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Elterliche Geduld und kindliche Ausdauer sind bestau- Außerdem gibt es ja auch Dinge, für die wir uns nun
nenswerte Eigenschaften. Während meines Urlaubs wirklich nicht bedanken möchten, wie zum Beispiel für
beobachtete ich mit Spannung, wie eine Mutter mit ein lieblos ausgesuchtes Geschenk oder für ein dummes
ihrer etwa einjährigen Tochter am Strand saß und sie Kompliment.
sich Sandförmchen hin und her reichten. Die Mutter Dann kennen wir noch den doppelbödigen Dank.
bedankte sich ausdrücklich für alle roten, gelben und Der Evangelist Lukas erzählt von einem Mann, der sein
blauen Förmchen, die ihre Tochter ihr gab. Und wäh- Gebet mit den Worten beginnt: „Ich danke dir, Gott, dass
rend nach einer Viertelstunde bei der Mutter erste ich nicht bin wie andere Leute.“ Vom Dank für mein
Ermüdungserscheinungen hörbar wurden, fand ihre persönliches Leben zur Abwertung anderer Personen ist
Tochter dieses Spiel unendlich unterhaltsam und wurde es manchmal nicht weit.
unwirsch bei allen Versuchen, diese Übung frühkind- Angemessen zu danken scheint manchmal eine recht
licher Erziehung zu beenden. komplizierte Angelegenheit zu sein, ganz anders als in
Seit der Hofadel im späten Mittelalter Umgangs- dem frühkindlichen Spiel zwischen Mutter und Tochter.
regeln festlegte, gehört „etwas zu verdanken“ zu den Den Impuls zu danken tragen wir aber schon als Kind in
Höflichkeitsregeln unserer Gesellschaft. Anderen in an- uns. Und manchmal bricht der Dank einfach aus uns
gemessener Form zu danken hilft uns, gut miteinander heraus, so wie beim Beter von Psalm 139: „Ich danke dir
auszukommen und weniger anzuecken. Neudeutsch dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind
könnten wir sagen, zu danken gehört zu den „social deine Werke; das erkennt meine Seele.“
skills“, den sozialen Fähigkeiten, die uns das Leben
erleichtern. Schon in ihren frühesten Ursprüngen gab
es keine menschliche Gemeinschaft, in der es nicht auch
Gesten oder Mittel des Dankens gab. Das Bedürfnis
FOTO: SERGEJ LEPKE
Auf dem Internet-Videoportal „You Tube“ kann man alles geschenkte, die es ermöglicht, Bindungen einzugehen – nicht
sehen. Sogar Statements zu der Frage, was es heißt, evange- aus Pflicht, mit Mühe und zur Last, sondern aus der Liebe
lisch zu sein. Eine wichtige Frage! Gerade in Zeiten, in denen zum Mitgeschöpf, mit Leidenschaft und zu seinem Besten.
eine religiöse Indifferenz zu beobachten ist, die Sorgen Und die es ermöglicht, systemkritisch-konstruktiv mit der
bereiten muss. Will man sich nicht auf „You Tube“ allein Weltwirklichkeit umzugehen.
verlassen, ist es nützlich, wie einst die Reformatoren dem 3. Öffentlichkeit. Mit der Weltwirklichkeit umzugehen
Volk, nun umgekehrt den Reformatoren aufs Maul zu bedeutet, in ihr zu handeln, mit ihr und, wo nötig, gegen sie.
schauen und nachzufragen, wofür sie im 16. Jahrhundert Protestantisches Christentum, das nicht in diesem Sinne
gekämpft haben und was als bleibend Wichtiges am Protes- politisch ist, ist kein protestantisches Christentum. Kirche
tantisch-Sein zu bewahren ist. muss wissen, dass sie mehr ist als Gemeinde und Synode
1. Glaubensgerechtigkeit. Die zentrale reformatorische und sie muss dorthin gehen, wo sie gebraucht wird.
Botschaft von der Rechtfertigung des Gottlosen ist auch 4. Bildung. Der mündige Christ, der das alles versteht,
500 Jahre nach ihrer Entdeckung aktuell, weil sie gegen jede reflektiert und konstruktiv umsetzt, kann dies nicht ohne
Weltwirklichkeit, Erfahrung und jeden menschlichen Un- Bildung. Es bedarf sowohl der Kenntnisse als auch der
willen von der Treue und Zuverlässigkeit Gottes kündet. In Einübung vor allem in Sprache, Geschichte und Religion.
