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ETHNIZITÄT UND GESELLSCHAFT

Occasional Papers
Nr. 17

Ingeborg Baldauf
Die Knabenliebe in Mittelasien:
BaSaboziik
CIP-Kurztltelaulnahme der Deutschen
Bibliothek

Baldauf, Ingeborg:
Die Knabenliebe In Mittelasien:
Baäabozlik / Ingeborg Baldauf.
(FreieUnlv. Berlin,
Forschungsgebietsschwerpunkt EthnlzItSt u.
Gesellschaft). — Berlin: Verl. Das Arab. Buch,
1938 (Ethnizität und Gesellschaft/
Occasional Papers; Nr. 17)
ISBN 3-923446-29-2
NE: Ethnizität und Geselischaft/Occaslonal
Papers

Freie Universität Berlin


Forschungsgebietsschwerpunkt
ETHNIZITÄT UND GESELLSCHAFT
Probleme ethnischer Grenzziehung
in Gesellschaften des Vorderen
und Mittleren Orients
Sprecher:
Prof. Dr. Friedemann BOttner
Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients
Ihnestr. 31
D-1000 Berlin 33
Tel.: 0 3 0 /8 38 66 40

ISBN 3-923446-29-2
OCCASIONAL PAPERS

© by Ingeborg Baldauf
Alle Rechte Vorbehalten

Bestellungen:
Das Arabische Buch
Wundtstr. 13/15
D-1000 Berlin 19
Tel.: 0 30/ 3 22 85 23

Druck: R. Walter, Göttingen


Prlnted In Germany 1988
INHALTSVERZEICHNIS

naßabozliji “ Knabenliebe, Volkslied und Litera­


tur in Mittelasien 5

gjEabozlik - das afghano-özbekischeKnabenspiel 11

naftabozlik und Volkslied: Einstellungen und ihre

Relativierung 31
j
Einstellungen der bada 32

Einstellungen der badaboz 38

Einstellungen von Außenstehenden 59

Der Wortschatz des Knabenspiels - ein Schatz an

Hinweisen? 67

Päderastie? Prostitution? Ein Weg zu Gott? Ein

Abweg der Natur? - Versuch einer Einordnung

des mittelasiatischen Knabenspiels. 77

Anhang
Das Entwerden eines Phänomens. Badabozlik in

Literatur und Publizistik Özbekistans. 97


1
Literaturverzeichnis 111

Abbildungen ^13

Abstract 115
Ba Ca BOZLIK - KNABENLIEBE, VOLKSLIED UND LITERATUR

IN MITTELASIEN

Mittelasien gilt im Bereich der islamischen Tradition schon

lange als das Land der Knabenliebe. Die Päderastie sei aus dem

Osten, aus Chorasan, nach Bagdad eingedrungen, und im 9. und 10.

Jahrhundert u.Z. war Afghanistan bereits berühmt als Herkunftsort

nicht nur der gefälligsten Knaben, sondern des Knabenspiels ins­


gesamt . (1)

"Knabensplel" - warum wurde gerade diese Übersetzung für

das özbekische badabozlik bzw. das persische badabozi gewählt?

Nun, die exakte Übersetzung des Terminus wäre "Knabenspieler-

Tum"; der bafiaboz. der "Knabenspieler", ist der männliche Er­

wachsene, dessen Hobby der Umgang mit Knaben ist, so wie der

budanaboz sich an NettkampfWachteln, der qimorboz sich am Glücks­

spiel und der zanakaboz sich an Frauen delektiert. Auf eine

Wiedergabe des Hortes als "Päderastie" wird ganz verzichtet:

Dieser Terminus bringt zu vieles an Implikationen mit sich, die

dem mittelasiatischen Knabenspiel nicht eigen sind. "Knabenliebe"

auf der anderen Seite gibt eine zu. vage Vorstellung von dem

Phänomen, das hier beschrieben werden soll. "Knabenspiel" hat

also nicht nur den Vorzug, ein autochthoner Terminus zu sein, das

Wort läßt darüber hinaus auch schon etwas vom Charakter von

baCahnzHk ahnen : Wenngleich, wie wir sehen werden, das Phäno­

men insgesamt mindestens gleichviele Schatten- wie Sonnenseiten

»ufweist, so bleibt ihm doch auch der Anstrich der Liebhaberei,1

(1) g. j,äam Mez: Die Renaissance des Islams. Heidelberg 1922.

6
des Spiels, erhalten. [
spie:
der
Hier wird also das Knabenspiel bei den Özbeken Afghanistans i
1977
im Vordergrund stehen. Das transoxanische Knabenspiel ist vom
bis i
afghano-özbekischen phänomenologisch nicht zu trennen; allerdings |
fors<
besteht ein wesentlicher Unterschied in der Zugänglichkeit der I Knab<

Informationen über baöabozlik dies- und jenseits des Amu Darja. I esse;

Während man im Afghanistan der siebziger Jahre, ja durchaus noch 1 konsi

im nach-revolutionären Afghanistan etwa des Sommers 1978, das aufn,


Phänomen geradezu auf dem Präsentierteller entgegengebracht Phän

bekam, hatten "aufklärerische" Strömungen eurozentristischer soga

Prägung das Knabenspiel im jetzt sowjetischen Mittelasien bereits samm

seit der Eingliederung ins Zarenreich zu diskreditieren gesucht Knab

und waren nach jahrzehntelangem, zeitweilig sehr erbittert mehr

geführtem Kampf im ersten - nachrevolutionären Jahrzehnt gehi

schließlich erfolgreich' geblieben. Seit den 1930er Jahren zum

existiert ein Phänomen baöabozlik offiziell nicht mehr, auch scha


baöa
nicht als Forschungsgegenstand irgendeiner akademischen Diszi­
lieh
plin, und die Generation der heute Dreißigjährigen kann mit dem .
: bunc
Terminus nichts Konkretes mehr verbinden - zumindest nicht, *
lieh
soweit es sich dabei um Angehörige der Taschkenter geistigenj
das
Elite handelt. Darum bleibt das - fragmentarische - Material,f
wurc
das zum transoxanisch-özbekischen Knabenspiel zusammengetragen |
alln
werden konnte, einem kleinen Anhang Vorbehalten: Vielleicht wird
spie
baöabozlik bei den özbeken Afghanistans einen ähnlichen Nieder-t
gern
gang erleben bzw. erlebt ihn schon jetzt, wenige Jahre nach der
das
Revolution.

Alle Aussagen, die hier über das afghano-özbekische Knaben-

6
!

spiel getroffen werden, beziehen sich auf die Zeit bis kurz nach

der Aprilrevolution von 1978. ich hatte in den Jahren 1975 bis

1977 wiederholte Male in beschränkterem Ausmaß und dann von März

bis Juli 1978 besonders intensiv Gelegenheit, anläßlich von Feld­

forschungsaufenthalten die verschiedenen Aspekte des Phänomens

Knabenspiel kennenzulernen. Das eigentliche Ziel meines Inter­

esses ist badabozlik nie gewesen; dementsprechend habe ich keine

konsequente Beobachtung, schon gar nicht systematische Daten­

aufnahme oder Befragung durchgeführt. So ist mein Wissen um das

Phänomen lückenhaft geblieben. Dennoch scheint mir angezeigt,

sogar dieses unvollständige und nicht systematische Wissen zu­

sammenzufassen und vorzulegen. Zum einen ist anzunehmen, daß dem

Knabenspiel im revolutionären Afghanistan keine lange Zukunft

mehr beschieden sein wird und vor allem die Gelegenheit zu un­

gehindertem Studium des Phänomens nicht wieder gegeben sein wird;

zum zweiten wird das beharrliche Schweigen kompetenterer Gesell­

schaftswissenschaftler der Bedeutung einfach nicht gerecht» die

bafiabozlik im Gesamtzusammenhang des. özbekischen gesellschaft­

lichen Lebens nun einmal hat. Ich begebe mich bei der Beschrei­

bung des Phänomens Knabenspiel etwas außerhalb meines eigent­

lichen Interessensgebiets. Ich war nach Afghanistan gekommen, um

das Volkslied der özbeken zu erforschen. Im Zuge dieser Arbeit

wurde ich aber so massiv mit dem Knabenspiel konfrontiert, daß


1(
allmählich mein Interesse geweckt wurde. Volkslied und Knaben­
1’
spiel sind auf verschiedenen Ebenen miteinander verbunden: Eine

genaue Kenntnis des Knabenspiels hat sich als unumgänglich für

das Verständnis vieler Liedtexte erwiesen, und darüber hinaus ist

7
eine solche Kenntnis unabdingbar für ein Verständnis
* dessen
' \- ziemlic
warum bestimmte Lieder wann und von wem gesungen werden. Auf der
also j
Ebene der Wechselbeziehungen zwischen Knabenspiel und Lied knüpft
gebiet,
sich also das Interesse des Folkloristen an baöabozlik. ;
Recht
Das Interesse des Literaturwissenschaftlers am Knabenspiel |
Glücks:
ist ein eher indirektes, sekundäres. Die Özbekische Literatur, r
zugetai
angefangen von den frühen Produkten $adidistischen literarischen |
Na<
und publizistischen Schaffens bis hin zur publizistischen Satire {
Nordwei
_ f
der späten zwanziger Jahre, hat das Thema baöabozlik wiederholt ^
Verwal
aufgegriffen und verarbeitet. Allerdings unterscheidet sich der der mä
literarische Zugriff auf das Phänomen vom folklorischen ganz in da
grundlegend: Während nämlich das Volkslied mit dem Knabenspiel ’ als Kn

lebt, steht die Individualliteratur stets dagegen. Somit sind die später
özbekischen literarischen Zeugnisse, die im Anhang vorgestellt
v
werden, nicht geeignet, uns Erkenntnisgewinn hinsichtlich des De

Phänomens an sich zu verschaffen; sie reflektieren allenfalls die mens

öffentliche Meinung (oder das, was diese Meinung hätte sein Bezüge

sollen,) über das Phänomen. Phänon

fremd«
Das Knabenspiel der özbeken steht in Afghanistan nicht
möglic
alleine da. Vielmehr ist baÖabozi auch bei den anderen Bevölke- |
sie m:
rungsgruppen wohlbekannt, wenngleich es nicht überall in der j» Abschi
gleichen Intensität
.
betrieben wird. Die verschiedenen Gruppen
|
wiede:
schieben den Ruf des "baöaboz" schlechthin zwischen einander hin jt von
und her, z.B. in Spitznamen (2) für die Bevölkerung einer be- i. Stell
stimmten Region. Allerdings waren sich die Afghanen insgesamt weite
gewid
(2) So sollen die Bewohner von Loggar den Spitznamen baöaboz
tragen. (Pierre Centlivres: Noms, surnoms et termes kann,
d ’adresse dans le Nord Afghan. in: Studia Iranica 1.1972.1)
ziemlich einig darin, daß die ärgsten baöaboz in Mazori Sarif,

also im zentralen Norden und damit im özbekischen Siedlungs­

gebiet, angesiedelt seien. (Die Bevölkerung dieser Region gilt zu


Recht insgesamt als sehr "spielfreudig", als gleichermaßen dem

Glücksspiel, der Tierwette und eben dem Spiel mit Knaben


zugetan.)

Nach meinen eigenen Beobachtungen, angestellt in den_ drei

Nordwestprovinzen Forjob, Gowz§on und Balx (letztere mit dem

Verwaltungszentrum Mazori Sarif), ist ein Drittel bis die Hälfte

der männlichen özbekischen Bevölkerung irgendwann in ihrem Leben

in das Knabenspiel involviert, sei es als Tanzknabe (baöa) oder

als Knabenfreund (ba&aboz). oder sei es gar zuerst als•baöa und


später als baÖaboz.

Der hier vorgelegte Versuch einer Erfassung des Gesamtphäno­

mens Knabenspiel samt seiner folklorischen und literarischen

Bezüge gliedert sich in drei Kapitel. Eingangs soll das

Phänomen aus der Sicht des außenstehenden, mental unbeteiligten

fremden Beobachters beschrieben werden, d.h. ich werde versuchen,

möglichst viele objektiv feststellbare Fakten vorzulegen, so wie

sie mir selbst vor Augen getreten sind* - Danach werden in drei

Abschnitten die Einstellungen der vom Knabenspiel Betroffenen

wiedergegeben, d.h, ich werde weitergeben, was ich aus dem Munde

von baöa, baCaboz und mental involvierten Außenstehenden an

Stellungnahmen zum Knabenspiel habe erfahren können. - Ein

weiteres Kapitel ist dem Sonderwortschatz des Knabenspiels

gewidmet, der das Phänomen möglicherweise zusätzlich erhellen

kann, weil sich in ihm Tatsachen widerspiegeln, die sich die

9
heute ins Knabenspiel Involvierten nicht (oder nicht mehr) bewußt

machen. ' "

In den drei Abschnitten von Kapitel 2 wird im notwendigen

Ausmaß das Volkslied als Beweis- oder Relativierungsmittel


herangezogen werden. Der Bezug zur Literatur dagegen bleibt
dem Anhang über das Knabenspiel in Transoxanien Vorbehalten.

Der Versuch schließlich, das moderne Knabenspiel der

afghanischen Özbeken in den Rahmen vergleichbarer Phänomene

ein2 uordnen, wird nur ein Anstoß zu eingehenderen Untersuchungen


sein können.

10
b a Ca b o z l i k
DAS AFGHANO-ÖZBEKISCHE KNABENSPIEL

Wie wird ein Knabe zum baia? Um "Tanzknabe" (ich verwende

diese Hilfsübersetzung, die nur auf eine Funktion des baia Bezug

nimmt, um dem m.E. bereits zu stark wertenden, d.h. abwertenden

Wort "Lustknabe" auszuweichen) werden zu können, muß der Knabe


zwei Grundvoraussetzungen erfüllen.

Die erste davon ist das richtige Alter. BaCa kann man nur

während der Zeit der körperlichen Pubertät sein, was etwa dem

Abschnitt zwischen dem elften und dem achtzehnten Lebensjahr ent­

spricht. Als "die besten Jahre" (der verwendete Terminus hadd

bedeutet im normalen Sprachgebrauch "optimale Reifezeit von Obst

u.ä." und "Klimax der Jahreszeit") gilt die Zeit von 12 bis 16

Jahren. Einen Knaben vor Einsetzen der Pubertät zum baöa zu

nehmen, gilt als Sünde (guno) - eine geradezu ironisch anmuten­

de Einschätzung angesichts der Tatsache, daß der Umgang mit

Gleichgeschlechtlichen insgesamt im Islam nicht gerade dem

Bereich des Nicht-Sündhaften zu subsumieren ist. Ein Jüngling

andererseits, dessen Barthaar schon reichlich sprießt und dessen

Stimme die endgültige Lage angenommen hat, wird als häßlich

bezeichnet und ist als baöa nicht mehr akzeptabel.


Die zweite Voraussetzung ist ein Mindestmaß an

berufsspezifischer Ausbildung. Dazu gehört einerseits, daß der

Knabe tanzen und Lieder singen kann, und andererseits eine |

gewisse Vertrautheit mit dem traditionellen Bildungsgut der j

Özbeken, also mit der persischen und der äaSatajischen Literatur,

in der die Kinder durch einen traditionellen Lehrer (mullo)

unterwiesen werden. Insgesamt soll der Knabe gute Umgangsformen

11
haben und ein angenehmer, vorzeigbarer Gesellschafter sein.
Mög
Wie steigt nun ein Knabe, der beide Voraussetzungen erfüllt, j Mil
ins baöaboz-Milieu ein? ■ aus
Ein eher selten beschrittener Weg ist der folgende: Der ! der

Knabe fällt auf einer milieufremden Veranstaltung, etwa auf einer j det

Hochzeit oder einem beliebigen Verdienstfest, durch sein ange­ Tra

nehmes Wesen und durch seine Begabung für Tanz und Gesang einem | ist

baöaboz auf. Dieser verliebt sich in ihn und sucht ihn für seine zun
' .. i
Interessen zu gewinnen. Dieser Weg führt in jedem Falle über das .
Km
Einverständnis des Vaters des Knaben, ohne das die Aufnahme der 1
mir
baöa-Tätigkeit grundsätzlich nicht möglich ist. Gibt der Vater
de!
seine Zustimmung nicht - was aus prinzipiellen Gründen ebenso j
ke:
geschehen kann wie aus temporären, etwa weil der Knabe "noch zu i
ve]
jung” ist - , so kann der baöaboz den Knaben zwar umschwärmen j
' — v M * ' r so
und den Teil des Knabenspiels verwirklichen, der die Verfügbar- |
Kn,
keit des Knaben nicht voraussetzt (dazu näheres später); dieser j zui
Zustand ist für den verhinderten baöaboz allerdings kompromittie­
Af<
rend und wird nur als Vorstufe zu einer eigentlichen Beziehung I
le
akzeptiert. Wünschenswert ist er höchstens, wenn seine zeitliche f
He
Begrenztheit klar absehbar ist. ;
di
Der Vater also entscheidet darüber, ob sein Sohn überhaupt * Gl
baöa werden soll, bzw. ob die Zeit dafür schon gekommen Ist. Ja ni
mehr noch: Ein weit häufiger beschrittener Weg ist der, daB es le
der Vater selbst ist, der den Sohn von sich aus ins Milieu einr_ [ _ an

bringt, ohne daß erst ein AnstoB von dritter Seite gekommen wäre. ei
Dazu kommt es oftmals dadurch, daß der Vater ohnedies im W€

Milieu verkehrt und die gesellschaftlichen und finanziellen fa

12
Möglichkeiten nicht ungenützt lassen will, die sich dem Knaben im

Milieu auftun. Der Vater übt also die Funktion eines Zuhälters

aus, im positiven wie im negativen Sinn: Er wacht darüber, daß

der Knabe durch milieuinterne Auseinandersetzungen nicht gefähr­

det wird; er regelt die Modalitäten der erotisch-f inanziellen

Transaktion; er behält Bargeld, soweit es Teil dieser Transaktion

ist, ein und überläßt dem Sohn allenfalls einen gewissen Betrag
zum sofortigen Verbrauch.

In beiden bis jetzt genannten Modi des Einbringens eines

Knaben ins Milieu besteht Freiwilligkeit der Entscheidung, zu­

mindest auf Seiten des Vaters. Nun gibt es aber einen dritten Weg

des Einstiegs ins baÖaboz-Milieu. bei dem diese Freiwilligkeit

keineswegs gegeben ist und den Knabe und Familie gleicherweise zu

vermeiden trachten, der aus wirtschaftlichen Gründen dennoch von

so manchem Knaben beschritten werden muß: Die Verpfändung des

Knaben an einen Gläubiger der Familie, der seinerseits den Knaben

zum baöa macht. Die Produktionsverhältnisse im vorrevolutionären

Afghanistan führten Kleinbauern und landlose Lohnarbeiter sehr

leicht in Verschuldung und Abhängigkeit von einem Gläubiger. Eine

Methode der Schuldentilgung - analog dem Mädchenverkauf - war

die Verpfändung von Knaben. - Im günstigeren Falle ist der

Gläubiger selbst ein baöaboz, findet Gefallen an dem Knaben und

nimmt ihn zu seinem baöa, eben ohne eine finanzielle Gegen­

leistung zu erbringen. Im ungünstigen Fall aber gerät der Knabe

an einen professioneUen Zuhälter oder wird vom Gläubiger an

einen solchen weitervermittelt. Die zuhälterabhängigen Knaben

werden in aller Regel an fremde Orte verbracht, wo ihnen jeder

familiäre Rückhalt fehlt und wo sie vom Zuhälter nach dessen

13
Gutdünken ausgebeutet werden können. Es soll Zuhälter geben, die

eine ganze Schar von baÖa wie Tiere in stallartigen Löchern


halten, sie für jeden beliebigen Freier und unter den erniedri­

gendsten Bedingungen verfügbar machen, sie auf diese Weise


körperlich völlig erschöpfen und die Knaben, nachdem sie das

letzte aus ihnen herausgeholt haben, ohne jede finanzielle Ab­

findung in fremder Umgebung sich selbst überlassen und ihnen

nicht einmal die Heimkehr zur Familie ermöglichen.

Derartige schwere Übergriffe - die auch als solche einge­

stuft werden - entziehen sich der näheren Beschreibung, da

verständlicherweise über die zuhältervermittelte Knabenprostitu­

tion nur wenig zu erfahren ist. Der Sektor soll, wie allgemein

vorgegeben wird, im Rahmen des Gesamtphänomens baöabozlik un­

typisch und quantitativ irrelevant sein. Im Regelfall bleibt der

Knabe unter der Aufsicht seines Vaters bzw. untersteht, sobald

der Vater einen baöaboz eines festen Verhältnisses mit seinem

Sohn für würdig befunden hat, der Überwachung eben dieses baÖa-

boz, ohne daß dabei der Kontakt zum Vater unterbrochen würde.

Worin besteht nun im Regelfall die Tätigkeit eines baCa?

Wie bereits bei Nennung der Voraussetzungen für den Einstieg

ins Milieu angeklungen ist, fordern die Knabenfreunde vom baöa

primär angenehme Gesellschaft. Der bafia soll möglichst oft mit

dem ba&aboz zusammen sein (wiewohl er normalerweise weiterhin bei


seiner Familie wohnt), er soll den baöaboz zu gesellschaftlichen

Ereignissen aller Art begleiten, er soll unter bestimmten noch

näher zu erläuternden Voraussetzungen mit dem Knabenfreund ge­

meinsam gesellige Runden im Milieu (majlis, "Treffen”, genannt)


aufsuchen unc* soll bei derartigen Veranstaltungen unter Umständen

tanzen und singen. An körperlichen Gunsterweisen erwartet der

ba&aboz auf jeden Fall Küßchen und kleine Zärtlichkeiten. Die

passive Teilnahme des baöa an anal-genitalem oder intercruralem

Verkehr dürfte dagegen nur ausnahmsweise gefordert werden und

scheint den Endpunkt einer Beziehung darzustellen, über den

hinaus das Verhältnis zwischen baöa und baöaboz nicht weiter

aufrecht erhalten wird. im zuhältervermittelt-prostitutiven

Bereich spielt Verkehr in den genannten Praktiken offenbar eine

weitaus größere Rolle als im subkulturellen Hauptbereich.

BaÖa, die neu einsteigen, sei es durch erstmalige Kontaktauf­

nahme mit dem Milieu oder durch Ortswechsel - zuhältengebundene

bafca werden "auf Tournee" geschickt, um den Markt zu beleben und

als interessante Neulinge besser bezahlt zu werden (3) - ,

können eine größere Anzahl von prospektiven Freunden um sich

scharen. Sie stellen erst einmal auf einigen mailis, die zum Teil

eigens ihretwegen von einem Zuhälter oder baCaboz veranstaltet

werden, ihr tänzerisch-sängerisches Talent unter Beweis und zei­

gen sich als Gesellschafter so attraktiv wie möglich.

Eine nicht geringe Rolle bei der Selbstdarstellung des Knaben

spielt die geeignete Kleidung und Aufmachung. In beidem ist die

Erscheinung des baöa weitgehend der von kleinen Mädchen nach­

empfunden: Der Knabe trägt weitgeschnittene Hosen (iäton) aus

feinem, möglichst weißem Stoff, darüber ein buntes, wadenlanges

Kleid (küilai) mit abgesetzter Mitte und langen Ärmeln und auf

(3) Dieselbe Gepflogenheit beschreibt Hans-Joachim Schickedanz


in Hnmnspvi^lle Prostitution. Eine empirische Untersuchung
üh*r diskriminiertes Verhalten bei Strichjungen und
Call-Bovs.— Frankfurt 1979, p. 72? von dieser Stelle wurde
auch der Terminus "Tournee" übernommen.

15
dem Kopf ein besticktes Käppchen (toggi). Dazu kommen die typi-
i
sehen baCa-Attribute, nämlich ein breiter, die Taille betonender'

und beim Tanz die Rockschöße vorteilhaft wirbeln machender Gürtel

(kamaröin) und die Knöchelreifen mit Schellen (z a o ), die durch

ihr Geklimper den Rhythmus des Tanzes unterstreichen. Manche

Knaben tragen Käppchen, von deren Rand falsche Korkenzieherlocken £

baumeln; diese Locken gelten als besonders frivol. Schminke und?

Schmuck entsprechen denen von


..
Mädchen.
' !
r

- So sehr die Knaben in ihrer Gewandung -und Aufmachung Mädchen

angeglichen werden, so sehr unterscheidet sich ihr Stil zu tanzen |


s.
von dem der Mädchen und Frauen. Letztere tanzen sehr getragen, $

mit kleinen Schritten und nach vorne hochgestreckten Armen, zu j

Rhythmen, die von einer Schellentrommel (tavla, d o j r a ) vorgegebenj

werden. Die baöa dagegen wirbeln mit seitlich ausgebreiteten j-.

Armen und stampfen im Rhythmus der begleitenden Instrumenta ff


B:
(Laute dumbira und kleine Becken toi zao) kräftig auf. *. £

Während der Knabe tanzt, findet die erste Kontaktaufnahmef

zwischen ihm und einem prospektiven baöaboz statt - meist auff


fr
Initiative des baÖaboz. (Die Knabenfreunde selbst tanzen übrigens!

nicht; sie werden allenfalls durch Singen aktiv, meist aber j;


v
sitzen sie nur rund um die Tanzfläche und klatschen höchstens den

Takt mit.) Schon in diesem Stadium des ersten Kontakts k önnen,

die baöa mit Geldzuwendungen rechnen: Während der Knabe (bzw. auf

größeren Veranstaltungen auch eine größere Zahl von Knaben)

tanzt, werfen ihm Verehrer, um auf sich aufmerksam zu machen,

Geld zu oder winken ihn zu sich heran, um ihm Geldscheine an die

Kleidung zu heften und so zugleich körperliche Nähe herzustellen.


