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Universität-Gesamthochschule Paderborn

Grundseminar Alte Geschichte


Tacitus - Kleine Schriften
Sommersemester 1995
Prof. Dr. D. Flach

TACITUS : GERMANIA
Die Darstellung der vita publica der
germanischen Volksstämme
(Kapitel 6-15)

Oliver Sieren
7. Sem LSII
Geschichte, Anglistik
Lauensteinweg 1
33100 Paderborn
Inhaltsverzeichnis

1.0 Einführung ................................................................................. 3

2.0 Der Forschungsstand zur Germania ............................................... 4

3.0 Der Aufbau der Germania ............................................................. 7

3.1 Waffen und Waffenkampf (Kapitel 6) ............................................. 7

3.2 Führerschaft, Könige und Kampfweise (Kapitel 7) ........................... 9

3.3 Die germanischen Frauen (Kapitel 8) ........................................... 10

3.4 Die Religion (Kapitel 9/10) .......................................................... 12

3.5 Die Volksversammlung und das Gerichtswesen (Kapitel 11/12) ....... 14

3.6 Die Wehrhaftmachung und die Gefolgschaft (Kapitel 13-15) ........... 17

4.0 Zusammenfassung .................................................................... 22

5.0 Bibliographie ............................................................................. 24

2
1.0 Einführung

Schon seit Jahrzehnten ist das Werk De Origine et situ Germanorum immer
wieder ein Thema, mit dem sich die Forschung befaßt hat. Geschrieben wurde es
in der ersten Hälfte des Jahres 98 n. Chr. von Publius Cornelius Tacitus, der mit
dieser Abhandlung über das Volk der Germanen verschiedene Dinge zu erreichen
versuchte. Die Germania ist ein ethnographisches Werk, welches mit dem
Anspruch geschrieben wurde, sowohl die Gemeinsamkeiten, als auch die
Unterschiede zwischen Römern und Germanen aufzuzeigen. Es ist überraschend,
daß Tacitus versucht, durch die Beschreibung der Wertvorstellung eines
angeblich barbarischen Volkes der fortschreitenden Dekadenz des römischen
Volkes entgegenzuwirken.
Aber auch wenn eben diese moralischen Kommentare im Text einen erheblichen
Stellenwert einnehmen, so sind sie dennoch nicht die Hauptaufgabe.1
Neben dem erwähnten moralischen Kommentar ist aber eine zweite, wenn auch
nicht so deutliche, Komponente im Text zu erkennen; es handelt sich hierbei um
eine Art politischen Kommentar. Auch hier ist es abermals wichtig, sich die
politische Situation Roms vor Augen zu halten. Der Hauptgrund für Tacitus, die
Germania zu schreiben, war, den Bürgern Roms die andauernde Bedrohung des
römischen Friedens durch die Germanen aufzuzeigen. Die Tatsache, daß, als
Nervas Tod bekanntgegeben wurde, sich Trajan mit der römischen Armee am
Rhein befand und eben dieser keine Anstalten machte, nach Rom
zurückzukehren, könnte möglicherweise zwei Gründe gehabt haben. Entweder
stand Trajan kurz vor der Durchführung eines Feldzuges gegen die Germanen,
oder aber die Situation war zu gefährlich, als daß er hätte nach Rom reisen
können.2
Diese zwei Blickrichtungen sind nicht weiter verwunderlich, gehörten sie doch zur
damaligen Zeit zur natürlichen Sichtweise eines jeden Römers. Somit war es also
auch für Tacitus nicht weiter verwunderlich, Kommentare hinsichtlich moralischer
und politischer Belange in seinem Werk zu verankern.

1
Vgl. Martin, R. (1981) Tacitus, 49
2
Vgl. Martin, R. (1981) Tacitus, 50

3
Neben den oben genannten Punkten ist die Erwähnung eines weiteren Punktes
von großer Bedeutung. Literarisch betrachtet ist die Germania eine
ethnographische Einzelschrift. Diese ist zudem die erste zusammenhängende
Beschreibung eines fremden Volkes.3 Ethnographische Darstellungen gab es
zwar auch zu Lebzeiten des Tacitus, aber sie waren keine selbständige
literarische Gattung. Dessenungeachtet folgte sie einer eigenen Tradition und
Struktur, die sich durch römische und griechische Schriften herausgebildet hatte.
Es gab, neben den zwei Hauptthemen Ort und Menschen, immer auch einige
Themen, die üblicherweise behandelt wurden. Dazu zählten Geographie, Klima,
Bodenschätze, Landwirtschaft, Erscheinungsbild und Herkunft der Einwohner und
ihre soziale Organisation (sowohl zu Kriegs- als auch in Friedenszeiten).4 Diese
“Vorgaben” bestimmen in den ersten Kapiteln (1-27) zu einem großen Teil die
Vorgehensweise des Autors. Im zweiten Teil (27-46), der sich mit den einzelnen
germanischen Stämmen befaßt, folgt Tacitus dann einer eigenen Linie.

2.0 Der Forschungsstand zur Germania

In der Forschung hat es immer wieder verschiedene Ansätze gegeben, wie die
Germania des Tacitus zu gliedern sei. Die Analyse wird durch die Technik, die
Tacitus verwendete, zusätzlich erschwert. Diese Technik dient nicht nur dazu,
eine Anzahl erzählenswerter Tatsachen miteinander zu verknüpfen, sondern ein
kunstvolles Gesamtbild zu erzeugen. Bei der ersten Betrachtung allerdings
verschleiert diese Methode die komplexe Anordnung der zusammengehörigen
Teile.
Auf den ersten Blick läßt sich der Text in zwei große Hälften aufteilen. Die erste
Hälfte umfaßt die Kapitel 1 bis 27, die neben der Landesbeschreibung (1-5) auch
die vita publica (6-15) und die vita privata (16-27) enthält. Die zweite Hälfte umfaßt
demnach die Kapitel 28 bis 46, die einen Aufriß der verschiedenen germanischen
Volksstämme beinhaltet.

