JOSÉ B.

RUIZ
Blick über die Schulter
Blick über die Schulter Blick über die Schulter

José B. Ruiz (Jg. 1966) ist spanischer Naturfotograf und lebt mit
seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Alicante.
Obwohl er schon auf vielen Teilen der Erde fotografisch unterwegs
war, ist sein Hauptarbeitsfeld Spanien. Er wird vertreten durch die
Nature Picture Library und ist Mitglied der ILCP.

www.josebruiz.com

JOSÉ B. RUIZ

Wie bist Du zur Naturfotografie gekommen?
Mit der Naturfotografie verbindet mich eine lebens-
längliche Leidenschaft. Schon seit meiner Kindheit
fasziniert mich die Natur. Landschaften, Tiere, Pflan-
zen – die Natur steht für mich für das Reine und
Unschuldige. Dann folgte die Erkenntnis, dass ich all
diese Wunder im Bild festhalten kann. Zunächst, mit
neun Jahren, arbeitete ich mit einer Werlissa, spä-
ter mit Spiegelreflexkameras. Ich versuchte, Biologie
zu studieren, aber im dritten Semester gab ich auf,
nahm meine Kamera und verließ die Universität.
Nun hatte ich unendlich viel Zeit zum Fotografie-
ren, und meinen Lebensunterhalt verdiente ich mit
Gelegenheitsjobs. Ich hatte viel Glück, mit 20 nahm
die erste größere Bildagentur meine Bilder an. Dann
kamen erste Erfolge bei Wettbewerben wie dem
WPY. Inzwischen vertritt mich die Nature Picture
Library. Ich bin der Auffassung, dass man hart ar-
beiten muss, dann kommt das Glück von selbst.
Du scheinst ein fotografischer Generalist zu sein. Du
machst alles, von Landschafts- bis Makro-Fotografie,
über Nachtaufnahmen, Actionaufnahmen von Tieren
und Unterwasser-Fotografie. Hast Du nie erwogen,
Dich zu spezialisieren? Und wie schaffst Du es, in all
diesen Genres erfolgreich zu sein?
Ja, ich mag es tatsächlich gerne, als Generalist ge-
sehen zu werden. Ganz einfach deshalb, weil ich
allen Erscheinungsformen der Natur so viel Liebe
und Begeisterung entgegenbringe. Und wenn man
sich intensiv mit Fotografie beschäftigt, merkt man
schnell, dass sich bestimmte wiederkehrenden Ge-
setzmäßigkeiten auf jede Sparte der Fotografie an-
wenden lassen. Man muss die Technik beherrschen,
also sein Equipment, man sollte lernen, das Licht
gezielt einzusetzen, und natürlich die Elemente der
Bildsprache – der visuellen Kommunikation – verin-
nerlicht haben. Dann kann man alles fotografieren,
Mode, Stillleben oder Highspeed-Action. Vielleicht

vorige Doppelseite: Nebliger Sonnenaufgang | Montellano, Seville – Spanien | Canon EOS 5D, 70-200mm, ISO 100
Es war noch sehr früh bei unserer Ankunft. Das Licht erschien zuerst sehr kalt und weich, doch als die Sonne aufging veränderte sich die Szene total. Ich war sehr beein-
druckt von der Tiefe der Landschaft und der Perspektive von oben.

gegenüberliegende Seite: Lebendiges Labyrinth | Cádiz Bay – Spanien | Canon EOS 5D, 70-200mm, ISO 500
Mit meinem Kollegen Niall Benvie war ich an diesem Tag zusammen in der Luft unterwegs. Da es bewölkt war, gingen wir bereits davon aus, kein Bild an diesem Tag machen
zu können. Als wir dann ankamen, riss die Wolkendecke auf und die Sonne modellierte die Landschaft, so dass Farben und Strukturen besonders gut herauskamen.

44 GDT Forum Naturfotografie GDT Forum Naturfotografie 45

Blick über die Schulter
Weißstörche an ihrem Schlafplatz – Analog, 50mm, ISO 100, f2.0/5min, 6x geblitzt mit Hilfe eines Teleblitzes
Dies ist eines meiner erfolgreichsten Bilder. Gerade in analogen Zeiten musste viel geplant werden, damit das Ergebnis an Ende stimmt.
nicht ganz so differenziert wie ein Spezialist, aber
doch gut genug, um eine große fotografische Band-
breite liefern zu können. Und außerdem sollte man
sich im Klaren darüber sein, dass man auf all diesen
Gebieten niemals ausgelernt hat und sich immer
weiter verbessern kann.
