Seite 346 · Nummer 14 · Holz-Zentralblatt Aus der Forschung Freitag, 4.

April 2014

Bambus systematisch prüfen

Vergleichbare Prüfmethoden wie für den Holzbau verwendbar
Von M.Sc. B.Eng. Sebastian Schulz*, M. Eng. Dipl.-Ing. (FH) Konrad Feuchtegehalt während des Einbaus
und späterem Schwund durch Trock-
Solbrig**, Prof. Dipl.-Holzwirtin Katja Frühwald**, Lemgo nung resultieren. Weiterhin wird durch
das Füllen mit Mörtel zusätzliche
Wissenschaftliche Arbeiten an der Hochschule Ostwestfalen- Feuchtigkeit eingebracht.
Da sich bei den traditionellen Verbin-
Lippe zeigen, dass in Tragwerken aus Bambus vergleichbare dungen durch die stetigen Belastungen
Prüfmethoden wie für den Holzbau verwendet werden können. schnell Verschleißerscheinungen zeig-
Auf den ersten orientierenden Untersuchungen aufbauend sind ten, mussten diese regelmäßig erneuert
werden [5]. Beide Verbindungsarten Abbildung 1 Bambus-Tragwerk des Kolumbienprojektes 2010
weitere Prüfungen insbesondere mit realitätsnaher Mörtelfül- werden heute mit modernen mechani-
lung der Halme durchzuführen. Mit derartigen Ergebnissen schen Verbindungsmitteln (Gewinde- mittels auf Kopfdurchziehen. Für die Da Bambus streng achsparallele Fa-
könnte eine erste belastbare Datenbasis für den Einsatz von stangen usw.) ausgeführt. Mit der Fisch- Prüfung wurden zwei Halme der Bam- sern aufweist kommt es bei partieller,
Bambus in lastabtragenden Verbindungen in Deutschland ge- maulverbindung werden Bambushalme busart Guadua angustifolia Kunth radialer Druckbelastung zu einem Riss
in beliebigem Winkel miteinander ver- verwendet, wobei die Herkunft nicht in der Epidermis und zu Gewebeschädi-
schaffen werden. Solche Bauwerke bedürfen derzeit, u. a. auf- bunden, wobei das Ende des einen Hal- eindeutig nachvollzogen werden kann. gungen im äußeren Drittel der Halm-
grund fehlender Bemessungsnormen inkl. entsprechender mes auf die Wand des anderen gestoßen Die Prüfkörper wurden jeweils durch wand (Abbildung 6, links). Durch die
Werkstoffkennwerte, einer Zustimmung im Einzelfall. wird [6]. Dazu wird einer der Bambus- zwei Nodien begrenzt. Die Prüfreihe er- einwirkende Last findet zunächst eine

D
er schnellwachsende Rohstoff
Bambus findet heute in vielen
Bereichen Verwendung. In des-
sen Verbreitungsgebieten (z. B. Kolum-
bien) kommt das Riesengras traditionell
als Baumaterial zum Einsatz, gilt aber
eher als ein Baustoff der Armen. In der
Region um Cali im Valle de Cauca, im
Westen Kolumbiens wächst die Riesen-
bambusart Guadua angustifolia Kunth
entlang der Flussläufe und in bewirt-
schafteten Hainen. Sie wächst inner-
halb eines Jahres 20 bis 30 m in die
Höhe und hat im Durchschnitt einen
Durchmesser von 18 cm. Nach sechs bis
acht Jahren werden die Halme geerntet.
Guadua eignet sich, wie andere Bam-
busarten, insbesondere aufgrund der
Struktur und des Masse-Volumen-Ver-
hältnisses als Baumaterial. So nehmen
die Leitbündel und die diese umgeben-
den reißfesten Fasern zur Halmaußen-
seite in ihrer Anzahl stark zu [1], da in
diesen Bereichen die Belastung der
Pflanze am größten ist. Der Aufbau der
Halmwand sowie die Anordnung der
Gefäße und Fasern haben Einfluss auf
die Materialeigenschaften wie Festig-
keit und Steifigkeit.
In Europa wird Bambus als Parkett
im Interieur oder in Form von Terras-
sendielen im Außenbereich verwendet,
in Einzelfällen aber auch für hochwerti-
ge Bauwerke eingesetzt [2–4]. Weitere
Anwendung findet es in Form von
Kleinteilen als Schneidebrett, Unterset-
zer oder Essstäbchen.
