PZ Pforzheim vom 01.04.

2017
40 SAMSTAG, 1. APRIL 2017 G E S C HICH TE N AU S D E R R E G I O N Stark! U N D VON DA H E I M PFORZHEIMER ZEITUNG NUMMER 77

Der heißeste Sommer

ILLUSTRATION: PZ / FOTOLIA

TEXTE: ALEXANDER HEILEMANN
UND SVEN BERNHAGEN
Wetter ist oft Gefühlssache: „Früher
gab’s viel mehr Schnee“, heißt es ger-
ne. Oder wahlweise: „Früher war der
Sommer viel schöner.“ Der Sersheimer
Autor Bernd Bramm bietet nun die
Datenbasis für all jene, die gern übers
Wetter reden. In seinem Buch hat er
Wetterdaten aus dem Raum Pforz-
heim, Bretten, Besigheim zusam-
mengetragen und die extremen
Ereignisse herausgearbeitet – vom
Hochwasser 1824 bis zum verhee-
renden Tornado 1968. „Heimatstark“
hat mit ihm gesprochen und einen
Blick in die Geschichte geworfen.
Der Mann
für Stürme,
Fluten und Dürre
Die Hitze hatte 2003 nicht nur die Region, sondern ganz Europa im
Griff. Der Juni war der Wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnun-
durch Pforzheim zog te er erst in seiner Berufslaufbahn bei einem gen. In Mühlacker wurde am 23. Juni der Spitzenwert von 35,1 Grad
und zwei Menschen Lebensversicherer ein. Doch 2014 schlug die gemessen. Wegen der hohen Ozonwerte riet die PZ: „Ausruhen statt
das Leben kostete. Leidenschaft von Neuem zu. Und seitdem re- sporteln.“ Gegen Ende des Monats gingen die Temperaturen zurück
„Die Windgeschwin- cherchiert er noch akribischer, steckt noch „Nun bekommt die Hitze hitzefrei“, war eine der Schlagzeilen. Das
digkeiten dieses viel mehr Zeit in seine Forschung. Damals hat- Aufatmen war allerdings von kurzer Dauer, denn der absolut wärms-
Sturms sind auf über te der Deutsche Wetterdienst seine Klimada- te August schloss sich an. Der Ausnahmemonat führte zu einem
300 Stundenkilome- ten freigegeben – für Bramm eine Quelle vol- „Bade-Boom“. In Pforzheim gönnten sich Bauarbeiter beim Pflastern
ter berechnet wor- ler Informationen über extreme Wetterlagen. eine Erfrischung aus dem Eimer (Foto). FOTO: KETTERL/PZ-ARCHIV
den“, sagt Bramm. Und so hat er gesammelt, welche Werte er zu
Eine Katastrophe un- Hochwassern findet, zu Dürren, zu Hitzewel-
geheuren Ausmaßes.
Solche Daten zu Bernd Bramm
len und Kälteeinbrüchen.
Seine Arbeit zeigt natürlich, dass es Extre-
Die dickste Schneedecke
verheerenden Wet- me zu allen Zeiten gegeben hat. Aber der Sers-
terlagen hat der 54-Jährige in den vergange- heimer stellt auch fest, dass sie zugenommen
nen zweieinhalb Jahren akribisch zusammen- haben. Das gelte sowohl für Tage, an denen
getragen. In seinem Buch „Wetterextreme zwi- wahre Regenfluten über manche Orte in der
schen Pforzheim, Bretten und Besigheim“ hat Region kommen. Aber es gebe eben auch
er sie dokumentiert – vor allem auf einer CD- mehr längere und intensivere Hitzeperioden.
ROM, die dem Werk beiliegt. Dort finden sich Seit 1990 hätten die Monate, die gemessen am
Wetteraufzeichnungen aus dem östlichen Teil Durchschnitt zu warm sind, merklich zuge-
der Region über Jahrhunderte hinweg. Über nommen. Und die wirklich hohen Schneemar-
schlimme Hochwasser in den Jahren 1824 und ken sind bereits viele Jahrzehnte alt: Im Feb-
1851 zum Beispiel. Damals seien als Reaktion ruar 1942, so Bramm, habe die damalige Wet-
Flutmarken angeordnet worden, die Auf- terstation in Wimsheim den Rekordwert ge- Das beschauliche Wimsheim ist – das zeigen die Daten, die Bernd
schluss über die damaligen Fluten im Ver- meldet: 68 Zentimeter hoch habe der Schnee Bramm in seinem Buch zusammengetragen hat – Rekordhalter in Sa-

