AKTUELL ❚ POLITIK
Stillstand oder Fortschritt?
Das Special zur Bundestagswahl am 27. September
Ging es nach bloßer Sitzarithmetik, dann
hätte der Bundestag vieles schon abgear-
beitet. Im Berliner Parlament gibt es längst
eine überwältigende Mehrheit für eine
Gleichstellung von schwulen und lesbischen
Lebenspartnern im Steuer- und Beamtenrecht
und auch für ein volles Adoptionsrecht.
Auch Transgender hätten vermutlich we-
sentlich leichter die Möglichkeit, nach dem
gewünschten Geschlecht zu leben. Allein:
Aller Voraussicht nach werden CDU und
CSU auch nach der Wahl am 27. September
an der Bundesregierung beteiligt sein.
Ob es in den letzten vier Jahren Fortschritte
in der Lebensformenpolitik erzielt worden
sind, oder in der nächsten Legislaturperiode
Stagnation droht, darüber gehen die Meinun-
gen der Parteien mitunter weit auseinander.
Fest steht, dass auch nach diesem Urnen-
gang einige offen schwule und lesbische
Mandatsträger die Bänke zieren werden:
Johannes Kahrs, Sprecher des konservativen
Seeheimer Kreises, will für die SPD den
Wahlkreis Hamburg-Mitte verteidigen. Bei
der FDP scheint der Wiedereinzug von
Guido Westerwelle (NRW-Listenplatz 1),
Michael Kauch (NRW-Platz 10) und Jan
Mücke (Sachsen Platz 1) so gut wie sicher.
Schon traditionell ist der proportionale
Anteil bei Bündnis 90/Die Grünen am
höchsten: Nordrhein-Westfalen könnte
Volker Beck (Platz 2), Kai Gehring (Platz 10)
und Bettina Herlitzki (Platz 13) entsenden,
Baden-Württemberg Gerhard Schick (Platz 3)
und Berlin Anja Kofbringer (Platz 5).
Um die Wahlentscheidung zu erleichtern,
haben wir Spitzenpolitiker der im Bundestag
vertretenen Fraktionen in Interviews auf
Herz und Nieren getestet. (to)
"Praxis
statt Symbolik"
Die Ablehnung der
Gleichstellung von
Hetero- und
Homopaaren ist
gegenwärtige
Beschlusslage einer
demokratischen
Partei, sagt
Jürgen Gehb
(CDU/CSU)
Foto: CDU
Jürgen Gehb,
Rechtsexperte der CDU/CSU
Same Procedure as 2005: nur ein paar dürre
Sätze finden sich im gemeinsamen Wahlpro-
gramm der Unionsparteien zu schwulen und
8 SEPTEMBER 2009
lesbischen Lebensformen. "Wir respektieren ter nicht besser wird. Die Gleichbehandlung
die Entscheidungen von Menschen, in viel- aller Menschen ist im für das Grundgesetz
fältigen Formen des Zusammenlebens ihren fundamentalen allgemeinen Gleichbehand-
Lebensentwurf zu verwirklichen." Das gelte lungsgrundsatz des Artikels 3 bereits heute
auch für "gleichgeschlechtliche Partner- festgeschrieben.
schaften. Eine vollständige rechtliche
Gleichstellung solcher Lebensgemein-
schaften mit der Ehe lehnen CDU und CSU "Kein
ab." Drohen bei einem Wahlsieg der schwar-
zen Schwestern also vier magere Jahre für Flüsterthema mehr"
Schwule und Lesben? Wir fragten Jürgen
Foto: Thomas Köhler
Gehb, rechtspolitischer Sprecher der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion aus Hessen.
gab-Magazin: Welche Bilanz ziehen Sie
selbst nach vier Jahren Homo-Politik in der
Großen Koalition?