Ein raffinierter Knabe kann sich die Rivalität mehrerer baöaboz
zunutze machen und durch kleine, zur rechten Zeit gemachte

Avancen die Verehrer in eine wahre Versteigerungsstimmung trei­

ben# wobei für ihn selbst bei geringstmöglichem Einsatz der


höchstmögliche Gewinn anfallen wird.

Bleibt ein baöa zu lange ohne feste Bindung# so schadet dies

seinem Ansehen. Er läuft Gefahr, als unattraktiv oder, fast noch

schlechter, als flott eingestuft zu werden und begibt sich damit

der Möglichkeit, eine relativ ruhige, profitable Dauerbeziehung

einzugehen. Eine solche Dauerfreundschaft aber ist es, die im

Milieu als erstrebenswert-gilt, und so schließen die nicht zu­

hältergebundenen Knaben denn auch* früher oder später eine Dauer­

beziehung. Wie schon erwähnt, entscheidet der Vater des Knaben,

kaum je aber der Knabe selbst, ob die Freundschaft mit ei

bestimmten badaboz zustande kommen soll.


Ist das Einverständnis des Vaters gegeben, betrachtet der

ba&aboz den Knaben nunmehr als "seinen" baöa, besser gesagt als

seinen uka# was wörtlich "jüngerer Bruder" bedeutet. Die wechsel­

seitige Anrede zwischen Verehrer und Knabe lautet uka und aka,

also "jüngerer Bruder" bzw. "älterer Bruder"; diese Termini

werden außerhalb einer festen Zweierbeziefiung nicht zur Änrede

verwendet - innerhalb der Beziehung aber auf jeden Fall. Aka

und uka duzen einander nicht, jedenfalls nicht im Beisein

Dritter. Diese Form der Anrede ließe eine gewisse Geringer­

Schätzung des angesproehenen Partners durchklingen, die dem Ver­

hältnis der beiden zueinander nicht angemessen ist.


Zu den Modalitäten eines Dauerverhältnisses wird später noch

l a u e r e s zu sagen sein; vorläufig nur soviel: Der Knabe läßt

17
sich vom baftaboz aushalten, so gut es dessen Mittel erlauben. Der
Verehrer kommt für Essen und Kleidung sowie für diverse Hobbys
seines uka auf; ein Quartier stellt er ihm in aller Regel nicht,
sondern der Knabe wohnt weiterhin bei seiner eigenen Familie.
Durch Zerwürfnis unter den beiden Partnern, durch Untreue

eines der beiden <üblicherweise des baCa), durch Insolvenz des

badaboz oder einfach durch altersbedingtes Ausscheiden des- Jüng­

lings aus dem Milieu enden die Freundschaftsbündnisse zwischen

aka und uka. Es soll Freundschaften geben, die über die ganze !

Zeit der Tätigkeit eines bada bestehen bleiben, ja die sogar


später auf anderer Ebene weitergeführt werden. Geht die Partner- f

schaft aber schon früher zu Bruch, so ist der Knabe wieder frei

für den "Markt", d.h. für die gesellige, fürs erste unverbind­

liche Tanzrunde. Ein vorzeitiges freiwilliges Aussteigen des baCa

aus dem Milieu bringt den Knaben um seine Verdienstmöglichkeiten; ^


entsprechend selten kommt es auch vor. |

Sobald allerdings ein bafia aus Gründen des Alters und der ^

körperlichen Reife im Milieu nicht mehr.reüssieren kann, sieht er i

sich gezwungen, in einen dauerhaften Beruf umzusteigen. Nun haben f


)
aber die wenigsten baöa einen solchen erlernt: Ihre Tätigkeit war

- ganz besonders, wenn es um zuhälterabhängige-baöa geht - zu

anstrengend, als daß sie daneben Zeit und Kraft für eine Lehre

gehabt hätten. Außerdem ist für baöa, deren Geschäfte gut laufen,
I
die Notwendigkeit, einen Beruf mit Zukunft zu erlernen, nicht so
unmittelbar einzusehen.
i
Am wenigsten Schwierigkeiten mit dem Umstieg ins "normale"

Erwerbsleben haben naturgemäß baÖa aus der Klasse der Großgrund-


besitzer und der Händler; sie können ihr Erbe antreten oder an

der Seite des Vaters zu arbeiten beginnen und mit etwa einem
Jahrzehnt Verspätung gegenüber ihren Alterskollegen die Berufs­

erfahrung doch noch sammeln, die für ihre Zukunft notig sein

wird.

Auch denjenigen baÖa, die ein "geregeltes" bafca-Vorleben im

Rahmen einer stabilen Dauerfreundschaft hinter sich haben, ge­

lingt der Umstieg eher leicht. Sie haben vielfach doch einige

Erfahrung in einem dauerhaften Beruf erwerben können, beispiels­

weise als Geselle, Verkäufer o.ä. im Geschäft ihres aka.

Die beiden genannten günstigen Voraussetzungen koinzidieren

in vielen Fallen: Es sind gerade bafta aus der Oberschicht, die

aufgrund ihrer besseren Bildung und insbesondere aufgrund ihrer

prinzipiell gegebenen finanziellen Unabhängigkeit als Partner für

eine Dauerfreundschaft besonders attraktiv sind bzw. die selbst

in der Wahl des aka wählerisch und anspruchsvoll sein können und

sich von ihrer Tätigkeit als baöa nicht restlos in Anspruch

nehmen lassen müssen.


Einige wenige, musisch besonders begabte, baöa schaffen den

Übergang in ein Berufsleben als Sänger oder Musikant. Auf diese

Tätigkeiten sind sie durch ihre bada-Jahre ja bestens vorberei­

tet. Gerade die berühmtesten unter den Ö2 bekischen Sängern und

Instruraentaiisten, die ich kennengelernt habe, waren nach eigenen

Angaben dereinst baCa gewesen.


Diejenigen bafia aber, die weder im väterlichen Geschäft noch

in einem Beruf Unterkommen, stehen bei Abschluß ihrer "Karriere"

v0r einem schwierigen Neuanfang. Sie geraten in dieser Übergangs­

zeit in die akute Gefahr eines Abgleitens in die Kriminalität:

19
1

über Ersparnisse verfugen sie nicht oder nur begrenzt; anderseits , e


haben sie sich während der finanziell abgesicherten baÖa-Jahre an 9
einen aufwendigen Lebensstil gewöhnt. Um sich die zu dessen j b
Aufrechterhaltung notwendigen Mittel weiter zu beschaffen, wenden e
sich viele ehemalige baÖa dem Glücksspiel zu oder werden mit d

Diebstahl oder Raub straffällig. e


Hat, um einmal bei den günstigen Fällen zu bleiben, ein baöa d

den Umstieg geschafft, so muß er für die Zukunft mit keinen T

Schwierigkeiten rechnen, die sich spezifisch aus seiner Ver- t ü

gangenheit als Tanzknabe ergeben. (4) So etwa findet er sich jun­


gen Männern gegenüber, die nie als bafta tätig waren, bei Braut­ 1

erwerb und Familiengründung nicht benachteiligtr Kann er den e

geforderten Brautpreis bezahlen, so wird ihm die Braut nicht n

verweigert werden. Eine Einlassung, die von "aufgeklärter", dem i r

Knabenspiel ablehnend gegenüberstehender Seite (dazu näheres T

s.u.) immer wieder eingebracht wird, nämlich, daß ein Vater mit i

Ehrgefühl seine Tochter prinzipiell nicht einem ehemaligen baCa i d

geben würde, muß man äußerst reserviert zur Kenntnis nehmen: Eine ! G

solche Vorgangsweise würde ja, konsequent weitergedacht, auf a

Endogamie und die Entstehung einer "baöa-Kaste" bei den Özbeken i s

hinauslaufen - und davon kann keine Rede sein. Denkt man in c

anderer Richtung konsequent weiter, der Tatsache folgend, daß X


sehr viele Väter ihre Tochter einem ehemaligen baöa geben, so 1

n
(4) Daß baÖa auch aus den höchsten gesellschaftlichen Rängen
nicht ausgeschlossen bleiben müssen, kann man am Beispiel ( e
des ostturkestanischen Self-made-Regenten Jaqub Beg sehen
(Albert von Le Coq: Von Land und Leuten in Ost-Turkestan. Y
Leipzig 1928. p.8). —
3

20
ergäbe sich das Bild einer "baöa-Gesamtgesellschaft" (mit nur

ganz wenigen "ehrbaren" Ausnahme-Familien), in der man als

hadaboz sowieso unter sich ist und folglich die Tochter auch

einem bafta geben kann - und auch diese Vorstellung ist weit von

der Wirklichkeit der Szbekischen.Gesellschaft Nordafghanistans

entfernt, vielmehr wird offenbar von der überwiegenden Mehrzahl

der Özbeken das baöa-Tum als eine annehmbare vorübergehende

Tätigkeit akzeptiert, die von der Möglichkeit, eine Familie im

üblichen gesellschaftlichen Rahmen zu gründen, nicht ausschließt.

Was der Familiengründung durch einen ehemaligen bada in Wirk­

lichkeit entgegensteht, ist nicht ein moralisierendes, sondern

ein wirtschaftliches Argument: Die üblicherweise schlechte fi­

nanzielle Ausgangslage des gewesenen bafia (und seiner Familie)

rückt den Brautkauf in weite Ferne, Und damit beginnt ein

Teufelskreis für den jungen Mann. Er kann - und das in einer

in hohem Maße vom islamischen Ideal der frühen Verehelichung und

der Stillung der natürlichen sexuellen Bedürfnisse geprägten

Gesellschaft - keine legalisierte heterosexuelle Beziehung

aufnehmen. Eine solche wäre in fast der ganzen özbekisch be­

siedelten Region nur in der Ehe gegeben. (Die Institution des

gallir kennt man nur in Majmana und äibirjon und in den Gebirgs-

rand-Siedlungen zwischen den beiden Städten; sie böte zwei Ver­

lobten die Möglichkeit des Zusammentreffens, später sogar Zusam­

menlebens, im Haus der Braut, wobei auch Kinder gezeugt und

aufgezogen werden - von deren Brautpreis, so es sich um Mädchen

handelt, im Extremfall die Eltern ihre eigene, verspätete Hoch-

z*it finanzieren.)
Illegale heterosexuelle Beziehungen aufzunehmen ist schwierig

21
- es gibt kaum weibliche Prostitution - und wegen der strengen

Sanktionen gefährlich.

Was liegt in dieser sexuellen Defizienzsituation näher, als

daß der junge Mann eine Ausweichlösung findet, indem er sich

einem Zirkel von baöaboz anschließt! Eine Braut ist sehr teuer;

das Knabenspiel dagegen kann man, zumindest für den Anfang, auch

zu einem niedrigen Preis spielen. Gerade im zuhälterabhängigen

prostitutiven Sektor kann der finanzielle Aufwand niedrig ge­

halten werden. Hat der junge Mann aber erst einmal angefangen,

sich mit baöa abzugeben, geht ein kleines laufendes Einkommen für

Geld- und Sachzuwendungen an den bzw. die Knaben durchaus auf;

der junge Mann kann kein Geld mehr für den Ankauf einer Braut

zurücklegen. Um sein Bindungsdefizit auszugleichen, wird er ver­

suchen, wenigstens eine feste Freundschaft mit einem baöa zu

schließen. Damit ist er selbst zum baüaboz geworden, er ist ins

Milieu zurückgekehrt, das sich auf diese Weise selber per-

petuisiert.

Der Einstieg des bataboz ins Milieu geschieht also in vielen

Fällen aus anfangs wirtschaftlichen Gründen. Badabozlik ersetzt

das nicht erschwingliche Eheleben, insbesondere auch dessen sexu­

elle Komponente.

Nun verkehren im Milieu aber durchaus auch verheiratete Män­

ner, ja, diese stellen sogar die größere Gruppe von baöaboz. Und

mehr noch: Unter den baöaboz sind nicht wenige, die der Klasse

der Großgrundbesitzer oder der großen Händler angehören und nicht

bloß eine, sondern zwei oder drei Frauen haben. Für sie können

nicht die gleichen Beweggründe gelten wie für die unverheirateten

22
haflaboz. Damit eröffnet sich ein zweiter wichtiger Aspekt des

Phänomens badabozlik: Das Knabenspiel soll neben den sexuellen,

aus' finanziellen resultierenden, Defizienzen auch Defizienzen

• psychischer Art ausgleichen. Der baöaboz sucht und findet im

Umgang mit Knaben einen Ersatz für personale Bindungen, die ihm

das Ehe- und Familienleben nicht bieten kann.

An dieser Stelle ist ein kleiner Exkurs in die Problematik

des Frauen- und Familienlebens angezeigt; nur aus dieser heraus

wird verständlich, warum echte personale Bindungen zwischen Ehe­

partnern im allgemeinen nicht zustande kommen.

In der özbekischen Gesellschaft Afghanistans weiblichen Ge­

schlechts zu sein, beginnt schon mit einem negativen Auftakt:

Während die Geburt eines Knaben ein großes familiäres Ereignis

darstellt und der jungen Mutter einen beachtlichen Zuwachs an

Prestige sichert, findet die Geburt eines Mädchens kaum Beachtung

und hebt die Mutter in der Familienhierarchie nicht höher. Der

Sohn wird einst Herr der Familie sein; dementsprechend hätschelt

ihn die Mutter und versucht, mit ihm gut zu stehen und auf ihn

Einfluß zu gewinnen, um über ebendiesen Sohn später ihre eigene

Macht innerhalb der Familie auf ein solides Fundament stellen zu

können. Die Tochter dagegen wird das Haus früh verlassen. Sie

kann der Mutter nicht nützlich sein, ja im Gegenteil, sie zur

Welt zu bringen und zu erziehen, bedeutet für die Mutter gerade

noch ungelohnte Mühe. Konsequenterweise ist das Verhältnis

Mutter-Tochter im Regelfall ein gestörtes? eine erwähnenswerte

Positive Beziehung zwischen Tochter und Vater existiert, wenn

überhaupt, nur im frühen Kindesalter, etwa weil der Vater auf

23
sein niedliches Töchterlein im Kreise von Freunden und Gästen .

stolz sein kann. Später verschwindet die Tochter fast ganz aus

dem Gesichtskreis des Vaters und wird erst wieder bei Eintritt

ihrer Pubertät interessant» und zwar als Wirtschaftsgut. Die

"Investitionen", die die Familie durch Ernährung und Erziehung an

der Tochter getätigt hat, sollen sich durch einen hohen Braut­

preis lohnen - je früher, desto besser. So ist das Ausheiraten

einer elf- oder zwölfjährigen Tochter durchaus keine Ausnahme;

vierzehn gilt als das ideale Heiratsalter.

Hat das Mädchen Glück, so wird es an einen ledigen, eventuell

sogar noch jungen, Mann verkauft. In ihrer neuen Familie hat sie

dann mit nur einem potentiellen Feind zu rechnen: der Schwieger­

mutter. Diese sieht in der Braut primär die Konkurrentin um die

Gunst ihres Sohnes und leistet ihr möglichstes, ein herzliches

Verhältnis zwischen den Brautleuten erst gar nicht aufkommen zu

lassen. Dies fällt um so leichter, je jünger die Braut und je

älter der Bräutigam ist: Schon eine reguläre Hochzeitsnacht kann

von der Schwiegermutter verhindert werden mit dem Argument, die

Braut sei körperlich noch nicht reif genug. . Dies trifft ln der

Tat oft zu, und häufig sind die Fälle von schwerer Körperverlet­

zung an einer Kind-Frau im Zuge einer ehelich sanktionierten |

Vergewaltigung (und die Fälle von schwerer körperlicher Schädi- l

gung oder gar Tod durch zu frühzeitige Schwangerschaft und

Geburt); die tieferen Gründe der Schwiegermutter sind allerdings |

weniger auf das Wohl der Schwiegertochter als auf deren Wehe

gerichtet - je später die junge Frau einen eigenen Sohn haben

wird, desto später wird ihr Ansehen bei ihrem Gatten steigen und

24
ihre Stellung in der familiären Hierarchie verbessert und dadurch

die Nachtfülle der Schwiegermutter beschnitten werden. Eine

Schwiegertochter ohne eigenen Sohn hat, da sie erst einmal die

hohen Kosten für ihre Anschaffung rechtfertigen muß, eine große

Arbeitsleistung zu erbringen und ehtlastet so auch die Schwieger­

mutter, die jetzt einen Teil ihrer eigenen Belastungen auf die

jüngere abwälzen kann.

Gerät das Mädchen an einen Gatten, der bereits eine Erst­

oder gar auch schon eine Zweitfrau hat, so ist ihre Stellung

entsprechend noch schlechter - zu groß ist das Gedränge um die

Einflußnahme auf den Mann und damit die Macht in der Familie. Die

Konkurrentinnen verhindern auf jede ihnen mögliche Weise, daß

zwischen den neuen Eheleuten ein gutes Verhältnis aufkeimt; das

kann sogar so weit gehen, daß ein Kind, welches die letztgeheira­

tete Ehefrau zur Welt bringt, von den Rivalinnen ermordet wird.

Zumindest aber sorgt ein von den Frauen aufeinander ausgeübter

moralischer Druck dafür, daß nicht eine von ihnen durch eine enge

mentale Bindung an ihren Gatten auf "billige" Weise zu Macht in

der Familie kommt: Frauen, die Interesse an ihrem Gatten zeigen,

werden von den anderen als "Nymphomanin" (ersaj) gebrandmarkt -

was dazu führt, daß sich der Gatte, um sein Gesicht nicht zu

verlieren, von ihnen zurückzieht.

Ein solcherart durch die Mechanismen von gegenseitiger Unter­

drückung vergiftetes Klima unter den Frauen läßt schwerlich eine

familiäre Idylle auf kommen, in der der Mann auch psychisch be­

friedigt leben könnte. So liegt denn auch die Flucht in den Kreis

anderer Männer, und schließlich die Flucht ins Knabenspiel, recht

20
nahe. (5) Ob die psychischen Defizienzen des verheirateten Mannes

durch das Knabenspiel tatsächlich ausgeglichen werden können bzw.

in welcher Hinsicht ein solcher Ausgleich möglich ist, wird

später noch zu behandeln sein.


Vorerst aber müssen noch andere denkbare Gründe für einen

Einstieg des Mannes ins Milieu des Knabenspiels erwogen werden.

Von selber drängt sich die Frage nach der Bedeutung einer gegebe­

nen homosexuellen Neigung des prospektiven baÖaboz auf. Dieser

Faktor dürfte im Vergleich zu den bisher angesprochenen und auch

im Vergleich zu einem unten noch anzuführenden eine ganz unbe­

deutende Rolle spielen. Homosexualität unter erwachsenen Männern

wird als ganz grober Verstoß gewertet und unterliegt den gleichen

scharfen Sanktionen wie nicht legalisierter heterosexueller Ver­

kehr. Daß dadurch in der Tat homosexuell veranlagte Männer in den

Bereich baÖabozlik ausweichen, ist denkbar; wie schwer eine

primär vorhandene und eine sekundär kultivierte Neigung zu Knaben

auseinanderzuhalten wären, liegt auf der Hand. Es muß bezweifelt

werden, ob die Betroffenen selbst eine solche Unterscheidung

treffen bzw. treffen können, und ich habe nicht versucht, dies­

bezüglich Fragen zu stellen.

Einen weiteren Grund gibt es aber mit Sicherheit, der einen

Mann zum Einstieg ins baöabozlik-Milieu bewegen kann: Das

(5) Die analogen Defizienzen verheirateter Frauen suchen und


finden natürlich auch ihren Ausgleich: Freundschaften zwi­
schen verheirateten Frauen gehen zwar oftmals auf Kinder­
oder Jugendfreundschaften zurück, entbehren in späteren
Jahren aber keineswegs einer homoerotischen oder homosexu­
ellen Komponente. Die beiden Freundinnen (dügona) sind, was
festzuhalten^ist, immer ungefähr gleichaltrig; von Mädchen
lassen sich ältere Frauen zwar gerne bedienen oder auch mit
Massage verwöhnen, aber ein dügona-Verhältnis. das dem
aka-uka-Verhältnis entsprechen würde, ist nicht üblich.

26
Knabenspiel ist nämlich durchaus nicht bloß Substitut für sexu­

elle und psychische Beziehungen, die im heterosexuellen Bereich

nicht realisiert werden können, also durch äußere Kausalität

provoziert. Vielmehr hat das Spiel mit den Knaben auch einen

finalen Aspekt, es wird in einem engeren Sinn um seiner selbst

willen und um der Erreichung bestimmter Ziele willen betrieben

- es ist in gewisser Hinsicht geradezu ein soziales Muß und

gehört zur Teilhaftigkeit am gesellschaftlichen Leben der männli­

chen özbekischen Bevölkerung einfach dazu.

Baöaboz-Runden sind eine der möglichen Formen des Verdienst-

fests bei den Özbeken. Anders herum, kann kein großes Ver­

dienstfest, gleich welcher Art, ohne die Teilnahme von baÖa

auskommen; das gleiche gilt für aufwendige. Beschneidungsfeiern

und für Hochzeiten. Zum Charakter von Hochzeit, Beschneidungsfest

und Verdienstfest gleichermaßen paßt der Sektor baöabozlik inso­

fern sehr gut, als er (s.u.) unverhältnismäßig kostenintensiv

ist. Damit ist er zugleich in hohem Maße prestigeträchtig: Ein

bafiaboz kann seine finanzielle Potenz in diesem Bereich auf so

augenfällige Weise öffentlich unter Beweis stellen wie sonst

höchstens noch durch fromme Stiftungen, etwa durch den Bau einer

Moschee oder einer Brücke - und solche Unternehmungen würden

denn doch die Finanzkraft fast aller özbeken überfordern. Das

Knabenspiel gibt dem baöaboz Gelegenheit, große Summen Geldes zu

verschleudern und dadurch innerhalb seiner peer-group an Prestige

zu gewinnen.

Im Zusammenhang des finanziellen Aspekts ist zwischen den

beiden Typen von bafiabozlik gut zu unterscheiden, die sich jetzt

*chon deutlich herauskristallisiert haben. Entsprechend den Grün­

27
den für den Einstieg eines Hannes ins Milieu sind auch die Ziele
der baöaboz-Tätigkeit verschieden. Unverheiratete junge Männer,

die vor allem sexuelle Defizienzen auszugleichen haben, wechseln

im allgemeinen ihre bafia häufiger. Das heißt, es entwickelt sich

erst gar nicht das typische aka-uka-Verhältnis■ Dagegen streben

ältere bataboz und solche, die verheiratet sind, mehrheitlich ein

Dauerverhältnis an, in dem die emotionale Komponente eine der

sexuellen deutlich übergeordnete Rolle spielt und in dem das

finanzielle, soziales Prestige mit sich bringende, Moment der

Transaktion mit dem bada geradezu eine conditio sine gua non dar­

stellt.

Der erstere Typus von bafiabozlik, die kurzzeitige Liaison,

kommt billig. Dauerfreundschaften dagegen sind unverhältnismäßig

kostenintensiv. Der baöaboz, der seinen uka halten möchte, gerät

in eine gnadenlose Kostenspirale hinein, die in vielen Fällen mit

dem finanziellen Ruin des baiaboz und letztlich doch der Auf­

kündigung des Verhältnisses durch den baCa endet. Der Hergang sei

hier kurz beschrieben.

Der baöaboz. der ein Dauerverhältnis wünscht, wählt nicht den

billigen Sofortzugang zu einem zuhältergebundenen bafia. Er sieht

sich vielmehr im Milieu gründlich um, er besucht verschiedene

gesellige Runden (mallls). er beschenkt den einen und den anderen

liebenswerten kleinen Tänzer und gibt sich so als attraktiver

Partner zu erkennen. Schließlich umwirbt er den einen baCa. mit

dem er sich dauerhaft befreunden möchte, mit besonderen Zuwendun­

gen. Durch dieses gezeigte Sonderinteresse erwacht die Konkurrenz

anderer baöaboz - ein Knabe, äer so viel Einsatz wert ist,

28
bleibt auch für potentielle Rivalen nicht
unattraktiv. So in­
vestiert der bafiaboz, um Mitbewerber auszustechen, schon einiges

an Geld und Naturalxen (d.s. vor allem hübsche Kleidungsstücke),

ehe das Verhältnis überhaupt noch zustande gekommen ist.

Später wird es noch teurer: Ein baCa erpreßt seinen aka

stets mehr oder weniger deutlich mit der Drohung, er werde ihn

verlassen. Dies nun möchte der baCaboz unter allen Umständen

vermeiden. Er würde dadurch ja nicht nur seinen Partner ver­

lieren, sondern vor allem Prestige innerhalb seiner baCaboz-Runde

einbüßen. Damit stünden seine Chancen schlechter, einen neuen

attraktiven uka anzuwerben - welcher Knabe möchte schon in den

milieuinternen Abstieg eines bafiaboz hineingezogen werden?! Der

ba&aboz muß also, falls er sich wirklich nicht von seinem Lieb­

ling trennen will, alle Mittel einsetzen, den Knaben zu halten.

Dies wird er bis zur Erschöpfung seiner Finanzen, später mögli­

cherweise bis zur Erschöpfung des Familienvermögens und seines

Erbteils, durchhalten. In den Ruin zieht er alle mit hinein, über

deren Eigentum und Einkommen er die Verfügungsgewalt hat, in

erster Linie eben seine Gattin(nen) und seine Kinder.

