich aus unserer Sicht
alle Energietechnologien langfristig am Markt ohne staatliche Unterstützung behaupten
können. Gleichwohl sehen wir die Notwendigkeit, junge, noch in der Entwicklung befindliche
Technologien in der Entwicklungs- und Markteinführungsphase zu unterstützen.

Immer wichtiger wird in Zukunft jedoch das Thema CO2-Emissionen sein. Für erneuerbare
Energieträger heißt das, die jeweiligen CO2-Vermeidungskosten und -beiträge müssen
berücksichtigt werden – zum Beispiel Energieträger, die für das gleiche Geld mehr CO2-
Einsparung liefern, müssen stärker gefördert werden.

Das deutsche EEG ist ein Instrument, neue Energie-Technologien bei der Einführung in den
Strommarkt staatlich zu fördern. Und es hat sich als sehr effektiv erwiesen. Mittelfristig muss
das EEG jedoch auf eine breitere europäische Basis gestellt und der fortgeschrittenen
Marktreife erneuerbarer Energieträger stärker Rechnung getragen werden.

Sollte neben den erneuerbaren Energien verstärkt auch eine effizientere und
umweltschonendere Ausbeute fossiler Brennstoffe gefördert werden?

Wir sehen grundsätzlich drei Wege, um zu einer nachhaltigeren Energieversorgung zu


gelangen: 1) Den Anteil von erneuerbaren Energieträgern am Energie-Mix zu erhöhen. 2)
Konventionelle Energieträger sauberer zu machen – zum Beispiel durch Abtrennung und
unterirdische Einspeicherung von CO2 (Carbon Capture and Storage, CCS). Und 3)
Energieeffizienz.

Energieeffizienz fängt bereits bei der Erschließung und Förderung von Energievorkommen
an. So konnten bisher nur 30 bis 40 Prozent des Erdöls aus Erdöl-Lagerstätten gefördert
werden; mit neuen Fördertechnologien kann die Ausbeute verdoppelt werden. Beim Öl
entstehen 20 Prozent der CO2-Emissionen in der Vorkette, vier Fünftel der CO2-Emissionen
durch Verbrauch beim Endnutzer. Deshalb müssen Energieprodukte und Energiegeräte
effizienter werden. Im Bereich Verkehr bedeutet dies, effizientere Antriebs- und
Fahrzeugtechnologien, aber auch sparsamere, CO2-ärmere Kraftstoffe zu entwickeln. Aus
diesem Grund arbeitet Shell eng mit führenden Fahrzeugherstellern an verschiedenen
Konzepten zusammen.

Zurzeit gewinnt Biomasse an Bedeutung. Wie viel Potential steckt in der Biomasse als
Energielieferant?

Biomasse ist heute der wichtigste erneuerbare Energieträger mit 5,9 Prozent am
Endenergieverbrauch in Deutschland. Rund zwei Drittel der gesamten Endenergie aus
erneuerbaren Energiequellen werden damit durch Biomasse bereit gestellt. Allerdings wird
Biomasse-Energie sehr unterschiedlich genutzt: Während bei Kraftstoffen und Wärmeenergie
Biomasse fast 100 Prozent der Alternativen bereitstellt, ist es bei der Stromerzeugung nur
etwa ein Drittel.

Der Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Endenergieverbrauch liegt noch unter zehn
Prozent und wird aber weiter steigen; hierzu wird Biomasse einen weiteren Beitrag liefern.
Schätzungen über das Potenzial von Biomasse an der deutschen ebenso wie der globalen
Energieversorgung gibt es reichlich; sie reichen von geringen einstelligen bis zu höheren

67
zweistelligen Anteilswerten. Wie hoch der Anteil letztendlich sein wird, hängt nicht zuletzt
von den künftigen Rahmenbedingungen ab – staatliche Vorgaben, Wirtschaftlichkeit,
technologische Entwicklung, alternative Nutzungen.

Weltweit wächst die Nutzung und auch das Interesse an erneuerbaren Energien. Welchen
Vorteil kann Deutschland als Industriestandort aus dem Wissensvorsprung bei der
Entwicklung der erneuerbaren Energien ziehen?

Die Möglichkeiten, erneuerbare Energien in Deutschland oder Europa zu erzeugen, sind


begrenzt. Dennoch gehört Deutschland mit seinem Know-how bei alternativen
Energietechnologien zu den führenden Standorten weltweit – sei es in der Windkraft, sei es
bei der Photovoltaik oder im Bereich biogener Kraftstoffe.

Da die globale Energieversorgung durch alternative Energietechnologien nachhaltiger und


klimafreundlicher gemacht werden muss, kann sich hieraus ein wichtiger Vorteil im
internationalen Wettbewerb ergeben. Das kann insbesondere dann gelingen, wenn die
Energieindustrien konsequent auf Effizienz und CO2-Einsparung ausgerichtet werden.
Hierfür ist etwa ein entsprechender klimapolitischer Rahmen mit einem funktionierenden
Emissionshandel für Industrieanlagen essentiell. Ebenso wird es erforderlich sein, auch
weiterhin offen für neue Energie-Technologien zu sein.

68
Kohleverstromung ist klimaschädlichste Art der Stromerzeugung
Fünf Fragen an Thorsten Becker

Zur Person
Thorben Becker ist Energiereferent in der Bundesgeschäftsstelle des
BUND in Berlin. Der Bund für Umweltschutz und Naturschutz
Deutschland e.V. (BUND) tritt als Umweltschutzorganisation für eine
nachhaltige Entwicklung in Deutschland an.

Die Preise für Öl und Gas steigen. Braun- und


Steinkohle gelten als billige fossile Energieträger: Wie
günstig ist die Kohle?

Auch der Preis für Steinkohle ist in den letzten Monaten


rasant gestiegen. Und Kohle mit seinen hohen CO2-
Emissionen kann nur dann vermeintlich preiswert sein,
solange die Klimafolgenkosten nicht berücksichtigt
werden: Die Abschätzungen für die weltweiten
Schadenskosten variieren stark in unterschiedlichen
Studien. Ein auch vom Bundesumweltministerium zitierter
Wert liegt bei 70 Euro pro Tonne CO2. Ein neues
Steinkohlekraftwerk, wie das von Vattenfall in Hamburg
Moorburg geplante, würde also externe Klimaschäden in Höhe von rund 700 Millionen Euro
jährlich verursachen. Deshalb ist es wichtig, dass auch CO2 über den Emissionshandel
endlich einen Preis bekommt. Wenn die Politik in den nächsten Jahren strenge
Klimaschutzvorgaben erlässt, dann werden Kohlekraftwerke voraussichtlich so teuer, dass sie
unwirtschaftlich sind.

2007 trugen Braun- und Steinkohle 25 Prozent zum deutschen Energiemix bei, sie sind
damit ein wichtiger Energielieferant, aber auch ein großer CO2-Verursacher. Was wiegt
mehr: Wirtschaftlichkeit oder Umweltschutz?

Der BUND ist der festen Überzeugung, dass dieses "oder" keinen Sinn macht. Wir brauchen
eine Energieversorgung, die klimaverträglich und wirtschaftlich ist. Dies kann die
Kohleverstromung nicht sein. Kohleverstromung ist die klimaschädlichste Art der
Stromerzeugung. Wenn wir Klimaschutz ernst nehmen, dürfen wir keine neuen
Kohlekraftwerke in Deutschland bauen und keine neuen Braunkohle-Tagebaue in Betrieb
nehmen. Befürworter des Neubaus von Kohlekraftwerken behaupten oft, diese Technologie
sei wirtschaftlicher als andere Varianten. Tatsächlich gilt dies nur unter ganz bestimmten
Randbedingungen. Bei einer Umstellung der deutschen Energieversorgung auf einen
klimagerechten Energiemix ist dies nicht mehr der Fall.

Die Abhängigkeit von Gas- und Ölimporten wächst; Braunkohle ist hingegen ein
wichtiger heimischer Energieträger. Welche Rolle sollte der Aspekt der
Versorgungssicherheit spielen?

Die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten sinkt in den letzten Jahren dank der verstärkten
Nutzung der erneuerbaren Energien in Deutschland. Und dies ist auch der einzig richtige
Weg, um weiter eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten. Denn Braunkohle kann
keinen Beitrag zu einer zukunftsfähigen Energieversorgung leisten. Das Verbrennen von
Braunkohle setzt ungeheure Mengen an klimaschädlichem CO2 frei. Und allein die

69
ökologischen Schäden und die unverantwortliche Umsiedlung von ganzen Dörfern, die der
Braunkohle-Tagebau bedeutet, sind ein ausreichender Grund mit der Braunkohleverstromung
aufzuhören.

Der Bau neuer Kohlekraftwerke wird von den Anwohnern meist abgelehnt. Ebenso ist
insbesondere der Tagebau stark umstritten. Wenn überhaupt, wie kann die Akzeptanz
der Bevölkerung gewonnen werden?

Der BUND arbeitet nicht an Akzeptanz für klimaschädliche Kraftwerke und Umwelt
zerstörende Tagebaue. Wir arbeiten daran, die Bevölkerung in ihrem berechtigten Protest zu
unterstützen. In Brandenburg etwa hat der BUND zusammen mit einem breiten Bündnis ein
Volksbegehren gegen neue Braunkohle-Tagebaue initiiert. Alle Menschen, die nicht in
Brandenburg wohnen, können sich trotzdem mit dem Volksbegehren solidarisieren.

Seit längerem wird an der Entwicklung der CCS-Technologie gearbeitet: Damit soll das
in Kohlekraftwerken freigesetzte CO2 aufgefangen, verdichtet und in unterirdischen
Lagerstätten gespeichert werden. Die Kohlendioxidmenge soll so stark reduziert
werden. Wie ausgereift ist das Verfahren, und könnte es einen Wendepunkt für die
Kohle als Energieträger bedeuten?

Das Verfahren ist noch überhaupt nicht ausgereift und wird frühestens ab 2020 eine Rolle
spielen können. Dann werden nach den Plänen der Stromkonzerne aber bereits viele neue
Kohlekraftwerke am Netz sein, bei denen diese Technik keine Rolle spielt. Es ist aus heutiger
Sicht sehr fraglich, ob es überhaupt ausreichend sichere Lagerstätten für das CO2 gibt, wo es
für mehrere tausend Jahre nicht entweichen kann. Klar ist, dass die Technik sehr
energieaufwändig und teuer ist. Deshalb sollten wir auf die Technologien setzen, die bereits
heute vorhanden sind wie erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Kraft-
Wärmekopplungs-Kraftwerke.

70
Braunkohle ist wichtiger Energieträger für Kraftwerke
Fünf Fragen an Franz-Josef Wodopia

Zur Person
Prof. Dr. Franz-Josef Wodopia ist Hauptgeschäftsführer und
Vorstandsmitglied des Gesamtverband Steinkohle (GVSt). Der GVSt
vertritt unter anderem die RAG Deutsche Steinkohle AG. Der
Verband agiert auf nationaler und internationaler Ebene.

Die Preise für Öl und Gas steigen. Braun- und


Steinkohle gelten als billige fossile Energieträger: Wie
günstig ist die Kohle?

Braun- und Steinkohle gelten mit Recht trotz der jüngsten


Preisanstiege am Kohleweltmarkt als relativ günstige
fossile Energieträger. Nach wie vor besteht ein deutlicher
Preisabstand zu Öl und Gas. Die heimische Braunkohle ist
auch mit Importkohle voll konkurrenzfähig und wird dies
langfristig bleiben. Die heimische Steinkohle wurde aus
Gründen der Versorgungssicherheit durch Subventionen unterstützt. Zu erinnern ist an die
Gesetze zur Sicherung der Stromversorgung zu Zeiten der Ölkrisen und ebenso an den
Kohlepfennig, einer verbraucherorientierten Finanzierungsmethode. 2007 wurde das
sozialverträgliche Auslaufen des subventionierten heimischen Steinkohlenbergbaus politisch
beschlossen, jedoch eine Überprüfung durch den Deutschen Bundestag im Jahre 2012
eingeplant. Dafür entscheidend wird sein, wie sich die Energiepreise weltweit entwickeln. Die
Überprüfung soll gemäß § 1 Abs. 2 Steinkohlefinanzierungsgesetz "unter Beachtung des
Gesichtspunktes der Wirtschaftlichkeit, der Sicherung der Energieversorgung und der übrigen
energiepolitischen Ziele" erfolgen.

2007 trugen Braun- und Steinkohle 25 Prozent zum deutschen Energiemix bei, sie sind
damit ein wichtiger Energielieferant, aber auch ein großer CO2-Verursacher. Was wiegt
mehr: Wirtschaftlichkeit oder Umweltschutz?

Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz sind zusammen mit der Versorgungssicherheit


gleichrangige energiepolitische Ziele. Zwar sind die CO2-Emissionen beim Einsatz von
Kohle höher als beim Einsatz von Erdgas, doch ist Gas deutlich teurer und zudem mit
größeren Versorgungsrisiken verbunden. Eine Abwägung "Wirtschaftlichkeit oder
Umweltschutz" muss aber auch deshalb nicht vorgenommen werden, weil die Verfahren zum
Einsatz von Kohle in der Stromerzeugung ständig verbessert werden. Würden weltweit
Steinkohlenkraftwerke nach neuestem deutschen Stand eingesetzt, könnten die CO2-
Emissionen bei der Stromerzeugung weltweit um ein Drittel gesenkt werden. Mit Sicherheit
muss Umweltschutz unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten durchgeführt werden. Es sollten
die Verfahren gewählt werden, die die Einsparung einer Tonne CO2 zu den
geringstmöglichen Kosten ermöglichen. Je günstiger die Einsparkosten je Tonne sind, umso
mehr CO2 kann auch eingespart werden.

Die Abhängigkeit von Gas- und Ölimporten wächst; Braunkohle ist hingegen ein
wichtiger heimischer Energieträger. Welche Rolle sollte der Aspekt der
Versorgungssicherheit spielen?

71
Die Versorgungssicherheit ist ein gleichrangiges energiepolitisches Ziel, das gemeinsam mit
der Wirtschaftlichkeit und dem Umweltschutz zu sehen ist. Während die
Verwendungskonkurrenz um Öl und Gas weltweit steigt, ist die Braunkohle als heimischer
Bodenschatz noch für viele Jahrzehnte verfügbar. Deshalb sollte die energiepolitische
Beurteilung von Energiequellen stets alle Dimensionen des energiepolitischen Zieldreieckes
berücksichtigen. Braunkohle ist ein wichtiger Energieträger für Kraftwerke, die rund um die
Uhr laufen müssen (Grundlast). Braunkohle könnte in der Zukunft sogar wie schon in der
Vergangenheit zur Herstellung von Kohlenwasserstoffen genutzt werden. Die Verfahren
wurden in Deutschland entwickelt und würden eine sichere Versorgung beispielsweise auch
der chemischen Industrie in Deutschland ermöglichen. Die Braunkohle ist deshalb im
wahrsten Sinne des Wortes ein heimischer Bodenschatz. (Das ließe sich in ähnlicher Weise
für die heimische Steinkohle begründen.)

Der Bau neuer Kohlekraftwerke wird von den Anwohnern meist abgelehnt. Ebenso ist
insbesondere der Tagebau stark umstritten. Wenn überhaupt, wie kann die Akzeptanz
der Bevölkerung gewonnen werden?

Bergbau und Stromerzeugung sind immer mit Umwelteinwirkungen verbunden. Leider ist in
den Industrieländern die Haltung beliebt, diese Umwelteinwirkungen möglichst auf andere
Länder zu verlagern. Gelöst werden sie aber auf diese Weise nicht. Im Gegenteil sind die
Umweltstandards bei der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung – und so auch bei der
Stromerzeugung – in den OECD-Ländern deutlich höher als in vielen Ländern mit
wirtschaftlichem Nachholbedarf. Deshalb müsste wieder stärker in den Vordergrund gerückt
werden, dass der Energieverbrauch auch stets ein Bekenntnis zum verantwortungsvollen
Umgang mit Rohstoffen voraussetzt. Eine Verlagerung zählt bestimmt nicht dazu. Allerdings
ist es schwierig, den unmittelbar in der Nähe wohnenden Menschen heute noch dieses
Verständnis abzugewinnen. Bezeichnend ist, dass man für die bei uns als Kirchturmspolitik
bezeichnete Haltung auch in vielen anderen Sprachen Entsprechungen findet. In den USA
spricht man von Nimby-Politik: "Not In My Back Yard", also "nicht in meinem Hinterhof".

Seit längerem wird an der Entwicklung der CCS-Technologie gearbeitet: Damit soll das
in Kohlekraftwerken freigesetzte CO2 aufgefangen, verdichtet und in unterirdischen
Lagerstätten gespeichert werden. Die Kohlendioxidmenge soll so stark reduziert
werden. Wie ausgereift ist das Verfahren, und könnte es einen Wendepunkt für die
Kohle als Energieträger bedeuten?

CCS-Technologien sind der Wirkungsgradsteigerung insofern überlegen, als nur noch eine
geringe Restmenge an CO2 emittiert wird. Allerdings führt dieses Verfahren zu einem
höheren Energieverbrauch. Dies erhöht nicht nur den Verbrauch an Steinkohle, sondern senkt
auch den Wirkungsgrad. Deshalb sind weitere Anstrengungen zur Erhöhung des
Kraftwerkswirkungsgrades unverzichtbar. Eine Option ist die Abspaltung von CO2 im
Kraftwerk und der Transport zu einer Lagerstätte, wo das CO2 dauerhaft sicher in
geologischen Formationen verbracht werden kann, also die CCS-Technologie (Carbon
Capture and Storage). Derzeit befinden sich unterschiedliche Abscheidetechniken in der
Erprobung, eine Pilotanlage in Schwarze Pumpe existiert bereits auf Braunkohlenbasis.
Anschließend ist die großtechnische Machbarkeit zu erweisen. Während die Lagerung Stand
der Technik ist, bringt der Transport ein Akzeptanzproblem mit sich. Ob sich durch diese
Technik eine höhere Akzeptanz der Kohle ergeben wird, kann heute deshalb noch nicht sicher
eingeschätzt werden.

72
Renaissance der Atomkraft ist bloße Rhetorik
Sechs Fragen an Robert Werner

Zur Person
Robert Werner, 40, ist seit 2001 Vorstandsmitglied der Greenpeace
Energy eG. Zuvor arbeitete er für eine Unternehmensberatung und für
die Umweltorganisation Greenpeace e.V. Die 1999 gegründete
Genossenschaft Greenpeace Energy versorgt inzwischen
deutschlandweit 85.000 Kunden mit Ökostrom und investiert zudem in
den Bau umweltfreundlicher Kraftwerke.

Die Konzentration von Kohlendioxid in der


Erdatmosphäre nimmt stetig zu und heizt das Klima
an. Ist die Atomkraft ein möglicher Klimaretter? Wie
umweltschonend ist die Nuklarenergie?

Atomkraft ist nicht klimaneutral und schon gar nicht


umweltfreundlich. Inklusive Bau, Betrieb und Brennstab-
Herstellung verursachen Atomkraftwerke rund 60 Gramm
CO2 je erzeugter Kilowattstunde Strom. Zwar stoßen
Kohlekraftwerke noch mehr CO2 aus, doch um einen
wirksamen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, müssten
bis zum Jahr 2050 weltweit 1.300 neue AKWs entstehen. Derzeit sind 439 Meiler in Betrieb.
Ein solcher massiver Ausbau wäre unbezahlbar, im Hinblick auf die Atombomben-
Problematik unverantwortbar und bei der betroffenen Bevölkerung nicht durchsetzbar. Der
relative Klimavorteil im Vergleich zu Kohle wiegt die schwerwiegenden Umweltprobleme
bei Uranabbau und Atommüllentsorgung nicht auf. Weltweit gibt es kein sicheres Endlager
für Atommüll. Die Berge von Atommüll werden unsere Nachkommen noch über Jahrhunderte
gefährden.

Deutschland ist von Gas- und Ölexporten aus dem Ausland abhängig. Inwiefern bietet
die Atomkraft ein Plus an Versorgungssicherheit?

Sämtliches Uran für die Atomkraftwerke in Deutschland muss importiert werden – aus
Kanada, Russland, Australien, Namibia und Kasachstan. Die Versorgungssicherheit wird
durch mehr Atomkraft durch ein ganz anderes Problem geschwächt: Knowhow und
ausreichend qualifiziertes Personal. Schon jetzt können in Europa maximal zwei Reaktoren
gleichzeitig gebaut werden, weil nicht mehr Ingenieure für Atomkraftwerke zur Verfügung
stehen. Auch für den Betrieb und erst recht für den Rückbau und die Entsorgung würden die
notwendigen Ingenieure fehlen, was am Ende ein großes Sicherheitsrisiko darstellt.

Zurzeit wird der Klimaschutz ebenso diskutiert wie die Energiesicherheit. Noch dazu
sehen sich Privathaushalte und die Industrie steigenden Strompreisen ausgeliefert.
Findet vor diesem Hintergrund möglicherweise ein gesellschaftliches Umdenken
zugunsten der Atomenergie statt?

Wenn dank Atomkraft die Strompreise sinken würden – warum sind sie dann jetzt so hoch,
obwohl doch der Atomausstieg noch gar nicht richtig angefangen hat? Alle ernsthaften
Untersuchungen zeigen, dass der Weiterbetrieb der AKWs nicht zu niedrigeren Strompreisen
führen würde, sondern bloß zu höheren Gewinnen für die Betreiber. Nach Berechnungen des
Öko-Institutes ermöglicht eine Laufzeitverlängerung von acht Jahren den Konzernen

73
Gewinnmitnahmen in der Größenordnung von 66 bis 84 Milliarden Euro. Das ist auch der
Grund für die unsachliche PR-Kampagne, die wir derzeit erleben: Mit dem windigen
Versprechen, dass der Strom vielleicht irgendwie billiger werde, soll den Bürgern das Nein
zur Atomkraft abgekauft werden. Ich glaube nicht, dass sich die Leute mit solchen Tricks auf
Dauer hinters Licht führen lassen.

Im Jahr 2000 wurde der Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Nun werden teils
längere Restlaufzeiten für Atomkraftwerke gefordert. Ist das eine annehmbare
Übergangslösung, oder besteht die Gefahr, dass damit der Konsens über die Befristung
nuklearer Stromerzeugung gekippt werden könnte?

Wegen der zahlreichen und schwerwiegenden Probleme, die Atomkraft nun mal mit sich
bringt, ist ihre Zeit ohnehin längst abgelaufen. Deshalb wäre es äußerst unklug, den
notwendigen Ausstieg noch länger hinauszuschieben, als der Atomkonsens von 2002 ohnehin
erlaubt. Abgesehen davon, dass ein Weiterbetrieb nicht zum Nulltarif zu haben wäre, weil die
AKWs sicherheitstechnisch nachgerüstet werden müssen: Längere AKW-Laufzeiten sind
längere Gefahrenzeiten, sie bringen uns noch höhere Atommüll-Berge und behindern den
Aufbau einer nachhaltigen Stromversorgung mit erneuerbaren Energien. Für letzteres
brauchen wir Kraftwerke, die auf Veränderungen bei Stromnachfrage und -angebot schnell
reagieren können. Dafür sind AKWs viel zu unflexibel.