* Der Autor führte im Rahmen seiner Ba-
chelorarbeit an der Hochschule Ostwest-
falen-Lippe im Labor für Holzbauproduk-
te und Holzbauproduktion Untersuchun-
gen an lastabtragenden Bambusverbin-
dungen durch, die die Grundlage für die-
sen Beitrag bilden.
** Konrad Solbrig ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter, Katja Frühwald ist Professo-
rin für Holzbauproduktion an der Hoch-
schule Ostwestfalen-Lippe, Lemgo.
Abbildung 2 Links: Longitudinale Risse in der Halmwand durch die wirkenden
Belastungen, rechts: Longitudinale Risse in der Halmwand durch Quell- und
Schwindverhalten
Abbildungen 3 und 4 Seitliche Betrachtung der Fischmaulverbindung. A und B
kennzeichnen die einwirkenden Lasten im Verbindungspunkt (links). Rechts zu se-
hen die ebene Dübel-Verbindung im Tragwerk
Lastabtragende Verbindungen
Zur Analyse lastabtragender Verbin-
dungen wurde beispielhaft das in Abbil-
dung 1 dargestellte Tragwerk unter-
sucht, welches im Rahmen des Kolum-
bienprojektes 2010 von Studierenden
der Hochschule OWL in Cali für die
Schule fürs Leben gebaut wurde. In die-
sem Tragwerk (Spannweite ca. 11,5 m)
wurden verschiedene typische lastab-
tragende Verbindungen eingesetzt, wie
die Fischmaulverbindung (Abbildung 3)
sowie die ebene Dübelverbindung (Ab-
bildung 4). Beide Verbindungsarten, die
traditionell mit Bolzen (aus Holz) und
Seilen (z. B. aus Rattan) hergestellt wer-
den, wurden im Beispieltragwerk neu
interpretiert. Die Verbindungspunkte
sind neben der konstruktionsbedingten
Eigenlast des Tragwerkes (Dachaufbau,
Ziegel) im späteren Verlauf zusätzlich
ständig einwirkenden Lasten ausge-
setzt. Um eine dauerhafte Gebrauchs-
tauglichkeit zu gewährleisten, werden
nach dem Aufstellen und Ausrichten
des Tragwerks die Verbindungspunkte
partiell mit Mörtel gefüllt. Aufgrund des
Füllens der Verbindungspunkte kann
die durch den Bolzen eingebrachte
Kraft über die gesamte Querschnittflä-
che aufgenommen werden. Dies führt
zu einer Verbesserung der Lochlei-
bungsfestigkeit und verhindert das
Kopfdurchziehen des Verbindungsmit-
tels sowie longitudinales Spalten des
Bambus. Dadurch wird die Festigkeit
der Verbindung gesteigert und die ein-
wirkenden Lasten werden nicht mehr
nur über die Halmwand aufgenommen.
Bei nicht gefüllten Verbindungspunk-
ten kann es aufgrund der wirkenden
Momente im Tragwerk zu einer longitu-
dinalen Rissbildung kommen (Abbil-
dung 2, links). Aber auch bei gefüllten
Verbindungspunkten (Abbildung 2,
rechts) können sich longitudinale Risse
bilden, welche aus einem zu hohen
halme an einem Ende so bearbeitet,
dass eine fischmaulähnliche Ausker-
bung entsteht, welche die Außenfläche
des anderen Bambushalms umschließt.
Mit der ebenen Dübelverbindung kön-
nen zwei Bambushalme ebenfalls in be-
liebigem Winkel parallel miteinander
verbunden werden, wobei jedoch die
beiden Halmwände aneinander liegen.
Hierdurch kann ein Übergang von Stüt-
ze zu Sparren realisiert werden oder ein
Bündel verlängert werden.
