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Und heute?
Deutsche Eroberungsstrategien für Afrika
entlarven, benennen und bekämpfen!
Brechen wir gemeinsam
die Ketten der Kolonialisierung
Vielen afrikanischen Ländern gelang 1960 der Schritt und Kreditvergabe ein, um viele Länder in Abhän-
in die Unabhängigkeit. Damit wurde ein Jahrhunderte gigkeit zu halten und dabei viel Geld zu verdienen.
langes Kapitel blutiger Unterdrückung und Ausbeutung
durch die Kolonialmächte beendet. Wir wollen zum In dieser kleinen Broschüre richten wir deshalb
50. Jahrestag dieser historischen Errungenschaft, die unseren Blick auf die Rolle Berlins in Afrika. Nach
keineswegs geschenkt wurde, sondern ebenfalls blutig einem Überblick über die deutsche Afrikapolitik,
gegen die Kolonialherren erkämpft werden musste, die haben wir einige Meldungen aus ausgewählten
aktuelle Afrikapolitik Deutschlands beleuchten, um zu
afrikanischen Ländern zusammengestellt, die die
verdeutlichen, dass der Kolonialismus eine neue Form
Strategien der deutschen Regierung, führender
angenommen, aber nicht an Brutalität verloren hat.
Institute und Unternehmen beleuchten. Die Mel-
Es gibt heute keine direkten Kolonien mehr, alle dungen, sowie der einleitende Artikel sind mit
Länder Afrikas sind formell unabhängig und souve- freundlicher Genehmigung der Website www.
rän. Und dennoch werden sie in Abhängigkeit gehal- german-foreign-policy.com entnommen, deren
ten, sind den Anweisungen aus Paris, Besuch und Lektüre wir empfehlen.
Berlin oder Washington unterworfen
und müssen den Programmdirektoren Die Ketten der Kolonialisierung sind
des Internationalen Währungsfonds noch immer nicht zerbrochen. Sie ha-
(IWF) gehorchen. Eine eigenständige ben eine andere Form angenommen,
Entwicklung wird systematisch ver- aber sie unterdrücken Afrika nicht we-
hindert, Afrika soll dem Westen als niger brutal und räuberisch, als die al-
billiger Rohstofflieferant dienen und ten. Alle, die versuchen den Ketten zu
billige Arbeitskräfte zur Verfügung entfliehen und sich auf den Weg nach
stellen. Der Kontinent blutet wei- Europa machen, erwartet Kriminali-
ter aus und bezahlt den Preis für den sierung, Rassismus und Tod. Die „Fes-
Reichtum in Europa und Nordamerika. tung Europa“ hat dicht gemacht. Nach
Außen sichern sie Kriegsschiffe und
Die alten Kolonialmächte sind weiter im Innern werden afrikanische Flücht-
präsent und einflussreich. Über Nicht- linge (ebenso wie aus anderen Konti-
regierungsorganisationen, Entwick- nenten) ausgebeutet, diskriminiert und
lungshilfe und internationale Organi- verfolgt. Das Mittelmeer ist zu einem
sationen wie die UNO setzen sie ihre Massengrab geworden, das von den Ge-
Interessen in Afrika durch. Dabei gera- sellschaften in Europa mit Stillschwei-
ten sie aneinander und sich gegensei- Kampf gegen Kolonialismus gen geduldet wird. Der Baumeister
und die Entrechtung und Ver-
tig ins Gehege. Die Aufteilung Afrikas der Festung Europa ist Deutschland,
folgung von Flüchtlingen: Die
auf der Berliner Konferenz 1884 zog Karawane für die Rechte der das die Abschottung und Miltiarisie-
die Grenzen entsprechend der Kom- Flüchtlinge und MigrantInnen rung der EU maßgeblich vorantreibt.
promisse unter den Kolonialmächten.
Seitdem wird ständig neu aufgeteilt Im Innern des Kontinents sind Lager
und um Einfluss, Rohstoffe und Handelswege geran- für Flüchtlinge zur Normalität geworden. In abgele-
gelt. Im nächsten Jahr wird vermutlich seit langer Zeit genen Wäldern versteckt, sind die Lager vielen nicht
auch wieder eine Grenze neu gezogen, wenn das Re- bekannt. Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge
ferendum in Südsudan zur Abspaltung des Landesteils und Migranten kämpft seit Jahren gegen die Lager -
führen wird. Mit China ist ein ernstzunehmender Kon- mit wachsendem Erfolg. Die Anregung für die Erin-
kurrent für Europa und die USA auf den Plan getreten. nerung an afikanische Revolutionäre entstand beim
Besuch des Karawane-Festivals 2010 in Jena, das un-
Deutschland reagiert darauf und tritt mit verstärktem ter dem Motto “Vereint gegen koloniales Unrecht - In
„Engagement“ in Afrika auf. Dieses „Engagement“ Erinnerung an die Toten der Festung Europa” statt-
verheißt für die betroffenen Länder nichts Gutes. Das fand. Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge
Gerangel mit anderen Industrieländern um Rohstof- und Migranten hat den Kampf gegen Kolonialismus
fe und Abbaurechte hinterläßt nicht nur Zerstörung, und gegen die Entrechtung von Flüchtlingen hier in
sondern führt zu den Kriegen mit den meisten Toten der Höhle des Löwen aufgenommen. Deshalb doku-
der Nachkriegszeit, wie in Kongo. Auch die Bundes- mentieren wir den Aufruf zum Festival.