Jürgen Gehb: Für Lesben und Schwule
wurde mehr getan als gemeinhin bekannt. So
wurde die konkrete Arbeit des Lesben- und
Schwulenverbands in Deutschland mit
knapp 400.000 Euro ebenso gefördert wie die
des Jugendnetzwerks Lambda mit knapp Frank-Walter
600.000 Euro. Auch die Lesbenfrühlings- Steinmeier (SPD)
treffen werden regelmäßig bedacht, wie auch meint: "Wir sind die
einzige Volkspartei,
die Fachtagungen Lesben und Alter oder die
die sich für mehr
der Lesbentelefone, um nur einige weitere Anerkennung und
Beispiele zu nennen, die das Ministerium Respekt für Lesben
von Ursula von der Leyen gefördert hat. und Schwulen
Aber auch die Lebenspartner und Lebens- einsetzt."
partnerinnen wurden in vielen Gesetzen neu
berücksichtigt. Seitdem für sie - wie für Ehe- Frank-Walter Steinmeier,
paare - beispielsweise bei der Erbschafts- SPD-Spitzenkandidat
steuer der Freibetrag von 500.000 Euro gilt,
wird wohl in fast allen Fällen faktisch keine Sämtliche Umfragen sehen ihn seit Monaten
Steuer mehr fällig. Auch die Antidiskrimi- als Underdog. Doch Frank-Walter Steinmeier
nierungsstelle des Bundes wurde eingerich- kann Kanzler, da sind sich die meisten poli-
tet und nahm ihre Arbeit auf. tischen Beobachter einig. Schließlich sitzt er
seit 1999 an den Schalthebeln der Bundes-
gab-Magazin: Warum lehnen Sie eine politik, erst unter Rot-Grün als Staatsminis-
Gleichstellung von Eingetragenen Lebens- ter im Kanzleramt, in der Großen Koalition
partnern auch 2009 noch ab, während EU- seit 2005 als Außenminister und seit zwei
Partner wie die Niederlande, Belgien,
Schweden und Spanien längst sogar die
Jahren auch als Vizekanzler.
bürgerliche Ehe geöffnet haben? gab-Magazin: Wenn Sie auf vier Jahre Große
Jürgen Gehb: Dies ist die gegenwärtige Koalition zurückschauen, wie fällt Ihre
Beschlusslage einer demokratischen Partei. persönliche Bilanz gerade in der Frage der
Homo-Politik aus?
gab-Magazin: Der LSVD fordert die Auf- Frank Walter Steinmeier: Ich bin stolz auf
nahme der sexuellen Orientierung in die das, was wir bereits erreicht haben. Die SPD
Antidiskriminierungsmerkmale im Artikel 3 hat den Weg zu mehr Respekt und Anerken-
des Grundgesetzes und findet damit mittler- nung konsequent fortgesetzt. Gegen den
weile sogar die Sympathie Ihres Partei- Widerstand der Union haben wir die Gleich-
freunds Ole von Beust. Wie ist die Haltung stellung der eingetragenen Lebenspartner bei
der Union zu dem Anliegen? der Erbschaftssteuer mit Eheleuten erreicht.
Jürgen Gehb: Gegenwärtig wird nicht nur Wir wollten auch die Gleichstellung im
eine Ergänzung des Artikels 3 unseres Grund- Beamtenrecht. Leider hat die Union sich
gesetzes gefordert, sondern in unserer Ver- dabei komplett verweigert. Dabei geht es hier
fassung sollen die Kultur, der Sport, die Kin- nicht um viel Geld. In fast allen Bundes-
der, um nur einige Forderungen zu nennen, ländern werden Lebenspartner im Versor-
verstärkt berücksichtigt werden. Für all gungsrecht wie Eheleute behandelt.
diese Positionen gibt es in der Union Befür-
worter wie ablehnende Stimmen. Gerade gab-Magazin: "Eingetragene gleichge-
weil so viele neue Ergänzungen gefordert schlechtliche Lebenspartnerschaften wer-
werden, bin ich persönlich gegen eine Ände- den wir mit der Ehe gleichstellen und be-
rung unseres Grundgesetzes, weil ich be- stehende Benachteiligungen abschaffen",
fürchte, dass unsere Verfassung mit all zu sagt das Wahlprogramm und haben Franz
viel "Gutem" mit eher symbolischem Charak- Müntefering und Brigitte Zypries auf CSD-
Veranstaltungen versprochen. Warum erst
jetzt und nicht schon zu Zeiten von Rot-
Grün?
