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StaatsBibliothek VI D Z D igitalisierungszentrum
D igitale Bibliothek
Hamburg 1924
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VON LENIN ZUM LENINISMUS
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Die Rolle des Gen. Lenin.
Genossen! Auf der Tagesordnung des V. Kongresses der
Komintern steht die Frage des Programms der Kommunistischen
Internationale. Die Komintern wird noch viel kollektive Arbeit
aufwenden müssen, um einen Programmtext auszuarbeiten, der alle
Bedürfnisse unserer Bewegung befriedigt und unserer Theorie ent?
spricht. Aber, Genossen, wir haben zwei Namen, die das Programm
der Kommunistischen Internationale mit größter Vollständigkeit
in sich verkörpert hat. Diese Namen sind Marx und Lenin
(Beifall). Die Kommunistische Internationale hat es schon in den
ersten Anfängen ihrer Arbeit als ihre Pflicht angesehen, den Weg
zu gehen, den Karl Marx der I. Internationale gewiesen hat. Unter
dem Banner von Marx hat sich die Komintern gebildet.
Schon direkt Hand in Hand, in denselben Reihen hat die Kom?
munistische Internationale zusammen mit Wladimir Iljitsch Lenin
gekämpft und ihre Organisation geschaffen. Für ihn gab es nichts
Höheres und nichts Größeres als die Interessen der Kommu?
nistischen Internationale.
W ladimir Iljitsch hat die russischen Arbeiter gelehrt, daß es
nichts Höheres gibt, als der Arbeiterklasse, nicht nur des eigenen
Landes, sondern auch der internationalen Arbeiterbewegung, zu
dienen. Und das hat er sie schon in den Jahren gelehrt, wo unsere
Partei noch illegal war, wo man nach rechts und nach links kämpfen
und das Recht der Partei auf ihre Existenz verteidigen mußte, wo
die Partei den Revisionismus aller Gattungen abwehren mußte. In
den Jahren des Sieges hat Wladimir Iljitsch das russische Prole?
tariat beständig daran erinnert, daß die Interessen der Internatio?
nale über allen anderen stehen, daß jeder einfache Arbeiter sich
vorbereiten muß für die Rolle eines Mitarbeiters der revolutionären
Bewegung nicht nur im eigenen Lande, sondern in der ganzen Welt.
Ein hervorragender Sozialdemokrat, Max Adler, hat im Nach?
ruf für Wladimir Iljitsch hervorgehoben, daß der reformistische
Sozialismus (zu dessen Lager er selbst gehört) „seelenlos“ ist. Ich
kenne kein härteres Urteil über die II. Internationale, als dieses
kurze Wörtchen „Seelenlosigkeit“, das der II. Internationale von
ihrem Mitglied Max Adler ins Gesicht geschleudert worden ist.
Er schrieb:
„Dieser Gegensatz eines seelenlosen Sozialismus und eines
solchen, in dem die freie Seele der „umwälzenden Praxis“ eines
«
Marx und Engels, der sozialen Revolution fortglüht, ist der
eigentliche Grund der heutigen Zerrissenheit und Schwäche des
Sozialismus. Und ihr gegenüber war Lenin geradezu eine gran?
diose Verkörperung dieser glühenden Seele des Sozialismus.“
Etwas weiter unten schreibt er:
„. . . Wer keine Augen und kein Gefühl für das hat, was ich
vorhin die Seelenlosigkeat des Sozialismus nannte, der wird auch
nie ein Verständnis dafür gewinnen, daß der „Putschismus“ bei
sehr vielen seiner Anhänger, die gerade die besten und idealsten
sind, und das erklärt besonders die Anziehungskraft des „Kommu?
nismus“ auf die Jugend — eine leidenschaftliche Reaktion gegen
diese Seelenlosigkeit ist. Als eine solche Reaktion gegen die revo?
lutionäre Atrophie des proletarischen Sozialismus ist Lenins inter?
nationales Wirken in erster Linie zu verstehen.“
Genossen, in den Tagen, als wir den Tod Wladimir Iljitschs
beweinten, sind einigen der ehrlichsten Gegner des Kommunismus
Geständnisse entschlüpft, wie diejenigen, die ich soeben angeführt
habe. Ja, Wladimir Iljitsch war die Feuerseele des internationalen
Sozialismus, alles dessen, was es Heldenhaftes in der Arbeiter?
bewegung gibt. Und ich glaube, Genossen, daß es für unseren
Kongreß, der morgen oder übermorgen seine Arbeit beginnen wird,
keine größere Ehre gibt, als das Bewußtsein, daß ein Teil der
Seele Wladimir Iljitschs in einer jeden von unseren Parteien
vibriert, und daß jede von ihnen es als höchste Ehre betrachten
wird, den Weg zu gehen, den der verstorbene Wladimir Iljitsch
Lenin dem Weltproletariat und der internationalen Revolution ge?
zeigt hat. (Beifall.)
Als Marx gestorben war, schrieb Engels in seinem bekannten
Brief, den wir oft zitiert haben: „Die Bewegung des Proletariats
geht ihren Gang weiter, aber der Zentralpunkt ist dahin, zu dem
Franzosen, Russen, Amerikaner, Deutsche in entscheidenden
Augenblicken sich von selbst wandten, um jedesmal den klaren,
unwidersprechlichen Rat zu erhalten, den nur das Genie und die
vollendete Sachkenntnis geben konnte.“
Wladimir Iljitsch hat durch seine große Arbeit dafür gesorgt,
daß bei seinem Scheiden aus dem Leben ein Mittelpunkt blieb, an
den sich die Revolutionäre der ganzen Welt um Rat wenden und
Weisungen im Geiste Wladimir Iljitschs erhalten können. Dieser
Mittelpunkt ist hier, cs ist die Kommunistische Internationale, die
vor allem vom Genie Wladimir Iljitschs geschaffen worden ist.
Und der V. Kongreß wird der ganzen Welt beweisen, daß unter uns
nicht umsonst der genialste Führer des internationalen Sozialis?
mus, der beste Vertreter des revolutionären Marxismus auf der
Welt gearbeitet hat. (Beifall.)
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Heroische Kämpfe und ihre Opfer.
Es ist hier schon erwähnt worden, daß wir in der verflossenen
Zeit nicht wenig Opfer und nicht geringe Verluste erlitten haben.
Natürlich fühlt jeder von uns das Bedürfnis, in den ersten Augen*
blicken unseres internationalen Kongresses der Genossen zu ge*
denken, die .durch die Macht der Umstände in die erste Feuerlinie
gestellt worden waren und daher auch die» ersten und stärksten
Schläge seitens der Feinde auf sich nehmen mußten. Wir senden
einen Gruß an' die Krakauer Aufständischen, die von der weißen
Garde gerade in den Tagen abgeurteilt werden, in denen unser
Kongreß tagt. Einen ebenso flammenden Gruß senden wir an
die polnischen Arbeiter, die in den Gefängnissen sitzen, an die
polnischen Bauern, die von der bürgerlichen Bande gefangen*
genommen worden sind; wir gedenken jetzt der vielen Hunderte
von bulgarischen Aufständischen, die in den Gefängnissen
schmachten oder vertrieben worden sind, wir gedenken auch der
Tausende deutscher Arbeiter, die mit Hilfe der faschistischen
Sozialdemokratie gefangengenommen wurden, wir gedenken der
indischen Revolutionäre, denen dieser Tage ihr Urteil gesprochen
wurde — vier Jahre Zwangsarbeit, wobei die Regierung in voller
Einmütigkeit mit der „Arbeiter“regierung seiner Majestät des
Königs von England und gleichzeitg des Führers der Arbeiterpartei,
Herrn MacDonald, vorging. Wir gedenken des heldenmütigen
Kampfes unserer japanischen, chinesischen und koreanischen Ge*
nossen, wir gedenken in diesen Tagen des tragischen Todes Osugis,
Kavamis, Joschiumas, Takooras und einer ganzen Reihe anderer
Genossen, die durch die Hand der Faschisten des vertierten japa*
nischen Imperialismus gefallen sind.
Wir vergessen nicht den hartnäckigen Kampf der streikenden
chinesischen Eisenbahner.
Wir gedenken des Zentralkomitees der Kommunistischen Par*
tei Aegyptens, das fast restlos ins Gefängnis geworfen wurde für
die Durchführung eines großen Streiks, der zur Besetzung einzelner
Fabriken in Aegypten führte.
Wir gedenken des heldenmütigen Kampfes der internationalen
Kommunistischen Jugend. Ihr wißt, daß kürzlich in Polen Ge*
nosse Engel erschossen worden ist. Ihr wißt, daß über die pol*
nischen Jungkommunisten im Laufe der letzten Woche insgesamt
477 Jahre Zwangsarbeit verhängt worden sind. Einen flammenden
Gruß an die Jungkommunisten Polens und der ganzen Welt.
(Beifall.) Wir gedenken des heldenmütigen Kampfes, den die
französischen und deutschen Jungkommunisten im Ruhrgebiet ge*
führt (haben. Was man auch sagen mag, wir waren verhältnismäßig
doch schwach und konnten nicht in der nötigen Weise auf die Ruhr*
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ereignisse reagieren, aber die Tatsache bleibt bestehen: nur die kom *
munistischen Parteien Deutschlands und Frankreichs haben unter
der Leitung der Kommunistischen Internationale vom Beginn der
Ruhrbesetzung an ihre Pflicht erfüllt. Und die französischen und
deutschen Jungkommunisten haben sie in der Tat mit Ehren erfüllt
und dafür dieser Tage ungefähr 150 Jahre Gefängnis bekommen-
Selbstverständlich kann unser Kongreß nicht umhin, den franzö?
sischen und deutschen Jungkommunisten einen brüderlichen,
freundschaftlichen, flammenden, kameradschaftlichen Gruß zu
senden. (Beifall.)
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mir zu verstehen geben wollen: Du, jetzt ist unser herkömmlicher
Krakehl vorläufig hoffentlich vorüber.“
„. . . . Ich wies auf die besondere Lage unserer Partei hin, für
die die übrigen Herren Verständnis haben müßten. Schließlich
Einigung auf folgender Grundlage: der Wortlaut unserer Er*
klärung sollte den übrigen Parteiführern bis abends 9 Uhr über*
mittelt werden, damit sie evtl. Gegenerklärungen formulieren
könnten. Haase gab hierzu das feierliche Versprechen ab, daß
dazu auf keinen Fall Veranlassung gegeben werden solle. Unter
gar keinen Umständen werde unsere Erklärung irgendeine Partei
angreifen . . . .“
„. . . . Aber noch eine Klippe war zu umschiffen: das Hoch
auf den Kaiser. „Was werden Sie tun,“ fragten uns die Herren.
Ich bat, uns nicht neue Schwierigkeiten zu machen . . . . Ich
flüsterte währenddessen dem neben mir sitzenden Abgeordneten
Spahn so laut, daß Delbrück es hören mußte, ins Ohr:
„Aeußerstenfalls halte ich ein Hoch auf Kaiser, Volk und Vater*
land für angängig.“ (Gelächter.)
(Scheidemann, Tagebuch, Aufzeichnung vom 3. August 1914:
Kapitel: „Reichskanzler Bethmann Hollweg vor dem Vorstand
der Parlamentsfraktionen.“)
Wie Ihr seht, hat er das Kompromiß schnell gefunden.
?(jGelächter.)
Glauben diese Herren denn wirklich, daß wir sie zum bevor*
stehenden zehnten Jahrestag nicht an dies alles erinnern und ihnen
gestatten werden, die Rolle von unschuldigen Engeln und Friedens*
boten für die internationale Arbeiterklasse zu spielen? Glauben
sie wirklich, daß wir sie nicht daran erinnern werden, daß
während des letzten Kongresses der Amsterdamer Internationale,
im Augenblick des heißesten Gefechts zwischen einem Teil der
sogenannten linken Engländer und den deutschen Sozialdemo*
kraten, die ersteren riefen: „Wo ist Rosa Luxemburg?“ Das war
eine kleine „kameradschaftliche“ Erinnerung eines Flügels der
Amsterdamer Internationale durch den anderen an seine Teil*
nähme an der Ermordung der internationalen Führer des revolu*
tionären Proletariats, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
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Arbeiter und Arbeiter anderer Nationen sind, die von diesen
Herren in den Krieg getrieben wurden.
Wir werden sie daran erinnern, daß in diesem imperia*
listischen Weltkrieg 13 Millionen Menschen umgekommen, daß
10 Millionen Krüppel geblieben sind, daß 20 Millionen verwundet
wurden, und daß dieser Krieg nach den bescheidensten Berechn
nungen 800 Milliarden Goldmark gekostet hat. Wir werden die
Arbeiter der Welt, und vor allem die Arbeiter, die der Sozial*
demokratie folgen, daran erinnern, daß die Hauptschuldigen an
diesem Gemetzel die Führer der Sozialdemokratie sind.
Die Kriegsfrage kann von der Tagesordnung der internatio*
nalen Kongresse nicht verschwinden, insbesondere solange diese
schändlichen Lügner, die an der Spitze der II. Internationale
stehen, noch Einfluß auf die Arbeiterklasse haben. Ich rede schon
gar nicht von einer solchen Persönlichkeit wie Jouhaux, aber sogar
der Engländer Ben Tillet hat gesagt: „Man muß gegen den Krieg
kämpfen, aber wenn er ausbricht, werde ich natürlich an der Seite
meines Vaterlandes stehen.“ Das sagen Leute, die unter den
unverbesserlichen Reformisten noch verhältnismäßig die besten
sind, in Wirklichkeit aber die Rolle der ärgsten Verräter der inter*
nationalen Arbeiterklasse spielen.
Darum ist die Organisation der Kundgebung zum 10. Jahrestag
der Erklärung des imperialistischen K rieges eine der wichtigsten
Aufgaben der Kommunistischen Internationale. Und wir werden
unsere ganze Agitation und Arbeit so gestalten, daß die partei*
losen Arbeiter, die der Sozialdemokratie folgen, sich all des
Schreckens erinnern, den der Krieg für die Arbeiterklasse bedeutet,
damit sie sehen, daß wir keine Garantien gegen zukünftige
Kriege haben, wenn sie nicht der Kommunistischen Internationale
zu Hilfe kommen und wenn nicht die Arbeiter der ganzen Welt
unsere Organisation stützen, die ganz allein gegen den Krieg
kämpft.
Die Aufgaben des Kongresses.
Unserem Kongreß steht die Erörterung einer ganzen Reihe
höchst wichtiger Aufgaben bevor:
Die Bilder wechseln besonders in den letzten Monaten mit
kinematographischer Schnelligkeit: Eine ganze Reihe von Pro*
blemen wartet auf Antwort.
Die Ereignisse in Deutschland und ihre Beurteilung sind von
größter Bedeutung für die Beurteilung des Schicksals der
Komintern und unserer gesamten Taktik. Die „Arbeiter“*Regie*
rung in England und unser Verhalten zu ihr; der Linksblock in
Frankreich und die Aufgaben der französischen Kommunistischen
Partei, die durch die Macht der Tatsachen auf den Vorposten der
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unserer Aufgaben in Deutschland, England, Frankreich, Polen,
Skandinavien, auf dem Balkan usw.
Wir stehen vor der Aufgabe, die Ergebnisse der neuen WirU
Schaftspolitik der Union der Sow jetrepublikenf die seit drei Jahren
durchgeführt wird, zu beurteilen.
Wie ihr euch erinnern werdet, lehrte Wladimir Iljitsch, daß
diese Politik viele rein russische Züge habe, aber auch vieles von
allgemeiner und internationaler Bedeutung, vieles, \^as in dieser
oder jener Variante von den kommunistischen Parteien der
anderen Ländern wird angewandt werden müssen. Wir haben
jetzt nicht nur die Theorie der neuen Wirtschaftspolitik, sondern
auch drei Jahre der Erfahrung, drei Jahre der schwersten Arbeit,
wir haben eine Reihe von Ergebnissen vor uns, die der Kongreß
studieren und über die er sein Urteil abgeben muß. Das sind die
gewaltigen Aufgaben, die auf der Tagesordnung stehen. Ich
glaube, daß wir alle von dem einen Wunsche beseelt sein werden,
diese Frage zu erörtern und zu lösen auf Grund des Programms,
das für uns in zwei Namen verkörpert ist: Marx und Lenin.
Im Geiste Iljitschs.
Die Kommunistische Partei Rußlands ist verwaist, und ver*
waist ist auch die Internationale. Aber unabhängig von der
Geschichte des Landes eines jeden von uns, unabhängig von der
Parteitradition, unabhängig vom Temperament sind wir alle darin
übereingekommen und stimmen wir gegenwärtig überein, daß es
unser aufrichtiger Wunsch ist, alle unsere Beschlüsse im Geiste
dessen zu fassen, was W ladimir Iljitsch uns lehrte. Wenn unsere
Partei Rußlands, gleich nachdem Wladimir Iljitsch die Augen für
immer geschlossen hatte, sagte, daß wir jetzt nur einen Weg
haben: uns zu bemühen, um wenigstens bis zu einem gewissen
Grade die Abwesenheit dieses genialsten Führers zu ersetzen —
so werden auch die anderen Sektionen, glaube ich, dasselbe sagen.