republik ist im Geschäft mit Milizen, spaltet Bevöl-
kerungsgruppen entlang ethnischer Linien und setzt Die Anregung für die Erinnerung an afikanische
2 seine ökonomische Macht durch Direktinvestitionen Revolutionäre entstand beim Besuch des Kar-
awane-Festivals 2010 in Jena, das unter dem Schicksale und Kämpfe spiegeln die Macht und
Motto “Gegen koloniales Unrecht - In Erinner- Tücke der Ketten des Kolonialismus, aber auch
ung an die Toten der Festung Europa” stattfand. die Energie, die Kraft und die Unsterblichkeit des
Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Kampfs um Unabhängigkeit, Freiheit und Würde.
Migranten hat den Kampf gegen Kolonialismus
und gegen die Entrechtung von Flüchtlingen hier Die Erinnerung an die Unabhängigkeitskämpfe
in der Hähle des Löwen aufgenommen. Deshalb vor 50 Jahren ist für uns eine Aufforderung gegen
dokumentieren wir den Aufruf zum Festival. die Ketten der Kolonialisierung heute einzutreten.
Die Ketten, die von Berlin aus gelegt werden, sind
Am Ende der Broschüre sind schließlich vier diejenigen an denen wir rütteln können. Brechen
Portraits von afrikanischen Revolutionären zu wir gemeinsam die Ketten, hier und in Afrika.
finden, mit denen wir stellvertretend an alle Un-
abhängigkeitskämpferInnen erinnern wollen. Ihre
Inhalt
Der deutsche Imperialismus
und Afrika S. 5
Äthiopien:
Auf dem Weg zum Vorposten
S. 17
Südafrika:
Juniorpartner deutscher
Außenpolitik
S. 21
Weitere Informationen:
Kongo/Ruanda:
German Foreign Policy
Deutsch-Französische Rivalitäten
www.german-foreign-policy.com
Blutiger Rohstoffkrieg
S. 25
Karawane für die Rechte der Flüchtlinge
thecaravan.org
Die Festung Europa
Deutsche Baumeister am Werk
Informationsstelle Militarisierung
S. 30
www.imi-online.de
Lager und Deportation
Deutschland Lagerland überall
S. 33
Impressum:
Zusammen e.V.
Kämpfen in der Höhle des Löwen
Alt-Rödelheim 12
S. 36
60489 Frankfurt
www.zusammen-ev.de
Revolutionäre Afrikas
info@zusammen-ev.de
S. 40
069/37300389
3
4
Jörg Kronauer (German Foreign Policy - www.german-foreign-policy.com)
Gemeinsame Kriege
Als Mittel dazu empfiehlt die SWP nicht nur ei-
nen Ausbau der allgemeinen wirtschaftlichen und
politischen Einflussnahme, sondern vor allem
eine engere militärpolitische Kooperation. In der
Tat arbeiten die Bundesrepublik und Südafrika
schon jetzt militärisch eng zusammen (german-
foreign-policy.com berichtete [3]). In den Jahren
2004 und 2005 war Pretoria der bedeutendste Ab-
nehmer deutscher Rüstungsprodukte außerhalb
von EU, NATO und der NATO gleichgestellten
Ländern. Laut SIPRI war die Bundesrepublik im
Jahr 2007 zudem der - gemessen am Wert - be-
22 deutendste Lieferant von Kriegsgerät nach Süd-
Südafrika - Juniorpartner deutscher Interessen
German Foreign Policy 09.06.2010
Juniorpartner Südafrika - Teil 2
PRETORIA/BERLIN (Eigener Bericht) - Berli- Konflikte“ nicht nur „die internationale Attrak-
ner Regierungsberater empfehlen die Durchfüh- tivität Südafrikas“, sondern darüber hinaus auch
rung von Maßnahmen zur inneren Stabilisierung „die materielle Ausstattung der südafrikanischen
Südafrikas. Die demokratisch-marktwirtschaftli- Diplomatie deutlich beeinträchtigen“. Schließlich
che Ordnung müsse konsolidiert, gesellschaftli- werde Südafrika „auch gebraucht“, um als Er-
che Desintegrationsprozesse müssten bekämpft folgsmodell „für andere afrikanische Staaten und
werden, heißt es in einer aktuellen Studie der andere Schwellenländer zu dienen“. Eine „positi-
Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). An- ve Entwicklung“ im Innern werde den von Berlin
dernfalls sei der Nutzen Südafrikas für die deut- gewünschten „Status Südafrikas als aufstrebende
sche Wirtschaft ebensowenig gesichert wie die internationale Mittelmacht und afrikanische Re-
Rolle des Landes als Juniorpartner der deutschen gionalmacht“ dabei „deutlich stützen“.[2]
Außenpolitik. So könne etwa die Kluft zwischen
Arm und Reich dazu führen, dass die Regierungs- Das Recht auf Eigentum
partei sich „radikalisiere“ und ernste „Eingriffe in Der SWP zufolge ist in Südafrika „die Unterstüt-