einer an Leistung und Wirtschaftlichkeit orientierten Gesell- Die Reformatoren wussten: Eine Gesellschaft, die Bildung
schaft wird dadurch Raum gegeben für eine Wahrheit, die vernachlässigt, hat ihren Auftrag verfehlt. Daher ist das
diese Wirklichkeit nicht nichtig, sondern erträglich und in Verhältnis von Kirche und Schule auf allen Ebenen neu zu
kritischer Distanz handhabbar macht. Dass die Würde des durchdenken und zu reformieren.
Menschen in seiner Geschöpflichkeit liegt und nicht in Protestantisch 2010 – das ist ein Auftrag. Aber keiner, vor
seinem Funktionieren, ist eine Erkenntnis, die alles immer dem man Angst haben müsste, sondern einer, der Mut macht
wieder revolutioniert. zur Zukunft!
2. Freiheit. Diese Einsichten schaffen, anders als
alle Weltdeutungssysteme, Gewissheit, Trost und Freiheit. DR. ATHINA LEXUTT, Professorin für Evangelische Theologie
Christliche Freiheit ist eine aus Glauben und im Glauben an der Universität Gießen
Martin Luther (links) und Philipp Melanchthon, die beiden Gesichter der Reformation
Käme Jesus erst heute, dann wäre es zumindest mit dem Abend- Abendmahlsbrot symbolisch aufgeladen, Ergebnisse eines langen
mahl schwierig für ihn. Nicht, dass Jesus keine Jünger finden Entwicklungsprozesses. Sonst könnte man ja auch jeden Tag
würde. Aber mit denen würde er überwiegend virtuell verkehren. einen synthetischen Nährbrei essen. Doch das will niemand.
E-Mail vom Gottessohn oder „Telefon – Jesus ist dran!“. Doch wäh- Neben der Symbolik wohnt dem Essen eine weitere Dimen-
rend man durchaus noch jemanden zum gemeinsamen Umtrunk sion inne: Essen ist ein sozialer Akt. Gemeinschaft entsteht durch
findet, ist es mit einem gemeinsamen Essen schon schwieriger. gemeinsames Essen – mit allen Konsequenzen. Genau wie das
War es für Jesus noch selbstverständlich, den Pessachabend ge- Essen kann auch die Gemeinschaft schrecklich sein und schön.
meinsam mit seinen Getreuen zu verbringen, so ist die Bedeu- Spätestens der Satz „Solange Du die Füße unter meinen Tisch
tung des gemeinsamen Essens bei uns kaum mehr wahrnehmbar. streckst“ offenbart die Ambivalenz des Gemeinschaftlichen. Wer
Auf der anderen Seite ist beinahe ein Tanz ums Kalb auszuma- meint, in der vorindustriellen, ländlichen Gesellschaft von „frü-
chen. Nicht um das goldene, sondern um das gebratene. Kochsen- her“ sei alles besser gewesen, irrt. So sind kaum Beispiele überlie-
dungen und Gastro-Führer berichten von prunkvollen Diners, bei fert, dass an einer Bauerntafel alle das gleiche Recht hatten –
denen es gar nicht edel genug sein kann. Wer in den Gazetten sprich: das Gleiche und gleich viel zu essen bekamen. Stattdessen
blättert, den Fernseher einschaltet oder die zahlreichen Ernäh- war es meist üblich, dass der Bauer eher und mehr aß als der
rungsratgeber studiert, dem drängt sich leicht der Eindruck auf, Knecht, und immer gab es jemanden, der ganz unten stand, nicht
dass unsere Esskultur dem Niedergang geweiht ist. selten die Witwen. Solcher Gemeinsinn begegnet auch im alten
Wer genauer hinschaut, sieht dagegen ein vielschichtigeres Wirtshaus. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war es nicht üblich,
Bild. Zunächst ist ein Gebet erhört worden: „Unser tägliches Brot sich alleine an einen freien Tisch zu setzen, sondern ganz selbst-
gib uns heute.“ Dieses Brot erreicht zwar nicht alle – immer noch verständlich ging man zu Fremden an den Tisch, um eine
hungern etwa 800 Millionen Menschen weltweit –, aber in Europa Gemeinschaft zu bilden.