Sie werden an die Lösung der gewaltigen Aufgaben, vor denen
wir stehen, herantreten und bei der Lösung dieser Fragen wirk*
lieh den Weg gehen, den Wladimir Iljitsch gebahnt hat, und diese
Fragen werden wir gemeinsam lösen können, weil wir die
Methode in Händen haben, die Karl Marx uns vermacht, und die
Wladimir Iljitsch in der Oktoberrevolution praktisch verwirklicht
hat.
Ich bin überzeugt, daß unser Kongreß auf dem Wege der Kom*
munistischen Internationale zum Siege der Weltrevolution gehen
wird. Was diejenigen auch sagen mögen, die mit dem ersten
Jahrfünft der Komintern unzufrieden sind und sagen, daß es uns
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nicht gelungen ist, die Weltrevolution zu verwirklichen — wir alle
haben das volle Bewußtsein, daß unsere Sache vorwärtsgeht. Ja,
wir werden Hindernisse überwinden und das Steuer fest in der
Hand halten müssen, um nicht auf Untiefen aufzulaufen. Wir alle,
die wir auf einen rascheren Gang der Ereignisse gestimmt sind,
verlieren zuweilen das Gleichgewicht, aber, Genossen, deswegen
haben-wir uns ja hier versammelt, wir Vertreter von 52 kommu*
nistischen Parteien, Vertreter von Arbeiterparteien, nicht die
Schlechtesten von den Kämpfern der kommunistischen Arbeiter*
bewegung, um einmütig, wie es Soldaten der Revolution und
Schülern Wladimir Iljitsch Lenins geziemt, von neuem kollektiv
die Fragen zu erörtern, vor denen wir stehen, und dann mit aufge*
krempelten Aermeln uns an die Arbeit zu machen im Geiste
dessen, was unser großer Lehrer uns gelehrt. (Beifall.)
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7AK7IK UND S7RA7EGIE
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PROLETARISCHEN REVOLU71ÖN
Unsere Kräfte.
Genossen, wir müssen auf diesem Kongreß den Weg für die
Zukunft suchen, und wir haben allen Anlaß dazu, zunächst den
zurückgelegten Weg etwas zu prüfen — erstens darum, weil wir
unsere Arbeit zum erstenmal ohne die Führung und Mitwirkung
des Genossen Lenin vornehmen müssen, zweitens, weil die intern
nationale Lage jetzt in vieler Hinsicht eine ganz neue geworden
ist, drittens darum, weil wir gewissermaßen einen Jubiläumskon*
greß abhalten.
Wir haben unlängst den fünften Jahrestag der K.I. gefeiert.
Es liegen vier Weltkongresse hinter uns, die gewissermaßen vier
Marksteine in der Geschichte der internationalen revolutionären
Arbeiterbewegung bilden. Erlauben Sie mir darum, zunächst einen
kurzen geschichtlichen Rückblick auf den Werdegang der Kom*
munistischen Internationale zu werfen. Ich will diese Geschichte
von zwei Gesichtspunkten aus untersuchen.
Das erste Kriterium ist: wie stark waren wir am Anfang der
Kommunistischen Internationale und wie hat sich dann die Stärke
während dieser Jahre geändert?
Das zweite Kriterium: Der Richtungskampf innerhalb der
KI., ein Rückblick auf die Richtungskämpfe während dieser bis*
herigen vier Weltkongresse innerhalb der Internationale.
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elementare Unzufriedenheit der Massen damals am Ausgang des
imperialistischen Krieges sehr groß war, und wir diese elementare
Unzufriedenheit als organisierte kommunistische Kraft aufgefaßt
hatten. Darin haben wir uns geirrt. Ein Beispiel wird genügen,
und zwar eins aus der deutschen Bruderpartei.
Nach dem ersten Parteitag, während des Januaraufstandes der
Spartakisten, glaubten wir alle, unsere deutsche Partei sei eine sehr
große Kraft, die Unzufriedenheit der Massen war sehr groß, die
Verdrossenheit der Massen gegenüber der Bourgeosie, teilweise
auch gegenüber der Sozialdemokratie, war elementar, es schien
uns, als ob wir Kommunisten die Führer dieser millionenköpfigen
Bewegung wären. Wenn wir einen Rückblick auf diese Ereignisse
werfen, sehen wir ganz klar, der Spartakusaufstand (wir brauchen
uns seiner nicht zu schämen) stellte einen der glorreichsten Ab?
schnitte der Geschichte der Arbeiterklasse dar.
Aber was war unsere Partei eigentlich? Sie war noch sehr
klein, sie war eine große Propagandagesellschaft des Kommunist
mus, die noch ganz am Anfang der Gewinnung der Massen stand.
Und so war es auch in anderen Ländern. Um also einen klaren
Maßstab dafür zu haben, wo wir jetzt stehen, dürfen wir eben das,
was ich gesagt habe, nicht übersehen. Trotz aller Schwächen,
trotz aller Mängel unserer Sektionen sind wir jetzt in einer An?
zahl von Ländern schon keine Propagandagesellschaften mehr,
sondern sind zu kommunistischen Parteien, und zum Teil schon zu
kommunistischen Massenparteien angewachsen.
Der Richtungskampf.
Jetzt zur Frage der Richtungskämpfe innerhalb der Kommu?
nistischen Internationale. Wir müssen einige Angelegenheiten
klarstellen, um diesen Kampf verschiedener Strömungen richtig
zu begreifen, den wir auch auf dem V. Kongreß schwerlich werden
vermeiden können. Was die programmatische Seite anbetrifft, so
bin ich ganz mit dem einverstanden, was in der Instruktion der
Delegation der Kommunistischen Partei Deutschlands gesagt ist.
Ich glaube, dies Dokument ist allgemein bekannt. Es ist in vielem
für uns alle annehmbar und wird viel zu den Beschlüssen, die wir
hier fassen müssen, beitragen.
Das Erbe.
Der eine Bestandteil sind diejenigen Teile der Kommun
nistischen Internationale, die aus dem Schoße der II. Internationale
geboren sind, die früheren Sozialdemokraten; den zweiten
Bestandteil bildet die neue Arbeitergeneration, die während des
Krieges und nach demselben herangewachsen ist. Beide Bestand*
teile haben ihre schwachen und starken Seiten. Es ist allgemein
bekannt, daß die Taktik der Kommunistischen Internationale und
die Taktik des Bolschewismus und Leninismus hauptsächlich im
Kampf gegen die Sozialdemokraten, sowohl gegen die rechten als
auch gegen die Zentristen geboren wurde, und es ist also auch zu
verstehen, daß der Leninismus in der Internationale kämpfen
mußte und auch jetzt noch kämpft, in erster Linie gegen die
Ueberreste der Sozialdemokratie, die naturgemäß auch in der KI.
vorhanden sind.
Es ist aber weniger bekannt, daß der Bolschewismus einen
ernsten Kampf gegen andere Abweichungen geführt hat, gegen
die Abweichungen, die man oft als „Linke“ oder „Ultralinke“
bezeichnet. Sie sind selbstverständlich nicht „Linke“, es gibt nichts
„Linkeres“ als den Leninismus, den revolutionären Marxismus.
Aber man nennt eben diese Abweichungen „Linke“. Nun meine
ich: gegen diese „linken Abweichungen“ hat der Bolschewismus
schon vor der Revolution Jahre hindurch heftige Kämpfe durch*
gefochten, und auch in der Kommunistischen Internationale hat ihr
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%
Gründer und Meister, Genosse Lenin, große Kämpfe gegen diese
sogenannten „ultralinken“ Abweichungen im internationalen
Maßstab geführt, auch die Exekutive der K.I. muß es jetzt tun.
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sind vom Genossen Lenin. Es gab auch einen Kampf um die
Frage, ob die englischen Kommunisten in die Labour Party ein*
treten sollten.
Sie werden sich erinnern, daß viele Genossen dagegen waren
— nicht nur die Engländer. So hat z. B. der holländische Genosse
Wynkoop, der heute unter uns ist, damals wie ein Löwe dagegen
gekämpft, daß die englischen Kommunisten in die Labour Party
eintreten. Er hielt es für Opportunismus. Nun, die Zeiten ver*
gehen, die Menschen ändern sich. Jetzt beschuldigt man den
Genossen Wynkoop, ganz andere Abweichungen zu machen als
nach links — wir werden zu prüfen haben, ob mit Recht oder
Unrecht. Alles das zeigt, daß der Richtungskampf innerhalb der
Kommunistischen Internationale von Anfang an einen ziemlich
heftigen Charakter trug.
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Es gibt Genossen — und sie sind keine schlechten Revo*
lutionäre, die uns oft stimmungsgemäß den folgenden Vorwurf
machen: Bald kämpft die Exekutive nach rechts, bald nach links,
das sei Prinzipienlosigkeit, man soll sich doch ein für allemal für
alle Zeiten festlegen, also nicht heute gegen die Rechte und morgen
gegen die Linke kämpfen. Selbstverständlich kann man die
sogenannten „ultralinken“ Abweichungen am erfolgreichsten
bekämpfen, wenn man die wirklichen rechten opportunistischen
Fehler und Versehen bekämpft. (Beifall).
23
keinesfalls so kleinbürgerlich vorstellen: wenn du heute gegen
rechts und morgen gegen die sogenannte „Ultralinke“ bist, so bist
du also prinzipienlos.
Genossen, stellen Sie sich vor, wir müßten ein Schlachtschiff
lenken und es zu einem bestimmten Ziel bringen. Ihr wißt, da
gibt es eine Minenzone. Einen Plan habt ihr nicht. Bald liegen
die Minen rechts, bald links. Ihr müßt euer Schlachtschiff zwischen
diesen Minen hindurchsteuern. Und da soll man den Kapitän,
der deshalb bald nach rechts, bald nach links steuert, „Prinzipien*
los“ nennen! Ich erwähne das deshalb, weil gute linke Genossen,
wie Bordiga ganz offen mit diesen Anschuldigungen kommen und
erklären, die K. I. sei jetzt prinzipienlos geworden, bald kämpfe
sie gegen „rechts“, bald gegen „links“. Man muß sagen, unsere
Gegner aus den Reihen der II. Internationale behaupten dasselbe.
Ich habe die Geschichte der K. I. hier kurz angeführt, damit
wir alle sehen, daß der Leninismus nicht nur als russische Erschein
nung, sondern als er schon durch die Kommunistische Internatio?
nale international geworden war, immer wieder den Hauptschlag
selbstverständlich gegen die Rechten, gegen die Zentristen, die
Sozialdemokraten, gegen die Ueberreste der Sozialdemokratie in
unseren Reihen führte. Aber um diesen siegreich durchzuführen,
hat er immer, ebenso wie Marx die Proudhonistische Richtung be*
kämpfte,, die sogenannte „Ultralinke“ bekämpft, die unserer Mei*
nung nach in der Tat kleinbürgerlich ist. Und darum werden wir
unseren Weg auch weiter gehen, mag man schreiben, was man will
und über unsere Prinzipienlosigkeit zetern. Das ist die Anwen*
düng der Taktik des revolutionären Marxismus und also auch des
Leninismus unter den Umständen, in denen wir uns befinden.
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machen wollten und so den Kopf verloren und die Fähigkeit ein*
büßten, kaltblütig und nüchtern zu erwägen und zu. überprüfen,
in welchem Augenblick, unter welchen Umständen, auf welchem
Aktionsgebiet man revolutionär handeln müsse und in welchem
Augenblick, unter welchen Umständen und auf welchem Gebiet
man zu reformistischem Vorgehen übergehen müsse. Wahre
Revolutionäre werden nur in dem Falle zugrunde gehen (nicht
im Sinne der äußeren Niederlage, sondern im Sinne des inneren
Zusammenbruchs ihrer Sache), wenn sie die Kaltblütigkeit ver?
Heren und glauben, daß die „große siegreiche Weltrevolution“
unbedingt alles und alle Aufgaben unter jeder Bedingung auf
allen Gebieten und auf jede revolutionäre Weise lösen könne
und müsse.“
Diese Worte möchte ich dem Genossen Bordiga gegenüber
anführen, der leider noch nicht hier ist. Aber den Genossen
Rossi, der sein Gesinnungsgenosse ist, möchte ich bitten, diese
Worte zweimal täglich wenigstens während seines Moskauer Auf?
enthaltes zu lesen. Das wird ihm großen Nutzen bringen. (Beifall).
Sie sehen, Genossen, Lenin schreibt sogar über die Zulässigkeit
reformistischen Vorgehens, er hat wahrscheinlich mit Absicht, um
die „Ultralinken“ zu „reizen“, dieses Wort gebraucht. In WirkHch?
keit handelt es sich hier natürlich nicht um ein reformistisches
System, um eine Theorie des Reformismus gegen den Marxismus,
sondern das Wort „reformistisch“ wird eben gebraucht, um den
Grundgedanken gegen die „Ultralinken“ zu betonen.
25
%
26
Wer hat große Hoffnungen auf die Opposition gesetzt? Die
deutsche gegenrevolutionäre Sozialdemokratie! Diese Hoffnungen
wurden, wie Sie wissen, nicht erfüllt, und ich hoffe, sie werden
auch niemals erfüllt werden. (Beifall.) Es ist so weit gekommen,
daß derselbe „Vorwärts“ in derselben Nummer dem Genossen
Radek einen ganzen Artikel widmet, in dem gesagt wird, Radek
unterscheide sich dadurch von den anderen Führern der K.I.,
daß er eine klare, nüchterne Erkenntnis der Dinge habe usw.
(Zurufe: Hört, hört!) Ich will nicht behaupten, daß Genosse
Radek in dieser Frage die Anerkennung seitens des Sozialdemo?
kratischen „Vorwärts“ voll verdiene. Aber teilweise hat er sie
schon verdient.
Und wenn dem Genossen Radek die ganze Lage noch nicht
klar war, so glaube ich, daß er als erfahrener Politiker auf Grund
dieses Artikels sich doch Gedanken machen wird. Er wird sich
fragen, wie es komme, daß der „Vorwärts“ ihn zum klaren, nüch?
ternen Politiker macht.
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mehr er hier redet, sich um so besser selbst bekämpft, ferner vom
Genossen Rosmer, von dem wir Besseres erwartet haben und noch
erwarten. Die französische Partei als Ganzes hat diese Richtung
scharf und richtig bekämpft.
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Kommunist oder wenigstens kein Marxist! Ich überlasse diese
Beute dem Genossen Bucharin, der ihn in seiner Programmrede
kritisieren wird. Aber die deutschen Arbeiter werden nicht zu*
lassen, daß in ihrer theoretischen Zeitschrift unmarxistische
Programmartikel gedruckt werden. Ein Beispiel: Dieser Boris
erklärt, koloniale Extraprofite gebe es in Wirklichkeit nicht. A ber
das ist ja die „Prosa“ der II. Internationale. Der ganze Imperia*
lismus der Sozialdemokratie beruht eben auf dieser Tatsache der
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Extraprofite, die die imperialistischen Länder von den Kolonien
beziehen. Der Redakteur der Zeitschrift, Genosse Korsch, „ver*
teidigt“ den Genossen Lenin gegen manche Abweichungen vom
Leninismus. Ich glaube, wir sollten dem Genossen Korsch den
freundschaftlichen Ratschlag erteilen, daß er zunächst den Marxis*
rrius und den Leninismus studiert.
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Ich hörte, daß die deutsche Parteizentrale eine Resolution
— % ____
gefaßt hat, in der sie den Artikel von Boris desavouiert. Es ist
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4 gut, daß sie das tut, aber das all'ein genügt nicht. Ich glaube nicht
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zu viel von "der deutschen Partei zu fordern^ wenn ich verlange, daß
r die Zeitschrift „Die Internationale“ sich in Händen von Marxisten
befindet und nicht in Händen derjenigen, die den Marxismus noch
% « zu studieren haben.
Wenn Genosse Graziadei ein überzeugter Revisionist ist, so
tut es mir leid, er ist ja in vielen Dingen ein guter Genosse, aber
man kann nicht zugleich Revisionist und Kommunist sein. Die
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Kommunistische Internationale kann nicht dulden, daß wir in
diesen Fragen unseren Genossen freie Hand lassen. Wir sind alle
manchmal von der Politik zu sehr in Anspruch genommen, um alle
Broschüren, Bücher und Artikel lesen zu können. Manche sagen:
wir haben keine Zeit, das zu lesen. Das ist nicht Leninismus und
auch nicht Marxismus. Es gibt eine große Generation der Studie*
renden Jugend und Arbeiter, die das lesen, die sich kommunistische
Bildung aneignen, wollen. Wir müssen * in dieser'Frage reinen
Tjscfr niächen und dürfen nicht dulden, daß „das weiter so geht.