die Marktwirtschaft, insbesondere in das Recht zung für die Demokratie (...) deutlich größer als
auf privates Eigentum“, vornehme. Dem müsse jene für die marktwirtschaftliche Ordnung“. Vor
mit Staatsprogrammen zur Verbesserung der Er- allem die schwarze Mehrheitsbevölkerung sei
werbschancen von Unterschichten oder auch mit von der hohen Arbeitslosigkeit - die SWP be-
Mitteln der auswärtigen Kulturpolitik vorgebeugt ziffert sie auf 25 bis 40 Prozent - betroffen. Ihre
werden. Verschiedene Ratschläge der SWP wer- „Chancen auf ein geregeltes Beschäftigungsver-
den schon jetzt von der sogenannten deutschen hältnis“ seien „denkbar gering“; „in ihren Augen“
Entwicklungspolitik befolgt; so unterstützt Berlin sei „deshalb die marktwirtschaftliche Ordnung
Verwaltungsreformen, durch die die Armutsbe- Südafrikas nicht besonders legitimiert oder erhal-
völkerung bessere Lebenschancen erhalten soll. tenswert“. Nicht auszuschließen sei, dass „poli-
Andere Projekte wurden eigens zur Vorbereitung tische Entwicklungen dazu führen, dass sich der
des Landes auf die Fußball-WM in Kraft gesetzt, ANC radikalisiert“; in diesem Falle seien „noch
dienen aber ebenso langfristigen deutschen Inte- massivere Eingriffe in die Marktwirtschaft, ins-
ressen. besondere in das Recht auf privates Eigentum,
(...) wahrscheinlich“. Als Gegenmittel schlägt die
Innere Stabilität SWP Maßnahmen auf materieller wie auf ideo-
Eine zentrale Rolle in den Erwägungen der Stif- logischer Ebene vor. So könne „die Entwick-
tung Wissenschaft und Politik (SWP) zur inneren lungszusammenarbeit (...) in begrenztem Maße
Lage Südafrikas spielen zwei Faktoren: Das öko- dazu beitragen, dass staatliche Programme die
nomische Interesse deutscher Unternehmen an Lebensverhältnisse der untersten Einkommens-
lukrativen Wirtschaftsbeziehungen zu dem Land schichten und deren Erwerbschancen verbes-
und das politische Interesse Berlins, Pretoria als sern“. Die auswärtige Kulturpolitik könne „einen
Juniorpartner für seine außenpolitischen Ziele erheblichen Beitrag zur Festigung von Demo-
einzuspannen.[1] Innere „Stabilität“ in Südafri- kratie und Marktwirtschaft leisten“. Schließlich
ka sei für beides wichtig, urteilt die SWP. Dar- könnten deutsche Nichtregierungsorganisationen
über hinaus würden die politischen und ökono- die „Dominanz der Regierungspartei“ reduzieren
mischen Interessen Deutschlands „am besten und einer aus deutscher Sicht kontraproduktiven
gewahrt, wenn Demokratie und Marktwirtschaft Machtkonzentration beim ANC entgegenwirken.
des Landes erhalten bleiben“. Ein Mangel an De-
mokratie bringe Korruption und oft „eine gewis- Soziale Kluft
se politische Trägheit“ mit sich; ein Mangel an „Erhebliche Defizite“, die die innere Stabilität
Marktwirtschaft schade deutschen Geschäften. betreffen, sieht die SWP insbesondere „in der
Zudem würden „Rückschritte in der demokrati- Einschränkung der öffentlichen Sicherheit durch
schen Konsolidierung“, „wirtschaftliche Stagnati- die verbreitete Kriminalität“. Ursachen seien vor
on“ oder auch die „Verschärfung innenpolitischer allem „die enorme soziale Kluft zwischen Reich 23
und Arm“, die hohe Jugendarbeitslosigkeit sowie eignen und sich damit „eigene Perspektiven auf-
„die gesellschaftlichen Folgen von HIV/AIDS“. zubauen“. Im Rahmen eines „Bolzplatzprojektes“
Der Polizei Südafrikas sei es „trotz personeller sollen 100 Bolzplätze in sozialen Brennpunkten
Aufstockung, Reorganisation, besserer Ausrüs- eingerichtet werden; „im Fokus“ sei dabei „ins-
tung und erheblichen Trainigsbemühungen (...) besondere die Gewaltprävention und Konfliktlö-
bis heute nicht gelungen, die Kriminalität im Lan- sung“, schreibt das deutsche Entwicklungsminis-
de entscheidend einzudämmen“. Die SWP schlägt terium.[4] Schließlich unterstützen auch deutsche
daher zweierlei Lösungsansätze vor. So könne die Polizisten ihre südafrikanischen Kollegen bei der
Bundesrepublik die südafrikanische Polizei mit Vorbereitung auf die WM [5] - eine Maßnahme,
Training und Ausrüstung stärker unterstützen. Al- die Kontakte eröffnet und auch nach der Welt-
lerdings seien „die Rechtlosigkeit in städtischen meisterschaft noch Wirkung zeitigen kann.