3
Vgl. Lund, A. (1988) P. Cornelius Tacitus, Germania, 17
4
Vgl. Martin, R. (1981) Tacitus, 50

4
Trüdinger5 folgt dieser Unterteilung und stellt den überleitenden Charakter von
Kapitel 8 klar heraus, indem er betont, daß das Kapitel 8.2 abschließende deas in
Kapitel 9.1 durch das einleitende deorum wieder aufgenommen wird.
Gleitende Kapitelübergänge wurden auch von Norden6 erkannt und
herausgestellt. Für ihn waren solche Übergänge bei den Kapitel 4/5, 8/9, 17/18,
20/21, 21/22 und 24/25 deutlich erkennbar.
Ein sehr außergewöhnlicher Ansatzpunkt läßt sich bei Wolff7 erkennen. Seiner
Auffassung nach war der Kern der vita publica das Kapitel 9, das sich mit der
Religion der Germanen befaßt. Um dieses Zentrum herum befinden sich zwei
etwa gleich große Abschnitte mit jeweils 3 Kapiteln: die res militaris (6-8) und die
res civilis (10-12) mit der Beschreibung der Auspizien, der Politik und des Rechts.
Daran schließt die Kapiteltriade 13 bis15 an, welche inhaltlich das Gefolgswesen
der Germanen erläutert.
Für Büchner8 ist die Germania eines der schönsten Zeugnisse des
architektonischen Sinnes der Römer und ihres Strebens nach harmonischer
Ausgewogenheit der Massen.9 Er trennt die einleitenden Kapitel 1 bis 4 vom
Haupttext ab und teilt diesen dann nach dem oben erwähnten Muster in zwei
Teile. Allerdings bewertet Büchner die Kernaussage in den beiden ersten Teilen
der ersten Werkhälfte anders. Für ihn gipfeln die Schilderungen in dem der virtus
geweihten Lebens: der Teil, der das öffentliche Leben behandelt, in der
Schilderung des germanischen Mannes im Gefolgswesen (13-14), der Teil, der
vom Privatleben spricht, in der Schilderung des Lebens der Frau in der Ehe (18-
19).10
Giancotti11 zufolge steht die Germania, ebenso wie der Agricola in der Tradition
12
von Sallusts Monographien. Unter diesem Gesichtspunkt ist dann demzufolge
auch der Titel De origine et situ Germanorum erklärbar, denn auch in anderen
ethnographischen Schriften von Sallust bis Cassiodor tauchen eben diese
umfangreichen Titel auf, wie zum Beispiel im Codex Leidensis Perizonianus: De

5
Trüdinger Karl (1918) Studien zur Geschichte der griechisch-römischen Ethnographie, Dissertation Basel
6
Norden, Eduard (1920) Die germanische Urgeschichte in Tacitus Germania, Leipzig und Berlin
7
Wolff, Erwin (1934) Das geschichtliche Verstehen in Tacitus Germania, Hermes 69, 121-166
8
Büchner, Karl (1955) Publius Cornelius Tacitus. Die historischen Versuche, Stuttgart, 49-76
9
Wille, G. (1983) Der Aufbau der Werke des Tacitus, 54
10
Vgl. Wille, G. (1983) Der Aufbau der Werke des Tacitus, 54
11
Giancotti, Francesco (1971) Strutture delle monografie di Sallustio e di Tacito, 231-341

5
origine situ moribus ac populis Germanorum liber.13 Als Quellen dürften Tacitus
neben Sallust, Livius und Cäsar ebenfalls auch die zwei Schriften Bella Germania
und Naturalis Historia von Plinius, dem Älteren gedient haben.
Giancotti unterteilt die erste Hälfte in zwei Teile, nämlich in Kapitel 1 bis 5 und 6
bis 27, wobei die ersten Kapitel keine Einleitung, sondern vollwertige Kapitel sind,
die Auskunft über Ursprung, Sitz und Grenzen des Landes geben. Die zweite
Hälfte steht beinah im gesamten Ausmaß in chiastischer Anordnung. Innerhalb
des zweiten Abschnitts werden die Kapitelpaare 9/10 und 11/12 von zwei
Kapiteltriaden 6 bis 8 und 13 bis 15 eingerahmt. Dabei sind die Einzelkapitel
jeweils durch Wortparallelen miteinander verbunden: 6,1 telorum ... 13,1 armati;
7,1 ex virtute ... 14,1 virtute und virtutem; 8,1 feminis ... 15,1 feminis.14 Auch
durch die Thematik des Inhalts läßt sich diese Struktur nachweisen. Sowohl die
Kapitel 6 bis 8, als auch die Kapitel 13 bis 15 befassen sich mit dem Kriegswesen
der Germanen. Diese sechs Kapitel bilden den Rahmen, in welchem dann
Religion und Volksversammlung erläutert werden. Die Religion nimmt allerdings
eine besondere Stellung ein. Sie bietet zu der Thematik des Kriegswesens und
der Politik ein Antiklimax.15

3.0 Der Aufbau der Germania


3.1 Waffen und Waffenkampf (Kapitel 6)

Als erste Gruppe des innerhalb des Kapitel 6 bis 15 umfassenden Abschnitts kann
man die Kapitel 6 bis 8 zusammenfassen, da sie sich inhaltlich alle mit dem
Militärwesen beschäftigen.
Die Überleitung von der Beschreibung der Bodenschätze zur Beschreibung der
Bewaffnung und des Militärwesens ist besonders interessant, da Tacitus an dieser
Stelle von der einleitenden Darstellung des Landes dazu übergeht, tiefer in die
Materie einzudringen. Scheinbar systematisch führt der Weg von dem Begriff der
Spärlichkeit argentum et aurum propitiine an irati di negaverint dubito (5.2), wie

