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Fundamentalismus - Nein, danke!

(Predigt vom 29.08.2010)

Was ist eigentlich „Fundamentalismus"? Ursprünglich geht diese Bezeichnung zurück auf
die christlich-theologische Schriftenreihe „The Fundamentals", die zwischen 1910 und
1915 in USA von Vertretern einer strengen Lehre der göttlichen Inspiration und
Unfehlbarkeit der Bibel herausgegeben wurde. Sie wollten sich abgrenzen gegen die
historisch-kritische Methode, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts an den
Universitäten mehr und mehr den Umgang mit dem Alten und Neuen Testament
bestimmte und versuchte, mit Hilfe historischer und sprachwissenschaftlicher
Einsichten die Entstehung der biblischen Texte zu erklären.
Die neuen Erkenntnisse der theologischen Wissenschaft führten zu einer weit
reichenden Verunsicherung der Gläubigen, weil sie das traditionelle Verständnis der
Bibel an vielen Stellen in Zweifel zogen: So wurde deutlich, dass die fünf Bücher Mose
nicht von einem Autor, also Mose, verfasst sein können, weil sie in ihrer Sprache und
Theologie eindeutig auf mindestens drei verschiedene Quellen aus unterschiedlichen
Jahrhunderten zurückgehen - ebenso wie das Buch Jesaja, das wohl zwei nachfolgende
Propheten mit umfasst (wir bezeichnen sie heute als „Deuterojesaja" und „Trito-jesaja",
also den „zweiten" und „dritten" Jesaja). Auch die Quellenanalyse der Evangelien konnte
ziemlich genau zeigen, welche gemeinsamen Vorlagen die Evangelisten hatten und welche
Zusätze sie, gleichsam als „Redakteure" zur Verbindung und Deutung der Texte
hinzugefügt haben.
Durch das Festhalten am Prinzip der wörtlichen Inspiration aller Teile der Bibel durch
den Hl. Geist und demzufolge ihrer absoluten Irrtumslosigkeit wollten die Vertreter
konservativer Gruppen die Grundlagen des Glaubens bewahren. Sie gründeten eigene
„Bible Institutes", um ein Bibelstudium in ihrem Sinn zu ermöglichen, und wandten sich
insbesondere gegen die in den Schulunterricht eindringende Evolutionslehre, die sie als
Verleugnung des biblischen Schöpfungsberichts und Herabwürdigung des zum Bilde
Gottes geschaffenen Menschen ansahen.
Liebe Gemeinde, diese Sorge um die Grundlagen, die „Fundamente" der eigenen Religion
ist vermutlich den meisten unter uns verständlich, sind doch auch wir wahrscheinlich
fast alle im Vertrauen auf die Wahrheit der Bibel erzogen worden und kennen den
Zweifel, was denn noch verlässlich ist, wenn wir auch in der Bibel mit menschlichen
Fehlern und Irrtümern rechnen müssen. Und auch die Reaktion der „Fundamentals", sich
auf die Irrtumslosigkeit der Hl. Schrift zurückzuziehen, ist nur allzu nahe liegend, wenn
wir bedenken, dass in der Geschichte des Christentums und besonders in unserer
evangelischen Tradition die Texte der Bibel stets als Ausdruck der Offenbarung Gottes
und lebensentscheidende Wahrheit angesehen wurden.
Doch ein genauerer Blick zurück in die Kirchen- und Theologiegeschichte zeigt den
entscheidenden Unterschied: Schon in der Alten Kirche und im Mittelalter wurden
regelmäßig umfangreiche theologische Überlegungen und Diskussionen angestellt, um die
Vereinbarkeit des Glaubens mit dem Stand der Wissenschaft zu klären, und auch das
kirchliche Lehramt formulierte „Ergänzungen" zur biblischen Offenbarung, um ihr
angemessenes Verständnis zu sichern. Martin Luther und die Kirchen der Reformation
lehnten zwar diese ergänzenden Offenbarungen ab und erklärten deshalb die Hl. Schrift
allein zum Maßstab des Glaubens, wussten aber sehr wohl um die Schwierigkeiten im
Umgang mit den biblischen Texten. Martin Luther konnte sogar ganz ausdrücklich von
der Lektüre einzelner biblischer Bücher abraten, etwa des Jakobusbriefs, den er als
„stroherne Epistel" bezeichnete und dessen Ausschluss aus der Bibel er zumindest
diskutierte. Denn Maßstab war für ihn nicht einfach, was in der Bibel steht, sondern,
„was Christum treibet", also ob ein Text den Kern des Glaubens in den Mittelpunkt stellt
