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MARIA-CHRISTINE LEITGEB, STÉPHANE TOUSSAINT,

HERBERT BANNERT (Hrsg.)

PLATON, PLOTIN UND MARSILIO FICINO

Studien zu den Vorläufern und zur Rezeption


des Florentiner Neuplatonismus
WIENER STUDIEN · BEIHEFT 33

Herausgegeben von Herbert Bannert


PLATON, PLOTIN UND
MARSILIO FICINO
Studien zu den Vorläufern und zur Rezeption
des Florentiner Neuplatonismus

Internationales Symposium in Wien, 25.–27. Oktober 2007

Herausgegeben von
Maria-Christine Leitgeb, Stéphane Toussaint
und Herbert Bannert
Vorgelegt von w. M. KURT SMOLAK in der Sitzung am 13. März 2009

Herstellung:
Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein
Layout: Andrea Duchac
Bildbearbeitung: Elisabeth Klecker, Herbert Bannert

Die verwendete Papiersorte ist aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff


hergestellt, frei von säurebildenden Bestandteilen und alterungsbeständig.

Alle Rechte vorbehalten


ISBN 978-3-7001-6600-9
Copyright © 2009 by
Österreichische Akademie der Wissenschaften
Wien
Druck: Druckerei Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H., 3580 Horn
http://hw.oeaw.ac.at/6600-9
http://verlag.oeaw.ac.at
Inhalt

Vorwort ....................................................................................................... 9
Arbogast S c h m i t t (Marburg), Symmetrie im Platonismus und in der
Stoa. Ein antiker Gegensatz und seine Nivellierung in der Renaissance 13
Eugen D ö n t (Wien), Plotins Schrift Über das Schöne (1, 6). Nachge-
danken zu Ficino .................................................................................... 51
Maria - Christine L e i t g e b (Wien), ,Die Bühne des Lebens‘ – conditio
humana bei Plotin .................................................................................. 59
Kurt S m o l a k (Wien), O beata trinitas. Überlegungen zu den trinitari-
schen Hymnen des Marius Victorinus ................................................... 75
Thomas R i c k l i n (München), Marsilio Ficino und Diogenes Laërtius.
Von der mitunter beachtlichen Tragweite scheinbar banaler Neuver-
schriftlichungen ..................................................................................... 95
Kurt S i e r (Leipzig), ,Dämonische Vermittlung‘. Plotin zwischen Platon
und Ficino .............................................................................................. 121
Stéphane T o u s s a i n t (Tours - Lucca), Ficino und das Dämonische ...... 137
Elisabeth von S a m s o n o w (Wien), Psychoakustische Camouflage.
Neuplatonismus und orientalische Philosophie ..................................... 147
Sergius K o d e r a (Wien), Ingenium: Marsilio Ficino über die mensch-
liche Kreativität ..................................................................................... 155
Christine H a r r a u e r (Wien), Marsilio Ficino und der Mythos vom
Menschen ............................................................................................... 173
Paul Richard B l u m (Loyola College, Baltimore), Epistemological
Aspects of Ficino’s Platonic Theology .................................................. 189
Franz R ö m e r (Wien), Neuplatonische Sphärenmusik in panegyrischem
Kontext .................................................................................................. 199
Richard H e i n r i c h (Wien), Aroma, Bild, Erinnerung. Zum Platonismus
in Marcel Prousts Ästhetik .................................................................... 207
Elisabeth K l e c k e r (Wien), „All reality is iconoclastic“. C. S. Lewis, A
Grief Observed (1961) als platonische Trostschrift ............................... 225

Register ....................................................................................................... 241


CARMEN GRATVLATORIVM
DIE XVII. MENSIS MAI
EVGENIO DÖNT
QVI
ID IPSVM QVOD EST PVLCHRVM
DILIGIT AMAT DESIDERAT
ALVMNIS EDISSERIT
OSTENDIT AMICIS
NEC NON
EVGENI VXORI
OBLATVM
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–––––––––––
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Hanc de Vnius intuitione dubitationem movere
non auderem nisi collato celeberrimo illo hymno
rj gvediano X 129, quem vernacule vertit K. F. Geldner:
2c. !n"d av!támj svadháy! tád ékamj
7. iyámj vísrj sj tj ir yáta !babh# va yádi v! dadhé yádi v! ná $
yó asy!dhyaksj ahj paramé víoman só angá veda yádi v! ná véda $$
2. Es atmete nach seinem Eigengesetz ohne Windzug dieses EINE.
7. Woraus diese Schöpfung sich entwickelt hat, ob er sie gemacht hat
oder nicht – der der Aufseher dieser (Welt) im höchsten Himmel ist, der
allein weiß es, es sei denn, daß auch er es nicht weiß.
Vorwort