Elendsvierteln und das enorme Reichtumsgefälle,
das zu Eigentumsdelikten anreizt, nicht nur po- Deutschen Interessen
lizeiliche Probleme“. Die SWP schlägt deshalb verpflichtet
auch Maßnahmen der beruflichen Bildung vor, Die Maßnahmen, die anlässlich der Fußball-WM
die Einzelnen einen Weg zum gesellschaftlichen gestartet und auch zu PR-Zwecken genutzt wer-
Aufstieg eröffnen. Das „Vordringen zahlreicher den, sind langfristig angelegt. Sie dienen dem
schwarzer Aufsteiger in die Mittel- und Ober- deutschen Interesse an einem wirtschaftlich und
schicht“ wirke schließlich „stabilisierend“. politisch stabilen Juniorpartner Südafrika.
[1] s. dazu Juniorpartner Südafrika (I)
Dreieckskooperationen [2] Zitate hier und im Folgenden: Stefan Mair:
Den von der SWP beschriebenen politischen und Südafrika - Modell für Afrika, Partner für
ökonomischen Interessen Berlins und den daraus Deutschland? SWP-Studie S12, Mai 2010
abgeleiteten Lösungsversuchen entspricht in ho- [3] Südafrika: Zusammenarbeit; www.bmz.de
hem Maße die deutsche „Entwicklungs“-Politik in [4] Deutsche Projekte; www.deutschland-suedaf-
Südafrika, für die die Bundesregierung im Zwei- rika-fussball.diplo.de
jahreszeitraum 2010/2011 rund 112 Millionen [5] LZPD unterstützt Südafrika bei Fußball-WM
Euro zur Verfügung stellt. So unterstützt Deutsch- 2010; www.polizei-nrw.de
land Südafrika bei Verwaltungsreformen; mit ih-
nen soll unter anderem die kommunale Selbst-
verwaltung gefördert werden, um „die Chancen
vor allem der armen Bevölkerung“ zu verbessern.
Die Bundesregierung finanziert „Maßnahmen zur
kommunalen Gewaltprävention“ und hilft bei der
Bekämpfung von HIV/AIDS; „die Krankheit be-
droht nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung
des Landes, sondern auch seine soziale Stabilität“
[3], warnt das Entwicklungsministerium ganz
wie die SWP. Schließlich fördert Berlin „Drei-
eckskooperationen mit Südafrika“. Dabei setzen
beide Länder gemeinsam Entwicklungsvorhaben
in anderen Ländern Afrikas um - ein Schritt, der
Südafrika sukzessive in die Rolle einer afrikani-
schen Regionalmacht einführt.
Fußball-WM
Weitere Projekte, die Südafrika sozial stabilisie-
ren und damit einer „Radikalisierung“ sowie dar-
auf folgenden Eingriffen in das Recht auf Eigen-
tum vorbeugen sollen, hat die Bundesregierung
vor der am Freitag beginnenden Fußball-WM ini-
tiiert. So soll das Projekt „Mobilisierung und Ent-
wicklung Jugendlicher durch Fußball“ zwölf- bis
zwanzigjährige Jugendliche aus den Armutsvier-
24 teln dabei unterstützen, sich „Life Skills“ anzu-
Kongo/Ruanda - Deutsch-Französische Rivalität
German Foreign Policy 03.11.2008
Vorposten
BERLIN/GOMA/KIGALI/PARIS (Eigener Be- in Zentralafrika via Kinshasa Einfluss geltend zu
richt) - Heftige deutsch-französische Einfluss- machen und steht zu Kigali in scharfem Konflikt.