ist der alte Traum vom Schlaraffenland in Erfüllung gegangen. Bis ins 18. Jahrhundert spielte das gemeinsame Essen eine he-
Für viele sogar so sehr, dass aus dem Segen ein Fluch geworden rausragende Rolle. Dann aber drehte sich der gesellschaftliche
ist. Vor allem einkommensarme und bildungsferne Schichten Wind. Zunächst setzte die Aufklärung der Tischgemeinschaft zu.
sind vom Übergewicht bedroht. Kalorien, Aromen, Fettsäuren – Sie beförderte auf breiter Linie Ansätze zu einer Individuali-
wer sich auskennt, sollte das Thema im Griff haben, heißt es. sierung der Gesellschaft. Die von Frankreich ausgehenden Revo-
Doch genau da liegt ein Teil des Problems: Essen wird hierzu- lutionen, die seit 1789 weite Teile des Kontinents erfassten,
lande vor allem naturwissenschaftlich wahrgenommen. Dabei brachten nicht nur Stände-, sondern auch Mahlzeitenordnungen
wird oft vergessen: Nahrungsmittel bestehen aus Inhaltsstoffen, ins Wanken. Die zeitgleich einsetzende Industrialisierung sprengte
Lebensmittel sind mehr. Sie sind wie Abendmahlswein und das System der Dorfgemeinschaft und schuf den städtischen
FOTO: ALTSTADTHERBST
Himmelfahrtskirche auf dem Jerusalemer Ölberg, werden in der Oberkasseler Auf-
erstehungskirche, Arnulfstraße 33, nicht nur Choräle aus der Reformationszeit zu
hören sein, sondern auch in das Werk eingearbeitete Vogelstimmen sowie arabische
und orientalische Instrumente.
Eintritt zwischen 24 und 28 Euro; Ticket-Hotline 0211 6170617; www.altstadtherbst.de
Klavierabend
Freitag, 19. November, 19 Uhr
Der Pianist Maciej Pikulski (Foto) spielt in der Johanneskirche, Martin-Luther-Platz 39,
Werke von Frédéric Chopin, Ludwig van Beethoven, Franz Liszt und Franz Schubert.
FOTO: MAPIK/HP
Das Konzert findet in Kooperation mit dem Institut Français und dem Polnischen
Institut statt.
Eintritt frei
Die Kaiserswerther Camerata, die Kantorei Kaiserswerth sowie die Solisten Christian
Dietz (Tenor) und Clementine Jesdinsky (Sopran) gestalten unter der Leitung von
Susanne Hiekel einen adventlich-musikalischen Abend in der Mutterhauskirche,
Zeppenheimer Weg 12. Auf dem Programm stehen Werke von Heinrich Schütz („Weih-
nachtshistorie für Chor und Orchester“), Benjamin Britten („A Ceremony of Carols“)
FOTO: EVDUS
Mehr evangelische Kirchenmusik in Düsseldorf unter www.evdus.de, Programmheft unter Tel. 0800 0818283
lara Wagenscheidt* macht sich schick. Sie steigt in Klara Wagenscheidt leidet an Demenz. Das Wort stammt aus
den hellen Rock, zieht die leuchtend gelbe Bluse an, darüber der lateinischen Sprache. Es bedeutet so viel wie „Der Geist
noch der leichte Mantel – fertig. Die 83-Jährige öffnet die ist weg“. Das Gehirn zollt dem Alter Tribut: Das Gedächtnis
Wohnungstür, geht langsam die Treppenstufen im Flur des lässt nach, das Sprachvermögen sinkt. Logisch und abstrakt
Duisburger Mehrfamilienhauses hinab. zu denken, fällt immer schwerer. In Deutschland sind etwa
Wenn sie ins Freie tritt, steht ihr Mann Walter schon auf 1,2 Millionen Menschen über 60 Jahre betroffen. Ihre Zahl
dem Balkon. Er sieht dann, wie Klara ein paar Schritte geht wird sich Expertenschätzungen zufolge bis zum Jahr 2040
und stehen bleibt. Sie wartet auf die Straßenbahn. Denn sie verdoppeln.