Ist die Situation erst einmal so verfahren, bleiben dem

ruinierten baöaboz nur noch wenige Auswege. Der eine führt direkt

ln die Kriminalität, ein anderer ins Glücksspiel und damit gleich

auf doppelte Weise in die Hände der bafia-Zuhälter (dalla, davuz).

°ie Zuhälter beherrschen nämlich den Glücksspielsektor, und sie

nehmen Pfänder auch dann'noch, wenn die verpfändbaren Besitztümer

bereits erschöpft sind - sie nehmen die Söhne der Schuldner zum

Pfand, welche Konsequenzen dies für die Knaben nach sich zieht.

29
ist bereits früher diskutiert worden.

Nun hat der baÖaboz die Möglichkeit, einer solchen Entwick­

lung vorzubeugen, indem er die oben beschriebene Kostenspirale zu

seinem eigenen Vorteil einsetzt. Er tut dies, indem er den bafia

zeitweilig mit anderen baöaboz teilt. Er veranstaltet seinerseits

gesellige Runden und lädt dazu baöaboz ein, die gerade nicht fest

gebunden sind. So verschafft er seinem uka Einkünfte von dritter

Seite? allerdings muß er dabei natürlich erlauben, ja geradezu

fördern, 'daß der Knabe den Rivalen gewisse Avancen macht. Wie

verhängnisträchtig diese Situation ist, liegt auf der Hand. Die

meisten Fälle von Körperverletzung, Totschlag und Mord im Milieu -

resultieren aus Eifersuchtsszenen zwischen rivalisierenden

ba&aboz.

Freilich enden längst nicht alle aka-uka-Verhältnisse auf so

spektakuläre oder tragische Weise. Meist lösen sich Beziehungen

schon, ehe es überhaupt so weit kommt, dabei teils durchaus im

gegenseitigen Einvernehmen, oder sie enden durch den Ausstieg des

bafia aus seiner Tätigkeit.

Trotzdem muß man resümieren: Im Knabenspiel stellt der An­

teil an düsteren Elementen den an erfreulichen deutlich in den

Schatten. Und dies liegt, wie im folgenden zu zeigen sein wird,

noch nicht einmal vorwiegend an den bis jetzt dargestellten, dem

von außen kommenden Beobachter als Tatsachen entgegentretenden

Aspekten des Phänomens Knabenspiel.

30
Ba Ca BOZLIK UND VOLKSLIED: EINSTELLUNGEN UND IHRE RELATIVIERUNG

Bis jetzt sollten nur die objektiv feststellbaren Facetten

des Knabenspiels beschrieben werden. Damit ist das Phänomen aber

nicht annähernd in seiner Gesamtheit zu erfassen. Das subjektive

Moment, die Einstellungen der Beteiligten und Betroffenen, muß

als zweiter wesentlicher Teil des Phänomens baCabozlik ins Auge

gefaßt werden. Dieses Moment hat zwei Seiten: eine individuelle

bzw. die Gesamtheit vieler individueller Einstellungen, die sich

uns in Stellungnahmen der Beteiligten erschließt, und eine kol­

lektive, die sich im Volkslied äußert.

Volkslieder sind, wie jede Form von Kunst, als Beweismittel .

für objektiv feststellbare Tatsachen nicht geeignet; die platte

Theorie, daß sich im Kunstwerk die Realität widerspiegle, hat

sich für Folklore und Literatur gleichermaßen als inadäquat er­

wiesen. Sehr wohl geeignet aber sind die Liedtexte als Träger von

Einstellungen, auf der Ebene des Sich-bewußt-Gemachten ebenso wie

auf der Ebene des Verdrängten; darüber hinaus transportieren sie,

die sich über längere Zeiträume in einer einmal festgelegten

Gestalt erhalten, möglicherweise Einstellungen von einst, Verges­

senes von heute. Somit spiegeln die Lieder das Phänomen zwar

nicht, sie geben aber ein an den Einstellungen gebrochenes Bild

des Phänomens wieder. Durch Voraussetzungen formaler und stili­

stischer Art, die das Lied nun einmal stellt, wird die Spontanei­

tät einer individuellen Äußerung im Lied eingeschränkt; darüber

hinaus sind die meisten Lieder ohnedies keine Schöpfungen des

Augenblicks, sondern vorgefertigtes Repertoiregut oder aus

Repertoire-Versatzstücken zusammengesetzte halb-spontane Xußerun-

31
gen. Dennoch läßt sich aus dem Lied entnehmen, an welchen Wert­
maßstäben das Phänomen gebrochen wird bzw. zu seiner Entstehungs­

zeit gebrochen wurde.

EINSTELLUNGEN DER BAÖA

Zuerst sollen die Knaben zu Wort kommen. Was .halten sie von

ihrer Tätigkeit, wie sehen sie die badaboz. wie sehen sie sich

selbst? Und dazu ist zu fragen: Welche Lieder singen sie, aus

denen man Einstellungen ersehen kann? Welche Funktion haben die

Lieder der baöa zu erfüllen?


Ich habe Gelegenheit zu ausführlichen Gesprächen mit etwa

zwanzig bafca gehabt. Die meisten von ihnen waren zwischen elf und

vierzehn Jahren alt; der jüngste war noch gar nicht eigentlich

baöa, sondern wurde gerade von einem Verehrer umworben; der

älteste war gerade daran, seine Tätigkeit als baöa gegen ^ den

Beruf eines Sängers einzutauschen. Die Stellungnahmen von Er­

wachsenen, die einst bafia gewesen waren, bleiben hier ausgeklam-


'ii
mert; in sie ist bereits zu viel Sekundäres eingeflossen.

Der Erkenntnisgewinn beim Gespräch verhält sich verkehrt

proportional zum Lebensalter der baöa. Während nämlich die ganz

jungen baöa sehr offen über ihre Tätigkeit reden und sich zu

allen möglichen Aspekten äußern, stehen die älteren offensicht­

lich bereits in höherem Maße unter dem Eindruck eines (einer Frau

gegenüber wohl noch stärkeren?) Sprachtabus hinsichtlich badaboz-

lik, vor allem hinsichtlich der sexuellen Komponente davon.

Auf direkte Fragen hin gibt die Mehrzahl der Knaben vor, die

32
Betätigung als Tanzknabe als etwas ganz "Normales" einzuschätzen

- was im sinne e iner statistischen Norm auch völlig mit den


Tatsachen über einstimmt, übt doch etwa einer von drei Knaben den

baÄa-Beruf zumindest zeitweilig einmal aus. Das Interesse der

ba&a an der Sache gelte allein dem finanziellen ' Aspekt der

Transaktion; das emotionale und schon gar das sexuelle Element

berühre sie nicht besonders, weder negativ noch positiv.

Die ba&aboz seien bloß in ihrer Eigenschaft als Geldgeber

interessant. Ihr Wert wird an Zahlungsfähigkeit und Zahlungs­

bereitschaft gemessen. Durch Großzügigkeit und durch hohes

Prestige innerhalb des Milieus erwirbt der aka auch die Achtung

seines uka. Persönliche Zuneigung spielt eine*geringe Rolle; im

allgemeinen sind die baCa vorgeblich zufrieden mit dem aka. den

ihr Vater für akzeptabel befunden hat. Die Zärtlichkeiten, die

der aka erbittet, erteilt ihm der baÖa unwillig oder zumindest

emotionslos, sie sind eben Teil des Geschäfts. Von einem bacaboz

verlassen zu werden, ist nicht wünschenswert - nicht wegen der

Person des aka, sondern weil man dadurch dem Spott der eigenen

peer-group ausgesetzt ist und weil es finanzielle Nachteile mit

sich bringt.

Die Einstellung der bafta zu sich selbst kann man als unge­

trübt bezeichnen: Sie fühlen sich in ihrer Rolle nicht unwohl.

Abgesehen davon, daß man sie unter Wert bezahle, seien sie mit

ihrer Tätigkeit zufrieden und fänden nichts dabei, als Mädchen

verkleidet zu werden und Männern Küßchen zu geben.

Zwar nicht aufgrund direkten Gesprächs, aber dafür durch

mehrfache Beobachtung der entsprechenden Situation habe ich ein

33
interessantes Verhaltensmuster feststellen können, das die baöa

mit heiratsfähigen Mädchen* teilen: Sobald innerhalb der Gruppe

oder auch durch die Äußerung eines Erwachsenen ins Gespräch

gebracht wird, der (anwesende) Knabe X habe ja jetzt einen Ver­

ehrer bzw. würde sich wohl demnächst auf ein aka-uka-Verhältnis

einlassen, reagiert dieser Knabe sehr verschämt und zieht sich

zurück. Offenbar empfinden die Knaben das Eingehen eines Ver­

hältnisses in einer Weise als den Übergang in eine neue, gleich­

zeitig fremde und doch nicht unangenehme Phase des Lebens, die

den Empfindungen eines Mädchens angesichts des halb bedrohlichen,

halb verlockenden Eintritts ins Eheleben ähneln muß.

Wie passen nun die Lieder der baöa in diese zwar etwas farb­

lose und ein wenig durch Unzufriedenheit mit der Löhnung ge­

trübte, ansonsten aber doch recht glatte Idylle? Sind es (auf

bafiabozlik bezogene) freundlich-gleichgültige Texte, die einem

bafia im Gedächtnis bleiben, die er sich aneignet und die er

weiter-singt? - Weit gefehlt. Ganz im Gegenteil: All das, was

die baöa in motorischer Aggression nicht .loswerden können - sie

müssen ja in ihrer Verkleidung als Mädchen betont nicht-aggressiv

aussehen, sie müssen auch die körperliche Annäherung der baöaboz

geschehen lassen - , all diese Aggressionen entladen sich umso

schärfer in kognitiv-sprachlicher Form in den Liedern. Die Lieb­

lingslieder der ba&a. sobald sie unter sich sind, sind eine

geballte Ladung von Spott und der Ausdruck von aggressiv­

homosexuellem Imponiergehabe.

Einige wenige Textproben sollen dies illustrieren. Zuerst ein

Wort zu der Liedform, der die Lieder der Knaben angehören. Die
Gattung wird als gQSiq bezeichnet; die gügig-Strophe ist

vierzeilig» jede Zeile ist sieben Silben lang, die Zeilen reimen

meist nach dem Schema aaba. Die eigentliche Strophenaussage wird

in den meisten Fällen nur von den Zeilen 3 und 4 getragen,

während die Zeilen 1 und 2 im wesentlichen bloß die Funktion von

Reimträgern haben und auch untereinander nicht zusammenpassen.

Hier werden nur diejenigen Strophenteile angeführt, die die

eigentliche Aussage der Strophe tragen.

Nun also einige Beispiele für Knabenlieder zum Knabenspiel.

1: majda§onga garajla

togaraöa küti bo

"Schaut den lieben Kleinen an:


Er hat einen Hintern wie eine Teigschüssel."

2: ütib ketti nozanin

gisir qüjdag kerilib

"Der Liebling ging vorbei


hingefläzt wie ein galtes Schaf."

3: bir qurondan daraj jüq

qarri majmundaj bükti

"Keine Spur von einem roten Heller -


(aber der baöaboz) sprang herum wie ein alter Affe."

4: qülingdi tort bafiaboz

wallo billo sikaman '

"Pfoten weg, baCaboz, (oder aber)


bei Gott, ich bumse dich!"

5: mani minan fifillasma

waqwaqlatib sikaman

"Spaße nicht mit mir:


Ich besorge es dir, daß du quakst!"

35
Auch ohne sich Kompetenz zu einer psychologischen Analyse der

Gründe für einen Gebrauch gerade solcher Texte anmaBen zu wollen,

kann man sich des Eindrucks schwerlich erwehren, mit Hilfe dieser

Lieder solle nach Kräften der Schein jeder Möglichkeit abgewehrt

werden, man sei ein Mädchen, nur weil man als solches verkleidet

und behandelt wird.

Daß die baöa ihre Mädchenrolle - trotz gegenteiliger Ein­

lassungen bei direkter Befragung - überhaupt nicht schätzen,

zeigen die Beispiele 1 und 2: Der Spott gegen (natürlich

andere!) baöa zielt auf eindeutig weibliche (Beispiel 1) bzw. so­

gar auf "nicht-einmal-mehr-weibliche" ( Beispiel 2) Attribute ab.

Auch die indifferent-freundliche Haltung gegenüber dem baöa-

boz, die man aus den Einlassungen der bada entnehmen sollte,

erweist sich durch das Lied als eine vorgebliche (Beispiel 3).

Mehr noch, das singende Ich erzeigt sich als über-maskulin und

wendet sich, in totaler Verdrehung der Tatsachen, aggressiv­

homosexuell gegen den baöaboz (Beispiele 4 und 5).

Es erübrigt sich eigentlich zu sagen, daß diese und ähnliche

Lieder nur innerhalb der Gruppe und in Abwesenheit der baöaboz

gesungen werden.

Im Beisein der badaboz, also auf Parties mit Tanz und Gesang,

kann sich nur eine einzige Form der Unzufriedenheit im Lied

äußern: die Klage und Beschwerde über die Knausrigkeit des bafia-

boz, allerdings im Vergleich zu Beispiel 3 in recht gewählte

Worte gefaßt.

6: muÖi olaman desag

bolopuS berga tajla

36
"Wenn du ein Küßchen haben willst,
wirf (erst) einen Anzug her (auf die Tanzfläche)!"
7. sana ajtaj aka§on

noxunÖi bojsag §ena

"Ich will dir was sagen, lieber aka:


Wenn du ein Geizkragen bist, dann hau ab!"
8: kissasiga puli jo*

baÖabozlik qiladi

"Er hat kein Geld in der Tasche,


(aber) ein badaboz will er sein!"

In der Tat erreichen Äußerungen dieser Art ja auf majlis ihr

Ziel: baÖaboz, die sich betroffen fühlen müssen, werden vor ihrer

eigenen Gruppe blamiert und werden dem vom baöa im Lied angespro­

chenen Mißstand tunlichst noch vor den Augen der Gruppe abhelfen.

Den Beispielen 1 bis 5 muß noch eine Bemerkung nachgeschickt

werden, damit nicht der Eindruck entsteht, die bafta könnten sich

nur in Zoten Luft machen. Zu fast jeder der ganz groben Strophen

existiert eine pfiffige "Parallelstrophe", die der "eigentlichen"

in beinahe allem gleich ist, deren Text aber im letzten Augen­

blick eine Wendung macht und, anstatt das indezente Wort zu

nennen, in einem ganz und gar harmlosen Wort verpufft.

Hier die Parallelstrophen zu Beispiel 1 und 4:

majda$onga qarajla

togaraöa buti bo

"Schaut den kleinen Liebling an:


Er hat Schuhe wie Teigschüsseln."

qüliqdi tort baÖaboz

wallo billo sükaman

"Pfoten weg, badaboz, (oder)


bei Gott, ich schimpfe!"

37
Der aggressionslösende Effekt dieser Parallelstrophen ist im

Zweifelsfalle noch größer als der der beleidigenden oder obszönen

Originalstrophe. - Die Existenz solcher Sekundärtexte erlaubt

es wohl* zu schließen, daß der Vorgang der Aggressionsfreisetzung

als solcher durchaus nicht unreflektiert stattfindet. Dies ist

andererseits natürlich nicht gleichzusetzen mit einem Sich-

Bewußtmachen der aggressionsauslösenden Momente, besonders des

Moments der Verunsicherung der maskulinen Identität.

EINSTELLUNGEN DER BA&ABOZ

Die baöaboz verhielten sich in der Beantwortung von Fragen

bezüglich ihrer Einstellungen zum Knabenspiel insgesamt, zu den

baÖa als ihren Partnern unä schließlich zu sich selbst in ihrer

Tätigkeit als baöaboz viel reservierter als die Knaben. Ich habe

mit bestimmt•zwei Dutzend aktiven baöaboz ausführlich sprechen

können. Mit einigen von ihnen war ich so gut bekannt, daß die

Barrieren, die zwischen Angehörigen verschiedener Geschlechter

grundsätzlich, nicht nur bei heiklen Themen, vorhanden sind,

längst überwunden waren. Dennoch war der Erkenntnisgewinn in

mancher Hinsicht recht gering. Insgesamt hat man den Eindruck,

daß die baöaboz kaum je ihre Einstellungen spontan äußern, son­

dern daß das Geäußerte bereits an vom baöaboz nicht selbst Be­

stimmtem gebrochen ist.

Recht klar kommt die Einstellung der baöaboz noch heraus,

wenn es um Fragen nach dem Knabenspiel insgesamt geht. Die baöa-

38
boz schätzen das Spiel als durchaus ehrenhaft und keinesfalls

sündhaft ein, solange gewisse Grundregeln beachtet werden. So muß

das Mindestalter des bafca, etwa 10 Jahre, berücksichtigt werden,

der uka. hat Anspruch auf brüderlich-onkelhafte Fürsorge, und ihm

sollte, abgesehen von einer fairen Entschädigung in Geld und

Sachwerten, durch den aka der Besuch der Schule oder aber eine

niullo-Unterweisung oder gar beides ermöglicht werden.

Der zuhältergebundene Sektor unterliegt einem starken

Sprachtabu. Viele baöaboz bestreiten seine Existenz überhaupt,

die meisten beschreiben ihn zumindest als ganz unbedeutend und

als einen Bereich, der mit ihrem eigenen Knabenspiel nichts zu

tun hat, in dem nur Menschen schlechten Charakters verkehren. In

diesem Sektor spiele auch das sexuelle Element eine gewisse

Rolle - für das eigene KnabenspieX dagegen sei dieses Element

praktisch bedeutungslos. Insbesondere jüngere baöaboz geben vor,

kein Interesse an sexueller Aktion zu haben; einige bejahrtere

baöaboz haben sich demgegenüber zum körperlichen Aspekt ihres

Spiels durchaus positiv, in ironisch-verschmitzter Weise,

geäußert.

Nach den eigenen Gründen für die Teilnahme am Knabenspiel

befragt, geben die baöaboz vor, das Spiel als eine Form der

Unterhaltung (tamoSo) unter vielen zu verstehen. Allerdings habe

das Knabenspiel den Vorzug, daß man sich mittels eines liebens­

werten uka im Kreis der Freunde mehr Ansehen erwerben könne als

etwa durch den Besitz einer guten Rennwachtel oder eines edlen

Buzkashi-Pferdes. - Über weitere Gründe für das eigene Knaben­

spiel, die vom uka abhängen, wird unten noch zu handeln sein.

Die eigene Person verliere durch baöabozlik ebenso wenig an

39
Integrität wie die der anderen baCaboz. Allerdings birgt das

Spiel stets die Gefahr, daß der baCaboz sich lächerlich macht,

und zwar vor der eigenen Gruppe. Läßt er sich von einem baCa

unfair behandeln (derlei insofsizlik äußert sich in Verweigerung

der vereinbarten Zärtlichkeiten, übertriebenen Geldforderungen

und übermäßigem Kokettieren mit anderen baCaboz) oder schmachtet

er zu sehr nach einem baCa, der ihn nicht erhört, so besteht

Grund zum Zweifel an seiner "Männlichkeit", (mardlig, worunter man

die Gesamtheit von kühlem Kopf, Fähigkeit zur Selbstbehauptung

und Verstand in Geldangelegenheiten versteht). -

Aus den bisher referierten Äußerungen der baCaboz geht eine

Tatsache recht deutlich hervor: Die baCaboz trachten danach,

Stellungnahmen zu ihrer eigenen Person als Knabenfreund möglichst

zu vermeiden und dafür den Phänomenkomplex von einer distanzier­

ten, pseudo-objektiven Harte her zu beleuchten. Ob dies auf die

grundsätzliche Reserviertheit gegenüber einem (insbesondere

einer) Außenstehenden zurückzuführen ist und mögliche Einwände

von meiner Seite vorwegnehmen oder zumindest entkräften sollte,

ist schwer zu beurteilen. Jedenfalls merkt man den baCaboz eine

gewisse Verunsicherung hinsichtlich der moralischen Einwandfrei­

heit des Knabenspiels an - auch wenn sie, direkt befragt,

besonders den Gedanken an Sündhaftigkeit streng zurückweisen.

Offenbar nagen doch gewisse Zweifel bereits in den baCaboz

selbst, genährt von der (später zu besprechenden) Ablehnung des

Spiels durch die "Aufgeklärten" und vielleicht auch von der

Tatsache, daß das Spiel offiziell ja unter Strafandrohung steht.

Der Versuch, das Spiel auf das Niveau von Wachtelwette und Buz-

40
jcashi zu transferieren und insbesondere die sexuelle Komponente
wegzuleugnen, wirkt jedenfalls wie eine versuchte Vorwegnahme
möglicher Anschuldigungen durch Außenstehende.

Weit lieber als über "die bafiaboz" oder gar sich selbst
äußern sich die Knabenfreunde über die Knaben.

Aus den Äußerungen der baöaboz gewinnt man den Eindruck, die

baÖa müßten das Knabenspiel genauso schätzen wie sie, die baöa-

boz, selber. Ruft man sich ins Gedächtnis, wie unzufrieden die

baÖa mit dem finanziellen Teil der Transaktion sich äußern und

wie irritiert sie sich hinsichtlich des sexuellen Teils erweisen,

und bedenkt man andererseits, daß sehr viele baCaboz vormals

selber baÖa waren, so überrascht diese Meinung umso mehr. Eigent­

lich müßten es die baCaboz aus ihrer eigenen Erfahrung ja besser

wissen. Doch auf den zweiten Blick erweist sich die Einschätzung

der nunmehrigen ba&aboz doch als nicht so haltlos. Aus der Retro­

spektive lösen sich die Irritationen des baöa tatsächlich weit­

gehend in nichts auf: Daß die finanzielle Abgeltung mindestens

gerecht ist, weiß der baÖaboz spätestens seit er selbst der

Geldgeber ist. Und die Verunsicherung der männlichen Identität

erweist sich dem Partner, der nunmehr in einer allfälligen Inter­

aktion unbestritten der "maskuline" bleibt, als eine unbegründete

Sorge. Die Vorbehalte, die der baöaboz zu Zeiten seiner eigenen

haÖa-Tatigkeit gehabt haben mag, sind durch die später gemachten

Erfahrungen nicht bestätigt worden. Und möglicherweise spielt

auch der Gedanke an den erwähnten Aspekt des verschämt-erfreut

erwarteten Übergang in ein Lebensstadium neuer Art eine gewisse

Rolle: Der aka ist es schließlich, der seinem uka diesen Über­

gang ermöglicht, und daher mag er durchaus der Meinung sein, der

41
Knabe müßte mit ihm selbst und dem Spiel insgesamt eigentlich

zufrieden sein.
Unmittelbarer interessant als die Vorstellungen bezüglich der

Einstellungen der ba£a. denen die baCaboz anhangen, sind für uns

die Einstellungen der baüaboz selbst zu den Knaben, zu den ba&a

als Objekt der Verehrung und als Partner im Knabenspiel.

Eigentlich beurteilen die baCaboz die Knaben recht rea­

listisch. Sie schätzen sie einerseits als gute Gesellschafter,

die auch als Partner für kleine Zärtlichkeiten begehrenswert

sind. Auf der anderen Seite kennen sie sie als durchtrieben,

berechnend und alles andere als loyal.

All dies formulieren die baCaboz auch in Liedtexten. Eingangs

war festgestellt worden, daß es meistens nicht die baCaboz selbst

sind, die in der geselligen Runde mailis durch Singen aktiv

werden. Heist singen die Instrumentalisten, in aller Regel ein

Lautenspieler (dümbiraöi) und ein zweiter Musikant, der ein

Rhythmusinstrument (etwa die kleine Schellentrommel tavla oder

die kleinen Becken toi zan) spielt. Die baCaboz selbst schalten

sich nur in den Gesang ein, wenn die Emotionen besonders hoch

gehen; ansonsten fassen die Berufsmusiker in Worte, was die

Knabenfreunde gerade bewegt.

Die erwachsenen Männer singen ebenso wie die Knaben Lieder,

die in die Form des qttSiq gefaßt sind, also einfache Vierzeiler

mit siebensilbigen Zeilen im Reimschema aaba, wovon meist nur die

Zeilen 1 und 2 die eigentliche Strophenaussage tragen. Hier ist

nicht die Gelegenheit, die Frage zu erörtern, ob die auf mallis

zum Vortrag kommenden Texte traditionell sind oder spontan formu­

42
liert, jedenfalls steht fest, daß sie situationsadäquat bzw. auf

die konkret gegebene Situation adaptierbar sind.

Eine kleine Auswahl von Beispielen soll zeigen, welche grund­

sätzlichen Einstellungen zum bada und zum Knabenspiel sich in


Liedern dieser Gattung äußern.

Was macht den ba&a für einen Verehrer attraktiv?

6: hamma bada iöida

ukamdi beli ximda

"Unter all den bada


'hat mein uka die gertenschlankste Taille."

7: §ilva tükib boradi

. jjuno§in tojdaj bülib

"Er geht dahin und verbreitet Koketterie


wie ein dreijähriges Füllen."

8: ogzija sai}i dandawni

qüjibdi ki na*mador lalaw

"Sein künstliches Steingebiß im Mund,


hat das kleine Biest Rouge aufgelegt."

Was erwartet'der Verehrer vom bada? '

9: birgina kulib qara

sevar joring bülaman

"Schau nur ein einziges Mal her und lache -


(dann) will ich dein liebender Verehrer sein!"

ikkita mudi bergin

olaj dardi balajni

"Gib mir zwei Küßchen -


(dann) will ich Leid und übel, das dir bestimmt ist, auf
mich nehmen."

11 s tan mudidan man bezor

jossam qudo*ma qudojj

43
'Küßchen sind mir ganz egal#
wenn ich (dafür) in (deinen) Armen liege!