kämpfe begleiten den Krieg im Kongo. Paris will
den Vormarsch der Rebellenmilizen stoppen, die Berlin versus Paris
für einen Verbündeten Berlins und Washingtons Die jüngsten Streitigkeiten innerhalb der EU um
kämpfen, und verlangt dazu einen Militäreinsatz die angemessene Reaktion auf den Kongo-Krieg
der EU. Berlin spricht sich dagegen aus und for- resultieren aus diesem Gegensatz zwischen Ber-
dert nach Positionsgewinnen der Milizen eine lin und Paris. Die französische Regierung hat
Übereinkunft der kongolesischen Regierung mit letzte Woche einen ersten Vorstoß zugunsten ei-
den Rebellen. Hintergrund der Auseinanderset- ner EU-Militärintervention im Ostkongo gemacht
zungen zwischen Berlin und Paris sind langfris- und den Einsatz von 1.500 Soldaten im Kriegs-
tig angelegte deutsche Bemühungen, die Stellung gebiet gefordert. Ziel ist es, den Vormarsch der
Frankreichs in seinem afrikanischen Einflussge- Rebellenmilizen um Nkunda zu stoppen und so
biet zu schwächen und die EU-Afrikapolitik nach einen Einflussgewinn Ruandas zu verhindern, der
deutschen Interessen zu gestalten. Entsprechende zugleich die Stellung Deutschlands und der Ver-
Hegemonialkämpfe begleiteten bereits die bei- einigten Staaten stärken würde. Berlin, ansonsten
den vergangenen Kongo-Einsätze der EU. Hohe in puncto Militäreinsätze nicht zimperlich, ver-
Bedeutung für die aktuelle Rebellenoffensive, weigert sich und fordert Verhandlungen sowie
die bislang über 250.000 Menschen in die Flucht eine Einigung zwischen der kongolesischen Re-
gezwungen hat, besitzen die kongolesischen Bo- gierung und dem Kriegsverbrecher Nkunda. Des-
denschätze: Milizenchef Nkunda erklärt, mit ei- sen Position würde damit deutlich aufgewertet.[3]
nem Ressourcengeschäft zwischen Kinshasa und
China nicht einverstanden zu sein. Nkunda, ein Ein alter Konflikt
seit Jahren gesuchter Kriegsverbrecher, dient sich Vergleichbare Konfliktlagen prägten bereits die
dem Westen als Garant künftiger Rohstoffliefe- zwei Kongo-Einsätze der EU in den Jahren 2003
rungen an. und 2006. Beim ersten Einsatz 2003, der auf Be-
treiben sowie unter der Führung Frankreichs zu-
Stellvertreter stande kam, gingen die EU-Truppen gegen Mili-
Die aktuelle Kriegseskalation in der Demokra- zen in Stellung, die unter der Bezeichnung Union
tischen Republik Kongo führt zu neuen Ausein- des Patriotes Congolais (UPC) in der Provinz Itu-
andersetzungen in der EU. Die Rebellenverbän- ri operierten. Die UPC war mit Ruanda verbündet
de, die in der vergangenen Woche bis kurz vor und kontrollierte die Hauptstadt von Ituri, Bunia,
die Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu, Goma, ein Zentrum des illegalen Rohstoffhandels. Unter
gelangt sind, werden von einem langjährigen französischer Führung brachte die EU Bunia un-
Kampfgefährten des ruandischen Präsidenten Ka- ter ihre Aufsicht, beendete die Herrschaft der UPC
game, Nkunda, geführt. Nkunda kämpft für die und unterstellte die Stadt schließlich der UNO.[4]
Ausweitung der ruandischen Kontrolle über den Beim zweiten Kongo-Einsatz im Jahr 2006 ließ
Kongo, von dessen umfangreichen Rohstoffen Berlin es nicht mehr zu, dass Paris die EU gegen
Kigali profitieren will. Bereits seit Jahren werden Parteigänger Ruandas mobilisierte, und schränk-
Ressourcen aus dem Kongo in großem Umfang te die Intervention ein: EU-Truppen wurden nur
über Ruanda ins Ausland geschmuggelt. UNO- außerhalb der ostkongolesischen Kivu-Provinzen
Experten schätzen, dass die ruandische Armee stationiert und so von Nkundas ruandatreuen Mi-
in den letzten 18 Monaten 250 Millionen US- lizen ferngehalten. Bundesverteidigungsminister
Dollar allein mit dem illegalen Verkauf kongo- Jung setzte damals den pünktlichen Abzug der
lesischen Coltans eingenommen hat.[1] Ruanda europäischen Soldaten durch - gegen Frankreich,
ist ein enger Verbündeter Deutschlands sowie das eine Verlängerung der Militärpräsenz favori-
der Vereinigten Staaten und erhält umfangreiche sierte.[5]
Unterstützung aus Berlin (german-foreign-policy.
com berichtete [2]). Frankreich hingegen sucht 25
Einflussgebiete Grundkonflikt
Die aktuellen deutsch-französischen Streitigkei- Die deutsch-französischen Auseinandersetzun-
ten um die Zentralafrika-Politik haben ihren Ur- gen um den Umgang mit dem Kongo-Krieg - dem
sprung im Bürgerkrieg in Ruanda (1990 bis 1994) mit mehr als 5,5 Millionen Toten verlustreichsten
und dem ruandischen Genozid (1994). Die Hutu- Konflikt nach 1945 - sind Teil eines umfassenden
Regierung, die Ruanda bis 1994 beherrschte, war Kampfs zwischen Paris und Berlin um die Afri-
an Frankreich orientiert; die Tutsi-Rebellen, die kapolitik der EU. Seit Jahren warnen deutsche
1990 von Uganda aus das Land überfielen und Regierungsberater, Frankreich suche Brüssel zur
1994 nach den Massakern vor allem der Hutu Einflusssicherung in seinen ehemaligen Koloni-
an die Macht kamen, wurden zuletzt von den en einzuspannen und wolle damit auch deutsche
USA und nach ihrem Regierungsantritt auch von Kräfte zum Kampf für französische Ziele nutzen.