will zur Arbeit, nach Düsseldorf. Doch die Haltestelle der Bei Klara machte sich die Demenz erstmals vor 13 Jah-
Straßenbahn existiert nicht mehr: Seit zehn Jahren fährt die ren bemerkbar. „Sie wurde am Magen operiert, danach
Linie 79 nicht mehr durch die Straße vor Klaras Haus. Und hat sie sich wunderlich verhalten“, erinnert sich Walter
auch ihren Schreibtisch in Düsseldorf gibt es nicht mehr. Wagenscheidt. Klara war damals 70 Jahre alt. „Je älter
Als Sekretärin hat sie dort in den Fünfzigerjahren Sitzungs- der Mensch wird, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit
protokolle geschrieben, Briefe formuliert. Sie denkt, es wäre einer Demenzerkrankung“, sagt Ralf Kraemer, Referent
gestern gewesen. für Altenhilfe der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe.
„Ach Klara“, sagt Walter leise. Der 83-Jährige zieht sich Er ist sich sicher: „In Zukunft wird fast jeder einen Er-
eine Jacke über und geht zu seiner Frau hinunter. „Komm, krankten in seiner Familie, in der Nachbarschaft oder im
wir gehen ein Stück spazieren“, fordert er sie auf. Er hält ihr Freundeskreis haben.“ Umso wichtiger sei es zu lernen,
den Arm hin, lächelt sie an. Klara hakt sich ein. Dann dreht mit der Krankheit und ihren Symptomen zu leben. Das
das Paar eine Runde durch den angrenzenden Park. Sie tref- heißt für Kraemer vor allem zu akzeptieren, „dass sich
fen Nachbarn, halten Schwätzchen, tauschen sich über das Menschen in unserer Mitte nicht mehr ordentlich anzie-
Wetter aus. Dann kehren sie zurück in ihre Wohnung. Bis hen, dass sie das Essen mit Messer und Gabel verlernen
dahin weiß Klara Wagenscheidt nicht mehr, dass sie nach oder plötzlich über Dinge reden, deren Zusammenhang
Düsseldorf wollte. wir nicht nachvollziehen“.
* Namen von der Redaktion geändert
Das auszuhalten, fällt schon Kindern schwer, die sich um Kindes schaut sie in die Runde. „Alles Quatsch, das hör’ ich
ihre dementen Eltern kümmern. Wie aber geht es Frauen und mir nicht länger an!“, ruft sie aus und verlässt das Zimmer.
Männern, deren Partner nach 30, 40 Ehejahren zu Fremden Walter Wagenscheidt bleibt sitzen. Ganz ruhig bleibt er.
im eigenen Bett werden? Was wird dann aus der Liebe? Ihren Ausbruch nimmt er nicht persönlich. Warum sollte
er sie dafür tadeln? „Sie ist doch krank, kann nichts dafür.“
An diesem Nachmittag sitzt Walter Wagenscheidt mit sei- In der Küche klappert es, dann kommt Klara Wagenscheidt
ner Frau am Wohnzimmertisch. „Was ist in der Kanne?“ wieder. Sie setzt sich auf das Sofa, ihre Hände mit den gol-
fragt sie. „Schwarzer Tee“, erklärt er. Und dabei hatte sie denen Ringen faltet sie im Schoß. Sie hat eben ihren eigenen
ihm noch geholfen, den Tisch für den Besuch herzurichten. Willen. Den hatte sie schon immer – und genau das hatte
Hatte die zarten, weißen Teetassen platziert, die Schale mit ihm von Anfang an so an ihr gefallen.