In der Diskussion um Atomkraft ist die Frage der Endlagerung der Uran-Abfälle von
zentraler Bedeutung. Gibt es eine sichere Endlagerung, und gibt es eine langfristige
Lösung in Deutschland?

Das Endlager-Problem ist völlig ungelöst – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Die
ganze Misere zeigte sich jüngst wieder beim Skandal um das undichte Lager Asse, wo –
übrigens als offizieller Test für das geplante Endlager Gorleben – schwach- und
mittelradioaktive Abfälle landen. Ergebnis des Tests: Die Fässer mit Atommüll rosten durch,
verseuchtes Wasser schwappt durch den Salzstock, die Betreiber vertuschen, die Aufsicht
versagt. Die Missstände sind eine Warnung für Gorleben, wo hochradioaktiver Atommüll für
immer aufbewahrt werden soll. Angesichts solcher Missstände, für die keinerlei Lösung in
Sicht ist, dennoch auf längere AKW-Laufzeiten setzen zu wollen, ist unverantwortlich.

Die Kernenergietechnologie findet weltweit weiterhin Anklang. Japan oder auch Indien
bauen derzeit ihren Atomkraftsektor aus. Verliert Deutschland mit seinem Ausstieg aus
der Kernenergietechnologie an Ansehen als Industriestandort?

Die angebliche Renaissance der Atomkraft ist bloße Rhetorik. In Wirklichkeit wurden seit
2002 weltweit fünf AKWs mehr stillgelegt als neu in Betrieb gingen. Und angesichts eines
durchschnittlichen Alters der Reaktoren von 22 Jahren dürfte sich der Abschied von der
Atomkraft zukünftig noch beschleunigen. Die Nukleartechnologie ist nicht nur die
gefährlichste, sondern auch die teuerste Art der Stromerzeugung. Auf 7,5 Milliarden Euro
Kosten schätzt das "Wall Street Journal" die Kosten für jedes neue AKW, das in den USA
gebaut würde. Betreiber finden sich überhaupt nur, wenn sie die Gewinne behalten dürfen,
Kosten und Risiken jedoch auf die Allgemeinheit abwälzen können. Als Industriestandort ist
Deutschland klug beraten, stattdessen auf erneuerbare Energien zu setzen, die – anders als die
Atomenergie – weltweit tatsächlich boomen. Erneuerbare Energien sind nicht nur
umweltfreundlich und zukunftsfähig. Sie bieten Technikern gewaltiges Entwicklungspotential
und den Unternehmen, die in sie investieren, großartige Gewinnmöglichkeiten.

74
Ausstieg hat auch negative Auswirkungen
Sechs Fragen an Johannes Teyssen

Zur Person
Dr. Johannes Teyssen, geb. 1959, studierte Volkswirtschaftslehre und
Rechtswissenschaft in Freiburg und Göttingen. Er ist stellvertretender
Vorsitzender des Vorstands und Chief Operating Officer (COO) der
E.ON AG, Düsseldorf.

Die Konzentration von Kohlendioxid in der


Erdatmosphäre nimmt stetig zu und heizt das Klima
an. Ist die Atomkraft ein möglicher Klimaretter? Wie
umweltschonend ist die Nuklearenergie?

2007 hat die Nutzung der Kernenergie weltweit 2,4 Mrd.


Tonnen CO2 vermieden, bei einem gesamten CO2-
Ausstoß der Stromerzeugung von 8 Mrd. Selbst bei
Betrachtung des kompletten Lebenszyklus, liegen die
Treibhausgasemissionen bei Kernenergie zwischen 5 bis
33 Gramm CO2-Äquivalent je Kilowattstunde; fossile
Energieträger weisen hier Werte von 399 bis 1.231
Gramm auf. Die Kernenergie trägt also erheblich zu einer
klimaverträglichen Stromversorgung bei. Sie ist zwar nicht "der" Klimaretter, sie ist aber
mittelfristig Teil der Lösung und nicht des Problems. Nur ein breiter Energiemix sichert eine
nachhaltige Versorgung, d.h. eine Kombination CO2-freier Energien wie Kernenergie,
Wasser, Wind und Biomasse mit den übrigen fossilen Energien. Greenpeacemitgründer Dr.
Patrick Moore bringt es auf den Punkt: "Ich habe erkannt, dass die Kernenergie gemeinsam
mit einer verstärkten Konzentration auf Erneuerbare Energien unverzichtbar ist, wenn es
darum geht, in Zukunft eine umweltverträgliche Stromerzeugung [...] bereit zu stellen."

Deutschland ist von Gas- und Ölexporten aus dem Ausland abhängig. Inwiefern bietet
die Atomkraft ein Plus an Versorgungssicherheit?

Bei Gas beträgt die Importabhängigkeit rund 85 Prozent, bei Öl weit über 90. Bei Gas, wo
E.ON durch E.ON Ruhrgas aktiv ist, setzen wir verstärkt auf eine Diversifizierung der
Lieferländer, -quellen und -wege. Die Internationale Energieagentur geht von einer
Steigerung des Primärenergieverbrauchs von 50 Prozent bis 2030 aus. Das bedeutet, dass
viele Staaten verstärkt fossile Energieträger importieren müssen. Dies kann durch
Kernenergie kompensiert werden. Die Reichweiten von Uran werden nach heutigem
Kenntnisstand noch mindestens 200 Jahre betragen, und dank der ständigen technologischen
Weiterentwicklung dürfte noch eine deutlich größere Reichweite zu erwarten sein. Während
sich die Erdöl- und Erdgasreserven auf eher unruhige Regionen konzentrieren, kommt Uran
nahezu überall auf der Welt vor. Versorgungssicherheit hat zudem noch die Komponente
einer sicheren Versorgung. Hier sind deutsche Kernkraftwerke seit Jahren im internationalen
Vergleich bei Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Leitungsfähigkeit an der Spitze.

Zurzeit wird der Klimaschutz ebenso diskutiert wie die Energiesicherheit. Noch dazu
sehen sich Privathaushalte und die Industrie steigenden Strompreisen ausgeliefert.
Findet vor diesem Hintergrund möglicherweise ein gesellschaftliches Umdenken
zugunsten der Atomenergie statt?

75
Der positive Stimmungswandel pro Kernenergie ist schon seit einiger Zeit festzustellen. Laut
einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid befürworten inzwischen 52
Prozent der Bevölkerung eine Verlängerung der Laufzeiten über das Jahr 2021 hinaus. In der
Wirtschaft ist die Akzeptanz noch größer. So informierte der Deutsche Industrie- und
Handelskammertag im August 2008, dass 78,1 Prozent der deutschen Unternehmen längere
Laufzeiten für sinnvoll halten.

Ursachen für diese Stimmung pro Kernenergie gibt es viele: neben den bereits beschriebenen
Klimaschutz- und Versorgungssicherheitsaspekten spielt auch die Befürchtung eine große
Rolle, dass Deutschland mit dem Ausstiegsbeschluss sowohl in Europa als auch weltweit
isoliert ist. Auch die Preiseffekte sind nicht zu vernachlässigen: So kann die
Laufzeitverlängerung kurz- bis mittelfristig nach verschiedenen Gutachten den
Strompreisanstieg um bis zu 10 Prozent dämpfen und der Volkswirtschaft bis zu 4 Mrd. Euro
jährlich sparen.

Im Jahr 2000 wurde der Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Nun werden teils
längere Restlaufzeiten für Atomkraftwerke gefordert. Ist das eine annehmbare
Übergangslösung, oder besteht die Gefahr, dass damit der Konsens über die Befristung
nuklearer Stromerzeugung gekippt werden könnte?

Um eines von vornherein klarzustellen: Die Energiewirtschaft hält sich an die Vereinbarung
mit der Bundesregierung. Wie die Politik ist sie aber verpflichtet, ständig weiterzudenken und
Veränderungen bewusst zu machen. Es ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass sich die
Rahmenbedingungen seit der Vereinbarung grundlegend geändert haben. So etwa die
ambitionierten Klimaziele, die laut Europäischer Kommission ohne Kernenergie nicht
umsetzbar sind. Die Entwicklung des Ölpreises, die die Risiken der Importabhängigkeit
bewusst macht. Auch ist kein realistischer Ersatz der Kernenergie erkennbar: Erneuerbare
Energien sind weit überwiegend nicht grundlastfähig. Kohle ist klimapolitisch umstritten, und
die CCS-Technologie allenfalls nach 2020 effektiv verfügbar. Es bleibt nur Gas mit seinen
Preisrisiken und der hohen Importabhängigkeit. Deshalb muss eine verantwortungsvolle
Energiepolitik die Kernenergie neu bewerten, und daher werben wir im Dialog mit Politik und
Öffentlichkeit für die Rücknahme der Laufzeitverkürzung deutscher Kernkraftwerke.

In der Diskussion um Atomkraft ist die Frage der Endlagerung der Uran-Abfälle von
zentraler Bedeutung. Gibt es eine sichere Endlagerung, und gibt es eine langfristige
Lösung in Deutschland?

Zweifellos ist die Endlagerung ein wichtiges Thema. In der Diskussion wird aber häufig
übersehen, dass die Frage der Endlagerung gelöst werden muss, unabhängig davon wie lange
wir in Deutschland die Kernenergie noch nutzen werden. Alle bisher durchgeführten
Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass sicherheitstechnisch und methodisch-
konzeptionell nichts gegen den Salzstock Gorleben als Endlager für wärmeentwickelnde
Abfälle (hochradioaktiv) spricht. Es ist daher bedauerlich, dass das Gorleben-Moratorium
immer noch steht, obwohl alle Voraussetzungen für seine Aufhebung gegeben sind. Für nicht
wärmeentwickelnde Abfälle (schwach- und mittelradioaktiv) sind Endlager in den meisten
Ländern, die Kernenergie nutzen, zum Teil seit Jahrzehnten erfolgreich in Betrieb. In
Deutschland gibt es am Standort Konrad ein genehmigtes Endlager. Anfang 2008 hat die
zuständige Behörde den Hauptbetriebsplan für die Errichtung des Endlagers zugelassen und
die Arbeiten für den Ausbau wurden begonnen.

76
Die Kernenergietechnologie findet weltweit weiterhin Anklang. Japan oder auch Indien
bauen derzeit ihren Atomkraftsektor aus. Verliert Deutschland mit seinem Ausstieg aus
der Kernenergietechnologie an Ansehen als Industriestandort?

In der Tat zeigt sich, dass die Kernenergie für viele Länder eine wichtige Option im
zukünftigen Energiemix darstellt. Dies hat zuletzt der G8-Gipfel im japanischen Toyako sehr
deutlich gemacht. Dabei ist der Trend zur Kernenergie nicht auf einzelne Regionen
beschränkt. Zubau und Planungen gibt es sowohl im asiatischen Raum als auch in den USA
und Russland. Aber auch die EU setzt auf Kernenergie als wichtige Zukunftsoption. Das 2007
verabschiedete Grünbuch "Eine Energiepolitik für Europa" enthält ein klares Plädoyer für die
Kernenergie. Viele Mitgliedstaaten handeln entsprechend.

Der Ausstieg hat auch negative Auswirkungen auf das Ansehen des Industriestandorts
Deutschland. Technik "made in Germany" hat weltweit noch immer einen sehr guten Ruf,
auch Kerntechnik. Das von der rot-grünen Regierung verhängte Forschungsverbot bei der
Reaktorneuentwicklung ist ein Beispiel dafür, dass eine Politik der Denkverbote, Chancen für
die Zukunftsfähigkeit der Technologie- und Industrienation Deutschland verspielt.

77
Vollständige Versteigerung der Zertifikate dringend notwendig
Sieben Fragen an Tilman Santarius

Zur Person
Tilman Santarius ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wuppertal
Institut für Klima, Umwelt, Energie. Er ist zudem Vorstandsmitglied
bei Germanwatch e.V. Seine Hauptarbeitsfelder sind ökonomische
Instrumente in der Klimapolitik, Global Governance sowie Fragen des
Welthandels. Er ist Ko-Autor des Wuppertal-Reports "Fair Future.
Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit". Zuletzt war
Santarius Mit-Autor bei der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland in
einer globalisierten Welt".

Der Emissionshandel auf EU-Ebene wurde bei seiner


Einführung 2005 als wichtiger Schritt im Kampf gegen
die Erderwärmung gefeiert. Wie bewerten Sie die
Wirkung der Emissionszertifikate bislang?

Der Emissionshandel ist eines der wichtigsten


Klimaschutzinstrumente in der EU. Obwohl nur einige
tausend Unternehmen daran beteiligt sind, werden durch das System rund die Hälfte der
Kohlendioxidemissionen der EU abgedeckt. Wenn also die energie-intensiven Unternehmen,
die an dem Handel verpflichtend teilnehmen müssen, durch den Emissionshandel zu einer
Reduktion ihres Treibhausgas-Ausstoßes gebracht werden, hat dies weit reichende positive
Folgen. Bisher waren die tatsächlichen Vermeidungen allerdings gering. In der erste Phase
des Emissionshandels (2005-2007) haben die EU-Regierungen nur sehr vorsichtige
Reduktionsziele bis gar keine verfolgt. Mitunter wurden Unternehmen sogar über ihr
bisheriges Emissionsniveau hinaus mit Zertifikaten ausgestattet, so dass die EU-Kommission
einer verdeckten Subventionierung vorbeugend eingreifen musste. In der zweiten Phase (ab
2008) wurden bereits etwas ambitioniertere Reduktionsziele verfolgt. Insofern steckt in dem
Instrument ein großes Potential.

Ein Ziel der Emissionszertifikate sollte sein, dass Unternehmen mehr in


umweltfreundliche Technologien investieren. Ist das eingetreten?

Das lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend feststellen, darf aber erwartet
werden. Es gibt Studien, etwa auch von McKinsey (2005), die dem Instrument klar ein
Innovationspotential bescheinigen. Andererseits haben die Unternehmen, die kaum dem
Wettbewerb ausgesetzt sind – allen voran die Stromerzeuger – die Mehrkosten durch den
Emissionshandel einfach in Form höherer Preise an die Konsumenten weitergegeben.
Investitionsanreize waren daher äußert gering.

Zudem hat eine nach Brennstoffen gestaffelte Verteilung der Zertifikate – je mehr
Treibhausgase, desto mehr Zertifikate – dazu geführt, dass der Ersatz von Kohle und Öl durch
Gas und vor allem Erneuerbare Energien nur langsam vonstatten geht. Die nächste
Überarbeitung der EU-Emissionshandelsrichtlinie muss die Frage in den Mittelpunkt stellen,
wie das Innovationspotential des Instruments deutlich verbessert werden kann.
In der ersten Handelsperiode von 2005 bis 2007 haben Unternehmen in Deutschland wie auch
in anderen europäischen Ländern noch sehr viele Zertifikate erhalten. Der Anreiz, Emissionen
zu sparen war also gering. War die EU-Politik zunächst zu zögerlich?

78
Die Phase zwischen 2005 und 2007 kann als Einführungsphase bezeichnet werden. Nach
langen Diskussionen, ob Unternehmen in dieser Phase zunächst nur freiwillig teilnehmen
sollten, hat sich die EU-Kommission mit einer verpflichtenden Teilnahme durchgesetzt. Dafür
wurden allerdings die Strafgebühren geringer angesetzt, die kostenfreie Verteilung der
Zertifikate wurde EU-weit vorgeschrieben, und die Kommission hat auch wenig ambitionierte
Reduktionsziele der Mitgliedsstaaten durchgehen lassen. Dies war sinnvoll, um zunächst
Vertrauen in das Instrument aufzubauen und die Institutionen zu testen. Allerdings hatten die
geringen Anreize zur Vermeidung selbst für die Unternehmen Nachteile: die Zertifikatspreise
waren instabil, und der Handel kam nicht richtig in Gang. Es war insofern sehr
begrüßenswert, dass die EU-Kommission die Reduktionsziele wie die Verteilung der
Zertifikate jetzt, in der zweiten Phase wesentlich strenger geprüft hat.

Den Stromunternehmen wird vorgeworfen, dass sie in der ersten Handelsperiode mit
den Zertifikaten Gewinne erzielten und trotzdem höhere Strompreise durchsetzten.
Teilen Sie diesen Vorwurf?

Der Vorwurf kann nicht darin bestehen, dass die Unternehmen die Zertifikatspreise in ihren
Berechnungen berücksichtigen, auch wenn sie diese kostenfrei erhalten haben. Denn dies ist
die übliche betriebswirtschaftliche Praxis. Allerdings kann der Vorwurf erhoben werden, die
Unternehmen hätten die höheren Gewinne auch zu Klimaschutzzielen verwenden sollen.
Sprich, sie hätten sie für eine Verbesserung der Effizienz bestehender Anlagen oder für
Investitionen in einen Brennstoffwechsel nutzen sollen. Dass die großen Stromversorger
durch den Emissionshandel Milliarden zusätzlich erwirtschaftet haben, aber damit fast nichts
für den Klimaschutz tun, ist nicht vermittelbar.

In der zweiten Handelsperiode von 2008 bis 2012 kommt es zur Kürzung der
Zertifikate. Was ist nun zu erwarten?

Der Handel mit Zertifikaten wird mehr in Gang kommen, und der Preis wird verlässlicher.
Das wird hoffentlich dazu führen, dass Unternehmen verstärkt in Gas als "sauberstem"
fossilen Energieträger, in nach-fossile Technologien und in Energiesparmaßnahmen
investieren. Das Innovationspotential des Instruments wird aber erst voll eingelöst, wenn ein
größerer Teil der Zertifikate an die Unternehmen versteigert und damit für sie voll
kostenpflichtig wird. So lange dies nicht erfolgt, werden die Stromkonzerne nach wie vor die
Kosten einpreisen und damit höhere Gewinne einfahren, ohne viel ändern zu müssen.
Übrigens ist in dem Zusammenhang das Angebot der Energiekonzerne, bei einer
Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken einen Teil ihrer Gewinne endlich in den
Ausbau von Erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz zu stecken, besonders pikant.

Ab 2012 soll auch die Luftfahrt in den europäischen Emissionshandel einbezogen


werden. Ist das ein richtiger Schritt, und sollte der Straßenverkehr folgen?

Es ist längst überfällig, dass der internationale Luft- und Schiffsverkehr seinen Teil zu den
weltweiten Klimaschutzanstrengungen leisten muss. Bisher blieben diese stark wachsenden
und emissionsintensiven Sektoren völlig vom Umdenken und -handeln verschont. Es ist
insofern wichtig und richtig, den Flugverkehr in den EU-Emissionshandel einzubeziehen.
Allerdings sollten auch hier die Zertifikate in Zukunft versteigert werden. Der Straßenverkehr
könnte indes nur indirekt in den Emissionshandel aufgenommen werden, indem die
Raffinerien und eventuell Automobilerzeuger einbezogen würden. Denn wenn alle
Verkehrsteilnehmer individuell teilnehmen, würde dies die Administration des Systems
überfordern und brächte zudem soziale Probleme mit sich. Allerdings halte ich es zunächst für

79
zielführender, im Verkehrssektor eine ganze Palette anderer Maßnahmen anzuwenden – um
ganz spezifische Anreize bei den Automobilerzeugern, den Verbrauchern, den Straßen- und
Stadtplanern, den Forschern und Entwicklern usw. setzen zu können.

Der Emissionshandel soll weiter verschärft werden. Die EU plant deshalb ab 2013 die
CO2-Verschmutzungsrechte teils oder gar vollständig zu versteigern. Wie bewerten Sie
dieses Vorgehen?

Eine vollständige Versteigerung der Zertifikate ist dringend notwendig. Ansonsten sind die
Innovations- und Vermeidungsanreize viel zu gering, um das Ziel noch erfüllen zu können,
die globale Erwärmung unter der gefährlichen Schwelle von 2 Grad zu halten. Nicht nur eine
Versteigerung wäre notwendig, sondern auch ein langfristiger Reduktionspfad sollte
vorgegeben werden, so dass Unternehmen und Finanzmärkte ein klares Signal zum
Umsteuern erhalten. Allenfalls könnte man für die energie- und emissionsintensiven Zement-
oder Eisen- und Stahl-Industrie, die im internationalen Wettbewerb stehen, eine teilweise
kostenfreie Vergabe der Zertifikate in Erwägung ziehen. Oder es müsste durch andere
Maßnahmen, wie etwa eine Grenzausgleichssteuer, vermieden werden, dass die Produktion in
Europa aufgegeben und diese Produkte nur noch importiert würden.

80
Vor allem internationale Anstrengungen nötig
Sieben Fragen an Joachim Hein

Zur Person
Dr. Joachim Hein ist Referent für Klimapolitik beim Bundesverband
der Deutschen Industrie (BDI). Während des Gesetzgebungsprozesses
zur Einführung des EU-Emissionshandels in Deutschland hat der
Chemiker den Industrie-Input in die vom Bundesumweltministerium
dazu einberufene interministerielle Staatssekretärsrunde koordiniert.
Der BDI ist die Dachorganisation von 38 Mitgliedsverbänden, die
rund 100.000 Unternehmen repräsentieren.

Der Emissionshandel auf EU-Ebene wurde bei seiner


Einführung 2005 als wichtiger Schritt im Kampf gegen
die Erderwärmung gefeiert. Wie bewerten Sie die
Wirkung der Emissionszertifikate bislang?

CO2 hat einen Preis bekommen. Wenn man den


zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen glauben
darf, ist das eine Grundvoraussetzung für einen
effizienteren Klimaschutz. Weiter gedacht heißt das, dass
die Etablierung eines internationalen
Emissionshandelssystems das eigentliche Ziel sein muss. Das EU ETS (Emissions Trading
System) ist regional beschränkt – mit allen damit verbundenen Nachteilen. Zudem wurde das
System insbesondere in Deutschland auf ein bestehendes umfangreiches
Klimaschutzinstrumentarium "draufgesattelt". Es wäre also nicht statthaft, die in Lehrbüchern
für das ideale ETS beschriebenen Vorzüge auch für das reale mit Defiziten behaftete System
als gegeben anzunehmen. Im Übrigen hat die zweite Handelsperiode eben erst begonnen. Es
ist damit noch zu früh, um die Wirkung des ETS belastbar beurteilen zu können.

Ein Ziel der Emissionszertifikate sollte sein, dass Unternehmen mehr in


umweltfreundliche Technologien investieren. Ist das eingetreten?

Das Ziel sollte vor allem sein, den Klimaschutz kosteneffizienter zu machen. Unternehmen,
die kompetitiv bleiben wollen, sind ohnehin gezwungen, in innovative und damit
hocheffiziente Technologien und Prozesse zu investieren. Sie befinden sich ja nicht im
rechtsleeren Raum, sondern haben nahezu "jede Menge" an immer neuen Anforderungen
"wegzustecken" (Bundes-Immissionsschutzgesetz, Chemikalienverordnung REACH etc.).
Inwieweit der Emissionshandel als weitere zusätzliche Auflage Investitionen anreizt, muss
also sehr differenziert betrachtet werden. Jedoch wurde das EU ETS ja eben erst "scharf"
geschaltet: seit 1.1.2008 läuft die Kyoto-Periode. Ob die schärferen Emissionsobergrenzen
wirklich Investitionsanreize in Deutschland und der EU schaffen, kann noch nicht hinreichend
beurteilt werden. Die Gefahr besteht auch, dass sie auf längere Sicht sogar das Gegenteil
bewirken – "carbon and job leakage", d.h. Produktion und Arbeitsplätze werden in Länder
außerhalb der EU verlagert, wo geringe oder keine Emissionsbeschränkungen gelten.