Ich denke, je besser man ein Bild macht, desto eher
wird es den Betrachter ansprechen, und - wenn
man Glück hat – auch dazu beitragen, das Gesehene
zu verstehen und zu bewahren. Wenn eines meiner
Bilder hilft, die Öffentlichkeit für eine bedrohte Tier-
art oder einen gefährdeten Lebensraum zu interes-
sieren und sich das in aktiven Schutzbemühungen
niederschlägt, dann ist eines meiner Hauptanliegen
erfüllt. Das ist für mich eine der wichtigsten Heraus-
forderungen, gute Bilder zu machen.
Bei aller Vielseitigkeit, gibt es ein Thema, das Dich beim
Fotografieren besonders reizt?
Nun, ich habe viel Zeit und Energie in die Fotografie
bei Nacht investiert und bin auf diesem Gebiet auch
46 GDT Forum Naturfotografie
recht erfolgreich. Sehr viele spanische Fotografen
beschäftigen sich heute mit diesem Thema, und ich
denke, dass einige von ihnen durch meine Arbeit
inspiriert wurden, nicht zuletzt durch mein Buch
“Naturaleza Nocturna” (Natur bei Nacht). Es gibt
inzwischen sogar Foto-Clubs, die sich ausschließlich
dieser Art Fotografie widmen, und es macht mir
Freude, mein Wissen und meine Erfahrung mit die-
sen Fotografen zu teilen.
Fotografie bei Nacht und in der Dämmerung stellt
hohe Anforderungen an das Können des Fotografen,
insbesondere, was den Umgang mit Licht anbelangt,
sei es natürlich oder künstlich. Man sollte genau wis-
sen, was man tun muss, um die Idee, die man zuvor
entwickelt hat, umzusetzen, sowohl technisch als
auch kompositorisch.
Aber die “Königsdisziplin” ist für mich die Land-
schaftsfotografie. Seit zehn Jahren beschäftige ich
mich nun mit diesem Thema, versuche, mich immer
weiter zu verbessern, und doch ist es immer wieder
eine Herausforderung, ein gutes Landschaftsbild zu
machen. Man muss so unglaublich vieles beachten,
Schlafender Gigant – Canon EOS 5D, 17-40mm, ISO 200, f4/21min, 22x geblitzt mit einem Teleblitz
Ein wahrhaft monumentaler Baum, ca. 30m hoch. Ich habe die Komposition so gewählt, dass die Spitze des Baumes in Richtung des Nordsterns zeigt.
den richtigen Ausschnitt, die perfekte Komposition
der Bildelemente, das bestmögliche Licht und gege-
benenfalls auch den Einsatz geeigneter Filter.
Was die Fotografie von Tieren anbelangt, so ist das
für mich vielleicht das spannendste Thema. Span-
nend im Sinne von aufregend. Wenn sich ein scheues
Tier Deinem Versteck nähert, und dann genau die
Verhaltensweisen zeigt, die Du Dir erhofft hattest,
dann hat das etwas wirklich Magisches, es ist wie ein
Geschenk der Natur.
Was macht für Dich den Reiz von Nacht-Aufnahmen
aus und wie bereitest Du Dich dafür vor?
Wie ich zur Fotografie bei Nacht kam, wissen nur
ganz wenige Menschen. Das war folgendermaßen:
Meine älteste Tochter, Carmen, war eine Frühgeburt.
Sie kam mit nur fünf Monaten auf die Welt und ver-
brachte die ersten sechs Monate ihres Lebens auf
der Intensivstation. Ich verbrachte alle Tage bei ihr,
um ihr durch Körperkontakt ein beschütztes Gefühl
Blick über die Schulter
zu geben. Tja, und nachts ging ich dann an die fri-
sche Luft, um abzuschalten. Dabei kam mir die Idee,
auch nachts zu fotografieren. Zum Glück komme
ich mit sehr wenig Schlaf aus, drei bis vier Stunden
täglich genügen mir. Und so machte ich 1999 mei-
ne ersten Aufnehmen bei Nacht, noch auf dem gu-
ten, alten Dia-Film (Kannst Du Dich noch an diese
Zeiten erinnern?). Es dauerte mehrere Monate, bis
ich die technischen Schwierigkeiten bewältigt hatte.