Der vorliegende Band versammelt die Ergebnisse und, in zum Teil erheblich
erweiterter Form, die Vorträge, die vom 25. 10. – 27. 10. 2007 bei dem vom
Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein der Universität Wien,
der Kirchenväterkommission und der Kommission für antike Literatur und
lateinische Tradition der Österreichischen Akademie der Wissenschaften als
Abschluss des vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
(FWF) geförderten Projekts „Kommentar zu Marsilio Ficino, De amore“ veran-
stalteten Symposium gehalten wurden.
Den Schwerpunkt der Vorträge und Diskussionen bildete die Vielzahl von
Themen naturwissenschaftlichen, medizinischen, astrologischen, mythologi-
schen, ja magischen Charakters, die in den Schriften des Florentiners begegnen.
Die Wirkung, die von seinem Werk für das philosophische Denken ausgeht,
erklärt sich aus der Vielseitigkeit, mit der der Autor das Vorgefundene, nahezu
die gesamte ihm vorausliegende philosophische und wissenschaftliche Literatur
behandelt – Ficino ist Philosoph, Theologe und Arzt in einer Person –, und aus
der Aktualität der Fragestellung.
Einige dieser Verbindungen, und darüber hinaus oft auch nicht vermutete
Weiterführungen von Ficinos Denken, wurden von den Vortragenden heraus-
gearbeitet und ergaben sich zusätzlich durch den zeitlichen Ablauf des Sym-
posiums. Die Vorträge befassten sich mit den philosophischen Vorläufern und
den Quellen Ficinos, mit der Philosophie Platons und dem neuplatonischen Den-
ken Plotins (Arbogast Schmitt, Eugen Dönt, Maria - Christine Leitgeb, Kurt Sier,
Elisabeth von Samsonow, Thomas Ricklin, Kurt Smolak), mit der Interpretation
von Ficinos Schriften selbst (Christine Harrauer, Stéphane Toussaint, Sergius
Kodera, Paul Richard Blum), und schließlich mit gelegentlich an überraschen-
den Orten begegnender Rezeption platonischen Denkens in Texten der Neuzeit
(Franz Römer, Elisabeth Klecker, Richard Heinrich).
,Symmetrie und Schönheit‘ lautet der Titel von Arbogast Schmitts Beitrag.
Der Autor befasst sich darin mit Plotins Kritik an hellenistischen Proportions-
lehren und ihrer Wirkungsgeschichte im Mittelalter und der frühen Neuzeit.
Ausgehend von Plotins Enneade 1, 6 (,Über das Schöne‘) entwickelt Schmitt
eine umfassende Studie über den Begriff des Schönen in seinem platonischen
und nachplatonischen Kontext.
10 Vorwort