In der ersten Handelsperiode von 2005 bis 2007 haben Unternehmen in Deutschland wie
auch in anderen europäischen Ländern noch sehr viele Zertifikate erhalten. Der Anreiz,
Emissionen zu sparen war also gering. War die EU-Politik zunächst zu zögerlich?

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Nein. Es handelte sich um ein völlig neues System, mit einem, zumindest in Deutschland im
Vergleich zum bisher gebräuchlichen, völlig anderen Ansatz: Es wurden absolute
Emissionsobergrenzen festgelegt, im Gegensatz zu den bisherigen relativen
Emissionsgrenzwerten (z. B. 200 Milligramm Schwefeldioxid pro Kubikmeter). Ein
möglichst "weicher" Übergang in das neue System war deshalb unbedingt erforderlich.
Strukturbrüche verursachende Maßnahmen hätten sehr ernste wirtschaftliche Verwerfungen
zur Folge gehabt.

Den Stromunternehmen wird vorgeworfen, dass sie in der ersten Handelsperiode mit
den Zertifikaten Gewinne erzielten und trotzdem höhere Strompreise durchsetzten.
Teilen Sie diesen Vorwurf?

Zum Teil. Es sollte unbestritten sein, dass werthaltige Zertifikate, auch wenn die
Unternehmen sie kostenfrei zugeteilt bekommen haben, bilanzrechtlich zu
Opportunitätskosten führen. Höhere Strompreise rühren vor allem aus dem anspruchsvollen
"cap", also der für Deutschland festgelegten Emissionsobergrenze her. Höhere Strompreise
resultieren sicherlich auch aus dem noch nicht vollständig liberalisierten und
unvollkommenen EU-Elektrizitätsbinnenmarkt. Ein ganz erhebliches Problem bei der
Einführung des Emissionshandels war die irreführende Darstellung der komplexen
Zusammenhänge in den Medien. Klimaschutz kostet Geld. Den Verbrauchern den Eindruck
zu vermitteln, dass sie dies nicht beträfe und bspw. die Strompreise von der Einführung des
neuen Systems nicht beeinflusst würden, war kein Meisterstück politischer Kommunikation.
Der BDI hat diese Dinge übrigens immer beim Namen genannt.

In der zweiten Handelsperiode von 2008 bis 2012 kommt es zur Kürzung der
Zertifikate. Was ist nun zu erwarten?

Dies ist schwer abzuschätzen. Denn es geht bei Anlagenlebensdauern von im Schnitt
mehreren Jahrzehnten nicht um fünf Jahre, sondern um die längerfristige Vorhersagbarkeit
und Zuverlässigkeit politischer Rahmenbedingungen. Die sind aber bspw. davon abhängig, ob
es nach dem Kyoto-Protokoll ein internationales Anschlussabkommen geben wird, und falls
ja, wie dieses aussehen wird. Beide Fragen sind derzeit nicht zuverlässig zu beantworten.

Weitere beträchtliche Unsicherheit bringt das Energie- und Klimapaket der Kommission vom
Januar 2008. Die Regeln für das EU ETS sollen für die Zeit nach 2012 grundlegend verändert
werden. Viele betroffene Unternehmen befürchten eine deutliche Verschlechterung der
Investitions- und Produktionsbedingungen in der EU, da sie mit immer schärferen
Minderungsverpflichtungen konfrontiert werden. Konkret soll der Emissionshandelssektor,
bezogen auf 2005, seine Emissionen noch einmal um 21 Prozent reduzieren. Dies bedeutet
erhebliche Restriktionen, denen sich Wettbewerber in Nicht-EU-Staaten nicht stellen müssen.

Ab 2012 soll auch die Luftfahrt in den europäischen Emissionshandel einbezogen


werden. Ist das ein richtiger Schritt, und sollte der Straßenverkehr folgen?

Die Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel ist prinzipiell sinnvoll. Aber es
sind noch zu viele Fragen offen. Denn angesichts des scharfen globalen Wettbewerbs im
Luftverkehr ist der Schritt unverständlich, solange offen ist, ob nicht nur die europäischen
Fluggesellschaften zusätzliche Lasten tragen. Es ist ungeklärt, ob Fluggesellschaften, die
nicht aus der EU stammen, sich dieser EU-Entscheidung beugen werden. Dies ist jedoch die
Voraussetzung für eine Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel. Sonst bleibt
es bei einer EU-Insellösung, die für den Klimaschutz wenig bewirkt.

82
Das ETS ist zum einen noch in den Kinderschuhen, zum anderen administrativ sehr
aufwändig. Beide Gründe sprechen nicht dafür, den Straßenverkehr in das System
einzubeziehen. Außerdem gibt es bereits eine ganze Reihe ordnungsrechtlicher Maßnahmen
zur Begrenzung der Emissionen im Straßenverkehr (CO2-Grenzwerte, Maut etc.). Den
Emissionshandel hier wiederum nur "draufsatteln" zu wollen, wäre weder effektiv noch
effizient.

Der Emissionshandel soll weiter verschärft werden. Die EU plant deshalb ab 2013 die
CO2-Verschmutzungsrechte teils oder gar vollständig zu versteigern. Wie bewerten Sie
dieses Vorgehen?

Deutschland mindert erheblich sein CO2 und den größten Anteil daran hat die deutsche
Industrie. Deutschland ist für ca. 3 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich, die
EU für ca. 15. Deshalb sind vor allem internationale Anstrengungen nötig, um
Emissionsminderungen zu erreichen. Solange es keine belastbare internationale Vereinbarung
zur Emissionsminderung gibt, müssen Industrieanlagen in der EU ihre Zuteilungen 100
Prozent kostenfrei erhalten. Nur so lassen sich Wettbewerbsverzerrungen gegenüber Nicht-
EU-Anlagen verhindern.

Mit der Änderung der EU ETS-Richtlinie, die eine Reduzierung der Emissionen bis 2020 um
21 Prozent für den ETS-Sektor vorsieht, werden die EU-Industrien die weltweit schärfste
Minderungsverpflichtung haben. Durch die kostenfreie Zuteilung ändert sich daran nichts: die
Unternehmen müssen entweder investieren oder Zertifikate zukaufen, um die drastische
Emissionsbegrenzung einzuhalten. Die kostenfreie Zuteilung auf der Basis von Benchmarks
ist daher die Methode der Wahl für das verarbeitende Gewerbe.

83
Der globale Energiemarkt
Die internationale Politik wird zunehmend durch das Kräfteverhältnis zwischen
Energieproduzenten und -konsumenten bestimmt. Die steigende Nachfrage nach Öl und Gas
machen beide zu zentralen politischen Faktoren. Noch dazu kehren einige ressourcenreiche
Länder zurück zum Energienationalismus. Eine Welt, die zu über 80 Prozent fossile
Energieträger verbraucht und über Jahrzehnte dementsprechend ihre energiewirtschaftlichen
Infrastrukturen aufgebaut hat, braucht auch in naher Zukunft einen gesicherten Nachschub an
Öl, Gas und Kohle. Wie kann eine weltweite Kooperation auf dem globalen Energiemarkt
aussehen? Und welche Rolle spielen die verschiedenen Regionen sowohl als
Energielieferanten wie auch -konsumenten?

Der globale Energiemarkt: Kooperation statt Konfrontation


Zur Person
Enno Harks arbeitet seit 2007 als Political Advisor bei der Deutschen BP in Berlin. Zuvor
war er 21⁄2 Jahre Wissenschaftlicher Mitarbeiter der SWP, wo er zum Thema
internationale Energiepolitik gearbeitet und in diesem Rahmen am deutschen
Energiegipfel teilgenommen hat. Davor war er 7 Jahre Energy Analyst bei der IEA in
Paris, zuständig für Öl- und Gasmarktthemen. Der Autor gibt hier seine persönliche
Meinung wider.

Öl und Gas sind längst zu wichtigen Faktoren der internationalen Politik geworden.
Importabhängigkeiten, Versorgungssicherheit und das Geschäft mit Rohstoffen nehmen
starken Einfluss auf politische Entscheidungen. Doch wie kann der internationale
Energiemarkt geregelt werden?

Ein Ölförderturm in der Nähe von Denver


in Colorado. Nicht nur die US-
amerikanische Wirtschaft ist abhängig
von Öl, Gas und Kohle. 80 Prozent des
weltweiten Energieverbrauchs werden
durch fossile Energieträger gedeckt.
Insbesondere Öl und Gas ist dabei längst
eine immanent politische Rolle
zugewachsen. Foto: AP

Öl und Gas stehen seit einigen


Jahren wieder im Vordergrund der
deutschen Politik – nachdem sie
viele Jahre ein eher
stiefmütterliches Dasein führten,
zumindest was ihre internationalen Aspekte angeht. Zu dieser Wende hat prominent der auf
historische Höhen gestiegene Ölpreis beigetragen. Ebenso ist die Erkenntnis gereift, dass
beide Energieträger Charakteristika besitzen, die sie als volkswirtschaftlich strategisch und
besonders sensibel erscheinen lassen: Öl ist als nahezu ausschließlicher Energieträger des
weltweiten Verkehrssektors bisher, jedenfalls großindustriell, nicht ersetzbar und exponiert
somit die weltweit wichtigsten Industriezweige. Gas ist überwiegend leitungsgebunden,
wodurch Verbraucher und Produzent von einander, von der Pipeline-Infrastruktur und von der
Zuverlässigkeit der Lieferanten und Transitstaaten abhängig sind.

84
Hinzu kommt, dass Öl und Gas nicht nur die wichtigsten Energieträger der Welt und auch
Deutschlands sind und gut 35 Prozent des gesamten Primärenergieverbrauchs ausmachen.
Sondern es kommt erschwerend hinzu, dass die meisten großen Verbraucherländer, so auch
Deutschland, nur wenig heimisch produzieren und in hohem Maße von Ölimporten abhängig
sind.

Hieran, so die meisten Marktbeobachter, wird sich auch in Zukunft nicht viel ändern. Dies
liegt insbesondere daran, dass eine Welt, die zu über 80 Prozent fossile Energieträger
verbraucht, über Jahrzehnte dementsprechend ihre energiewirtschaftlichen Infrastrukturen
aufgebaut hat – und diese Investitionen besitzen ein hohes Momentum. Auch ein steigender
Ölpreis wird hieran vorrangig zur Konsequenz haben, den Energieträger Kohle gegenüber
Erdgas zu stärken – eine Tendenz, die wir in den letzten Jahren hochpreisigen Öls schon
deutlich feststellen konnten.

Öl und Gas sind entscheidende Faktoren der internationalen Politik

Ministertreffen der Organisation Erdöl


exportierender Länder (OPEC) im September
2008. Die 13 Mitgliedsstaaten besitzen gemeinsam
75 Prozent der Ölreserven. Die OPEC dient als
Förderkartell: Regelmäßig werden Fördermengen
und Preise vereinbart.
Foto: AP

Hieraus folgt, dass Öl und Gas eine


immanent politische Rolle spielen,
Versorgungssicherheit und Aspekte der
nationalen Sicherheit eng miteinander
verbunden sind, und die Abhängigkeit
von Importen bzw. auch – und dies sollte
in der Diskussion nicht vergessen werden
– die Abhängigkeit der Ressourcenstaaten von Exporten Fragen der internationalen Politik
aufwirft. Da diese zum großen Teil über die Lösungsfähigkeit durch nationale Parlamente
hinausgehen, ist zu fragen, inwieweit institutionalisierte Foren oder Prozesse zur Verfügung
stehen, in denen drängende Probleme internationaler Energiemärkte und -beziehungen
diskutiert und gelöst werden können.

Hierfür zunächst einige Aprioris:

* Ein großer Teil der energiewirtschaftlichen aber auch geopolitischen Zuspitzung auf den
globalen Energiemärkten in den letzten Jahren ist auf das außerordentlich hohe Wachstum
Chinas zurückzuführen. Bis 1993 noch Exporteur von Rohöl, sind Chinas Importe seither steil
gestiegen: die Volksrepublik ist bei Öl auf Rang 2 der weltgrößten Verbraucher. Dieses
Wachstum ist plausibel auch in die Zukunft fortzuschreiben, insbesondere aufgrund des hohen
Motorisierungsbedarfs der Bevölkerung.

* Konsequenz hieraus ist, dass mit der starken Entwicklung der Schwellen- und Ent-
wicklungsländer ein deutlicher Bedeutungsverlust der OECD-Länder einhergeht. Lag Anfang
der 1970er Jahre der Anteil des OECD-Verbrauchs am globalen Ölmarkt noch bei knapp 75
Prozent und liegt er heute bei 60 Prozent, so wird er durch den Aufstieg der Schwellenländer
bis 2030 weiter auf ca. 47 Prozent sinken.[1] Hierdurch sinkt der Einfluss, den die heutigen
Industrieländer auf die Bedingungen des globalen Marktes haben, insbesondere aber stellt

85
eine solche Entwicklung die heute existierenden Institutionen internationaler Energiepolitik
infrage.

* Weiterhin ist eine der fundamentalen Bedingungsvariablen von Öl und Gas die hohe
Konzentration der verbleibenden Reserven in nur einer Hand voll Ländern. 61 Prozent der
Weltölreserven liegen in den Ländern des Mittleren Ostens, weitere 14 Prozent befinden sich
in den 7 OPEC-Ländern außerhalb dieser Region. Ähnlich verhält es sich bei Erdgas, bei dem
gut 55 Prozent aller nachgewiesenen Welt-Gasreserven in nur 3 Ländern liegen: Russland,
Iran und Qatar. Hieraus folgt, dass ein wichtiger Teil der internationalen Diskussion über
anzustrebende oder kritisierte Zustände auf diesen beiden Märkten mit den ressourcenreichen
Staaten gemeinsam geführt werden muss – und es ohne sie in Zukunft nicht mehr gehen wird.

* Ein weiteres Charakteristikum des heutigen Ölmarktes ist auch, dass die internationalen
privaten (westlichen) Ölgesellschaften heute nur mehr einen Anteil von ca. 15 Prozent an der
weltweiten Ölproduktion haben, 85 Prozent des Marktes wird heute durch nationale,
staatliche Unternehmen beherrscht. In der Folge ist auch die Kontrolle gesunken, die
westliche Regierungen und Öffentlichkeiten auf die Unternehmen ausüben konnten;
insbesondere aber sind heute die Ansprechpartner für viele ressourcenpolitische Probleme
nicht mehr die großen westlichen "Ölmultis", sondern staatliche Ölfirmen nicht-westlicher
Provenienz. Um in einen Dialog mit diesen treten zu können, muss daher zunächst ein Forum
für Diskussionen mit ihren Heimatregierungen geschaffen werden.

Diese kurze Auflistung alleine zeigt die Größe der Aufgabe, wenn heute über Themen einer
"Global Energy Governance", einem guten Steuerungs- und Regelungssystem für den
globalen Energiemarkt, gesprochen wird. Bevor auf existierende oder zu wünschende globale
energiepolitische Institutionen eingegangen werden soll, muss kurz verdeutlicht werden, dass
sich die Gegebenheiten bei Öl und Gas strukturell unterscheiden: Öl wird auf einem
Weltmarkt gehandelt, der (ähnlich dem Devisenmarkt) nahezu ein Lehrbuchbeispiel eines
hochgradig fungiblen und vernetzten globalen Marktes ist. Gas hingegen wird aufgrund seiner
überwiegenden Pipelinegebundenheit auf Regionalmärkten gehandelt, mit deutlich geringerer
Flexibilität.

Für beide Energieträger bestehen aktuell kaum tragfähige internationale Institutionen:

* Welthandelsorganisation (WTO): Aus der WTO bzw. GATT (Allgemeines Zoll- und
Handelsabkommen) ist das Thema Energie durch ein so genanntes "Gentlemen’s
agreement"[2] bei den GATT-Verhandlungen 1947 ausgeschlossen worden. WTO
Handelsrichtlinien können somit nicht Energiemärkte regulieren oder Verträge absichern.

* Energie-Charter-Vertrag (ECT): Der ECT ist zwar ein mustergültiger Vertragstext und
gilt für alle Energieträger; leider wurden jedoch sehr hohe Standards angestrebt, so dass die
großen Öl- und Gasproduzenten (Russland, Norwegen, die Länder des Mittleren Ostens) und
ebenso die großen Verbraucher (USA, China) kein Interesse an einer Unterzeichnung bzw.
Ratifikation zeigen – institutionell lässt sich dieser Rahmen daher nicht für ein "Global
Energy Governance" nutzen.

* Europäische Union (EU): Die EU hat in den letzten Jahren faktisch eine hohe
Regulierungskraft gehabt – allerdings hat sie sich vorrangig auf den Binnenmarkt
konzentriert. Für Energie-Außenpolitik, die notwendig wäre, um über die Region Europa
hinausgehende Probleme der Energiemärkte Öl und Gas zu lösen, hat sie noch keinen
gangbaren Weg gefunden. Des Weiteren ist zumindest im Ölmarkt zu bezweifeln, dass sie

86
alleine von ausreichendem Gewicht wäre, liegt doch ihre Ölproduktion bei weniger als 4
Prozent der Weltproduktion und ihr Gesamtverbrauch (EU-27) bei weniger als 18 Prozent des
Weltverbrauchs.

* G8: Die G8 ist als Impulsgeber bei den großen Herausforderungen ein hervorragender
und notwendiger Akteur. Allerdings sind ihre Teilnehmer (6 Verbraucher, 2 Exporteure – bei
Erweiterung um die so genannten O5 (die 5 Outreach Countries, Brasilien, Indien, China,
Südafrika, Mexico) sind es 9 Verbraucher, 3 Exporteure und Brasilien als Selbstversorger) für
den Weltmarkt Öl keineswegs repräsentativ, denn es fehlen die großen Produzenten der
OPEC und für den Regionalmarkt Gas sind ihre Teilnehmer zu global.

* Internationale Energie Agentur (IEA): Die IEA ist in Antwort auf das Ölembargo 1973
gegründet worden, um als Interessenvertretung der großen Industrienationen des Westens,
insbesondere gegenüber der OPEC, zu agieren. Ihre heute 27 OECD-Mitgliedsländer besitzen
stattliche Öl-Krisenvorräte, einen solidarischen Mechanismus für die Ausschüttung dieser
Vorräte im Krisenfall und, für eine internationale Organisation ungewöhnlich, auch Statuten
über legal bindende Entscheidungen durch Mehrheitsentscheidungen im Verwaltungsrat.
Jedoch: Letztlich repräsentiert die IEA die Machtverhältnisse der 1970er Jahre – die USA
sind Vetomacht, Mitglieder sind die westlichen Industrienationen; der rasante Aufstieg
Chinas und Indiens spiegelt sich nicht in der IEA wider. Eine Aufnahme oder Assoziierung
Indiens und Chinas ist daher dringend notwendig, um sie in einen Kompromiss einbinden zu
können, der eine regelgebundene und -setzende globale Energiepolitik ermöglicht – was
besonders auch das Verhalten in und mit afrikanischen Rohstoffländern angeht. Wenn auch
eine ganze Reihe von Hindernissen überwunden werden muss, so ist doch auch unterhalb der
Schwelle einer Vollmitgliedschaft eine Formalisierung und Verstetigung des Dialogs möglich
und notwendig und kann Impulse für eine internationale Energiepolitik leisten.

Fast wichtiger noch als der Dialog unter den Verbrauchern ist derjenige zwischen
Verbrauchern und Produzenten von Öl und Gas. Denn letztlich hängen viele der
versorgungssicherheitspolitischen Probleme mit der Interessendivergenz zwischen
Produzenten- und Konsumentenstaaten zusammen, insbesondere auch mit ihrer perzepierten
Konfrontationsstellung.

Trotz dieser simplen Wahrheit existiert weltweit nur ein Forum, das einen solchen Austausch
ermöglicht, das Internationale Energieforum (IEF). Es ist ein regelmäßiges, aber relativ
unformalisiertes Treffen der großen Produzenten und Konsumenten, mit Sekretariat (seit 2003
in Riad) unterhalb des Status einer internationalen Organisation. Dieses Forum, wenn auch
bisher international nicht in prominenter Weise in Erscheinung getreten, ist ein notwendiger
erster Schritt, den es zu unterstützen gilt. Denn es dient nicht nur der Vertrauensbildung und
dem Dialog konträrer Positionen, sondern ermöglicht auch, sich über Erwartungen
zukünftiger Marktentwicklung auszutauschen und so langfristig böse Überraschungen
(Stichwort Preisvolatilität) zumindest zu dämpfen. Dass die Teilnehmer sich relativ freimütig
auch zu sensiblen Themen äußern, ist wahrscheinlich eine Konsequenz der Tatsache, dass das
IEF keine institutionell verankerte Internationale Organisation ist – was insofern eher ein Vor-
als ein Nachteil ist. Dies gilt es, insbesondere mit Blick auf den weltweiten Öl- und den
entstehenden weltweiten Gasmarkt, noch deutlicher als bisher zu befördern.

Zum Schluss sei noch ein kurzer Ausblick gewagt: In den langfristigen internationalen
Beziehungen, derer es auf den Energiemärkten bedarf, ist letztlich nur Kooperation ein
strategisch nachhaltiger Weg, konfrontatives Verhalten ist für alle Parteien langfristig
suboptimal. Denn die Verbraucher und Produzenten von Öl und Gas sitzen bei Debatten um

87
Versorgungs-, bzw. im Spiegel hiervon um Abnahmesicherheit im selben Boot. Dies gilt auch
bzw. umso mehr in Zeiten schwieriger politischer Beziehungen – hier sei an die strategisch
äußerst weitsichtigen Pipeline-Erstellungen aus der ehemaligen Sowjetunion nach
Deutschland gedacht, die in der Hochphase des Kalten Krieges in den 1970er Jahren
durchgeführt wurden. Auch mit und für Russland gilt diese Aussage; für Europa ist die
geographische Nähe zu Russland eine Chance (mehr als ein Risiko), deretwegen wir in
anderen Weltregionen des öfteren beneidet werden. Alternativen, so wissen wir heute, sind
technisch teurer (so z.B. alternative Energieträger) oder politisch deutlich brisanter
(alternative Importquellen, z.B. aus dem Mittleren Osten) als Energieimporte aus Russland.
Eine partnerschaftliche, über die rein energiewirtschaftliche hinausgehende Beziehung zu
Russland ist für Europa alternativlos und sollte auch unter schwierigen Bedingungen
fortgeführt werden.