Frank Walter Steinmeier: Wir haben als
SPD in der Bundesregierung unsere Möglich-
keiten voll ausgeschöpft. Viele Initiativen -
vor allem für die Gleichstellung bei Steuern
und Finanzen - wurden von CDU und CSU
im Bundesrat schroff verhindert. Die Union
hat bis zur obersten Instanz gegen das
Lebenspartnerschaftsgesetz gekämpft. Ich
habe mich damals über das Urteil des Bun-
desverfassungsgerichts gefreut. Die Hoffnung
darauf, dass sich die Union in dieser Frage
modernisiert, ist wirklich nicht groß. Wir
sind die einzige Volkspartei, die sich für
mehr Anerkennung und Respekt für Lesben
und Schwulen einsetzt!
gab-Magazin: Schaut man auf die Umfra-
gen der letzten Wochen, dann scheint für die
SPD eine Regierungsbeteiligung nur bei
einer Neuauflage der Großen Koalition mög-
lich. Wie wollen Sie dann in diesem Fall die
sich noch immer sträubende Union für eine
volle Gleichstellung von Eingetragenen
Lebenspartnern gewinnen?
Frank Walter Steinmeier: Die meisten
Menschen sind noch nicht entschieden. Die
Umfragen sagen wenig aus, denken Sie an
2002 und 2005. Ich will Bundeskanzler wer-
den, um dieses Land nach vorne zu bringen.
Es gibt eine politische Mehrheit für die
Gleichstellung von Eingetragenen Lebens-
partnern - aber nur mit einer starken SPD im
Bundestag.
Scharf
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"Bohren Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich
denke, die Bilanz ist äußerst mager. Es hat
dicker Bretter" kaum grundlegende Verbesserungen gegeben.
Alle Forderungen, die die Justizministerin
(Brigitte Zypries, die Red.) jetzt erhebt, hätte
Foto: Andre Zelck
sie schon seit ihrem Amtsantritt 2002 vor
allem unter Rot-Grün durchsetzen können.
Da denke ich vor allem an das volle Adop-
tionsrecht. Gerade in dieser Frage ist es sehr
schwierig, mit beiden so genannten Volks-
parteien voranzukommen.
gab-Magazin: Kurz vor dem Berliner CSD
hat Justizministerin Zypries die Forderung
des Lesben- und Schwulenverbands in
Einzelschritte sind leichter
Deutschland aufgegriffen, den Artikel 3 des
durchzusetzen als der ganz große
Wurf, meint Sabine Leutheusser- Grundgesetzes zu erweitern. Sie hielten das
Schnarrenberger (FDP) für "taktische Symbolpolitik" ...
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, denke, dass Artikel 3, Absatz 1 und Absatz 3,
der sowohl ein Gleichbehandlungsgebot als
FDP-Justizexpertin
auch ein Diskriminierungsverbot enthält,
Solche Prinzipientreue findet sich selten in auch die Diskriminierung und Ungleichbe-
der Bundespolitik: Sabine Leutheusser- handlung aufgrund der sexuellen Identität
Schnarrenberger trat 1996 nach noch nicht mit abdeckt, auch wenn das nicht explizit so
einmal vier Jahren im Amt freiwillig als benannt ist. Mit der Gesetzgebung auf euro-
Bundesjustizministerin zurück, weil sie den päischer Ebene, mit dem EG-Vertrag, mit der
"großen Lauschangriff" nicht mittragen wollte. Charta und der Konvention zum Schutz der
Als führende Bürgerrechtspolitikerin darf die Grundrechte und Grundfreiheiten ist eine
FDP-Landesvorsitzende von Bayern im Falle ganz klare Grundlage gegeben, sodass die
von Schwarz-Gelb auf eine Rückkehr ins Amt Klarstellung im Grundgesetz in meinen Augen
hoffen. kaum mehr ist als symbolisch. Lieber arbeite
ich intensiv und kontinuierlich an Initiati-
gab-Magazin: Welche Bilanz ziehen Sie ven, für die ich keine Zweidrittelmehrheit
persönlich nach vier Jahren Großer Koalition im Bundestag und Bundesrat brauche, die
in der Lebensformenpolitik? unmittelbar eine Verbesserung der Situation
DIE CDU SAGT WIR SAGEN
NEIN: JA…
»Eine vollständige … zur Gleichstellung von Lebens-
rechtliche Gleichstellung partnern mit Ehepartnern!