Die richtige Blende, der geeignete Film, Brennweite,
Mondphase, all das musste zusammen passen. Später
experimentierte ich dann auch mit künstlichem Licht
von Blitzen und Lampen. Seit zehn Jahren mache ich
das jetzt schon, und es ist immer noch so spannend
wie am Anfang.
Meine Ausrüstung besteht aus Stirnlampe, Taschen-
lampe, Kabelauslöser, Blitzen, auch Tele-Blitzen und
Farbfiltern für die Blitzgeräte. Ich suche die Motive
am Tage und fahre dann in der Dämmerung an die
entsprechenden Stellen. Zunächst mache ich ei-
nige Probeaufnahmen im Zwielicht, und wenn mir
die Komposition gefällt, bleibe ich die ganze Nacht
GDT Forum Naturfotografie 47
Blick über die Schulter
vor Ort, um zu arbeiten. Die Belichtungsdauer bei
Nachtaufnahmen kann dabei zwischen 8 und 45 Mi-
nuten liegen. Viele Aufnahmen kommen bei diesen
Belichtungszeiten also nicht zustande. Wenn ich ein
Bild als gelungen betrachte, schalte ich die Kamera
zum Abkühlen eine Weile aus, das verringert das
Rauschen. Man kann eine ganze Menge experimen-
tieren bei Nachtaufnahmen, mit dem Weißabgleich,
mit Farbfiltern für die Blitze, Doppelbelichtungen
usw. Für mich ist ein Bild, das bei Nacht entsteht,
wie eine schwarze Leinwand, die man gezielt mit
Farben füllt.
Anders als viele Deiner Kollegen arbeitest Du über-
wiegend in Deiner Heimat, also Spanien. Besuchst Du
zum Fotografieren auch andere Länder oder bist Du
zu sehr mit lokalen Projekten beschäftigt?
Ich bin wirklich überwiegend mit Projekten hier
in Spanien beschäftigt und reise ständig kreuz und
quer durchs Land. Ich denke, dass es sinnvoll ist, sich
mit regionalen Themen zu beschäftigen, vor allem,
wenn man gezielt Naturschutz-Projekte unterstüt-
zen möchte.
Aber natürlich reise ich auch gerne ins Ausland, ein-
fach aus Neugierde, um zu sehen, was an anderen
Orten fotografisch möglich ist. Mein liebstes Reise-
ziel ist Afrika, vor allem Zentralafrika und der Süden
des Kontinents. Ich war in der Tschechischen Repu-
blik für ein Projekt von “Wild Wonders of Europe”,
und kürzlich fuhr ich mit zwei spanischen Kollegen
nach Costa Rica, um im Auftrag der spanischen Bot-
schaft dort eine Reportage über die Biodiversität
dieses herrlichen Landes zu machen. Die Arbeit
dort hat mich wirklich begeistert. Im Augenblick
sitze ich an einem groß angelegten Projekt, das mich
an viele Orte der Erde führen wird. Du siehst, ich
reise durchaus gerne, aber nur, wenn es meine Ter-
mine vor Ort auch zulassen.
Was ist für Dich wichtig während des Fotografierens?
Das Wichtigste ist für mich, während des Arbeitens
alles andere zu vergessen. Sich zu konzentrieren auf
Aufwachsen am Fluss – Canon EOS 5D, 400mm, ISO 400
Die Jungen wachsen in einem flachen Nest direkt über der Wasseröberfläche auf. Da dieser beständig von den umliegenden Reisfeldern mit
Wasser gespeist wird, steigt der Wasserspiegel sehr schnell und die Jungen müssen ans Land schwimmen.
48 GDT Forum Naturfotografie
Blick über die Schulter
das, was man am besten kann: Fotografieren. Und
dabei die Gesamtheit aus Motiv und Umgebung im
Auge zu behalten. Und natürlich, den Motiven mit
Respekt zu begegnen. Fluchtdistanzen von Tieren
einzuhalten, Rücksicht zu nehmen.
Während des Fotografierens vergesse ich alles um
mich herum, selbst Gefahren; manchmal verliere ich
mich so in diesen Momenten, dass ich das Gefühl
habe, die Zeit steht still. Sekunden werden zu Mi-
nuten. Atme ganz ruhig, mach Dir bewusst, wie ein-
zigartig dieser Moment ist, und verliere dabei nicht
Komposition und Technik aus dem Auge, und das
Licht, und das Motiv! Mit einem Wort: Präzision – das
ist, was ich unabdingbar von mir verlange. Versuche
immer, das Beste aus der Situation herauszuholen
und das umzusetzen, was Du Dir vorgenommen
hast! Und wenn Du ganz viel Glück hast, dann ent-
steht etwas ganz Besonderes, ein Bild, das sich von
anderen unterscheidet. “Wir verkaufen Bilder – kei-
ne Entschuldigungen” sagte einmal ein Bildredakteur
zu mir, und er hatte Recht.