12
Vgl. Wille (1983), 57
13
Vgl. Wille (1983), 58
14
Vgl. Wille (1983), 63
15
Vgl. Wille (1983), 64f

6
Büchner meint, assoziativ zum Initialstichwort dieses Kapitels ne ferrum quidem
16
superest.
Mit der Schilderung der Bewaffnung und dem Aufbau der Verbände und
Waffengattungen beginnt Tacitus den Bericht der vita publica. Wollf17 sagt dazu,
daß die Verbindung zwischen Boden und Waffen doch keineswegs so äußerlich
ist, wie es zunächst scheint. Eine verwandte Betrachtungsweise herrscht in beiden
Teilen. Wie dort eine gewisse Wohlhabenheit und Fruchtbarkeit zugegeben
wurde, aber der Mangel an höherer Kultur, die simplicitas gleich davon abgesetzt
wurde, so wird hier, formal umgekehrt, aber im gleichen Sinne von der Primitivität
der Kriegswerkzeuge die doch dem Zweck genügende, praktisch erfolgreiche
Handhabung abgehoben. Die Hauptwaffe eines germanischen Kriegers war die
framea - eine wahrscheinlich römische Bezeichnung. Im Gegensatz zu den
langen, breiten, mit hohem Mittelgrat versehenen Lanzenklingen der Latenezeit, in
der das Lanzenblatt bisweilen noch reich verziert oder an den Rändern mit
Ausschnitten versehen ist, sind die meist unprofilierten frühkaiserzeitlichen
Lanzenspitzen im Durchschnitt nur 20 cm lang, so daß sie - im Gegensatz zum
römischen Pilum - sowohl als Stoß- wie auch als Wurfwaffe gebraucht werden
konnte.
Schwerter waren bei den Germanen selten; die wenigen gefundenen Stücke
gehörten mit großer Wahrscheinlichkeit meist Führern, und nicht den einfachen
Kriegern. In den frührömischen Grabstätten von Ladenburg, Trebur und anderen
Orten, ebenso wie in den linksrheinischen Germanengräbern von Andernach oder
Weisenau, nehmen die gefundenen Schwerter im Vergleich zur framea nur einen
geringen Stellenwert ein.18 Ein möglicher Grund hierfür könnte die oftmals
schwere Panzerung der Römer gewesen sein. Hier war die Effizienz der framea
sehr viel höher als die eines Schwertes.19 Weiterhin trug jeder Soldat einen Schild
mit sich, der für ihn von besonderer Bedeutung war. Den Schild zu verlieren gilt
bei den Germanen als größte Schmach. Oftmals wurde dieser Verlust mit dem
freiwilligen Tod gesühnt. Im Originaltext heißt es: Et eques quidem scuto
frameaque contentus est. Allerdings zeigten Grabungen, daß in Reitergräbern, die

16
Vgl. Wille (1983), 66
17
Wolff (1934), 267
18
Vgl. Wilke, G. (1921) Archäologische Erläuterungen zur Germania des Tacitus, S. 31
19
Vgl. Much, R. (1937) Die Germania des Tacitus, S.85

7
durch Beigabe von Sporen eindeutig als solche zu erkennen sind, eine Anhäufung
von Schwertern.20
Das Ende des Absatzes der Waffenverbände über die Reiter und Pferde bereitet
den Weg für die Darlegung der Kampftaktik. Am Ende des Kapitels schlägt aber
diese Darlegung der Kriegstechnik um, und der Leser wird an die Kriegsmoral
herangeführt. Unter anderem besagt diese, daß die Gefallenen selbst nach einer
verlorenen Schlacht geborgen werden müssen.

20
Vgl. Wilke, G. (1921), S. 31

8
3.2 Führerschaft, Könige und Kampfweise (Kapitel 7)

Tacitus geht nach der Beschreibung der Bewaffnung und der Kampftechnik der
Germanen über zu der Schilderung der Heereszucht, und in diesem
Zusammenhang äußert er sich auch über das Königtum.
Besonders auffällig ist die starke Überlagerung der Themenkomplexe und ihre
strukturelle Verknüpfung miteinander innerhalb der ersten Kapiteltriade. Die
Kampfgesinnung, deren Beschreibung mit 6.4 beginnt, zieht sich durch das
gesamte Kapitel 7 hindurch, bis in das folgende Kapitel über die Frauen hinein.
Die Darstellung der Rolle der Frau erstreckt sich von 7.2 bis zum Ende des 8
Kapitels. Wobei die sakrale Bedeutung der Frau für die germanische
Gemeinschaft schon die Thematik der Kapitel 9 und 10 vorbereitet; auch die
Erwähnung der Priester in 7.1 hat die gleiche Funktion.
Die Initialstichworte reges und duces mit der sie auszeichnenden nobilitas und
virtutes stehen in starken Kontrast zum Ende des vorherigen Kapitels. Dort wurde
beschrieben, was demjenigen, der seinen Schild verliert von Seiten der
Gemeinschaft droht. Auch sind die Ausführungen über das Führertum und die
Adelsschicht eine logische Konsequenz aus dem vorher Gesagten. Nach dem
Soldaten folgt nun die Beschreibung der höheren Schicht.
Mit nur wenigen Worten berichtet Tacitus über die Wahl der Könige und der
Heerführer. Bei der Königswahl kommt es allerdings auf den Grad der Nobilität an,
was auf eine möglichst direkte Abstammung von früheren Königen oder
Volkshelden abzielt.21 Dennoch hebt Tacitus klar den Unterschied zum römischen
Imperium hervor. Die Könige besitzen bei den Germanen keine libera potestas,
und die duces verfügen über kein Imperium, wie in Rom. Sie zeichnen sich
gegenüber den anderen Stammesangehörigen nur durch ihr Vorbild und ihre
Tapferkeit aus. Ein Beispiel für einen respektierten Germanenführer ist Arminius,
22
der sich durch seine außerordentlich Tapferkeit in der Schlacht auszeichnete.
Im Text heißt es zwar, daß die Königswürde nicht erblich war, doch sollte man
davon ausgehen, daß in der Regel der älteste Sohn des Königs erbberechtigt war.
Trotzdem gab es immer eine Wahl, was durch reges sumunt dokumentiert wird.

21
Vgl. Lund, A. (1988), 134
22
Tac., Ann. 1,65: (Arminius) cum delectis scindit agmen

9
Ein weiterer Unterschied zu Rom liegt in der Disziplinargewalt des dux. Kann er in
Rom über Strafen, wie Tod, Schläge oder Fesselungen entscheiden, so ist bei
den Germanen diese Entscheidungsgewalt allein in die Hände der Priester
gelegt.23
Der Kampf ist für einen Germanen Inhalt seines gesamten Lebens. Aus diesem
Glauben heraus kann man sich erklären, warum der Kampf auch eine religiösen
Sache ist. Die Waffenverbände der Germanen bestehen nicht aus zufällig
zusammengekommenen Soldaten, sondern aus Sippen und Familien, wodurch
sie zu besonderer Tapferkeit angespornt werden. Neben diesem familiären
Zusammenhalt, der bestimmt auch eine Kontrollfunktion des Einzelnen darstellte,
waren aber auch die Frauen sanctissimi testes des Kampfes. Ihr Lob ist für den
Germanen nicht nur aus familiären Bindungen außerordentlich wichtig, sondern
auch aufgrund der religiösen Verehrung der Frau. Das Wirken der Religion ist
somit schon in diesem Kapitel überaus spürbar, auch wenn erst im Kapitelpaar
9/10 davon explizit die Rede ist.
Die Rolle der Frau und die Auswirkungen dieser Stellung auf das
gemeinschaftliche Leben ist die Hauptthematik des nächsten Textabschnittes.