solcher Lebensgemein- … zur Ergänzung des Gleich-
schaften mit der Ehe leh- heitsartikels im Grundgesetz.*
nen CDU und CSU ab…«* … zur weltweiten Ächtung
der Homophobie.
»Weitere Antidiskrimi- … zum Adoptionsrecht für
nierungsvorgaben Gleichgeschlechtliche Paare.
der EU lehnen wir ab…«*
Am 27. September 2009
SPD wählen, damit alle Menschen
gleiche Rechte haben !
www.schwusos.de
* Auszug aus dem *Artikel 3 Grundgesetz
PROGRAMM DER CDU/CSU …
zur Bundestagswahl 2009. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, …,
seiner sexuellen Identität, … benachteiligt oder
bevorzugt werden…
SEPTEMBER 2009 9
AKTUELL ❚ POLITIK
von Lesben und Schwulen bewirken, etwa
im Adoptionsrecht, im Beamtenrecht, im
Einkommens- und Grunderwerbssteuerrecht.
gab-Magazin: Die Große Koalition hat das
Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verab-
schiedet. Der FDP war es viel zu weitrei-
chend, bürokratisch und damit wirtschafts-
feindlich, womit sie weiten Teilen der Union
aus vollstem Herzen sprach. Wird es im
Falle einer schwarz-gelben Koalition zu
Korrekturen kommen?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Wir
haben die Umsetzung der EU-Richtlinie
kritisiert, weil wir uns mit der Umsetzung in
das deutsche Recht nicht anfreunden konn-
ten. Die FDP hat kritisiert, dass national mehr
als in der EU-Richtlinie geregelt wurde. Aber
ich denke nicht, dass wir das Rad zurück-
drehen wollen. Wir werden uns bestimmt im
Laufe der Legislaturperiode damit befassen,
was das Allgemeine Gleichbehandlungs-
gesetz in der Rechtswirklichkeit tatsächlich
bedeutet. Es ist ja bisher nicht zu den büro-
kratischen Belastungen gekommen, die man-
che befürchtet hatten.
"Scheuklappen
ablegen"
Die Antidiskriminie-
rungsstelle des
Bundes sei eine
Lachnummer, meint
Renate Künast
Foto: Bündnis 90/Die Grünen
(Die Grünen)
Renate Künast,
Grünen-Spitzenkandidatin
Gemeinsam wollen sie es noch einmal wissen:
Jürgen Trittin und Renate Künast, der Ex-
Umweltminister und die ehemalige Verbrau-
cherschutzkollegin aus dem Kabinett von
Gerhard Schröder treten als Spitzenkandida-
ten von Bündnis 90/Die Grünen an. Die am-
tierende Fraktionschefin im Bundestag ant-
wortete auf unsere Fragen.
gab-Magazin: Die Große Koalition, die 2005
Rot-Grün abgelöst hat, neigt sich aller Wahr-
scheinlichkeit nach dem Ende zu. Wie ist
Ihre persönliche Bilanz gerade in den Fragen
der Homo- und Transgender-Rechte?
Renate Künast: Blockade, Stillstand und
Einfallslosigkeit. Ein paar Beispiele: Die Koali-
tion hat 2008 eine große Reform des Beamten-
rechts verabschiedet. Wer blieb ausgespart?
Lesben und Schwule. Die Lebenspartnerin ei-
ner Bundesbeamtin erhält keine Beihilfe im
Krankheitsfall, der schwule Lebenspartner
eines Bundeswehrsoldaten bekommt keine
Hinterbliebenenpension. Absolut ungerecht.