Wie schildert der Verehrer seine Aufwendungen?

12: mufii begin dabädum


gani dedi juzdi)giz
"ich hatte gesägt 'Gib ein Küßchen' -
er sagte 'Wo sind Eure hundert (Afghani)?!’ "

13: beSlikka qaramajdi


beSizlikka düti bo
"Einen Fünfer schaut er (gar) nicht an:
Er rechnet auf einen Fünfhunderter!"

Wodurch fühlt der Verehrer sich gekränkt?


14: birgina qara dedum
qaramaj ütib ketti
"Ich sagte 'Schau ein einziges Mal her!' -
er (aber) schaute nicht und ging vorbei..."
15: bir nima wada gilib
jedi mani puljimdi
wada gilib bejrmadi
gildi sijo diflimdi
"Er versprach 'etwas*
und strich mein Geld ein.
Er versprach*|s und gab es (dann doch) nicht -
er hat mein Hjerz schwarz (vor Kummer) werden lassen...

Wie nimmt der Verehrer zu Zerwürfnis und Trennung Stellung?


16: birgina garatriasarj
sen emas jena baiqa
"Wenn du nicht ein einziges Mal herschaust#
bist (eben) nicht du (mein Liebling)# sondern wieder ein
anderer!"
17; akaSfondan ajrilib

jettiij mi murodiija *

"Hast du das Ziel deiner Wünsche erreicht,


nachdem du dich vom lieben aka getrennt hast?l"
jg. §onimarg bülsin kunti

onasi golsin balamlab

"Jung sterben soll die Hure,


und seine Mutter soll ihm nachweinen 'mein Kindl' "

Die Texte sind schlicht und unverblümt; die Worte, die ge­

wählt werden, entstammen der Alltagssprache. Die Lieder bleiben

sowohl hinsichtlich der positiven als auch hinsichtlich der

negativen Aspekte des Knabenspiels stets auf dem Boden der von

auBen feststellbaren Realität: Die Knaben werden mit lebendig­

frischen Bildern beschrieben, Sehnsüchte und die Enttäuschung

über deren Nicht-Erfüllung werden geradeheraus zur Sprache ge­

bracht, auf Frustration wird mit Aggressivität reagiert.

Diese qü§iq-Strophen werden zu Melodien gesungen, nach denen

man tanzen kann. Sie kommen üblicherweise zum Vortrag, während

die bafia vor den Augen der baCaboz tanzen. Dem ungebrochenen

Realitätsbezug der Texte mag dies zweifellos förderlich sein.

Dem Gesang fällt im Rahmen der geselligen Runde zwar nicht so

wie dem Tanz eine konstitutive, aber doch eine recht bedeutende

Funktion zu. Die Instrumentalmusik, unumgängliche und praktisch

ununterbrochene Begleitung des Tanzes und Untermalung allen son­

stigen Geschehens (Speisen, Rauchen, Flirten), bleibt ohne den

sie begleitenden Gesang auf die Dauer langweilig. So wechseln

immer wieder reine Instrumentalstücke mit solchen, zu denen ge­

sungen wird, ab. Die Texte der Lieder, die im Laufe eines langen

45
Abends zum Vortrag kommen, müssen durchaus nicht immer au£ die
Situation bezogen sein; während des stundenlangen Gesanges werden
vielmehr zu einem großen Teil irgendwelche beliebigen Lieder
abgesungen, die der Sänger eben gerade im Repertoire hat. -
Gerade diese Unverbindlichkeit des Gesanges aber ist es, die den
baöaboz und den bada ein ihren Zwecken äußerst dienliches Instru­
ment an die Hand gibt, und um dieses zu beschreiben, sei hier ein
kurzer Exkurs eingebracht, der nicht direkt mit den Einstellungen
der badaboz zu tun hat, der aber deutlich eine Funktion aufzeigt,
die das qü§iq und der qüäiq-Gesanq im Rahmen des Knabenspiels zu
erfüllen haben.
Ein badaboz möchte mit einem bestimmten Knaben Kontakt auf­
nehmen. So schaltet er sich in den Gesang, ein und gibt eine
Strophe zum besten, die seine Absicht andeutet. Dabei kommt ihm
die potentielle Unverbindlichkeit des Singens sehr zupaß: Es
liegt nämlich jetzt am baöa, ob er die Botschaft aufnehmen will
oder nicht. Er kann eine bejahende, ermunternde Antwort geben,
sei es (was der seltenere Fall ist) in Form einer Liedstrophe,
oder sei es auch nur mittels Körperspräche - er kann das Lied
und damit den badaboz und seinen Antrag aber auch ignorieren,

indem er vorgibt, den Text nicht als Botschaft, sondern als eine
beliebige, gedankenlos-unverbindlich hingesungene Strophe gehört
bzw. überhört zu haben. Damit bleibt dem verhinderten badaboz die
kompromittierende Abfuhr erspart, und man kann weitermachen, als
sei nichts vorgefallen. Für den Fall der Zustimmung des bada
bietet der qüäiq-Wechselgesang im weiteren die Möglichkeit, sich
schon einmal grundsätzlich über die Modalitäten der Aufnahme

einer Beziehung zu einigen.


Der folgende Ausschnitt aus einen „ährend einer
Party aufge-
zeichneten Wechselgesang sei hier zur Illustration
eingeschoben.
Er beginnt mit einer Strophe des baCaboz.

19: jugurub jetolmadim •

qül solib tutolmadim


ütib ketti £üda§on

arzimdi ajtolmadim

Ich konnte (ihn) nicht einholen,


xch konnte (ihn) nicht fassen - -
der kleine Süße ging vorüber,
und ich konnte meine Wünsche nicht Vorbringen..."
20: arzirj ajtmojSin bülsaij
oniz ütib ketgan jo* >.

"Wenn du deine Wünsche Vorbringen willst:


Er ist noch nicht vorbeigegangen!11
21 : kelamakan nozanin

intizor büldij bizla


"Ich warte:
Ob der Kokette wohl kommen wird?"
22: men am intizor akaj

kelarmakan deb äuijaj

"Auch ich warte, aka (!),


auf ihn (d.h. den aka) - ob er wohl kommt?"
23: jana §ami§u§ büldij

ikawiz aka uka

"Gerade sind wir fröhlich zusammengetroffen,


wir beide - aka und ukal"
24 ; akai) bülaman desaj

ikawiz büldij $üra

"Wenn du sagst 'Ich will dein aka sein',


dann sind wir (ab) jetzt ein Paar,"

47
An dieser Strophenfolge kann man recht gut den Übergang vom

Unverbindlichen zum wörtlich und persönlich Gemeinten verfolgen.

Nach dem vorsichtigen Herantasten (19 und 20) folgt die Versiche­
rung, ob man auch richtig verstanden hat (21 und 2 2 ) und schließ­

lich die beiderseitige Bekräftigung, daß man sich geeinigt habe

<23 und 24). - Übrigens sind, sämtliche in diesem Wechselgesang

verwendeten Strophen nicht von den beiden Sängern spontan formu­

liert; es handelt sich dabei vielmehr um Repertoire-Texte, die

auf die Situation passen und daher verwendet werden konnten.

Sobald ein baöa oder ein badaboz eine gewisse Zeit im Milieu

verkehrt hat, hat er zwangsläufig eine gewisse "Grundausrüstung11

an Pertig-Strophen erworben, deren er sich an geeigneter Stelle

bedienen kann.

Was bisher über die Äußerungen der baöaboz vorgebracht worden

ist - als solche abgegebene Statements ebenso wie Liedtexte -

erweist sich aber erst als ein Teil dessen, was von baöaboz

insgesamt über das Knabenspiel, die Verehrer und die Knaben in

Erfahrung gebracht werden kann. Das Phänomen baÖabozlik hat für

die Knabenfreunde nämlich noch eine zweite Seite, eine Seite, die

von der bisher beleuchteten außerordentlich verschieden zu sein

scheint.

Auf die Fragen nach dem Knabenspiel und den Knaben, konkret

auf die Frage nach den Gründen für die eigene Beteiligung am

Spiel habe ich mich zum Teil mit Antworten konfrontiert gefunden,

deren Interpretation nicht so leicht fällt wie die des bisher


Vorgebrachten.

Ein Beispiel. Auf meine durchaus nüchtern-sachlich gemeinte


Frage an einen bacaboz mittleren Alters, warum er sich trotz

seines niedrigen Einkommens einen baöa genommen habe, antwortete

der bacaboz mit "Weil er solche Henkeraugen hat" (grallot küzi

hm? akan). Anstatt irgendwelche auf der Hand liegenden Gründe,

im konkreten Fall etwa die eigene durch finanzielle Probleme

bedingte Ehelosigkeit, zu nennen, bemüht der badaboz also das

"Henkerauge", einen aus der persischen und türkischen klassischen

Lyrik wohlbekannten Topos, um sein eigenes Knabenspiel zu ratio­

nalisieren. Damit eröffnet er uns den Blick auf eine Dimension

des Phänomens baöabozlik. die bisher nicht angesprochen worden

ist, ohne deren Durchleuchtung unser Wissen über das Knabenspiel

aber ganz und gar unzulänglich bliebe: die •'ästhetisiert-

literarisierte, ja sublimierte Dimension. Die Existenz - einer

solchen Dimension überführt einen Zugang auf der rein soziologi­

schen Argumentationsebene als inadäquat; darauf wird noch zurück­

zukommen sein.
Das eben gebrachte Beispiel steht für viele ähnliche Stel­

lungnahmen von badaboz, aus denen sich Einstellungen heraushören

lassen, die wohl nicht die derjenigen sind, die sie Vorbringen,

sondern die den Eindruck von längst vor-gedachten und im Sinne

einer Tradition, der sich das Individuum anschließt, durchformu­

lierten Klischees erwecken. Fernab vom zuvor genannten, rea­

listischen Zugang zum Phänomen badabozlik existiert für die bada-

boz also ein zweiter, der keinen unmittelbaren Bezug zu einer

objektiv feststellbaren Realität hat, sondern dabei den Umweg

über eine Tradition nimmt, für die Literarisierung und, wie wir

noch sehen werden, Sublimierung eine wichtige Rolle spielt. Ein

und demselben badaboz sind beide Zugänge verfügbar; welchen er

49
wählt, kommt offenbar nur auf die jeweilige Situation an.

Nun gibt es Lieder, die speziell diesem zweiten Zugang ange­

messen sind. Ich vermeide bewußt hier eine Formulierung wie "...

die diese zweite Art, über bafcabozlik zu denken, widerspiegeln"

- es wird nämlich noch zu überlegen sein, welche der beiden

Komponenten, die Denkungsart oder das Lied, eigentlich vorher

existiert hat. Vorerst aber einige Beispiele von Liedern dieser

zweiten Gruppe.

Schon formal ist diese Art von Liedern deutlich von der zuvor

vorgestellten verschieden. Die Gattung, der sie angehören, wird

mullosozi genannt und ist folgendermaßen zu charakterisieren:

Die mullosozi-»Strophe besteht aus zwei, seltener aus vier Zeilen

zu je fünfzehn Silben, die nach dem Schema a a (b b ) reimen. Meist

tragen alle Zeilen gemeinsam die Strophenaussage.

Am ehesten wird der Unterschied zwischen dem realistischen

Zugang der güSig und dem jetzt zu demonstrierenden der mullosozi

deutlich werden, wenn hier die Beispiele aus den gleichen Themen­

kreisen gewählt werden.

Was macht den ba&a für seinen Verehrer attraktiv, was liebt

der Verehrer an seinem Knaben?

25: tuti tillik dilbarimdi qaddi büji tor akan

ikki qoSin orasida §üra xoli bor akan

"Mein papageienzüngiger Herzensräuber ist von schmaler


Gestalt;
zwischen seinen beiden Brauen hat er ein Pärchen Schön­
heitspunkte ."

26: men jorimdi jitirimman muSki ambar tüni bor

6 ap jüzida paäaxürda rost juzida xoli bor

"Ich habe mein Liebchen verloren - es hat einen Mantel

50
wie Moschus und Ambra.
■ Au^.®ef ner ^in^en Wange hat er das Mal eines Insekten­
stichs, auf der rechten einen Schönheitspunkt."

iki qoSig qalami iki küzig öaSmoji nur

oj inadek barq urib sinaji sopiij kürinur

"Deine beiden Brauen sind wie (Rohr)federn, deine Augen


sind Borne des Lichts.
Deine blanke Brust zeigt sich blitzend wie ein Spiegel."

Was erwartet der Verehrer vom baSa - bzw. besser: Was hat der

Verehrer vom baCa zu erwarten?

28: men sani xüb bilaman kawnig maqa mawil emas

ültirib qon ji^lasam sennan murod hosil emas

"Ich kenne dich wohl: dein Sinn ist mir nicht geneigt.
Und wenn ich mich hinsetzte und blutige Tränen weinte -
durch dich werden (meine) Wünsche nicht erfüllt!"

29: oqiSigdi boqqa kürdim noliSirjdi küöaja

sega bir iäim boredi uöramadig guäaja

"Ich sah dein würdevolles Schreiten im Garten und (hör­


te) dein klagendes Singen auf der Gasse;
ich hätte mit dir etwas zu erledigen gehabt - (aber)
du kamst nicht an der Ecke vorbei..."

Was setzt der baöaboz ein, um der Liebe des baöa gewürdigt zu

werden?

olasan sen olasan ustani äojirt baöasi

peäonajna xol terajin ruza namoz keöasi

"Du raubst (mein Herz), du Lehrbub des Meisters!


In der Nacht zum Fastenfest will ich Schönheitspunkte
auf deine Stirn reihen..."

§awzodaj Öüpon büluw otajndi qüjin boqaman

ürta namoz keftasi qüjnigrja qü§ §am joqaman

"Ich will im heißen Zwillingsmonat Hirte sein und die


Schafe deines Vaters hüten;

51
in der zweiten Nacht des Fests werde ich an deinem Busen
ein Pärchen Kerzen entzünden..."

Wodurch wird dem ba&aboz Kummer bereitet?

32: oj minan oSnoj edim ilduzga badnom ettila

ne gunojim boredi majdona taälab kettila

"Ich pflog Umgang mit dem Mond - sie schwärzten mich


bei den Sternen an.
Was hatte ich (nur) getan, daß er mich vor allen ver­
warf und ging?!"

Wie äußert der Verehrer sich zur Trennung?

33: äu ketariqdi bilsam edim men uzatib qüjmas medim

taxta küprij pan§arajni tuzatib qüjmas medim

taxta küprij pan^aragija men neöij zan$ir bülaj

ruzi kelmajan gulijni man qandog uzib kelaj

"Wenn ich gewußt hätte, daß du gehst, hätte ich dich etwa
nicht gehen lassen und fortgeleitet?!
Hätte ich etwa nicht (um deinetwillen) das Geländer an
der Holzbrücke repariert?!
Wie sollte ich denn eine Kette vor dem Geländer an der
Holzbrücke sein?
Wie könnte ich bloß deine Rose brechen, deren Tag noch
nicht gekommen ist?!"

Schon diese wenigen Strophen lassen deutlich werden, worin

der Stil der Lieder der Gattung mullosozi sich von dem der früher

gezeigten qüSig unterscheidet: Die Worte dieser Lieder sind aus

einer Sprachschicht gewählt, die mit der Alltagssprache nichts

gemein hat. (Auch einige der verwendeten grammatischen Formen

sind der heutigen Umgangssprache fremd.) Die Begriffe, in denen

. die baöa beschrieben werden, sind als Topoi der "hohen" Lyrik

wohlbekannt. Die Attribute, die nun von größter Wichtigkeit sind

(das Schönheitsmal, die Papageienzüngigkeit - alle davon

52
kehren in einer größeren Anzahl von Strophen wieder), waren für
die schlicht-realistischen Tanzlieder unwesentlich gewesen. Vor
dem Auge des Zuhörers beim mullosozi-Gesang entsteht nun ein
völlig anderes, überhöhtes Bild des Knaben: Er ist der Inbegriff
der Schönheit, ein begehrenswertes, wenn auch fernes, Wesen -
aber bestimmt nicht eines von den kleinen geldgierigen Biestern
mit den falschen Locken und dem frivolen Augenzwinkern.

Hatte der ba&aboz in den qü§iq-Strophen konkret um Zärtlich­

keiten bitten können, so muß er im mullosozi schon grundsätzlich

an der Erfüllung irgendwelcher Wünsche zweifeln (Beispiel 28).

Hinsichtlich der eigenen Aufwendungen für den kleinen Liebling

ist kein Realitätsbezug feststellbar (Beispiele 30 und 31 ); Geld

ist im mullosozi kein Thema. Ließ der Verehrer im qüSiq für den

Fall des Zerwürfnisses seinen gekränkt-zornigen Gefühlen freien

Lauf, so zieht er sich im mullosozi auf die Position von Vorwurf

und Selbstvorwurf zurück (Beispiel 33).

Insgesamt steht der durchaus aggressiven Frische des güSiq

also die düstere Resignation des mullosozi entgegen. (6 )

Nun kommen darüber hinaus im mullosozi Aspekte des Knaben­

spiels zur Sprache, die im äugig überhaupt keine Rolle spielen.

Man kann sie unter dem Begriff "Liebesleid und Liebestod" zu­

sammenfassen. Verleihen die bisher vorgestellten .Lieder dem

Phänomen bafiabozlik schon eine gewisse Schwärze, so fügen die

jetzt zu zeigenden noch die glosende Röte von venösem Blut dazu.

<*) Um”hier nicht ein allzu einseitiges Bild von der Gattung
mullosozi entstehen zu lassen, sei angemerkt, da®. es
durchaus auch Strophen realistischeren Inhalts gibt; diese
sind allerdings unverhältnismäßig seltener als die hier
vorgestellte Art und handeln i.a. von anderen Themen.

63
34: tunna büjlij dilbarimja kim beribdi xom §arob

küzlari maSallaj jonib gildi banrimdi kabob

"Wer hat nur meinem kranichwüchsigen Liebchen unausge­


gorenen Wein gegeben? -
Seine Augen brennen wie Packeln und haben mein Herz am
Spieß gebraten."

35: jori man dilbar mani du £a§mi maston üldirar

gajdan kelsa iki kopir bir musulmon üldirär

"Mein Geliebter, Liebchen - (deine) zwei trunkenen


Augen töten!
Zwei Ungläubige (7), woher immer sie kommen mögen, tö­
ten (doch gewiß) einen einzelnen Muslim!"

36: küzginajnnan tonidim sen ki ü§a §allodisan

§on olmog äaninda büjsa baröanin ustodisan


"Ich habe es an deinen Augen allein schon erkannt, daß
du dieser Henker bist!
Was das Töten als dein Talent angeht, bist du der Mei­
ster von allen."

37: goöasaij dajroga goÖ men boraman güjniijdi oö

sen agar §allot büjsäi) boäimdi kes gonimdi so£

"Wenn du weglaufen willst, dann lauf zum Fluß! Ich komme


(nach) - breite deine Arme aus!
Wenn du ein Henker bist, schneide mir den Kopf ab und
versprenge mein Blut ..."

Dem Kenner jeglicher persisch-türkischen Lyrik bleiben natür­

lich die Anklänge dieser Art von Volksliedern an die klassische

und nachklassische Dichtung nicht verborgen. Ohne hier auf die

Parallelen zwischen mullosozi und literarischem Gedicht näher

eingehen zu wollen, kann man festhalten: Die baöaboz empfinden

diese Lieder offenbar auch selbst als etwas der spätöa^atajischen


Lyrik Nahes - sie hören bzw. singen sie nämlich durcheinander

mit solchen literarischen Gedichten (die traditionell ja auch

TT) d.s. die beiden Augen des baöa

54
nicht aufgesagt, sondern gesungen werden). Die Situation dieses
Gesanges unterscheidet sich deutlich von der des qüSiq-Sinqens:
Das qü§iq untermalt den Tanz der Knaben; das mullosozi dagegen
füllt die Pausen, in denen die Knaben von der Tanzfläche ver­
schwunden sind, bzw. wird mullosozi immer zu Anfang einer Party
gesungen, solange die Knaben noch gar nicht anwesend sind,

gleichsam zur Einstimmung auf das zu erwartende Geschehen.

Auf der Prestige-Skala der verschiedenen özbekischen Lied­


gattungen rangiert das mullosozi sehr weit oben, vielleicht an

höchster Stelle überhaupt. Seine Melodien sind getragen und er­

baulich, seine Texte müssen für literarisch nicht gebildete Öz-

beken schwer, wenn nicht gar überhaupt nicht verständlich sein.


Dennoch gewinnen alle Zuhörer, ohne Ansehen ihrer Bildung und

ihres Berufs, gerade diesen Liedern einen hohen Genuß ab, wenn

man sich ihre Reaktionen beim Anhören der Lieder vor Augen hält:

Schließen der Augen, genüßliches Wiegen des Oberkörpers, gele­

gentlich beifälliges Schnalzen mit der Zungenspitze, anerkennen­

des Hochziehen der Augenbrauen und Wackeln mit dem Kopf.

Nun bleibt zu überlegen, welche Funktion den mullosozi-

Liedern im Rahmen des Knabenspiels zufällt.

Eine Kommunikationsfunktion ähnlich wie die der qüäiq kommt

nicht in Frage. Abgesehen davon, daß die mullosozi-Texte wenig

geeignet wären, den Kontakt zwischen baöaboz und baöa zu fördern,

sind die baba zur Zeit des mullosozi-Vortraqs ja gar nicht an­

wesend oder jedenfalls in das Geschehen nicht aktiv involviert.

Ganz im Gegenteil - die Zeit des mullosozi-Gesanges ist eine

Zeit des Rückzugs der baöaboz auf sich selbst, sei es in Er­

wartung eines schönen Abends, sei es zum Verdauen einer Abfuhr


oder der Enttäuschung über die Abwesenheit eines ersehnten baöa.

(Die "erfolgreichen" baCaboz sind in späteren Pausen ja entweder


schon mit ihren Lieblingen beschäftigt oder haben sich bereits

mit diesen zurückgezogen.)


Das mullosozi ist also eigentlich dasjenige Lied des Knaben­

spiels, das die Verbindung mit den Knaben nicht hersteilen,

sondern das auf sie einstimmen, sie (etwa in den Tanzpausen)

ergänzen und sie im Falle der Frustration .sogar ersetzen muß. In

Erfüllung dieser Funktionen kommt das Lied gerade denjenigen

baSaboz zu Hilfe, die ihre wünsche nicht erfüllt sehen, ja die

möglicherweise überhaupt ohne baÖa ausgegangen sind.

Schon anläßlich der Besprechung der (den baöa betreffenden)

Bedingungen für den Einstieg ins Milieu .war einmal angesprochen

worden, daß es einen Teil des Knabenspiels gibt, für den die

Verfügbarkeit des Knaben gar nicht Bedingung ist; damit war die

eben angesprochene Situation gemeint gewesen, daß nämlich der

bafia durch den Gesang ersetzt werden muß und auch tatsächlich

ersetzt werden kann.

Dieser Fall tritt auch gar nicht selten ein. Bei fast allen

Parties, an denen ich teilnehmen konnte, waren weitaus mehr

"freie" baöaboz anwesend als verfügbare Knaben. So konnte einfach

nicht jeder ba&aboz einen Knaben für sich finden - ganz abge­

sehen davon, daß viele Männer es offensichtlich auch gar nicht

unbedingt darauf anlegten. Man kann in der Tat festhalten, daß

ein nicht geringer Anteil der Knabenfreunde sich mit dem "nicht-

realisierten" Teil des Spiels begnügt. Dies mag durchaus banale,

etwa finanzielle, Gründe haben; für viele bafiaboz aber ist offen-
sichtlich gerade dieser Teil das, was sie mit ihrem "Knabenspiel"
im Grunde erstreben«

Die Begnüglichkeit, sofern sie nicht freiwillig ist, gründet


oftmals in einem wohl existierenden, die Erwartungen, die der
baöaboz in das Spiel gesetzt hat, aber nicht erfüllenden Verhält­
nis mit einem Knaben,

Halten wir noch einmal fest, welche Defizienzen der baöaboz

mit seinem Knabenspiel zu kompensieren hat. Zum einen mögen es


sexuelle sein - diese sind, jedenfalls im zuhältergebundenen

Bereich, einigermaßen ausgleichbar. Zum anderen sind es Mangel­

situationen im emotionalen Bereich, denen das Knabenspiel ab­


helfen sollte.

Der Knabe sucht im Milieu in erster Linie das Geld; seine

Erwartungen kann das Knabenspiel, wenn schon quantitativ nicht

hinlänglich, so doch qualitativ adäquat einlösen. Eine emotionale

Bindung will der Knabe gar nicht hersteilen, im Gegenteil, er

empfindet das Nähebedürfnis des baöaboz gerade noch als Zudring­

lichkeit, die er nolens volens um der Löhnung willen hinnimmt.

Wie also sollten die Wünsche des baÖaboz. soweit sie auf eine

tiefe freundschaftliche Bindung abzielen, überhaupt erfüllbar

sein? - Mit dem Prestigegewinn im Milieu, der dem bafiaboz durch

das Anwerben eines vorzeigbaren baöa zufällt, mag der baöaboz

über die durch die Verschiedenheit der Konzepte von Knaben und

Männern schon vorgezeichnete Frustration in der eigentlichen

Bindung zum Teil hinweggetröstet werden. Eine Lücke wird jedoch

gewiß bleiben.