In meinen Workshops sage ich den Teilnehmern
immer, dass es wichtig ist, auszuharren. So lange,
bis alles aus der Situation herausgeholt ist. Bis jede
mögliche Komposition ausprobiert worden ist. Ab-
warten, bis ein Tier vielleicht doch noch erscheint,
oder das genau richtige Licht. Bleiben, bis man das
Gefühl hat, dass es wirklich vorbei ist.
Was macht ein gutes Bild aus?
Ich habe, was besondere, herausragende Bilder an-
belangt, eine ganz klare Auffassung. Mal sehen, ob Du
mit mir in den folgenden Punkten übereinstimmst:
1. Komposition. Es gibt keine Entschuldigung für man-
gelhafte Komposition. Wenn ein Bild schlecht kom-
poniert ist, warum auch immer, sollte man es besser
nicht zeigen.
2. Der “spezielle” Moment. Etwas Besonderes, etwas,
das die Situation einzigartig macht, so dass der Be-
trachter denkt: “Gut, ich könnte da auch hinfahren,
aber das würde ich bestimmt nicht zu sehen be-
GDT Forum Naturfotografie 49
Blick über die Schulter
Eine neue Haut – Canon 5D, 180mm Macro, ISO 100
Diesen Gecko fotografierte ich mit Blitz und Diffusor.
kommen.” Das kann eine Lichtstimmung sein oder
eine Verhaltensweise, einfach eine Intensität, die das
Bild von anderen unterscheidet.
3. Technik. Auch hier gibt es keine Entschuldigung
für Fehler. Der Fotograf muss seine Ausrüstung be-
herrschen und das richtige Equipment im richtigen
Moment einsetzen.
Wenn 1. bis 3. zusammentreffen, dann ergibt das für
mich ein gutes Bild.
Heißer Sommer – Canon EOS 1Ds Mark III, 180mm Macro + 1,4x, ISO 100 Aber, um die Frage zu erweitern: Was macht einen
Hier habe ich mit bedruckten Hintergründen experimentiert, als ich dieses seltene guten Fotografen aus? Auch dazu möchte ich drei
Insekt (Nemoptera bipennis) fand. Ich setzte den Hintergrund auf ein Stativ und Punkte nennen:
beleuchtete mit einem Blitz von hinten.
1. Lernbereitschaft. Der Wille und die Einsicht in die
Notwendigkeit, sich immer weiter zu verbessern.
Seien es Technik, Komposition oder die Entwicklung
eines persönlichen Stils.
2. Solidarität. Teile Deine Kenntnisse und Erfah-
rungen mit anderen! Sei Inspiration für den fotogra-
fischen Nachwuchs, und berühre die Menschen mit
Deinen Bildern!
50 GDT Forum Naturfotografie
3. Präzision. Wie viele gute Bilder macht man im Mo-
nat? Eines, zwei vielleicht, unter Tausenden. Und tau-
send durchschnittliche Bilder können sich nicht mit
einem hervorragenden messen. Aber durch stän-
diges Lernen kann man sich verbessern, und dann
werden es vielleicht auch einmal drei oder vier gute
Bilder pro Monat. Maler verbringen ihr halbes Leben
damit, ihre Kunst zu beherrschen, warum sollte es
bei uns anders sein?
Wie ist Deine Einstellung zu nachträglicher digitaler
Bearbeitung?
Ich gehe sehr restriktiv an diese Sache heran. Ich
bin Fotograf und habe wenig Interesse an Compu-
tern. Nach Norbert Rosing war ich der zweite, der
den internationalen “Only-RAW”-Antrag in Italien
unterzeichnet hat. Meiner Meinung nach sollte das
Wesentliche zum Zeitpunkt des Auslösens passiert
sein. Nachträglich korrigiere ich nur ganz geringfügig
die Tonwerte.
Aber ich respektiere es, wenn Fotografen andere
Blick über die Schulter
Skulpturen – Canon 1Ds Mark III, 180mm Macro, ISO 125
Ein Beispiel für eine Dreiecksbildgestaltung mit Mittelachse.