Deutschland unterstützt. Die geostrategischen [8] Die Behauptung ist nicht falsch, verschweigt
Dimensionen des Konflikts hat erst kürzlich eine jedoch gleichgerichtete Bemühungen Berlins, das
deutsche Tageszeitung beleuchtet. Französische die EU ebenfalls zu seinem Nutzen einspannen
„Kolonialnostalgiker“ hätten sich lange bemüht, will. Inzwischen gelingt es der Bundesregierung,
„Ruanda zum Vorposten eines von West- und Paris auszubremsen. Der von Frankreich gefor-
Zentralafrika aus expandierenden französischen derte und auch angeführte EU-Einsatz in seiner
Einflussgebiets auszubauen“, hieß es; dabei sei- früheren Kolonie Tschad wird im März 2009 be-
en Ruandas französischsprachige Hutu, die sich endet; auch ein Kongo-Einsatz gegen die Stellver-
zu Beginn der 1990er Jahre „gegen die aus dem treter Ruandas in den ostkongolesischen Ressour-
englischsprachigen Uganda eindringenden ruan- cengebieten scheint nicht zustande zu kommen.
dischen Exiltutsi stellten“, „Vorposten eines fran- Ganz wie bei den jüngsten Streitigkeiten um die
zösischen Weltmachtanspruchs“ gewesen.[6] Das Mittelmeer-Union oder um die Bewältigung der
Blatt übergeht die Tatsache, dass umgekehrt auch Finanzkrise setzt sich Berlin systematisch gegen
die englischsprachigen Tutsi, die heute in Kiga- Paris durch.
li an der Macht sind, als „Vorposten“ fungier-
ten - nicht Frankreichs, sondern der USA sowie Neun Milliarden
Deutschlands. Der Verlust seines „Vorpostens“, Im Falle der europäischen Reaktionen auf die ak-
den Paris vergeblich zu verhindern suchte - un- tuelle Rebellenoffensive kommt noch ein weite-
ter Inkaufnahme mörderischer Grausamkeiten -, res Motiv hinzu. Milizionär Nkunda hat erklärt,
schwächte die französische Stellung in Zentralaf- mit einem Neun-Milliarden-Dollar-Geschäft
rika auf Dauer. zwischen Kinshasa und der Volksrepublik China
nicht einverstanden zu sein. Es verschafft chine-
Auf Englisch umgestellt sischen Unternehmen Zugang zu 10,6 Millionen
Seitdem sucht Ruanda - jetzt orientiert an Wa- Tonnen Kupfer und mehr als 600.000 Tonnen Ko-
shington und Berlin - seinen Einfluss und damit balt. Dafür hat Beijing versprochen, sechs Millio-
auch die deutsch-amerikanische Hegemonie nach nen US-Dollar in Straßen, Eisenbahnen, Wasser-
Westen auszudehnen. Nach zwei ruandischen kraft, Krankenhäuser und Schulen zu investieren
Überfällen auf den Kongo in den 1990er Jahren und weitere drei Millionen US-Dollar in Berg-
führt dort heute Milizionär Nkunda für Kigali bauprojekte. Nkunda lässt erkennen, diese Eini-
Krieg, mit logistischer und zum Teil auch mili- gung annullieren und die Ressourcen westlichen
tärischer Unterstützung der ruandischen Armee. Konzernen andienen zu wollen.[9] Er kontrolliert
Paris ist machtlos dagegen. Wie gründlich sei- inzwischen umfangreiche Teile Nord-Kivus und
ne Positionen in Zentralafrika beseitigt werden, hat mit der Eroberung Kinshasas gedroht. Sein
zeigt eine aktuelle innenpolitische Entscheidung Krieg liefert dem Westen erhebliche Machtmittel
Kigalis. Demnach soll das Schulsystem, in dem im Hegemonialkampf gegen die Volksrepublik
die Schüler des traditionell französischsprachigen China und öffnet ihm Wege zum Zurückdrängen
Landes zur Zeit zwischen einem französisch- und des ostasiatischen Konkurrenten.
einem englischsprachigen Zweig wählen können, [1] Congo‘s Nkunda calls for direct talks; AP
vollständig auf Englisch umgestellt werden - ob- 31.10.2008
wohl dafür bei weitem nicht genügend Lehrkräfte [2] s. dazu Kriegspartei
zur Verfügung stehen.[7] Dass so insbesondere [3] s. dazu Im Kriegsgebiet
die noch bestehenden Verbindungen Ruandas in [4] s. dazu Handfeste Interessen
die französischsprachige Welt gekappt werden [5] s. dazu Ein doppeltes Spiel, Handfeste Inter-
26 sollen, ist in Kigali kein Geheimnis. essen und Entlastung
[6] Ruanda, vergessener Hinterhof; taz 06.08.2008
[7] Rwanda to switch from French to English in
schools; The Guardian 14.10.2008
[8] s. dazu Offensive in Afrika, Hegemonialkon-
kurrenten und Schrumpfende Spielräume
[9] Congo rebel leader wants direct talks with
govt; Welt Online 31.10.2008
Nord-Kivu 04.03.2008
GOMA german-foreign-policy.com dokumentiert eine Karte
mit den wichtigsten Territorien in der ostkongolesischen Pro-
vinz Nord-Kivu. Die Karte entstammt der im Dezember 2007
veröffentlichten Analyse „Connecting Components, Dividing
Communities. Tin production for consumer electronics in the
DR Congo and Indonesia“ der finnischen NGO Finnwatch.