Die plotinische Metaphysik des Schönen, die zur unbedingten Voraussetzung


für Ficinos Ästhetik wird, untersucht Eugen Dönt in seinen ,Nachgedanken zu
Ficino‘. Plotins Werk kann als Bericht über einen persönlich erlebten Mythos
gelesen werden, als der ihm die Philosophie Platons erscheint. Schönheit verkör-
pert sich für Plotin zwiefach, in seiner eigenen Beschäftigung mit Philosophie,
und durch sein Schreiben, das wiederum persönlich empfundene Schönheit
hervorbringt, denn im Schönen ist das Gute, Vollkommene wirklich anwesend,
und das Schöne ist für den Menschen die einzige ihm zugängliche Weise, einen
– freilich nur äußerst geringen – Anteil an Ewigkeit zu erlangen.
Muss der Versuch jeglicher Theodizee unbedingt scheitern? Der Beitrag von
Maria-Christine Leitgeb bringt eine Gegenüberstellung der geradezu konträren
Auffassungen von Gott und Welt bei Kant und Plotin und den sich daraus
ableitenden Konsequenzen für die conditio humana.
Die Prosahymnen des Rhetors und Neuplatonikers Marius Victorinus (4. Jh.)
sind in der lateinischen Literatur in formaler Hinsicht einzigartig. Kurt Smolak
zeigt in seinem Beitrag, dass sie als Abschluss der vier gedanklich und sprach-
lich höchst anspruchsvollen Bücher gegen den Arianismus (Adversus Arium)
eine einprägsame, vielleicht von christlicher Hymnodik aus dem griechisch-
syrischen Raum indirekt beeinflusste Form der orthodoxen Christologie bzw.
Trinitätstheologie in platonisierenden Denkschemata bieten, die zwischen
lyrischer Meditation und rationalistisch-logischer Dogmatik schwankt. Die drei
Hymnen umrahmen zusammen mit den drei fingierten Briefen, die dem Werk
als Praefatio vorangestellt sind, die zentralen vier Bücher und deren kurze
Appendix in Prosa (De homousio recipiendo). Der lyrisch getönte Schluss des
Corpus könnte einer theologisch-platonisierenden Tradition entsprechen, wie sie
in dem Gebet des zur hermetischen Literatur zählenden lateinischen Asclepius
vorliegt. In einem Anhang werden simplere, symbolische Formen der Vermitt-
lung trinitarischer Theologie in der bildenden Kunst vorgeführt.
Der Beitrag des Münchner Mediävisten Thomas Ricklin befasst sich mit der
frühen Schaffensperiode Ficinos, die er als tendenziell eklektisch charakterisiert.
Ricklin weist Ficino als einen Leser des Diogenes Laërtius aus. Obgleich Ficino
dessen auctoritas unterdrückt, ist sein Frühwerk doch durchsetzt von direkten
Übernahmen und mit dem Original weniger identischen Neuverschreibungen
aus dem Liber de vitis philosophorum.
Kurt Sier geht in seinem Beitrag dem Begriff des <-@,R' und seiner
Bedeutung für das platonische und nachplatonische Denken nach. Figuriert das
Dämonische bei Platon noch als ,Funktionsbegriff‘, als dessen systematischer
Ort die von Platon eingeführte Kategorie des ,(*-T0 zu gelten hat, entfernt sich
Vorwort 11

die Dämonologie der Platoniker immer mehr von dem von Platon intendierten
<-@,R'-Konzept, das stets auch ein Ineinander von Theologie und Anthropo-
logie beschreibt. Erst in Plotins Traktat 3, 4 (,Über den Genius, der uns erloste‘)
erhält das ursprünglich Platonische wieder Raum, auch dort ist <-@,R' wieder
,Funktionsbegriff‘ und als solcher von philosophischem Interesse.
Ficinos Begriff des Dämonischen steht im Zentrum der Betrachtungen von
Stéphane Toussaint. ,Dämo-Anthropologie‘ ist das Schlagwort, unter dem
Toussaint seine Studie über das Spannungsfeld zwischen dem Wirken der
Dämonen und der Autonomie des Menschen subsummiert. Insofern, als Ficino
mit dem Dämonischen im Menschen seine Möglichkeit zur Bindung an
Höheres, Geistiges bezeichnet, bedeutet es viel mehr eine Ausweitung des
Individuums als eine Einschränkung.
Elisabeth von Samsonow beschäftigt sich mit den orientalischen Bezügen
neuplatonistischer Dämonologie bei Ficino. Sie konstatiert, dass Ficino erst
durch die ,Abarbeitung seiner orientalischen Position‘ zu seiner Philosophie der
mens gelangt.
Der Wiener Philosoph Sergius Kodera widmet seinen Beitrag Ficinos
Begriff von Kreativität. Unter Kreativität versteht der Verfasser ein von der
Seele gelenktes Wachstum, das zugleich die mentale und die physische
Verfasstheit der erschaffenen Dinge strukturiert. Im kreativen Akt verändert der
Erschaffende nicht nur die Oberfläche, sondern das Wesen, d. h. auch die Sub-
stanz eines Dings.
Christine Harrauers philologisch-philosophische Auseinandersetzung mit
Ficinos Übersetzung und Interpretation des Corpus Hermeticum, das er unter
dem Titel ,Pimander‘ veröffentlicht hat, zeigt die Diskrepanz zwischen christli-
chem und platonischem Denken, die geradezu als grundsätzlich für das Werk
des Renaissance-Philosophen angesehen werden muss. Ch. Harrauer belegt ihre
These mit zahlreichen Beispielen aus der zum Teil höchst interpretativen Über-
setzung des Corpus Hermeticum durch Ficino.
Paul Richard Blum deckt Ficinos mitunter suggestive und wenig stringente
Argumentationsweise in den metaphysischen Belangen seines philosophischen
Hauptwerks, der Theologia Platonica, auf und erläutert sie in ontologischer und
erkenntnistheoretischer Hinsicht.
Der Beitrag von Franz Römer kann als Beleg für das breite Spektrum der
direkten und indirekten Wirkkraft von Ficinos Thesen bis in das 18. Jahrhundert
gelesen werden: Dichtung ist höchste Form von Musik. Diesen Grundsatz
Ficinos setzt der Jesuit Engelbert Bischoff um in seiner Gratulationsschrift
12 Vorwort