88
Die nationalen Energiekonzerne
Welche Bedeutung haben die nationalen Energieriesen?

Zur Person
Dr. rer. pol. Andreas Goldthau ist Assistant Professor an der Central European University
in Budapest. Seine Forschungsgebiete sind internationale Energiemärkte und
Versorgungssicherheit bei Öl und Gas, mit regionalem Fokus auf Eurasien. Zuvor
arbeitete Andreas Goldthau als Transatlantic PostDoc Fellow bei der RAND Corporation,
Washington DC, der Paul Nitze School of Advanced International Studies (SAIS), Johns
Hopkins University, in Washington DC und der Stiftung Wissenschaft und Politik Berlin.

Internationale Ölkonzerne, wie Shell oder BP, sind allseits bekannt, doch mittlerweile
dominieren nationale Ölunternehmen den Markt. Gazprom, Saudi Aramco oder auch
Venezuelas Öl- und Gasgesellschaft PDVSA zählen dazu. Wem gehören diese
Ölkonzerne und wie marktorientiert agieren sie?

Die Energie-Rohstoffmärkte erlebten in den letzten Jahren einen neuen Schub an


"Ressourcen-Nationalismus". Dabei erhöhten die Produzentenstaaten signifikant ihren
Einfluss auf den Energiesektor: durch direkte Verstaatlichungen (beispielsweise in Venezuela
oder Bolivien) oder durch subtilere Methoden des Eigentumstransfers (beispielsweise der Fall
Yukos in Russland). Dieser Trend zu nationalen Energiekonzernen – so genannten NOCs
(National Oil Companies) – ist an sich nichts Neues. In Zeiten hoher Rohstoffpreise stellt er
schlicht das Bestreben der Produzentenstaaten dar, Öl- oder Gas-Einkommen in staatliche
Budgets umzulenken. Doch besonders in den letzten Jahren hat der Trend zu
Verstaatlichungen und Eigentumstranfers erheblich zugenommen und neue Verhältnisse
geschaffen.

Die nationalen Energieriesen gewinnen an Einfluss, hier die Zentrale


des russischen Gas-Monopolisten Gazprom in Moskau. Foto: AP

Zugleich setzen nun auch die "neuen Nachfrager" auf den


Energiemärkten, unter anderem China und Indien, auf
Staatsfirmen, um ihren steigenden Bedarf zu decken. Wie
beispielsweise die chinesischen Aktivitäten in Afrika
zeigen, versuchen diese "Späteinsteiger" den volatilen
Ölmarkt zu meiden und sich über den direkten Einkauf in
Förderprojekte einen eigenen Anteil an der Produktion –
so genanntes Equity Oil – zu sichern. Im Ergebnis dieses
doppelten Trends dominieren NOCs mittlerweile die
globalen Öl- und Gasreserven. Gerade noch etwa
geschätzte sieben Prozent der weltweiten Öl- und
Gasreserven sind für private Ölfirmen (IOCs –
International Oil Companies) heute noch voll zugängig.

Im Zuge dieser Entwicklung sind, gemessen an den Reserven, die Top 20 weltweit größten
Öl- und Gasfirmen mittlerweile nahezu ausschließlich Staatsfirmen, vor allem aus den
Golfstaaten, Russland und China: Auf Platz eins ist die Iranische NIOC (National Iranian Oil
Company), dann folgen Saudi Aramco, Katar GPC u.a. "Big Oil", also ExxonMobil, Chevron,
BP oder Shell, dagegen liegen abgeschlagen auf den hinteren Rängen; ihre Reserven reichen
zusammengenommen kaum an den nächst größeren NOC heran, siehe Grafik.

89
Aber welche Eigentumsstrukturen weisen NOCs auf, und wie transparent sind sie? Wie stark
sind sie mit der politischen Führung verbunden, und inwieweit handeln sie überhaupt
unternehmerisch? Da sich NOCs deutlich voneinander unterscheiden, sollen im Folgenden
drei Fallbeispiele wichtiger Produzenten-NOCs Aufschluss über diese Fragen geben.

Saudi Aramco

Saudi Aramco, das staatliche Ölkonglomerat des saudischen Königreichs, besitzt das
Monopol auf die Upstream-Aktivitäten des Landes – Exploration sowie Produktion von Erdöl
– und kontrolliert etwa 98 Prozent der Ölreserven. Der Internationale Währungsfond schätzt,
dass Öl- und Ölprodukte etwa 90 Prozent der saudischen Exporterlöse, über 70 Prozent der
Staatseinnahmen und etwa 45 Prozent des Inlandsproduktes generieren. Saudi Aramco spielt
damit eine wichtige Rolle für das Königshaus, das seine Macht zentral auf die Öleinnahmen
stützt; zugleich werden letztere indirekt redistribuiert, beispielsweise im Rahmen von
subventionierten Benzinpreisen, über die Rohstoffversorgung der heimischen Industrie oder
die Bereitstellung von Infrastruktur. Alleiniger Eigentümer von Saudi Aramco ist die
saudische Regierung – wie viele der saudischen Industriezweige ist auch der Ölsektor
ausländischen Investoren verschlossen. Ziele und langfristige Strategie des Unternehmens
werden vom Hohen Rat für Petroleum und Mineralien bestimmt, dessen Vorsitz wiederum
der Wächter der beiden Heiligtümer und Regierungschef, König Abdullah, innehat. Trotz
eines relativ unabhängigen Managements hat Saudi Aramco keine Möglichkeit, die
Entscheidungen der politischen Führung anzufechten.

Saudi Arabien, das gegenwärtig etwa 9 Millionen Barrel pro Tag produziert, profitiert bei
Produktionskosten von unter 10 US-Dollar pro Barrel (ein Barrel entspricht 159 Liter) und
Ölpreisen von zurzeit deutlich über 100 US-Dollar pro Barrel von einer riesigen
Gewinnmarge auf dem Weltmarkt. Die genauen Einkommensflüsse sind allerdings wenig
transparent, was Saudi Aramco im diesjährigen globalen Ranking internationaler und
nationaler Öl- und Gasfirmen von Transparency International an eine der letzten Stellen
rücken ließ. Zugleich handelt Saudi Aramco jedoch nach unternehmerischen Maßstäben und
setzt ähnliche Returns on Investment (Kapitalsertragskräfte) an wie seine privaten
Wettbewerber. Dass Saudi Aramco dabei auch jederzeit außenpolitischen Zielen dient, zeigte
beispielsweise der Golf-Krieg von 1990: Während des Krieges erhöhte Saudi-Arabien, ein
Alliierter der internationalen Koalition zur Befreiung Kuwaits, innerhalb von 90 Tagen seine
Öl-Produktion um 3 Mio. Barrel pro Tag .

Petróleos de Venezuela, S.A. (PDVSA)

PDVSA ist Venezuelas staatliche Öl- und Gasgesellschaft und kontrolliert seit der
Verstaatlichung des Energiesektors durch Hugo Chávez im Jahre 2007 mehr als 60 Prozent
aller venezolanischen Förderprojekte. Das Unternehmen generiert etwa ein Drittel des
Inlandsproduktes, die Hälfte aller staatlichen Einnahmen und nahezu 90 Prozent der
Exporterlöse Venezuelas. Es ist zudem einer der größten Arbeitgeber des Landes. PDVSA,
das noch in den 1980er und -90er Jahren als eines der am effizientesten geführten NOCs galt,
wird im diesjährigen Ranking der Öl- und Gasunternehmen von Transparency International
unter den weltweit intransparentesten Unternehmen geführt, und liegt sogar hinter der
Iranischen NIOC (National Iranian Oil Company). Neben fehlenden Geschäftsberichten – für
die Zeit nach 2003 liegen nahezu keine verlässlichen Finanzdaten vor – sind auch die
Unternehmensangaben zur Produktion zweifelhaft; letztere wird von der Internationalen
Energieagentur (IEA) statt der offiziellen 3,15 auf 2,6 Mio. Barrel pro Tag geschätzt.

90
Seit Amtsantritt von Chávez finanziert das Unternehmen milliardenschwere soziale
Programme und stellt damit quasi-staatliche Leistungen zur Verfügung. Es dient so zugleich
als innenpolitisches Instrument im Rahmen der von Chávez ausgerufenen "Bolivarischen
Revolution" und damit sowohl zur Machtsicherung als auch zur Hebung des Lebensstandards.
Aufgrund einer intransparenten Parallelbürokratie arbeiten jedoch die zentralen Vehikel der
Sozialprogramme, der Sozialfonds "Fondespa" und die "Misiones sociales", wenig effizient.
Auch außenpolitisch wird PDVSA instrumentalisiert, u.a. über das auf Initiative Venezuelas
geschaffene "Petrocaribe-Abkommen". Dieses garantiert primär Erdöllieferungen an
teilnehmende Karibikstaaten zu Vorzugsbedingungen und indirekt eine de facto-Reduktion
des Preises. Die zuverlässige Umsetzung der politischen Vorgaben durch PDVSA wird dabei
von den zahllosen Gefolgsleuten garantiert, die Chávez seit dem Streik 2002 in dem
Unternehmen installiert hat – das gesamte Management und mit 18.000 Arbeitern die Hälfte
der Arbeitnehmerschaft wurden damals ersetzt.

OJSC Gazprom

Gazprom kontrolliert etwa 60 Prozent der russischen Gasreserven und produziert 90 Prozent
des russischen Erdgases. 51 Prozent der Unternehmensanteile werden vom Staat gehalten –
ein Anteil der bis 2004 noch deutlich unter 40 Prozent lag und den generellen Trend zu einer
stärkeren Staatskontrolle im russischen Energiesektor widerspiegelt. Einziges ausländisches
Unternehmen mit Sitz und Stimme im Aufsichtsrat ist die deutsche E.ON Ruhrgas AG.
Gazprom ist alleine für etwa 20 Prozent der russischen Staatseinnahmen verantwortlich und
für knapp 10 Prozent des russischen Inlandsprodukts. Der Gasgigant ist zudem aufgrund
vielerlei Aktivitäten auch in "energie-fremden" Bereichen, beispielsweise im Bankensektor
oder den Medien, ein wichtiger Faktor in der russischen Wirtschaft. Zudem ist das
Unternehmen gesetzlich verpflichtet, auf dem heimischen Markt Gas zu Niedrigstpreisen
anzubieten.

Im diesjährigen Ranking der Öl- und Gasunternehmen von Transparency International liegt
Gazprom, allen negativen Voraussagen zum Trotz, hinsichtlich seiner
Unternehmenstransparenz im russischen Vergleich erstmals vor privaten Firmen wie zum
Beispiel LukOil. International ist Gazprom allerdings eher in den unteren Rängen zu finden.
Grund hierfür ist neben dem Mangel eines unabhängigen Aufsichtsrats die starke
Verflechtung des Unternehmens mit der Politik. Hierfür steht zum Beispiel der neue russische
Präsident und langjährige Gazprom-Aufsichtsratschef Dmitri Medvedev. Diese Verflechtung
gewährleistet die Unterstützung des Unternehmens bei innenpolitischen Zielen –
beispielsweise in Form von als Investition getarnten Subventionen in strukturschwachen
russischen Regionen. Zugleich kann sich das Unternehmen der politischen Unterstützung bei
seinen in- wie ausländischen Expansions- und Akquisitionsbestrebungen sicher sein. Dessen
ungeachtet handelt Gazprom jedoch in vielerlei Hinsicht im Rahmen ökonomisch
nachvollziehbarer Kriterien, die jedoch immer wieder zu internationaler Kritik führen. Sein
dominantes Verhalten auf dem heimischen Markt entspricht dem Paradebeispiel eines
Monopols, seine teils aggressive Strategie, die Subventionierung der GUS-Staaten, wie der
Ukraine, Georgien oder Weissßrussland, zu beenden und Gas-Schuldner zur Zahlung zu
zwingen, dem Prinzip der Profitmaximierung.

NOCs sind nicht rein marktorientiert

Wie ist zusammenfassend der Trend zu nationalen Energiekonzernen zu bewerten? Für den
Ölmarkt ist es zunächst prinzipiell gleichgültig, ob ein Staatsunternehmen oder ein privater
Spieler fördert, da jedes zusätzliche Barrel, ob es nun auf dem Markt landet oder nicht, die

91
Angebotssituation entlastet. Allerdings ist es fraglich, ob NOCs die in den kommenden Jahren
notwendigen Investitionen tätigen werden – nach Schätzungen der IEA bis 2030 4,3
Billiarden US-Dollar im Ölsektor. Der Grund: Staatsunternehmen tendieren dazu,
Entscheidungen nicht aus rein unternehmerischen Motivationen zu treffen. Aus diesem Grund
birgt der Trend zu NOCs die Gefahr, dass sich das globale Ölangebot nicht mit der Nachfrage
entwickelt, was weiter zunehmende Knappheit auf den Märkten bedeuten würde.

Ähnliches gilt, allerdings mit regional beschränkter Reichweite, im Gassektor, der bis 2030
einen Investitionsbedarf von etwa 4 Billiarden US-Dollar aufweist. Gazprom alleine
beispielsweise wird deutliche Mühe haben, die notwendigen Upstream-Investitionen von etwa
400 Mrd. US-Dollar bis 2030 zu tätigen, um die heimische Nachfrage und seine europäischen
Exportmärkte bedienen zu können.

Für die privaten, westlichen Wettbewerber bedeutet der Aufstieg der NOCs, dass sie zwar
weiter vor allem Technologie und Managementerfahrung in Förderprojekte einbringen
können, sich jedoch wohl zunehmend mit der Rolle des Juniorpartners begnügen müssen.

92
Weltmeere: Ringen um Ressourcen
Arktis und Antarktis versprechen Öl- und Gasvorkommen

Zur Person
Holger Dambeck, geb. 1969, ist seit 2004 bei SPIEGEL ONLINE, Ressorts Wissenschaft
und Netzwelt. Studium Physik und Romanistik in Leipzig und Metz, Assistent der
Geschäftsführung, Werbetexter, zuletzt Volontär und Redakteur beim Computermagazin
c't/heise online.

Zuletzt hisste Russland 4.200 Meter tief im Meer – genau unter dem
Nordpol – seine Flagge und demonstrierte somit seine
Gebietsansprüche. Die Arktis lässt viele auf reichhaltige Öl- und
Gasreserven hoffen. Doch genaue Schätzungen gibt es nicht, und ebenso vage bleiben
die Förderkosten.

Russische Fahne am Nordpol


Im August 2007 hisste die Besatzung eines
russisches Mini-U-Boots die Nationalflagge auf
dem Meeresboden unter dem Nordpol: Symbol des
Anspruchs auf das rohstoffreiche Gebiet. Foto: AP

Die Menschheit ist dabei, die Erde leer zu


pumpen. Schon fast 40 Prozent aller
weltweiten Ölvorräte hat sie an die
Erdoberfläche geholt und verbrannt oder
Plastik daraus hergestellt. Knapp 4
Gigatonnen wurden 2006 gefördert, die
Nachfrage steigt weiter, der Rohölpreis
eilt von Rekord zu Rekord. Wann ist der Höhepunkt der Ölförderung – auch Peak Oil genannt
– erreicht? Spätestens 2020 – so prognostizieren es zumindest die Experten der Bundesanstalt
für Geowissenschaft und Rohstoffe Hannover.

Angesichts derartiger Aussichten verwundert es kaum, dass sich immer mehr Länder in viel
versprechenden, bislang wenig erkundeten Regionen der Erde umschauen: den Meeren. Und
so hat in den vergangenen Jahren ein regelrechtes Wettrennen um jene Regionen eingesetzt,
die bis dahin allerhöchstens eine Hand voll Forscher und Militärs interessiert hat: die
unwirtlichen Regionen an Nord- und Südpol. Aber auch die den Küsten vorgelagerten
Festlandsrücken sind von großem Interesse, denn auch dort vermuten Geologen Öl- und
Gasreserven.

Es ist freilich ein Spekulieren auf Pfründe, von denen keiner so genau weiß, wie groß sie
eigentlich sind. Den Anfang machte Russland im August 2007. In mehr als 4.200 Metern
Tiefe hissten Taucher auf dem Meeresboden die russische Flagge – genau am Nordpol. Es
war eine Demonstration der eigenen Gebietsansprüche. Moskau will weite Teile der Arktis als
eigenes Seeterritorium gewinnen.

Schnell noch die eigenen Gebietsansprüche abstecken

Nur ein paar Monate später holten die Briten zum Gegenschlag aus – in knapp 13.000
Kilometern Entfernung, auf der gegenüberliegenden Seite der Erde in der Antarktis. London
meldete Ansprüche auf ein Seegebiet von einer Million Quadratkilometer an. Es liegt vor der

93
antarktischen Küste. Chile reagierte umgehend und kündigte an, eine verlassene
Antarktisstation wieder eröffnen zu wollen, um eigene Gebietsforderungen zu unterstreichen.

Auch Kanada und Dänemark schalteten sich in das Ringen um Meeresterritorien ein sowie
zuletzt Frankreich. Um etwa eine Million Quadratkilometer will Paris seine Seegebiete
vergrößern – vor allem nahe französischer Inseln im südlichen Indischen Ozean. Teile der
Antarktis stehen nicht auf dem Wunschzettel der Pariser Regierung – zumindest vorerst nicht.

Ausweitung der Wirtschaftszonen

Unter dem "Arctic National Wildlife Refuge" im


Nordosten Alaskas werden große Ölvorkommen
vermutet. Bislang gibt es nur Probebohrungen.
Umweltschützer lehnen die Erschließung des
Naturschuztgebietes ab, Präsident Bush drängt auf
seine Freigabe. Foto: AP

Alle diese Ansprüche betreffen Gewässer,


die nach derzeitiger Rechtslage
international sind. Kein Staat darf sie als
sein Eigentum betrachten, das gilt auch
für die unter dem Meeresboden
vermuteten Bodenschätze. Über die
internationalen Gewässer wacht übrigens
eine eigens geschaffene Institution der
Vereinten Nationen (UNO): die Internationale Meeresbodenbehörde mit Sitz in Kingston
(Jamaika). Ihr Auftrag lautet, die Bodenschätze der Tiefsee als "gemeinsames Erbe der
Menschheit" zu verwalten. Wer also außerhalb nationaler Gewässer Öl oder Gas fördern
möchte, muss zuerst ein umfangreiches Genehmigungsverfahren inklusive
Umweltverträglichkeitsprüfung durchlaufen.

Doch es gibt eine Hintertür, um die Meeresbehörde zu umgehen und Seegebiete dem eigenen
Land zuzuschlagen: den Artikel 76 der UNO-Seerechtskonvention. Er besagt, dass das
Seeterritorium eines Landes so weit reichen kann wie sein Festlandsockel. Und so geht es bei
dem Rennen um Meeresgebiete darum zu beweisen, dass das eigene Land unter Wasser noch
viel weiter geht als jene maximal 200 Seemeilen, die schon jetzt als Wirtschaftszone nutzbar
sind.

Russland steht beispielsweise auf dem Standpunkt, der Lomonossow-Rücken, ein


unterseeisches Gebirge, reiche bis zum Nordpol. Daraus folgt, dass auch das darüber
befindliche Seegebiet zu Russland gehört. Die Expedition mit dem Hissen der Fahne auf dem
Meeresboden war mehr als eine PR-Aktion, sie diente angeblich auch zum Erbringen
geologischer Beweise, dass der Lomonossow-Rücken russisch ist.

Die Ansprüche Russlands, Großbritanniens und Frankreichs sind keine Einzelfälle. Bis zum
Mai nächsten Jahres könnten bis zu 50 weitere Staaten bei der dafür zuständigen UNO-
Kommission für die Grenzen des Kontinentalschelfs (CLCS) eine Ausweitung ihrer
Wirtschaftszonen beantragen. Praktisch in allen Fällen geht es um die Hoffnung auf
Bodenschätze aus dem Meer – auf Öl, Gas oder Edelmetalle.

Doch sind diese Hoffnungen berechtigt? Zumindest die nüchternen Zahlen sprechen dafür: So
beträgt der Anteil der Offshore-Förderung bei Erdöl derzeit rund 35 Prozent, bei Erdgas sind

94
es 29 Prozent. Bezogen auf die Reserven lägen die Anteile bei circa 33 und 29 Prozent, sagt
Hilmar Rempel, Experte für Energierohstoffe an der Bundesanstalt für Geowissenschaften
und Rohstoffe Hannover.

Rempel rechnet damit, dass die Bedeutung der Meere in den kommenden Jahren noch
zunimmt. "Dafür sprechen unter anderem die Funde in Tiefwasserbereichen des Golfs von
Mexiko, vor der Küste Brasiliens und vor Westafrika." Allerdings sei die für die
Kohlenwasserstoffsuche verfügbare Fläche begrenzt, denn Lagerstätten könne es aus
geologischen Gründen nur in mächtigen, unterseeischen Sedimentschichten geben . "Damit
scheiden große Teile der Ozeane aus, die durch das Auseinaderdriften der Kontinente in
jüngerer Zeit entstanden sind", erklärt Rempel, denn dort reiche die Sedimentbedeckung nicht
aus.

Die Schätze der Arktis

Hoffnung macht den auf Öl spekulierenden Ländern der Klimawandel, so zynisch das auch
klingt. Die Erderwärmung könnte die Ausbeutung von Rohstoffen in der unwirtlichen Arktis
erst möglich machen. Geoforscher rechnen damit, dass die Region womöglich schon in
wenigen Jahren im Sommer komplett eisfrei ist – eine wichtige Voraussetzung, um Öl und
Gas überhaupt fördern und abtransportieren zu können.

Dass es in der Arktis reichhaltige Öl- und vor allem Gasvorräte gibt, davon sind viele
Geologen überzeugt. Die Bedingungen für die Entstehung von Kohlenwasserstoffen waren
einst in der Region gegeben, also dürften sich auch Vorkommen finden lassen. Vor allem die
Flachwassergebiete und Schelfe, die Kontinentalrücken, gelten als viel versprechend. Wie
groß die Vorkommen tatsächlich sind, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber kaum
sagen.

Bislang existieren nur grobe Schätzungen, etwa jene vom US Geological Survey (USGS). Die
Wissenschaftler gehen davon aus, dass in der Arktis etwa 14 Prozent aller weltweiten
Ölressourcen liegen. Dies würde etwa 11 Gigatonnen entsprechen, wenn man die geschätzten
Ressourcen von rund 80 Gigatonnen zu Grunde legt, also 80 Milliarden Tonnen Öl. Geologen
unterscheiden zwischen Ressourcen, deren Förderung technisch oder finanziell noch nicht
möglich ist, hierzu gehören auch Lagerstätten, deren Existenz noch nicht erwiesen ist, die
geologisch aber als wahrscheinlich gelten, und Reserven, das sind bekannte, heute bereits
ausbeutbare Vorkommen. Laut BP Statistical Review lagen die Öl-Reserven 2006 weltweit
bei 164,5 Milliarden Tonnen.

Die Edinburgher Ölberatungsfirma Wood Mackenzie schätzt die Vorkommen in der Arktis
auf 10 Gigatonnen Öl und 43 Gigatonnen Gas. Dabei sind jedoch bislang nur die Ränder des
Ozeans berücksichtigt. Welche Funde im zentralen Nordpolarmeer schlummern, weiß
niemand. Es gibt aber auch Experten, die bezweifeln, ob dort überhaupt die Bedingungen zu
Erdölbildung gegeben waren.