29
Auszüge aus dem Extra-Dossier von German Foreign Policy
35
Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten
Bei dem Karawane-Festival geht es um unsere Aber dann... trotz des Missbrauchs und der Un-
physische Präsenz und unsere Würde, unsere Le- terdrückung, trotz Einschüchterung und Erniedri-
benserfahrungen und um die der Toten, um unse- gung, sind wir Teilhaber unseres eigenen Schick-
ren Kampf und unseren Widerstand, um Solidari- sals. Angefüllt mit Angst, versuchen wir jeder für
tät und Menschlichkeit. Es ist eine Demonstration sich, mit unseren eigenen Problemen fertig zu
der Auflehnung und eine Bastion der Solidarität. werden. Dabei gehen wir davon aus, dass wir uns
Wir trotzen den unterdrückerischen und repressi- nur gut benehmen müssen und keine Probleme
ven Machenschaften, die seit Jahrhunderten das machen dürfen, um in Ruhe gelassen zu werden
Markenzeichen der europäischen und amerikani- und in Frieden leben zu dürfen. Doch so billig
schen Eingriffe in unser Leben gewesen sind. Wir gibt es Frieden nicht - wenigstens nicht für uns.
sind hier, weil sie unsere Länder zerstören. Wir Viele Menschen realisieren die Niedertracht des
sind hier und werden kämpfen. Systems nicht, selbst diejenigen nicht, die am di-
rektesten von den Problemen betroffen sind. Oft
Seit Jahrhunderten haben die Mächtigen unse- werden wir dazu verleitet, uns alleine zu glauben
re Angst als ihre Waffe der Wahl benutzt. Durch und zu fühlen, und hegen in falscher Weise die
Angst werden Menschen in Unterwerfung und Aussicht, sogar alleine zu kämpfen und zu ge-
Isolation voneinander gezwungen. Durch die winnen. Wir müssen es gemeinsam tun, um das
Macht der Angst lernen und lehren wir, dass es Monster zu besiegen.
gleichbedeutend mit Überleben ist, zu schweigen,
den Kopf einzuziehen und gleichgültig zu sein Wenn wir zusammenkommen und unsere Angst
gegenüber Widerstand und der Verteidigung un- überwinden können, wenn wir in Würde und So-
serer selbst. Um diese Kontrolle über unsere Köp- lidarität zueinander stehen können und wenn wir
fe und unsere Körper aufrecht zu erhalten, ent- unsere eigene Erzählung des Widerstands zum
wickeln die Mächtigen diesen Komplex, in den Ausdruck bringen, dann werden die sogenannten
diese Erzählungen in Vergangenheit, Gegenwart Mächtigen ihre Macht verlieren, durch die sie es
und Zukunft eingepasst werden und dem anzuge- geschafft haben, uns zu manipulieren und zu be-
hören uns allen abverlangt wird. herrschen - seit über 500 Jahren. In Deutschland
wollen wir die rassistischen Heuchler entlarven,
Es ist unglaublich - trotz der hunderte Millionen die Freiheit und Gleichheit predigen, Menschen-
Opfer von Sklaverei, Kolonialismus und Imperi- rechte und Menschenwürde, die als „unantastbar“
alismus, ganz zu schweigen vom hausgemachten verkündet wird, und dennoch mit institutionali-
Nationalsozialismus, glauben die meisten Euro- sierter Diskriminierung fortfahren und uns durch
päer und ihre Nachfahren in der gesamten Welt „Residenzpflicht“ wie Tiere behandeln, gerade
nach wie vor an die Überlegenheit ihrer Gedan- als ob damit der gesellschaftliche Rassismus an-
ken, Verhaltensweisen und Taten. Sogar ange- gefacht werden soll.
sichts all diesen Gräueltaten, festigen sie genau
dieses System, das Intoleranz, ungezügelte Gier
und Hass produziert, und intensivieren sie die thecaravan.org
konsequente Unbarmherzigkeit dieser Brutalität
zu Hause und in der Welt.
39
Thomas Sankara
Ideen lassen sich nicht töten
41
Rede von Patrice Lumumba am 30.6.1960,
Tag der Unabhängigkeit des Kongo
Männer und Frauen des Kongo, Wer wird je die Massaker vergessen, in denen so viele unse-
liebe KämpferInnen für die Unabhängigkeit, heute sieg- rer Geschwister umgekommen sind, die Zellen, in die jene
reich, ich begrüße Euch im Namen der kongolesischen Re- geworfen wurden, die sich weigerten, sich einem Regime
gierung. Ihr alle, meine Freundinnen und Freunde, die Ihr der Unterdrückung und Ausbeutung zu unterwerfen?
unermüdlich an unserer Seite gekämpft habt, ich bitte Euch All dies, meine Brüder, haben wir erlitten.
diesen 30. Juni 1960 azu einem illustren Datum zu ma- Wir jedoch, die wir durch die Stimmen der von Euch ge-
chen, die Ihr unauslöschlich in Eurem Herzen eingraviert wählten Vertreterinnen und Vertreter das Recht erhalten
bewahrt, ein Datum dessen Bedeutung Ihr Euren Kindern haben, unser geschätztes Land zu leiten, wir die wir in un-
lehrt, so dass sie wiederum ihren Kindern und Enkeln die serem Körper und Herzen durch koloniale Unterdrückung
glorreiche Geschichte unseres Kampfes für Freiheit be- gelitten haben, wir sagen ganz laut, all dies hat nun ein
kannt geben. Ende.