Zum Füllen dieser Lücke nun scheint das mullosozi wie kein

anderes Element des Knabenspiels geeignet: In ihm kann der

57
baÖaboz von einer Art von Knaben hören, die er in der Realität
nie sehen wird? in ihm kann er in einer Weise nach dem Liebling
schmachten, die alle Realität übertrifft; in ihm kann er schließ­
lich sogar die letzte Konsequenz seiner Liebe erfahren, den süßen
Tod von der Hand des grausamen Liebchens. So banal die Realität

des Knabenspiels, so exaltiert ist die "Realität" des Liedes, und

darin liegt wohl der Grund für die Unverzichtbarkeit des mullo-

sozi im Knabenspiel.
Allerdings wäre es m.E. ungenügend, die Beziehung zwischen

Spiel und Lied als eine eingleisig-kausale der Art "durch die
Unzulänglichkeit des Spiels entsteht das Lied als Ausweichlösung"

aufzufassen. Schon früher war die Frage angedeutet worden, wel­

ches der beiden Elemente, Spiel oder Lied, nun Ursache und
welches die Folge daraus ist. Wahrscheinlich besteht zwischen den

beiden eine Wechselbeziehung, und diese ist wohl gerade auf einer

diachronischen Betrachtungsebene relevant. Während einerseits die

Flucht in das Lied dieses auf ein Niveau der Überhöhung treibt,

wirkt der Text, den die Tradition pdrpetuisiert und der vom

individuellen Knabenspiel eines badaboz nicht in seiner Genese,

sondern allenfalls hinsichtlich Aufgreifen oder Vergessen bzw.

Verwerfen abhängt, andererseits zweifach zurück auf die Zuhörer,

indem er sie zum einen in ein angenehmes Schein-baöaboz-Tum

lullt, zum anderen aber in ihnen Emotionen auslöst, die durch die

banale Realität prompt wieder frustriert werden müssen. In diesem

Kreis bleibt der badaboz in einer emotionalen Schwebe, die viel­

leicht geeignet ist zu erklären, warum sich Männer, die einmal

badaboz geworden sind, kaum wieder aus dem Milieu lösen.


EINSTELLUNGEN VON AUSSENSTEHENDEN

Was nun zu erörtern bleibt, ist der Standpunkt "der anderen",

also der der Frauen, die vom Phänomen indirekt betroffen werden,

und der von milieufremden Personen, die sich vom Phänomen dennoch
betroffen fühlen.

Es ist nicht einfach, Frauen dazu zu bewegen, sich zum Kna­

benspiel zu äußern. Nun gilt es ganz allgemein als ungehörig,

über Belange aus der Sphäre des anderen Geschlechts zu reden,

sodaß man aus dieser Zurückhaltung noch nicht auf Ablehnung

schließen müßte. Frauen sprechen z.B. auch nicht über die Be­

schneidung ihrer Söhne - und diese wird ganz gewiß nicht nega­

tiv bewertet. Die wenigen direkten Stellungnahmen zum Knabenspiel

allerdings, die ich festhalten konnte, waren reserviert bis

ablehnend.

Es fällt auf, daß die Frauen, ebenso wie die baöaboz, bemüht

sind, sich von einer pseudo-objektiven Warte aus zum Spiel zu

äußern. Aussagen allgemeiner Art werden gerade noch abgegeben,

über baöabozlik im Kreis der eigenen Familienangehörigen dagegen

wird nicht gesprochen. Mir gegenüber hat nie eine Frau zugegeben,

daß ein Knabe aus ihrer Familie als baöa tätig sei - was umso

mehr auffällt, als die Frauen andererseits einen baöa aus der

Familie immer mit Stolz vorführten, wenn ich lediglich um das

Singen von Knabenliedern gebeten hatte. Tabuisiert ist also das

Spiel offenbar keinesfalls ob des Singens und Tanzens des

Knaben; der positive Aspekt des ba&a-Daseins. daß nämlich der

Knabe ein beträchtliches Einkommen erzielen kann, bleibt aber

59
ebenso verschwiegen wie eine mögliche sexuelle Komponente des

Spiels.
Fast zwangsläufig drängt sich die Frage auf, ob Frauen einen
bafia nicht als Rivalen empfinden. Sie tun das sehr wohl; aller­
dings spielt der bafia als Rivale nicht annähernd eine so wichtige
Rolle wie die Mit-Gattin (kundoä). Er ficht die Stellung einer
Frau ja auch nicht ähnlich unmittelbar und gefährlich an wie eine
Zweitfrau: Von ihm hat der Gatte keine Söhne zu erwarten; er
wird früher oder später ganz verschwinden oder jedenfalls durch
einen anderen ersetzt werden; vor allem aber ist er der Frau
nicht täglich und stündlich vor Augen und erinnert sie an ihre
Demütigung. Als Rivale im emotionalen Bereich kommt der baöa nur
sehr begrenzt überhaupt in Frage: Gerade in diesem Bereich
besteht zwischen vielen Eheleuten ja kaum eine Bindung. Darüber
hinaus sehen die Frauen die angebliche zärtliche Verbundenheit
zwischen aka und uka recht realistisch - sie zweifeln an der
Existenz einer solchen und äußern sich spöttisch über die baöa-
bpz, die sich wegen eines baöa zum Narren machen.

Der einzige Aspekt des Knabenspiels des eigenen Gatten, zu

dem sich Frauen deutlich äußern, ist der finanzielle. Sie be­
klagen, daß es letztlich Geld ist, das sie, die Frauen, verdient
haben, welches der baöaboz für sein Hobby durchbringt.

So wenig sich die Frauen auf Befragen hin zum Knabenspiel

äußern, so einsilbig bleibt auch das Frauenlied zu diesem Thema,


ln dem ganzen Material an Frauenliedern, das mir zur Verfügung

steht (und das sind immerhin an die tausend Lieder), finden sich

nur zwei Strophen, die unmißverständlich Stellung zu baöabozlik


nehmen. Sie sollen hier zitiert sein.
30: Saripboj§on sarja armondü Sijin

majlisiija ba£a memondü Sijin

majlisiga düs keluw düSman Ciqar

mani §onim saija qurbondü Sijin

"Lieber Saripboj - heute sehnt (mein Herz) sich vergeb­


lieh nach dir:
Heute ist der baöa zu Gast bei deiner Party.
Als Freund kommt er zu deiner Party, als Feind könnte er
gehen;
ich (aber) würde heute mein Leben für dich gebenI"

39: (...)

badabozlij qadimgidan bor akan

e baöalar havas qilmai) oSiqti .

baöabozlig iraj ba*ri qon akan

Das Knabenspiel gibt es schon von alters her.


Oh Knaben, begehrt nicht nach einem_Liebhaber!
(Her) das Knabenspiel (spielt), dem blutet das Herz!"

Hie äußern sich nun Personen, die vorgeben, mit dem Knaben­

spiel nicht in Verbindung zu sein, zu baöabozlik? - Primär

fällt auf, wie wenig sie i.a. über das Phänomen, vor allem über

seine gesellschftlichen Hintergründe, wissen oder nachdenken;

demgegenüber sind ihre Einlassungen sehr emotionsgeladen.

Mir gegenüber haben sich fast nur Lehrer und Studenten, dazu

ein Dichter und einige Kaufleute mit Ausländserfahrung, über das

Knabenspiel geäußert. Alle diese Personen sind der "geistigen

Elite" ihrer Gesellschaft zuzurechnen, die meisten haben an einer

Universität (Kabul oder Istanbul) studiert.

Aus den Stellungnahmen eigentlich aller dieser Personen

spricht im mindesten Falle Reserviertheit, wesentlich häufiger

61
noch schroffe Ablehnung, ja oft sogar das Nicht-wahrhaben-Wollen,

die Leugnung der Existenz von baöabozlik oder zumindest das

Bestreben, das Phänomen als marginale Erscheinung und die Invol­

vierten als eine kleine Gruppe von gesellschaftlichen Außen­

seitern darzustellen. Dabei führt der Grad an persönlichem

Engagement in der Zurückweisung des Phänomens Aussagen der letz­

teren Art, die das Knabenspiel als irrelevante Erscheinung dar­

stellen wollen, schon ad absurdum: Die özbekische Intelligfenz, in

Übereinstimmung mit der Intelligenz ganz Afghanistans, nimmt das

Knabenspiel bitter ernst und ist an seiner Zurückdrängung in

hohem Maße interessiert.

Wie bereits gesagt, sind die milieufremden Personen über

Details des Knabenspiels nicht gut informiert bzw. geben dies

zumindest vor, möglicherweise um desto leichter Distanz halten zu

können. Dementsprechend wird auch kaum spezifisch gegen einzelne

Aspekte argumentiert, sondern das Phänomen wird auf einer vage­

moralisierenden Ebene verurteilt.

Die baöa würden durch den Umgang mit den baöaboz charakterlich

geschädigt. Das Verhalten der baöaboz wird als invertiert ver­

standen, also in Begriffen der Homosexualität zwischen erwachse­

nen Männern beschrieben und abgelehnt - wiewohl, wie sich durch

die vorgelegte Beschreibung hinreichend abgezeichnet haben dürf­

te, diese Auffassung den Tatsachen überhaupt nicht entspricht.

Jedenfalls erkennen wir in den Stellungnahmen der "aufgeklär­

ten" milieufremden Özbeken diejenigen Vorbehalte gegen Beziehun­

gen zwischen Gleichgeschlechtlichen wieder, die spätestens seit

Vörliegen der aufschlußreichen Studie von Bleibtreu-Ehrenberg

62
(8 ) als Vorurteile erkannt sind, die vor dem Entstehungshinter-*

grund der abendländisch-christlichen Kultur verständlich werden.


Gemeinsam mit der Bildung im westlichen Sinn eignen sich özbeken

offenbar auch europäische Vorurteile an, die sie auf spezifische

Phänomene aus ihrer eigenen Kultur ausweiten. Bemerkenswerter­

weise geraten sie ausgerechnet so in eben die Falle des europäi­

schen Ethnozentrismus, vor der sie ihre knabenspielenden Lands­

leute eigentlich bewahren wollten: Die meisten der milieufremden

Personen, mit denen ich über baöabozlik sprechen konnte, gingen

nämlich davon aus, daß ich als Europäer das Phänomen verurteile,

und versuchten offenbar, meiner Verurteilung zuvorzukommen und

ihre Landsleute gegen mich in Schutz zu nehmen.

Der Anhang über das Knabenspiel im heute sowjetischen Mittel­

asien wird zu der Tatsache des "Engagements der Milieufremden"

noch wesentlich mehr Material bieten; die Aufklärung im europäi­

schen Sinne waltet dort seit dem letzten Viertel des vorigen

Jahrhunderts und ist für das Knabenspiel nicht ohne die zu erwar­

tenden Folgen geblieben. Es ist durchaus denkbar, daß im Zuge der

gesellschftlichen Umgestaltung Afghanistans nach der Aprilrevolu­

tion von 1978 das aufklärerische Ideal auch bei den afghanischen

Özbeken das Knabenspiel zum Weichen bringt; leider fehlt mir dazu

jegliche brauchbare Information.

Zuletzt müssen die Stellungnahmen der Autorität ins Auge

gefaßt werden, die der staatlichen und die der geistlichen.

Das Knabenspiel steht in Afghanistan seit den zwanziger Jah-

(8 ) Gisela Bleibtreu-Ehrenberg: Tabu Homosexualität. Die Ge­


schichte eines Vorurteils. Frankfurt 1978.

63
ren unter Strafandrohung; der Kampf gegen baöabozlik gehört in

den Gesamtzusammenhang der aufklärerisch-reformistischen Maß­

nahmen von König Amanullah. Nun wurde dieses gesetzliche Verbot

nicht nur von den "kleinen Leuten" oder etwa den besitzenden

Klassen, die sich eine solche Mißachtung leisten können, sondern

in gleicher Weise auch von Beamten des Staates selbst (ich habe

Bürgermeister, Marktaufseher, Verwalter staatlicher Liegenschaf­

ten, ja auch einen Polizeikommandanten einer großen Provinzstadt,

als baÖaboz kennengelernt - von denen viele, was angemerkt

werden sollte, gar nicht einmal Özbeken, sondern Angehörige des

staatstragenden Volks der Paschtunen waren) konsequent ignoriert;

entsprechend halbherzig fiel die Ahndung aus. Wenn man den Ein­

lassungen von ba&aboz folgen will, auf die ich mich hier vorwie­

gend stütze, wurde nicht das Knabenspiel als solches sanktio­

niert, sondern nur die Straftaten, die mit dem Milieu in Zu­

sammenhang standen. Die Palette dieser kriminellen Handlungen

reicht von Betrug (im Glücksspielerkreis) über Raub und Körper­

verletzung bis zu Mord. Der wohl berühmteste Fall aus "dem Milieu

ist der des "Fiakers am Saxi" (saxini qoduwoni). jenes

Pferdetaxifahrers aus Mazori Sarif, der in den frühen siebziger

Jahren einem Fememord zum Opfer gefallen war und den man

erstochen vorfand, den Daumen in den Zipfel seines Turbans

eingebunden. (9)

Ganz allgemein können Straftäter aus dem Milieu des Knaben­

spiels mit der Sympathie weiter Kreise der Bevölkerung rechnen.

(9) Wie in'Solchen Fällen nicht unüblich, nahm sich das Volks­
lied dieses Mordes an und spann eine schaurig-schöne Mori­
tat darüber.

64
Ein Beispiel dafür mag jener Sänger namens Hajdar sein, der wegen

Mordes an einem Rivalen in Sibir^on lebenslänglich einsaß und der

nichtsdestoweniger einer der beliebtesten Produzenten von Kasset­

ten mit Männerliedern - u.a. zum Hergang seiner eigenen Tat -

war. •

Daß es notwendig war, eine Kriminalisierung des Knabenspiels

an sich zu vermeiden, liegt auf der Hand: Eine Gesellschaft kann

es sich nicht leisten, etwa ein Drittel ihrer männlichen Bevölke­

rung auszugrenzen, schon gar nicht dann, wenn die öffentliche

Meinung zu einem großen Teil dem Phänomen positiv gegenüber steht

und die Machtmittel nicht in der Hand einer kleinen Gruppe von

Gegnern des Phänomens sind - und das war im vorrevolutionären

Afghanistan ja der Fall.

Von Seiten der Geistlichkeit wurde nicht gegen das Knaben­

spiel vorgegangen. Nun gilt ja lediglich nach der schafiitischen

Rechtsschule Päderastie als Verbrechen, das wie illegale hetero­

sexuelle Handlungen zu bestrafen ist. (10) Nach mittelasiatisch­

islamischer Rechtsauffassung gibt es zur Knabenliebe keine ver­

bindlichen Rechtsquellen, also auch keine Möglichkeit zur

Bestrafung. In der Praxis waren meines Wissens auch tief religi­

öse Özbeken, ja sogar Angehörige der Geistlichkeit, dem Knaben­

spiel nicht abgeneigt. (1 1 )*


1

(10) E. Sachau: Muhammedanisches Recht nach Schafiitischer Lehre


Berlin 1897. p. 740, 818; Reuben Levy: The Social Struc-
ture of Islam. Cambridge 1971. p. 234.

(11) Der Gemeinplatz von mullo und qozi. also niedrigem islami­
schem Geistlichen und Richter, als den baöaboz schlechthin
ist schon in der arabischen Literatur des 9. Jahrhunderts
geläufig (Mez, pp, cit. p. 213) und nimmt in der özbeki-
schen Literatur breiten Raum ein. Dazu mehr s. Anhang.

65
In diesem Zusammenhang sei eine bemerkenswerte Tatsache er­

wähnt, die bereits zum nächsten Kapitel, zur Terminologie des


Knabenspiels, überleitet: Die Terminologie des Verhältnisses von
aka und uka wird zum Teil aus dem Bereich des Islamischen Ehe­
rechts entlehnt. Darüber wird gleich noch zu handeln sein.
DER WORTSCHATZ DES KNABENSPIELS - EIN SCHATZ AN HINWEISEN?

Das Knabenspiel bedient sich der Alltags- sowie auch der

Literatursprache in zeitweilig recht eigenwilliger Weise. Wörter,

auch termini technici, gewinnen im Zusammenhang von baSabozlik

Bedeutungen oder Konnotationen, die sie im normalen Sprachge­

brauch nicht haben, und Wörter, die normalerweise überhaupt

nicht (mehr) verwendet werden, tauchen (wieder) auf. Über diesen

vom normalen abweichenden Sprachgebrauch Bescheid zu wissen, ist

eine Grundvoraussetzung für Verständigung im und über das Milieu.

Vielleicht kann die genauere Kenntnis der baöabozlik-Sonder-

sprache aber noch mehr ermöglichen: nämlich einen gewissen Ein­

blick in Strata des Phänomens, die sich die heutigen Angehörigen

des Milieus nicht mehr bewußt machen. Wörter sind langlebiger als

die Begriffe, für die sie stehen; möglicherweise können einige

Termini aus dem Knabenspiel hilfreich sein für den Versuch einer

Einordnung des mittelasiatischen Knabenspiels in die Schar ver­

wandter Phänomene insbesondere aus früheren Zeiten. In diesem

Kapitel soll nun der Sonderwortschatz, in einem weiteren Sinn

aber auch ein kleines Repertoire von klischeehaften Wendungen

aus dem baöaboz1ik-Argot (die vor allem den Volksliedern entnom­

men sind), zusammengestellt werden.

1. Bezeichnungen für den Knaben, die von den Knaben selbst ver­

endet werden:
ba£a(§on) "der (liebe) Knabe"
majda(§on) "der (liebe) Kleine"
Sirin(Cjon) "der (liebe) Süße"

2. Bezeichnungen für den Knaben, die von den baöaboz verwendet

67
werden:
a. aus Verwandtschaftsterminologie u.ä.

ba£a($on) "der (liebe) Knabe# das (liebe) Kind"


üglan "Knabe, Jüngling"
majda(gon) "der (liebe) Kleine"
bala "Kind, Sohn"
parzant "Kind, Sohn"
uka(m), uka§on "(mein) kleiner Bruder", "lieber Bruder"
inoca "Bruder"
birodar "Bruder"
§ij an "Neffe"

b. Kleinkind-Kosewörter aus dem zoologischen Bereich

tuti "Papagei"
qumri "Ringeltaube"
lo£in "Falke"
toj "Fohlen"
ta j log "Fohlen? Kamelfüllen"
guno§in "(dreijähriges) Fohlen"
tulpor "(geflügeltes Zauber-)Pferd"
türgala "Scheck"
barra "Schäfchen"

c. sonstige Kleinkind-Kosewörter

polwon 'starker Mann, Ringer"


gul(i m ) (meine) Rose"

d. Bezeichnungen für "Kamerad" u.ä.

o£no "Bekannter"
hamdevol "(Wohnungs)gefährte"
hamro(j i m ) "(mein) Gefährte"
arip "Kamerad"
rapig(^on) "(lieber) Freund"
düst "Freund, Vertrauter"
§üf t "Gespons"

e. aus dem Bereich weltlicher Autoritäten

bojim, bojgina "mein Herr", "lieber kleiner Herr"


xon(im) (xonim?) "(mein) Herr" ("Herrin"?)
türa "Adeliger? Statthalter"
Sozoda "Königssohn"
sulton(im) (sultonim?) "(mein) Sultan" ("Sultanin"?)

f. Begriffe, die eigentlich weibliche Wesen bezeichnen

barno "(hübsche) junge Frau"


§uvon "junge Frau"
§alaw "Hure"
gar "Hure"

66

\
dügona (12) Freundin

g. Termini aus dem religiösen Bereich

kopir "Ungläubiger"
kalmaguj "der die Worte des Glaubensbekenntnisses
spricht"
düst "Freund; Allah"
Kosewörter aus dem literarischen Wortschatz

jor "Liebchen"
dildor "Herzensbrecher"
dilbär "id."
nozanin "der sich ziert und bitten läßt"
gilvador "id." '
na^mador "der alle Arten (von Koketterie) be­
herrscht"
pari(zot) "Fee(nwesen)"
gajjam ?
nigor "Götzenbild"
lajli(gon) "Lajla (, nach der ihr irr gewordener
Verehrer Magnun schmachtet)"
Schimpfwörter

nomart "Ehrloser"
onatar "Hurensohn"
kunti "männliche Hure" ■

sonstige

£ü£a "Süßer"

goraküz "Schwarzäugiger"
ogqina "von hellem Teint"
mufiki "von moschusfarbenem (dunklem) Teint"
nodon "Unwissender"
Sogirt "Lehrbub"
zolim "Grausamer"
zürovar "Gewalttätiger"
bejiraj "Herzloser"
beraj im "Gnadenloser"
gallot "Henker"
üpaj "(der, den) ich küssen will"

(12) Diese Bezeichnung wird nur auf 1eden vnn , ,


befreundeten baöi angewendet? zwei mltein«nder

69
ajnalaj "(der, für den) ich mich aufopfern will"
ürgilaj "id."

3. Bezeichnungen für die Tätigkeit eines baöa

awla= "jagen" (d.h. einen Verehrer aufgabeln)

akaja fol kür= "dem aka wahrsagen" (d.h. mit ihm Lieb­
kosungen austauschen)

akaja teg= "den aka heiraten" (13)

akaja nonini alol qil= "dem aka sein Brot erlauben" (14)

majdon oSini ber= "seine öffentliche Ausspeisung halten"

3. Bezeichnungen für den baöaboz aus dem Mund des baöa

a. Anrede:

aka(§ o n ) "(lieber) großer Bruder"


birodar "Bruder"

b. in Abwesenheit des baöaboz

ba&aboz "Knabenspieler"
bebok "Furchtloser, Unverschämter"
mardaj, mardakaj "Kerl (pej.)"
dalla "Zuhälter"
davuz "id."

4. Bezeichnungen für den baöaboz, aus dem Munde von badaboz

(auch als persönliche Selbstbezeichnungen gebräuchlich)

a. Termini wie "Kamerad" u.ä.

oäno "Bekannter"
Sinosa "id."

(13) teg= ist eigentlich das Wort für "heiraten", gesagt über
die Tätigkeit der Frau; "heiraten" als Tätigkeit eines Man­
nes heißt ol». Für die Tätigkeit des baöa bei der Aufnahme
einer Beziehung mit einem baöaboz wird auch tegib ol= >
welches die beiden Termini kombiniert, verwendet.

(14) nonini alol qil= ist wohl ein Euphemismus für "(dem aka)
seinen Körper legal verfügbar machen"; man beachte die fri­
vole Übernahme des islamischen Terminus halol "nach religi­
ösem Recht zum Genuß erlaubt", der normalerweise den recht­
mäßigen Ehepartnern als Attribut Vorbehalten ist.

70
rapi| "Freund"
hamdevol "Wahnungsgefährte"
b. Termini aus dem literarischen Wortschat2

jor "Liebster"
oSis "Liebender"
xüStor "Liebhaber"
giriftor "Hingerissener
c. aus dem religiösen Bereich
qalandar "Derwisch aus dem Orden der Qalandar"
devona "irrer Derwisch"

d. sonstige

xaridor "Käufer"
mehmon "Gast"

kuj jan "(in Liebe) Entbrannter"

5. Bezeichnungen des bafiaboz für sich selbst in Beziehung zum

uka bzw. zu dessen Vater

a. nur in bezug auf den uka

aka{§on) "der (liebe) große Bruder"


tofca "Onkel“

bofcbon "Gärtner"

b. in bezug auf jeden der beiden möglich

gul "Sklave"
jetim "Diener"
(ulom "id."
nükar "id."

öüpon "Hirte"
deqon "(abhängiger) Bauer"
dur*a "Kameltreiber"

6. Bezeichnungen für das Paar aka-uka

aka-uka "Brüderpaar"

oäno "Bekannte"

$üra "Paar"
qüStaqim "id."

7. B e z e i c h n u n g e n für d e n Neben b u h l e r des b a ö a b g z


Serij 'Compagnon'

napar "Person"

düSman "Feind"

§ajton "Satan; Intrigant"

Bezeichnungen für das Knabenspiel

baSabozlik, baäabozi "Knabenspiel"

beboklik "das Furchtlos-unverfroren-Sein"

ogiqlij "das Verliebt-Sein"


xüStorlij "id."

rapitlit "Freundschaft"

zindon "Kerker"

9. Euphemismen für "einen Knaben als baCa gebrauchen"

üjnat= "tanzen lassen"


zai} toq= "Schellen anbinden"
kokil sol= "Locken anhängen"

gulini uz= "die Blüte (seiner Unberührtheit) brechen"

guloilaSs "einander ins Ohr flüstern"


(für gu£oi(laS= "einander umarmen")

äariat iSini qil= "tun, was das Scheriatsrecht vor­


schreibt" (15)

Aus der Vielzahl der Termini des Knabenspiels fallen beson­

ders drei gröBere Gruppen ins Auge: die Termini, die den bafia

als Quasi-Frau zeigen, die Gruppe der Termini aus dem religiösen

Bereich und die Gruppe der "Henker-Termini".

Der baia ist ja schon rein durch seine Aufmachung als pseudo­

weibliches Wesen erkennbar. Seine Kleidungsstücke und sonstigen

Attribute wie Schmück und Schminke werden mit den gleichen Aus-

(15) im normalen Sprachgebrauch wird dieser Terminus für "Ver­


kehr mit der rechtmäßigen Gattin ausüben" verwendet.

72
drücken bezeichnet wie die entsprechenden der Mädchen. Die

Gleichsetzung geht aber über derartige Äußerlichkeiten deutlich

hinaus: Die Bewunderung des baöaboz finden Körperteile des baöa,

die bei diesem gar nicht ausgeprägt sind, die aber, gesetzt er

wäre ein Mädchen, die sekundären Geschlechtsmerkmale tragen wür­

den - vor allem der Schenkelbereich und das "Rippenstück"

(bigin) bzw. die (zwar nicht vorhandenen, deshalb aber nicht

weniger gerühmten) Brüstchen (öiüi).