3.3 Die germanischen Frauen (Kapitel 8)

Dieser Textabschnitt ist unter einem besonderen Licht zu betrachten, da es sich


hier um eine Passage handelt, welche unter normalen Gesichtspunkten keinen
eigenen Sinnabschnitt rechtfertigt. Es handelt sich bei diesem Kapitel vielmehr um
eine Art Interludium, welches inhaltlich eine Brücke zwischen dem
vorausgegangenen Kapitel und dem nachfolgendem Text bilden soll.
Der erste Teil des Textes führt folglich in erster Linie den Gedanken des
vorangegangenen Kapitels weiter fort. Zieht man feminarum ululatus ... hortamina
(7.2) mit acies inclinatas ... a feminis restitutas constantia precum (8.1)
zusammen, so kann man an dieser Stelle eindeutig die Verbindung erkennen.
Es ist weiterhin die Rede von der anspornenden Wirkung der Frauen auf die
Männer. Wenn Tacitus hier davon berichtet, daß Frauen die Krieger durch das
Entblößen der Brust wieder in den Kampf zurücktreiben, so bezieht er sich

23
Wolff (1934), 268

10
vermutlich auf die Schlacht von Aquae Sextiae (102 v. Chr.). Der Überlieferung24
zufolge griffen die Frauen dort aktiv in die Schlacht ein, als die kämpfenden
Männer zu fliehen begannen. Da es aber keinerlei weitere Quellen für ein solch
aktives Eingreifen gibt, ist es verwunderlich, daß von Tacitus der Plural quasdam
acies gebraucht wird.
Der zweite Abschnitt dieses Kapitels bereitet dann schon den Weg für die
nächsten zwei Kapitel vor. Tacitus geht nun im Folgenden dazu über, die
besondere Stellung der Frau innerhalb des Volksstammes darzulegen. Anhand
der Beispiele Veleda und Albruna weist er auf den Glauben der Germanen hin,
der besagt, daß den Frauen nicht nur die Sehergabe gegeben ist, sondern auch
etwas Heiliges in ihnen ist. Der äußerliche Zusammenhang dieses Abschnittes mit
dem vorherigen Kapitel kann hier durch sanctum (8.2) und sanctissimi testes (7.2)
hergestellt werden. Ebenso ist aber auch zu beachten, daß die religiöse Thematik
der Kapitel 9 und 10 vorbereitet wird.

24
Vgl Plut. Mar. 19

11
3.4 Die Religion (Kapitel 9/10)

Die Ehrerbietung der Götter war für die Germanen der wahrscheinlich
bedeutendste Punkt ihres Lebens, das auf eine göttliche virtus ausgerichtet war.
Timpe25 sagt, daß die Götterverehrung allerdings ein Teil der menschlichen Natur
und des Alltags sei. Aus diesem Grund würde die Religion kompositionell oder
inhaltlich auch keinen herausragenden Platz innerhalb des Textes einnehmen.
Bedenkt man allerdings die gesamte Komposition des Werkes und ihre inhaltliche
Verflechtung, so muß man zu dem Schluß gelangen, daß diese Ansicht nicht
haltbar ist. Wie schon oben erwähnt, kann man die Kapitel über die Religion und
die Götter als Zentrum der vita publica ansehen.
Der inhaltliche Zusammenhang dieser zwei Kapitel läßt sich nicht von der Hand
weisen; ist aber ebenfalls durch sich entsprechende Verknüpfungen im Text
nachzuweisen. Die erste Verflechtung läßt sich an den Hainen und Lichtungen
erkennen, welche sowohl in 9.2 als lucos ac nemora, als auch dann in 10.2 als
nemoribus ac lucis abermals auftauchen. Die zweite Zusammengehörigkeit läßt
sich an der semantischen Wortverwandschaft von vident (9.2) und observant
(10.2) festmachen.
Nach dem Initialstichwort deorum, das direkt auf das letzte Wort des vorherigen
Kapitels deas folgt, das abermals ein Zeichen für die deutliche Überlagerung der
Thematik der Kapitel ist, folgt zunächst eine Auflistung der Kultgötter. Die Götter
Wodan (Merkur), Donar (Herkules) und Zio (Mars) werden von Tacitus direkt auf
die römischen Götter übertragen. Die Gleichstellung der germanischen mit den
römischen Göttern beweist hier eine interpretatio Romana. Es ist in der Forschung
seit langem die gängige Meinung, daß Übereinstimmungen wie zum Beispiel das
äußere Erscheinungsbild Wodans mit dem römischen Bild des Merkur nicht von
der Hand zu weisen sind.26 Die Skala zur Übersetzung der Götternamen und ihrer
Funktion reicht bei Tacitus von der fast nahtlosen Identität funktionsgleicher
Götter, bis zu unübersetzbaren babarischen Potenzen.27 Ein Beispiel hierfür ist die
Erwähnung des Isisglaubens eines Teils der Sueben. Streng genommen dürfte er
erst zu einem späteren Zeitpunkt Erwähnung finden, da spezifische Riten

25
Vgl. Timpe, Dieter (1995) Romano - Germanica, Gesammelte Studien zur Germania des Tacitus, 97
26
Vgl Lurker, M. (1989), Lexikon der Götter und Dämonen

12
einzelner Volksstämme erst in den Kapiteln 30 bis 45 von Tacitus behandelt
werden. Eine mögliche Erklärung für die Hervorhebung an dieser Stelle könnte
sein, daß selbst für die damalige Zeit dieser Kult eine Ausnahmeerscheinung
gewesen ist. Allerdings erweckt die Isis-Verehrung dadurch, daß sie im
Zusammenhang mit den drei Hauptgöttern der Germanen genannt wird den
Eindruck, daß sie von besonderer Wichtigkeit ist. Nach der Überleitung durch
ceterum (9.2) ist dann die Sprache von den Kultstätten. Die Aussage, daß die
Germanen keine Tempel bauen, in welchen eine Götterverehrung stattfindet, ist
kein Zeichen für eine speziell germanische Eigenart. Ein solches Verhalten läßt
sich häufig auch bei anderen Naturvölkern beobachten, wie etwa bei den Kelten
oder den Vikingern.
Kapitel 10 schließt an den Inhalt des vorausgegangenen Kapitels an. Diese
Behauptung kann man durch die fortlaufende Nennung der sacerdos, der
precatus deos und der sacerdotes nachweisen. Es folgt nun eine Darstellung der
verschiedenen Vorhersageverfahren, welcher sich die Germanen bedienen.
Tacitus betont hierbei auspicia sotesque ut qui maxime observant (10.1). Im
Verlauf der Darstellung ist eindeutig eine Steigerung oder auch einer Hierarchie
der Orakel zu verzeichnen. Auf der untersten Stufe der Methoden steht das
Runen- oder Zweigorakel. Es folgen in aufsteigender Reihenfolge
Vorzeichendeutung auf der Basis von Vogelflug und Pferdebeobachtung (10.2).
Zur Vorhersage eines Krieges dient die Methode des Zweikampfes mit einem
Angehörigen des gegnerischen Stammes oder Volkes (10.3). Die Erwähnung der
Orakel in diesem Kapitel leitet abermals indirekt auf die Thematik des folgenden
Kapitels hin. Gilt es doch durch die Orakel die ungewisse Zukunft zu ergründen,
so ist die Volksversammlung oftmals die aus dem Ergebnis des Orakels
resultierende Handlung.