Für diese Unabhängigkeit des Kongo, wie sie heute zusam- Die Republik von Kongo ist ausgerufen worden, und unser
men mit Belgien gefeiert wird, ein befreundetes Land mit Land ist nun in der Hand der eigenen Kinder.
dem wir von gleich zu gleich handeln, wird kein Kongolese Zusammen, meine Brüder, meine Schwestern, werden wir
der diesen Namen verdient vergessen dass wir sie im Kampf einen neuen Kampf beginnen, ein erhabener Kampf, der
gewannen. Ein Kampf von Tag zu Tag, ein glühender und unser Land zu Frieden, Wohlstand und Größe führen wird.
idealistischer Kampf, in dem wir von keiner Entbehrung, Zusammen werden wir soziale Gerechtigkeit aufbauen und
keinem Leiden verschont blieben und für den wir unsere sicherstellen, dass alle eine gerechte Entlohnung für ihre
Kraft und unser Blut gaben. Arbeit erhalten.
Wir sind stolz auf diesen Kampf, die Tränen, das Feuer und Wir werden der Welt zeigen was Schwarze tun können
das Blut, bis in die Tiefen unseres Seins, denn es war ein wenn sie in Frieden arbeiten, und wir werden Kongo zum
nobler und gerechter Kampf, und unentbehrlich um der Zentrum des strahlenden Glanzes der Sonne für ganz Afrika
erniedrigenden Sklaverei das uns mit Gewalt aufgedrückt machen.
wurde ein Ende zu bereiten.
Wir werden die Ländereien unseres Landes im Auge behal-
Dies war unser Schicksal während acht Jahren des kolo- ten um sicherzustellen dass wirklich dessen Kinder davon
nialen Regimes; unsere Wunden sind zu frisch und noch profitieren. Wir werden traditionelle Gesetze wieder einfüh-
immer zu schmerzhaft um sie aus unserer Erinnerung zu ren und neue erlassen die gerecht und nobel sind.
vertreiben. Wir haben zermürbende Arbeit kennen gelernt, Wir werden der Unterdrückung freier Meinungsäußerung
mussten sie für einen Lohn erbringen, der es uns nicht er- ein Ende setzen und dafür sorgen dass alle Bürgerinnen und
möglichte, den Hunger zu vertreiben, uns angemessen zu Bürger vollends die Grundrechte genießen, die in der Erklä-
kleiden oder in anständigen Verhältnissen zu wohnen oder rung der Menschenrechte vorgesehen sind.
unsere Kinder als geliebte Wesen groß zu ziehen. Wir werden nicht mit dem Frieden der Gewehre und Bajo-
nette regieren, sondern mit einem Frieden des Herzens und
Wir haben Spott, Beleidigungen und Schläge kennen ge- des Wollens.
lernt, die wir morgens, mittags und abends ertragen muss-
ten, weil wir Schwarze sind. Wer wird vergessen, dass zu Und für all dies, liebe Landsleute, könnt Ihr sicher sein,
einem Schwarzen „Du“ gesagt wurde, bestimmt nicht als dass wir nicht nur auf unsere riesige Kraft und immensen
ein Freund, sondern weil das ehrenwertere „Sie“ allein für Reichtümer zählen werden sondern auch auf die Unterstüt-
die Weißen reserviert war? zung durch zahlreiche fremde Länder, deren Zusammen-
arbeit wir annehmen werden, wenn sie aus freien Stücken
Wir haben gesehen, wie unser Land im Namen von angeb- gewährt wird und ohne Versuch uns eine andere Kultur wel-
lich rechtmäßigen Gesetzen aufgeteilt wurde, die tatsäch- cher Natur auch immer aufdrücken will.
lich nur das Recht des Stärkeren anerkannten.
Wir haben gesehen dass das Gesetz für Schwarze und Wei- Es lebe die Unabhängigkeit und die afrikanische Einheit. Es
ße nicht gleich ist, bequem für Erstere, grausam und un- lebe der unabhängige Kongo!
menschlich für Letztere.
Wir haben entsetzliches Leiden erlebt von denjenigen die
für ihre politische oder religiöse Gesinnung verurteilt wur-
den; in ihrem eigenen Land im Exil, ihr Schicksal wahrlich
schlimmer las der Tod selbst.
Wir haben gesehen, dass es in den Städten herrliche Häuser
für die Weißen gab und baufällige Hütten für die Schwar-
zen, dass Schwarze weder in die Kinos gelassen wurden,
noch in die Restaurants, noch in die Geschäfte der Europäe-
rinnen und Europäer; dass Schwarze im Rumpf der Schiffe
reisten, zu Füßen der Weißen in ihren Luxuskabinen.
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Frantz Fanon
Kein Tribut mehr an Europa