Wege einschlagen, und ich bin offen für deren Er-
gebnisse. Wichtig ist nur, dass man diese Verände-
rungen kenntlich macht. Und wenn ein Bild durch
Hinzufügen oder Entfernen von Gegenständen oder
durch partielle Bildbearbeitung entstanden ist, dann
würde ich es nicht Foto nennen, sondern eher di-
gitales Kunstwerk. Wenn man sich auf diese Vorge-
hensweise einigen könnte, würden die immer stärker
auftretenden Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Fo-
tos verschwinden, und es gäbe trotzdem schöne und
ästhetisch ansprechende Bilder.
Gerade die Naturfotografie sollte eine Domäne des
“ehrlichen” Bildes bleiben, ohne nachträgliche Retu-
sche, reine Fotografie also. Unsere Foto-Verbände,
Wettbewerbe und Fachmagazine versuchen, dieses
Prinzip zu unterstützen. Hoffentlich wird das auch in
Zukunft so bleiben.
GDT Forum Naturfotografie 51
Blick über die Schulter
Deine Bilder wurden in vielen namhaften Wettbewer-
ben ausgezeichnet. Unter anderem hast Du schon ein-
mal den „Innovation Award“ des Wettbewerbs „Wild-
life Photographer of the Year” erhalten.Wenn man sich
die Wettbewerbsergebnisse der letzten Jahre ansieht,
gewinnt man den Eindruck, dass spanische Naturfo-
tografen generell sehr kreativ sind. Wie schaffst Du
es, immer wieder neue fotografische Sichtweisen zu
kreieren?
Zunächst einmal vielen Dank für das Lob an die
spanischen Kollegen! Tatsächlich gibt es zur Zeit
viel Bewegung in der spanischen Naturfoto-Szene.
Viele neue Fotografen sind dazugekommen, mit
sehr gutem Blick und frischen Ideen. Aber wir ha-
ben leider ein Problem, was die Bündelung der En-
ergien anbelangt, z.B. die Organisation von Zusam-
menkünften, bei denen man sich austauschen kann.
Denn bei aller Freude an der Innovation, muss man
eben doch sagen, dass es auch bei der Fotografie
ohne Kenntnisse nicht geht, sonst ist man Kamera-
Besitzer und nicht Fotograf.
Erste Sonnenstrahlen – Canon 5D, 70-200mm, ISO 50, ND Filter Abgestorbener Gigant – Canon 1Ds Mark III, 17-40mm, ISO 100
52 GDT Forum Naturfotografie
Was meine Person anbelangt, so sehe ich mich im
Moment in der Situation, dass natürlich eine gewisse
Erwartungshaltung meiner Fotografie gegenüber
besteht, ich andererseits aber auch eine Vorbildrolle
einnehme, was ethische, aber auch ästhetische Stan-
dards angeht.
Meine Herangehensweise bei der Erarbeitung inno-
vativer Bildideen sieht im Moment so aus, dass ich
meine Kamera nehme und experimentell versuche,
ein oder zwei Stilmittel bis zur äußersten Grenze zu
treiben.Was passiert zum Beispiel, wenn ich mit dem
14mm-Objektiv bei kürzester Einstellung im Gras
liegend arbeite? Oder ich setze meinen stärksten
Grauverlauffilter auf und fotografiere damit aus dem
Wasser heraus. Was passiert, wenn ich während ei-
ner sechsminütigen Belichtung den Verlauffilter lang-
sam herausziehe? Und was, wenn ich während der
letzten zwei Minuten der Belichtung den Filter ganz
herausnehme? Und wie sähe das Ergebnis aus, wenn
ich es als Doppelbelichtung bei Nacht durchführen
würde? Ein anderes Beispiel: Ich fotografiere eine
Blüte bei Nacht, beleuchtet mit Blitz und Diffusor,
belichte das Ganze zwei Sekunden lang und dre-
he anschließend auf “Unendlich” und belichte noch
einmal zwölf Minuten, um die Sternenbahnen ab-
zubilden. Kurz und gut, ich versuche in Situationen,
die ich bereits zuvor fotografisch umgesetzt habe,
mit neuen Stilmitteln eine Grenze zu überschreiten,
also fotografisches Neuland zu betreten, mit neuen
Brennweiten, bei neuen Motiven, mit neuen Visi-
onen. Wer sagt, dass alles schon einmal fotografiert
worden ist, der irrt, denn es warten noch unendlich
viele neue Bilder auf uns. Gehen wir raus und ma-
chen sie!