3.5 Die Volksversammlung und das Gerichtswesen (Kapitel 11/12)

Der zentrale Hauptgedanke, den Tacitus in dem nun folgenden Kapitelpaar


anspricht, ist das Hauptinstrument der politischen Verfassung der Germanen, die
Volksversammlung. Besonders auffällig ist, daß an dieser Stelle ein erwartetes

27
Vgl. Timpe (1995), 110

13
Initalstichwort wie etwa concilium völlig fehlt. An dessen Stelle treten eine Reihe
von Umschreibungen wie consultant, coeunt, constituunt, condicunt, conveniunt,
coeuntium und considunt.28 Hervorstechend ist ebenfalls die Tatsache, daß das
Kapitel stark durch Antithesen des Befehlens und Gehorchens geprägt ist. Diese
besagen, daß die bei den Volksversammlungen Anwesenden nicht nec ut iussi,
sondern ut turbae placuit erscheinen.
Auch hier ist die Überleitung vom letzten Kapitel leicht nachzuvollziehen, da die
oben angesprochenen Orakelbefragungen in der Regel während einer
Volksversammlung stattfinden. Kapitel 11 informiert den Leser neben Dauer und
Terminen (11.1) der Volksversammlung auch über ihren Ablauf (11.2). Wenn
keine dringenden Entscheidungen getroffen werden mußten, so versammelten
sich die principes mit ihren Begleitern zwei bis dreimal pro Jahr. Entschlüsse, die
keinerlei Aufschub zuließen, wurden in einem unverzüglich einberufenem Ding
beraten. Bei der Terminfestlegung für eine Volksversammlung waren aufgrund der
weit verbreiteten Art der Zeitrechnung Neu- und Vollmond von besonderer
Bedeutung.
Die Hauptaufgabe der Versammlung ist es über die künftigen politischen
Handlungen des Volkes zu beraten. Neben dieser Aufgabe dient sie andererseits
noch als oberste Gerichtsinstanz. Bei einer Versammlung wurde sowohl über die
minoribus rebus als auch die maiores rebus beraten. Inwieweit minoribus und
maiores voneinander abgegrenzt waren, kann nicht genau definiert werden. Zum
Beispiel sagt Much29, daß zum einen auch wichtige Entscheidungen allein von
den principes beschlossen wurden und, daß andererseits im Vorfeld nicht immer
alle Beratungspunkte festgelegt waren. Ein weiterer Streitpunkt liegt in dem Wort
princeps. Der Römer verband mit diesem Wort die führenden Männer des Staates
und des öffentlichen Lebens. Der Wortlaut hier im Text läßt einen ähnlichen
Schluß für die Germanen zu, folglich gehörten zu diesem Personenkreis dann
neben dem König auch Edelmänner und Kriegshelden. Diese Definition steht
dann aber im Gegensatz zu dem Begriff des princeps in Kapitel 7 der Germania.
Bei der Versammlung hatte jeder Mann das Recht, zu den Übrigen zu sprechen.
Auch wenn den Priestern eine gewisse Autorität gegeben ist (silentium ...

28
Vgl. Wille (1983), 82
29
Vgl. Much, R. (1937), 140

14
sacerdotes ... imperatur), so ist doch die Durchsetzungskraft des Einzelnen weit
aus wichtiger (suadendi magis quam iubendi potestate).
Es war nicht so sehr die hierarchische Stellung als vielmehr die
Überzeugungskraft des Einzelnen, die über die Resonanz auf seinen Vorschlag
entschied. Diese rangierte zwischen ablehnendem Murren und Beifallsgebärden
mit dem Schwert oder der framea, die laut aneinander geschlagen wurden.
Zusammenfassend kann man sagen, daß der Aufbau des Kapitels darauf
angelegt ist, den Leser den Gang eines germanischen concilium miterleben zu
lassen: von Vorbereitung, Einberufung, allmählichem Kommen der Teilnehmer,
Platznehmen, Schweigegebot, Reden bis zum Schlußbeifall. In diesen zeitlichen
Hergang sind die einzelnen Institutionen und Sitten, ihre innere Begründung und
Wertung eingebaut, und zugleich spüren wir einen dauernden, schwebenden
Bezug auf die römischen Institutionen.30
Nachdem im vorangegangenen Kapitel die Volksversammlungen erläutert wurden,
kommt Tacitus nun auf ein weiteres Recht eines jeden Germanen zu sprechen.
Neben der schon erwähnten Redefreiheit, die ein jeder besitzt und von der am
Ende des letzten Kapitels die Rede war, kann auf den Versammlungen auch
Gebrauch vom Klagerecht gemacht werden. In diesem Punkt unterschied sich die
germanische Volksversammlung am auffälligsten von der der Römer. Bezüglich
der Strafen besagt der Grundtenor, daß sie sich nach der Art des Verbrechens
richteten. Das die proditores et transfugae getötet wurden, ist bei einem
Kriegervolk, wie es die Germanen waren, sicherlich selbstverständlich. Diese
Überläufer und Verräter wurden an laublosen, knorrigen Bäumen (ahd.
wizipouma: der Strafbaum) aufgehängt. Auch bei den Römern war es Brauch, für
diese Strafen die den Göttern der Unterwelt geweihten Bäume, die arbores
infelices, zu benutzen. Sowohl das Erhängen, als auch das Ertränken galt nicht
nur bei den Germanen, sondern auch bei den Römern zu den entwürdigsten
Bestrafungen/Todesarten. Menschen, die auf eine dieser Weisen starben, hatten
auch keine Aussicht auf Frieden nach dem Tod. Ein Zeichen dafür sind die
gefundenen Moorleichen, welche zumeist gefesselt waren. Dieses sollte
verhindern, daß die Toten als Wiedergänger zurückkehren, um sich an den
Lebenden zu rächen.

