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BRASILIEN
Eine neue Linkspartei unter Führung von Abgeordneten, die aus der PT ausgeschlossen wurden,
hat am vergangenen Wochenende einen bedeutenden Schritt vorwärts vollzogen. Rund 700
GenossInnen haben sich zum ersten Treffen der Partei Sozialismus und Freiheit (PSoL, das sich
wie sol – Sonne ausspricht) in der Hauptstadt Brasilia versammelt, um den Namen der Partei zu
beschließen, die Statuten festzulegen und ein provisorisches Programm zu verabschieden. Die
Organisation, die sich im Spektrum der Linksparteien als Alternative versteht, hat bereits eine
Vorsitzende: die Senatorin Heloísa Helena, die noch für die PT im Bundesstaat Alagoas gewählt
wurde, heute aber keiner offiziell anerkannten Partei angehört. An ihrer Seite in der neuen
Parlamentsgruppe finden sich weiter ehemalige PT-Abgeordnete wie Babá (Bundesstaat Pará),
João Fontes (Bundesstaat Sergipe) und Luciana Genro (Bundesstaat Rio Grande do Sul) – Letztere
ist übrigens die Tochter von Erziehungsminister Tarso Genro. Sie alle haben einen Prozess der
politischen Isolation durchgemacht, nachdem sie im Kongress gegen die Reform der
Sozialversicherung gestimmt hatten. Diese Ausgrenzung gipfelte im Dezember 2003 an der
nationalen PT-Leitungssitzung in ihrem Ausschluss, der mit disziplinarischen Gründen und
mangelnder Loyalität gegenüber der Partei begründet wurde.
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Wir verteidigen Reformen des brasilianischen Staates, der im Interesse einer Minderheit
privatisiert wurde. Die von der Regierung Lula in Fortsetzung der Politik seines Vorgängers
Fernando Henrique Cardoso eingeleiteten Reformen sind dagegen nichts als neoliberale
Gegenreformen, die sich als des einzigen Mechanismus der Senkung der Sozialausgaben
bedienen, um die steigenden Finanzausgaben – ein Ergebnis der Wirtschaftspolitik und einer
streng monetaristischen Politik – zu bedienen. Einerseits werden die ArbeiterInnen des
öffentlichen Dienstes geopfert, wie dies bei der Rentenreform der Fall war, um die Spekulanten zu
stützen, andererseits werden die staatlichen Ressourcen buchstäblich geplündert – 20 Prozent der
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Mittel für den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern bzw. Gemeinden wurden
zweckentfremdet –, um einen Budgetüberschuss zu gewährleisten.
ACM: Ist nichts mehr davon rückgängig zu machen? Besteht keine Chance mehr, dass die
Regierung Lula angesichts der sozialen Spannungen ihren Kurs wechselt?
H.H.: Ich hoffe für das Wohl Brasiliens und der Millionen von unterdrückten, ausgeschlossenen
und marginalisierten Menschen in diesem Land, dass es den aktiven gesellschaftlichen Kräften
gelingt, organisiert Druck zu machen, um Veränderungen herbeizuführen. Doch leider sind viele
soziale Bewegungen verbürokratisiert, haben Regierungsaufgaben übernommen und bemühen
sich vor allem darum, ihre Basis zu lähmen, um solche sozialen Spannungen zu verhindern.
Natürlich will ich, dass sich die Dinge ändern. Doch angesichts der Maßnahmen, die von der
Regierung bereits umgesetzt wurden, glaube ich nicht, dass es objektiv möglich ist, einen
Kurswechsel durchzusetzen. Könnte ich an einen übermächtigen Gott glauben, würde ich mir
wünschen, dass er der brasilianischen Bevölkerung die Kraft und Fähigkeit verleiht, zu kämpfen
und die Regierung zu einem Kurswechsel zu zwingen. Doch leider gehe ich davon aus, dass die
Regierung das Lager gewechselt hat. Aus diesem Grund fühlen wir uns gezwungen, dieses
‚Refugium‘ für die Linke aufzubauen. Denn wenn sie schon das Lager gewechselt haben, sollen
sie sich nicht auf eine linke Tradition berufen können. Sie hätten einen Kongress einberufen, ihren
sozialistischen Wurzeln abschwören und sich als Neoliberale oder als zynische Anhänger eines
‚Dritten Weg‘ oder irgendeines anderen programmatischen Denkens präsentieren müssen. Seit sie
das Lager gewechselt haben, sind sie nicht mehr durch die brasilianische Bevölkerung und noch
weniger durch die Linke legitimiert, die historischen Errungenschaften, die nicht durch die eine
oder andere politische Persönlichkeit oder Partei, sondern durch heldenhafte Kämpfe, durch Blut,
Schweiß und Tränen der ArbeiterInnenklasse und von SozialistInnen aus Brasilien, Lateinamerika
und der ganzen Welt durchgesetzt wurden, zunichte zu machen und mit Füßen zu treten.
ACM: Hoffen Sie, dass weitere PT-Abgeordnete und -Kader aus der PT austreten werden, um sich
der PSoL anzuschließen?
H.H.: Die PSoL, unsere geschätzte Partei des Sozialismus und der Freiheit, wird GenossInnen
aller Linksparteien, die sich uns anschließen wollen, mit offenen Armen, herzlich, solidarisch und
respektvoll aufnehmen. Bei uns sind viele AktivistInnen aus der Bevölkerung, die in der PT, der
PCdoB, der PSTU und anderen Parteien organisiert waren. Ich werde aber keinen einzigen
Schweißtropfen und keine Energie darauf verschwenden, AktivistInnen anderer Parteien gewinnen
zu wollen, und erst recht nicht Abgeordnete. Denn die Abgeordneten wissen bestens, was los ist.
Ich sage immer im Scherz, dass die Unschuldigsten unter ihnen nicht gehen, sondern in höheren
Regionen schweben.
Wenn sich diese Leute dafür entscheiden, die Regierung zu verlassen, um sich uns anzuschließen,
werden wir sie mit offenen Armen empfangen. Es liegt uns daran, die gefühlsmäßigen
Beziehungen, die wir im Lauf unserer gemeinsamen Geschichte geknüpft haben, zu bewahren,
auch wenn wir nicht mehr gemeinsam Politik machen. Wo Beziehungen in die Brüche gegangen
sind, waren sie nicht stark und ernsthaft genug, um trotz ideologischer und programmatischer
Differenzen, die im politischen Engagement auftreten, zu überstehen.
Im Ernst, ich wusste bereits, dass es außerhalb der heute bestehenden Parteistrukturen ein
sozialistisches Leben gibt, das durch Würde, Mut und Großzügigkeit gekennzeichnet wird. Und
diese Überzeugung ist in dieser Durststrecke, die ich für den Aufbau einer neuen Partei
zurücklegen musste, als ich echten Weggefährten begegnete, zur Gewissheit geworden. Für mich
war das ein richtiger Lernprozess. Ich werde mich noch mehr darum bemühen, diese Menschen zu
gewinnen, anstatt um Mitglieder und Abgeordnete anderer Parteien zu werben.
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