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sich jemand von uns je vorgestellt hat, und zwar nicht deshalb,
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9 weil unsere Genossen schlechte Menschen sind — die Menschen
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sind in der Regel ganz gut — sondern weil das eben aus dem
jetzigen Zeitabschnitt der Weltgeschichte kommt.
Wir machen jetzt eine Periode zwischen zwei Wellen der
Revolution durch, und es ist natürlich, daß in dieser Periode unbe*
dingt rechte Gefahren auftauchen müssen. Die Ueberreste der
Sozialdemokratie sind in unserem eigenen Lager größer, als wir
sie uns jemals vorgestellt haben- Wir werden und müssen diese
rechten Abirrungen bekämpfen, aber wir werden sie nur dann mit
Erfolg bekämpfen, wenn wir dem Wortradikalismus und dem
„theoretischen“ Revisionismus absolut keine Konzessionen machen,
nur dann, wenn wir zielbewußte ultralinke Abweichungen be*
kämpfen in dem Augenblick, wo sie irgendwelche Bedeutung be* 9
kommen.
DIE WELTWIRTSCHAFTSLAGE .
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Niemand hat bewiesen, daß in seinen Thesen etwas unrichtig ist.
Die Einschätzung ist richtig, und welches ist diese Einschätzung?
Der III. und IV. Kongreß haben dazu gesprochen, da ist nicht viel
zu ändern. Der Kapitalismus befindet sich nach wie vor in) einer
Niedergangsperiode. Wir haben Anfänge einer neuen ökono*
mischen Krise in Amerika, haben eine Weltagrarkrise. Wir haben
in einigen europäischen Ländern teilweise einen kleinen Auf*
schwung, meistenteils in einem Lande auf Kosten der anderen
Länder. Die Sozialdemokratie meint, die Lage wäre normal.
Hilferding triumphiert, er sagt, jetzt gehen wir einer neuen Stabile
tät entgegen. In der Zeitschrift „Die Gesellschaft“ behauptet er,
das würde geschehen, sobald die Sicherheit in Mitteleuropa wieder*
hergestellt werden würde! Nur die „Kleinigkeit“ fehlt, daß die
Sicherheit nicht geschaffen werden kann. Diese Sicherheit besteht
nur in Sowjetrußland, gerade in dem Lande, von/dem er schreibt,
daß die Lage dort noch nicht normal ist.
Wenn es „normal“ ist, daß die Valuta in Deutschland, in
Oesterreich, in Polen gestürzt und geradezu eine Katastrophe er*
lebt hat, sich zwar jetzt gebessert, aber unbedingt nochmals
stürzen wird, wenn das normal ist — bitte! wir wünschen euch
veiter solche „normalen“ Zeiten. Wenn das normal ist, was mit
dem französischen Franken geschieht, so wünschen wir ihm auch
weiter solche „Normalität“! Wenn es „normal“ ist, daß eine
Agrarkrise in der ganzen Welt herrscht, daß 40 Proz. der Farmer
in Amerika zur Verarmung verurteilt sind, daß wir jetzt etwa
7 Millionen Arbeitslose haben — wenn das normal ist, so zeugt
eine solche „Normalität“ eben von der Dimension der Krise, die
die bürgerliche Welt durchmacht.
Wir wissen wohl, daß der Klassenkampf sich verschärft, daß
der Lebensstandard der Arbeiterklasse niedriger und niedriger
wird, in Deutschland 20 bis 40 Proz. niedriger ist als im Jahre 1923,
daß die Arbeitswoche weit über 48 Stunden beträgt, daß sogar in
England der Reallohn oft nur 75 Proz. der Vorkriegszeit ausmacht,
daß in Frankreich, wo keine Arbeitslosigkeit herrscht, wo eine
große Immigration besteht, die Teuerung doch viel höher ist als
die Zunahme des Arbeiterlohnes, daß in Deutschland, Oesterreich,
Ungarn usw., in einer ganzen Reihe von Ländern der Reallohn
50 bis 75 Proz. der Vorkriegszeit beträgt. Also nicht nur relativ,
auch absolut verschlimmert sich die Lage der Arbeiterklasse immer
mehr. Darum müssen wir konstatieren: es ging nicht so schnell,
wie wir uns dachten. Aber die Periode der Krise, des Nieder*
ganges, des Unterganges des Kapitalismus hält an.
Auf politischem Gebiete ist sie noch krasser als auf ökono*
mischem, weil das politische Gebiet ein empfindlicherer Barometer
ist als das ökonomische. Es kann nicht die Rede sein von einer
3 33
Stabilität der weltwirtschaftlichen Lage. Die Bourgeoisie sieht
hier schwärzer als die Sozialdemokraten, diese Lakaien der Bour*
geoisie, denn die Bourgeoisie steht viel näher zur bürgerlich*
ökonomischen Wirklichkeit. Es besteht für uns absolut kein Anlaß
dazu, auf diesem Gebiet die Auffassung der K.I. zu ändern, wie sie
in den Resolutionen des III. und IV. Kongresses niedergelegt sind.
34
Die Kommunistische Internationale hat also diese wichtigsten
Tatsachen vorausgesehen. Jetzt sind sie eingetreten. Wir haben
wirklich eine ganz neue Lage vor uns: eine gewisse demokratisch*
pazifistische Periode in den wichtigsten Ländern Europas ist unver*
meidlich. In England — Arbeiterregierung, in Frankreich — der
linke Block, wo die Sozialdemokraten de fa cto , aber nicht de jure
einen Bestandteil der Regierung bilden, in Dänemark — eine
Arbeiterregierung, in Oesterreich ein großer Sieg der Sozialdemo*
kraten, in Belgien wird wahrscheinlich Vandervelde nach den
Wahlen in der Regierung sitzen, eine neue Linksregierung in Japan,
in der Tschechoslowakei und in Polen werden analoge Erscheinun*
gen oder wenigstens teilweise neue Nuancen aufkommen im
Zusammenhang mit dem Sieg des linken Blocks in Frankreich,
denn die Bourgeoisie der Tschechoslowakei und Polens ist doch nur
ein Vasall des bürgerlichen Frankreichs. Wir haben in Amerika
die Unterstützung des pazifistischen „Sachverständigengutachtens“,
ferner den Anfang der Bewegung der sogenannten dritten Partei.
Wir haben weiter die Anerkennung Sowjetrußlands de jure
durch verschiedene Länder. All das zusammengenommen ergibt
eben diese demokratisch*pazifistische Welle. Sie wird unbedingt
bei den sozialdemokratischen Arbeitern und auch, Genossen, bei
uns in den am wenigsten erprobten Schichten der Kommunisten
neue Illusionen erwecken und die Stimmungen aller halbbewußten
„Rechten“ stärken. Das sollen wir ganz klar sehen.
geschenkt durch die Deklaration, die Sie ja alle kennen. Die fran?
zösischen Sozialisten stimmen für die Besetzung der Ruhr, sie
i werden für das Budget Herriot stimmen müssen. Ich glaube, die
Zeit ist nicht mehr fern, wo die Regierung Herriot auf die franzö?
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sischen Arbeiter schießen wird. Herriot wird auf die französischen
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Arbeiter wahrscheinlich ebenso schießen wie Poincare und Co es
taten. Ich glaube nicht, daß die Illusionen lange in Frankreich
Boden haben werden.
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4
Umständen unvermeidlich kommen. Aufgabe des V. Welt*
kongresses muß es sein, hier klar zu sehen, diese Illusionen zu
bekämpfen, an die sozialdemokratischen und parteilosen Arbeiter
heranzukommen und ihnen in die Köpfe zu hämmern, was jetzt in
Europa in Wirklichkeit vorgeht, ihnen zu beweisen, daß der
„Pazifismus“ ein Einschläferungsmittel ist, um die Arbeiter zu
schwächen — besonders in den zwei wichtigsten Ländern: England
und Frankreich.
Das Sachverständigengutachten enthält eine Reihe von
Shylock*Forderungen, aber die deutsche Arbeiterklasse hat noch
nicht gesprochen, die /internationale Arbeiterklasse wird noch ihr
Wort sagen. Wenn sie auch nicht die Kraft haben sollte, sofort in
der nächsten Zeit diese Forderungen von sich zu weisen, so ist es*
doch unsere Pflicht, die Arbeiter schon jetzt darüber aufzuklären,
womit die Sache enden wird, und daß wir, Kommunisten, unseren
Standpunkt noch klarer betonen, als es bisher der Fall war. Unsere
Agitation muß sich in vielem ändern, weil wir uns in einer neuen
Lage befinden. Man betrachte z. B. die Frage der Abrüstung.
Die Kriegsgefahr.
Ist denn nicht der Augenblick da, wo wir Kommunisten an die
Sozialdemokraten die Frage richten müssen, die Friedrich Engels
in seiner bekannten Broschüre aufgeworfen hat: „Kann Europa
abrüsten?“
Soll man jetzt nicht zu ihnen sagen: in England ist eure
„Arbeiterregierung“, eine Regierung der II. Internationale, am
Ruder, in Rußland ist eine Räteregierung, eine Regierung, die den
Prinzipien der III. Internationale nahekommt, an der Macht; die
zaristischen Kosaken sind nicht mehr, der russische Zarismus ist
nicht da, die Sowjetregierung ist stets bereit, abzurüsten. Also ihr
habt eine Arbeiterregierung in England, einen linken Block in
Frankreich, wo die Sozialisten faktisch an der Regierung beteiligt
sind- Ihr habt eine „demokratische“ Aera auch in Amerika; in
Oesterreich, in Belgien seid ihr stark. Ihr sagt, ihr wollt keinen
Krieg, also bitte, wollt ihr nicht den Abrüstungsplan unterstützen?
Wir wissen sehr wohl, sie gehen dieser Frage nicht nur aus
dem Wege, sondern unterstützen in England und in Frankreich
und allerorts sogar die Rüstungen. Ich habe das als ein Beispiel
angeführt. Man kann die Beispiele vermehren.
Das ist in groben Zügen die internationale Lage.
37
*r\
38
Belgien, wie auch in einer ganzen Anzahl anderer Länder, z.B. Däne*
mark usw. Was bedeutet das? Die Sozialdemokratie behauptet,
sie sei der Bourgeoisie feindlich gesinnt. Was würde man sagen,
wenn z. B. unsere russische Sowjetregierung den General Denikin
als Minister engagiert hätte? Man würde sagen, das sei ein Be*
weis, daß die Sowjetregierung nicht mehr regieren kann wie früher,
daß sie zu wanken beginnt, daß das Problem der Macht zu einem
brennenden Problem für sie geworden ist. Für die Bourgeoisie
ist die Sozialdemokratie eben nicht das, was Denikin für uns ist,
obwohl die Sozialdemokraten behaupten, Feinde der Bourgeoisie
zu sein. Aber dennoch beweist die Heranziehung Sozialdemokrat
tischer Minister, daß die Lage der Bourgeoisie gar nicht stabil ist,
daß sie nicht etwa in einem kleinen Lande wie Estland oder Däne*
mark, sondern auch in England die Macht eine Zeitlang durch die
Hände einer sogenannten Arbeiterregierung verwirklichen muß.
Das ist einer der besten Beweise dafür, wie unsicher die Lage ist,
dafür, daß die Lage objektiv revolutionär ist, und das ist wieder
der taktische Schlüssel zu unserer Position.
39
andere Taktik befolgen, als es Radek möchte. Das wichtigste dabei
ist, daß die Sozialdemokratie zu einem Flügel des Faschismus ge*
worden ist. Das ist eine wichtige politische Tatsache. Was ist
die sozialistische Partei Frankreichs anders als ein linker Flügel der
Bourgeoisie? Bei den Wahlen ist das sozusagen notariell fest*
gestellt worden. Es gab eine gemeinsame Liste der bürgerlichen
und der sozialistischen Parteien. Der ganze Unterschied bestand
darin, daß die Namen der bürgerlichen Parteien rechts und die der
sozialistischen links standen. Welche Beweise bedarf es noch?
Die französische sozialistische Partei ist der linke Flügel der fran*
zösischen Bourgeoisie. Sie treibt noch ein Versteckspiel, sie sitzt
noch nicht direkt in der Regierung, aber sie ist ein mitregierender
Faktor. Je weiter die Entwicklung geht, desto ersichtlicher
wird das.
Die II. Internationale ist der linke Flügel der Bourgeoisie, die
mitregierende Partei der Bourgeoisie geworden. Darin äußert sich
nicht nur der sozialverräterische Geist der Sozialdemokratie, son*
dern auch die Unsicherheit der Lage der Bourgeoisie, aus der
heraus sie zu diesen Mitteln greifen muß.
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4
fr
nossen eine statistische Mehrheit von 99 Proz. oder weiß Gott
4
42
t
Ist die größte Gefahr, die wir in der tschechischen Partei jetzt
haben sollen, wirklich die Gefahr, daß wir zu früh losschlagen
könnten? Sie wissen wohl, daß diese Gefahr in der Tschechow
Slowakei nicht besteht. Also warum mit diesem Artikel kommen?
Und was bedeutet er objektiv nach dem kürzlich stattgefundenen
Kampf in der deutschen Partei und in der K. I. überhaupt? In
dieser Lage bedeutet dieser Artikel nichts anderes als die Unter*
Stützung der Rechten. Das soll man ganz offen aussprechen. Ich
hoffe, daß Genosse Hula auf seinen Fehlern nicht bestehen wird.
Wir begehen alle gelegentlich Fehler; wenn wir einen Fehler ge*
macht haben, so sollten wir ihn korrigieren. Aber wenn Genosse
Hula anders denkt und wenn er sich daraus eine Theorie1machen
will und die tschechischen Genossen ihn darin unterstützen werden,
so wird ein ernster Kampf der K. I. mit diesem Flügel der tschechi*
sehen Partei absolut unvermeidlich sein, denn aus diesen Theorien
folgt die Praxis der Rechten in der deutschen Partei, dabei ist in
manchen Beziehungen die Lage in der tschechischen Partei noch
viel schwieriger.
43
wir in den Betrieben keine kommunistischen Zellen haben, sind
wir keine kommunistische Partei.
Zweitens müssen wir eine richtige Taktik in den Gewerks
schäften anwenden, in den Gewerkschaften kommunistische Fraks
tionen bilden und sie von innen zu erobern wissen.
0
44
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Ueber Teilforderungen.
Ich möchte noch ein paar Worte über die Teilforderungen
sagen. Wir Bolschewiki gingen mit den Menschewiki nicht des?
halb auseinander, weil wir gegen Teilforderungen waren, sondern
deshalb, weil wir es verstanden, diese Teilforderungen mit den
Grundfragen der Revolution zu verknüpfen. Für die Menschewiki
waren die Teilforderungen ein Schritt zur Ersetzung der Revolution
durch die reformistische Evolution, für uns aber waren sie ein
Kettenglied in der Vorbereitung der Revolution.
Wenn die deutschen Genossen eine Kampagne für den Acht?
stundentag oder für politische Amnestie führen, so sind es Teil?
forderungen, die wir aufstellen müssen, falls wir eine Massenpartei
sein wollen. Ist die Forderung des Achtstundentages oder die der
politischen Amnestie ein Endziel? Nein, es sind bloß Teilforde?
rungen. Prinzipiell unterscheidet sich die von der K.P.D. seinerzeit
aufgestellte Forderung der 51prozentigen Sachwerterfassung nicht
von anderen Teilforderungen. Aber es gilt in jedem Augenblick die
„Teilforderung“ aufzustellen, die Anklang in den Massen findet,
und es gilt, sie in Zusammenhang zu bringen mit der Vorbereitung
zur R evolution. Ich glaube, die wirkliche Linke der K.I., die wahr?
haft leninistisch ist, kann prinzipiell keinesfalls die Taktik der Teil?
forderungen bekämpfen, sondern muß auf Grund dieser Taktik
es verstehen, eine wirkliche Politik der Revolution und nicht der
Evolution zu betreiben.
45
Reformismus. Dieser Prozeß hat im Jahre 1917 angefangen mit
der russischen Revolution, hat sich ganz allmählich entwickelt,
aber jetzt sieht er dem Ende entgegen, wo die Quantität in
Qualität Umschlägen wird.“
Es hat den Anschein, Genossen, daß er recht hat. Er sagt
ferner, es beginnt ein Auseinandergehen des besten Teils der eng*
lischen Gewerkschaften und der Labour*Party, die doch bisher
auf Grund der Gewerkschaften aufgebaut war.
Ich glaube, Genossen, das ist im allgemeinen richtig. Sehen
Sie, was dort vor sich geht. Plötzlich erobert ein Genosse, der den
revolutionären Ansichten nahesteht, wie C ook, eine große Ge*
werkschaft, die der Bergarbeiter. Man soll das nicht überschätzen.
Selbstverständlich, es sind nur Anzeichen, Symptome, aber, Ge*
nossen, man soll es auch nicht unterschätzen.