(Regium majestatis et amoris epithalamium), die er 1699 anlässlich der Hochzeit


des Habsburgers Josef I. mit Amalia Wilhelmine von Braunschweig-Lüneburg
verfasst hat.
Von welcher Art ist der Platonismus in Marcel Prousts ,Recherche‘ und kann
man einen solchen überhaupt ausmachen? Diese Frage wirft Richard Heinrich
in seinem Beitrag auf. Nicht etwa eine Variante des sich im Laufe der Philo-
sophiegeschichte entwickelten Platonismus versucht der Wiener Philosoph
aufzuspüren, es geht ihm um Grundsätzlicheres: um die mitunter aggressive
Auseinandersetzung Proust’s mit den Inhalten der platonischen Philosophie und
Tradition. Als eindeutig platonisches Motiv begreift R. Heinrich den in Prousts
Werk immer wiederkehrenden Topos von der ,Sehnsucht nach dem Bild‘, der
als ein Grundzug von Platons ,Philosophie der Erinnerung‘ ausgewiesen wird.
Elisabeth Klecker zeigt in ihrer Studie zu C. S. Lewis’ (1898 – 1963) Text
,A Grief Observed‘, dass dieser vor allem als platonische Trostschrift gelesen
werden muss. Philosophische und christliche Jenseitsvorstellungen lösen ein-
ander ab, bedingen einander und verschmelzen miteinander zu Lewis’ eigener
Sicht auf die Welt. E. Klecker gelingt es, die Bedeutung Platons für das Denken
von C. S. Lewis herauszuarbeiten.
Die Vorträge werden in zum Teil geänderter und mit den nötigen Belegen
versehener Form veröffentlicht. Herzlicher Dank geht an die veranstaltenden
Organisationen für die Gestaltung des äußeren Rahmens für das Symposium, an
die Herausgeber der Wiener Studien für die Aufnahme des Bandes in die Reihe
der Beihefte der Wiener Studien, und an die Österreichische Akademie der
Wissenschaften für die Übernahme der Publikation in ihren Verlag.

Wien und Lucca, am 19. Oktober 2008

Maria-Christine Leitgeb Stéphane Toussaint Herbert Bannert


WIENER STUDIEN, Beiheft 33, 13 – 50
© 2009 by Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien

Arbogast Schmitt (Marburg)

Symmetrie im Platonismus und in der Stoa


Ein antiker Gegensatz und seine Nivellierung in der Renaissance*

(1.) Problemstellung
Plotin macht in seiner wohl berühmtesten Enneade, der kleinen Schrift Über
das Schöne, gleich zu Beginn eine irritierende Aussage.1 Er lehnt die, wie er
sagt, allgemein geteilte Auffassung ab, Schönheit beruhe auf dem Zusammen-
stimmen der Teile untereinander und zum Ganzen, ja er bestreitet grundsätzlich,
dass Schönheit in symmetrischen Maßverhältnissen bestehe:
„Es wird ja wohl beinahe von allen behauptet, die Symmetrie der Teile unter-
einander und zum Ganzen, dazu noch eine angenehme Farbgebung, bewirke für
das Auge "den Eindruck# der Schönheit. Dass etwas schön ist, beruhe bei den
Gegenständen des Auges und auch bei allen anderen Dingen auf Symmetrie und
Maß.“ (1, 6, 1, 20 – 25).2
Die Ablehnung dieser Erklärung, wie der Eindruck von Schönheit zustande
komme, durch Plotin ist doch verwunderlich, denn Platon und Aristoteles haben
die Bedingungen von Schönheit mit beinahe gleich lautenden Formulierungen
–––––––––––
* Dieser Beitrag ist eine erweiterte Fassung eines früheren Aufsatzes: ,Symmetrie und
Schönheit. Plotins Kritik an hellenistischen Proportionenlehren und ihre unterschiedliche
Wirkungsgeschichte in Mittelalter und früher Neuzeit‘, in: Neuplatonische Ästhetik. Zur
Transformationsgeschichte des Schönen, hg. von Verena Olejniczak Lobsien und Claudia
Olk, Berlin - New York 2007, 59 – 84.
1
Die folgende Untersuchung konzentriert sich auf diesen Beginn, d. h. vor allem auf die
Frage, was die ‚Bedingungen der Möglichkeit‘ der Erfahrung und Erkenntnis sinnlicher
Schönheit sind. Plotins Verhältnis zur sinnlichen Schönheit im Allgemeinen hat Miles
(1999) umfassend dargestellt und ihre Relevanz für den Aufstieg zum Intelligiblen auch
bei Plotin herausgearbeitet. Für eine Deutung der Begründung der sinnlichen Schönheit in
der intelligiblen Schönheit des Geistes siehe die grundlegende Interpretation bei Beier-
waltes (2002), v. a. 53 – 70 (die bibliographischen Angaben sind im Literaturverzeichnis
am Ende des Beitrags zusammengestellt; s. u. S. 48 – 50).
2
Alle Übersetzungen griechischer oder lateinischer Texte in diesem Beitrag sind eigene
Übersetzungen des Verf. Platon, Aristoteles und Plotin werden in allen Editionen nach
einem einheitlichen Standard zitiert. Die im Literaturverzeichnis genannten Ausgaben
machen daher nur einen Benutzungsvorschlag, man findet über dieselbe Stellenangabe
das Zitat in allen anderen Ausgaben.
14 Arbogast Schmitt