Die Förderung ist eine teure Angelegenheit

Doch selbst wenn es in 3.000, 4.000 Metern Wassertiefe Lagerstätten geben sollte, stünden
Erdölfirmen immer noch vor einem schwierigen Problem: Wie fördert man Gas und Öl aus so
großen Tiefen? Und selbst wenn es technisch und unter den extremen Bedingungen der Arktis
gelingt, ist die Förderung dann überhaupt noch bezahlbar? Genau daran haben Experten wie
Peter Kehrer von der Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe Hannover so ihre

95
Zweifel. Er hält all die Gedankenspiele über Öl und Gas aus Arktis und Antarktis für
geradezu absurd. "In 50 Jahren haben wir etwas viel Intelligenteres als Öl", sagte er SPIEGEL
ONLINE.

Wenn man sich die Zahlen der globalen Ölvorräte vor Augen führt, wird schnell klar: Die in
den Kontinentalrücken weit vor den Küsten liegenden Reserven und Ressourcen könnten für
eine gewisse Entlastung auf dem Energiemarkt sorgen – wohl aber nur für eine gewisse Zeit.
Das Kernproblem des immer knapper werdenden Öls können Lagerstätten in den Ozeanen
aber kaum lösen. Womöglich werden die meisten fossilen Energieträger niemals vom
Meeresboden geholt, weil der Solarantrieb für Autos schlicht günstiger ist als die aufwendige
Förderung. Für den Klimaschutz wäre dies eine gute Sache.

Und auch für die empfindlichen Ökosysteme von Arktis und Antarktis wäre es das Beste,
wenn niemand mit Fördertechnik anrückt und tiefe Löcher in die Erde bohrt. Zumindest der
Kontinent am Südpol ist durch den Antarktisvertrag geschützt, den 1959 zwölf Staaten
unterschrieben hatten. Er erklärt den weißen Kontinent zu einem Naturreservat, "dem Frieden
und der Wissenschaft" gewidmet, wie die Unterzeichner es formulierten. Territoriale
Forderungen wurden ausdrücklich nicht anerkannt.

Wie weit weg die Menschheit von einer Ausbeutung der Meere noch ist, zeigt auch der Blick
nach Jamaika, zur Internationalen Meeresbodenbehörde, die bislang wenig Arbeit hatte: Die
noch vor Jahren als lukrativ geltende Förderung von Manganknollen vom Meeresboden findet
bislang nicht statt – mangels entsprechender Technik und aus Kostengründen. Konsequentes
Recycling hat sich hier als günstige Alternative erwiesen.

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Russland und der Kaspische Raum – Exportschlager Energie
Vorkommen, Förderung und Exportpotentiale

Zur Person
Dr. Roland Götz, geb. 1943, war von 1986 bis 2000 wissenschaftlicher Referent in der
Wirtschaftsabteilung des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale
Studien (BIOSt) in Köln. Ab 2001 untersuchte er an der Stiftung Wissenschaft und Politik
(SWP) in Berlin die Wirtschaft der GUS-Staaten unter besonderer Berücksichtigung der
Energiewirtschaft Russlands. Seit Mai 2008 ist er in Ruhestand. Roland Götz ist Verfasser
einer Vielzahl von Publikationen in den Schriftenreihen des BIOst und der SWP, in der
Zeitschrift "Osteuropa" sowie in Sammelbänden zur Wirtschaft und Energiepolitik
Russlands.

Seit 2005 bringt eine Pipeline Öl von Aserbaidschan über Georgien bis zur türkischen
Mittelmeerküste. Einige Staaten des Kaspischen Raums sind reich an Öl und auch Gas,
ebenso ihr Nachbar Russland. Das Exportgeschäft läuft gut, doch die Länder selbst
haben einen hohen Energieverbrauch.

Der Hafen von Supsa am Schwarzen Meer in


Georgien. Hier endet die Baku-Supsa-Pipeline, die
Öl aus dem Kaspischen Meer aus Aserbaidschan
liefert. Während des Konflikts im Sükaukasus
wurde die Pipeline stillgelegt. Foto: AP

Russland sowie die GUS-Staaten des


Kaspischen Raums Kasachstan,
Usbekistan, Turkmenistan und
Aserbaidschan verfügen über Vorkommen
an Energierohstoffen, wie sie sonst nur
noch im Nahen Osten und in Nordamerika
auftreten.

Russland

Russland besitzt die weltgrößten Erdgasvorkommen (Reserven und Ressourcen) und förderte
2007 mit 651 Milliarden Kubikmeter mehr Erdgas als jedes andere Land. Russlands
Erdölvorkommen sind zwar deutlich kleiner als die des Nahen Ostens, werden aber
wesentlich intensiver als letztere ausgebeutet und trugen so seit 1999 maßgeblich zum
Anstieg der Ölförderung außerhalb der OPEC, der Organisation Erdöl exportierender Länder,
bei. 2007 wurden in Russland 473 Millionen Tonnen Erdöl gefördert; das Land steht damit an
zweiter Stelle hinter Saudi-Arabien. Russlands Kohlevorkommen erreichen dieselbe
Größenordnung wie die der USA und Chinas. Russlands Kohleförderung (2007: 315 Mio.
Tonnen) dient vor allem dem heimischen Bedarf und erst in zweiter Linie dem Export.

Infobox
Kaspischer Raum
Unter "Kaspischer Raum" werden hier die südkaukasischen und zentralasiatischen GUS-
Staaten Aserbaidschan, Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan verstanden, nicht jedoch
der Iran.

97
In Russland werden im Osten und Norden Sibiriens sowie in den nördlichen Küstengewässern
weitere große Öl- und Gasfelder vermutet. Aber auch nach ihrer Erschließung wird die
russische Öl- und Gasförderung nicht mehr in hohem Umfang ansteigen, da die Vorkommen
im Westen Sibiriens, von wo die Hauptmengen stammen, sich im Zustand zurückgehender
Förderung befinden. Die Ölförderung wird in Russland voraussichtlich um 2030, die
Gasförderung um 2040 ihr Maximum erreichen und dann allmählich zurückgehen.

Infobox
"Vorkommen" – Reserven und Ressourcen
Bei Öl- und Gasvorkommen bezeichnen "Reserven" den zu gegenwärtigen Bedingungen
technisch und wirtschaftlich gewinnbaren Teil. "Ressourcen" sind entweder zwar
nachgewiesen, aber (noch) nicht technisch und wirtschaftlich gewinnbar, oder es sind nicht
nachgewiesene, aber geologisch mögliche Vorkommen.

Russland tauscht mit den Staaten das Kaspischen Raums Erdöl, Erdgas und Kohle aus, wobei
regionale Versorgungsdefizite in Südrussland einerseits, in den Nordregionen des Kaspischen
Raums andererseits ausgeglichen werden. Auf Nettoimporte von Energieträgern aus dem
Kaspischen Raum ist Russland nicht angewiesen. Allerdings wird über russisches Territorium
per Pipeline vor allem Erdöl zu den Schwarzmeerhäfen und Richtung Ukraine bis Westeuropa
sowie Erdgas nach Belarus und in die Ukraine – nicht jedoch in die EU-Staaten –
transportiert. Russland, die meisten zentralasiatischen GUS-Staaten und auch Aserbaidschan
unterscheiden sich von den Ressourcenstaaten des Nahen Ostens dadurch, dass sie einen
erheblichen Teil der geförderten Energieträger für den eigenen Bedarf benötigen, weil sie
verhältnismäßig große Bevölkerungen und energieintensive Industriezweige aufweisen – nur
Turkmenistan entspricht dem klassischen Fall eines bevölkerungsarmen Ressourcenstaates,
der seine Förderung überwiegend dem Export widmen kann. Insbesondere für das
bevölkerungsreiche und industriell entwickelte Russland wird es darauf ankommen, durch
Steigerung der Energieeffizienz in Industrie, Transport und Haushalten zu verhindern, dass
ein stark ansteigender Binnenverbrauch den Export maßgeblich einschränken wird.

Aserbaidschan

Aserbaidschans Ölförderung beträgt 2008 knapp eine Million Barrel pro Tag (ein Barrel
entspricht 159 Liter) bzw. 50 Mio. Tonnen pro Jahr. Da im Inland nur rund 10 Mio. Tonnen
benötigt werden, können rund 40 Mio. Tonnen durch die 2005 eröffnete Baku-Tbilissi-
Ceyhan Pipeline (BTC) von Aserbaidschan über Georgien bis zur türkischen Mittelmeerküste
geleitet und dann weiter per Tanker transportiert werden. Deutschland bezog 2007 knapp 3
Mio. Tonnen Erdöl aus Aserbaidschan.

Aserbaidschans Gasförderung war in den 1990er Jahren wegen Erschöpfung der damals
bekannten Gasfelder auf rund 5 Mrd. Kubikmeter jährlich zurückgegangen. Erst die
Produktionsaufnahme des großen, östlich von Baku unter dem Kaspischen Meer gelegenen
Gasfeldes "Shah Deniz" verspricht einen erneuten Aufschwung der Gasförderung.
Aserbaidschan könnte den geplanten "südlichen Gaskorridor" ("Nabucco") für sich nutzen
und ab 2015 mit jährlich rund 3 Mrd. Kubikmeter beliefern. Mittelfristig wird das Gasfeld
"Shah Deniz" eine Fördermenge von knapp 50 Mrd. Kubikmeter bieten. Damit ist unter
Berücksichtigung des steigenden Inlandsverbrauchs ein Exportvolumen von bis zu 30 Mrd.
Kubikmeter zu erwarten, das für die Türkei und Westeuropa bestimmt ist.

98
Infobox
Südlicher Gastransportkorridor "Nabucco"
Ein Konsortium, dem staatliche Gasgesellschaften der Türkei, Bulgariens, Rumäniens,
Ungarns, Österreichs und die deutsche RWE angehören, plant den Bau einer Gaspipeline von
der Ost- in die Westtürkei und über den Balkan weiter nach Westeuropa. Sie soll jährlich 31
Mrd. Kubikmeter Erdgas transportieren und 5 Mrd. Euro kosten.

Kasachstan

Bei Uran gehört Kasachstan zu den weltweit führenden Anbietern. 2008 werden rund 1,5
Mio. Barrel pro Tag bzw. 75 Mio. Tonnen Erdöl gefördert, wovon ein Großteil exportiert
werden kann. Deutschlands Anteil wird wie 2007 rund 8 Mio. Tonnen betragen. Einen
weiteren Anstieg der kasachischen Erdölförderung und des Exports verspricht man sich von
der Inbetriebnahme des riesigen Offshore-Ölfeldes Kashagan im Nordteil des Kaspischen
Meers. Erdöl aus Kasachstan gelangt über russisches Gebiet per Pipeline zum Schwarzen
Meer und über nach Norden führende Pipelines Richtung Westen. Geringere Mengen werden
in den Nordiran sowie nach China geliefert; die Ölexporte nach China, wohin eine Pipeline
gebaut wird, dürften noch erheblich ausgeweitet werden.

Das kasachische Erdgas wird vorwiegend im Nordwesten und im Schelf des Kaspischen
Meers gefördert, großenteils als Begleitgas der dort anzutreffenden Erdölförderung.
Mittelfristig kann ein Förderpotential von rund 75 und ein Exportpotential von rund 40 Mrd.
Kubikmeter erreicht werden. Abnehmer für das kasachische Erdgas wird wie bisher
Russlands Gazprom sein (das damit die westlichen GUS-Staaten beliefern möchte), künftig
aber auch China, wohin eine Pipeline mit einer jährlichen Kapazität von 30 Mrd. Kubikmeter
gebaut wird.

Turkmenistan

Während Kasachstan das erdölreichste Land Zentralasiens ist, verfügt Turkmenistan über die
größten Erdgasvorräte. Das mittelfristige jährliche Gasförderpotential des Landes wird auf
rund 150 Mrd. Kubikmeter geschätzt. Für den Export stehen damit unter Berücksichtigung
des künftigen Eigenverbrauchs rund 130 Mrd. Kubikmeter zur Verfügung. Wenn
Turkmenistan seinen langfristigen Liefervertrag mit Russland einhält, der um 2020
Liefermengen von bis zu 90 Mrd. Kubikmeter pro Jahr vorsieht, verbleiben rund 40 Mrd.
Kubikmeter für die geplanten Exporte nach China sowie für ebenfalls beabsichtigte Exporte
in den Iran, die Türkei und weiter Richtung Westeuropa. Die Aufteilung der Exportmengen
wird davon abhängen, welche Preiskonditionen die betreffenden Abnehmer bieten und welche
Transportmöglichkeiten zur Verfügung stehen werden.

Usbekistan

Usbekistan förderte 2007 nur rund 5 Mio. Tonnen Erdöl, was den Inlandsbedarf nicht deckte.
Usbekistans Erdgasförderung erreichte 2007 rund 60 Mrd. Kubikmeter. Das mittelfristige
Gasproduktionspotential Usbekistans wird wegen des fortgeschrittenen Erschöpfungsgrads
der usbekischen Gasfelder voraussichtlich bei diesem Wert stagnieren und selbst bei kaum
steigendem Inlandsbedarf keine Exporte erlauben.

Die Exportmöglichkeiten für Erdgas aus dem Kaspischen Raum

99
Insbesondere von amerikanischer Seite wird aus geopolitischen Erwägungen vehement der
Bau der "Trans Caspian Gas Pipeline" zwischen der turkmenischen Hafenstadt
Turkmenbaschi und der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku gefordert. Deren Realisierung
scheiterte bisher an der ungelösten Statusfrage des Kaspischen Meers, an von Russland
vorgebrachten Umweltbedenken und an ihrer nicht geklärten Rentabilität.

Infobox
Status des Kaspischen Meers
Wenn das Kaspische Meer als Meer definiert wird, stehen jedem Anrainerstaat, ausgehend
von seiner Uferzone, eine 12-Seemeilen-Zone als territoriales Gebiet sowie ein 200-
Seemeilen-Streifen entlang seiner Küste als "ausschließliche Wirtschaftszone" zu, wobei im
Falle des Kaspischen Meers eine Grenzziehung zwischen den jeweiligen Wirtschaftszonen in
der Mitte des Gewässers erforderlich wird. Wenn es dagegen als See (also als
Binnengewässer) betrachtet wird, würden seine Bodenschätze von den Anrainerstaaten
gemeinsam ausgebeutet werden (Kondominiums-Lösung). Russland und Kasachstan haben
sich 1998 für den nördlichen Teil des Kaspischen Meers bereits auf eine Aufteilung geeinigt,
Aserbaidschan folgte ihnen 2001.

Während Turkmenistan für Gasexporte nach Russland und China über eine ausreichende
Transportinfrastruktur verfügt bzw. verfügen wird, sind Turkmenistans Exportmöglichkeiten
nach Westen vergleichsweise wenig entwickelt. Aserbaidschan dagegen besitzt mit der South
Caucasus Pipeline (SCP) über eine Exportpipeline, die gemäß Bedarf erweitert werden kann.
Die SCP verläuft parallel zur Baku-Tbilissi-Ceyhan Erdölpipeline. Aserbaidschans
Gasförderung und -export werden in Zukunft vor allem davon bestimmt werden, wie sich der
Gasmarkt in der Türkei und in Südeuropa entwickelt und welchen Raum dort die
Wettbewerber aus Russland und Afrika einnehmen werden.

Ob die Gaspipeline "Nabucco", die die Osttürkei über den Balkan mit Westeuropa verbinden
soll, gebaut werden wird oder nicht, wird den Grad der Diversifizierung der europäischen
Gasimporte nicht entscheidend verändern, da mit den jährlich 30 Mrd. Kubikmeter nur 6 bis 8
Prozent des bis 2020 auf 400 bis 500 Mrd. Kubikmeter angestiegenen Importbedarfs Europas
abgedeckt werden könnten. Ein anderes Bild ergäbe sich, wenn der Iran umfangreiche
Gasexporte nach Europa aufnehmen würde. Dann könnte dieser neben Russland und Afrika
zum dritten Hauptversorger Europas aufsteigen. Irans Prioritäten der Gasexportpolitik sind
aber bis auf weiteres nicht klar erkennbar.

Energiepartnerschaft Deutschlands und des Kaspischen Raums?

2007 stammten 43 Prozent der deutschen Erdgasimporte und 32 Prozent der Erdölimporte
Deutschlands aus Russland. Weitere 10 Prozent der deutschen Erdölimporte kamen aus dem
Kaspischen Raum, davon drei Viertel aus Kasachstan, der Rest aus Aserbaidschan.
Deutschland, wie auch das restliche Europa importierten 2007 (mit Ausnahme der Türkei)
kein Erdgas aus dem Kaspischen Raum. An diesen Verhältnissen wird sich auf absehbare Zeit
nichts Wesentliches ändern: Deutschlands Erdölimport stagniert und wird auch in Zukunft
überwiegend aus Russland, Norwegen, Großbritannien und Nordafrika stammen. Bei den
wahrscheinlich noch zunehmenden Erdgasimporten Deutschlands werden Russland,
Norwegen und die Niederlande auch in Zukunft die Hauptlieferländer bleiben. Erdgas aus
dem Kaspischen Raum wird auch nach der eventuellen Fertigstellung eines
Transportkorridors durch die Türkei, die "Nabucco-Pipeline", nur in geringen Mengen nach
Deutschland gelangen.

100
Die Hoffnungen auf eine wesentliche Verringerung der Abhängigkeit Deutschlands und
anderer europäischer Staaten von russischem Gas durch künftige Gasimporte aus dem
Kaspischen Raum werden sich daher nicht erfüllen. Dies gibt jedoch keinen Anlass zur
Besorgnis, da die Abhängigkeit im Gasbereich zweiseitig ist. Liefer- und Abnehmerländer
sind durch das Pipeline-Netz und langfristige Gaslieferverträge, derart aufeinander
angewiesen, dass keine Seite die andere erpressen kann. Weder wird etwa aus politischen
Gründen Russlands Gazprom "den Gashahn abdrehen", noch ein europäisches Land auf
russisches Gas verzichten wollen.

Infobox
Langfristige Gaslieferverträge
Erdgasimporte werden in Europa und in den meisten außereuropäischen Ländern im Rahmen
von langfristigen (20- bis 30-jährigen) Lieferverträgen durchgeführt. Diese enthalten eine
Bindung des Importpreises an die Preise für Erdöl und Erdölprodukte. Da diese
Langfristverträge sowohl für die Lieferanten- als auch Abnehmerunternehmen Vorteile
bieten, wird nicht beabsichtigt, von diesem seit Jahrzehnten bewährten System abzugehen.
Kartellrechtliche Bedenken gegen die Langfristverträge bestehen nicht. Das System der
Langzeitverträge und der Ölpreisbindung des Gaspreises war 1962 in den Niederlanden von
der Regierung zusammen mit ESSO und Shell eingeführt worden, um die Produktion des
Groningen-Gasfeldes zu vermarkten. Der Preis für Gasexporte in ein bestimmtes Land wird
seither von den Preisen der dortigen Substitute für Erdgas, z.B. Kohle und Heizöl, abgeleitet
(replacement value), der Preis ab Grenze des Exportlandes wird durch Abzug der
Transportkosten in das Empfängerland ermittelt (netback pricing). Daher differieren die
Exportpreise an der Grenze des liefernden Landes je nach Empfängerland. Im Empfängerland
sind sie aber weder von den Förderkosten, noch von den Transportkosten abhängig. Um
Änderungen der Preise der Gassubstitute zu berücksichtigen, wird eine Preisrevisionsklausel
(price review clause) vereinbart. Während in den Langzeitverträgen der Abnehmer das
Mengenrisiko trägt (er muss eine vereinbarte Mindestmenge pro Jahr abnehmen), trägt der
Lieferant das Preisrisiko, weil er den Preis nicht beeinflussen kann.

Eine Energiepartnerschaft des Kaspischen Raums mit Deutschland kann sich somit nicht in
erster Linie auf die Sicherung der deutschen Energieversorgung stützen und berufen. Eine
Zusammenarbeit könnte sich dagegen bei der gemeinsamen Förderung von Projekten der
Energieeffizienz und der Vermeidung von Treibhausgasemissionen ergeben. Hierbei könnten
deutsche Erfahrungen bei der Nutzung von erneuerbaren Energien (Wind- und Solarenergie)
eingebracht werden. Diese Projekte dürfen aber nicht dazu führen, dass Fragen der
Menschenrechte im Dialog mit den betreffenden Staaten hintangestellt werden.

101
Afrika – die Energiewirtschaft boomt
Reich an Ressourcen, doch die Gewinne gehören wenigen

Zur Person
Dominic Johnson ist Redakteur der taz und ein ausgewiesener Afrika-Kenner. Zuletzt
erschien im April 2008 sein Buch "Kongo: Kriege, Korruption und die Kunst des
Überlebens".

Die weltweite Nachfrage nach Rohstoffen kurbelt Afrikas Wirtschaft


an: Die größten unerschlossenen Reserven an Erdöl und -gas lagern
auf dem Kontinent. Doch zugleich ist nur ein Fünftel der Bevölkerung
an ein Stromnetz angeschlossen. Der Aufschwung mindert nicht die sozialen und
politischen Spannungen.

Im Mai 2008 wurde Südafrikas erste


Windkraftanlage eingeweiht. Neben der
Windkraft gelten auch Wasser- und
Solarenergie als ausbaufähig – in ganz
Afrika. Foto: AP

Energiepolitisch stellt Afrika ein Paradox


dar. Die meisten Menschen auf dem
Kontinent haben keinen Zugang zu
modernen Energiequellen, aber Afrika ist
Netto-Energieexporteur: Nach Angaben
der UN-Wirtschaftskommission für Afrika
(UNECA) werden 7 Prozent der Energie weltweit in Afrika produziert – aber nur 3 Prozent
auch in Afrika verbraucht, bei einem Anteil an der Weltbevölkerung von 13 Prozent.

Nur ein Fünftel der Bevölkerung des Kontinents ist an ein Stromnetz angeschlossen, weniger
als irgendwo sonst auf der Welt. Afrika ist der ärmste Kontinent der Welt, aber nirgends sonst
geben die Menschen einen so hohen Anteil ihrer Einkommen für Energie aus: 20 bis 30
Prozent, so der "World Energy Council". Damit werden vor allem Holzkohle, Brennholz und
Kerosin gekauft, gerade weil es für die große Mehrheit der Bevölkerung keinen Anschluss an
ein Stromnetz gibt. Die so genannte "Biomasse" ist für die überwiegende Mehrheit der
Afrikaner der wichtigste, wenn nicht der einzige Energielieferant zum Kochen.