W
enn der Sersheimer Bernd Bramm
sich auf das extremste Wetterphä-
nomen festlegen müsste, das die
Region in den vergangenen Jahrzehnten und
sogar Jahrhunderten getroffen hat, dann wäre
das für ihn der Tornado. Der verheerende Wir-
belsturm, der am Abend des 10. Juli 1968 eine
Schneise der Verwüstung von Ittersbach über
Ottenhausen, Gräfenhausen, Birkenfeld bis
gleich zu späteren Hochwassern geben. Und
damit gab es neue Daten, die Vergleiche zwi-
schen schlimmen Unwettern zulassen.
Temperaturen, Regenmengen, das waren
immer Dinge, die Bernd Bramm fasziniert ha-
ben. Schon in der Jugend und bis in die Studi-
enzeit habe er täglich notiert, welche Tiefst-
und welche Höchsttemperaturen er gemessen
hat. Eine Pause als Hobby-Wetterforscher leg-
dort gelegen. Ein Rekord, der freilich nur für
den von Bramm betrachteten Teil der Region
gilt – die Höhenlagen des Nordschwarzwalds
sind bei ihm ausgeklammert.
Bernd Bramm: „Wetterextreme“;
Verlag Regionalkultur 2017;
80 Seiten plus CD-ROM mit 800 Seiten,
168 Abbildungen und 19 Tabellen; 17,90 Euro.
chen dickste Schneedecke seit Beginn der Pegelmessungen. Dem-
nach lagen im Heckengäu am 17. Februar 1942 insgesamt 68 Zentime-
ter Schnee. Schon Ende Januar war die Schneedecke deutlich ange-
wachsen. Am 4. und 16. Februar kam es dann zu weiteren ergiebigen
Schneefällen. An den Rekordhalter Wimsheim kam zwar keiner ran,
aber trotzdem pendelte sich die Schneedecke in der gesamten Region
– so wie auf dem Foto zwischen Eutingen und Kieselbronn, wo die
Straße mit einem sechsspännigen Schneepflug geräumt wurde – bei
gut 30 Zentimetern ein. FOTO: ARCHIV ORTSVERWALTUNG EUTINGEN