Bislang hast Du 13 Bücher veröffentlicht, unzählige
Artikel geschrieben und viele Vorträge gehalten. Wie
wichtig ist es Dir, Deine Erfahrung und Dein Wissen
mit anderen zu teilen?
Sehr wichtig, das hat absolute Priorität für mich! Es ist
eine Möglichkeit, das weiterzugeben, was man selber
einmal bekommen hat. Ich möchte Anfängern helfen,
Gefallenes Blatt – Canon 5D, 17-40mm, ISO 200
Blick über die Schulter
fotografische Standards zukünftig weiter anzuheben,
indem ich ihnen Informationen gebe und Kenntnisse
vermittele, sei es zur Technik oder zur Bildgestaltung.
Mein letztes Buch “Kompostion für Fotografen. Die
Sprache der Kunst” geht beispielsweise intensiv auf
die Bedeutung der Komposition ein. Über 10.000
Exemplare wurden bereits verkauft, und schon im
ersten Jahr wurde die dritte Auflage gedruckt. Etwas
zu erklären, mein Wissen zu teilen, ist mir ein großes
Anliegen. “Ich lehre, um zu lernen” hat einmal jemand
gesagt. Und genau das trifft auch auf mich zu. Nicht
zuletzt kommt das auch dem Naturschutz zugute.
Denn je besser die Bilder sind, desto mehr Menschen
werden davon berührt, und desto aufgeschlossener
sind sie, wenn es darum geht, Tiere oder Lebensräu-
me zu schützen.
Wenn ich gefragt werde, ob ich ein Seminar oder
einen Workshop halten kann, lehne ich niemals ab.
Über Themen wie Fotografie bei Nacht, Komposition,
innovative Landschaftsfotografie oder Naturschutz
habe ich schon Vorträge in ganz Europa gehalten und
auch für nächstes Jahr liegen bereits Anfragen vor.
Gemalter Himmel – Canon 5D, 70-200mm, ISO 200
GDT Forum Naturfotografie 53
Blick über die Schulter
Was verbirgt sich hinter dem Begriff “100% Natural”,
Deinem letzten Projekt?
Ich verschwende keine Zeit, mich auf den Verkauf
einzelner Bilder zu konzentrieren. Der Markt wird
immer kleiner und die Bezahlung immer schlechter.
Also konzentriere ich mich lieber auf Großpro-
jekte, wie etwa “100% Natural”, mein erstes Projekt
dieser Art und die größte Ausstellung, die es je in
Spanien gab. Es war angelegt als Freiluftausstellung:
100 Bilder auf 2x2 Meter großen, wetterfesten Ab-
zügen tourten zwei Jahre durch alle großen Städte
Spaniens. Auf diese Weise erreichten meine Bilder
über zwei Millionen Menschen in Madrid, Barcelona,
Valencia, Sevilla, Alicante, Murcia und auf Mallorca.
Begleitet wurde die Ausstellung von einer Home-
page, einem Buch, Postern, Postkarten, Kalendern
und DVDs. Alleine von den Kalendern wurde drei
Millionen im Taschenformat und 700.000 als Wand-
kalender gedruckt, und nach nur drei Wochen war
alles ausverkauft!
Thema der Ausstellung war die spanische Natur,
ihre Vielfalt und Einzigartigkeit. Es gab Bilder aus
allen spanischen Provinzen, aufgenommen mit den
unterschiedlichsten Techniken und einer Vielzahl
von Motiven – vom aufblühenden Mohn im Früh-
jahr, über Steineichenwälder bei Nacht, Pardelluch-
se, iberische Braunbären, Großtrappen, Quallen und
Fische, bis hin zum Mondaufgang über den Bergen
und den verborgenen Schönheiten der spanischen
Küste. Und Menschen im ganzen Land konnten sich
von der Schönheit unserer Natur bezaubern lassen,
auf Märkten und Flaniermeilen, in Gärten und Parks.
Nachts wurden die Bilder von der Rückseite her
beleuchtet, und bei der Eröffnung spielte Maestro
Luis Ivars, Musiker und Komponist, auf dem Kon-
zertflügel. Ich glaube, jeder kann sich vorstellen, wie
ich mich in diesem Augenblick gefühlt habe. Es war
eine große Ehre für mich und die Würdigung meines
Lebenswerks als Fotograf.