Gleichzeitig befindet sich Afrika in einem Wirtschaftsboom. Ein Grund dafür ist die stark
gewachsene globale Nachfrage nach mineralischen und metallischen Rohstoffen und nach
Erdöl und Erdgas. Für all dies befinden sich einige der größten unerschlossenen oder nur
wenig erschlossenen Reserven in afrikanischen Ländern. Zugleich sorgen hohe
Wachstumsraten der exportorientierten Industrien in Afrika sowie die rasche Verstädterung
für ein überdurchschnittlich starkes Wachstum in Afrikas eigener Nachfrage nach Energie.
Der weltweite Rohstoffboom treibt Afrikas Wirtschaft doppelt an: durch hohe Primärexporte
aus dem Kontinent und durch die dadurch mitverursachte rasche Zunahme an Afrikas
eigenem Rohstoffverbrauch.

Afrika als Energielieferant

Afrika enthält ein Zehntel der nachgewiesenen Erdölreserven der Welt und leistete 2007 12
Prozent der weltweiten Förderung, mit einer Wachstumsrate von 7,5 Prozent im selben Jahr –
102
bei einem gesamtafrikanischen Wirtschaftswachstum von über 5 Prozent. Die USA
importieren 23 Prozent ihres Öls aus Afrika. Deutschland bezieht 17 Prozent seiner Ölimporte
aus Afrika, wovon allein 10 Prozent aus Libyen kommen. Chinas Ölimporte aus Afrika
wachsen am schnellsten, insbesondere aus Angola und Sudan, und chinesische Firmen kaufen
sich massiv in Afrikas Ölindustrie ein. Die Rivalität zwischen Importeuren ermöglicht es den
Regierungen der Förderländer, ihre ausländischen Kunden gegeneinander auszuspielen und
sich Forderungen nach mehr Transparenz oder nach Einhaltung sozialer und ökologischer
Mindesstandards zu verschließen. Damit trägt Afrikas Ölboom zu neuen sozialen und
politischen Spannungen auf dem Kontinent bei.

Afrikas wichtigste Ölförderländer waren 2006 Nigeria mit 2,4 Millionen Barrel pro Tag,
Algerien (2 Mio.), Libyen (1,8 Mio.), Angola (1,4 Mio.), Ägypten (0,7 Mio.), Sudan (0,4
Mio.) und Äquatorialguinea (0,4 Mio.). 2007 stieg Angolas Tagesproduktion auf 1,9 Mio.
Barrel, während die Nigerias wegen ständiger Rebellenangriffe auf Ölförderanlagen und
Pipelines im Sinken begriffen ist.

Angola, mit jährlichen Wachstumsraten von 20 Prozent und einem immensen


Wiederaufbaubedarf nach 30 Jahren Bürgerkrieg, dürfte ab 2010 Afrikas Ölförderland
Nummer eins werden, mit 2,5 Mio. Barrel am Tag. Mit einer relativ geringen Bevölkerung
von 13 Millionen Einwohnern, ein Zehntel von der Nigerias, stehen damit dem angolanischen
Staat gigantische Mittel zur Verfügung. Angola ist neben dem ebenfalls aus jahrzehntelanger
Isolation hervortretenden Libyen im Begriff, Lieblingsziel für Investoren zu werden – wenn
auch beide weiterhin autoritäre Regime bleiben.

Nigeria hingegen kommt trotz hoher Öleinnahmen aus seiner Krise nicht heraus. Im
Staatshaushalt 2008 sind Öleinnahmen von 35 Milliarden US-Dollar vorgesehen, aber auch
Ausgaben für die Einfuhr von Ölprodukten in Höhe von 2,6 Mrd. Dollar. Grund ist, dass die
eigene Raffineriekapazität des Landes immer noch durch das Herunterwirtschaften unter der
1999 beendeten Militärherrschaft leidet, deren Entscheidungsträger lieber mit Benzinimporten
Geld verdienten. Die neue Zivilregierung, die einen breiten politischen Pluralismus zulässt,
hat es nicht geschafft, die Rohstoffindustrie zu modernisieren oder die wachsende
Unzufriedenheit der Bewohner der Ölgebiete zu mäßigen.

Öl und Gas als wichtige Energiereserven

Auch für Erdgas wird Afrika immer wichtiger. Jahrzehntelang wurde das bei der Ölförderung
entweichende Erdgas einfach abgefackelt, da es nicht exportiert werden konnte und weder
Förderunternehmen noch Regierungen sich darum kümmerten, es lokal zu nutzen. Inzwischen
ist dieser Umgang mit Gasvorkommen als ökologisch unhaltbar und ökonomisch unsinnig
erkannt worden. Doch es dauert lange, alte Gewohnheiten zu ändern.

Bislang geschieht das in größerem Ausmaß nur in Nordafrika, wobei große Anteile des
Erdgases vor Ort verbraucht werden. 2006 lag Algerien mit 87 Milliarden Kubikmeter (m³)
an der Spitze der afrikanischen Gasförderung, mit einem Eigenverbrauch von 25 Mrd. m³;
es folgten Ägypten mit 52,3 Mrd. m³ (Eigenverbrauch 36 Mrd. m³), Nigeria mit 28,2 Mrd.
m³ (Eigenverbrauch 10,6 Mrd. m³) und Libyen mit 14,8 Mrd. m³ (Eigenverbrauch 6,4
Mrd. m³). Die Umwandlung von Erd- in Flüssiggas, das auf Tankern exportiert werden
kann, ist jedoch eine Wachstumsbranche für westafrikanische Förderländer: Nigerias
Gasexporte, 2006 bei 17,6 Mrd. m³, sollen bis 2010 auf 22 Mrd. m³ steigen, und auch

103
Äquatorialguinea soll mit 1,6 Mrd m³ in den Exportmarkt einsteigen. Auch Gasleitungen
aus Westafrika quer durch die Sahara-Wüste Richtung Europa sind in Planung, werden aber
durch die sich ausbreitende Unsicherheit im Grenzgebiet Algerien-Mali-Niger behindert.

Als Energielieferant in Afrika ist ferner Südafrika wichtig. 2006 war Südafrika mit 244 Mio.
Tonnen der fünftgrößte Kohleförderer der Welt. Der Großteil der Förderung wird zur
einheimischen Stromproduktion verwendet. Ein Viertel wird exportiert, mit Deutschland als
einem wichtigen Abnehmer – für Deutschland war Südafrika 2006 der größte Kohlelieferant.

Energieinvestitionen in Afrika

Der Aufbau von Kapazitäten zur Stromproduktion für den Eigenbedarf gilt als eine der
großen infrastrukturellen Herausforderungen Afrikas. Nur in Südafrika und den Maghreb-
Staaten reichen diese derzeit einigermaßen aus. Aber selbst in Südafrika stoßen die
Stromproduzenten zunehmend an Kapazitätsgrenzen. Die Internationale Energieagentur
schätzte bereits 2001, dass Afrika Investitionen im Wert von 250 Mrd. US-Dollar bis 2030
bräuchte, damit alle Afrikaner Zugang zu Elektrizität bekommen.

Als besonders ausbaufähig gelten Wasserkraft und Solarenergie; erstere ist bereits mit
zahlreichen Staudämmen unter anderem am Nil (Assuan, Ägypten), Kongo (Inga,
Demokratische Republik Kongo), Sambesi (Cabora Bassa, Mosambik) und Volta (Aksombo,
Ghana) vorhanden, letztere verharrt noch auf der Ebene von Kleinprojekten.

Südafrika ist das Land mit den größten Investitionsprojekten im Energiesektor – getrieben
vom Bedarf der Bergbauindustrie, von den staatlichen Zielsetzungen zur Elektrifizierung der
früheren Apartheid-Townships und von der Fußball-WM 2010, bei der Blackouts vermieden
werden sollen. Der staatliche Stromkonzern Eskom plant Investitionen in Höhe von 21 Mrd.
US-Dollar bis 2012 in den Ausbau der Energieproduktion, darunter die Erneuerung alter
Kohlekraftwerke und der Ausbau der Wasserkraft.

Neben Kohle und Wasserkraft investiert Südafrika auch in die Atomenergie. Das bisher
einzige Atomkraftwerk Koeberg bei Kapstadt, mit einer Kapazität von 1.800 Megawatt
(MW), soll bis 2016 durch ein zweites mit einer Kapazität von 4.000 MW ergänzt werden,
Vorstufe zu einem groß angelegten Nuklearprogramm von 20.000 MW.

Die größten Zukunftsprojekte auf dem Kontinent gibt es für die Demokratische Republik
Kongo, wo der Inga-Staudamm am Unterlauf des Kongo-Flusses bisher weit unter seinen
Möglichkeiten bleibt. Der einst zur Versorgung des Bergbaureviers von Katanga (über die
längste Hochspannungstrasse der Welt versorgt) gebaute Damm liegt heute zum großen Teil
still, mangels Wartung der Turbinen, Ausbaggerung des Wasserwegs und Modernisierung der
technischen Anlagen. Die Kapazität der beiden Dämme Inga I und Inga II, einst auf 1.300
MW angelegt, liegt heute bei unter 600 MW, wovon 180 MW exportiert werden, meist nach
Südafrika und Kongo-Brazzaville. Die Weltbank finanziert die Modernisierung dieser beiden
Anlagen. Außerdem sollen die Stromleitungen nach Katanga erneuert und erweitert werden;
dies gilt ausländischen Investoren als Vorbedingung, um geplante Milliarden in Kongos
Bergbau zu stecken, potentiell die größten Rohstoffinvestitionen Afrikas außerhalb des
Ölsektors.

104
Wasserkraft als Lösung

Ein dritter Staudamm Inga III soll ab 2012 2.500 MW liefern und über ein Stromkonsortium
Angola, Namibia, Botswana und Südafrika beliefern. Noch in den Sternen steht das
Großprojekt "Grand Inga", bei dem nicht nur wie bisher fünf Prozent des Kongo-Flusses
durch einen Damm gejagt werden sollen, sondern der ganze Fluss; damit könnten 40.000 MW
Strom produziert werden, fast doppelt so viel wie der chinesische Drei-Schluchten-Damm mit
22.500 MW liefert, derzeit der größte der Welt. Der Grand Inga-Strom könnte, falls jemand
die entsprechenden Trassen baut, sogar Südeuropa mit versorgen. Doch bislang fehlen klare
Zeit- oder Finanzierungspläne.

Der Ausbau der Wasserkraft steht auch in anderen Ländern auf der Tagesordnung. Der
Akosombo-Damm am Volta-Fluss in Ghana produziert nur noch 115 MW; eine
Verfünffachung ist geplant. Uganda plant den Staudamm Bujagali am Nil direkt oberhalb der
Nil-Abflussstelle aus dem Victoria-See; die anvisierten 800 Mio. US-Dollar für lediglich 175
MW gelten allerdings als relativ teuer, so dass sich ausländische Investoren bereits
größtenteils aus dem ohnehin aus Umweltgründen kritisierten Projekt zurückgezogen haben.
Bestehende Dämme in Kiira und Nalubaale, deren vorgesehene Kapazität von 380 MW sich
im realen Betrieb auf nur 120 MW verringert hat, zeigen die Risiken der Stromproduktion am
Nil, dessen Wasserstand anders als der des Kongo saisonal schwankt. Auch Äthiopien, das
bevölkerungsmäßig drittgrößte Land Afrikas hinter Nigeria und Ägypten und Herr über den
Blauen Nil, plant einen deutlichen Ausbau seiner Wasserkraftkapazitäten in seinem
regenreichen Hochland.

Die Nutzung der Öl- und Gasvorkommen des Kontinents zur Selbstversorgung wäre ein
weiterer Weg zur Energiesouveränität Afrikas. Das derzeit noch in Nigeria abgefackelte
Erdgas soll nicht nur als Flüssiggas auf Tankern nach Europa exportiert werden; eine 600
Mio. US-Dollar teure Westafrika-Gaspipeline soll zudem auf einer Länge von 678 Kilometern
Nigeria mit seinen westlichen Nachbarn Benin, Togo und Ghana verbinden. Allein in Ghana
werden dann zwei Gaskraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 560 MW versorgt. Die
"West Africa Gas Pipeline" ist somit gemessen an ihrem Ertrag um ein Vielfaches billiger als
zum Beispiel der Bujagali-Staudamm in Uganda. Die Nutzung der Methangasvorkommen im
Kivu-See an der Grenze zwischen Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo stellt
ebenfalls ein für Investoren interessantes Projekt der einheimischen Energiegewinnung dar,
ebenso in zahlreichen afrikanischen Ländern die Erschließung geothermischer Energie und
Solarenergie. Afrika steht energiepolitisch noch ganz am Anfang – aber die Potentiale und
Märkte sind immens.

105
Der Nahe und Mittlere Osten – die Tankstelle der Welt
Der Ölreichtum verleiht der Region globalen Einfluss

Zur Person
Jürgen Stryjak, geboren 1962, ist freiberuflicher Journalist und berichtet für
deutschsprachige Zeitschriften und den ARD-Hörfunk aus der arabischen Welt. Er ist
Mitbegründer des globalen Korrespondentennetzwerkes WELTREPORTER.NET.

Rund 60 Prozent der Erdölreserven weltweit befinden sich in nur fünf


Staaten des Nahen und Mittleren Ostens. Wenn zurzeit die Ölpreise
Rekordniveau erreichen, bedeutet das viel Geld in den Staatskassen.
Ebenso bringen die globalen Ölbegehrlichkeiten aber auch politischen Einfluss.

Die Dura Ölraffinerie bei Bagdad. Der Irak verfügt


über die zweitgrößten Ölreserven weltweit nach Saudi-
Arabien. Westliche Ölkonzerne wollen jetzt wieder
vermehrt im Irak fördern: Während des Krieges war
das Ölgeschäft zum Erliegen gekommen. Foto: AP

Am 22. Mai 2008 kommentierte eine


Karikatur in der International Herald Tribune
besonders zynisch die Abhängigkeit der USA
vom Öl des Nahen und Mittleren Ostens. Zu
sehen war Präsident Bush, wie er auf Knien
König Abdallah von Saudi-Arabien
entgegenrutscht und um eine Erhöhung der Ölfördermenge bettelt. Der König dreht sich auf
dem Thron nach hinten zum Diener und flüstert hinter vorgehaltener Hand: "Gib ihm eine
Geschenktüte und schick ihn des Weges!"

Wenige Tage zuvor war Bush zum zweiten Mal in diesem Jahr nach Saudi-Arabien gereist.
Fast einen gesamten Tag lang hatte der Texaner diesmal mit dem König verbracht, auf dessen
Wochenendsitz außerhalb der Hauptstadt Riad, dem unter anderem ein Pferdegestüt mit 150
Araberhengsten angeschlossen ist.

Das Erdöl erzielt Rekordpreise

Die krisengeschüttelte US-Wirtschaft braucht dringend mehr und vor allem billigeres Öl, aber
Bush bettelte vergeblich. Mehr als eine magere Erhöhung der Produktion um vorerst 300.000
Barrel Öl pro Tag (ein Barrel entspricht 159 Liter) werde es nicht geben. Anfang Juni
kündigte das Königreich überraschend eine weitere Erhöhung um 200.000 Barrel pro Tag an.
Am 22. Juni rief Saudi-Arabien dann sogar einen Öl-Krisengipfel der OPEC ein, der
Organisation Erdöl exportierender Länder. Das Königreich sowie Kuwait zeigten
Bereitschaft, die Fördermengen noch einmal zu erhöhen. Andere OPEC-Staaten wollen
vorerst nicht mehr Öl auf den Markt bringen und warnten vor Spekulanten, die den Preis nach
oben trieben. Frühestens im September bei ihrem nächsten regulären Treffen in Wien wird die
OPEC erneut über Fördermengen nachdenken. Bis dahin soll es keine weiteren Treffen geben.
Doch die Stimmung bleibt angespannt.

106
Tankstelle in Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens.
40 Prozent des derzeit auf dem Weltmarkt
angebotenen Öls kommen aus dem Königreich.
Foto: AP

Dafür steht auch der 6. Juni. An diesem


Tag war der Ölpreis auf den
internationalen Märkten um nochmal
neun Prozent in bisher ungekannte Höhen
geschnellt, auf rund 140 US-Dollar pro
Barrel. Nie zuvor gab es solch einen
Preisanstieg an nur einem einzigen Tag.
Anlass waren die Kriegsdrohungen vom
israelischen Vizepremier Shaul Mofaz
gegen den Iran und die Furcht der Händler, ein Waffengang könnte die strategisch wichtige
Meeresstraße von Hormuz blockieren und den Ölexport aus den Golfstaaten stoppen. Die
Straße von Hormuz verläuft zwischen Iran und Oman. Sie ist eine wichtige Route für den
Ölexport nach Westeuropa, die USA und Japan.

Beide Ereignisse – das amerikanisch-saudische Gerangel um die Förderquoten wie auch die
Ölpreisexplosion vom 6. Juni – verdeutlichen auf beklemmende Weise den Stellenwert, den
die "Tankstelle der Welt" für die globale Wirtschaft und die internationale Politik besitzt.
Rund 60 Prozent der Erdölreserven weltweit befinden sich in nur fünf Staaten des Nahen und
Mittleren Ostens: in Saudi-Arabien, Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten, im Irak
und im Iran. Die genannten Länder mit Ausnahme von Iran und Irak bilden zusammen mit
den Scheichtümern Bahrein, Qatar und Oman den Golfkooperationsrat, der rund die Hälfte
aller weltweiten Erdölreserven besitzt.[1] Während es vor 20 Jahren 15 so genannte Super
Giant Oil Fields auf der Welt gab, also Riesenölfelder mit verfügbaren Reserven von mehr als
5 Milliarden Barrel bei einer gleichzeitigen Förderung von mindestens einer Million Barrel
pro Tag, so sind es heute nur noch vier – zwei davon im Nahen Osten. Saudi-Arabien besitzt
mit dem Ghawar-Ölfeld das größte der Welt, Kuwait mit dem Burgan-Feld das
zweitgrößte.[2]

Seine Kundschaft kann man sich aussuchen

Der rasante Anstieg der Weltmarktpreise für Rohöl spült einen nahezu unermesslichen
Reichtum in die Kassen der Golfstaaten. Saudi-Arabien, das rund ein Viertel aller mit
herkömmlichen Methoden förderbaren Ölmengen weltweit besitzt, so BP Statistical Review
2008, konnte in den letzten Jahren ein enormes Wachstum seiner Einnahmen verbuchen. Im
Jahre 1998 betrug der Erlös aus dem Erdölgeschäft 33 Milliarden US-Dollar. 2005 waren es
bereits 143 Milliarden Dollar, 2006 165 Milliarden und im Jahre 2007 stattliche 170
Milliarden. Für 2008 wird erwartet, dass der Ertrag die magische Grenze von 200 Milliarden
US-Dollar überschreitet.

40 Prozent des derzeit auf dem Weltmarkt angebotenen Öls kommen aus Saudi-Arabien.
Damit erhält das Königreich ein außerordentliches ökonomisches wie politisches Gewicht.
Das gilt ähnlich auch für andere Länder der Region. Der Westen muss es hinnehmen, dass
sich ein so existenziell wichtiger Energierohstoff in so großem Maße im Besitz von Staaten
befindet, die dem Westen oder zumindest seinen Werten eher feindlich gesinnt sind. Es
entstehen unangenehme Abhängigkeiten, und so ist es vermutlich kein Zufall, dass Bush bei
seiner letzten Nahostreise scharf die Menschenrechtssituation in Ägypten kritisierte, in Saudi-
Arabien aber nicht, obwohl dort eines der undemokratischsten Regime der Region herrscht.

107
Hinrichtungen gehören zum Alltag, Regimegegner landen oft genug im Gefängnis, Frauen
werden elementare Rechte vorenthalten. Ägypten hingegen ist als Rohstofflieferant zu
unbedeutend, um hofiert zu werden.

Immer wieder tauchen in der US-amerikanischen Presse Leitartikel auf, die behaupten, der
westliche Ölhunger finanziere den islamistischen Terrorismus. Doch so einfach ist das nicht.
Auch Regime wie das von Saudi-Arabien werden von radikalen Islamisten und von
Terroristen in ihrer Macht bedroht. Zudem landen die Gewinne aus dem Erdölexport in
etlichen modern strukturierten Ländern der Region, wie Dubai oder Bahrein, in Fonds, um sie
auf den internationalen Finanzmärkten und im Rahmen der Weltwirtschaft für sich arbeiten zu
lassen. Richtig ist allerdings: Der Geldsegen macht es Ländern wie Saudi-Arabien leicht, für
eine Verbreitung der dort herrschenden konservativen bis extremen Auslegung des Islam zu
sorgen. Und die ist nachweisbar Nährboden für radikale Gesinnungen auch über die Grenzen
des Königreiches hinaus.

Zudem konkurriert der Westen im Nahen und Mittleren Osten mit despotischen Regimen aus
aller Welt um die knapper werdenden Ressourcen – als Kooperationspartner bei der
Erschließung wie auch als Kunde. Die Ölstaaten können es sich aussuchen, wen sie
bevorzugen und damit letztendlich stützen wollen. Derzeit bezieht zum Beispiel China 40
Prozent seiner Ölimporte aus Saudi-Arabien, dem Oman sowie aus dem Iran.[3] Peking hat
mit diesen Ländern sowie mit Libyen, dem Sudan und Algerien langfristige Lieferverträge
und Abkommen über die Beteiligung chinesischer Firmen an Erschließung und Verarbeitung
des Öls unterzeichnet. Mit dem Iran vereinbarte China einen 100-Millionen-US-Dollar-
Vertrag für Öl- und Gaslieferungen über insgesamt 25 Jahre.

Fluch und Segen zugleich

Der Ölreichtum hat also zweifelsohne eine systemstabilisierende Wirkung in der Region –
wie auch darüber hinaus, denn er bringt Schwung in die Kooperation zwischen
undemokratischen Regimen. Der systemerhaltende Effekt gilt sogar für Länder im Nahen
Osten, die vergleichsweise unbedeutende Ressourcen besitzen. In Syrien haben die mageren
Erdölvorkommen das Regime zumindest in den 1990er Jahren etwas abfedern können.[4]
Und in Ägypten, das ebenfalls nur über kleinere Erdöl- und Erdgasvorkommen verfügt, spielt
der Investitionsboom aus den Golfstaaten eine signifikante Rolle, ebenso wie die Einnahmen
aus dem Suez-Kanalbetrieb. Dessen Erträge steigen kontinuierlich, denn nicht zuletzt wächst
gleichsam die Zahl der Öltanker, die den Kanal passieren.

So sind Öl und Gas gleichzeitig Fluch und Segen für eine Region, die unter anderem aufgrund
des Energiereichtums ein Herd ständiger politischer Spannungen ist. Daran wird sich in naher
Zukunft vermutlich wenig ändern, wenn die Welt, wie prognostiziert, bis 2030 nochmal 50
Prozent mehr Energie benötigen wird. [5] Die Zeit arbeitet allerdings eher für den Westen als
gegen ihn. Denn die Ressourcen sind endlich. Einer Studie der unabhängigen Energy Watch
Group vom Frühjahr 2008 zufolge hat die weltweite Ölförderung bereits 2006 ihren
Höhepunkt überschritten und wird sich bis zum Jahr 2030 halbieren. Auch die
Berufsoptimisten von der Internationalen Energieagentur kündigten überraschend an, ihre
Prognosen in Kürze nach unten zu korrigieren.[6]

Im Nahen und Mittleren Osten gehen die Ressourcen unterschiedlich schnell zur Neige. Im
Oman etwa reicht das Öl vielleicht noch 30 bis 35 Jahre [7], in Saudi-Arabien einige
Jahrzehnte länger. Zuverlässige Schätzungen existieren nicht, weil vor allem die Erdöl
produzierenden Staaten an optimistischen, wenn nicht gar geschönten Voraussagen

108
interessiert sind, um den Handel ungebremst in Schwung zu halten. Dubai hingegen profitiert
jetzt schon kaum noch von eigenem Erdöl. In Bahrein geht es innerhalb der nächsten Jahre
aus.[8] Für beide Scheichtümer hat dies durchaus positive Folgen. Sie mussten sich
wirtschaftlich umorientieren und gehören inzwischen zu den liberalsten Ländern der Region.