Der kälteste Winter Der stärkste Sturm Das schwerste Hochwasser

Der kälteste Wintermonat seit Beginn der Aufzeichnungen 1755 war
der Februar 1929. Das durchschnittliche Minimum über den ganzen
Monat hinweg belief sich beispielsweise in Knittlingen auf minus
16,4 Grad. Die tiefste Temperatur wurde am 13. des Monats mit minus
28,9 Grad gemessen. Fast den ganzen Monat über lag in der Region
eine mäßig hohe Schneedecke. Sämtliche Seen und Flüsse – wie auch
die Enz auf dem Foto an der alten Wehrfalle in Mühlacker – in
Deutschland waren komplett vereist. Zu den schönen Seiten gehörte
das Eislaufen auf der zugefrorenen Enz. Aber viele Bereiche des öf-
fentlichen und privaten Lebens wurden lahmgelegt. Da durch die
Vereisung der Flüsse die Binnenschifffahrt unmöglich wurde, kam es
zu Problemen in der Kohlenversorgung. Kohleferien wurden ange-
ordnet, Schulen geschlossen. Brandfälle beim Auftauen der Leitun-
gen nahmen „in erschreckender Weise zu“. Sogar um die Kirchenglo-
cken fürchtete man. Um das Zerspringen durch den Frost zu vermei-
den, wurde am Sonntag, dem 17., in Pforzheim nicht wie üblich vor
Beginn der Gottesdienste geläutet. In einem Zeitungsbericht hieß es
damals: „Genug der Kälte! Das unerschöpfliche Tagesgespräch ist die
Kälte. Selbst den Ausdauerndsten fällt sie auf die Nerven. In den vor-
hergehenden Jahren hatten sie sich schon mit dem Problem beschäf-
tigt, ob sich in Deutschland ein Klimawechsel vorbereite. ‚Wir haben
ja keinen Winter mehr‘, meinten sie, ‚unsere Temperaturen nähern
sich denen in Italien‘. Diese Phantasten dürfen wohl endlich eines
Besseren belehrt worden sein.“ FOTO: STADTARCHIV MÜHLACKER
Der 10. Juli 1968 war heiß. In Pforzheim hatte es schwüle 30 Grad. Am Nach einem nassen Sommer, in dem sich Böden schon vollgesaugt
Abend bildete sich über den Nordvogesen ein Tornado, der von Westen hatten, war der Oktober 1824 eigentlich von schönem Herbstwetter
nach Osten zog. Mit seiner zerstörerischen Wirkung zog er gegen 22 Uhr geprägt – bis zum 28. An diesem Tag begann es zu regnen und es soll-
von Ittersbach über Ottenhausen und Gräfenhausen nach Birkenfeld, te bis zum 6. November praktisch nicht mehr aufhören. Das Enztal
überquerte die südlichen Stadtteile von Pforzheim und endete nur we- zwischen Neuenbürg und Besigheim sei ein einziger See gewesen. An
nig östlich von Neubärental. Berechnungen zufolge lag die Windge- der Enz in Pforzheim bei der Altstädter Brücke wurde eine Wasser-
schwindigkeit zwischen 270 und 350 Stun- menge von 1350 Kubikmetern in der Sekunde gemessen. Dies war
denkilometern. Der Pforzheimer mehr als das Zehnfache der normalen Wassermenge und fast drei-
Tornado wurde in die zweit- mal so viel wie bei einem gewöhnlichen Hochwasser. Der Wasser-
höchste Stufe „F4“ eingeord- stand der Enz stieg auf 4,30 Meter – das Maximum von 1784 lag zu-
net. Die Schneise der Zer- vor bei 3,10 Meter. Sämtliche Brücken in Pforzheim wurden zerstört,
störung war etwa 27 Kilo- ebenso wie in Brötzingen, Würm, Eutingen oder Niefern. Paradox: In
meter lang und 200 bis Vaihingen brach bei einem Gerber ein Feuer aus, das wegen der um-
600 Meter breit. Zwei gebenden Wassermassen nicht gelöscht werden konnte. Als die Flu-
Tote wurden gezählt. Es ten nachließen, türmten sich Enz-abwärts die Trümmerberge – und
gab rund 300 bis 400 in den Zeitungen gab es Suchanzeigen wie diese: „Durch die Ueber-
Verletzte. Über 4000 schwemmung am 29. Oktober wurde Rößleswirth Urbans Wittwe von
Gebäude wurden be- Pforzheim ihr mit 6 kupfernen Hacken versehener, neuer Bierbrau-
schädigt, 130 Autos hat- kessel, so wie ein Branntweinkessel nebst zwei Kuppeln, vom Wasser
ten Totalschaden und fortgerissen. Dem redlichen Auffinder dieser Objekte wird auf gefäl-
440 Hektar Wald mussten ligst Nachricht eine angemessene Belohnung zugesichert.“ Bilder
neu aufgeforstet werden. vom Rekordhochwasser liegen nicht vor, aber auch das Foto des
FOTOS: STADTARCHIV PFORZHEIM / KREISARCHIV - Hochwassers von Mai 1931, als der Marktplatz in Dürrmenz unter
DES ENZKREISES Wasser stand, ist schon ganz eindrucksvoll. FOTO: STADTARCHIV MÜHLACKER