15
Neben dieser obersten Gerichtsinstanz, die sich in erster Linie mit schweren
Verstößen gegen die Volksgemeinde beschäftigte, gab es allerdings auch noch
niedrigere Instanzen, wie etwa die Gaugerichte.
Durch die nachträgliche Spezifizierung sed et levioribus delictis pro modo poena
wird ein Decrescendo von Vergehen und Strafe gebildet.31
Die Erwähnung der principes am Ende des Kapitels schließt die Klammer, welche
am Anfang des Kapitels 11 - ebenfalls durch das Wort principes - geöffnet wurde.
Dieses ist erneut ein Beweis für die im Vorfeld genannte Zusammengehörigkeit
dieser zwei Kapitel.

3.6 Die Wehrhaftmachung und die Gefolgschaft (Kapitel 13-15)

Die Kapiteltriade 13 bis 15 hat strukturell eine ähnliche Funktion, wie das Wort
principes am Ende des vorangegangenen Kapitels. Ebenso wie dort eine
inhaltliche Klammer geschlossen wurde, so wird auch hier eine Klammer
geschlossen, die mit der Kapiteltriade 6 bis 8 geöffnet wurde. Abermals kann man
hier ein Zeichen für die inhaltliche Verknüpfung der Themen untereinander finden,
wobei an dieser Stelle die Verknüpfung nicht nur formal, sondern auch inhaltlich
geschlossen wird. Die erste Triade zu Beginn der vita publica behandelte das
Kriegswesen. Dieser Themenkomplex wird in den nun folgenden drei Abschnitten
wieder aufgegriffen. Diese Verzahnung der Kapitel drückt auch die
Abgeschlossenheit des ersten Werkteils wieder. Es folgt in den Kapiteln 16 bis 27
die Darstellung der vita privata der germanischen Volksgemeinde.
Betrachtet man nunmehr die Kapitel, so lassen sich diese in einem Verhältnis von
1:2 teilen. Kapitel 13 behandelt die Wehrhaftmachung und die Gefolgschaft.
Kapitel 14 und 15 sind thematisch miteinander verwandt, da sie die Gefolgschaft
weiter spezifizieren. Auffällig dabei ist allerdings, daß man das 13. Kapitel selbst
ebenfalls in einem Verhältnis von 1:2 unterteilen kann. Dabei beschreibt 13.1 die
Wehrfähigkeit und Wehrhaftmachung; 13.2 und 13.3 beinhalten Informationen
über die Gefolgschaft. Gleichfalls weist dieses Kapitel eine weitere Verzahnung
mit den zuvor behandelten Themen auf. Bis 13.2 ist im engeren Sinne immer

30
Wolff (1934), 270f
31
Wille (1983), 83

16
noch die Rede von der Volksversammlung. Die Wehrhaftmachung fand in der
Regel während einer Volksversammlung statt. Die Überreichung der zwei
Hauptwaffen, der framea und des Schildes, ist vergleichbar mit dem
mittelalterlichen Brauch der Schwertleihe. Ebenso ist aber auch eine Parallele
zum römischen Brauchtum zu erkennen. Im Alter von 17 Jahren bekam der
römische Junge die toga virilis verliehen und legte die purpurfarbene Knabentoga
ab. Bei den Germanen war dies nicht anders.
Der für wehrhaft erklärte Junge trat aus dem Schatten und der Obhut seines
Vaters und wurde ein gleichberechtigtes Mitglied des Volkes.
Allerdings unterscheiden sich römischer und germanischer Brauch in zwei
wesentlichen Punkten. Ist die toga virilis bei den Römern ein Zeichen oder Symbol
für den Frieden, so sind die framea und der Schild Symbole für den Kampf und
den Krieg. Der zweite Punkt ist, daß die Römer im Alter von 17 Jahren in die
Gemeinschaft aufgenommen wurden, wohingegen bei den Germanen die Reife
des Einzelnen über seine Wehrhaftigkeit und somit über die Aufnahme in die
Volksgemeinde entscheidet. Tacitus macht zwar zu diesem Punkt keine
genaueren Angaben, aber aufgrund von späteren nichtpoetischen Denkmälern
kann man das Mindestalter auf 15 Jahre festlegen.32
Die Worte ante hoc domus pars videntur, mox rei publicae betonen, daß erst
durch den Akt der Wehrbarmachung der junge Mann zum Mitglied des Staates
wird. Von nun an erhält der junge Krieger die gleichen Rechte und Pflichten eines
Erwachsenen. Die Worte suscipere tam inimicitias seu patris seu propinqui quam
amicitias necesse est (21.1) verdeutlichen und unterstreichen in diesem
Zusammenhang die neue Position des jungen Mannes nochmals. Allerdings wird
von Tacitus ein weiterer Punkt nicht angesprochen, der sich dennoch nachweisen
läßt. Oftmals galt ein neuer Waffenträger nach seiner offiziellen Aufnahme in den
Stamm noch so lange nicht als vollwertig, bis er sich durch eine “Heldentat”, zum
Beispiel das Erlegen eines Bären oder eines Ebers bewiesen hatte.33
Tacitus kommt am Ende des Kapitels auf das Gefolgswesen zu sprechen,
welches an eine Art von Treueverhältnis erinnert. Der Grund für diesen Bund ist
aus der Kultur und Lebensweise der Germanen abzuleiten. Zum einen waren die