Die Haltung der Engländer in Wien auf dem Kongreß der
Amsterdamer war eine symptomatische Erscheinung. Ihr wißt, die
Leute sind inkonsequent, aber sie werden von der Masse getrieben.
Die Leute sind aufgestanden und haben Sassenbach gefragt,
wo ist Rosa Luxemburg, wo ist Karl Liebknecht? Was bedeutet
das? Die englischen Gewerkschaften waren bisher die Hauptstütze
für Amsterdam. Sie sind für Amsterdam dasselbe was die russische
und die deutsche Partei für die Kommunistische Internationale
sind. Was wäre, wenn die russische und die deutsche Kommu*
nistische Partei, sagen wir, auf diesem Kongreß sozialdemokratische
Reden gegen die Kommunisten halten würden?! Jedermann würde
sagen: das ist die Krise der Kommunistischen Internationale, die
wirkliche Krise, nicht die Krise, die Radek täglich in seiner Westen*
tasche hat und nach der wir mit jedem Monat stärker werden. Es
wäre also eine wirkliche Krise. Nun, diese Krise ist bei den
Amsterdamern da. Was heißt das, wenn die Engländer fragen:
„Wo ist Rosa Luxemburg und Liebknecht?“ Sie sagen damit das*
selbe, was wir wiederholen, nämlich, daß die Sozialdemokraten
die Komplizen oder Schuldigen an der Ermordung von Rosa Luxem*
bürg und Karl Liebknecht sind. Gewiß, die Leute sind inkonse*
quent. Sie haben kein Programm. Sie haben teilweise aus demon*
strativen Motiven gehandelt, um zu betonen, daß sie im Moment
der Verhandlungen der beiden Regierungen in London eine An*
näherung an die russischen Gewerkschaften suchen. Dennoch ist
es ein ernsthaftes Symptom.
Die Hauptaufgabe der K.I. wird jetzt auf England übertragen.
Auf allen Gebieten. Haben wir in England eine Kommunistische
Massenpartei, so ist es der halbe Sieg in europäischem Maßstab,
und jetzt sind die Bedingungen dafür herangereift. Darum sollen
wir nicht unterschätzen, was in England vor sich geht. Wir kennen
England zu wenig, fast so wenig wie Amerika.
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f
1
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i
Die Entstellung der Einheitsfrontparole.
Nun, Genossen, die Geschichte hat mit dieser Parole sozusagen
einen schlechten Scherz gespielt, was mit Parolen ziemlich oft vor?
kommt. Wir faßten die Einheitsfront als die Taktik der Revolution
im Zeitabschnitt des verlangsamten Tempos der heranwachsenden
Revolution auf. Sofort haben sich Genossen in unseren Reihen
eingefunden, die aus ihr etwas ganz anderes gemacht haben, und
zwar eine Taktik der Evolution, eine Taktik des Opportunismus
gegen die revolutionäre Taktik. Das hat sich allmählich herausge?
stellt. Zuerst hatte es den Anschein, es würde es sich um unbedeu?
tende Nuancen oder stilistische Feinheiten handeln. Wir faßten
die T aktik der Einheitsfront als die T aktik der Vorbereitung der
Revolution auf. A ber manche Genossen aus unserer Mitte legten
sie als die T aktik des Ersatzes der revolutionären T aktik durch
friedliche, evolutionäre M ethoden aus. Wir verstanden diese Taktik
als strategisches Manöver, aber manche Genossen begannen die
Taktik der Einheitsfront zu deuten als Versuch eines Bündnisses
mit der Sozialdemokratie, als Koalition „sämtlicher Arbeiter?
Parteien“.
Eine kommunistische Partei hat neulich eine Resolution ange?
nommen, die „nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt ist“, in der
es heißt: Alles schön und gut, strategisches Manöver, nur soll man
nicht so oft davon in der Oeffentlichkeit reden, denn unsere
Gegner werden es sofort aufgreifen. In der Resolution heißt es
'wörtlich:
„Dabei ( das heißt bei der Taktik der Einheitsfront) ist darauf
zu achten, daß wir nicht ohne zwingende Gründe unseren Klassen?
gegnern den Sinn unserer revolutionären Strategie enthüllen.“
Ich glaube, Genossen, das ist entweder naives Kinderspiel oder
Reformismus. Eher das letzte, denn diejenigen, die die Frage so
gestellt haben, sind alles andere eher als Kinder.
Das Hauptunglück, das Pech unserer Parteien besteht darin,
daß, wenn man ihnen eine revolutionäre Strategie gegenüber dem
Feinde, gegenüber dem schlauesten Feinde, der Sozialdemokratie,
vorschlägt, — sie sofort versuchen, diese Strategie zu „vertiefen“,
„marxistisch“ zu „erklären“, eine Theorie abzuleiten, die nicht
kommunistisch ist.
•x- S
48
wissen, was wir wollen“ — das war die Stimmung. Wir wußten,
wir wollen den restlosen Kampf. Wir wußten, wir wollen den Sieg;
wir wollten die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre politisch
vernichten — und dazu manövrierten wir politisch. Das Pech
mancher unserer jungen und nicht nur jungen Sektionen in der
K. I. besteht eben darin, daß sie erstens mitunter ein strategisches
Manöver überhaupt für unzulässig halten, und zweitens, wenn sie
es anwenden, sie es sofort zu ernst nehmen, daß sie sich daraus
eine Methode, ein ganzes tiefsinniges System machen. Daraus
sind 90 Prozent unserer Mißerfolge zu erklären. Wir sind von
Feinden umzingelt; der schlaueste Feind ist die Sozialdemokratie.
Es hat sich gezeigt, daß manche Parteien, manche Genossen
e? nicht verstanden und nicht verstehen wollten, daß T aktik der
Einheitsfront für die Kommunistische Internationale nichts anderes
ist als eine M ethode der Agitation und der Mobilmachung der
Massen.
Ich muß hier zugeben, daß manche Schuld hierbei auch auf
mich zurückfällt. Ich war etwas zu nachgiebig.
Gestatten Sie, daß ich etwas ausführlicher darüber spreche.
Im Juni 1922 hielt ich in der Erweiterten Exekutive eine Rede über
die Einheitsfronttaktik, wo ich sagte: „Einheitsfront bedeutet
keinesfalls politische Konzessionen; es handelt sich nicht darum,
die Selbständigkeit unserer Partei zu beeinträchtigen, sondern
darum, daß unsere selbständigen Kommunistischen Parteien unsere
Parolen zweckmäßig formulieren. Die Arbeiterregierung ist ein
Pseudonym für die Diktatur des Proletariats“.
Ich wurde sofort von dem Vertreter der deutschen Rechten
angegriffen; ich muß sagen, ich habe nicht sofort begriffen, wes*
wegen man mich angriff. Der Genosse Ernst M eyer zum Beispiel
hielt auf dem IV. Kongreß eine Rede, in der er mich deswegen an*
griff. Der Genosse R adek versuchte zu vermitteln und rückte
selber auf dem IV. Kongreß leise von meiner Formulierung ab.
Mein Fehler bestand darin, daß ich damals nicht einsah, daß es sich
nicht um stilistische Formulierung, sondern um eine opportun
nistische Auslegung einer richtigen Losung handelte. Ich nahm
zuerst an, daß ich durch meine schroffe Formulierung vielleicht
tatsächlich den Genossen die Agitation mit dieser Parole vor den
sozialdemokratischen Arbeitern erschwert hätte. Kurz und gut:
ich habe nicht sofort eingesehen, warum man eigentlich diesen Satz
bekämpfte.
49
Bauernregierung hat man versucht, als eine Regierung „aller Ar?
beiterparteien plus einiger Bauernparteien“ auszulegen. Man tut
jetzt manchmal so, als ob dies eine spezifische Parole für eine ganze
Periode sei, als würde sie das Bündnis „aller“ Arbeiter? und
Bauernparteien im Rahmen der bürgerlichen Demokratie bedeuten,
und ähnlichen Unsinn.
Aber in Wirklichkeit ist ja diese Losung, Teufel noch einmal,
mit der Geschichte der russischen Revolution verknüpft. Welches
ist die historische Entstehung dieser Parole? Welchen Sinn hat
diese Parole in der russischen Revolution? Sie war das „Pseudo?
nym“ für die Diktatur des Proletariats, nichts mehr. Als wir nach
den Junitagen 1917 einsahen: es geht vorwärts, die Arbeiter und
Soldaten sind für uns, wir können einen Teil der Bauern gewinnen
— da standen wir vor der Frage: wie ist das Ziel des Kampfes am
besten, am einfachsten, am klarsten, am gewinnendsten zu formu?
lieren. Die Parole „Diktatur des Proletariats“ wäre für die breiten
Massen nicht so verständlich gewesen. Woher sollte der Analpha?
bet, der Muschik und def russische Soldat diese lateinischen Worte
„Diktatur des Proletariats“ verstehen? Da haben wir diese Worte
ins Russische übersetzt und gesagt: Du Bauer, du Arbeiter, Soldat,
du siehst diese Bande, die uns regiert, wir haben die Macht, wir
haben die Waffen, willst du eine Regierung der Arbeiter und
Bauern haben? Wir haben ihnen diese lateinischen Worte in die
einfache, verständliche Sprache des revolutionären Kampfes über?
setzt. Der Bauer, der Arbeiter und Soldat ist nicht verpflichtet,
zu wissen, was Diktatur des Proletariats heißt. „Arbeiter? und
Bauernregierung“ hat er verstanden.
Manche unserer Genossen sind dazu gekommen, daß sie diese
Losung als Regierung „aller“ Arbeiterparteien gemeinsam mit
manchen Bauernparteien auslegten. Das heißt, man hat aus dieser
Parole das Gegenteil von dem gemacht, was sie sein sollte. Dagegen
muß aufs entschiedenste gekämpft werden.
Ueber „Kompromisse“.
Ich erinnere mich sehr wohl an die Arbeit der Kommission.
Ich will keineswegs sagen, daß alle guten Sätze der Resolution von
mir und die schlechten nicht von mir herrühren. Mein Fehler be*
steht darin, daß ich solche redaktionellen Konzessionen machte,
die später als politische ausgelegt wurden. Vom Standpunkt der
politischen Agitation, des strategischen Manövers muß dieser Satz
als richtig anerkannt werden. Er ist durchaus zulässig.
Im Jahre 1917 schrieb Lenin in seinem Artikel: „Ueber Kom*
promisse“ über ein mögliches Abkommen mit den Menschewiki
und Sozialrevolutionären •zur Bildung einer vor den Sowjets ver*
antwortlichen Regierung durch die letzteren. Er schrieb wörtlich:
„Nun ist eine solche jähe und originelle Wendung der russi*
sehen Revolution eingetreten, daß wir als Partei ein freiwilliges
Kompromiß anbieten können — freilich nicht der Bourgeoisie,
unserem direkten und ersten Klassenfeinde, sondern unseren
nächsten Gegnern, den „führenden“ kleinbürgerlichen Parteien —
den Sozialrevolutionären und Menschewiki.
Nur im Ausnahmefall, bloß kraft der besonderen Lage, die
offenbar nur eine ganz kurze Zeitlang anhalten wird, können wir
diesen Parteien einen Kompromiß vorschlagen, und ich glaube,
wir müssen es tun.
Ein Kompromiß ist unsererseits unsere Rückkehr zu der Juli*
forderung: Alle Macht den Räten, eine vor den Räten verantwort*
liehe Regierung aus Sozialrevolutionären und Menschewiki.
Jetzt, und nur jetzt, vielleicht nur während einiger Tage oder
ein, zwei Wochen, könnte eine solche Regierung sich bilden und
sich vollkommen friedlich konsolidieren. Sie könnte, mit größter
Wahrscheinlichkeit, die friedliche Vorwärtsentwicklung der ganzen
russischen Revolution sichern und hätte außerordentlich große
Chancen, die internationale Bewegung für den Frieden und den
Sieg des Sozialismus weiterzubringen.
Allein im Namen dieser friedlichen Entwicklung der Revolu*
tion — einer in der Geschichte höchst seltenen und höchst wert*
vollen Möglichkeit, einer ausnehmend seltenen Möglichkeit — nur
in ihrem Namen können und müssen die Bolschewiki als Ver*
fechter der Weltrevolution und Anhänger der revolutionären Me*
thoden meiner Meinung nach auf ein solches Kompromiß eingehen.“
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l
Parteien oder sogar noch Bauernparteien haben werden im Rahmen
der „Demokratie“ — das ist der Anfang des Opportunismus.
Wie hat sich die Sache weiter entwickelt? Die Rechte in der
, K. I. ist nach dem IV. Kongreß zur Offensive übergegangen. Es
fand der Leipziger Parteitag statt, wo eine Resolution angenommen
wurde, in der gesagt wird, in Deutschland sei bei der Anwendung
der Einheitsfronttaktik ausschlaggebend die Anknüpfung an die
Illusionen und Vorurteile der breitesten sozialdemokratischen Ar*
beitermassen. Das ist vielleicht eine unglückliche Fassung. Aber
wie ist die folgende Beschreibung der Arbeiterregierung^zu ver*
stehen?
„Sie ist weder die Diktatur des Proletariats noch ein friedlich
parlamentarischer Aufstieg zu ihr. Sie ist ein Versuch der Arbeiter*
klasse, im Rahmen und vorerst mit den Mitteln der bürgerlichen
Demokratie, gestützt auf proletarische Organe und proletarische
Massenbewegungen, Arbeiterpolitik zu treiben . . .“
55
Genosse Radek sagte damals: „Was wollen Sie von Brandler,
Formulierungen sind nicht seine Sache, Brandler ist ein Baus
arbeiter, und wenn er formuliert, so schmeißt er mit Ziegels
steinen.“ Das hat Genosse Radek auf unserem Parteitag gesagt.
Nun gut, Brandler ist ein Bauarbeiter, aber Smeral ist ja kein
Bauarbeiter, wenn er argumentiert, schleudert er keine Ziegels
steine. (Heiterkeit.) Ich muß übrigens sagen, daß der Schluß der
Resolution bei Smeral viel geschickter ausgefallen ist als bei
Brandler. Aber den grundlegenden opportunistischen Satz hat
auch er wiederholt.
Nun, Genossen, wer auf diesem Satz besteht, der gerät in Kons
flikt mit dem Kommunismus und dem Leninismus. Der hat sich
ein Bild von einer besonderen friedlichen Uebergangsperiode der
Arbeiterregierung oder der Arbeiters und Bauernregierung gemacht,
so, als ob alles ohne Revolution, im Rahmen der Demokratie vers
laufen würde.
Nach Leipzig und Prag — und besonders nach Sachsen —
hört die Gemütlichkeit auf. Es ist klar, es handelt sich hierbei
nicht um Worte, sondern um * zwei Systeme der Politik. Die
deutsche Linke, von der wir eine Zeitlang geglaubt haben, sie
übertreibe vieles (und in manchen Dingen hat sie tatsächlich sehr
übertrieben) hatte in diesen Dingen recht. Sie waren die einzigen,
die in Moskau den Ausgang des sächsischen Experiments voraus?
sagten. Das machte uns nachdenklich und zwang uns, die Linke
mit anderen Augen anzusehen.
Das sächsische Experiment hatte eine neue Lage geschaffen,
es drohte, den Anfang der Liquidierung der revolutionären Taktik
der Komintern zu bringen, und da müssen wir eben wählen und
klar aussprechen, um was es sich handelt.
56
Die T aktik der Einheitsfront bleibt voll in Kraft. Wir. sind nach
wie vor für die A rbeiter* und Bauernregierung. In ihrer Instruk*
tion sagt die deutsche Partei mit Recht: Zum Beispiel für ein
Land wie Italien ist die Losung der Arbeiter* und Bauernregierung
ganz richtig. Ich glaube, für Frankreich und eine Reihe anderer
Länder ist diese Parole ebenfalls am Platze. Ich glaube, wenn
wir diese Parole so verstehen, wie sie die Russische Kommu*
nistische Partei verstanden hat, so wird niemand von der wirk*
liehen Linken etwas gegen sie einzuwenden haben.
Woher stammt die Parole? Es wurde manchmal so dargestellt,
Radek hätte sie sich aus den Fingern gesogen. Das stimmt nicht.
Die Parole ist aus der Geschichte der russischen Revolution gekom*
men, und was Radek mit ihr tat, ist nur eine Verdrehung. Wir
wollen diese Parole so anwenden, wie sie die russische Revolution
angewendet hat. Wir haben bereits die Anwendung der Parole der
Arbeiterregierung charakterisiert. (Zwischenruf R adek: Wir haben
in Rußland eine Koalition mit den linken S.R. gemacht.) Wir
werden es nicht ablehnen, auch in Europa in die Räteregierung
dieses oder jenes Bruchstück der Sozialdemokratie aufzunehmen,
soweit es sich von der Sozialdemokratischen Partei lossagen und
geneigt sein wird, uns eine Zeitlang zu unterstützen. Das war-
auch mit den linken Sozialrevolutionären der Fall. Das war ein
Stück, das sich von der Partei der S. R. losgelöst und einen Teil
der Bauernschaft hinter sich hatte. Wir haben sie ins Schlepptau
genommen. Aber sobald sie wieder in ihrer Sozialrevolutionären
Sprache zu reden begannen, wurden wir sie los. Das war eine
richtige Strategie. Hingegen der Plan des Paktes mit der sozial*
revolutionären und der menschewistischen Partei nach dem Ok*
tober war falsch. Es war im Moment der Oktoberrevolution, als
eine Gruppe von Genossen glaubte, es sei möglich, eine Koalition
mit den Sozialrevolutionären und den Menschewiki einzugehen.