dem braunen Kandis geholt, die Servietten mit den blauen
Blümchen neben die Teller gelegt. Jetzt sitzt sie auf dem Sofa Zum ersten Rendezvous trafen sich Klara und Walter vor
und schlägt die Hände vors Gesicht. „Alles Unsinn, alles Un- mehr als 40 Jahren in einem Düsseldorfer Restaurant. Sie
sinn“, murmelt sie. Sie kann den Gesprächen der Gäste nicht hatten durch eine Zeitungsannonce zueinandergefunden.
folgen, ahnt vielleicht, dass auch sie Inhalt der nachmittäg- „Es gefiel mir, dass sie so lebendig war“, sagt Walter. „Sie
lichen Plauderei ist. „Du hast deine schönen Ringe an“, sagt wusste viel und man konnte mit ihr über alles Mögliche
Walter Wagenscheidt. Immer wieder bezieht er seine Frau reden.“ Er wollte eine selbstständige Frau, eine gleichbe-
in das Gespräch mit ein, schaut sie an und richtet das Wort rechtigte Partnerin. An diesem Abend im Zollhaus spürte er,
an sie. „Du warst ja auch immer berufstätig. Konntest dir dass Klara die Richtige ist: „Sie war eine Frau, die wusste, was
den schönen Schmuck leisten.“ Seine Frau nimmt die Hände sie wollte.“
vom Gesicht, goldene Ringe trägt sie, verziert mit kleinen, Das weiß sie bis heute. Und er findet das gut. Walter
funkelnden Steinen und Ornamenten. „Ach, das geht doch Wagenscheidt redet seiner Frau nichts aus, widerspricht
keinen was an“, schnaubt sie und schüttelt den weiß- ihr nicht. Konfrontiert sie auch nicht mit grausamen Wahr-
haarigen Kopf. Mit dem trotzigen Blick eines eigensinnigen heiten. Zum Beispiel der, dass ihre Eltern schon vor Jahren
Ohne Hilfe von außen geht es nicht. Das betont auch Demenz-
beraterin Hildegard Hartmann-Preis: „Jeder Angehörige
sollte unbedingt die Möglichkeiten ausschöpfen, die es mit
Blick auf gesetzliche, ambulante und medizinische Hilfe gibt.“
Auch Walter Wagenscheidt nimmt das in Anspruch.Seine
Frau wird von einer Krankenschwester ambulant versorgt,
eine gesetzliche Betreuerin kümmert sich um die Anträge
bei der Pflegekasse, um Behördengänge und Finanzen, eine
Friseurin und ein Arzt kommen regelmäßig in die Wohnung
des Ehepaars.
Walter Wagenscheidt besucht eine Angehörigengruppe,
die Hildegard Hartmann-Preis ehrenamtlich leitet. „Ich
wäre sonst vielleicht manchmal niedergeschlagen, aber in
der Gruppe erfährt man, dass man nicht alleine ist.“ Dort
findet er Menschen, die ihn verstehen. Die auch wissen, Die Beziehung ändert sich: Das Paar gibt es nicht mehr,
wie das ist, wenn sich mit der Demenz das Vergessen in das Verhältnis ist wie zwischen Mutter und Kind
einst lebendigen Beziehungen ausbreitet. Klara und Walter
Wagenscheidt haben zusammen viele Weltreisen unternom-
men. Doch vom Sonnenaufgang über dem Meer vor Sydney,
der Blütenpracht in Japan oder der farbenprächtigen Klei-
dung der Brasilianer kann nur noch Walter schwärmen. „Die
Pyramiden in Alexandria, die fandest du so schön, Klara“, Eine Beratungsstelle für Demenz bietet die
sagt er. „Du warst es auch, die immer die Prospekte mit- Diakonie in Düsseldorf auf Anfrage im Dorothee-
gebracht hatte. Du wolltest alles sehen.“ Doch die Erinne- Sölle-Haus, Hansaallee 112, in Oberkassel an.
rungen daran sind bei ihr verloschen. Die vielen Fotos dieser Kontakt: Theodora Düchting, Tel. 0211 58677102.