Dazu kommt noch die Übertragung von Begriffen aus dem Ehe­

leben - und dem Bereich der islamischen Heiratsvorschriften -

auf das aka-uka-Verhältnis: Indem der baöaboz zum aka. also

größeren Bruder, des Knaben wird, wird seine Gattin zur Schwäge­

rin des uka; ein geflügeltes ironisches Wort geht akasi nOkar

bülsa jenasl qoladi beva "Wenn sein Bruder zu seinem (d.h. des

baöas) Diener wird, wird seine Schwägerin zur Witwe".

Der baöa "heiratet" seinen aka. wie eine Frau das tut (teg=);

dadurch wird er zu dessen Öüfti alol ("Gesponsin, mit der der

Verkehr von Scheriats wegen erlaubt ist"); durch Trennung macht

der baöa sich dem baöaboz wieder "qua religiösem Recht zum Genuß

nicht erlaubt" (harom). Als verwickelter Fall kann sich die

"Doppelrolle" des aka als zugleich "Bruder" und "Quasi-Gatte"

ergeben: Als "Gatte und Gattin" sind die beiden füreinander zum

Genuß erlaubt; als Geschwisterpaar Bind sie mahram ("für einander

zu sozialen Kontakten zugänglich, aber unter Eheverbot"), also

genau das Gegenteil des ersteren (wobei es egal ist, ob man uka

nun als "kleiner Bruder" oder "kleine Schwester" verstehen will

- das Wort trägt beide Bedeutungen, aber der Bruder ist von

73
einer Heirat mit dem alteren Bruder natürlich von vorne herein
ausgeschlossen); wird dann auch noch der dritte Aspekt ins Tref­
fen geführt, nämlich daß die beiden de facto ja weder halol noch
mahram, sondern einfach nomahram sind, also nicht in einem
Verwandtschaftsgrad, der soziale Kontakte erlaubt oder eine Ehe­

schließung verbietet'1, ist das Verhältnis endgültig als in jeder


Hinsicht offen oder in jeder Hinsicht verfahren entlarvt - und
die Beteiligten können sich nach Laune der einen oder der anderen
Interpretation bedienen. Tatsächlich spielen sowohl ba&a (vor

allem bei Erpressungsversuchen) als auch baöaboz (eher in

ironisch-frivolem Amüsement im eigenen Kreis) gerne mit diesen


kniffligen Fragen. - Daß dabei in jedem Falle die Ernsthaftig­
keit in bezug auf das strikte geltende Recht betreffend den

Umgang von Personen verschiedenen (l) Geschlechts verloren geht,

ist offensichtlich.

Die Gruppe der aus dem religiösen Bereich stammenden Termini

- diejenigen.aus der Heirats- u.ä. Terminologie jetzt nicht mehr

berücksichtigt - ist nicht sehr groß,' verdient aber doch Auf­

merksamkeit. Der baöaboz erweist sich als der irrende Derwisch

allgemein (devona) bzw. als Angehöriger des Ordens der Qalandar?

dem steht der baöa als düst, was im Wortgebrauch der Mystiker

gleichbedeutend mit Allah ist, und, wenn wir aus der mystischen

Dichtung noch lajli, das Verehrungsobjekt des Ma§nun, herein­

nehmen, letztlich auch wieder als Allah gegenüber. Nun treiben

baöaboz zwar die Vergötterung des baöa sehr weit? von Vergöttli­

chung andererseits kann keine Rede sein, auch nicht in metaphori­

scher Hinsicht. Die verwendeten Termini entsprechen also in

74
Keinem Weise dem jetzigen Zustand; sie müssen daher als
aus einem
früheren Zustand oder einem anderen Bereich hereingeholt ver­
standen werden.

Schon im Zusammenhang der Themen des mullosozi ■ der Lied­

gattung also, die für den literarisiert-sublimierten Teil des


Knabenspiels eine so wichtige Rolle spielt, war auf die Bedeutung

des Elements Tod oder Tötung hingewiesen worden. In der Termino­

logie des Knabenspiels schlägt sich dieses Element nur sehr


schwach nieder: der Knabe wird als aallot. "Henker", bezeichnet,

seine Augen als Ballot küzi "Henkeraugen". Umso mehr ufert aber

der Themenkreises Tötung etwa in den emotionsgeladenen Ausrufen


der ba&aboz während ihrer Partys aus. Da erbittet der badabo2 den

Tod von der Hand seines Lieblings (qulizdan ülai - "ich möchte

von Eurer Hand sterben"), üblicherweise speziell den Tod durch


Schlachtung <sui mani - "schlachte mich!", tük qonimdi -

"vergieße mein Blut!"); die Metaphorik ist so wohlbekannt, daß


auch Aufforderungen wie qasob bül "sei ein Metzger!" oder mani

qivlaia qaratib quj "stelle mich mit dem Blick nach Mekka auf!"

(16) und Feststellungen wie "ich kann nur mehr in die Gebets­

richtung schauen" keine Fehlinterpretationen zulassen.

Nur ein einziges Mal ist mir zu Ohren gekommen, daß die

üblicherweise feststehende Verteilung der Rollen. - der bafia als


Henker, der badabpz als Opfer - durcheinandergeraten war: Ein

baSaboz hatte in der Hitze des Tanzes ausgerufen qasob bülib sani

güjaman "ich werde dich schlachten wie ein Metzger"; dabei han-

<16> Tiere werden zur Schlachtung mit dem Blick nach Mekka aus
gerichtet.

76
delte es sich offensichtlich um einen lapsus linguae.

Gewiß könnte man noch andere Gesichtspunkte der baöabozlik-

Terminologie diskutieren. So fällt etwa der große Anteil von


Termini aus dem Bereich der Verwandtschaftsbeziehungen - abge­

sehen noch von den oben besprochenen Ehe-Termini - auf: Das

Verhältnis des baöa zum baöaboz ist das eines Kindes - aller­

dings stets zum Bruder oder Onkel; die Vater-Rolle mißt man bzw.

mißt sich der baöaboz nicht zu. (Daß es dabei zu bemerkenswerten

Rollenüberschneidungen kommt, läßt sich mittels einer qüSiq-

Passage illustrieren: bozorga leltib öitdi otasi dilanlni. wört­

lich "Der Vater geleitete seinen (eigenen) Neffen auf den Markt"

- wobei der "Neffe" eben der ilian = uka des baöaboz und nicht
des Vaters ist.)

Auch die Anzahl der Termini, die aus der Literatur wohlbe­

kannt sind, ist beachtlich; dasselbe gilt für Kose- und Schimpf­

wörter. Zum Teil wird auf diese Gruppen auch noch einzugehen

sein, wenn versucht wird, dem Knabenspiel der özbeken Afghani­

stans einen Platz im Rahmen vergleichbarer Phänomene zuzuweisen.


PÄDERASTIE? PROSTITUTION? EIN WEG ZU GOTT? EIN ABWEG DER NATUR?

VERSUCH EINER EINORDNUNG DES MITTELASIATISCHEN KNABENSPIELS

Die bisherigen Kapitel haben verschiedene Fragen zum Knaben­

spiel der afghanischen Özbeken - .und damit zum mittelasiati­

schen Knabenspiel insgesamt - beantwortet: die Frage nach den

Modalitäten des Spiels, die Frage nach den Motiven der Beteilig­

ten und den Einstellungen Beteiligter und Unbeteiligter, die

Frage nach den Funktionen des Spiels. Eine Frage ist wiederholt

berührt worden, und ihr ist dieses abschließende Kapitel gewid­

met: Wie läßt sich das mittelasiatische Knabenspiel in den

Rahmen anderer Phänomene stellen, die mit ihm Wesentliches gemein

haben? Kann man über die Herkunft des mittelasiatischen Knaben­

spiels etwas aussagen, ohne sich in barer Spekulation erschöpfen

zu müssen? - Um es vorauszuschicken: Ich bin nicht sehr

optimistisch hinsichtlich der Lösbarkeit dieser Frage auf dem

jetzigen Stand des Wissens, allzu mager ist zu einigen der ver­

gleichbaren Phänomene das verfügbare gesicherte Material, und

allzu breit ist die Schicht von Vorurteilen und vorgeblich un­

umstößlichen Wahrheiten, die über den ganzen Phänomenkreis gelegt

worden ist und die die Sicht auf wichtige Details oder, sofern es

um Einzelphänomene geht, bei denen ich auf Originalguellen nicht

zurückgreifen kann, die Sicht auf ganze Komplexe verstellt.

Welche Phänomene kommen nun überhaupt für einen Vergleich in

Präge? Das zentrale Element des Knabenspiels, also die Bezie­

hung zwischen einem erwachsenen Mann und einem Knaben, ist uns

als qualitativ und quantitativ hinreichend bedeutsam aus drei


Kulturbereichen bekannt, die im Lauf der Geschichte mit Mittel­
asien intensiv in Berührung waren: über den hellenistischen aus
dem klassisch-griechischen, ferner aus dem chinesischen und aus
dem (vor allem nachklassisch-)islamischen. Von vorne herein ob
der unbefriedigenden Quellenlage muß der Blick auf ein eventuel­

les Knabenspiel historischer Turkvölker - eventuell der Bol-

garen, bei denen es nach Ibn Fadian1s Reisebericht zumindest


vereinzelt Beziehungen zwischen Männern und Knaben gegeben haben

soll, oder auch der Türken Mittelasiens an der Wende zur

Islamisierung, für die man aufgrund von Mahmüd al-KaS^arij1s Dia­


lektstudien auf die Existenz einer Form von Knabenliebe schließen

kann - leider unterbleiben? das kann aber natürlich nicht

implizieren, daß Knabenliebe ein "untürkisches" Phänomen sei,

eine Einlassung, die uns aus dem Munde "aufgeklärter" Türken

ebenso vertraut ist wie aus dem der oben zitierten "aufgeklärten"
Bürger Afghanistans.

Einen erschöpfenden Vergleich von baöabozlik mit einem der

drei o.g. Phänomene zu ziehen, kann ich hier*erst gar nicht

versuchen, zu wenig sind mir diese anderen Varianten von Knaben­

liebe aus den genannten drei Kulturbereichen vertraut; ich will

nur solche Aspekte aufgreifen, die mir aus meiner Kenntnis der

mittelasiatischen Variante heraus als für einen Vergleich beson­

ders lohnend oder besonders problematisch erscheinen.

Eine Tatsache muß man indes stets vor Augen behalten, wenn

Vergleiche mit einer anderen Variante der Knabenliebe gezogen

werden: Wahrend das Knabenspiel Mittelasiens hier auf zwei Ebe­

nen, nämlich auf der Tatsachenebene und auf der Reflexions- bzw.

Refraktionsebene dargestellt werden konnte, verfügen wir hin­

70
sichtlich vergleichbarer Phänomene z.T. nicht über Informationen

zu Tatsachen, sondern nur über literarische oder andere künstle­

rische Zeugnisse, auch über Stellungnahmen und Interpretationen

von Zeitgenossen oder aus späterer Zeit - also Zeugnisse auf

der sekundären Ebene. Wenn, wie das in bezug auf die griechische

Knabenliebe der Fall ist, die wissenschaftliche Erforschung und

Interpretation dieser Sekundär-Zeugnisse bereits weit gediehen

ist, ist m.E. geraten, sich für den Vergleich auf diese Ergebnis­

se, die zur Tatsachenebene zurückführen, zu stützen und mit den

Tatsachen von badabozlik zu vergleichen. Wo dagegen bislang keine

befriedigenden Versuche eines Rückgriffs auf die Ebene der Tat­

sachen unternommen worden sind, und dies ist der Fall etwa im

Bereich der islamischen Mystik, kann auch der Vergleich nur einer

mit der Sekundärebene des mittelasiatischen Knabenspiels sein.

Mazori §arif mit seinem Vorort Balx als Zentrum des Knaben­

spiels in Afghanistan - das alte Balx als ein Zentrum des

graeco-baktrischen Kulturraumes - was liegt näher, als in dem

heutigen afghano-özbekischen Knabenspiel einen späten Nachfolger

des hellenistischen und somit des griechischen Päderastentums

sehen zu wollen.

Die griechische Knabenliebe (17), in ihrer "dorischen" sowohl

als auch in ihrer klassischen Ausformung, läßt sich letztlich als

In der Beschreibung stütze ich mich vor allem auf Harald


Patzer: Die griechische Knabenliebe, SBdWissGesch an der
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, XIX. 1
1982.3-129, eine Studie, die den Forschungsstand bis dahin
zusammenfaßt und das Phänomen unter Berücksichtigung ethno­
logischer Ansätze interpretiert.

79
Spätform eines Initiationsvorganges verstehen. In der genetisch ur

älteren Variante (18), die hauptsächlich aus der Beschreibung des dJ

"kretischen Knabenraubes" erschließbar ist, kommt dies noch sehr eI

deutlich zum Ausdruck: Der Knabe wird von einem (für die Familie g«

akzeptablen) erwachsenen Mann durch Scheinraub entführt, für zwei Ki

Monate von seiner Familie getrennt in die Jagd- und Kriegskunst g«

eingeführt und nach dieser Zeit, mit u.a. einer Rüstung und einem s,

Opferrind beschenkt, der Familie wieder zurückgegeben. Während v-

der zweimonatigen "Quasi-Ehe" findet neben der sachlichen Einfüh- i:

rung in das Männerleben auch eine numinose Einweihung statt, zu G

der auch der rituelle Vollzug homosexuellen Verkehrs gehört, in s

dem der Erwachsene dem Knaben von seiner Männlichkeit gleichsam r

weitergibt. Die Initiationszeit endet mit der Opferung des Rinds d

durch den Knaben und der vom Knaben auszusprechenden Erklärung, j

ob er seinem Verehrer-Initiator hinreichend Vertrauen und Zu- >

neigung entgegenbringen kann, um weiterhin dessen Begleiter zu i

bleiben, vor allem auch bei kriegerischen Unternehmungen. I

In der klassischen Ausformung der griechischen Knabenliebe, }

die genetisch jünger ist und bereits den Übergang von der

Krieger- zur Stadtbürgerlebensform hinter sich hat, zeigt sich

der Initiationscharakter in anderer Form und weniger deutlich.

Der Erastes begeistert sich für den Eromenos sowohl ob dessen

körperlicher als auch seiner geistig-seelischen Vorzüge; nach

einer langen Prüfzeit kann der Knabe den Verehrer akzeptieren und

mit ihm ein Verhältnis eingehen, das strengen Gesetzmäßigkeiten

(18) Patzer bes. 103ss.; die Auffassung der beiden Varianten als
nebeneinander bis zu einem verschiedenen Entwicklungsstand
gekommen seiend ist einer von P.s originellen Beiträgen.

80
unterworfen ist. Während der Erastes zum Knaben "Liebe” in
dreierlei Gestalt empfindet (19), nämlich als eros (Faszination),
epithymia (sexuelle Neigung) und philia (Gefühl enger Zusammen­
gehörigkeit, wie es auch unter Verwandten üblich ist), ist dem
Knaben nur die Erwiderung der philia gestattet, ja sogar von ihm

gefordert als Voraussetzung für das Eingehen des Verhältnisses.


Schon allein das Empfinden einer gewissen sexuellen Neigung zum

Verehrer würde das Verhältnis unrechtmäßig und gesellschaftlich


intolerabel werden lassen, und die Modalitäten des (nur als rarer

Gunsterweis des Knaben stattfindenden) homosexuellen Verkehrs


sind genau vorgeschrieben und sichern dem Knaben die volle Wah­
rung seiner Würde. Nicht erlaubt ist ferner Bezahlung des Knaben
durch den Verehrer, dafür sind Geschenke bestimmter Art (die nach

Patzer, p.117, ebenso als Fruchtbarkeitssymbole zu verstehen sind


wie das o.g. Rind) vorgesehen; in erster Linie aber muß der

Erastes dafür sorgen, daß der Knabe sich zu höchstem Adel von

Körper, Geist und Gesinnung entwickelt. Die Initiation bleibt


hier also schon auf das erziehende, einführende Element be­

schränkt, wogegen der numinose Einweihungscharakter ritualer


homosexueller Handlungen einem primär von körperlichem Begehren
des Erastes getragenen, das mit der seelischen Begeisterung un­

trennbar verbunden ist, gewichen ist. Erastes und Eromenos besu­


chen gemeinsam die Symposien, also Männerrunden, bei denen Musik

(19) Die klassische Variante ist aufgrund literarischer und vor


allem kunstgewerblicher Zeugnisse sehr umfassend beschrie­
ben bei K.j. Dover: Greek Homosexuality, London 1978, wo­
raus auch Patzer reichlich schöpft. Zur Dreigestaltigkeit
der Liebe und den damit verbundenen Vorschriften s. vor
allem p.39ss.

81
und Dichtung eine wichtige Rolle spielen (20); in der späteren jon

Zeit der Entwicklung des Phänomens, etwa ab 500 v.u.Z., gewinnt ja i

das letztere Element zusehends an Bedeutung, während die

ursprünglich streng vorgegebenen Modalitäten der Beziehung aufge- k«

weicht werden und sich die hellenistische "Verfallsform" (21) s«

abzuzeichnen beginnt, in der das unterhaltende Element die tra- b«

gende Rolle spielt und die Absichten des Verehrers nicht mehr auf ui

Wohl und Würde des Knaben, sondern auf Befriedigung eigener (vor Ol

allem auch sexueller) Wünsche gerichtet sind und auf der anderen k

Seite die launenhaften, berechnenden Knaben nicht mehr Unter­

weisung und Tugendförderung, sondern schlicht Geld und Macht d


suchen. V

Fragt man nun nach Parallelen zwischen der griechischen- und c

hellenistischen Knabenliebe und dem mittelasiatischen Knaben­

spiel, so sticht natürlich sofort eine große Ähnlichkeit mit der a

"Verfallsform" ins Auge. Hier wie dort sind die Interessen beider I

Beteiligten an einem Verhältnis primär auf die Befriedigung eige- I

ner Wünsche ausgerichtet - hie Lustgewinn, da Geld. Dazu kommt <

die große Bedeutung des musischen Elements, die Wichtigkeit von ]

Tanz und Gesang bei den geselligen Veranstaltungen in der spät- l

klassisch-hellenistischen Variante ebenso wie in der modernen

mittelasiatischen. Diese Ähnlichkeit ist nun aber doch recht

oberflächlich; für einen aussagekräftigen Vergleich aber fehlen

mir konkretere Informationen insbesondere zur hellenistischen

(20 ) Patzer p .114

(21) Patzer op.cit., besonders p.38, 124; die Weiterentwicklung


des Phänomens versteht P. grundsätzlich als Verfall, offen­
sichtlich wegen des Überhandnehmens der sexuellen und der
finanziellen Komponente.

82
Knabenliebe. Im krassen Gegensatz zu der Selbstverständlichkeit,

mit der der Gemeinplatz von ebendieser Knabenliebe allgemeines

Bildungsgut ist, bietet nämlich die wissenschaftliche Literatur

kaum über ebendiese Gemeinplätze Hinausgehendes - eine Tat­

sache, die im übrigen Patzer (p.3) sogar noch für die ungleich

besser erforschte klassische Variante bedauert. - Somit kann

unser Vergleich nicht über diese Feststellung einer sehr an der

Oberfläche der Phänomene bleibenden Ähnlichkeit zwischen spät­

klassisch-hellenistischer Knabenliebe und bacabozlik hinausgehen.

Allerdings ist auch der Versuch, Parallelen zwischen den auf

den ersten Blick nicht so baöabozlik-ähnlich wirkenden früheren

Varianten und dem özbekischen Knabenspiel aufzufinden, nicht ganz

ohne Interesse.

Die Knabenliebe erweist sich zumindest in ihren Frühformen

als auf die Initiation des Knaben konzentriert. Eine direkte

Parallele können wir im Knabenspiel nicht finden: Weder wird der

Knabe - vom zuhältergebundenen Sektor abgesehen, in dem aber

gewiß nicht das Wohl des baöa als Motivation für irgendwelche

Handlungen ausschlaggebend ist - dramatisch aus seiner Kind­

heits-Umgebung entfernt, noch genießt er durch den baöaboz eine

Einführung in die Erfordernisse des Erwachsenenlebens; die sexu­

ellen Handlungen, die an ihm vorgenommen werden, sind nicht in

einem Maße ritualisiert, daß sich eine Interpretation als Relikt

eines numinosen Aktes anbieten würde; die "Rückkehr" des bada in

das Leben außerhalb des Knabenspiels ist nicht die eines zur

Reife gebrachten jungen Mannes, sondern eher ein Fallen-gelassen-

Werden. Und doch konnten wir feststellen, daß der Eintritt ins

83
baöa-Dasein, ja schon dessen Vorstufe, also das Auftreten eines 3 es
Verehrers, als ein bedeutender Schritt vorwärts im Leben empfun- tie
den wird. Es fehlen zwar die initiatorischen Akte, die den Über- sCh
gang in die neue Lebensphase erleichtern sollen, ein vages Be- Rol
wußtsein, daß ein Übergang stattfindet, ist aber vorhanden. -
Und vielleicht kann man auch die Verpflichtung des baöaboz, für nie
Schul- oder sonstige Bildung seines uka zu sorgen, als ein Sub- and
stitut für die Verpflichtung zur eigenen initiatorischen Tätig- set

keit verstehen? (2 2 ) fre


An Details, die in Knabenliebe und Knabenspiel parallel vor- dei

handen sind, mangelt es nicht, man denke nur an die lange nei
Probezeit vor Eingehen des Verhältnisses, an das zumindest teil­

weise Auffassen des Verhältnisses - in seinem Aspekt der philia mi


- als das einer Quasi-Blutsverwandtschaft (dazu Patzer p.47, De

Dover p. 43), oder etwa an die geradezu in Schönheitskult aus- ei

artende Verehrung des Knaben durch den Mann (dazu Patzer p. bl

108s.). Da diese Versatzstücke aber in ihrem jeweiligen Bezugs- sc


rahmen nicht die gleiche Funktion erfüllen, bleibt ein Vergleich Vc

problematisch. Z*

Eine Tatsache aber können wir eindeutig als bei Knabenliebe i*

und Knabenspiel gleichermaßen existent und auch in vergleichbarer Bi

Weise gewertet festhalten: In beiden Fällen laufen zwei Formen

(22) Das Moment, daß der baöa besonders auf der literarisierten m
Ebene des Knabenspiels als "Töter" erscheint, würde ich,
entgegen einer gedanklichen Anregung, die ich Prof. Dieter s
Lenzen, Berlin, verdanke, doch eher nicht in Verbindung mit
dem Faktum setzen wollen, daß der Knabe in der "dorischen" a
Variante durch die Initiation u.a. zum Töten (vorerst des
geschenkten Rindes, später von Menschen) befähigt werden _
soll und dadurch zum Erwachsenen wird.
I

84
des Phänomens nebeneinander ab - eine gesellschaftlich akzep­

tierte, durch mehr oder minder streng beachtete Regeln einge­

schränkte Form, in der das sexuelle Element eine relativ kleine

Rolle spielt, ja sexueller Verkehr als rarer Gunsterweis des

Knaben gilt, und daneben eine Para-Form, in der diese Regeln

nicht beachtet werden müssen und die Beziehung der Partner zuein­

ander weitgehend auf eine sexuell-finanzielle Transaktion be­

schränkt bleibt: bei den Griechen der Sektor des Umgangs von

freien Erwachsenen mit unfreien bzw. fremden, sich prostituieren­

den Knaben (23), bei den Özbeken der Sektor der zuhältergebunde­

nen ba£a-Prostitution.

So ähnlich die griechisch-hellenistische Knabenliebe und das

mittelasiatische Knabenspiel unseres Jahrhunderts einander in

Details und sogar in wesentlichen Grundtatsachen sein mögen -

ein Faktum bleibt bestehen, das den ganzen Vergleich fraglich

bleiben läßt: die zeitliche Lücke von zwei Jahrtausenden zwi­

schen der Blüte der hellenistischen Kultur in Mittelasien und der

Volkskultur des rezenten Afghanistan. Ehe diese Lücke nicht durch

Zwischenglieder geschlossen oder zumindest wesentlich verkleinert

ist, wird man zögern, die beiden Phänomene in allzu enger

Beziehung sehen zu wollen.

Ein zweiter Kulturbereich, der ein Phänomen vergleichbar dem

mittelasiatischen Knabenspiel kennt und der im Laufe der Ge­

schichte mit Mittelasien in hinlänglich intensivem Kontakt stand,

als daß ein Vergleich der Phänomene hier und dort überhaupt sinn-

(23) s. Patzer p. 60

85
voll scheint, ist China. (24) Nun ist die chinesische Variante

der Knabenliebe bedauerlicherweise wissenschaftlich praktisch

nicht erforscht; sogar Spezialstudien, die auf der Basis litera­

rischer und illustrativer Quellen das Sexualleben in China quer

durch alle Epochen eingehend beschreiben, erwähnen Knabenliebe so

gut wie nicht. (25) Mir selbst war der Zugang zu solchen Quellen

im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. So werde ich nur eine

einzige, zugegebenermaßen etwas obskure, aber doch vielsagende

Quelle zu einem Vergleich auf der synchronen Ebene heranziehen:

den anekdotischen Bericht eines vormaligen Angehörigen der fran­

zösischen Gesandtschaft in Peking, welcher ein "Sittenbild" des

Peking (und, ohne dabei präziser zu sein, des "China") der

dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts zeichnet. (26) In diesem

Buch wird die Knabenliebe zwar ohne besondere Details und ohne

den Versuch, das Phänomen anders als aus der Sicht des außen­

stehenden Zufallsbeobachters zu erfassen, erwähnt, doch zeigt

sich schon auf Grund der wenigen Informationen, die gegeben

werden, zumindest auf einer oberflächlichen phänomenologischen

Ebene eine überraschende Parallelität zum Knabenspiel Mittel­

asiens .