Ich selbst gehörte Momente lang zu der Gruppe, die diese Meinung
vertrat. Aber es war ein gewaltiger Fehler. Wir haben das schnell
eingesehen und verbessert. Und deshalb hat schon nach einigen
Tagen Genosse Lenin einen Artikel geschrieben, in dem es hieß,
der Streit sei vorbei, nun kämpfen wir gemeinsam weiter. Also,
ihr wollt diese irrige Politik auch auf andere kommunistische
Parteien übertragen. Um keinen Preis!
D ie Fehler, die in der russischen Revolution begangen worden
sind, werden dadurch ein wenig gerechtfertigty daß sie nicht in
anderen Revolutionen wiederholt werden. So verhält es sich auch
mit der Taktik der Einheitsfront. Es handelt sich nicht darum,
daß man die Einheitsfronttaktik an sich revidiert und an ihr
herumpfuscht. Das wäre überflüssig. Es handelt sich nicht darum,
eine „neue“ Taktik auszudenken; ich schwanke keinen Augenblick,
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4
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%
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t
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eigreifung haben, muß sie sich überlegen, wie sich die Bauern ver?
halten werden, wie das flache Land auf das Wachstum der Arbeiter?
partei reagieren wird. Deshalb ist für uns die Parole der „Arbeiter?
und Bauernregierung“ ein Ausdruck dessen, daß wir in manchen
Ländern in nicht allzu ferner Zukunft die Frage der Machter?
oberung aufstellen werden. Das ist der Ausdruck dafür, daß dem
Proletariat die Hegemonie in der Revolution und der Partei die
Führung des Proletariats gehören muß. Es war für uns gewisser?
maßen der Uebergang von der Propaganda zur Massenagitation,
zur revolutionären Tat.
Es besteht ein Unterschied zwischen Agitation und Propa?
ganda. Am lapidarsten hat diesen Unterschied Plechanow ausge?
sprochen, als er noch Marxist war: die Propaganda ist die Vermitt?
lung eines gewissen Ideenkomplexes an einen kleinen Zirkel von
Personen; Agitation ist, wenn wir eine Hauptidee an eine große
Masse von Leuten weitergeben. Ich glaube diese Definition kann
uns genügen. Sie ist richtig. Die Parole „Arbeiter? und Bauern?
regierung“ entstand eben dadurch, daß wir in manchen Parteien
schon von der üblichen Propaganda des Kommunismus zur Massen?
agitation in den Volksmassen und zur Vorbereitung des Kampfes
um die Macht übergehen mußten. Wenn wir die Frage des Kampfes
um die Macht stellen, müssen wir eben dieses Stichwort ausgeben,
das volkstümlich ist, das Anziehungskraft hat, das bei guter revolu?
tionärer Auslegung für die Arbeiter ein Magnet sein kann, für alle
diejenigen Schichten, die wir teilweise neutralisieren und teilweise
für uns gewinnen müssen.
Also, für uns ist die Parole „Arbeiter? und Bauernregierung“
der Ausdruck der führenden Rolle, der Hegemonie des Proleta?
riats in der Revolution. Sie ist ein Ausdruck des W illens zur
M acht, des Dranges, eine eigene Regierung zu bilden, die das Land
verwaltet und die dem Bauern gegenüber geschickt manövriert.
Und diese lebendige Idee des Leninismus, diesen lebendigen Quell
dea Leninistischen Schaffens und Agitierens in den Massen hat man
versucht (und teilweise mit Erfolg) durch opportunistische Aus?
legung zu vernichten!
%
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Der linke Genosse Buvian (der junge Burian) in der Tschecho*
r
Slowakei schreibt z. B., die Einheitsfronttaktik sei die „Hauptquelle
f des Revisionismus“. Das ist nicht richtig. Wer ein Revisionist ist,
wird schon eine Quelle finden. (Heiterkeit. Rufe: Richtig!). Er wird
sie im Parlamentarismus finden usw. Wir können nicht die Sozial*
J demokratie besiegen, wenn wir uns vor unserem eigenen Schatten
fürchten und sagen, Einheitsfronttaktik sei eine Quelle des' Revi*
sionismus. Die Taktik muß man annehmen, aber man muß sie
vom opportunistischen Schmutz reinigen.
Es werden sich stets Leute finden, für die diese Parole eine
.„Quelle“ des Revisionismus ist. Wir müssen das Gute, das
Leninistische der Einheitsfronttaktik entnehmen, müssen von der
Parole der Arbeiterregierung des Volkstümlichste nehmen, und das
Vertrauen der Massen gewinnen, nicht nur der Arbeiterklasse,
sondern auch aller Unterdrückten. Wir, die wirklichen Linken der
K. I„ müssen diese Arbeit in unsere Hände nehmen, nur dadurch
werden wir die Fehler der wirklichen Rechten beseitigen und jene
Rechten überzeugen, die man überzeugen kann und diejenigen
bekämpfen, die nicht zu überzeugen sind. Der V. Kongreß darf
seine Aufgabe nicht darin erblicken, zu erklären, die Einheitsfront
sei nicht richtig, sondern muß Schritte unternehmen zur Schaffung
von Vorsichtsmaßregeln gegen die Entstellung dieser Taktik, muß
eine Art Impfung gegen den Opportunismus vornehmen, wie gegen
Pocken.
In Deutschland ist das Geschwür geplatzt. Dort wurde es zu
Ende getrieben. Die logische Vollendung der rechten Tendenzen
sahen wir in Sachsen.
Ich glaube, wenn es in der Tschechoslowakei zu einem solchen
Platzen des Geschwürs, wenn es zu einer solchen politischen Kata*
Strophe nicht gekommen ist, so nur deshalb, wel dort die Ereignisse
nicht so herangereift waren. Die Stellungnahme des Prager Partei*
tages, der Artikel des Genossen Hula signalisieren dies, und bei
der Apathie und der unklaren Führung der tschechischen Partei
fürchte ich, wenn die Lage so gewesen wäre, wie sie in Deutschland
» war, hätten wir einen zweiten sächsischen Durchfall erlebt.
63
Die englische Partei.
Die politisch wichtigste Sektion der Kommunistischen Inter*
nationale ist jetzt nicht die deutsche, nicht die russische, sondern
die englische. Wir haben dort eine merkwürdige Lage, eine Partei
von dreitausend bis viertausend Mitgliedern, die aber weit
mehr Einfluß hat. In England besteht eiben eine andere Tradition.
Die Partei MacDonalds ist nicht viel stärker als unsere. Ihr Wochen?
blatt „New Leader“ hat eine Auflage von 15 000, unser Blatt von
55 000. In England fehlt die Tradition der Massenparteien. Mit
Recht sagt Max B eer, daß der alte Keir H ardie seinerzeit seine
ganze Partei auf der individuellen Bearbeitung der Führer aufgebaut
hätte. In England eine Kommunistische M assenpartei schaffen —
darin besteht die H auptaufgabe unserer ganzen Periode. Die Vor*
bedingungen sind dazu da. Ich sprach davon ausführlich in meinem
Artikel: „Das erste Jahrfünft der K. I.“
Die großen Massen der englischen Arbeiter hängen noch an
MacDonald und sprechen oft mit Liebe von ihm.
Ich habe das Gefühl, es ist dasselbe wie bei uns in den ersten
Monaten der Kerenski?Regierung. Man durfte kein Wort gegen
Kerenski sagen. Man mußte ihn kritisieren auf Umwegen. Erst
eine Stunde lang reden: Kerenski ist ein guter Kerl, ja fast ein
großer Mann, aber vielleicht begeht er doch manchen Fehler. In
England besteht jetzt eine ähnliche Lage. Die Arbeiter hängen
noch an MacDonald, sind noch voller Illusionen. Er hat eine ver?
hältnismäßig gute Position, darum, weil er noch keine Mehrheit
im Parlament hat. So kann er den Arbeitern sagen: Ich würde
viel mehr bieten, ich habe aber keine Mehrheit. Bei den nächsten
Wahlen, wenn wir eine Mehrheit haben, werden wir zeigen, was wir
sind, wir werden auf treten wie die Löwen, da soll der Tanz los?
gehen.
Die Lage ist also nicht so einfach. Die MacDonald?Regierung
befindet sich noch auf der aufsteigenden Linie der Popularität.
Sollten wir aber passiv warten, bis die Linie abwärts geht, dann
brauchen wir keine kommunistische Partei. Die Sozialdemokraten
werden sowieso bankrott machen, auch ohne uns werden sie früher
oder später politisch krepieren. Das ist unzweifelhaft. Aber wir
sind da, um diesen Prozeß zu beschleunigen. Darum muß unsere
Partei in England heute MacDonald entschieden bekämpfen, damit
die Masse, wenn sie selbst zur Erkenntnis kommt, einsieht, daß
wir, die Kommunisten, schon früher richtig die Lage taxiert haben.
Im Jahre 1921 mußte Lenin gegen W ynkoop und die andern
damaligen „Linken“ dafür kämpfen, daß die Kommunisten in die
Labour Party eintreten. Im Jahre 1924 ist eine andere Lage einge?
treten. Wir haben in England eine „Arbeiterregierung“, wir haben
64
die MacDonald?Regierung. Jetzt muß unser Häuflein Kommunisten
seinen historischen Weg gehen. Es muß 1. zu einer Massenpartei
werden; 2. eine Tageszeitung ins Leben rufen. Wenn man mit den
englischen Genossen darüber spricht, so halten sie das für eine
allzu große Mütze für ihren Kopf und haben Sorge, wie sie da
hineinpassen würden. Wir müssen 3. noch tiefer in die Massen der
Gewerkschaften hinabsteigen, um dort einen linken Flügel zu
bilden; 4. mehr Aufmerksamkeit der Jugend widmen. Bis zur
letzten Zeit gab es keine Jugendbewegung in England, sie steckt
erst in den Kinderschuhen; 5. die koloniale Frage anfassen mit
Wagemut, wie es den Bolschewiki geziemt; 6. die rechten Fehler
dort bekämpfen, wo sie sind, eine andere Wahlkampagne führen,
nicht die Wege gehen, die Rosm er vorschlug, sondern es verstehen,
in der Agitation draufgängerisch zu sein. Das sind die wichtigsten
Fragen für die englische Partei.
Organisatorische Aufgabe.
Die Hauptaufgabe der französischen Partei ist, das Land, die
Industriemittelpunkte außerhalb von Paris zu gewinnen, den
Parteiapparat auszubauen und zu festigen. Wir haben in Paris
8000 Parteimitglieder und dabei 50 000 Abonnenten der „Humanite“
und 300 000 Stimmen bei den Wahlen. ' Was bedeutet das? Eine
beträchtliche Rückständigkeit der französischen Arbeiter. Wir
müssen die französischen Arbeiter an eine andere organisatorische
Praxis gewöhnen. Die Föderation de la Seine soll bald 25 000 Mit#
glieder zählen. Die wichtigste Aufgabe der französischen Partei
ist: die letzten Ueberreste des Frossardismus auszumerzen, das
66
frühere „Zentrum“ muß zusammen mit der Linken mutig und .auf*
richtig marschieren. Die französische Partei muß mit Hilfe der
glänzenden Eigenschaften vor allem der Pariser Arbeiter in der
Provinz gewinnen in dem Moment, wo die sozialdemokratischen
Spitzen sich in Regierungskombinationen mit der Bourgeoisie ein*
lassen werden. Die Betriebszellenbewegung steckt in den An*
fangen. Man spricht viel über „hohe“ Politik. Aber einstweilen
gibt es in Frankreich nur 120 Betriebszeilen. Diese Fortschritte
sind noch nicht sehr ernst zu nehmen. Parteizellen und Betriebs*
räte sind unsere ersten Forderungen an die K.P.F. Die Parole
„Arbeiter* und Bauernregierung“ ist in Frankreich mehr am Platze
als in irgendeinem anderen Lande. Tiefer hinein in die Bauern*
massen, auf das flache Land! Eine gute%kommunistische Presse,
ein fester, organisatorischer Parteiapparat! Bessere internationale
Verbindungen! So lauten die Aufgaben!
68
*
69
Ir
nisse besser als die andern, die deutschen Verhältnisse kennen sie
auch recht gut. Sie stellen sich jetzt auf den Standpunkt des Z.K.
sowohl in der russischen wie auch in der deutschen Sprache. So
behaupten sie.
Diese Erklärung hat nur einen Mangel: Sie kommt etwas zu
spät. Es gibt eine russische Redensart: „Senf nach dem Abend?
essen.“ Nun, Genossen, Senf nach dem Abendessen kann manch?
mal auch gut sein, aber wir wollen lieber Senf beim Essen genießen.-
Was die Durchführung der Einheitsfronttaktik betrifft, so
haben die polnischen Genossen selbst auf ihrer eigenen Konferenz
zugegeben, daß recht große Fehler begangen worden sind. Man
hat in der Presse wiederholt die Arbeit des Genossen Krulikowski
im polnischen Sejm kritisiert. Ich muß sagen, so weit ich sein
Auftreten verfolgen kann, halte ich es für ein heldenmütiges
(Zwischenruf: R adek: Sehr richtig!) für ein richtiges und revolu?
tionäres Verhalten. Man soll nicht wegen einer einzigen geringen
Entgleisung den Genossen am Aermel zupfen, man darf nicht die
Umstände vergessen, die schwierigen Bedingungen der Arbeit im
weißgardistischen Parlament. Im allgemeinen nutzt Genosse
Krulikowski den Parlamentarismus im Geiste Karl Liebknechts
aus. Alles übrige, Genossen, sind Kleinigkeiten.
Ich kann nicht dasselbe sagen vom leitenden Organ der polni?
sehen Partei. Während des Krakauer Aufstandes — wo war unsere
Partei? Sie war nicht da. Ich sage nicht, daß eine Partei immer
die Mehrheit haben muß, aber, Genossen, in einem Moment, wo
ein Aufstand von Regimentern aufflackert, — wenn in diesem
Moment die Kommunistische Partei durch Abwesenheit glänzt, so
gibt das schon zu denken. Ja, die Schwierigkeiten der Arbeit in
Polen sind wirklich groß und ungewöhnlich. Wir wissen wohl,
was illegales Arbeiten unter solchen Umständen ist. Wir kennen
das heroische Wirken der Z.K.?Mitglieder, die unmittelbar in
Polen arbeiten. Aber die politische Spitze des Z.K. krankt an
Diplomatie. Das Z.K, ist nicht einheitlich. Ich bin fest davon
überzeugt: in dem Moment, wo die polnischen kommunistischen
Arbeiter erfahren, wo sie der Schuh drückt, wo in der Führung
etwas falsch ist, wie die wirkliche Kontroverse zwischen ihrem
Z.K. und der Internationale und insbesondere der K.P.R. ist —
in diesem selben Moment werden die polnischen Arbeiter auf
unserer Seite stehen, auf der Seite der Kommunistischen Inter?
nationale, auf der Seite der Kommunistischen Partei Rußlands, und
nicht auf seiten der Diplomatie. Ja, Diplomatie gegen bürgerliche
Feinde, gegen die Sozialdemokraten ist eine ganz gute Sache, aber
nur gegenüber unseren Feinden! Das müssen wir auch manchmal
tun. Gegen eine solche Diplomatie läßt sich nichts einwendem
Aber in unserer Kampfgemeinschaft, in unserer Internationale,
70
hier braucht man keine Diplomatie. Ich glaube, um den Namen der
polnischen Sektion als einer der besten bolschewistischen Parteien
wieder herzustellen, ist es notwendig, ein wenig die Fehler der
Spitzen des polnischen Z.K. zu korrigieren.
71
i
halbwegs der III. Internationale angehört, daß es sich einfach um
ein Mißverständnis handelt, das man aufklären soll.
Gegen die zentristischen Elemente der S.P.I. muß der Kampf
natürlich weitergeführt werden.
72
Internationale nachgeben müßte: nachgeben müssen Bordiga und
seine Gesinnungsfreunde. Wenn sie ihren Dogmatismus loswerden,
werden sie der italienischen Revolution größere Dienste leisten.