In Zukunft: Erneuerbare Energien und Kernkraft

Für die Zeit nach dem Öl ist die Region auf tragfähige Allianzen innerhalb der Weltwirtschaft
angewiesen. Die wird es unter anderem im Westen suchen, zum einen wegen seines
technischen Knowhows, zum anderen weil viele arabische Staaten, etwa das sunnitische
Saudi-Arabien, nicht daran interessiert sind, dem schiitischen Iran bei seinen regionalen
Vormachtsbestrebungen zu helfen.

Das Ende des Erdgases wird nur wenig länger auf sich warten lassen. Zwar besitzen die sechs
Staaten des Golfkooperationsrates 30 Prozent aller Gasvorkommen weltweit, aber im Oman
wird es bereits innerhalb der nächsten Jahre zur Neige gehen. Dort bemüht man sich derzeit
um die Kooperation mit dem gasreichen Qatar. Das ägyptische Erdgas wird schätzungsweise
20 Jahre lang reichen. Noch sorgt es allerdings für politische Querelen: Im Juni 2008 musste
ein Lieferabkommen mit Israel nach Protesten aus den Reihen der Opposition in die
Wiedervorlage.

Rund 85 Prozent seines Stroms gewinnt Ägypten aus Erdgas, das es eigentlich lieber ins
Ausland verkaufen möchte.[9] Nicht zuletzt deshalb gewinnen hier langsam die Bemühungen
um alternative Energieträger an Fahrt. Angesichts einer ungetrübten Sonneneinstrahlung rund
ums Jahr und eines nahezu gleichbleibend starken Windes an der Küste des Roten Meeres
besitzt das Land besonders bei Wind- und Sonnenenergie einen enormen Standortvorteil. Bis
2020 will es 20 Prozent seines Bedarfes aus alternativen Energiequellen decken. Zudem
wurde jüngst der Bau von Kernkraftwerken angekündigt.

Zwei Wege, die auch andere Staaten der Region beschreiten. Der Golfkooperationsrat
beschloss 2006 ein Programm zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. Die Vereinigten
Arabischen Emirate dagegen investieren derzeit 15 Milliarden US-Dollar in die Gewinnung
erneuerbarer Energien, im Rahmen des so genannten Masdar-Projektes. Im Zentrum des
Projektes steht die schadstoffneutrale "Grüne Stadt", die zurzeit nahe Abu Dhabi entsteht. Sie
wird frei von Autos, Müll und Kohlendioxid sein und komplett mit erneuerbaren Energien
versorgt werden. Überall auf der Welt soll sie Nachahmer finden.[10]

109
Asien – Wirtschaftsboom und globale Energieinteressen
„Der steigende Energiebedarf hat globale Auswirkungen.“

Zur Person
Dr. Saskia Hieber ist Sinologin und Politikwissenschaftlerin. Sie ist an der Akademie für
Politische Bildung Tutzing für "Internationale Politik" zuständig und Lehrbeauftragte am
Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München.

China ist heute der zweitgrößte Ölverbraucher der Welt. Der


anhaltende Wirtschaftsboom in Asien führt zu einem wachsenden
Energiebedarf. China und auch Indien suchen deshalb neue
Energielieferanten oder tätigen eigene Investitionen, in Afrika wie auch Asien. Dabei gilt
das Prinzip der Nichteinmischung.

Arbeiter verladen in Gauhati in Ostindien Kohle


auf einen Lastwagen. Kohle ist in Asien ein
zentraler Energieträger: Indien verbraucht zurzeit
rund 7, China 40 Prozent der Kohle weltweit.
Foto: AP

Asien spielt für die internationale


Energiesicherheit eine entscheidende
Rolle durch seine wirtschaftliche
Entwicklung und den anhaltend
wachsenden Energiebedarf. Nicht nur
China beeindruckt seit fast drei
Jahrzehnten mit
Wirtschaftswachstumszahlen von acht bis elf Prozent, auch andere asiatische Länder haben
die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise Ende der 1990er Jahre längst überwunden und
benötigen immer mehr Energie.

Das Problem wird verstärkt durch die Tatsache, dass der Anstieg des asiatischen
Wirtschaftswachstums eng an einen Anstieg des Energiebedarfs gekoppelt ist. Außerdem lässt
die gegenwärtige Situation durch die meist nationalstaatlich geprägte Interessenspolitik
asiatischer Staaten kaum kooperative, regionale Lösungen erkennen.

Der Ölbedarf Asiens steigt

Chinas und Indiens Energieinteressen spielen eine wachsende Rolle im regionalen und
internationalen Wirtschaftssystem. Beide Länder sind zunehmend auf Ölimporte angewiesen,
denn beide haben ihren Ölverbrauch zwischen 1997 und 2007 verdoppelt; China von 196 auf
fast 370 Millionen Tonnen, Indien von 86 auf fast 130 Millionen Tonnen. Im Vergleich:
Japan konnte seinen Ölverbrauch in den vergangenen 10 Jahren von 265 Millionen Tonnen
auf 230 reduzieren. Deutschland verbrauchte 2007 "nur" 112 Millionen Tonnen Öl.[1] Dies
hängt unmittelbar mit den durch die Ölkrisen der 1970er Jahre entstandenen
Energiesparmaßnahmen, mit hoher Produktivität und Effizienzsteigerung zusammen.

110
Intl. Ölverbrauch im Vergleich (mio. t)

(BP Statistical Review of World Energy, Juni 2008)

China ist inzwischen der nach den USA zweitgrößte Ölverbraucher und der nach den USA
und Japan drittgrößte Netto-Ölimporteur der Welt. Chinas Ölindustrie gehört zwar zu den
"Top 5" Ölförderern der Welt, der größte Teil der Produktion wird aber im Land selbst
verbraucht – und kann die Nachfrage nur noch zu knapp zwei Dritteln befriedigen. Auch
Indiens Ölindustrie muss sich immer mehr um internationale Projekte und Konzessionen
bemühen, um den steigenden Ölbedarf des Landes zu decken.

Die großen asiatischen Ölverbraucher bemühen sich inzwischen auf dem gesamten Globus
um eine Diversifizierung ihrer Lieferungen, Lieferanten und Lieferrouten. Zwar fließen etwa
zwei Drittel des Öls des Persischen Golfs nach Ostasien und die Zahl der "Strategischen
Ölpartnerschaften" mit den Öllieferanten der arabischen Welt wächst. Doch werden Afrika
und Lateinamerika zunehmend zu wertvollen Energiepartnern: Angola beispielsweise lieferte
im Jahr 2006 mehr Öl nach China als Saudi-Arabien.[2]

Asiens Energieinteressen in Afrika

In Peking herrscht ungezügelter Bauboom. Infolge des enormen


Wachstums der chinesischen Wirtschaft steigt auch der
Energiebedarf. Foto: AP

China betreibt in Afrika ein ganzes Bündel


wirtschaftlicher und politischer Aktivitäten und
beschwört die "Süd-Süd-Solidarität" gegen
amerikanisches "Hegemoniestreben". Eine
Nischenpolitik, kaum konditionierte Hilfe und
Schuldenerlass sind Pfeiler der Afrikapolitik. Im Zentrum
stehen Rohstoffe und neue Märkte. China zeigt hier
einerseits neue Machtansprüche, ist aber im Gegensatz zu
westlichen Ländern auch bereit, Milliardensummen in
den Kontinent zu investieren. Den Regierungen in Afrika
sind alternative Ordnungsmodelle und das
Nichteinmischungsprinzip willkommen. Es muss

111
allerdings klar erkannt werden, dass unkonditionierte Leistungen internationale Bemühungen
in Bezug auf Korruptionsbekämpfung, "good governance", Finanztransparenz und damit
insgesamt Konfliktprävention, unterlaufen.

China betreibt heute eine diversifizierte Wirtschaftspolitik und sorgt weltweit durch
Investitionen und den Kauf von Konzessionen im Rohstoffbereich für Versorgungssicherheit.
So verschafft sich die Volksrepublik nicht nur in Nachbarstaaten, sondern auch im weiteren
Asien, in Ozeanien, Afrika und Südamerika Zugang zu Energie- und Metallvorkommen.[3]
Indische Energiefirmen hatten bisher beim Versuch, ihr internationales Engagement zu
vergrößern das Nachsehen gegenüber der chinesischen Konkurrenz. Auch hat Indien noch
nicht sehr diversifiziert und versorgt sich hauptsächlich aus dem Persischen Golf. Doch als
inzwischen fünftgrößter Energieverbraucher muss Neu-Delhi neue Wege einschlagen.
Inzwischen gibt es erste Kooperationen zwischen chinesischen und indischen Energiefirmen
im Iran.

Diversifizierung und Investitionen

Was die Importabhängigkeit von Energieträgern betrifft, stellt sich die Lage in Japan
besonders dramatisch dar: Japan muss über 90 Prozent des benötigten Öls importieren. Außer
einigen Offshore-Gasfeldern und Kohlevorkommen verfügt Japan über keine nennenswerten
Energieressourcen.[4] Dies erklärt auch den hohen Anteil von Nuklearstrom in Japans
Energiestruktur. Japan hat neue Probleme durch auslaufende Öl-Konzessionen im Persischen
Golf und hofft wie China und Indien auf neue Projekte in Iran, Irak, Zentralasien und im
Pazifik.

Viele asiatische Länder folgen dem Instrumentenkatalog der Internationalen Energieagentur


(IEA) zur Versorgungssicherung: Energiesparmaßnahmen, Ausbau der eigenen
Energieindustrie, Diversifizierung und Investitionen in die Infrastruktur. Die chinesische
Regierung verordnete mit einem "go abroad"-Programm eigenen Energieunternehmen sich
stärker international zu engagieren. Die relativ jungen chinesischen und indischen
Energiefirmen hatten im Vergleich mit den alten westlichen Multis wie BP, Royal Dutch
Shell, Exxon Mobil zunächst wenig Erfahrung im internationalen Energiebusiness und
mussten feststellen, dass die "billigen" und leicht zugänglichen Felder in der Welt des Öls
schon lange vergeben waren. Des weiteren litten sie zumindest bis Ende der 1990er Jahre
unter einem Mangel an Managementqualifikation und Kapital. Mittlerweile sind sie wichtige
Akteure auf dem Energiemarkt.

Der globale Gasmarkt ist stark regionalisiert: Südostasien liefert hauptsächlich an die
ostasiatischen Großabnehmer, vornehmlich Japan; Nordafrika und Russland an Europa. Japan
hat die Gasnutzung früh ausgebaut, in Südostasien den weltgrößten Flüssiggasmarkt
aufgebaut und gehört zu den größten Gasnutzern. Erstaunlich ist der geringe Gas-Anteil von
unter 4 Prozent in Chinas Energiestruktur.

Es gilt das Prinzip der Nichteinmischung

Dies hat industrietraditionelle Gründe – Gas wurde lange zur Düngemittelproduktion


verwendet – und hat mit der fehlenden Infrastruktur zu tun. Zur Gasnutzung ist ein
Leitungsnetz von der Quelle bis zum Endverbraucher notwendig. Die entsprechenden
Probleme in China erschließen sich angesichts der geographischen Ausdehnung. Hier dürfte
auch der Grund dafür verborgen sein, dass ungeachtet vieler alter Pipeline-Pläne und mit
Ausnahme eines Anschlusses der chinesischen West-Ost-Gasleitung nach Kasachstan, bisher

112
keine transnationale Leitung China etwa mit den reichen Gasfeldern Sibiriens verbindet.
Russlands Gas fließt bisher fast ausnahmslos nach Westen. Bis 2015 und 2020 sollen jedoch
Leitungen von Sibirien nach China und Japan gebaut werden. Ein Grund für die
Verzögerungen liegt in der Frage über die Kontrolle und das Aufbringen jeweils zweistelliger
Milliardensummen für diese Bauvorhaben.

Indien und China sind auch im Gasbereich Konkurrenten. Nicht nur vor Indiens Westküste
liegen Gasvorkommen, auch Burma soll über reiche Offshore-Felder verfügen. Folgerichtig
bemühen sich sowohl Peking als auch Neu-Delhi mit Infrastrukturprojekten und diversen
Investitionen um Einfluss auf Burmas Wirtschafts- und Energiepolitik – ohne sich in Burmas
innere Angelegenheiten einzumischen. Das Prinzip der Nichteinmischung ist insbesondere für
China wichtig – muss doch eine Einmischung etwa in Taiwan oder Tibet unter allen
Umständen verhindert werden.

China verbindet mit seiner Burmapolitik und dem neuen Hafen im pakistanischen Gwadar
noch ein weiteres strategisches Ziel: Zugang zu südasiatischen und südostasiatischen
Gewässern. Die Straßen- und Eisenbahnverbindungen zwischen Zentralasien, Westchina und
Pakistan sowie zwischen Burma und Südwestchina werden mit dem Ziel ausgebaut, China
mit dem Arabischen Meer und dem Indischen Ozean zu verbinden.

Ungeklärte Territorialansprüche

Im Ost- und Südchinesischen Meer bieten sich überlappende Territorialansprüche immer


wieder Konfliktpotential. Im Ostchinesischen Meer kollidieren chinesische und japanische
Ansprüche insbesondere über Gasvorkommen. Im Südchinesischen Meer beanspruchen alle
Anrainer unterschiedlich große, sich überlappende Territorien: China und Vietnam
argumentieren mit der Zugehörigkeit zum Festlandsockel und beanspruchen das ganze
Gebiet. Die Philippinen, Malaysia und Brunei ziehen jeweils eine 200-Seemeilen
Anspruchszone um die am weitesten vorgelagerte Insel.

Verstärkt wird das Problem rund um das Spratly-Archipel im Südchinesischen Meer: Alle
Akteure haben mehrere winzige Inseln oder Riffe besetzt oder mit Anspruch belegt und
melden auch hier die 200-Seemeilen-Wirtschaftszone an. Das Internationale Seerecht sieht
aber vor, dass dies nur für bewohnbare Inseln gilt, auf denen Leben, Landwirtschaft, generell
wirtschaftliche Aktivität beständig möglich sind und die dauerhaft ÜBER dem Wasser liegen.
Viele Anspruchhalter, insbesondere China und Vietnam haben Kreativität darin bewiesen,
einige "ihrer" Riffe mit Hilfe von Holz und Beton über die Wasserlinie zu heben.

Kohle ist in Asien ein zentraler Energieträger

China verfeuert über 1.300 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr zur Energieerzeugung. Kohle
hat einen Anteil von 70 Prozent an der Energiestruktur und die chinesische Regierung hat
wenig Spielraum dieses Dilemma zu lösen ohne den Ölanteil und damit die teuren Ölimporte
zu erhöhen: Der Gasanteil ist mit unter 4 Prozent niedrig und auch alle erneuerbaren und
"sauberen" Energien – inklusive Atomkraft – haben nur einen Anteil von 7 Prozent an der
Gesamtstruktur.

China konsumiert fast die Hälfte des weltweiten Kohleverbrauchs; nimmt man den restlichen
asiatisch-pazifischen Raum hinzu entsteht das erschreckende Bild, dass auf die Region 60
Prozent des Weltkohleverbrauchs entfallen. Regelungen zur Emissionskontrolle und zum
Klimaschutz müssen folglich asiatische Regierungen stärker mit einbeziehen. China steht aber

113
vielen internationalen Vereinbarungen, z.B. über verbindliche Ziele zur Reduzierung von
Emissionen zögerlich gegenüber.[6] Indien setzt sich aus Gründen der Armutsbekämpfung
gegen Vereinbarungen über Emissionsreduzierungen ein.

Der Grund für den hohen Kohleanteil in China aber auch Indien liegt auf der Hand: Die
Länder verfügen über große Vorkommen, die technisch verhältnismäßig einfach und durch
die niedrigen Arbeitskosten auch "billig" zu fördern sind. Doch die katastrophalen Folgen für
die Umweltsituation erfordern dringend die Einführung von Filteranlagen und "sauberen"
Prozessen. Angesichts der oft unbefriedigenden Qualität in Kohleförderung und -verarbeitung
sowie der Notwendigkeit auch alternative Energieformen einzusetzen, haben deutsche
Unternehmen aus dem Energie- und Umweltbereich gute Chancen, neue Märkte in Asien zu
erschließen bzw. zu erweitern. Der Bekämpfung der Umweltzerstörung stehen in den meisten
asiatischen Ländern bereits ausreichende Gesetze zur Verfügung – es hapert an der
Umsetzung.

Der Ausbau Erneuerbarer Energien drängt

Um die Energieversorgung zu sichern, müssen die Staaten Asiens die vorhandene


Energieindustrie ausbauen, Sparmaßnahmen durchsetzen und die Nutzung aller
Energieformen und –träger ausbauen.[7] So hat die Verwendung von Biomasse in Asien eine
gewisse Tradition, wird aber erst langsam wieder entdeckt. Dies liegt zum einen an der
Dominanz der Kohle im Versorgungssystem, an der Bedeutung von Ölprodukten für den
rasant wachsenden Verkehrssektor und an Mängeln in der Infrastruktur.

Wasserkraft wird überall in Asien gefördert: China hat das größte Wasserkraftpotential der
Welt und wird in diesen Sektor weiter investieren – ungeachtet ökologischer, sozialer und
kulturhistorischer Bedenken. Auch Indiens große Staudammprojekte haben schon früher
durch ihre rücksichtslose Durchsetzung gegenüber der Bevölkerung für Schlagzeilen gesorgt.
Nuklearkraft spielt nur in Japan eine große Rolle für die Energiegewinnung. China will zwar
in den kommenden Jahren bis zu 40 Atomkraftwerke bauen, da der Energiebedarf jedoch so
stark steigt, wird diese Energieform, die bis vor kurzem im wesentlichen experimentell
betrieben wurde, auch in Zukunft nur etwa 2 Prozent zur Energieversorgung beitragen. Japan
gewinnt etwa ein Drittel des Strom aus Atomkraftwerken.[8]

Die Sicherung von Asiens Energieversorgung erfordert eine langfristige regionale und
internationale Kooperation. Dazu wäre eine Art "asiatische Energieagentur" sinnvoll. China
und Indien wären auch ein machtvolles "Käuferkartell" auf den internationalen Ölmärkten.
Gründe für den Westen, nicht in Panik zu verfallen angesichts des asiatischen Ölverbrauchs,
sind die anlaufenden Sparprogramme und verbrauchsreduzierenden Preissteigerungen, das
Produktionspotential der OPEC und die nicht genutzten Produktionskapazitäten in Iran und
Irak. Die IEA sollte die Hand weiter nach Asien ausstrecken. Schließlich kommen von dort
nicht nur Ölnachfrage, sondern auch gewaltige Investitionen in die internationale
Energieindustrie.

114
Die USA – Notwendigkeit eines neuen Energiekurses
„Die Sucht nach Öl schwächt nicht nur die Wirtschaft.“

Zur Person
Dr. Josef Braml, geb. 1968, leitet seit Oktober 2006 bei der Deutschen Gesellschaft für
Auswärtige Politik (DGAP) die Redaktion des Jahrbuchs Internationale Politik. Zudem ist
er Mitarbeiter im Programm USA / Transatlantische Beziehungen. Zuvor war er
wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (2002-2006),
Projektleiter des Aspen Institute Berlin (2001), Visiting Scholar am German-American
Center (2000), Consultant der Weltbank (1999), Guest Scholar der Brookings Institution
(1998-1999), Congressional Fellow der American Political Science Association (APSA)
und legislativer Berater im US Abgeordnetenhaus (1997-1998).

Die USA beanspruchen mehr als ein Fünftel des weltweiten Energieverbrauchs. Vor
allem braucht das Land Öl; 60 Prozent werden mittlerweile aus dem Ausland
importiert. Dabei sind viele Bürger längst zu einem Kurswechsel bereit. Doch die
Regierung stellt sich bislang quer.

Das Projekt "White Bluffs Solar Station" in


Richland, Washington, wollte eine Alternative
demonstrieren. Im Hintergrund steht die
"Investitionsruine" eines Atomkraftwerkes, das
Washington Nuclear Project No. 1. Foto: AP

Die von ihrer Ölsucht verursachten


Versorgungssicherheits-, Wirtschafts- und
Umweltkosten ihrer gegenwärtigen Energie-
(außen)politik werden die USA schon bald
zum Kurswechsel, insbesondere ihres
Verkehrssektors veranlassen.[1]

Mit knapp fünf Prozent der Erdbevölkerung beanspruchen die Vereinigten Staaten von
Amerika mehr als ein Fünftel (21,8 Prozent) des globalen Energiekonsums.[2] In den letzten
sechs Jahrzehnten hat sich der Energieverbrauch der USA beinahe verdreifacht.[3] Der
erhöhte Energiebedarf wurde in erster Linie durch Öl gedeckt: 2007 betrug der Anteil des
Mineralöls knapp 40 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs. Zwar ist in den 1970er Jahren der
Verbrauch der Energiequellen Gas und Kohle ebenso angestiegen. Aber seit den 1980er
Jahren blieb ihr Anteil an der Deckung des Gesamtenergieverbrauchs mit etwa einem Viertel
bzw. einem Fünftel relativ konstant. Nuklear- und erneuerbare Energie tragen mit 8 bzw. 7
Prozent nur wenig zur Deckung des Gesamtenergiebedarfs bei.

Amerikas Sucht nach importiertem Öl

Der gestiegene Ölbedarf konnte nicht durch eigene Produktion gedeckt werden. Zwischen
1950 und 2006 erhöhte sich zwar die Gewinnung amerikanischen Mineralöls von 5,9 auf 7,8
Millionen Fässer pro Tag.[4] Doch angesichts der insgesamt 20,6 Millionen Fässer, die heute
in den USA täglich benötigt werden, nimmt sich dieser Anstieg geringfügig aus. Allein der –
fast ausschließlich durch Flugbenzin, Benzin und Diesel angetriebene – amerikanische
Transportsektor verbrauchte 2006 14 Millionen Fässer Erdöl pro Tag. Der Verkehrssektor
beansprucht mittlerweile zwei Drittel des gesamten Ölkonsums.[5] Aufgrund der hohen
Abhängigkeit des amerikanischen Transportsektors von fossilen Kraftstoffen – und wegen der
Zeitspanne, die zur Entwicklung neuer markttauglicher Technologien benötigt würde –

115
werden die Vereinigten Staaten mindestens noch für mehrere Dekaden auf den Import von Öl
angewiesen sein.[6]

Die internationale Abhängigkeit der Weltmacht USA vom Erdöl hat – anders als beim
Energieträger Gas[7] – deutlich zugenommen: Deckten die USA 1950 ihren Bedarf noch
überwiegend durch die Gewinnung eigener Ressourcen, so stammten 2007 65 Prozent des
Gesamtölverbrauchs aus Importen, insbesondere von den Nachbarstaaten der so genannten
Westlichen Hemisphäre und von Ländern am Persischen Golf (vgl. Tabelle).[8]

Tabelle: US-Hauptimportländer von Mineralöl, 1965 vs. 2007

Quelle: EIA, Annual Energy Review 2007, S. 131.