32
Vgl. Mader, U.J. (1940), Sippe und Gefolgschaft bei Tacitus, 53
33
Vgl. Mader, U.J. (1940), 57

17
Germanen zum größten Teil Viehzüchter, und somit mußte die Herde von allen
bewacht und beschützt werden, war sie doch die Lebensgrundlage. Auf der
anderen Seite war aber auch das ganze Leben an sich auf die
Stammeszugehörigkeit und das daraus resultierende loyale Miteinander
ausgerichtet. Das römische Leben allerdings war gekennzeichnet durch Gesetze
und einen aufgeblasenen Beamtenapparat.
Betrachtet man das weite Feld der germanischen Gefolgschaft, so ist die erste
Frage, die man sich zu stellen hat, wie sie strukturiert war und wie weit sie
Auswirkungen auf das tägliche Leben hatte. Mader macht dazu zwei
grundlegende Aussagen. Zum einen hat die Familie, die den Führer stellte und
seine Ahnen auf die Götter zurückführen konnte den Kreis bestimmt weiter
gezogen, als der Gefolgsmann. Zum anderen war die Gefolgschaft kein starres
Gebilde, sondern eine von ursprünglichem Leben durchwachsene Einheit, in
welcher - der Situation nach abhängig - Zugeständnisse oder Abstriche gemacht
wurden.34 Ebenso wie die Sippe ist auch die Gefolgschaft streng hierarchisch
gegliedert. Der Führer nimmt bei einer Volksversammlung die Stellung des
Vertreters der ganzen Gefolgschaft ein. Auch in anderen Lebensbereichen
fungiert er als Vertreter des Verbandes. Der Eintritt in das Gefolge geschah aus
Freiwilligkeit, sobald man aber dem princeps den Eid geleistet hatte - illum
defendere, tueri [...] praecipuum sacramentum est (14.1) - war man diesem zu
absoluter Treue verpflichtet. Es wurde allerdings kein einseitiges Verhältnis
eingegangen. Zum Dank für den geleisteten Eid und die Treue machte der
Gefolgsherr seinem neuen comes ein Geschenk: exigunt enim principis sui
liberalitate illum bellatorem equum, illam cruentam victricemque frameam (14.2).
Durch eben dieses Geschenk wurde jeder Gefolgsmann formal auf die gleiche
Stufe mit allen anderen Gefolgsleuten gestellt. Dennoch sagt Tacitus aber auch
gradus quin etiam ipse comitatus habet iudicio eius quem secantur (13.2). In
Anbetracht des starken Familienzugehörigkeitsgefühls ist es allerdings nicht
verwunderlich, daß es bei der Verteilung der Ämter und Aufgaben immer zu einer
Bevorzugung der eigenen Familienangehörigen seitens des Führers kam. Mader35
bemerkt dazu, daß eine solche Favorisierung neben Rechten oft auch eine große

34
Vgl. Mader, U.J. (1940), 19
35
Vgl. Mader, U.J. (1940), 99

18
Zahl von Pflichten mit sich brachte. Es sei daher anzunehmen, daß mancher
comite nicht betrübt war über die Wahl eines anderen Mannes.
Im letzen Satz des Kapitels bringt Tacitus den Krieg zur Sprache. Diese
Themenstellung wird in Kapitel 14 durch cum ventum in aciem (14.1)
aufgenommen und fortgeführt. Somit bleibt die Gefolgschaft weiterhin die
Hauptthematik, wenn auch in diesem Textabschnitt eher die kriegerische Seite
beschrieben wird. Aus dem nun folgendem kann man zwei Hauptaussagen
heraus filtern. Erstens wird der Begriff der virtus erneut angesprochen und weiter
differenziert: turpe principi virtute vinci, turpe comitatui virtutem principis non
adaequare (14.1). Laut Müllenhoff36 ist das Wort adaequare ein Zeichen für den
vorherrschenden Wettstreit zwischen dem Führer einer Gefolgschaft und seinem
Gefolge. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang das germanische
Selbstverständnis des Wortes Ruhm. Tacitus beschreitet hier abermals den Weg
des Vergleichs zwischen Römern und Germanen. In Rom fiel der Ruhm einer
Schlacht oder eines Kriegserfolges einzig und allein dem Feldherrn zu und in
späterer Zeit dem Kaiser. Die Soldaten hatten daher keinerlei Anteil daran. Von
dieser Tatsache war allerdings die Moral innerhalb der Legionen oftmals betroffen,
welche nur mühsam aufrechterhalten werden konnte. Wenn man nun diese Stelle
der Beschreibung im Agricola37 vergleicht, so kann man den Eindruck bekommen,
daß sich der germanische Soldat seinem Herrn gegenüber so verhalte, wie es bei
den römischen Legionären wünschenswert wäre. Allerdings ist es auf der anderen
Seite fraglich, wie wahrheitsgetreu diese Schilderung des Ehrbegriffes ist und
inwieweit nicht illusorischer Idealzustand. Auch Müllenhoff38 spricht in diesem
Zusammenhang davon, daß diese Passage geprägt ist von poetischen und
rhetorischen Stilmitteln. Aus diesem Grunde fällt es dem Leser an dieser Stelle
schwer den Worten des Autors Glauben zu schenken.
Zweitens, daß, wenn es zu einer langen Kriegspause kam, plerique nobilium
adulescentium petunt, ultro eas nationes, quae tum bellum aliquod gerunt (14.2).
Diese hier geschilderte Rastlosigkeit scheint sich auf den ersten Blick von der

36
Vgl. Müllenhoff, K. (1900), Die Germania des Tacitus, 265
37
... nec Agricola umquam in suam famam gestis excultavit: ad auctorem ac ducem ut minister fortunam
referebat: ita virtute in obsenquendo, verecundia in praedicando extra invidiam nec extra gloriam erat.
nach: Städele, A., Agricola - Germania (Artemis & Winkler), 1991
38
Vgl. Müllenhoff, K. (1900), 265

19
Tapferkeit der Germanen abzuleiten, dennoch ist dieses in Frage zu stellen.
Much39 ist der Ansicht, daß es aus wirtschaftlichen Gründen oftmals gar nicht
möglich war, eine große Gefolgschaft mit allem Notwendigen zu versorgen.
Bedenkt man die Landesbeschreibung am Beginn des Textes, so ist diese These
durchaus nachvollziehbar. Der sehr pathetisch klingende Abschluß dieses
Kapitels pigrum quin immo et iners videtur sudore acquirere quod possis sanguine
parare (14.2) erscheint unter diesem Gesichtspunkt in einem sehr viel
realistischeren Licht.
Doch es gab auch andere Gefolgschaften, die sich während einer Friedensphase
nicht auf dem Weg machten, um bei anderen Völkern Krieg zu führen. Das letzte
Kapitel dieses ersten großen Abschnitts und zugleich Ende der vita publica befaßt
sich mit eben diesen Gefolgschaften. Kraggerud40 sagt, daß dieses Kapitel als
Übergangskapitel zwischen öffentlichem und privatem Hauptteil der ersten
Germaniahälfte fungiert.
Tacitus beschreibt in diesem letzten Kapitel der Triade einen Zustand, der für das
germanische Volk eher untypisch ist: die Zeit des Friedens. In diesem Zeitraum,
so die Aussage des Autors, begnügen sich die Germanen mit Müßiggang,
Schlafen und Essen. Dabei gilt, daß fortissimus quisque ac bellicosissimus nihil
agens.
Den Führern der Gefolgschaften werden in dieser Zeit der Erwerbslosigkeit
Geschenke seitens der comites gemacht. Diese auf den ersten Blick hin etwas
unvorstellbare Tatsache hat allerdings einen leicht verständlichen Hintergrund. Es
dürfte für den Vorsteher der Gefolgschaft beinah unmöglich gewesen sein, neben
seinen Pflichten als Repräsentant auch ein normales leben geführt zu haben, in
dem er sich um den Hof und sonstige Einkünfte gekümmert hat. Das Gefolge
übernimmt somit in der Friedenszeit die Aufgabe der Versorgung des Führers.
Es kommt aber auch vor, daß benachbarte Stämme Ehrengaben überreichen.
Auffällig hierbei ist, daß es sich bei diesen Geschenken, wie etwa electi equi,
magna arma oder phalerae torquesque abermals immer um Symbole des

39
Vgl. Much R. (1937),Die Germania des Tacitus, 163
40
Vgl. Kraggerud, Egil (1972), Verknüpfung in Tacitus Germania, Symbolae Osloenses 47, 7-35, 19

20
Kampfes und Krieges handelt. Der Schlußsatz iam et pecuniam accipere
41
docuimus ist laut Müllenhoff eine zeitgemäße politische Anspielung.