74
#
werden. Die Schlußfolgerung ist die: Die internationale Leitung
muß noch mehr kollektiv sein, sämtliche Parteien müssen der
Exekutive, den leitenden Organen der Internationale, die besten
Schüler von Marx und Lenin zuführen, die besten Köpfe, die besten
Organisatoren. Welche anderen Mittel als diese können wir noch
ausdenken? Lenin ist nicht mehr. An seiner statt müssen wir aus
allen Bruderparteien die besten Kräfte aussondern, um die kollek*
tive Leitung der Internationale zu organisieren. Aber nachdem
wir dies leitende Organ aufgebaut haben, nachdem wir eine Exe*
kutive haben, die aus den besten Kommunisten der ganzen Kommu*
nistischen Internationale der ganzen Welt zusammengesetzt ist,
soll in ihr nicht „formelle“ Disziplin herrschen, sondern eine
wahre proletarische und kommunistische Disziplin. Wir nehmen es
Bordiga nicht übel, wir sind nicht so dumm, uns einzubilden: Lenin
ist tot und alles wird beim alten bleiben! Wir selbst appellieren
an euch, Genossen, aus allen Bruderparteien. Lenin ist nicht mehr,
so wollen wir versuchen, wenn nur bis zu einem gewissen Grade,
ihn mit gemeinsamen Kräften zu ersetzen. Wir brauchen die Inter*
nationale zur Befreiung der Arbeiterklasse, wir müssen eine kollek*
tive Führung zustande bringen, ein ehernes Organ, das wirklich
führend eingreift und die kollektive Zusammenfassung der ge*
samten Arbeiterklasse darstellt, den kollektiven Verstand aller
Parteien verkörpert.
75
wir nicht viel besser als Crispien. Wir müssen kämpfen für eine
einheitliche kommunistische Partei ohne Fraktionen und ohne
Gruppierungen.
Die K.P.R.
Was unsere russische kommunistische Partei betrifft, (ich bin
mir darüber klar, daß sie manchem nicht gefällt, sie gefällt Sou*
varine nicht, manchmal auch R adek nicht — Zwischenruf R adek:
Mir gefällt sie sehr! — Sie sehen sogar Radek gefällt sie), so er*
kläre ich ihnen, die K.P.R. ist eine disziplinierte Partei und erblickt
ihren größten Stolz darin, der K. I. das beste zu geben, worüber
sie verfügt. Wir haben nur eine Bitte an euch — ihr mqget das*
selbe tun. Lenin ist nicht mehr. Aber der Leninismus ist ge*
blieben. Um ihm zum Siege in der ganzen Welt zu verhelfen,
brauchen wir eine feste Führung, wir müssen allen Genossen sagen:
wir brauchen noch eine strengere, straffere Disziplin als früher.
Die neue politische Konjunktur in Europa, die lang anhaltende
Periode der Wirtschaftskrise in der ganzen Welt stellt uns vor
große, gewaltige Aufgaben. Wir können sie nur unter der Bedin*
gung bewältigen, daß wirkliche Disziplin zu unserer Elementar*
pflicht wird.
Gewiß, es ist leicht, ein disziplinierter Soldat zu sein, wenn man
in der Mehrheit ist, wenn man alles, was man für die Bewegung
für nützlich hält, durchführen kann. Aber man muß auch in der
Minderheit diszipliniert sein können. Es gab eine Zeit, als wir
sogar im Schoße der II. Internationale straffe Disziplin übten, aber
später wurde es unsere Pflicht und Schuldigkeit, eine linke Fraktion
in der II. Internationale zu bilden (Zwischenruf Wynkoop: Richtig!)
mit allen Mitteln gegen den Opportunismus zu kämpfen und dann
die II. Internationale auch zu spalten. Das war richtig. Aber das
kann nicht mit der III. Internationale geschehen, mit der Lenin*
sehen Internationale, der kommunistischen Weltpartei, die einheit*
lieh, aus einem Guß, wie aus einem Block gehauen sein muß. Wir
werden ihnen nicht sagen, daß alles in unserer russischen Partei
gut sei, aber nach und nach werden wir alle Mängel gutzumachen
wissen. Aber wenn' man hört, wie mir ausländische Genossen die
Worte einzelner Führer unserer Opposition weitergegeben haben:
wartet nur, im Oktober gibt es ein Defizit im Budget Sowjetruß*
lands von 400 Millionen, dann wird sich heraussteilen, wer recht
hatte und wer Unrecht. — So muß die Kommunistische Internatio*
nale eine solche Sprache unmöglich machen! (Stürmischer Beifall).
Die K. I. soll sagen, daß sie ebenso gut wie wir alle weiß,
welche Schwierigkeiten die proletarische Regierung hatte, hat und
haben wird, diese erste proletarische Regierung, die von Feinden
umringt ist (Beifall).
76
Wenn wir nicht allein ein Lippenbekenntnis für Lenins Lehre
ablegen, wenn wir eine wirkliche Leninsche kommunistische Inter*
nationale schaffen wollen, wenn die Resolution über die Bolsche*
wisierung der Partei nicht eine leere Phrase sein soll, dann brauchen
wir eine eiserne Disziplin, dann müssen wir alle Reste und Ueber*
bleibsel des Sozialdemokratismus, des Föderalismus, der „Auto*
nomie“ ausmerzen.
77
Orten der Erde erwarten. Wir müssen bereit sein, alles zu tun,
damit wir nicht in Worten, sondern in der Tat eine wirklich un*
besiegbare Kommunistische Weltpartei werden. (Stürmischer, lang*
anhaltender Beifall, der in Ovationen übergeht, die Delegierten
erheben sich von ihren Plätzen und singen die „Internationale“).
II.
DIE WELTWIRTSCHAFT.
Vorbe: II erkungen.
Manche Redner haben bemängelt, daß die Frage der weiteren
Taktik der Exekutive zusammen mit dem Bericht über die ver*
gangene Berichtszeit diskutiert worden ist. Dies mag eine gewisse
Unbequemlichkeit mit sich bringen, so daß man es auf den näch*
sten Kongressen vielleicht anders machen sollte. Ich persönlich
habe wenigstens dagegen nichts einzuwenden, nur glaube ich, dies
wäre nicht praktisch, weil die Tätigkeit der Exekutive und ihre
allgemeine Linie immer sehr eng mit der taktischen Richtlinie für
die nächste Zukunft verbunden ist. Also, wenn diese Form' der
Diskussion von unseren Kongressen gewählt worden ist, so ist es
nur aus Rücksichten der Zeitersparnis geschehen und aus keinen
anderen.
Ich glaube, wir werden außer der Resolution zur Tätigkeit der
Exekutive, die ziemlich ausführlich sein kann, unbedingt noch
allgemein taktische T hesen annehmen müssen. Diese Arbeit soll
nach unserer Diskussion von der allgemein politischen Kommission
vorbereitet werden.
Unsere Diskussion, Genossen, war diesmal so ausgiebig, wie
noch niemals. Es haben insgesamt 62 Redner gesprochen, ohne die
Deklarationen und Erklärungen zu zählen. Viele Reden waren sehr
wertvolle Beiträge zur Erläuterung der tatsächlichen Lage in dem
betreffenden Lande. Ich kann selbstverständlich nicht auf alle
diese Reden eingehen und muß mich auf das wichtigste konzen*
trieren. Ich will versuchen, zunächst einiges zu ergänzen, was, wie
es scheint, in meinem Einführungsreferat, trotzdem dieses ziemlich
lang war, nicht genug beleuchtet worden ist. Die Länge der Rede
kommt in diesem Falle nicht aus der Liebe zu langen Reden, son*
dem aus dem riesigen Thema, das darin besteht, über 50 bis 60 Par*
teien Bericht zu erstatten und die taktische Linie für die Zukunft
zu skizzieren.
i
Ich will zunächst die Frage der weltwirtschaftlichen Lage noch
ein wenig ergänzend betrachten. Ich habe schon in meinem Ein*
führungsreferat geäußert, daß ich im ganzen dem zustimme, was
in der Broschüre und in den Thesen des Genossen Varga gesagt
worden ist. Gewiß sind da viele Verbesserungen möglich und not*
wendig, niemand wird sich' dagegen wehren, daß man in einer
speziellen Kommission die Thesen noch etwas umarbeitet. Aber
was die allgemeine Linie betrifft, so glaube ich, Genossen, müssen
wir uns hier darüber einigen, ob sie richtig ist oder nicht.
79
ist diese Angelegenheit jetzt viel mehr untergeordneter Natur.
Es verlohnt sich dennoch, auch mit einem einzelnen Genossen,
wie es der Genosse Dengel ist, sich über diese Meinungsver*
schiedenheit zu verständigen. Nebenbei bemerkt, der Genosse
Kreibichj der doch eine ganz andere politische Nuance vertritt,
hat den Bericht des Genossen Varga genau so eingeschätzt wie
Dengel.
Dengel meint, es sei kein Zufall, daß Radek und ich weiß nicht
mehr welche andere Genossen von der Rechten Varga an*
geblich zugestimmt haben. Ich glaube, Genosse Dengel ist hier
ein wenig ein Opfer der Kriegslist „Radek’s“ geworden. Sie
haben wohl gesehen, Radek sucht sich die schwachen Seiten der
Linken heraus, er tastet überall herum, wo es bei den Linken
schlimm aussieht, ob man da vielleicht einhaken kann. Er hat
das auch mit dem Referat des Genossen Varga zu tun versucht.
Ich verstehe schon die „Gefühle“ eines Revolutionärs, beson*
ders eines deutschen Revolutionärs in der gegebenen Lage. Dengel
möchte von unseren Wissenschaftlern, von unseren Oekonomen
~ so eine Marschroute haben, daß es ganz klar wird: heute, morgen
kracht der Kapitalismus zusammen. Die Revolution kommt un*
vermeidlich, eher heute als morgen. Besonders sind solche Stirn*
mungen nach der Oktoberniederlage begreiflich, besonders, nach*
dem man das „Joch“ der rechten Führung abgestreift hat: wo
man wirklich kämpfen will, wo sich die Fäuste von selbst zusam*
menballen, da erwartet man eben, unsere Wissenschaftler möchten
ihre Sache gut machen, das heißt, ein „Schema“ geben, das die
Sicherheit gibt: morgen ist die Revolution da!
Unsere Aufgabe ist es, die Dinge so zu sehen wie sie sind.
Wie gesagt, ich verstehe schon diese Gefühle bei Revolu*
tionären, besonders bei unseren deutschen Genossen, die sich in
einer ganz besonderen Lage befinden. Aber, Genossen, wir
wollen doch den Sieg erringen und nicht nur mit der Faust in
der Luft herumfuchteln. Dazu müssen wir die Dinge so sehen
wie sie sind.
Genosse Varga hat den Auftrag, uns die ökonomische Welt*
läge zu zeigen, nicht nur die Lage in Deutschland. Deutschland
ist ein für die Revolution sehr wichtiges Land. Aber hier wurde
mit Recht behauptet, daß die anglo*sächsischen Länder, in erster
Linie England, auch manche Bedeutung für die Weltrevolution
haben. Wenn ich nicht irre, war es Karl Marx, der sagte: Die
Revolution ohne England ist doch nur ein Sturm im Wasserglas.
Also, alle Ehre der deutschen Bewegung, aber wir müssen
dennoch die ökonomische W eltlage betrachten, nicht allein die
Lage in Deutschland. Wir dürfen nicht vergessen, daß sogar in
Deutschland trotz der mannigfachen Zeichen des Niederganges
und der Zersetzung des Kapitalismus, manche Anzeichen der
Konsolidierung doch da sind. Jeder Arbeiter im Betriebe fühlt
das. Wir brauchen gar ‘ nicht das zu sagen, was nicht da ist.
Ueberhaupt, es gibt Fragen, wo es gar nicht so leicht ist, einfach
ja oder nein zu sagen. Der Sinn mancher Artikel und Reden
war eben der: Ja, ja — nein, nein: was darüber ist, das ist vom
Uebel!
• Die Lage ist eben kompliziert. Man kann nicht dem Genossen
iVarga einen Strick daraus drehen, daß es doch manche Ten*
denzen der Konsolidierung des Kapitalismus gibt. Es gibt sie
leider. Können wir die Augen einfach davor verschließen und
sagen, es gebe sie nicht? Unsere Aufgabe besteht eben darin,
daß wir die Dinge so sehen wie sie sind.
6 81
*
Faktor ausschlaggebend sein könne. Das ist nicht pazifistisch.
Die objektive Lage kann so revolutionär sein wie nur etwas;
wenn kein Machtwille da ist, wenn den unterdrückten Massen
die Erfahrung des Kampfes fehlt, wenn keine kommunistische
Partei vorhanden ist, wird nichts herauskommen.
Es ist gar nicht schlecht, daß dieses kleine Intermezzo ge?
kommen ist; es ist besonders gut, daß Dengel nicht auf seinen
Uebertreibungen besteht, die er aus den besten Absichten heraus
begangen hat.
Aber wir müssen nüchtern sein. Was wäre gewesen, wenn
wir auf dem III. Weltkongreß beschlossen hätten: Die Weltlage
ist so, daß der Kapitalismus in den letzten Zügen liegt — und
dann kommt der IV. Kongreß und der V. Kongreß und der Ka?
pitalismus sitzt immer noch in vielen Ländern ziemlich fest im
Sattel? Ein solcher Selbstbetrug hätte wohl kaum unser Ansehen
unter unseren eigenen Mitgliedern, geschweige denn unter den
sympathisierenden Arbeitern gehoben.
82
so. Aber man darf Varga nicht angreifen, wenn er in der Be*
urteilung der gesamten Wirtschaftslage Vorsicht walten läßt.
Ich glaube deshalb, daß die Thesen des Genossen Varga im
allgemeinen richtig sind. Man kann dem Wunsch der deutschen
Delegation entgegenkommen und die Möglichkeiten der revolu*
tionären Perspektive mehr herausarbeiten, besonders für Deutsch*
land. Man sollte in einer Kommission die Sache überprüfen.
Wir müssen im allgemeinen, besonders aber den jüngeren Ge*
nossen, ein sorgfältigeres Studium der Thesen anempfehlen. Man
kann doch nicht, ohne eine einzige .Tatsache, ohne eine einzige
Zahl vorzubringen, einfach behaupten, Varga habe „pazifistische“
Abweichungen, weil er „pazifistisch“ aussieht. Wir müssen auf
dem Gebiet der Weltwirtschaft mehr als je studieren, mehr als
auf jedem anderen Gebiete hinzulernen, mehr als auf jedem an*
deren Gebiete vorsichtig sein in unseren Schlüssen.
85
Ereignisse in der allerletzten Zeit. Sie werden sich z. B. er*
innern, was für Krisen die Bourgeoisie vor dem Krieg erlebte.
Als z. B. in Frankreich sich die Dreyfuß*Affäre abspielte, sprach
man jahrelang von ihr, man hielt sie für eine gewaltige Krise für
die Bourgeoisie, oder z. B. der Kampf gegen das Dreiklassen*
Wahlrecht in Preußen. Was ist das alles im Vergleich zu den
Kämpfen der letzten Zeit? Wenn z. B. vor dem Kriege in
Belgien wegen des allgemeinen Wahlrechts gestreikt wurde, so
schrieb die Genossin Rosa Luxemburg eine ganze Abhandlung
über dieses Ereignis. Vergleichen Sie das alles mit dem, was
jetzt täglich vorkommt. Zum Beispiel die Ermorderung Matte*
ottis, die Ruhrbesetzung, die Ermordung Rathenaus, den Auf*
stand in Bulgarien, Hamburg und Krakau, den Linksblock in
Frankreich, die Arbeiterregierung in England und Belgien, die
riesige Streikwelle, das Anwachsen der revolutionären Bewegung
im Osten. Wenn jetzt eine halbe Million Arbeiter streiken,
bringen wir in der Presse zwanzig Zeilen darüber und gehen
zur Tagesordnung über. Das ist ein Beweis dafür, wie rasch der
Klassenkampf riesige Fortschritte macht, wie schnell wir dem
Endsieg entgegengehen.
Die demokratisch*pazifistische Aera, ein Zeichen des Zerfalls
des Kapitalismus.
Die Kretins in der Sozialdemokratie glauben, daß die geeignete
Zeit gekommen sei, wo man endlich aufatmen und sagen kann:
der Kapitalismus hat sich konsolidiert. Sie verstehen nicht, daß
gerade diese dem okratiscfepazifistische Aera so, wie sie ist, der
Ausdruck, das Symptom dessen ist, daß der K lassenkam pf riesig
fortgeschritten ist, daß der Kapitalismus nicht mehr mit alten
Mitteln regieren kann, und daß diese dem okratiscfepazifistische
Aera objektiv dazu angetan ist, den zerrütteten und vom Kriege
untergrabenen Kapitalismus noch m ehr zu zerrütten. Viele Sozial*
demokraten stellen sich die Sache so vor: die Reaktion wurde von
der Demokratie abgelöst, die Demokratie von der Reaktion, dann
wieder die Reaktion von der Demokratie, während die schöne
Dame Demokratie nicht mitgenommen, sondern immer schöner
und jünger wird. So stellen die Herren Sozialdemokraten sich die
Sache vor und begreifen nicht, daß unter den breiten Schichten
der Werktätigen jede solche Ablösung tiefe Veränderungen in den
politischen Stimmungen auslöst. Die Sozialdemokraten irren, wenn
sie diese Aera bloß als eine der neuen Episoden in der Geschichte
des Parlamentarismus ansprechen. Für die Volksmassen ist sie
immer verbunden mit ihrer ökonomischen Lage, mit ihrer ganzen
Lebenslage. Wenn die Bourgeoisie zusammen mit der Sozialdemo*
kratie von dem rechten Ufer des Faschismus zum sogenannten
86
j
„linken“ Ufer der Demokratie pendelt und wieder zurück, so wird
bei all dem der Kapitalismus erschüttert, und das kommunistische
Bewußtsein der Massen nimmt zu. Das ist eben die konkrete Vors
bereitung der proletarischen Revolution, wie sie vor sich geht.