Zu einigen wenigen Erleichterungen für
Lesben und Schwule, vor allem bei der Erb-
schaftsteuer, hat sich die Koalition irgend-
wann durchgerungen. Das soll fairerweise
nicht verschwiegen werden. Insgesamt waren
es vier verlorene Jahre, kein Vergleich zur
lesben- und schwulenpolitischen Dynamik
zuvor. Beim Transsexuellengesetz musste
das Verfassungsgericht für Fortschritte sor-
gen, die Schäuble nur widerwillig umsetzte.
Oder man nehme Familien- und Jugend-
ministerin Ursula von der Leyen: Sie musste
2006 auf unsere Frage hin einräumen, dass
homosexuelle Jugendliche ein viermal höhe-
res Suizidrisiko haben als heterosexuelle.
Unternehmen will sie aber bis heute nichts.
Betroffenheit sieht anders aus. Stattdessen
hat von der Leyen eine ehemalige Lobbyistin
der katholischen Bischofskonferenz zur Lei-
terin der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes ernannt. Die hat die Stelle auftrags-
gemäß zu einer Lachnummer herunterge-
wirtschaftet.
gab-Magazin: "Im Gleichheitsartikel unserer
Verfassung muss endlich ergänzt werden,
dass niemand wegen der sexuellen Identität
diskriminiert werden darf", sagt das grüne
Wahlprogramm. "Wir sind ganz dicht dran"
an einer entsprechenden Ergänzung des Arti-
kels 3, sagten Sie beim CSD in Köln. Woher
nehmen Sie Ihre Überzeugung, wenn sich
Vertreter von Union und FDP gerade wieder
dagegen ausgesprochen haben?
Renate Künast: Weil sich das Vernünftige
am Ende durchsetzen wird. Wir sind gerade
in der letzten Phase der Ratifikation des Lissa- Barbara Höll,
bon-Vertrages. Mit dem Vertrag wird auch lesben- und schwulenpolitische
die EU-Grundrechte-Charta in Kraft gesetzt. Sprecherin der Linken
Sie enthält ein Verbot der Diskriminierung
aufgrund der sexuellen Orientierung. Die
Charta wurde von Bundestag wie Bundesrat
mit überwältigender Mehrheit gebilligt. War-
um soll also im Grundgesetz nicht möglich
sein, was auf EU-Ebene noch 2009 Realität
wird? Wir werden hier kräftig Druck machen.
gab-Magazin: Eine Öffnung der Ehe für
Schwule und Lesben, der Zugang zum vollen
Adoptionsrecht und zur künstlichen Befruch-
tung, Gleichberechtigung von Regenbogenfa-
milien - das sind schon seit vielen Jahren
klassische Forderungen Ihrer Partei, die sich
nach jetzigem Stand nur in einer Ampel- oder
einer Rot-Rot-Grünen Koalition durchsetzen
ließe. Wird's dann in den nächsten vier Jah-
ren wieder nix mit der Gleichstellung?
Renate Künast: Wir wollen und werden die
Gleichstellung weiter vorantreiben. Grün
wirkt für die Bürgerrechte von Lesben und
Schwulen - und zwar in jeder Konstellation.
Schauen Sie nur in die Länder: In Berlin ha-
ben die Grünen den rot-roten Senat aus der
Opposition heraus dazu gebracht, eine Bundes-
ratsinitiative für die Gleichstellung in der
Verfassung zu machen. In Bremen hat Rot-
Grün Lebenspartnerschaften im Landesrecht
gleichgestellt. In Hamburg hat der schwarz-
grüne Senat kürzlich das Gleiche beschlos-
sen - übrigens im Gegensatz zu den schwarz-
gelb regierten Ländern. Dort gibt es nirgendwo
Gleichstellung im Landesrecht.