beschrieben. Im Phaidros sagt Platon von einer schönen Rede, sie müsse wie ein
lebendiges Wesen gebaut werden, mit einem eigenen Körper für sich selbst, so
dass sie weder ohne Kopf noch ohne Füße ist, sondern eine Mitte und Enden hat,
so verfasst, dass sie zueinander und zum Ganzen passen (Phaidros 264c). Am
Ende des Philebos fasst er eine lange Diskussion sogar mit der ausdrücklichen
Feststellung zusammen: „Das "richtige# Maß und die Symmetrie bringen doch
wohl überall Schönheit und Vollkommenheit mit sich.“ (Philebos 64e).
Aristoteles hat diese Lehrmeinung übernommen und zur Grundlage seiner
Anforderungen an gute Dichtung gemacht. Er gründet den Kunstcharakter einer
Dichtung geradezu darauf, dass sie eine ganze und vollständige Handlung mit
Anfang, Mitte und Ende darstellt, damit sie wie ein lebendiges Wesen als ein
einheitliches Ganzes das einer Dichtung eigentümliche ästhetische Vergnügen
bewirkt (Poetik 1459a18 – 21; siehe ähnlich 1451a30 – 35).
Auch bei Aristoteles gibt es die grundsätzliche Feststellung, dass Ordnung,
Symmetrie und das bestimmte Maß die wesentlichen Bedingungen von Schön-
heit seien, wie es ganz besonders bei den mathematischen Wissenschaften offen-
bar werde (Metaphysik 1078a36 – b2).
Dass Plotin diese platonisch-aristotelische Lehrmeinung kritisieren wollte, ist
unwahrscheinlich. Er verstand seine Lehre insgesamt ausdrücklich lediglich als
eine erklärende Auslegung Platons, nicht als einen Neuansatz. In dieser Schrift
Über das Schöne hält er sich zudem, wie in der Forschung gut gezeigt ist,3 fast
ganz an Platonische Lehrstücke. Der erste Anfang dieser Schrift, zu dem die
Ablehnung der Symmetriethese gehört, ist in Analogie zu einer Argumentation
aus dem Großen Hippias (v. a. 287c – 289b; 297e – 298b) angelegt.
Tatsächlich kritisiert Plotin an dieser Stelle nicht einen platonischen oder
aristotelischen Schönheitsbegriff, sondern, wie schon Friedrich Creuzer in seiner
Ausgabe von 1814 vermerkt hat, eine vor allem von der Stoa vertretene Posi-
tion.4 Plotin selbst schreibt sie einfach dem mainstream seiner Zeit zu und hat
damit wohl in zweifacher Hinsicht Recht; einmal, weil er zwar am Ende, aber
doch noch in einer Zeit lebt, in der die hellenistischen und vor allem stoischen
Schulen die allgemeinen Diskurse dominieren, dann aber auch, weil es eine Be-
sonderheit gerade dieser hellenistischen Schulen ist, dass sie den common sense
auf den Begriff gebracht haben.
Diese historisch richtige Erklärung macht die Frage aber nötig, was denn der
Unterschied der beiden – platonisch-aristotelischen und hellenistisch-stoischen –
Positionen ist, die im bloßen Wortlaut voneinander kaum zu unterscheiden sind.
Eine erste und auch fundamentale Antwort kann leicht gefunden werden. Die
–––––––––––
3
Siehe schon Harder (1956), 368.
4
Creuzer (1814), 148: Haec sententia fuit Stoicorum.

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