Erzähle unseren Lesern doch bitte etwas vom Projekt
“S.O.S SPANISH COASTLINE”!
Ein ganz wundervolles Projekt, etwas, das es in die-
ser Art noch niemals zuvor in Spanien gegeben
hat. Es geht um den Schutz der spanischen Kü-
stenlandschaften. Unterstützt wird das Projekt von
Tausenden von Helfern, Privatpersonen, Stiftungen,
Naturschutzverbänden, aber auch öffentlichen Ein-
54 GDT Forum Naturfotografie
Blick über die Schulter
richtungen und Industrieunternehmen. Zum Kern-
Team gehören rund dreißig Personen,Wissenschaftler,
Journalisten, Fotografen, Blogger u.v.m. Alle arbeiten
unbezahlt in ihrer knapp bemessenen Freizeit. Alles
begann mit einer E-mail an Freunde und Kollegen,
und inzwischen besuchen täglich Zehntausende von
Menschen aus 28 Ländern der Erde unseren Blog.
Bislang haben wir die Unterstützung von “Friends of
Earth”, dem “WWF”, “GOB” und von “ANSE” sowie
den wichtigsten ökologischen Vereinigungen und Stif-
tungen. Dazu zählen “OCEANA”, “O2”, “FELIX RO-
DRIGUEZ DE LA FUENTE”, “GLOBAL NATURE”
und “EDC OMACHA”, Hinzu kommen Foto-Ma-
gazine und Fotografen-Verbände und viele weitere
internationale Verbände.
Nun, was genau beabsichtigen wir? Wir möchten
mit den unterschiedlichsten wissenschaftlichen und
künstlerischen Disziplinen auf den Zustand der spa-
nischen Küsten hinweisen, auf ihre Gefährdung, ihre
Schönheit und auf die Möglichkeiten des Schutzes.
Meine Aufgabe ist es, die Küsten des Landes, inklusive
der Kanaren und Balearen, fotografisch zu dokumen-
tieren. Die Zerstörung durch Verbauung, Wasserver-
schmutzung und Müll, aber auch diejenigen Gebiete,
die ihre Schönheit bewahren konnten, und die umso
dringender des baldigen Schutzes bedürfen. Auf mei-
nen Reisen fand ich unglaublich viel Rückhalt bei der
lokalen Bevölkerung. Man half mir, wo es nur ging,
zeigte mir verborgene Stellen, bot mir Unterkunft
und Mahlzeiten an. Als ich einmal morgens um sechs
Uhr an einen Strand auf Ibiza kam, warteten bereits
50 Menschen dort, die mich begleiten wollten, als
eine Art solidarischer Geste.
Es geht für mich also darum, aus der Sicht des Künst-
lers, des Fotografen, die Küstenlandschaften zu analy-
sieren und genau zu definieren, was überhaupt eine
Landschaft ist oder was für einen Wert sie darstellt.
Bei dieser Arbeit lerne ich viel Neues, und gerade die
Erarbeitung der genannten Definitionen stellt eine
echte Herausforderung dar.
Das Ergebnis unserer Arbeit werden Tausende von
Bildern sein, Tabellen mit wissenschaftlichen Daten,
Luftaufnahmen und Landkarten, die wiedergeben,
wie es um unsere Küsten bestellt ist. Und dieses gan-
ze Material wird wiederum Eingang finden in Aus-
stellungen, Büchern, Vorträgen und einer Homepage.
Wir planen, auch die Schulen in das Projekt einzu-
binden, und inzwischen melden sich sogar berühmte
GDT Forum Naturfotografie 55
Blick über die Schulter
spanische Künstler bei uns, die einen Beitrag leisten
wollen, indem sie einen bestimmten Strand oder
eine Bucht “adoptieren”.
Zum Schluss werden wir damit zum spanischen
Umweltministerium gehen. Einige Tausend Men-
schen werden dort einen Forderungs-Katalog abge-
ben, der alles umfasst, was wir in dieser Zeit zusam-
men erarbeitet haben. Es ist sehr wichtig, den Druck
auf die spanischen Politiker zu erhöhen, auch gerade
durch internationale Unterstützung, denn bislang
vertreten viele von ihnen ausschließlich die Interes-
sen der Bauunternehmen und Hotelbetreiber. Aber
ich bin mir sicher, dass man “S.O.S. Spanish Coast-
line” nicht aufhalten kann. Es ist ein Kreuzzug des
Umweltschutzes, der gerade erst begonnen hat.