Reisen schaut er sich daher schon lange nicht mehr mit ihr Betreuungsangebote für Demenzkranke der Dia-
an. Sie sagen ihr nichts. „Das ist schade“, sagt er leise. konie gibt es in mehreren Stadtteilen an jeweils
Doch dann legt er eine Videokassette mit alten Volks- einem Vor- oder Nachmittag in der Woche.
liedern ein. Klara Wagenscheidt kennt sie noch, hatte sie Informationen unter Tel. 0211 7353370 oder
als Mädchen in der Volksschule gelernt. „Hab mein’ Wagen www.diakonie-duesseldorf.de.
vollgeladen, voll mit jungen Mädchen“ und „Geh’ aus mein
Herz und suche Freud’ “ singt das Ehepaar zusammen
mit den Fischer-Chören. Stundenlang machen sie das
manchmal. Gemeinsam.
» Mein Sohn Tom möchte zu seinem Vater ziehen. wollen), auch weiterzugehen. Das ist das Erste, was Sie Tom
Er ist 15 Jahre alt und stammt aus einer Beziehung, signalisieren sollten: Sie wollen sein Bestes, auch wenn das
die zu Ende ging, als er anderthalb war. Seit fünf bedeuten kann, dass er zum Vater zieht. Als nächstes sollten
Jahren bin ich nun glücklich verheiratet. Tom hatte Sie sich professionelle Hilfe suchen und das auch Tom „zumu-
von Beginn an regelmäßigen Kontakt zu seinem ten“ (15-Jährige sind davon in der Regel nicht begeistert), um
Vater, an Wochenenden, in den Ferien, bei Fa- die Möglichkeit eines Umzugs in aller Offenheit zu prüfen. Die
milienfesten. In den vergangenen Monaten habe ich Jugendämter mit ihren Einrichtungen der Jugendhilfe bera-
mit Tom immer wieder erhebliche Auseinander- ten und helfen kostenlos (auch bei Fragen des Sorgerechts).
setzungen, besonders wenn er bei seinem Vater Schließlich sollten Sie sich klarmachen, dass es in diesem
war. Nun kam er plötzlich mit dem Wunsch an, zu Alter normal und für die Entwicklung wichtig ist, dass sich
seinem Vater zu ziehen. Mir ist es wichtig, dass mein Jungs ihren Vätern zuwenden, und diese umgekehrt mehr
Sohn Kontakt zum Vater hat. Aber ich kann mir nicht Erziehungsverantwortung übernehmen müssen. Pubertie-
vorstellen, dass er gar nicht mehr bei mir lebt. « rende Jungen brauchen besonders den Vater! Konflikte mit
den Müttern können ein Indiz dafür sein, dass solch ein Orien-
tierungswechsel jetzt an der Zeit ist. Das gilt für alle Eltern.
Ich kann erahnen, wie es in all den Jahren gewesen sein mag, Die Verbindung zwischen Tom und Ihnen wird nicht ab-
als Sie Ihren Sohn großgezogen haben. Vieles mussten Sie brechen, nur weil er zum Vater zieht, sondern so wird ihm
allein machen, jede Mahlzeit zubereiten, jeden Kummer ein altersgerechter Kontakt zu beiden Eltern ermöglicht.
trösten, sich viele Nächte um die Ohren schlagen, Beruf und Dazu gehört selbstverständlich eine Besuchsregelung und
Kind unter einen Hut bringen, auf Freizeit und persönliche gute Verabredungen, wie der Kontakt zu Ihnen gestaltet wer-
Wünsche verzichten, viele Entscheidungen das Kind betref- den soll. Ich habe sogar die Hoffnung, dass Sie die neue
fend allein fällen. Sie haben Tom von Beginn an durch das Phase in Ihrem Leben, auch mit Ihrem jetzigen Ehemann,
Leben getragen, im wahrsten Sinne des Wortes. genießen können.