Unter Annahme der während der
Nutzung auftretenden Belastungen am
Tragwerk (Dachlast als Flächenlast)
wurde eine FEM-Simulation mittels
CAD-System an den verwendeten Ver-
bindungen durchgeführt. Anhand der
Ergebnisse ist zu erkennen, dass die
Flächenlast über zwei Wege abgeleitet
wird – die Rahmenecke und die Knag-
gen. Diese Belastungssituation des
Tragwerks wurde auf die im Tragwerk
vorkommenden Verbindungen übertra-
gen, wodurch die Belastungssituation
an den Verbindungspunkten genau un-
tersucht wurde. Bei der Fischmaulver-
bindung (Abbildung 3) wird die zum Fi-
xieren eingesetzte Gewindestange (mit
Mutter und Unterlegscheibe (A)) durch
einen quer eingebrachten Bolzen (Kon-
terbolzen (B)) fixiert. Dadurch entsteht
ein Druck auf die Epidermis des auf-
rechten Bambushalmes an Punkt (A)
und eine Biegebelastung des zum Kon-
tern eingesetzten Bolzens (B). Der
durch Fixieren der Mutter entstehende
Druck am aufrechten Bambushalm (A)
wird punktuell in die Oberfläche der
Halmwand eingeleitet. Dies entspricht
einer Belastungssituation wie beim
Kopfdurchziehen des Verbindungsmit-
tels im Holzbau. Die ebene Dübelver-
bindung (Abbildung 4) ist im Beispiel-
tragwerk am Übergang zwischen den
doppelten Sparren und den Stützen zu
finden. Die auftretenden Belastungen
werden hierbei über den unteren Bol-
zen aufgenommen und auf die Stützen
übertragen. Die auch im Holzbau vor-
zufindende Situation der Lochleibungs-
belastung entsteht bei der ebenen Dü-
belverbindung im vorliegenden Bambu-
stragwerk.
Neue Prüfkonfigurationen
Aufbauend auf der Belastungsanalyse
mittels FEM-Simulation des Tragwerks
und der detaillierten Untersuchung der
Verbindungen wurden Prüfkonfigura-
tionen mit separaten Prüfvorrichtungen
für die jeweiligen Verbindungsarten
und deren unterschiedliche Belastun-
gen entwickelt. Grundlage hierfür wa-
ren geltende Holzbaunormen für die
Prüfung von Holzverbindungsmitteln
auf Kopfdurchziehen bzw. die Bestim-
mung der Lochleibungsfestigkeit und
Bettungswerte für stiftförmige Verbin-
dungsmittel (DIN EN 1383:2000 [7],
DIN EN 383:2007 [8]). Dadurch sollen
einheitliche Abläufe und nachvollzieh-
bare sowie reproduzierbare Prüfungen
mit vergleichbaren Ergebnissen gewähr-
leistet werden.
Zur Validierung der theoretischen
Betrachtungen (FEM-Simulation) wur-
de zunächst die Vorrichtung für die
Fischmaulverbindung umgesetzt (Ab-
bildung 5). Die Eignung des Prüfgestells
für die Untersuchung der Fischmaulver-
bindung wurde in ersten orientierenden
Prüfungen erprobt. Hierbei handelt es
sich um die Prüfung des Verbindungs-
folgte ohne Mörtelfüllung der Hohlräu-
me in der Verbindung. Die Klimatisie-
rung der Prüfkörper erfolgte in Anleh-
nung an DIN EN 1383:2000 im Norm-
klima (20 °C, 65 % relative Luftfeuchte)
bis zur Massekonstanz. Aufgrund der
Prüfkörperform konnte nur jedes zwei-
te Internodium genutzt werden. Hier-
durch wurden aus den zwei zur Verfü-
gung stehenden Halmen insgesamt sie-
ben Prüfkörper gewonnen. Je Prüfkör-
per wurde beidseitig mit einem Abstand
von 50 mm vom Nodium radial eine
Abbildung 5 Prüfkonfiguration zur
Prüfung der Fischmaulverbindung auf
Kopfdurchzug des Verbindungsmittels
in Anlehnung an DIN EN 1383:2000
Bohrung (Ø 10 mm) eingebracht.
Die Durchführung der Orientierungs-
prüfung erfolgte in Anlehnung an DIN
EN 1383:2000. Dazu wurden die Prüf-
körper mit einer Gewindestange und
zwei Muttern mit Unterlegscheiben im
Prüfgestell mittig unter dem Lasteinlei-
tungspunkt fixiert (Abbildung 5). Die
für die Orientierungsprüfung notwendi-
gen Parameter, wie Prüfgeschwindig-
keit (1,8 mm/s) zur Einhaltung der defi-
nierten Zeit bis zum Kraftmaximum
(300±120 s), Vorkraft (50 N) und Been-
digung der Prüfung (>20 % Lastabfall),
wurden durch Vorversuche bestimmt.