Also keinesfalls ist die demokratisch?pazifistische Aera ein
Beweis dafür, daß jetzt endlich glückliche Zeiten eintreten, wo
alles friedlich?schiedlich im Parlament durch die Demokratie ent?
schieden wird. Diese Aera ist ein Korrelat für den Verfall des
Kapitalismus. Auf politischem Gebiete sind die Symptome manch?
mal viel frühzeitiger, empfindlicher und klarer als auf ökonomi?
schem zu spüren. Gewiß, die Oekonomie ist das Fundament, sie
bestimmt alles voraus. Aber bevor noch irgend ein Prozeß voll?
kommen ausgereift ist und sich offenbart hat, während er erst im
Entstehen begriffen ist, sind die politischen Symptome manchmal
viel charakteristischer als die ökonomischen. Ich sage, eben diese
dem okratiscfepazifistische Aera ist ein Zeichen des Zerfalls des
Kapitalismus, der N iedergangsperiode, der unheilbaren K rise des
Kapitalismus. Alles was diese Herren Mussolini und Poincare einen
seits, M acdonald und H erriot andererseits jetzt machen, ist W asser
auf die Mühle der proletarischen Revolution, gleichviel, ob sie es
durch die D em okratie oder den unverhüllten Faschismus versuchen.
Beides kommt uns sehr teuer zu stehen, beides erfordert große
Opfer von der Arbeiterklase, aber beides arbeitet für die proleta?
rische Revolution. Wir wollen also die Sache nicht so simpel an?
sehen, es ist nicht so wie die Marx’sche Formel: Geld — Ware —
Geld; Faschismus —Demokratie — Faschismus. Es ist eine kom?
plizierte und eigentümliche Erscheinung in jedem Lande.
Im allgemeinen bedeutet dieses Kapitel der Weltgeschichte
den Zerfall des Kapitalismus. Diese Aera kann nicht lange an?
halten. Die Sozialdemokratie sucht die Bourgeoisie zu retten, sie
wirft ihr einen Rettungsgürtel zu. Aber dieser Rettungsgürtel, den
sie der Bourgeoisie zuwirft, taugt nichts, er ist aus unbrauchbarem
Material angefertigt, er wird die Bourgeoisie noch eher auf den
Grund ziehen.
87
Methode nicht mehr regieren kann. Gewiß, es wäre Luge, von der
menschewistischen Partei als einer wahren Arbeiterpartei zu reden.
Sie ist keine revolutionäre Arbeiterpartei. Doch der Menschewismus
ist sehr oft ein Wesen, das mit einem Auge nach links und mit dem
anderen Auge nach rechts schielt. Die Menschewiki können auch
dazu beitragen, zunächst die Lage der Bourgeoisie zu verschlechtern
und zu schädigen, ohne es zu wollen.
Darum müssen wir klar sehen, unsere Agitation muß teilweise
modifiziert werden, eben deshalb, weil wir eine neue Aera vor uns
haben, die demokratisch*pazifistische „Aera“. Wir müssen der
Arbeiterklasse der ganzen Welt sagen, was diese Aera bedeutet,
wir müssen ihr erklären, daß sie nicht lange dauern kann, daß es
ein Betrug ist seitens der Sozialdemokratie. Wir bilden die einzige
Macht auf der Welt, die sich nicht blenden läßt durch diese „Arbeit
terregierung“, durch Demokratie und Pazifismus. Aber unsere Auf*
gäbe besteht eben, weil wir diese einzige historische Kraft
auf der Welt sind, darin, das Konkrete zu sehen, das hervorzu*
heben, wodurch das gegenwärtige bürgerliche Regime sich von dem
Vergangenen unterscheidet.
Ich möchte noch über eine Frage reden, über die man in der
Diskussion zu wenig gesprochen hat. Ich meine die Bauernfrage.
Es ist für mich ein schlechtes Signum, daß in dieser sehr aus*
giebigen Diskussion, in der 62 Redner gesprochen haben, die Bauern*
frage fast gar nicht angeschnitten worden ist. Ich fürchte, daß wir
hier wieder sagen, wir seien mit allem einverstanden, alles sei
richtig, was man gesagt hat, aber Schwamm darüber! und dann
bleibt alles beim Alten. Das wäre die größte Gefahr nicht nur für
die Agrarländer, sondern auch für die Industrieländer.
Ich las vor einigen Tagen im „Vorwärts“ vom 19. Juni eine
Notiz mit der Ueberschrift: „Fünf Minuten vor 12“. Ueber einen
Landtagsabgeordneten bei der Bayerischen Volkspartei wird dort
geschrieben, ich zitiere wörtlich:
„Auf der Generalversammlung des Mittelfränkischen Bauern*
Vereins in Eichstätt hielt der Landtagsabgeordnete der Bayerischen
Volkspartei und Generalsekretär des Christlichen Bauernvereins,
Dr. Schlittenbauer, eine Rede: „Ich bin mir der Tragweite meiner
Rede vollkommen bewußt und übernehme für sie jedermann gegen*
über die volle Verantwortung. Wir sind in Deutschland noch lange
nicht über den Berg. Im düsteren Hintergründe lauert nicht bloß
88
die kommunistische Gefahr, sondern auch die soziale Revolution
der Bauern. Wenn die bisherige Politik der Reichsregierung und
des Reichstages den deutschen Bauern gegenüber nur ein halbes
Jahr weitergeführt wird, dann ist die Gefahr akut. Das ist eine
unabwendbare logische Entwicklung. Denn der heutige Zustand ist
unerträglich, weil er mit unheimlicher Schnelligkeit die Wirtschaft*
liehe Existenz der Bauern vernichtet. Wenn der Druck nicht mehr
ertragen werden kann, wenn die Existenz ins Wanken gerät, dann
kommt die Explosion und Bauernrevolution, und Bauernrevolutionen
sind radikal, sind grausam, sind furchtbar. Da gibt es Rauch und
Feuer und baumelnde Köpfe, wie die Geschichte lehrt. Dem muß
vorgebeugt werden. Dazu ist es bereits allerhöchste Zeit. Es ist
fünf Minuten vor 12.“
Nun, Genossen, wenn ich nichts von Deutschland wüßte, nur
diese Worte aus dem Munde eines Bürgerlichen, sie wären für mich
ein Beweis, wie akut die Frage in einem Lande wie Deutschland
wird, wo große Massen revolutionärer Bauern nicht vorhanden
sind, wo nur einige Schichten der Bauernschaft zu gewinnen und
die anderen zu neutralisieren sind. Der Herr Doktor Schlittenbauer
sagt vollkommen mit Recht, daß eine Bauernrevolution eben radikal
und grausam wird — das können wir von der russischen Revolution
bestätigen — und daß es dabei Rauch und Feuer und noch manches
andere gibt. Bei einer solchen Lage dürfen wir diese Frage nicht
unterschätzen. Es ist nicht eine untergeordnete Frage, sondern
die Frage zur Diktatur des Proletariats.
bedeutet, daß die Bauernfrage eine der wichtigsten Fragen für uns
bildet, nicht nur in den Agrarländern, sondern auch in den aus*
gesprochensten Industrieländern, wo die Lage revolutionär ist, wie
in Deutschland.
Ich glaube, man muß hier revolutionär vorgehen. Genug der
Thesen auf dem Papier, genug des Nachplapperns der Sozialdemo*
kratischen Ansicht, daß die Bauernschaft uns nichts angehe.
Ja, Genossen, insofern wir eine Zukunftspartei sind, geht uns
die Bauernschaft nichts an, insofern wir aber eine wirkliche Ar*
beiter* und Bauernregierung und die Hegemonie des Proletariats
in der Revolution erstreben, insofern müssen wir auch mit unserer
9 4
tv .
- 4
^ * «
sondern soll neue Formen der Agitation anwenden. Man darf nicht
vergessen, daß die Armee zu 50 Prozent aus Bauern besteht.
Wenn es wahr ist, was dieser Bayerische Abgeordnete sagt:
„Fünf Minuten vor 12“, wenn so eine große Verschärfung bei den
Bauern vorhanden ist, so kann das nicht ohne Resultat in der
Armee bleiben, wo zwar viele Offiziere aus dem Adel sind, aber
noch mehr Bauernsöhne dienen. Wer hat stets die revolutionäre
Bewegung unterdrückt? Wer hat uns 1905 niedergeschlagen? Wer
hat die bayerische Räterepublik niedergeschlagen und noch manche
Aufstände nach dem Jahre 1918? Im Grunde waren es die Bauern*
söhne.
Also Genossen, diese Frage ist eine der wichtigsten in der
Kommunistischen Internationale. Wollen wir nicht so viel herum*
tüfteln, an dem, was Radek oder ich gesagt haben, auf dem III. oder
IV. Kongreß, sondern nehmen wir die wichtigste Frage zur Vor*
bereitung der Revolution in Angriff, tragen wir hier ein wenig
neuen Geist hinein, wirkliche revolutionäre Entschließung. Thesen
in allen Ehren, aber wir sollen nicht nur Thesen abfassen, sondern
auch versuchen, die Arbeiter* und Bauernmassen aufzurütteln.
92
Ueber die rechten Abweichungen des Genossen Radek.
W er ist mit wem gegangen?
Es wurde hier vom Genossen Radek gesagt, ich hätte be*
hauptet, ich wäre der „Verführte“ von Radek gewesen. Er hat das
viele Male behauptet und Genossin Zetkin hat seine Worte buch*
stäblich wiederholt — was mir leid tut, denn ich habe von ihr
Besseres erwartet als die einfache Wiederholung dessen,* was Radek
gesagt hat.
Also die Frage hat einige politische Bedeutung, wer der „Ver*
führte“ war. Die Genossin Zetkin sagte: „Ja, woher kommt das.
Die Exekutive ging vier oder fünf Jahre mit Radek, jetzt ist er
plötzlich der Rechte!“ Es ist ihr gar nicht eingefallen, daß das
Verhältnis vielleicht etwas anders war, nämlich, daß nicht die
Exekutive fünf Jahre mit Radek ging, sondern Radek mit der
Exekutive. (Zustimmung.) Also, Genossen, so war eben die Sache,
daß nicht die Exekutive mit Radek ging, sondern Radek teilweise,
eine Zeitlang, mit der Exekutive gegangen ist (was seinerseits sehr
lobenswert war). Ich glaube das ist gar nicht so schwer zu ver*
stehen.
Sie werden mir erlauben, einige Tatsachen von politisch*bio*
graphischer Bedeutung anzuführen. Dies erscheint geboten, weil
es politische Bedeutung hat, wer tatsächlich der „Verführte“ war
und wer mit wem gegangen ist. Genossen, es kommt immer so,
daß Meinungsverschiedenheiten sich allmählich ansammeln, auf*
speichern und dann schlägt eben die Quantität in die Qualität um
und man sieht „plötzlich“, es sind zwei ganz verschiedene Linien da.
Das kommt nicht über Nacht, nicht in einer Stunde, manchmal
dauert es ziemlich lange.
93
worben hatten, und die in die Internationale hineinwollten. Ich
sagte, diese Leute werden wir als Klassenfeinde bekämpfen. Was
die Linke betrifft, die „Ultralinke“, so war sie damals sehr aus*
gedehnt. Es gab unter den Linken ehrliche revolutionäre Eie*
mente, sie waren sehr unklar, aber wir haben sie als Kampfgenossen
betrachtet, sie waren keine Klassenfeinde. Levi meinte, wir müßten
nur „echte Kommunisten“, aber nie und nimmer revolutionäre Syn?
dikalisten in die Internationale aufnehmen. Es war damals die
Frage der K.A.P.D. akut. Ich war dafür, daß man sie als sym-
pathisierende Partei auf nimmt. Diese Taktik war die richtige. Levi,
die damalige rechte Zentrale, die sich unter seinem Einfluß be?
fand, und Radek waren dagegen. Das war die erste Meinungs*
Verschiedenheit ziemlich wichtiger Natur. Schon während des
II. Weltkongresses der K.I. (der erste war nur eine ganz kleine
Versammlung) hatten wir also eine grundlegende Meinungsver?
schiedenheit in der Frage Levi, K.A.P.D., in der Frage der Behänd?
lung der Rechten und der Linken, sogar nicht einmal der Kommu?
nisten, sondern der Syndikalisten.
Die zweite Meinungsverschiedenheit betraf speziell das Ver*
hältnis zur K. A. P. D., was ich oben scho.n ausgeführt habe. Wir
gerieten wiederholt in dieser Frage aneinander.
Die dritte Meinungsverschiedenheit entstand infolge des ersten
Offenen Briefes der deutschen Zentrale an die S. P. D., der von
Radek geschrieben wurde. Einige Genossen — ich und Bucharin —
waren dagegen, weil wir fürchteten, daß Levi und die Elemente
um ihn aus dieser Taktik statt einer wirklich revolutionären
Strategie das machen würden, was dann tatsächlich gemacht
worden ist. Darum waren wir am Anfang gegen den Offenen
Brief.
Die Einmischung des Genossen Lenin hat die Sache später
eingerenkt. Aber Levi behielten wir noch mehr im Auge. Später
stellte es sich heraus, daß im Falle Levi wir Recht gehabt hatten.
Genosse Lenin gab es zu.
Die vierte Meinungsverschiedenheit war die Frage der Kon*
ferenz der drei Internationalen in Berlin. Sie werden sich
erinnern, daß Radeks Haltung durch zwei Artikel, durch einen
des Genossen Lenin und durch einen meiner Wenigkeit desavouiert
wurde. Radek hatte das Maß des Erlaubten in der Taktik der
Einheitsfront überschritten, es war derselbe. opportunistische
Fehler wie auch'jetzt.
Genossin Klara, ging hier die Exekutive mit Radek, ging
Lenin mit Radek oder aber Radek mit der Exekutive? Radek hat
damals seinen Fehler eingesehen und nachgegeben — um so besser
für ihn.
Die fünfte Meinungsverschiedenheit bestand in der nor*
wegischen Frage. Als wir Radek nach Norwegen schickten,
schloß er sofort ein „einstimmiges“ faules Kompromiß mit Tram
mael. In diesem Falle konnten wir Radek nicht öffentlich desavom
ieren aus bestimmten Gründen, die Sie wohl begreifen werden,
Die sechste Meinungsverschiedenheit bestand in dem Ver*
halten R adeks zur Deutschen Linken. Jedermann weiß, daß ein
wenn auch nicht offener Kampf zwischen mir und Radek in dieser
Frage geführt wurde. Radek ging 'durch dick und dünn mit
Brandler, unterstützte auch mit wenigen Ausnahmen seine organi*
satorischen Drohungen gegenüber den Linken. Ich habe nicht
immer die Linke unterstützt, man kannte die neuen Führer nicht,
man glaubte, Radek hätte bessere Personalkenntnisse.
Ich habe nicht immer klar gesehen, aber die eine Tendenz
war für mich absolut klar: wir müssen, koste es was es wolle, eine
Verständigung mit der Linken finden.
Die siebente Meinungsverschiedenheit. Ist die „A rbeiter*
regierung“ ein Pseudonym für die Diktatur des Proletariats oder
nicht? Darüber werde ich noch später sprechen.
Die achte Meinungsverschiedenheit betraf den Leipziger
Parteitag; es handelte sich um den Satz über die „Arbeiter*
regierung im Rahmen der bürgerlichen Demokratie“, den ich und
Bucharin kritisierten und der von Radek verteidigt wurde.
0
95
Wenn wir jetzt die Sache retrospektiv betrachten, so müssen
wir festseilen, das alle diese Meinungsverschiedenheiten auf ein
und derselben Linie liegen.
Der Kongreß ist natürlich nicht so naiv zu glauben, fünf Jahre
hätte die Exekutive Radek gefolgt, jetzt endlich habe sie seine
Fehler eingesehen. Die Sache verhielt steh' gerade umgekehrt. Aber
dasselbe ist leider nicht nur mit Radek passiert, sondern auch' mit
der Genossin Zetkin.
%
revolutionären Aufgaben lehnen wir ab.“ (Probleme der
deutschen Revolution. Kapitel III.)