Und Sie haben trotz einer vermutlich schmerzhaften In der Bibel findet sich die bekannte Geschichte vom
Trennung von Ihrem Partner dennoch die Entscheidung verlorenen Sohn (Lukas 15,11 ff.). Mich fasziniert an diesem
getroffen, Ihrem Sohn den Vater zu lassen, und dafür ge- Gleichnis die Weitherzigkeit des Vaters, mit der er erst den
sorgt, dass der Kontakt zwischen Sohn und Vater wächst. Sohn gehen lässt (bestimmt trotz erheblicher Bedenken) und
Das finde ich großartig! Vielen Müttern gelingt das nicht, ihn dann mit ebenso weitem Herzen wieder in die Arme
viele Trennungskinder wachsen gänzlich ohne Vater auf. schließt. Der Sohn bestimmt den Zeitpunkt des Gehens und
Und nun möchte Ihr Sohn zu seinem Vater ziehen. Sie des Zurückkommens, er ist selbst verantwortlich für sein
werden sich im Moment viele Fragen stellen: Was ist Leben, auch für die Fehler. Der Vater – es könnte auch eine
passiert, dass Tom nach all den Jahren von mir weg will? Mutter sein – bleibt zurück und ist dem Sohn doch nahe.
Was habe ich falsch gemacht? Ist das nur eine Laune von
Tom? Hat der Vater ihn gegen mich aufgebracht? Hätte ich
etwa doch den Kontakt zum Vater drosseln sollen?
Hinter solchen selbstzweiflerischen Fragen verbirgt sich Jochen Sprengel aus Düsseldorf
FOTO: ANDRE ZELCK
eine große Verletzung und Traurigkeit. Das drücken Sie in ist Krankenhauspfarrer am Helios-
Ihrem letzten Satz auch sehr ehrlich aus. Wer könnte das Klinikum in Wuppertal und neben-
nicht verstehen, nach all den Jahren mit Ihrem Sohn? beruflich psychologischer Berater
Aber jetzt möchte ich Ihnen Mut machen, den Weg, den bei einem Jugendhilfeverein
Sie für Tom gewählt haben (nämlich das Beste für ihn zu
erkennt Margot Unbescheid an: Ihr Vater leidet an Demenz. „Alzheimer. Das
Erste-Hilfe-Buch“ ist ein Erfahrungsbericht und Ratgeber zugleich. Es zeigt, wie
sich die Autorin mit der Krankheit auseinandersetzt und in die Rolle der Pflegenden
einfindet. Es gibt Ratschläge, wie Angehörige nach der Diagnose den Alltag
organisieren können und wo sie dafür Hilfe finden.
Margot Unbescheid: „Alzheimer. Das Erste-Hilfe-Buch“, Gütersloher Verlagshaus,
14,95 Euro
stammen von der neuen CD von Sarah Kaiser. Unter dem Titel „Grüner“ besingt
die Sängerin mit der jazzigen Stimme das Leben. Es geht um Liebe, um
Unwegsamkeiten des Alltags und um Visionen, wie etwa im Lied „Guerilla-Gärtner“
mit der Botschaft: „Es wird viel schöner sein.“ Lieder von Liebe, Hoffnung,
Zuversicht. Lieder vom Leben und zum Leben, mit deutschen Texten zum
Nachdenken und zum Einfach-Zuhören.
Sarah Kaiser: „Grüner“, CD, Gerth Medien, 14,99 Euro
IMPRESSUM
bei uns in Düsseldorf ist das evangelische Heimatmagazin des Evangelischen Kirchenkreises Düsseldorf Verlag und Herausgeber Medienverband der Evangelischen
Kirche im Rheinland gGmbH, Kaiserswerther Straße 450, 40474 Düsseldorf Verantwortlich Regionalseiten (2-5, 8-9, 16): Dr. Ulrich Erker-Sonnabend, Leiter Evangelische
Pressestelle Düsseldorf, Bastionstraße 6, 40213 Düsseldorf. Mantelseiten (1, 6-7, 10-15): Volker Göttsche, Chefredakteur Medienverband Redaktion Ulrike Paas, Simone
Rüth Gestaltung Michél Schier Kontakt Evangelische Pressestelle, Tel. 0211 95757-781, E-Mail: presse@evdus.de Druck Industrie- und Werbedruck Westphal GmbH,
Gutenbergweg 4, 40699 Erkrath bei uns in Düsseldorf erscheint vierteljährlich, die nächste Ausgabe im Dezember 2010