(24) Zur Knabenliebe in China verdanke ich Herrn Dr. Hartmut


Walravens, Berlin, wertvolle Literatur- u. a. Hinweise.

(25) So etwa erwähnt Robert H. van Gulik: Sexual Life in Ancient


China, Leiden 1961, das Vorkommen von Knabenliebe für nur
einen einzigen Fall im Laufe der Jahrtausende; offenbar
folgt auch er dem bekannten europäischen Vorurteil, da er
nicht müde wird zu unterstreichen, die Chinesen hätten ein
"gesundes", Perversionen ablehnendes Sexualleben gehabt.

(26) J.-J. Matignon: La Chine herm6tique. Superstitions, crime


et mis^re. Paris 1936; pp. 263-281 : "Deux mots sur la P ä d ­
erastie".

86
Matignon beschreibt das Phänomen als grundsätzlich profan-

prostitutiv, reduzierbar auf eine finanziell-sexuelle Trans­

aktion. Immer unter Beibehaltung dieser Voraussetzung, läßt sich

eine Unterteilung des Bereichs Knabenliebe in zwei Sektoren aus­


machen .

Der trivial-prostitutive Sektor ist der bei weitem größere

davon; die in ihm arbeitenden Knaben sind zum Teil Waisen oder

geraubt, zum Teil aufgelesene Bettler oder Gelegenheitsarbeiter.

Sie sind in Knaben-Bordellen gesammelt und unterstehen Zuhältern,

die ihnen weder gesundheitliche Fürsorge noch irgendeine Form von


Bildung angedeihen lassen.

Im Sektor der gehobenen Knabenprostitution dagegen finden

sich vor allem Knaben, die ihren Eltern schon in früher Kindheit

abgekauft wurden und die eine regelrechte Ausbildung zum Lust­

knaben erfahren haben; diese Ausbildung dient sowohl der körper­

lichen Vorbereitung auf die Erfordernisse des analen Verkehrs als

auch insbesondere dem Erwerb eines gefälligen Maßes an schön­

geistiger Bildung, vor allem literarischer und kalligraphischer

Ausrichtung. Diese Knaben wohnen einzeln und offenbar von ihrem

Zuhälter weitgehend unbehelligt. Sie werden zu Männergesellschaf­

ten in Restaurants eingeladen, wo sie für erbauliches Gespräch

und für Musik sorgen; dabei kommt es - wofür ein Aufseher sorgt

- höchstens zum Austausch kleiner Zärtlichkeiten. Will ein Ver­

ehrer mit einem der so genannten "jungen Herren" engeren Kontakt

aufnehmen, so beginnt eine lange Zeit des Hofierens, während

derer der Verehrer dem Knaben teure Geschenke, aber auch Gaben

anderer Art, etwa Gedichte, darbringen muß - um möglicherweise

87
sein Ziel doch nicht zu erreichen. Die "Oberschicht" der Knaben

ist kapriziös und kann die Verehrer wählen; so mancher Knabe

verläßt seine Wohnung auch gar nicht, sondern empfängt bloß

Besucher. Ein Teil der Knaben aus dieser Gruppe hat über längere

Zeit ein festes Verhältnis mit einem Verehrer, der ihm Wohnung

und Verpflegung stellt und ihn schließlich verheiraten sollte.

Die Knaben der erstgenannten Gruppe steigen bereits mit etwa

zehn, die der zweiten erst mit etwa vierzehn Jahren in ihr Ge­

schäft ein. Zirka mit zwanzig Jahren sind die Jünglinge nicht

mehr attraktiv genug; sie können entweder, mit viel geringerem

Einkommen, Erwachsenen-Homosexuellenprostitution weiterbetreiben

oder in einen anderen Beruf überwechseln, vielfach in den des

Schauspielers.

Die Parallelen zwischen dieser chinesischen Ausformung der

Knabenliebe und dem mittelasiatischen Knabenspiel sind in der Tat

augenfällig. In beiden Fällen ist das Phänomen außerordentlich

weit in allen Bevölkerungsschichten verbreitet (s. Matignon 263),

wird von der Gesellschaft weitestgehend akzeptiert, unterliegt

aber einem gewissen Sprachtabu (id. 267). Während der "niedrige"

Sektor auf billigen sexuellen Service ausgerichtet ist, ist der

Umgang im "gehobenen" Sektor vorwiegend ein teures, kultiviertes

Vergnügen, eine Form der Unterhaltung (ibid.). In jedem Falle

ist das finanzielle Element unabdingbarer Bestandteil.

Während rein qualitativ die Zweiteilung des Phänomens den

beiden Kulturbereichen gemeinsam ist, vermerkt man einen wesent­

lichen Unterschied in der quantitativen Verteilung: In China

stellt die "gehobene" Knabenliebe nur einen verschwindend kleinen

Teilbereich dar (id. 274), während bei den Özbeken der vergleich­

88
bare Sektor ungleich größer ist als der zuhältergebundene. (Dar­

über hinaus ist im "gehobenen" Sektor in China der Knabe offenbar

zumindest zu Anfang seiner Karriere von einem professionellen

Zuhälter od.ä. abhängig, was bei den Özbeken in diesem Fall

ausgeschlossen bleibt, da die Knaben ja unter der Aufsicht des

eigenen Vaters stehen.)

Ein zweiter bemerkenswerter Unterschied zeigt sich in der

Frage, wann und wie lange ein Knabe in seinem Geschäft tätig sein

kann. In China beginnt die "Hochblüte" des Knaben etwas später

als bei den Özbeken - Matignon nennt allerdings keinen anderen

Anhaltspunkt als das Lebensjahr; möglicherweise setzt die Puber­

tät bei diesen Knaben eben später ein als bei den özbekischen -

und endet später. Ein Fortführen des Verehrer-Knabe-Verhältnisses

weit über die Pubertät hinaus, wie es in China möglich ist

(Matignon p. 279), wäre für den mittelasiatischen Bereich undenk­

bar; auch ein Weiterleben als erwachsener Homosexuell-Prostitu-

ierter kommt für den özbekischen baöa nicht in Frage.

Wenngleich die moderne chinesische Ausformung der Knabenliebe

nichts zur möglichen Herkunft des mittelasiatischen Knabenspiels

erklärt, da ihre eigene Herkunft nicht hinreichend erforscht ist,

lohnt der Vergleich der beiden Phänomene also doch. Hinzuzusetzen

bleibt, daß im Verbindungsglied zwischen Mittelasien und China,

in Ost-Turkestan, eine Form von baöabozlik ebenfalls existiert

(hat), sodaß die geographische Lücke zwischen Nordafghanistan und

Peking zumindest ein wertig verkleinert wird.

Ein drittes Phänomen schließlich, mit dem badabozlik ver-


glichen werden muß, ist das der bedeutenden Rolle des Knaben in '

der islamischen Mystik. Dieser Vergleich stellt sich praktisch

als Forderung von selbst - nicht nur, weil eine der Selbst­

bezeichnungen des badaboz qalandar, "Derwisch aus dem Qalandar-

Orden" (der für seinen besonders innigen Bezug zu Wein, Spiel und

Knaben bekannt ist), lautet und auch so manche andere Termini aus

der o.g. Sondersprache des Knabenspiels solchen aus dem Bereich

der Mystik entsprechen, sondern schon um der Ähnlichkeit des

Terminus baöabozlik-baöabozi selbst mit einem Terminus, der das

Treiben einiger Mystiker benennt (27), nämlich gohidbozi, willen.

(Sohid ist in der Terminologie der Mystik eine der möglichen Be­

zeichnungen für den Knaben.)

Schon an früherer Stelle habe ich angedeutet, welche Art von

Vergleich ich für diesen Fall für den einzig sinnvollen halte.

Bezüglich der Rolle des Knaben in der Mystik ist bis jetzt nicht

der Versuch unternommen worden, sich der Tatsachenebene der Frage

anzunähern? welche möglichen Arten von Beziehungen zwischen dem

Mystiker und dem Knaben realisiert sind, hat die Forschung bisher

ebenso wenig interessiert wie die Frage, wie sich etwa diese

Beziehung aus der Sicht des Knaben darstellt. Nun, für eine

derartige Fragestellung verfügen wir wahrscheinlich auch kaum

über geeignete Informationsquellen. Die Quellen, auf die sich die

Interpretation des Verhältnisses von Mystiker und Knabe stützt,

sind entweder Äußerungen von Mystikern selbst (Lyrik und mysti­

sches Epos) oder Äußerungen ihrer Gegner. Keine dieser beiden

(27) Zum "Schauen nach Jünglingen" vgl. Hellmut Ritter: Das Meer
der Seele, Leiden (2. Aufl.) 1978, p. 459ss., zu sohid und
sohidbozi besonders p. 470ss.

90
Arten von Quellen nimmt Bezug auf die Realität des Verhältnisses

von Sufi und Knabe, sondern die Gegner äußern sich in Form von
Abhandlungen und geben so ihre Einstellung zu den von ihnen

erschlossenen Einstellungen der betroffenen Mystiker kund, die

Mystiker selbst äußern sich in literarisierter Form. - Ein

Vergleich kann nur zwischen Vergleichbarem gezogen werden; die

Tatsachenebene von baffabozlik ist zum Vergleich in diesem Falle

also nicht geeignet. Am sinnvollsten wird es wohl sein, sich auf

die Ebene der Reflexion-Refraktion 2u stützen, konkret auf die­

jenigen Volkslieder, die die Realität des Knabenspiels nicht

beschreiben oder wiedergeben, sondern dem Spiel eine "andere Form

von Realität" zu verleihen geeignet sind, also auf die mullosozi.

Anstatt nun aus der mir ganz unüberschaubaren Fülle mysti­

scher Lyrik zufällige Stellen herauszugreifen, mit denen sich


Details aus özbekischen mullosozi vergleichen ließen, beschränke

ich mich auf den Vergleich zweier grundlegender Aspekte; Welches

Bild des Liebenden, und welches Bild des Geliebten, ergibt sich

aus den jeweiligen literarisierten Stellungnahmen von Mystikern

und badaboz? - Bezüglich der Mystik stütze ich mich dabei auf

einige der von H. Ritter in seinem Werk Das Meer der Seele nie­

dergelegten Extrapolationen, die er zu einem Kapitel "Die irdi­

sche Liebe als freier Affekt" zusammenfaßt; dabei folge ich der

Prämisse, daß der "irdische" Geliebte, der Knabe also, bloß die

Funktion eines Sohid, also eines Repräsentanten, des eigentlichen


Geliebten, eben Gottes, erfüllt. (28)

Die erste Pflicht des wahren Liebenden der Mystik ist Ehr-

(28) Das genannte Kapitel findet sich pp. cit. p. 369ss.

91
lichkeit und Treue (Ritter p. 376). Diese Forderung stellt sich
auch im mullosozi in Passagen wie
ülganim jax3i emas mi jori düsdan ajrilib
"Wäre es nicht besser für mich zu sterben, (als) von
meinem Liebchen getrennt (zu sein)?!"

In weit intensiverem Drängen aber, und in ungleich mehr


Strophen, fordert das Volkslied die unbedingte Treue vom Gelieb­

ten - womit es die Verhältnisse ins Gegenteil verkehrt:


guldi gul dir mi kiäi gulda tikoni bülmasa

jordi jor dir mi kiäi jorda wüposi bülmasa

"Würde man eine Rose fRose' nennen, wenn an ihr keine


Dornen wären?
Würde man das Liebchen 'Liebchen' nennen, wenn an ihm
keine Treue wäre?"
Der Liebende darf die Abwesenheit des Geliebten nicht er­

tragen können (Ritter p.376). Der badaboz erweist sich als dieser

Forderung entsprechend:
dilbärimni soginib sar^ajganimdi kim bilär

hasrati armon minan $on berganimdi kim bilär

"Wer weiß, wie ich dahinwelkte, da ich mein Liebchen ver­


mißte !
Wer weiß, wie ich mein Leben in Sehnsucht und Nicht-Er­
füllung dahingab!"

Aber auch die Anwesenheit des Geliebten bringt für den Lie­

benden nur Qual (Ritter p. 419) - ebenso wie für den baCaboz:

kürmagandi mana kürdim devona büldim beqaror

"Jet2 t habe ich den gesehen, den ich nie gesehen hatte -
ich bin verrückt und rastlos geworden."
Der Liebende kann nicht schlafen (Ritter p. 377); dasselbe
gilt für den baöaboz:

bir kelaj duw wada berdi äüxu barno kelmadi

92
termiluw jülija jottim küzga ujxu kelmadi

"Er hatte versprochen 'einmal komme ich' - aber der


kleine Schlingel ist nicht gekommen;
ich spähte nach ihm aus, und die Augen fanden keinen
C/-.K1
Schlaf... »■

Der Liebende hat das Geheimnis des Geliebten zu hüten, er

darf ihn nicht bloßstellen (Ritter p. 383); im mullosozi wird

diese Pflicht des Liebenden zu einer des Geliebten verkehrt:

men sana oäij bülimman qilmagin sirimdi po§

"Ich habe mich in dich verliebt - gib mein Geheimnis


nicht preis!"

Der Liebende fügt sich in den Willen des Geliebten, sogar

wenn es seinen Tod bedeutet (Ritter p. 389); gleiches verspricht

der baöaboz:

küzlarirjdi bir kürib ülsam am rizoji allo

"Und w enn ich sterbe, wenn ich deine Augen einmal gesehen
habe - (bin ich) einverstanden (mit der Fügung) Got-

Dieses letzte Beispiel führt schon zu einer der Eigenschaften

des Liebchens weiter - nämlich, daß es den Tod des Liebenden

bewirken oder gar selber herbeiführen kann (Ritter p. 392ss.).

Gerade für diese Eigenschaft des ba&a bietet das mullosozi Belege

in Fülle; hier sei nur zurückverwiesen auf die Beispiele 35 bis

37 (v.s. p.54).

Der Geliebte nun bringt auch Leid über den Liebenden, indem

er sich ihm versagt (Ritter p. 389); das tut der baöa in gleicher

Weise:

hasrati armon minan bajjla qülimdi qil minan

sen neöük äozodasan aqlimdi oldiq dar minan

"Durch Sehnsucht und Nichterfüllung binde meine Hände mit


einem (bloßen) Haar!
Was bist du für ein Königssohn - du hast mir den Ver-

93

r
stand geraubt durch das Leid (das du mir zufügst)!

Der Vergleich ließe sich durch eine beliebige Anzahl weiterer

Beispiele vertiefen. Im wesentlichen aber ergibt sich immer das

gleiche Bild: Das mullosozi zeichnet Verehrer und Knaben in

vielen Einzelheiten ähnlich wie die Mystik Liebenden und Gelieb­

ten. Ein wesentlicher Unterschied aber bleibt bestehen -

während der Liebende der Mystik sich seiner selbst ganz ent-

äußert, also vom Subjekt des Wollens in bezug auf den Geliebten

zum Objekt von dessen Willen entwird (Ritter p. 385), bleibt der

baöaboz stets Subjekt. Seine Hingabe an den baCa erreicht nicht

den Grad der Selbstlosigkeit, der in der Mystik gefordert wird,

sondern behält stets die Kehrseite des Selbstmitleids, der Ge-

kränktheit, des düster-feurigen Schmollens über die vermeintliche

Ungerechtigkeit des Geliebten. Dazu kommt in einigen, oben ange­

sprochenen, Fällen gar eine genaue Umkehrung der Verhältnisse:

Plötzlich fordert der Verehrer, statt einen Anspruch einzulösen,

den der Geliebte eigentlich an ihn stellen dürfte.

Wie will man nun das Verhältnis des Knabenspiels zur Bezie­

hung Liebender - (irdischer) Geliebter in der Mystik sehen?

Handelt es sich bei baöabozlik um eine "abgesunkene", vergröberte

und zum Teil schlicht verfälschte Form eben dieses Phänomens?

Oder ergänzt das Knabenspiel die unabhängig vorhandene Form eines

Liebesverhältnisses sehr irdischer Ausprägung mit schmückenden,

Überhöhung schaffenden Versatzstücken, die es dem mystischen

Bereich entnimmt und (in entsprechend teilweise mißverstandener

Form) dem eigenen Phänomen "aufsetzt"? Und noch mehr: Greift das

Knabenspiel zu Zwecken einer solchen Bereicherung am anderen

94
Gegenstand möglicherweise auf eine Stufe zurück, die vielleicht

ihrerseits schon ein "gesunkener" Ableger der Mystik ist, nämlich

auf die nicht-mehr-mystische klassische und nachklassische

Profanlyrik? - Alle diese Fragen muß ich wohl offen lassen.

Sie werden auch offen bleiben, so lange man kein Faktenwissen zu

den "profanen" Seiten des mystischen Phänomens hat. Das Phänomen

baöabozlik bietet einfach zu viele wesentliche Facetten, zu denen

auf unserem Stand des Wissens im mystischen Phänomen keine

Parallelen bzw. Nicht-Parrallelen ausgemacht werden können.

Ein letzter Gedanke, der in diesem Zusammenhang angesprochen

werden muß, ist der, wie sich auf der synchronen Ebene das in

Afghanistan ja noch recht lebendige Sufi-Tum und das Knabenspiel

zueinander verhalten.

Nun, bei den Özbeken Afghanistans ist der Orden der NaqSbandi

der zahlenmäßig stärkste und der einflußreichste. Ich habe nie

Gelegenheit gehabt, an einem Zikr der Naqäbandi-Derwische teil­

nehmen zu können und kann hier nur Gehörtes weitergeben: Während

viele Männer, die sich dem Orden zuzählen und auch regelmäßig den

Zikr besuchen, individuell auch baCaboz sind, besteht grundsätz­

lich kein Zusammenhang zwischen Zikr und m a i l i s : dieser wäre ja

auch schon von den Prinzipien des Ordens her kaum zu erwarten.

Zum Verhältnis der Orden der Qodirij- und der Qalandarij-

Derwische zu baöabozlik habe ich leider keinerlei Informationen.

Die Qodirija ist in Nordafghanistan ohnedies nur wenig verbreitet

und gesellschaftlich nicht einflußreich. Qalandar dagegen gibt es

in den betreffenden Provinzen doch nicht wenige; sie unterhalten

auch in einigen Städten Versammlungs- bzw. Absteigehäuser, die

qalandarxona, welche unter orthodoxen Muslimen als Zentren

95
orgiastischen mystischen Treibens verrufen sind. Das Verhältnis

ebendieser Qalandar zum Knabenspiel müßte untersucht werden,

könnte es doch möglicherweise Licht auf einen allfälligen Bezug

zwischen der Knabenverehrung von Mystikern und dem Phänomen

badabozlik werfen.

96
ANHANG

DAS ENTWERDEN EINES PHÄNOMENS:

BAÖABOZLIK IN LITERATUR UND PUBLIZISTIK ÖZBEKISTANS

Nicht nur die Özbeken Nordafghanistans sind Liebhaber des

Knabenspiels. So wie man dieselbe Liebhaberei bei anderen Ethnien

Afghanistans antrifft, so kann man sie auch bei den Özbeken (und

anderen Ethnien) nördlich des Amu Darja finden, im Bereich der

heutigen Sowjetrepublik Özbekistan und anderen Teilen des einsti­

gen Generalgouvernements Turkestan. - Oder besser gesagt, konnte

man das Knabenspiel in dieser Region antreffen; die publizisti­

schen und literarischen Zeugnisse für die Existenz von badabozlik

erstrecken sich über mehr als ein halbes Jahrhundert, nämlich von

den Jahren der zaristischen Machtübernahme in Turkestan bis zum

Anfang der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts. Seither schwei­

gen die Quellen, und eine Nachfrage im TaSkent des Jahres 1986

hat mir von seiten älterer Personen allenfalls ein verschmitztes

Lächeln, von seiten jüngerer verständnisloses Kopfschütteln ein­

gebracht. Das Phänomen scheint es nicht mehr zu geben. Einige

Stationen der "Entwerdung" wollen wir anhand publizistischer und

literarischer Stellungnahmen nachvollziehen und auf diese Weise

verfolgen, wie die Kombination eines allochthonen Vorurteils mit

einer ideologischen Maxime, zur gesellschaftspolitischen Strate­

gie gepaart, in relativ kurzer Zeit einen Sektor der Volkskultur

völlig, ausschalten kann.

Die russische Eroberung und Eingliederung Mittelasiens ins

zaristische Imperium brachte mit sich, daß sich das Interesse der

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Europäer nun nicht mehr ausschließlich auf die wirtschaftlichen

Möglichkeiten richten konnte, die dieser Raum bot, sondern daß

sich die Europäer mit Gesellschaft und Kultur der Einheimischen

auseinandersetzen mußten, schon um eine einigermaßen effiziente

Verwaltung gewährleisten zu können. In diesem Rahmen rückt auch

das Phänomen baCabozlik ins Blickfeld derer, die von Amtes wegen

oder auch aus privatem Interesse quasi-ethnographische Tätigkeit

entfalten. Die Resultate ihrer Nachforschungen finden Nieder­

schlag vor allem in publizistischen Beiträgen. Die Bandbreite

dieser Beiträge reicht von der Kurznotiz über Anekdotisches bis

zum mehrseitigen, gut recherchierten Aufsatz in Zeitungen und

Zeitschriften in Turkestan und außerhalb. In manchen Artikeln

überwiegt ein gewisser Exotismus, der sich einer direkten Wertung

enthält; die meisten Beiträge aber sind getragen von der charak­

teristisch europäischen Voreingenommenheit gegen jedes Phänomen,

das homosexuelle Betätigung einschließt. (29)

So etwa lautet eine Korrespondentennotiz aus dem Jahre 1882

(30), die in Petersburg erschien, folgendermaßen:

"Das Fehlen von Frauen unter den Männern hat eine andere empören­
de Erscheinung hervorgerufen, baöabazestvo, die Entartung der
naturgegebenen Beziehungen. Das unverhohlene baöabazestvo nennen
die Eingeborenen 'einem baöa (Knabe, welcher singt und tanzt) den
Hof machen', aber es bedarf keines besonderen Scharfsinns, die
ganze Ekelhaftigkeit dieses Phänomens zu verstehen... Reiche
Einheimische halten sich den baöa auf eigene Rechnung, arme
gemeinsam mit Kumpanen, den däuras, und bei dieser Angelegenheit
kommt es sogar zu Morden."

(29) dazu s. Bleibtreu-Ehrenberg, op. cit.

(30) Aus der Zeitung VostoCnye Obozrenija (Sankt Peterburg) 1882


no. 36 p . 5. Für die Beschaffung dieser und einiger anderer
früher publizistischer Beiträge danke ich Herrn Dr. V.
Basilov, Moskau, sehr herzlich.

98
Dem kann man eine wertungsneutrale anekdotische Notiz aus dem

Jahre 1B74 (11) entgegenstellen, die eine baEaboz-Party in

einem bedeutenden Wallfahrtsort unweit von TaSkent schildert. Der

Verfasser geht vor allem auf die Interaktion zwischen dem baEa,

den er als wesentlich prächtiger gekleidet beschreibt, als die

afghano-özbekischen Knaben sind, und der Schar der Verehrer ein.

Der Knabe kredenzt den baEaboz die Wasserpfeife und Tee; beson­

ders das Darreichen des Tees empfinden die baEaboz als erotisie­

renden Gunsterweis. Der baEa spielt insofern mit den Gefühlen der

Verehrer, als er einem baEaboz die bereits dargereichte Tasse Tee

wieder entzieht und den Verehrer, der schon erfreut danach grei­

fen wollte, vor der Schar der Konkurrenten blamiert; der Ge-

demütigte nimmt diese Behandlung hin und wartet auf einen späte­

ren Gunsterweis. Auch während des Tanzes, bei dem der baEa die

Stimmung durch Hinhalten der Verehrer und anschließende allmähli­

che Steigerung des Tempos und der Intensität des Kreisens ge­

schickt auf den Höhepunkt zusteuert, versucht ein baEaboz„ sich

den baEa geneigt zu machen: Er bietet ihm ein Schweißtuch zur

Erfrischung und eine Tasse Tee an. Der Knabe nimmt zwar an, zeigt

aber keinerlei Emotion. - Dieses Verhalten des baEa, also ein

bewußtes Hinhalten, Frustrieren, ja Quälen der Verehrer, kommt

doch dem Bild des grausamen Liebchens, das die afghano-özbeki­

schen baEaboz in ihren mullosozi-Strophen entwerfen, recht nahe,

wenn auch auf einer trivialeren Ebene der konkreten Ausführung

als sie im Lied beschrieben wird. - In einer abschließenden

Beurteilung und Bewertung des beschriebenen baEa wird dieser als

(31) P. M . : Bazem v Zangi-ata. in: Birzevie vedomosti 1874,


n o . 268.

99
ein "Samarkander baöa" erkannt; auch aus anderen, späteren Zei­

tungsnotizen läßt sich entnehmen, daß die Knaben aus Samarkand

für ihr besonderes Können berühmt waren. In der Tat habe ich an

afghano-özbekischen Knaben kein mit dem hier beschriebenen ver­

gleichbares Geschick im Tanzen feststellen können, und besonders

in der Taktik der Behandlung der baöaboz ist der beschriebene

Samarkander Knabe ungleich raffinierter als diejenigen, die ich

beobachten konnte.