Der Einsatz für den Umweltschutz bedeutet Dir sehr viel.
Glaubst Du,“schöne” Bilder können etwas bewirken?
Ja, da bin ich mir ganz sicher. Ich habe Menschen vor
Bildern weinen sehen. Was wir tun ist Kunst, und
Kunst hat etwas mit Emotionen zu tun. Wenn wir
jemanden mit einer starken visuellen Botschaft kon-
frontieren, wird dieser Mensch das nicht so schnell
wieder vergessen. Und es sind wir Menschen, die
etwas bewegen können, im Guten wie Schlechten.
Ja, ich denke, Bilder können eine Menge bewegen,
heute mehr denn je. Und genau darum geht es auch
in meinen Projekten.
In den vergangenen Jahren habe ich mich viel mit
Wahrnehmung, Bildsprache, Kommunikation und
Gestrandet – Canon 5D, 17-40mm, ISO 50, umgekehrter Grauverlauffilter Marketing beschäftigt. All diese Themen kann man
Ebbe – Canon 5D, 17-40mm, ISO 50, Grauverlauffilter als Teil einer Komposition betrachten. Wenn eine
schlechte Nachricht gemeldet wird, dann wird sie
von der Öffentlichkeit am liebsten verdrängt. Zu
viel Negatives hat man inzwischen schon gehört,
man will sich nicht weiter deprimieren lassen. Man
schützt sich durch Verdrängen. Durch “schöne”
Bilder aber erreichst Du die Menschen. Schön ist
hier nicht gleichzusetzen mit inhaltsleer, sondern
mit stark. Stark durch Schönheit, eine schwierige
fotografische Aufgabe, aber so ist es nun einmal,
wir interessieren uns mehr für Schönes als für De-
struktives. Wenn man das Buch zum “S.O.S. Spanish
Coastline”-Projekt nur mit Bildern ausstatten wür-
de, die Hässliches und Zerstörtes zeigen, ich glaube,
nur wenige Menschen wären damit zu erreichen.
56 GDT Forum Naturfotografie
Blick über die Schulter
Zeigt man aber auch das verbliebene Schöne und
weist auf seine Gefährdung hin, so werden sich, da
bin ich mir sicher, viele Menschen für unser Anliegen
begeistern lassen.
Hast Du bestimmte Vorhaben in nächster Zeit, oder
gibt es etwas, das Du Dir wünschen würdest?
Ja, sicher, da gibt es Vieles. Ich möchte sehr ger-
ne unseren spanischen Foto-Wettbewerb – FO-
TOCAM –  weiter ausbauen. Letztes Jahr hatten wir
bereits 700 Einsendungen aus acht Ländern. Es gab
eine sehr gute Jury, und auch in diesem Jahr wird das
wieder so sein. Unter anderem ist Martin Eisenha-
wer, Euer neuer Präsident, eines der Jury-Mitglieder.
Außerdem engagiere ich mich bei AEFONA, der
spanischen Naturfotografen-Vereinigung. Ich möch-
te den Kontakt zu anderen Verbänden intensivieren
und erreichen, dass mehr Besucher zu unserem
jährlichen Festival kommen.
Mein Verlag Fine Art Editions plant, jährlich ein neues
Buch mit mir zu machen zu verschiedenen Themen
der Naturfotografie.
Außerdem möchte ich mich ein wenig in der Kunst-
szene umschauen, Galerien, Ausstellungen und
Kunstmärkte besuchen.
Wir Naturfotografen müssen die Chance nutzen,
uns austauschen, Erfahrungen weiterzugeben, auch
auf internationalem Niveau. Wir müssen unsere Ver-
bände besser vernetzen, unsere Außenwirkung ver-
bessern und den Ideenfluss fördern, um dann lokal
agieren zu können, um die Welt zu verbessern und Anziehungskraft – Analog, 24mm Weitwinkelmakro, ISO 50
sie kleiner zu machen, was die Kommunikationsbar- Monduntergang am Atlantik – Canon 5D, 17-40mm, ISO 200, umgekehrter Grauverlauffilter
rieren anbelangt. Das wäre mein Wunsch! v
Weiterführende Links
100% Natural (Spanisch)
http://www.cienporciennatural.es
Blog S.O.S. Spanish Coastline (Englisch)
http://blog.paisajesdemar.com/en/
Interview: Sandra Bartocha | Übersetzung: Werner Bollmann
GDT Forum Naturfotografie 57