Strategische Energieressourcen-Unsicherheit

Sollten die Vereinigten Staaten ihre übermäßige Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen
beibehalten, bleiben sie verwundbar, zumal in instabilen Regionen. Zwar können die USA
weiterhin auf ihre wichtigen Öllieferanten Kanada und Mexiko zählen. Doch die
angespannten Beziehungen mit Venezuela verdeutlichen, dass es für die USA schwieriger
wird, selbst in ihrer geographischen Nachbarschaft ihre Energieressourcen zu sichern. Der
Persische Golf erweist sich als volatil und unzuverlässig im Hinblick auf preiswerte Lieferung
von Energieressourcen. Zudem ist mit dem wirtschaftlich expandierenden China ein weiterer
Konkurrent um knappe Ressourcen auf den Plan getreten, sowohl im Mittleren Osten als auch
in "hot spots", das heißt in entwicklungsfähigen Regionen wie Westafrika oder Zentralasien.

Einige Beobachter dieses Wettstreits, der so genannten "petropolitics", haben bereits eine
"Achse des Öls" identifiziert, wonach Russland, China und möglicherweise der Iran als
"Gegengewicht zur amerikanischen Hegemonie" agieren und den USA ihre Ölversorgung und
strategischen Interessen streitig machen.[9] Schon jetzt werden die USA mit den
Machtressourcen der Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) konfrontiert: Die
OPEC kann aufgrund der Kapazitätsgrenzen anderer Ölproduzenten seit Ende der 1990er
Jahre wieder ihre Kartellpolitik betreiben, damit den Ölpreis hochhalten und in
wirtschaftlichen und politischen Einfluss ummünzen.

116
Wirtschafts- und Handelsrisiken

Ölpumpen des Inglewood Ölfeldes in Baldwin


Hills, Kalifornien. Mittlerweile fließen zwei
Drittel des gesamten Ölbedarfs der USA in den
Verkehrssektor des Landes. Foto: AP

Die durch die Ölpreiserhöhungen


verteuerten Energieimporte belasten die
ohnehin schon Besorgnis erregende
amerikanische Außenhandelsbilanz: 2005
um zusätzliche 70 Milliarden Dollar, 2006
um weitere 50 Milliarden Dollar.[10] Das
US-Außenhandelsdefizit ist zu etwa
einem Drittel auf Energieimporte
zurückzuführen.[11] Die USA sind wegen
ihres Außenhandelsdefizits verwundbar. Anzeichen einer schwächer werdenden US-
Wirtschaft könnten die Handelspartner dazu bewegen, ihre Verkaufserlöse nicht mehr in den
USA zu reinvestieren und sie in anderen Finanzmärkten zu sichern.

Teure Energieimporte belasten die US-Wirtschaft ohnehin. Bereits im Sommer 2005 gab der
damalige Notenbankchef Alan Greenspan der US-Legislative zu bedenken, dass allein die seit
Ende 2003 erhöhten Energiepreise das amerikanische Wirtschaftswachstum 2004 und 2005
jeweils um einen halben bzw. Drei-Viertel-Prozentpunkt vermindert hätten.[12] Hohe
Energiepreise belasten in erster Linie energieintensive Wirtschaftssektoren, und sie
verursachen damit indirekt zusätzliche Kosten für andere Wirtschaftszweige. Konsumenten
spüren den Anstieg der (Energie-)Preise, und sie sehen sich angesichts ihrer geschrumpften
Kaufkraft veranlasst, an anderen Ausgaben einzusparen. Sollte der Konsum merklich
zurückgehen und Unternehmen aufgrund gestiegener Energiekosten und der allgemein
sinkenden Kaufkraft zurückhaltender investieren, könnten die USA in eine Rezession
abrutschen, was die Arbeitslosigkeit erhöhen, den Konsum noch stärker vermindern und die
Abwärtsspirale beschleunigen würde.

Dank ihrer – auch in der Vergangenheit bewiesenen Innovationskraft – könnten sich


amerikanische Märkte auf lange Sicht jedoch den neuen Gegebenheiten anpassen. Höhere
Energiepreise geben starke Anreize, alternative Energieträger zu finden, neue Technologien
zu entwickeln und die Energieeffizienz zu verbessern. Dahingehend wirkt eine zusätzlich
treibende Kraft, nämlich das gewachsene öffentliche Bewusstsein um die von fossilen
Energien verursachten Umweltschäden, Gesundheits- und Sicherheitsrisiken.

Wahrnehmung von Umwelt- und Sicherheitsgefahren

In den letzten fünf Jahren ist in den USA die allgemeine Überzeugung gereift, dass
Umweltthemen mehr politische Aufmerksamkeit verdienen. Nicht nur internationale
Umweltorganisationen, sondern mittlerweile auch renommierte US-Sicherheitsexperten
warnen öffentlichkeitswirksam vor (sicherheitspolitischen) Risiken von Umweltbelastungen
und -katastrophen.[13]

Amerikaner sind auch bereit, Gegenmaßnahmen zu ergreifen und diese gegebenenfalls aus
der eigenen Tasche zu finanzieren. Zudem erwarten die US-Bürger auch von ihrer Regierung
Problemlösungen. Eine beträchtliche Mehrheit von ca. 80 Prozent befürworten, Steuergelder
zur Entwicklung alternativer Kraftstoffe für Autos auszugeben, mehr Geld in die Entwicklung

117
von Solar- und Windenergie zu investieren, strengere Emissionswerte für Kraftfahrzeuge und
Pflichtkontrollen für Kohlendioxidemissionen und andere Treibhausgase einzuführen.[14]

Reformunfähigkeit der US-Regierung unter George W. Bush

Interessanterweise waren in der bisherigen Amtszeit George W. Bushs diese Vorschläge und
Sorgen der amerikanischen Bevölkerung weniger stark auf der politischen Agenda vertreten
als andere, die nicht in der Gunst der öffentlichen Meinung stehen, wie das Bohren nach Öl
im Nationalen Arktischen Naturschutzgebiet (57 Prozent sind dagegen) oder der Ausbau der
nuklearen Energiegewinnung (46 Prozent sind dagegen).[15]

Bush hat immer wieder internationale Bemühungen torpediert – zuletzt beim G8-Gipfel in
Heiligendamm und bei der UN-Klimakonferenz auf Bali –, verbindliche Ziele zur Reduktion
der Treibhausgasemissionen festzulegen und setzt stattdessen auf technologische
Entwicklung. Ebenso hat Präsident Bush in der legislativen Auseinandersetzung mit dem seit
2006 von den Demokraten kontrollierten Kongress (unter anderem durch Vetodrohungen)
nachhaltige Reforminitiativen verhindert. Der von Bush am 19. Dezember 2007
unterzeichnete Energy Independence and Security Act of 2007 erfordert zwar die
Verbesserung der Verbrauchswerte bei Kraftfahrzeugen und eine Erhöhung des
Produktionsanteils von Biokraftstoffen. Aber aufgrund des Drucks des Weißen Hauses sahen
die Gesetzgeber letztlich davon ab, Stromerzeuger zu verpflichten, den Anteil erneuerbarer
Energiequellen zu erhöhen und Steuererleichterungen für die Ölindustrie um rund 13
Milliarden Dollar zu kürzen – Steuermittel, die zur Forschung und Entwicklung alternativer
Kraftstoffe investiert worden wären. Anlässlich der Unterzeichnung des Gesetzes forderte
Präsident Bush hingegen den Kongress einmal mehr dazu auf, nicht weiter die Förderung
einheimischer Öl- und Gasquellen (im arktischen Naturschutzgebiet) zu behindern.

Chancen eines Kurswechsels nach den US-Wahlen

Unternehmerisch denkende Politiker könnten schon im aktuellen Kongress- und


Präsidentschaftswahlkampf 2008 mit dem Thema umweltverträglicher Energieinnovationen
punkten und die künftige politische Agenda abstecken. Laut Meinungsumfragen ist das
Umweltthema für 35 Prozent der Amerikaner wahlentscheidend für die
Präsidentschaftswahl.[16]

George W. Bushs Nachfolger und politische Entscheidungsträger im Kongress, die aufgrund


der gestiegenen wirtschaftlichen, sicherheits- und umweltpolitischen Probleme mit
zunehmender Kritik ihrer Bevölkerung und nicht zuletzt auch den Vorstößen der
Einzelstaaten konfrontiert werden, sind angehalten, ihren politischen Führungsbeitrag zu
leisten, um die Abhängigkeit von traditionellen fossilen Kraftstoffen zu verringern.

Das weltweite Interesse an erneuerbaren Energien schafft eine Gelegenheit für die
Vereinigten Staaten, sich wieder als Führungsmacht zu etablieren, indem sie die
internationale Zusammenarbeit anführen, um das globale Energie- und Umweltproblem zu
lösen. Während die von Geostrategen häufig ins Feld geführte Hard-Power Amerikas an die
Grenzen seiner Fähigkeiten stößt, die nationale Energieversorgungs- und wirtschaftliche
Sicherheit zu gewährleisten, bieten seine technologischen und politischen Fähigkeiten –
sprich Smart-Power – vielversprechende Alternativen für den nächsten US-Präsidenten.

118
Südamerika – zwischen Überfluss und Knappheit
Chance auf regionale Integration trotz Energienationalismus

Zur Person
Prof. Dr. Detlef Nolte, Direktor des Instituts für Lateinamerika-Studien am GIGA, dem
German Institute of Global And Area Studies. Nolte hat u.a. aktuell im GIGA Fokus 2007
über die neue Verortung Lateinamerikas innerhalb der internationalen Politik mit Blick auf
die Energierohstoffe geschrieben.

Zur Person
Christina Stolte, Mitarbeiterin am GIGA German Institute of Global and Area Studies in
Hamburg. Sie befand sich bereits zu mehrmonatigen Aufenthalten in Peru, Ekuador und
Mexiko/Zentralamerika.

Der steigende Energiebedarf hat das Kräfteverhältnis in Südamerika


verschoben. Die Andenstaaten gewinnen an Bedeutung, und Venezuela
verstaatlicht seine Energieressourcen. Auf dem Kontinent zeichnet sich
ein Energienationalismus ab, aber auch die Chance auf verstärkte Integration.

Der halbstaatliche brasilianische Energieriese


Petrobras fördert mitten im Amazonas Öl und Gas.
Das Öl wird direkt vor Ort in der Urucu
Ölraffinerie behandelt. Noch Ende 2008 soll eine
Gaspipeline in Betrieb genommen werden, die
Urucu mit dem 670 Kilometer entfernten Manaus
verbindet. Foto: AP

Betrachtet man die Energiesituation in


Südamerika, so scheint die Region auf den
ersten Blick relativ reich an fossilen
Ressourcen: Der Kontinent ist im Besitz
von 9 Prozent der weltweiten
Ölvorkommen und 4,4 Prozent der globalen Gasreserven.[1] Ein ambivalenteres Bild ergibt
sich hingegen, wenn die regionale Verteilung der Energievorkommen in die Analyse einfließt:
Die großen Öl- und Gasvorkommen konzentrieren sich auf nur wenige Staaten des
Kontinents. So befinden sich allein in Venezuela knapp 78 Prozent der regionalen
Ölvorkommen sowie 67 Prozent der Gasreserven. Dieser Reichtum verleiht dem Land eine
energiepolitische Vormachtstellung. Weitere nennenswerte Energievorkommen finden sich
hauptsächlich in der Andenregion. Hier sind vor allem Ecuador, als zweitgrößter Ölexporteur,
und Bolivien als wichtigster Gasexporteur der Region zu nennen. Auch Kolumbien und Peru
verfügen über umfangreiche Öl- und Gasvorkommen.

Dem gegenüber stehen die Länder des südlichen Südamerika, dem so genannten Cono Sur mit
Chile, Argentinien, Uruguay, Paraguay und Brasilien, die in den letzten Jahren immer wieder
mit Energieknappheit zu kämpfen hatten. Besonders kritisch stellt sich die energiepolitische
Lage in Chile dar. Das Land verfügt über so gut wie keine eigenen Öl- oder Gasvorkommen
und ist vollständig auf Energielieferungen aus dem Ausland angewiesen. Hingegen sind
Brasilien und Argentinien zwar im Besitz eigener Öl- und Gasvorkommen. Doch aufgrund
ihrer Bevölkerungsstärke und ihres Wirtschaftswachstums haben sie einen sehr hohen
Energiebedarf. Dabei sind Argentinien, lange Zeit selbst Energieexporteur, und Brasilien, das
119
seit 2006 die Selbstversorgung mit Erdöl erreicht hat, vor allem abhängig von Gasimporten.
Ihren Energiehunger deckten die beiden großen Volkswirtschaften Südamerikas bislang durch
Gaslieferungen aus dem Nachbarland Bolivien.

Die extreme Abhängigkeit von den bolivianischen Energielieferungen birgt ein hohes Risiko
für den Cono Sur. So gefährden die aktuellen Produktionsausfälle in dem politisch instabilen
Andenstaat die Energieversorgung der gesamten Subregion. Strom- und Gasrationierungen,
wie sie in Argentinien bereits im Winter 2007 stattfanden, drohen nun auch Brasilien, Chile
und Paraguay [2].

Eine Energiekrise im Cono Sur hätte sowohl wirtschaftliche als auch politische Folgen. Vor
allem Brasilien, die größte Volkswirtschaft des südamerikanischen Kontinents, würde durch
die Lieferprobleme Boliviens empfindlich getroffen werden. Brasilien konkurriert deshalb
offen mit Argentinien um die knapper werdenden Gaslieferungen aus Bolivien.

Venezolanische Petropolitik

Angesichts der extremen Abhängigkeiten der Cono Sur-Staaten von Energieimporten, haben
sich die wirtschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse auf dem südamerikanischen
Kontinent zugunsten der energiereichen Andenstaaten verschoben. Der steigende globale
Energiebedarf und die sich abzeichnende Erschöpfung fossiler Energieressourcen verleihen
energiereichen Ländern strategische Relevanz. Besonders Venezuela, das mit Abstand
energiereichste Land der westlichen Hemisphäre, konnte deshalb in der regionalen
Machthierarchie aufsteigen.

Der venezolanische Regierungschef Hugo Chávez setzt den Energiereichtum seines Landes
gezielt als Instrument seiner Außenpolitik ein. Mithilfe von Öllieferungen zu Vorzugspreisen
versucht er seinen Einfluss in der Region zu vergrößern. Im Rahmen des "Petrocaribe-
Abkommens" von 2005 versorgt Venezuela die Karibikstaaten mit insgesamt 190.000 Barrel
Öl pro Tag zu besonders niedrigen Preisen. Darüber hinaus bietet Chávez den Mitgliedern des
Energieabkommens einzigartige Finanzierungskonditionen für die venezolanischen
Öllieferungen: Je höher die Preise auf dem Weltmarkt steigen, desto günstiger werden die
Kredite, die Chávez den Mitgliedsstaaten des Energieabkommens gewährt. Ferner stellt er
den Staaten frei, die Öllieferungen bei Devisenmangel in Naturalien oder Dienstleistungen zu
bezahlen. [3] Seit 2003 regt der venezolanische Präsident außerdem die Gründung eines
lateinamerikanischen Energieverbundes namens Petroamérica an, in welchem alle bisherigen
Abkommen zusammengeführt werden sollen.

Energienationalismus in Südamerika

In Südamerika, dessen Ressourcenreichtum jahrhundertelang durch ausländische Mächte


ausgebeutet wurde, reicht die Bedeutung der Rohstoffe weit über ihre Funktion als
Einnahmequelle hinaus: Die Verfügbarkeit über die Energieressourcen ist ein Symbol der
nationalen Souveränität. Vor diesem Hintergrund verzeichnet Südamerika einen
zunehmenden Energienationalismus. [4] Politisch und wirtschaftlich gestärkt durch die hohen
Öl- und Gaspreise der vergangenen Jahre treten die Regierungen der energiereichen Staaten
Südamerikas zunehmend selbstbewusst gegenüber den ausländischen Energieunternehmen
auf. Mit dem Ziel, die Entscheidungsgewalt des Staates über die Förderung der
Energievorkommen wiederzuerlangen und sich einen Anteil an den steigenden Gewinnen aus
dem Öl- und Gasgeschäft zu sichern, haben Bolivien und Venezuela ihre Energieressourcen
2006 und 2007 verstaatlicht und die Förderverträge mit den ausländischen Unternehmen neu

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ausgehandelt. Auch die Regierung Ecuadors fordert zunehmend eine größere Beteiligung an
den Gewinnen aus dem lukrativen Ölgeschäft.

Für ausländische Investoren stellt der Trend zur Verstaatlichung von Energieressourcen in
Südamerika ein Risiko dar. In den letzten zwei Jahren mussten zahlreiche internationale
Energiekonzerne wie etwa die spanische Repsol, der US-Konzern Exxon Mobil oder auch das
brasilianische Energieunternehmen Petrobras ihre Mehrheitsanteile an der Öl- und
Gasförderung in den Andenstaaten abtreten und im Rahmen neuer Verträge ungünstigeren
Förderbedingungen zustimmen. Dies führte in einigen Fällen zu erbitterten
Rechtsstreitigkeiten zwischen den Konzernen und den Regierungen der jeweiligen Länder. So
befindet sich der venezolanische Staat seit mehreren Monaten in einem Rechtsstreit mit dem
Energieriesen Exxon Mobil. Der Konzern lehnt eine Minderheitsbeteiligung in den
Ölförderprojekten im Orinoco-Becken ab und hat deshalb Venezuela auf hohe
Schadensersatzforderungen verklagt.

Von den neuen, wenn auch umstrittenen Vertragsbedingungen profitieren die armen
Bevölkerungen in den ressourcenreichen Staaten. So fließt ein beachtlicher Teil der Gewinne
aus dem Öl- und Gasgeschäft Venezuelas und Boliviens in sozialpolitische Maßnahmen. Dies
sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit den gestiegenen Staatseinnahmen auch
die Korruption deutlich zugenommen hat. Zudem ist fraglich, ob die finanzielle Basis für die
großzügigen Sozialprogramme langfristig gesichert ist: Die verstaatlichten Energiekonzerne
investieren zu wenig und können aufgrund ihrer ineffizienten Geschäftsführung das
ursprüngliche Produktionsniveau oft nicht aufrechterhalten. [5] So ist teils mit sinkenden
Ölförderquoten und sogar mit Produktionsausfällen und damit trotz Ressourcenreichtums mit
Versorgungsengpässen zu rechnen.[6]

Die Suche nach Alternativen

Die Regierungen der von Energieimporten abhängigen Länder, wie Argentinien, Brasilien
und Chile, sind deshalb bestrebt, durch eine Diversifizierung ihrer Energieversorgung und die
Erschließung eigener Energievorkommen langfristig autonom von ausländischen
Energielieferungen zu werden. In diesem Zusammenhang kommt der Produktion von
Biokraftstoffen eine steigende Bedeutung zu. Brasilien, das schon heute 40 Prozent seines
Kraftstoffverbrauchs durch Biobrennstoffe deckt und auf diese Weise seinen Ölverbrauch
signifikant verringert hat, nimmt hier eine Vorreiterolle ein. [7] Viele Staaten der Region
folgen dem brasilianischen Beispiel und haben in den letzten Jahren ebenfalls
Biokraftstoffprogramme entwickelt.

Eine weitere Alternative zu den fossilen Energieträgern sehen die südamerikanischen Staaten
in der verstärkten Nutzung von Wasserkraft. In den kommenden Jahren sollen deshalb nicht
nur bestehende Wasserkraftwerke erneuert, sondern auch mehrere neue Staudämme gebaut
werden. Dies stößt jedoch auf wachsenden Widerstand in der Bevölkerung, da viele der
Staudammprojekte in ökologisch sensiblen Gebieten geplant sind. Neben gravierenden
ökologischen käme es auch zu sozialen Auswirkungen, denn großflächige Landflutungen
würden die lokalen Bevölkerungen zu Umsiedlungen zwingen.

Andere alternative Energien, wie die Nutzung von Windkraft, Solarenergie oder Erdwärme,
sind trotz ihres großen Potenzials bisher kaum verbreitet. Stattdessen setzen die Staaten des
südlichen Südamerika verstärkt auf Atomenergie. So schlossen Argentinien und Brasilien im
Februar 2008 ein Abkommen zur gemeinsamen Urananreicherung ab und planen mit Atucha
II (Argentinien) und Angra III (Brasilien) den Bau weiterer Reaktoren [8].

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Energieintegration als Lösung?

Eine andere Möglichkeit, dem Ziel der Energiesicherheit in Südamerika näher zu kommen,
stellt die Energieintegration dar. Durch verstärkte Kooperation im Energiebereich könnten
erhebliche Kosten gespart und die Potenziale der ressourcenreichen Region besser genutzt
werden. [9] Zudem könnten teure Investitionen in Raffinerien oder in den Ausbau der
Gaspipelines gemeinsam getätigt werden.

Von einer Energieintegration in Südamerika würden nicht nur die energieabhängigen Staaten
des Cono Sur in Form von größerer Versorgungssicherheit profitieren, sondern auch die
ressourcenreichen Länder des Andenraumes. Der Vorteil läge für sie in einer Diversifizierung
ihrer Lieferbeziehungen und verstärkten Investitionen der Nachbarländer in ihre Öl- und
Gasproduktionen. Zudem könnte eine verstärkte Kooperation im Energiebereich eine
Möglichkeit darstellen, die stagnierenden wirtschaftlichen Integrationsprozesse in der Region
wiederzubeleben.

Erste Projekte zur Energieintegration Lateinamerikas werden bereits auf subregionalem


Niveau durchgeführt. So schlug der venezolanische Regierungschef den Bau einer
panamerikanischen Gaspipeline vor, die über fast 8.000 Kilometer die Länder des südlichen
Südamerikas mit der Energiemacht Venezuela im Norden des Kontinents verbinden und so
den steigenden Gasbedarf Brasiliens, Argentiniens und Chiles decken soll.[10]

Ob dieses Megaprojekt tatsächlich umgesetzt wird, ist sowohl aus ökonomischen wie auch
ökologischen Gründen fraglich, doch die energiepolitische Diskussion hat begonnen. Auf dem
ersten Südamerikanischen Energiegipfel in Venezuela im April 2007 vereinbarten die
Regierungschefs die Gründung eines südamerikanischen Energierates, der einen regionalen
Energieplan ausarbeiten soll. [11] Das Potenzial der Energieintegration für die Region ist
erkannt.

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