"Der Staat
muss eingreifen"
Wer diskriminiert,
soll dafür teuer
zahlen, findet
Barbara Höll
(Die Linke)
Foto: Die Linke
Verbandsklagerecht verankern, Öffnung der
bürgerlichen Ehe über den Umweg des
Transsexuellengesetzes, Gleichstellung all-
überall - der Forderungskatalog der Linken
liest sich wie frisch von den Homo-Verbän-
den abgekupfert: Nur die Grünen gehen
ähnlich weit. Allerdings dürfte die Partei
mit ihren Spitzenkandidaten Gregor Gysi
und Oskar Lafontaine nach dem 27. Sep-
tember erneut die Oppositionsbänke drü-
cken. Was sie von dort heraus bewirken
kann, verriet Barbara Höll, die Fraktions-
sprecherin für Lesben- und Schwulenpolitik,
Wirtschaftsverbände heulten zwar bei der
Einführung wie Schlosshunde, aber in der
Praxis hat es sich als zahnloser Tiger erwie-
Wahl-Check
sen. Deshalb will Die Linke ein Verbands- LSVD:
klagerecht, verlängerte Klagefristen und eine Weißer Knoten und Wahlprüfsteine
Antidiskriminierungsstelle, die sich für die
Betroffenen statt, wie bislang Frau Köppen
(die Leiterin, die Red.), nur für die Interessen
der Wirtschaft einsetzt. So sollen unserer
Ansicht nach Verbände, wie etwa der Lesben-
und Schwulenverband in Deutschland oder
die AIDS-Hilfe die Möglichkeit erhalten,
stellvertretend zu klagen. Für Unternehmen

im Interview.
gab-Magazin: Die Große Koalition neigt
sich nach dem erklärten Willen der daran
Beteiligen dem Ende zu, welches Fazit zie-
hen Sie nach vier Jahren, was die Homo- und
Lebensformenpolitik angeht?
Barbara Höll: Das Resümee lautet: Still-
stand in der Gleichstellungspolitik. Im Erb-
schaftssteuerrecht gab es eine überraschende
und für verpartnerte Lesben und Schwule
bedeutsame Verbesserung. Doch dies blieb
die einzige Ausnahme.
gab-Magazin: Das Allgemeine Gleichbe-
handlungsgesetz geht Ihnen nicht weit ge-
nug, Sie wollen noch ein "echtes Verbands-
klagerecht" einführen und die Arbeit der
Antidiskriminierungsstelle reformieren. Wo-
hin gehen da Ihre Vorstellungen?
Barbara Höll: Das jetzige AGG ist weder
Fisch noch Fleisch. Die Union und die
muss gelten: Wer diskriminiert, hat dafür
teuer zu zahlen.
gab-Magazin: Die Linken befürworten laut
Wahlprogramm die volle Gleichstellung von
Homo-Paaren im Steuer- und Beamtenrecht.
Sehen Sie dafür eine reelle Chance in der
kommenden Legislaturperiode? Vielleicht
gar für eine vollständige Öffnung der bürger-
lichen Ehe?
Barbara Höll: Durch die Einführung des
Transsexuellengesetzes halten wir es für
möglich, den Weg für Gleichstellung zu
verkürzen, indem die Ehe geöffnet wird.
Dies ist bedeutend leichter, als in unzähligen
Landes- und Bundesgesetzen mühsam die
Gleichstellung durchzusetzen. Ob die Union
sich in dieser Frage bewegen wird, hängt von
dem gesellschaftlichen Druck ab, den wir
gemeinsam aufbauen können.
Interviews: Torsten Bless
Foto: curiofoto@gmx.net
Auf den CSDs war er bereits zu sehen: der "Weiße
Knoten" zum Anstecken als Symbol für rechtliche
Gleichstellung Homosexueller und gegen religiöse
Homophobie. Das Symbol kommt aus den USA: dort
tragen vornehmlich heterosexuelle Promis das Symbol,
um sich für gleiche Rechte für Lesben, Schwule und
Transgender zu solidarisieren.
Der LVSD Hessen brachte die Schleife nach
Deutschland. Auf der Homepage von LSVD und LSVD
Hessen kann man die Antworten der Parteien zu den
homorelevanten Wahlprüfsteinen, die den Parteien
vorgelegt wurden, nachlesen. (bjö)
Checkt weisserknoten.de für Infos zum Symbol, checkt
lsvd.de, lsvd-hessen.de für die Wahlprüfsteine

Unglaublich, aber wahr!

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SEPTEMBER 2009 11