oder nicht.
Während die Theologen der christlichen Tradition - wie übrigens die Autoren der
biblischen Texte selbst auch - immer wieder neue Wege suchten, sich mit den
Herausforderungen von Erfahrung und Vernunft auseinanderzusetzen, trafen die Gegner
der historisch-kritischen Theologie um 1900 eine andere Entscheidung: Sie brachen die
Diskussion ab, indem sie die vollkommene Irrtumsfreiheit der biblischen Texte endgültig
zum Ausgangspunkt ihres Denkens und zum Maßstab des Glaubens erklärten - mitten in
einer Diskussion, die genau das in Zweifel zog.
Mag das zu Anfang noch als Reaktion auf die neuen Herausforderungen verständlich
gewesen sein, so führte es längerfristig zu der Erstarrung des Denkens und der
Gesprächskultur, die wir bis heute als „Fundamentalismus" beobachten können. Typisch
für diese Grundhaltung ist nicht mehr die Sorge um die Grundlagen des Glaubens oder
die Suche danach, sondern der eindeutige Besitz dieser Fundamente, der jede weitere
Diskussion darüber ausschließt.
Wir kennen dieses Phänomen heute auch in anderen Religionen. Islamischer, jüdischer
und hinduistischer Fundamentalismus erscheinen mit schöner Regelmäßigkeit in den
Nachrichten als Ursache unlösbarer Auseinandersetzungen und religiös motivierter
Gewalt. Christliche Fundamentalisten machen von sich reden, indem sie in den
Vereinigten Staaten, aber immer wieder auch hierzulande die Aufnahme des
„Kreationismus", also einer konstruierten Weltentstehungsideologie, die sich auf die
biblischen Schöpfungserzählung beruft, als alternative Theorie zur Evolutionslehre in
den Biologieunterricht fordert.
All das führt dazu, dass immer mehr Menschen Religion nur noch als borniert und
gesprächsunfähig erleben und als eigentliche Ursache der weltweiten Konflikte ansehen -
desto mehr, als die Fundamentalisten selbst für sich beanspruchen, die wirklich
Gläubigen zu sein.
Dabei ist genau das von Grund auf falsch. Denn die Grundhaltung des Glaubens - im
Christentum, aber auch in den anderen großen Religionen - ist, dass nicht ich selbst, mein
Denken und Handeln, das Maß aller Dinge bin, sondern dass ich meine Grenzen als Mensch
annehmen kann - im Vertrauen auf die größere Autorität Gottes, der mein Leben trägt.
Der Glaube an Gott, der Sinn und Ziel unseres Lebens ist, macht uns frei, dass wir uns
nicht selbst vergöttern müssen, dass wir ertragen können, nicht allmächtig zu sein. - Der
Fundamentalismus aber maßt sich an, über Gottes Wahrheit zu verfügen, also selbst im
Namen Gottes zu sprechen und zu handeln. Damit verkehrt er die Haltung des Glaubens
ins Gegenteil und pervertiert so die Religion!
Liebe Gemeinde, es ist höchste Zeit, dass sich die Religion von diesem
fundamentalistischen Missbrauch distanziert anstatt ihn als eine extreme Form des
Glaubens zu tolerieren. Denn die wahre Kraft des Glaubens, im Vertrauen auf Gott die
Grenzen unseres Wissens und unseres Handelns ohne Überheblichkeit zu ertragen, also
(in den Formulierungen der theologischen Tradition gesprochen) als „gerechtfertigter
Sünder" zu leben, wird durch den Fundamentalismus auf den Kopf gestellt.
Die klaren Fundamente für unser Wissen und unser Handeln, für unser Verständnis der
Welt und unseren Umgang miteinander, nach denen wir alle Sehnsucht haben, lassen sich
auch „im Namen Gottes" nicht erzwingen! Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen
[Mt 13,24-30], das wir vorher als Lesung gehört haben, macht es deutlich: Wer meint,
das „Unkraut" in unserem Leben und Zusammenleben selbst beseitigen zu können, wird
dabei zugleich die Ernte vernichten. Deshalb brauchen wir das Grundvertrauen des
Glaubens, der Gottes Kraft zutraut, in unserem eigenen Leben und im Leben der anderen
den „Weizen" reifen zu lassen und schließlich dem „Unkraut" ein Ende zu machen!
Dazu helfe uns Gott. Er schenke uns seinen Frieden, der höher ist als alle Vernunft, in
Christus Jesus, unserem Herrn. AMEN

Pfr. F. Gruber

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