4.0 Zusammenfassung

Betrachtet man abschließend die gesamte Darstellung der vita publica der
germanischen Volksstämme, so fällt dem Leser sofort auf, daß es sich bei dem
vor ihm liegenden Werk um keine objektive und nüchterne Beschreibung von
Tacitus handelt. Er war vielmehr darum bemüht, dem römischen Volk eine Kultur
näher zu bringen, die der ihren so fremd war. Das es sich um keine objektive
Schilderung handelt, kann man sehr klar daran erkenne, daß Tacitus - ein
vollendeter Rhetoriker - sein Beschreibung wie ein literarisches Werk aufgebaut
hat. Neben stilistischen und rhetorischen Mitteln ist die inhaltliche Verzahnung des
Textes ein besonders ins Auge fallende Kennzeichen. Tacitus versuchte durch die
Interpretatio Romana dem Leser eine Hilfe zum Verständnis eines angeblich
barbarischen Volkes an die Hand zu geben. Immer wieder zeigt er
Berührungspunkte der zwei Kulturen auf, die auf den zweiten Blick hin gar nicht so
unterschiedlich waren. Die Ausführungen über die Religion der Germanen ist in
diesem Zusammenhang besonders herausragend. Tacitus weist hier den
Hauptgöttern der Germanen jeweils ein römisches Äquivalent zu. Wodan, den
Hauptgott der Germanen stellt er Merkur gegenüber; Donar ordnet er Herkules,
den Wohltäter der Menschheit zu. Durch diese Zuweisungen wollte der Autor
vielleicht den barbarischen Charakter der Germanen relativieren und dem Römer
den germanischen Mensch vor Augen führen. Auf der anderen Seite stellt er aber
auch deutlich die vorhandenen Unterschiede der beiden Völker klar heraus, wie
etwa die Disziplinargewalt des dux oder das Klagerecht eines jeden Germanen
während einer Volksversammlung.
Allerdings kommt es aufgrund dieser Gegenüberstellung auch an manchen
Stellen zu Fehlern oder falschen Interpretationen. Diese sind zum Beispiel in der

41
“Es ist Tacitus zunächst wieder nur um einen pointierten Schlußsatz zu tun, der aber zugleich einen
Stachel gegen seine eigenen Landsleute enthält. Vermutlich schwebte ihm auch hier die Unwürdigkeit
des Verhältnisses vor, das in einer für den Patrioten so beschämenden Weise in den verschlossenen
Perioden zwischen Römern und Germanen bestand, wo Kaiser wie Caligula und Domitian, statt die
Feinde mit den Waffen zu bekämpfen, den Frieden erkauften”. 280

21
Beschreibung des Gefolgswesen zu finden. Tacitus neigt an dieser Stelle zur
Übertreibung, wenn er die Germanen als faul und untüchtig beschreibt. Hierfür
gibt es aber auch Erklärungsansätze. In der Gesamtdarstellung erscheint dem
Leser die Lebensweise der Germanen oftmals als eine Art Idealzustand, der von
den Römern nicht erreicht wird. In der Forschung führt dieses zu der heute
allerdings überholten Theorie des Sittenspiegels. Man kann zwar davon
ausgehen, daß Tacitus bestimmt auch Moral- und Sittenverfall der Römer
aufzeigen wollte, aber dieses als Intention seines Werkes zu sehen wäre nicht
richtig.

22
5.0 Bibliographie

Büchner, K., Publius Cornelius Tacitus. Die historischen Versuche,


Stuttgart, 1955, 49-76
Giancotti, F., Strutture delle monografie di Sallustio e di Tacito,
in: Biblioteca di cultura contemporanea CVIII, 1971
Hachmann, R., Die Germanen, München 1971
Krogmann, W., Handbuch der Kulturgeschichte I1: Die Kultur der alten
Germanen, Wiesbaden 1978
Kraggerud, E., Verknüpfung in Tacitus Germania,
in: Symbolae Osloenses 47,1972
Lund, A. A., P. Cornelius Tacitus: Germania, Heidelberg 1988
Lurker, M., Lexikon der Götter und Dämonen, Stuttgart 1989
Martin, R., Tacitus, London 1981
Much, R., Die Germania des Tacitus, Heidelberg 1937
Müllenhoff, K., Die Germania des Tacitus: Deutsche Altertumskunde (Bd 4),
Berlin 1900
Norden, E., Die germanische Urgeschichte in Tacitus Germania, Berlin 1923
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Germania des Tacitus und zur altnordischen Überlieferung,
Heidelberg 1991
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Timpe, D., Romano - Germanica, Gesammelte Studien zur Germania des
Tacitus, Leipzig 1995
Trüdinger K., Studien zur Geschichte der griechisch-römischen Ethnographie,
Dissertation Basel 1918
Wilke, G., Archäologische Erläuterungen zur Germania des Tacitus,
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Wille, G., Der Aufbau der Werke des Tacitus, Amsterdam 1983

Wolff, E., Das geschichtliche Verstehen in Tacitus Germania,


in: Hermes 69, 1934, 121-166

23
Elektronische Datenbanken:

The WWW Virtual Library:


http://www.w3.org/pub/DataSources/bySubject/Overview.html
Universität Erlangen:
http://www.phil.uni-erlangen.de/2latein/ressourc/ressourc.html
Ancient World Web:
http://atlantic.evsc.virginia.edu/julia/AncientWorld.html
Perseus-Projekt:
http://www.perseus.tufs.edu

Historische Textarchive:
http://www.msstate.edu/Archives/History/index.html
http://www.public.iastate.edu/lng_info/Classics/ressources.html
http://the-tech.mit.edu/Classics

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