Während dieser letztgenannte journalistische Beitrag vor

allem wegen der Genauigkeit, mit der das gesamte Geschehen wäh­

rend einer Party beschrieben wird, für die Erforschung des

Phänomens an sich wertvoll ist, kann uns der im folgenden zu

besprechende in ganz anderer Hinsicht lehrreich sein: Er gehört

zu denjenigen um Faktenermittlung bemühten Schriften, die letzten

Endes in Urteilsvermittlung münden; dieses Genre muß wohl eine

wirksame Waffe im sich ankündigenden Kampf gegen das Knabenspiel

gewesen sein.

Schon der Titel der Schrift deutet die Richtung an, in die

der Beitrag wirksam werden will: "Prostitution in Mittelasien"

(32). Unwillkürlich stellt sich der Gedanke an moralisch ver­

werfliches und für die Gesellschaft schädliches Geschehen ein;

daran ändert auch die Tatsache nichts, daß das vorgelegte Mate­

rial eindeutig ergibt, wie unbedeutend der (im engeren Sinn) pro-

stitutive Sektor im Zusammenhang des Gesamtphänomens wirklich

ist.

Der Autor gibt denn auch unumwunden zu, warum er die Auf-

(32) B. D.: Prostitucija v Srednej Azii. in: Turkestanskie


Vedomosti, 12. Feb. 1874, no. 7.
Klärung über das Phänomen für notwendig hält: Das Laster "beein­

flußt die Sittlichkeit des Knaben selbst tief", entzieht der Ge­

sellschaft ein potentiell nützliches Glied und führt zu einer

weiteren Steigerung der ohnedies hohen Verbrechensrate. Als Beleg

zieht er die Kriminalstatistik (1869-1871) des Uezd Xü§ent heran,

die insgesamt 10 Morde und 14 Fälle von Raub im Zusammenhang mit

baCabo2 lik (bei einer Gesamtzahl von 123 Verbrechen) ausweist.

Über das Geschehen im Milieu Detailinformationen zu geben,

halt der Autor für nicht nötig; .darüber sei schon reichlich

geschrieben worden. Was er für seine Aufgabe hält, ist, einen

Vorschlag zu unterbreiten, wie die "männliche Prostitution" zu­

rückgedrängt werden könne.

Ein Bewältigen dieser Frage aus der einheimischen Bevölkerung

heraus hält er für unmöglich; der Einfluß von Koran und Scheriat

sei jeder Entwicklung hinderlich. Der Anstoß zu einer Veränderung

kann nur von der Kolonialmacht ausgehen, und ansetzen muß er bei

der Befreiung der "sartischen" Frau. Diese sei (wie er daraus

schließt, daß "Sartinnen auf zugewanderte Tataren Jagd machen"

und "sich bereitwillig Russen als Geliebte anbieten") mit ihrer

Lage ohnedies unzufrieden und suche einen Ausweg aus ihrer Lage.

Diese Verquickung mehrerer Einzeltatsachen müssen wir im Auge

behalten; sie wird uns in späteren Jahrzehnten in der Literatur

immer wieder begegnen, direkt übernommen etwa von den offiziösen

Feuilletonisten der späten 20er Jahre: battabozlik steht in direk­

tem Zusammenhang mit de?m praktizierten Islam und der Geistlich­

keit einerseits und der ungelösten Frauenfrage andererseits, und

im Gesamtzusammenhang dieser Einzelbereiche wird eine größere

101
Verbrechenshäufigkeit axiomatisch angenommen. Das staatspoliti- -

sehe Interesse an der Abschaffung der Scheriatsgerichtsbarkeit

(das der Autor wiederholt unterstreicht) und der Zurückdrängung

des Einflusses der islamischen Geistlichkeit insgesamt erfährt

durch die moralisierende Zurückweisung der "männlichen Prostitu­

tion" eine willkommene Unterstützung.

Nicht nur die russische Presse, sondern auch und besonders

die einheimische §adidistische, greift das Phänomen baöabozlik

seit Anfang ihres Bestehens wiederholt auf. Der Tenor bleibt der

gleiche negative; mehr noch, der moralisierende Ansatz der Kritik

scheint direkt am russischen Vorbild geschult zu sein. Die Argu­

mentation allerdings, und das Ziel, das erreicht werden soll,

sind naturgemäß völlig anders.

Als beispielhaft für das §adidistische Engagement kann die

Zeitschrift Qi na ("Spiegel", ab 1913) des Xü^a Behbudi gelten, in

der alle wesentlichen mittelasiatisch-öradidistischen Strömungen,

angefangen von der Erforschung der eigenen Tradition über das

Aufgreifen von Problemen der Sprache und Literatur bis hin zur

versuchten Reform des Erziehungswesens und letztlich Reform der

mittelasiatischen Ausformung des Islam, zusammenfließen. Im

Mittelpunkt des Interesses steht das Knabenspiel nicht; viele

Beiträge allerdings greifen es im Zusammenhang mit anderen Pro­


blemen auf.

Besonders drei Arten von Beiträgen befassen sich auch mit dem

Knabenspiel: Artikel zum Gesundheitswesen (baöabozlik wird neben

dem Umgang mit zugewanderten russischen Prostituierten und der

Unsitte des gemeinschaftlichen Wasserpfeifenrauchens als eine

102
Ursache für das Überhandnehmen der Syphilis in Mittelasien ver­

antwortlich gemacht), Artikel zu Fragen der Wechselbeziehung von

Gesellschaftsform und wirtschaftlicher Rückständigkeit (die Ver­

geudung von Kapital wird besonders an den Beispielen Hochzeit und

baiabozlik augenfällig gemacht) und Artikel zum Ansehen der

Geistlichkeit und insgesamt des Islam Mittelasiens in der islami­

schen Welt (baöabozlik sei einer der Hauptgründe für die Ver­

ächtlichkeit, mit der etwa die muslimische Presse in Kazan oder

Istanbul die mittelasiatischen Glaubensgenossen bedenke). Das

moralisierende Element klingt besonders in den Beiträgen an, die

auf die traditionelle Geistlichkeit gemünzt sind; in diesem Punkt

treffen sich also die allochthone und die autochthone Kritik -

was, wie noch zu zeigen sein wird, zu einer Stereotypisierung

führt, die bis zum Verstummen der özbekischen Literatur hinsicht­

lich baöabozlik beibehalten wird.

Durch seine Herausgebertätigkeit sammelte Xü§a Behbudi nicht

nur Publizisten, sondern auch viele der (jadidistisch inspirierten

Literaten um sich. Zu seinem Kreis gehört auch Nusratullo Millij

ibni Qudratullo, dessen gesellschaftskritisches Theaterstück TGi

("Die Hochzeit") 1914 in Taäkent uraufgeführt wurde. Das litera­

risch anspruchslose und eigentlich für die Bühne recht ungeeig­

nete Stück erweist sich als interessant einerseits in seiner

Eigenschaft als Dokument für die Gepflogenheiten der Zeit - die

Hochzeit wird in allen Details auf die Bühne gebracht - und

andererseits durch die Umsetzung des wirtschafts-zentrierten

ijadidistischen Arguments gegen verschiedene Formen des zeitgenös­

sischen Gesellschaftslebens - der letzte Akt beschreibt den

wirtschaftlichen und den daran anschließenden gesellschaftlichen

103
Ruin des Hochzeitsveranstalters und stützt so die heftige Kritik

an der Verschwendungs- und Prestigesucht des Bürgertums (33).

Was aus dem Theaterstück selbst nicht explizit hervorgeht,

entnehmen wir einer Theaterkritik in Qi na (34): Daß anläßlich

einer Hochzeit auch noch die baCaboz auf ihre Rechnung kommen

müssen - im dritten Akt des Stücks treten u.a. bada auf - ,

gehöre zu den besonders "gräßlichen" und "verwerflichen" Un­

sitten, die sich in "unserem Turkestan" eingebürgert hätten.

Was in diversen Artikeln in Ojna ausgesprochen wird, formu­

liert 1915 Abdullo Qodirij zu einem "Roman", zu der 13-Seiten-

Erzählung 6uvonboz ("Der Knabenspieler") (35): Ein verwöhnter

junger Mann gibt sich mit einem baöa ab, verschafft sich durch

das Verschleudern von Unsummen Prestige im Milieu, bringt

schließlich das Vermögen seines Vaters durch und landet nach

einigen Morden an Nebenbuhlern in Sibirien. In einem kurzen

Epilog faßt der Erzähler zusammen, was das Knabenspiel zu einem

so verwerflichen Phänomen mache - es sei wirtschaftlich besehen

gröbster Unfug, es mache "Muslime" (d.i. zu dieser Zeit ein

Synonym für "Einheimische") zu Feinden anderer Muslime, es stei­

gere die Verbrechensrate, mache die mittelasiatischen Muslime in

der Gemeinschaft der islamischen Welt lächerlich und verächtlich

und beraube schließlich die baöaboz der Seligkeit im Jenseits

(33) Ein Beitrag in 01 na 16.1914 nennt Kosten von 200 tanga,


also Goldrubel, für den Auftritt eines guten baöa bei
einem Fest.

(34) in no. 12.1914

(35) Abdullo Qodirij: öuvonboz. Rflmon. Taäkent (Tipogr. pri Tur.


Gen. Gub.) 1915.

104
(op. cit. p. 13), - Wieder spielt also das wirtschaftliche und
ein vage-pani$lamistisch inspiriertes Argument die Hauptrolle
gegenüber dem (zweifellos auch gegebenen) moralisierenden. (Den
Angriff auf die traditionelle Geistlichkeit bringt A. Qodirij in
die Erzählung nur andeutungsweise ein; dafür setzt er (p. 14) ein
Gedicht Ahvolimiz ("Die Zustände bei uns") nach, in dem wieder
dem Stereotyp entsprechend der qadimistische Geistliche der baCa-
boz par excellence ist.)

Nach der Oktoberrevolution wird es in der vorläufig weiterhin

§adidistisch dominierten Presse leiser um das Knabenspiel? vor

allem rückt der aufklärend-belehrende Ton (36) zusehends in den


Hintergrund gegenüber dem satirischen. Dementsprechend finden

sich jetzt Beiträge zum Thema ba£abozlik vorwiegend in den


humoristisch-satirischen Blättern MaSrab und MuStum. Die Karika­

tur sieht ba&abozlik im Gesamtzusammenhang der in Turkestan ver­

breiteten Laster (37), ohne allerdings weiterhin konkrete Schuld­


Zuweisungen vorzunehmen: Möglicherweise schon unter dem Eindruck

des schärfer werdenden Angriffs bolschewistischer Kreise auf die

Religion insgesamt, verzichten die satirischen Blätter, deren

Redaktionen ja (bis 1924) noch von öadidisten gehalten werden,

auf eine weitere Diffamierung des traditionellen Klerus.

Für die erzählende Literatur ab den späteren zwanziger Jahren

spielt baöabozlik nur mehr eine sehr periphere Rolle? es gehört

(36) Noch 1924 läßt sich dieser Ton vereinzelt vernehmen, etwa
in einem späten Artikel zur Syphilis (in: Inqllob no. 11-12
Mai 1924, p. 65ss.) - übrigens auch diese ein Thema, das
ab Mitte der 20er Jahre tabuisiert ist.

(37) Mu&tum no. 3.1923 und no. 19,1924 - vgl. Abb. 1 und 21

105
zwar zum guten literarischen Ton, einen Lehrer an der Medrese

gleichsam en passant als bafiaboz zu beschreiben (38), doch eine

Thematisierung des Knabenspiels als solches findet sich nicht

mehr.
Daß man dieses Schweigen nicht verstehen darf, als sei das

Knabenspiel der mittlerweile herrschenden Ideologie gemäß als

"männliche Prostitution'*, zu der es 50 Jahre zuvor gestempelt

worden war, analog zur Prauenprostitution ausgestorben, lernen

wir aus den satirischen Gedichten eines Abduhamid Ma§idi, in

dessen (ausschließlich in traditionellen Metren verfaßten und

wohl daher zu seiner Zeit und erst recht später nicht zu der ihm

gebührenden Beachtung gekommenen) Werk ba&abozlik eine sehr wich­

tige Rolle spielt. (39)

In diesen Gedichten finden wir den baöaboz in seiner end­

gültig stereotypisierten Form, die sich ein halbes Jahrhundert

lang in den Stellungnahmen von Nicht-Özbeken herausgebildet hat­

te, zum Teil gestützt von der Cfadidistischen Argumentation: Der

badaboz ist der Feind des Fortschritts und damit der Gesell­

schaft, vor allem in Personalunion mit dem Geistlichen traditio­

neller Prägung (bzw. bei Nicht-öadidisten mit dem Geistlichen

schlechthin). Er ist stets präsent, wenn es darum geht, staat­

liche Kampagnen zu behindern. Einige Beispiele: In dem 1925

veröffentlichten Gedicht "... kam in die Zeitung" untergräbt der

(38) z.B. in den "Memoiren eines Medrese-Schülers": Mu'min^on


Muhammad§onüfli: TurmuS ttriniSlari, Bir mullobad&aning xo-
tira daftaridan. 1. bülim, ToSkent (OzDavNaär) 1926.

(39) Sämtliche Gedichte sind hier zitiert nach dem Sammelband


Abduhamid Ma§idi: Xandon lolalar. Haftvll Se'rlar madmuasi,
Samarqand-ToSkent (OzNaSr) 1929.

106
hafcaboz zugleich die NEP (40); 1927, bei Einsetzen einer ver­

schärften Kampagne gegen den Klerus, ist der ba&aboz der roullo-

e§on, die Personalunion von Geistlichem und spirituell-mysti­

schem Führer, der das moderne Schulsystem hintertreibt und außer

den Knaben nichts als Weiber (!) und Gelage im Kopf hat (41);

1928 kommt er rechtzeitig, um zu Beginn der Kollektivierung als

"Bürokrat" den neuen Maßnahmen im Wege zu stehen (42); in einem

Gedicht schließlich, in dem der Name eines Mannes verschlüsselt

wird, der es immerhin zum Richter in Katta Qür^on gebracht hatte,

wird der Begriff des badaboz endgültig mit "modernen" Akzenten

versehen: der Schmarotzer an der Gesellschaft, der alle ihm

anvertrauten Ämter mißbraucht, ist unter anderem und obendrein

auch noch baSaboz (43).

Nicht alle Literaten und Publizisten vollziehen die "Moderni­

sierung" des baflaboz mit; für die meisten bleibt er ausschließ­

lich mit dem Bild des erstarrenden islamischen Geistlichen, nach

1925 nicht mehr nach traditionsverhaftet oder reformistisch un­

terschieden, sondern das Symbol des Ewiggestrigen schlechthin,

verbunden. In diese Kerbe schlägt etwa die satirische Kurzge­

schichte Lailatulqadr (44), die - ganz im Sinne der 1928

(40) Eigdi gazetdan. Gazeta duSmanlarining tilidan* ("...kam in


die Zeitung. Mit den Worten der Zeitungsfeinde.") p. 30-32.

(41) Küpijasi ("Das Muster von einem p. 48-49.

(42) Istar küngil. Bir biurokratning xotira daftaridan


("... begehrt das Herz. Aus dem Tagebuch eines Bürokraten")
p. 73-75.

(43) MuvaSSah (gemünzt auf Gavdat Rahmonov), p. 102-104.

(44) Aus der Satirensammlung Qoramig von Galol Ma§rabij To§-


kent-Samarqand (Üznaär) 1932. p. 3-14, *

107
eröffnten Kampagne gegen die vereinigten Volksfeinde mullo und

boi (Geistlicher und Kapitalist) - die drei baiaboz Kapitalist,

Geistlicher und spiritueller Führer (eSon) durch den Zorn eines

proletarischen Landarbeiters, dessen Sohn sie als baäa gebrauchen

wollen, bestraft werden läßt.


In der Tendenz gleich, im Ton aber ungleich scharfer äußert

sich der Feuilletonist Komil Aliev, der in den großen özbekischen

Zeitungen ab den späten zwanziger Jahren federführend ist und

sich besonders durch sein gnadenloses Aufdecken von Mißständen

(das in diesen Jahren als politisches Instrument in der Vorberei­

tung von Schauprozessen eine bedeutende Rolle spielt) Ruhm er­

wirbt, zu einigen "späten Fällen" von ba&abozlik (45).

In den Feuilletons aus seiner Hand ist der baCaboz nicht mehr

primär in dieser seiner Eigenschaft als Knabenspieler allein

erwähnens- und verurteilenswert, sondern der badaboz ist in glei­

cher Person Feudalherr und geistlicher Führer (so im Beitrag

"Hinter den Mauern des Konvents" (46) ) oder vorwiegend Gegner

der Frauenemanzipation und Saboteur der sowjetischen Gerichtsbar­

keit in einem Artikel, der zum Frauentag 1929 erscheint (47).

Eine Karikatur in MuStum (48) schließlich zeigt den baSaboz

am Endpunkt seiner Entwicklung als literarisches Stereotyp: Er

ist nun, 1928, endgültig identifiziert mit dem islamischen Geist­

lichen, einer Spezies, die in ihrer Klause auf das Ende wartet.

(45) Die hier erwähnten Beispiele sind der Sammlung Bomba , ToS-
kent-Baku (ÜzSöDavNaSr) 1932, entnommen.

(46) op. cit p. 100-107: Xonaqonlng devorlari orasida. 8.3.1928


(47) id. p. 124-128.

(48) Muätum no. 19-20.1928 - vgl. Abb. 31

108
Gute sech2 ig Jahre hindurch läßt sich also der Weg von bafia-

boz und baftabozlik durch die Publizistik, Literatur und das

zwischen den beiden angesiedelte Genre "Feuilleton" verfolgen«

Nur in wenigen Jahren unmittelbar rund um die Revolution wird das

Knabenspiel, wiewohl axiomatisch als gesellschaftlich untragbar

eingestuft, in einer dem Gegenstand angemessenen differenzieren­

den Weise thematisiert und mit literarischen Mitteln bekämpft.

Daneben aber lauft schon einige Jahrzehnte länger, und erweist

sich auch nach der Revolution als langlebiger, eine Form von

publizistischem und literar-publizistischem Kampf gegen das

Knabenspiel, in dem es offensichtlich nicht so sehr um eine

Liquidierung des Phänomens geht, sondern in dem badabozlik in­

strumentalisiert wird zum Zwecke der Unterstützung wechselnder

politischer Kampagnen. Dabei machen sich die Autoren das von

Anfang an in den Stellungnahmen von Nicht-Özbeken präsente Urteil

über das Phänomen zunutze, welches von den §adidistischen Özbeken

adoptiert wird, um so die eigentliche Zielscheibe des jeweiligen

Angriffs zusätzlich zu diffamieren. Ihren Höhepunkt erreicht

diese Entwicklung unmittelbar nach 1925. Nachdem in wenigen dar­

auffolgenden Jahren das Phänomen baCabozlik solcherart zu einer

der Sache - qualitativ und quantitativ - völlig unangemesse­

nen gesellschaftlichen Bedeutung aufgeblasen wurde, sinkt das

Phänomen um 1930 in nichts zusammen: badabozlik hat aufgehört,

ein Thema für Publizistik und Literatur zu sein. (49)

(491 Das Sprachtabu, mit dem baCabozlik seither belegt ist, er­
weist sich bis in die jüngste Vergangenheit als auch auf
dem akademischen Sektor nicht überwunden: Die Werkausgabe
Abdulhamid MaCridii. Tanlangan asarlar. S e ’rlar, hikojalar.
ToSkent 1974, ersetzt etwa in dem in FN 41 zitierten Ge­
dicht eine Passage ... badani birdai quödi "... und sie um-

109
Ein letztes Mal noch irrlichtert das Knabenspiel durch das

Bewußtsein der kulturpolitisch tätigen Öffentlichkeit Özbekistans

- in der Rede des Vorsitzenden des ZK der özbekischen KP, Akmal

Ikromov, 1932 gehalten zum Thema "Um der sozialistischen Kultur

willen für eine kritische Aufarbeitung des Erbes der Vergangen­

heit" (50), die auf der Basis der stalinschen Nationalitätenpoli­

tik mit dem "großrussischen Chauvinismus" (und dazu noch mit dem

"Linksabweichlertum" in der Literatur) abrechnet. In dieser Rede

entlarvt A. Ikromov einen "Chauvinisten" (51), der 1928 in einem

völkerkundlichen Werk den Özbeken Neigung zum Knabenspiel unter­

stellt und damit das ganze Volk diffamiert und beleidigt habe. -

Daß dieser Vorwurf, nämlich das özbekische Volk zu diffamieren

und zu beleidigen, seit jener Zeit niemanden mehr treffen muß,

dafür sorgt das mit dieser Rede wohl endgültig besiegelte Sprach-

tabu bezüglich baöabozlik in Özbekistan.

armten den bafia alle beide" (p. 48) durch ein völlig unpas­
sendes, aber eben nicht indezentes ,.. birbirini küb guddi
... und fielen einander herzlich in die Arme" (p. 75).

) ^pcializm madani^ati u&un, ütmiSning meroslarini tanqidij


1932§ U^U n ' veröffentlicht in 15 jilga A l ‘manax, ToSkent

(51) Laut p. 24 handelt es sich um einen gewissen Rudnev; wie


dem Stenogramm zu entnehmen ist, erzielte Ikromov mit die­
ser Erwähnung des Knabenspiels bei den Teilnehmern an der
Plenarsitzung einen beträchtlichen Heiterkeitserfolg.

110
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yzbeK

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"Die Geistlichen der Kirche von Baku sind bei baCabozIik ertappt worden. - Zeitungsmeldung.
Mavlavi-Derwisch: 'Uff, ach Gott, Du weißt es am besten! Niemand außer Dir weiß von den
Kanzel-Umarmungen, die zwischen mir und dem Had$chi-Bala stattgefunden haben. Oh Gott,
beschäme uns nicht vor diesen Hurensöhnen!’ "
ABSTRACT

Bajabozlik-baCabozi is the Central Asian variant of love

b etw e en men and boys. It used to be an important factor in the

Uzbek society of northern Afghanistan at least until the

revolution of 1978. Approximately one third of the male Uzbek

population w as at times involved in the "game", be it as a

dancing boy (baSa) or as a lover (badaboz).

There are two types of badabozlik that can clearly be

distinguished. By far more common is the long-term friendship

between an adult male and a boy, the couple sharing a good deal

of their every-day lives and taking part in special social

events, the so-called roajlis (parties where the boys' dancing and

the adults' singing plays a prominent role). The adult provides

food, clothing and all kinds of gifts for his darling (uka, lit.

"little b r o t h e r " ). The boy in change has to allow his "elder

brother" (a k a ) caresses and as a special gratification anal or

intercrural intercourse. - The second type of badabozlik,

despised and its existence virtually denied, is the simple

Prostitution of young boys run by Professional pimps, providing

instant sex but lacking of any other component.

Due to the incongruity of the boys' and the men's expect-

ations frustration on both sides is inavoidable: the boys, seek­

ing money, find their male identity irritated, whereas the men,

desiring to compense sexual and mental deficiencies by a heart-

felt relation with a bada meet with the boys' indifference or

even rejection. Thus both sides take refuge in the folk song

which offers a vent and provides a substitute for reality.

115
k

Bagabozlik can to a greater or lesser degree be compared with


Greek and Hellenistic pederasty, with a Contemporary variant of
love between men and boys in China and with the relation between
a mystic and his ephebe. However, there remain a lot o£ unsolved
questions.

An OverView of Soviet Uzbek üterature and Tsarist and Soviet

journalism dealing with badabozlik in Transoxiana proves that

Propaganda versus the "game", mainly by instrumentalizing it for

various political purposes, has within half a Century been able

to abolish a formerly vivid and socially relevant item of folk


culture such as baCabozlik had been.

116
Forschungsgebietsschwerpunkt
ETHNIZITÄT UND G ESELLSCHAFT
Probleme ethnischer Grenzziehung in Gesellschaften
des Vorderen und Mittleren Orients
OCCASIONAL PAPERS

Nr. 1 Thomas Scheffler: Ethnisch-religiöse Konflikte und gesell­


schaftliche Integration im Vorderen und
Mittleren Orient. Literaturstudie. 1985.*
Nr. 2 Susanne Mies, Bernhard Streck, Joachim Theis:
Rückzugsvölker und Fortschrittsidee. Zwei
Feldforschungen zum Thema kultureller
Grenzen in der Republik Sudan. 1985.**
Nr. 3 Friedhelm Ernst: ’Arab Americans’ in Nordamerika. Eine
Literaturstudie zur Geschichte und zu
gegenwärtigen Strukturen und Problemen
arabischer Einwanderungs-
’communities’. 1986.
Nr. 4 Jan-Heeren Grevemeyer: Ethnizität und Nationalismus. Die
afghanischen Hazäras zwischen Emanzipa­
tion, Widerstand gegen die sowjetischen
Besatzer und Bürgerkrieg. 1985.
Nr. 5 Eberhard Kienle: The Conflict Between the Baath Regimes of
Syria and Iraq Prior to Their Consolidation.
From Regime Survival to Regional
Domination. 1985.
Nr. 6 Gilbert Beäuge, Aicha Bendiab: Internationale Migration im
Nahen Osten. Migrations internationales au
Moyen Orient. Bibliographie 1975-1986.1987.
Nr. 7 Rolf Bindemann: Religion und Politik bei den schi’itischen
Hazära in Afghanistan, Iran
und Pakistan. 1987.
Nr. 9 Bernhard Streck: Diaspora und Nischenökonomie der Halab
innerhalb der komplexen Gesellschaft
des Nil-Sudan. 1987.
Nr. 10 Asghar Schirazi: The Problem of the Land Reform in the
Islamic Republic of Iran. Complications and
Consequences of an Islamic Reform Policy.
1987.
Nr. 11 Emmanuel Sari N1 2 0 0751 702 3tM0 1

* vergriffen
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