Prüfung und Ergebnisse
Die Maximalkraft Fmax [N] wurde je
Prüfkörper ermittelt. Aus dem Quotien-
ten von Fmax und Fläche der Unterleg-
scheibe (Ah, gemäß DIN EN 1383:2000)
wurde der Durchziehparameter f
[N/mm²] ermittelt. Bei Halm 1 (n = 8)
ergab sich ein Wert von 193,95 N/mm²
(Standardabweichung 16,39 N/mm²,
Variationskoeffizient 8,4 %), bei Halm
2 (n=6) ergab sich ein Wert von 234,91
N/mm² (21,61 N/mm²; 9,1 %)
Abbildung 6 Links: Beschädigung der Epidermis, rechts: FEM-Simulation der
Halmwand bei Lasteinwirkung
elastische Verformung der Halmwand
um den Druckeinleitungspunkt statt
(Abbildung 6, rechts). Bei Steigerung
der Belastung über die Proportionali-
tätsgrenze des Materials ist eine plasti-
sche Verformung des Halmgewebes um
die Unterlegscheibe zu erkennen. Bei
weiterer Steigerung der Last kann diese
nicht weiter durch das Gewebe aufge-
nommen werden und es kommt zum
Bruch. Es entstehen Risse, die sich ent-
lang der streng achsparallelen Fasern
durch das Internodium bis in die Mitte
des Diaphragmas ausbreiten.
Schlussbetrachtung
Die in Anlehnung an DIN EN
1383:2000 entwickelte und umgesetzte
Vorrichtung zur Prüfung des Durch-
ziehparameters ist grundlegend geeig-
net. Es ist jedoch eine Anpassung der
Prüfkonfiguration in Erwägung zu zie-
hen, um die Belastungsfälle im Trag-
werk eindeutig nachzubilden und prü-
fen zu können. Dennoch zeigen die Er-
gebnisse, dass in Tragwerken aus Bam-
bus vergleichbare Prüfmethoden wie für
den Holzbau verwendet werden kön-
nen. Auf den ersten orientierenden Un-
tersuchungen aufbauend sind weitere
Prüfungen insbesondere mit realitätsna-
her Mörtelfüllung der Halme durchzu-
führen. Mit derartigen Prüfergebnissen
könnte eine erste belastbare Datenbasis
für den Einsatz von Bambus in lastab-
tragenden Verbindungen geschaffen
werden. Darüber hinaus können diese
Methoden und Ergebnisse bei der Stan-
dardisierung und Normung von Prüf-
verfahren für Bambusbauwerke heran-
gezogen werden.
Literatur
[1] Liese, W. (2005): Die innere Schönheit des
Bambushalms. In: Oprins, J.; van Trier, H.
(Hrsg.) Bambus. 1. Auflage. Ulmer: Stutt-
gart, 2005. S. 24-27.
[2] von Büren, C. (2011): Bambus fasziniert –
auch als Baumaterial. „Holz-Zentralblatt“
(137) 40. S. 1012.
[3] Gahle, C. (2006): Hohe Ehren für Bambus in
Deutschland. „Holz-Zentralblatt“ (132) 17.
S. 577.
[4] Gahle, C.; Brunnert, A. (2008): Bambus:
Vom regionalen Bau- zum globalen Roh-
stoff. „Holz-Zentralblatt“ (134) 32. S. 869-870.
[5] Dunkelberg, K.; Gass, S. (1995): IL 31, Bam-
bus. IL 31, Bauen mit pflanzlichen Stäben,
Krämer, Stuttgart; Auflage: 1., unverränd. A.
(1995).
[6] Trujillo, D. (2007): Bamboo structures in Co-
lombia. The Structural Engineer 85, 6. S.
25–30.
[7] DIN EN 1383 (2000): Holzbauwerke – Prüf-
verfahren – Prüfung von Holzverbindungs-
mitteln auf Kopfdurchziehen. Beuth Verlag:
Berlin, 7 Seiten.
[8] DIN EN 383 ( 2007): Holzbauwerke – Prüf-
verfahren – Bestimmung der Lochlaibungs-
festigkeit und Bettungswerte für stiftförmige
Verbindungsmittel. Beuth Verlag: Berlin, 15
Seiten.
Fotos und Grafiken: Schulz