Das schrieb ich gleich in den ersten Stunden des „sächsischen
Experiments“. Kaum waren einige Tage vergangen, und für mich
wurde klar, daß die rechten Elemente in der KPD. unsere Taktik
f r
97
fertig ist, noch bevor er ihn durchdacht hat. Manche be?
haupten, sonst ist man kein echter Journalist. Unlängst habe ich
eine Studie, ich glaube, von Maximilian Harden gelesen, in der er
beschreibt, was der Journalist ist. Der ausgesprochene Typ ist
der Mann, der sofort reagiert, wenn die Tatsachen noch brüh?
*
warm sind, der sofort reagiert und dann erst, wenn er geschrieben
hat, nachdenkt. Das ist Radeks starke und schwache Seite. „Wie
könnt ihr Sachsen beurteilen“, sagte Radek oft zu uns, „wo ich
täglich 10 sächsische Zeitungen lese!“ Auch von Lenin sagte er
öfters: „der Alte ist wirklich genial, aber wie kann er sich in der
Weltpolitik auskennen, ohne alle Zeitungen, Broschüren gelesen
zu haben! Das verstehe ich nicht.“ Nun, ich bin nicht gegen das
Lesen von Zeitungsartikeln und Broschüren, aber es wäre leicht?
sinnig, nur auf Grund dieser Lektüre urteilen zu wollen. Oft
sagte er auch: „Wie können Sie es leugnen, es steht doch in der
Zeitung.“ Als ob Radek nicht wüßte, wie Zeitungen gemacht
werden. (Heiterkeit, Beifall.)
98
f
%
„Taktik der Einheitsfront“.
„Die Taktik der Einheitsfront bedeutet das Vorangehen der
Kommunistischen Avantgarde in den täglichen Käm pfen der
breiten A rbeiterm assen um ihre notwendigsten Lebensinteressen.
In diesem Kampfe sind die Kommunisten sogar bereit, mit den
verräterischen” Führern der Sozialdemokraten und der Amster*
damer zu verhandeln. Die Versuche der II. Internationale, die
Einheitsfront als organisatorische Verschmelzung aller „Arbeiter*
Parteien“ hinzustellen, sind selbstverständlich auf das ent*
schiedenste zurückzuweisen. Die Versuche der II. Internationale,
unter dem Deckmantel der Einheitsfront, die weiter links stehenden
Arbeiterorganisationen aufzusaugen (Vereinigung der S. P. und
U. S. P. in Deutschland), bedeuten in der Tat nichts anderes als
die Möglichkeit für die sozialdemokratischen Führer, neue
Arbeitermassen an die Bourgeoisie auszuliefern.
Die Existenz selbständiger kommunistischer Parteien und
/deren vollständige A ktionsfreiheit gegen die Bourgeoisie und
gegen d ie konterrevolutionäre Sozialdem okratie ist die wichtigste
historische Errungenschaft des Proletariats, auf die die Kom*
munisten unter keinen Umständen verzichten werden. Die kom*
munistischen Parteien allein verfechten die Interessen des ge*
samten Proletariats.
Die Taktik der Einheitsfront bedeutet auch keinesfalls söge*
nannte „Wahlkombinationen“ der Spitzen, die diese oder jene
Zwecke verfolgen. Die Taktik der Einheitsfront ist das Angebot
des gemeinsamen Kampfes der Kommunisten mit allen Arbeitern,
die anderen Parteien oder Gruppen angehören, und mit allen
parteilosen Arbeitern zwecks Verteidigung der elementarsten
Lebensinteressen der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie. Jeder
Kampf um die kleinste Tagesförderung bildet eine Quelle revolu*
tionärer Schulung. Denn die Erfahrungen des K am pfes werden
die W erktätigen von der U nverm eidlichkeit der Revolution und
der Bedeutung des Kommunismus überzeugen.
Eine besonders wichtige Aufgabe bei der Durchführung der
Einheitsfront ist die Erreichung nicht nur agitatorischer, sondern
auch organisatorischer Resultate. (Wohlgemerkt: agitatorischer
und organisatorischer — sonst keiner!) Keine einzige Gelegenheit
darf verpaßt werden, um in der Arbeitermasse selbst organi*
satorische Stützpunkte, Betriebsräte, Kontrollkommissionen aus
Arbeitern aller Parteien und Parteilosen, Aktionskomitees usw.
zu schaffen.
/
. . t- *
*'
Das Wichtigste in der Taktik der Einheitsfront ist und bleibt
die agitatorische und organisatorische Zusammenfassung der
Arbeiterm assen. Der wirkliche Erfolg der Einheitsfronttaktik
erwächst „von unten“, aus den T iefen der A rbeiterm assen selbst.
Die Kommunisten können dabei aber nicht darauf verzichten,
unter gewissen Umständen auch mit den Spitzen der gegnerischen
Arbeiterparteien zu unterhandeln. Ueber den Gang dieser Unter*
handlungen müssen die Massen jedoch dauernd und vollkommen
unterrichtet bleiben. Die Selbständigkeit der Agitation der
Kommunistischen Partei darf auch während der Unterhandlungen
mit den Spitzen keinesfalls eingeschränkt werden.
Es versteht sich von selbst, daß je nach den konkreten Be*
dingungen die Taktik der Einheitsfront in den verschiedenen
Ländern in verschiedener Form anzuwenden ist. Aber dort, wo
in den wichtigsten kapitalistischen Ländern die objektiven Verhält*
nisse für die soziale Umwälzung gereift sind und wo — von konter*
revolutionären Führern geleitet — die sozialdemokratischen Par*
teien bewußt auf die Spaltung der Arbeiterschaft hinarbeiten, wird
die Taktik der Einheitsfront für eine neue Epoche maßgebend sein.“
All das bleibt auch jetzt absolut richtig.
• •
100
%
lition stellen die Kommunisten die Einheitsfront aller Arbeiter
und eine Koalition aller Arbeiterparteien auf ökonomischem und
politischem Gebiete zum Kampf gegen die bürgerliche Macht
und zu ihrem schließlichen Sturz gegenüber. Im vereinten
Kampfe aller Arbeiter gegen die Bourgeoisie soll der ganze
Staatsapparat in die Hände der Arbeiterregierung gelangen und
dadurch sollen die Machtpositionen der Arbeiterklasse gestärkt
werden.
D ie elem entarsten Aufgaben einer Arbeiterregierung müssen
darin bestehen, das Proletariat zu bew affnen, die bürgerlichen,
konterrevolutionären Organisationen zu entw affnen, die Kon?
trolle der Produktion einzuführen, die Hauptlast der Steuern
auf die Schultern der Reichen abzuwälzen und den W iderstand
der konterrevolutionären Bourgeoisie zu brechen.
Eine solche Arbeiterregierung ist nur möglich, wenn sie aus
dem Kampfe der Massen selbst geboren wird, sich auf kämpf«'
fähige Arbeiterorgane stützt, die von den untersten Schichten
der unterdrückten Arbeitermassen geschaffen werden. Auch
eine Arbeiterregierung, die einer parlamentarischen Konstellation
entspringt, die also rein parlamentarischen Ursprungs ist, kann
den Anlaß zu einer Belebung der revolutionären Arbeiter?
bewegung geben (z. B. sogar die MacDonald?Regierung jetzt).
Es ist selbstverständlich, daß die Geburt einer wirklichen
Arbeiterregierung und die weitere Aufrechterhaltung einer Re?
gierung, die revolutionäre Politik treibt, zum erbitterten Kampf,
evtl, zum Bürgerkrieg mit der Bourgeoisie führen muß. Schon
der Versuch des Proletariats, eine solche Arbeiterregierung zu
bilden, wird von vornherein auf den schärfsten Widerstand
der Bourgeoisie stoßen. Die Losung der Arbedterregierung ist
daher geeignet, das Proletariat zusammenzuschließen, und revo?
lutionäre Kämpfe auszulösen.
Die Kommunisten müssen sich unter Umständen bereit
erklären, zusammen mit nichtkommunistischen Arbeiter?
Parteien und Arbeiterorganisationen eine Arbeiterregierung zu
bilden. Sie können das aber nur dann tun, wenn Garantien dafür
vorhanden sind, daß die Arbeiterregierung wirklich einen Kam pf
gegen das Bürgertum im oben angegebenen Sinne führen wird.
Dabei bestehen die selbstverständlichen Bedingungen der Teil?
nähme der Kommunisten an einer solchen Regierung darin, daß:
1. die Teilnahme an einer Arbeiterregierung nur mit Zu?
Stimmung der Komintern erfolgen kann;
2. Die kommunistischen Teilnehmer an einer solchen Re?
gierung unter der strengsten Kontrolle ihrer Partei stehen;
3. Die betreffenden kommunistischen Teilnehmer an dieser
101
Arbeiterregierung in engster Fühlung mit den revolutionären Or*
ganisationen der Massen stehen;
4. Die Kommunistische Partei ihr eigenes Gesicht und die
volle Selbständigkeit ihrer Agitation unbedingt behält.
Bei allen großen Vorteilen hat die Arbeiterregierungs;
parole auch ihre G efahren, ebenso wie die gesam te T aktik der
Einheitsfront G efahren in sich birgt. Um diesen Gefahren vor*
zubeugen, müssen die kommunistischen Parteien folgendes ins
Auge fassen:
Jede bürgerliche Regierung ist zugleich eine kapitalistische
Regierung, aber nicht jede Arbeiterregierung ist eine wirklich
proletarische, das heißt ein revolutionäres Machtinstrument des
Proletariats.
Die Kommunistische Internationale muß folgende Möglich*
keiten berücksichtigen:
I. Scheinbare Arbeiterregierungen:
1. Liberale Arbeiterregierung. Eine solche gab es in
Australien, eine solche Regierung wird auch in absehbarer Zeit
in England möglich sein.
2. Sozialdem okratische Arbeiterregierung (Deutschland).
%
II. Wirkliche Arbeiterregierungen:
3. Regierung der A rbeiter und ärmeren Bauern. Eine solche
Möglichkeit besteht auf dem Balkan, der Tschechoslowakei usw.
4. Arbeiterregierung mit Teilnahme der Kommunisten.
5. Wirkliche proletarische revolutionäre Arbeiterregierung,
die in reiner Form nur durch die Kommunistische Partei ver*♦
102
-• r ^
v;
4
103
Es ist jedem Kommunisten klar, daß das heißt: wir sind
gegen eine Koalitionsregierung aller „Arbeiterparteien“, die
dieses Programm nicht durchführen kann.
104
Elementarbedingungen annehmen“, (die bekanntlich für diese
Herren unannehmbar sind).
« •
-
107
j
Revolution gesehen. Vor 5 Jahren hat man sich vorgestellt, daß
man uns durch die Blockade, durch den Hunger auf die Knie
zwingen würde usw.- Man hat an verschiedene Eventualitäten
gedacht, nur die Eventualität der neuen ökonomischen Politik
und den jetzigen Weg der Revolution hat niemand voraus*
gesehen.
Die Lage ist in allen Ländern verschieden. Wahrscheinlich
wird die Revolution in Deutschland und in England ganz ver*
schieden kommen. Das soll nicht bedeuten, daß wir als bewußte
Revolutionäre den Vorhang der Zukunft nicht lüften dürfen.
Wir sind denkende Menschen, wir wollen der Arbeiterklasse
vorangehen, wir müssen die Sache von allen Seiten zu klären ver*
suchen. Aber es ist wirklich schwer, hier etwas vorauszusagen.
Wenn wir die Parole der Arbeiterregierung von diesem Stande
punkt aus betrachten, als kon krete Frage des W eges zur prole*
tarischen Revolution, so kann man sehr bezweifeln, ob die Welt*
revolution unbedingt durch die Tür der Arbeiterregierung herein*
spazieren wird. Gestern wurde von unserem Freunde Radek ge*
sagt, daß die Arbeiterregierung eine Möglichkeit des Ueberganges
zur Diktatur des Proletariats ist. Ich möchte sagen: ja, es ist eine
Möglichkeit, #aber, wenn ich mich ganz richtig ausdrücken soll,
es ist eine unwahrscheinliche Möglichkeit. Das will nicht heißen,
daß die Parole der Arbeiterregierung nicht richtig sei. Sie ist
richtig. Sie wird uns dort, wo die M achtverhältnisse dazu ge*
eignet sind, große Erfolge in der Agitation bringen. Aber wenn
wir die Frage des Weges prüfen, die Frage, ob die Revolution
unbedingt diesen Weg gehen wird, so sage ich, das ist keine Frage,
die hier zu lösen ist. Das ist ein W eg, der wahrscheinlich der
ungewöhnliche ist. In Ländern mit entw ickelter Bourgeoisie
werden wir die M acht nicht anders erobern als im Bürgerkrieg,
und wenn wir die Bourgeoisie im Bürgerkrieg beseitigt haben
werden, so wird es für einen großen Zeitabschnitt schwerlich
eine größere Zwischenpause geben. Das kann sein, aber es lohnt
sich nicht, darüber zu streiten, man kann nur Vermutungen auf*
stellen. Das einzige, was wir brauchen, ist, daß wir alle grund*
legenden Eventualitäten des Weges der Revolution klar sehen.'*
wir sehr viel dam it machen. A ber was wir dabei nicht vergessen
sollen, sind d i e revolutionären Perspektiven.“
Ich zitiere den tschechischen Außenminister Benesch, der ein
gutes Wort über die Kommunisten gesagt hat:
„Den Kommunisten ist die Findigkeit nicht abzusprechen.
Sie verstehen es, den Arbeitern die gleiche Sache in verschieb
dener Form darzubringen. So z. B. fingen die Kommunisten
seinerzeit e in e Agitation für die Bildung von Sowjets an; als
diese A gitation zu keinem Resultat führte, stellten die Korn*
munisten d ie Agitation für die Bildung von Sowjets ein, um
sie nach 1 >2 Jahren unter der Maske von Einheitsfrontaus*
Schüssen v o n neuem anzufangen.“
Ich sag te: Bravo Benesch, Sie scheinen besser als mancher
opportunistischer Arbeiterführer der Tschechoslowakei zu ver*
stehen, um w a s es sich handelt.
Man w ird mir vielleicht wieder vorwerfen, warum ich diese
Binsenwahrheiten zum besten gebe. Sie sehen also, Benesch hat
1922 gut verstanden, um was es sich handelt. Wie können da
die Genossen Kreibich und Smeral dieses „Geheimnis“ vergessen,
das Benesch schon 1922 kannte, nämlich, daß diese Parole für
uns nur die Formel, sozusagen die Zutrittsformel zu der Masse
ist. Das h ab e ich schon auf dem IV. Kongreß klar ausgesprochen.
„Ich glaube, daß .unsere Diskussion auf diesem Kongreß,
und zwar erst recht nach der Arbeit der Kommissionen, nicht
dazu führen wird, daß wir die Parole der Arbeiterregierung
aufgeben werden, die Parole bleibt richtig als Zutrittsmittel zu
den M assen. Darüber läßt sich nicht streiten. Die Parole bleibt
richtig. Wir müssen nur verstehen, sie richtig zu gebrauchen.
Sie birgt dieselben Gefahren in sich, wie die Taktik der Einheits?
front. Wenn man anfängt, von Regierungen zu reden, da ist es
selbstverständlich, daß man an parlamentarische Kombina*
tionen mit der Vorstellung der Portefeuilles denkt usw. Da
bestehen noch größere Schwierigkeiten als bei der Einheitsfront*
taktik. Deswegen dürfen wir aber nicht sagen, daß wir auf
diese Parole verzichten müssen, weil sie schwierig ist, wie
unsere französischen Genossen es vorgeschoben habenj“
W as kann klarer sein als dieses, Genosse Radek?
109
1
1
Bedingung, daß wir uns dabei ganz klar sind, um was es sich
dabei handelt. W ehe uns, wenn wir in der Agitation auch nur
eine Minute lang die Meinung aufkom m en ließen, es würde u n be*
dingt eine Arbeiterregierung kom m en, sie könnte auch auf fr ie d *
lichem W ege zustande kom m en, es gebe eine feste organische
Periode, die den Bürgerkrieg ersetzen könnte usw. Wenn so lch e
Auffassungen bei uns vorhanden sind — und sie sind vielleicht
irgendwo vorhanden — dann muß man sie entschieden bekäm p fen
und die A rbeiterklasse in dem Sinne erziehen, daß man ihr sag t:
ja, liebe, Freunde, um eine Arbeiterregierung zu errichten, m uß
man zunächst die Bourgeoisie stürzen und besiegen.
Was ist das wesentliche an dieser Parole? Willst du eine
Arbeiterregierung haben, schön, so sind wir sogar bereit zu
einem Uebereinkommen mit den Sozialdemokraten; wenn wir
auch sagen, sie werden dich verraten, so sind wir doch für eine
solche Arbeiterregierung, sogar mit ihrer Beteiligung, aber nur
unter der Bedingung, daß sie bereit ist, Schulter an Schulter m it
uns die Bourgeoisie zu bekäm pfen . Wir werden den Kampf
gegen die Bourgeoisie aufnehmen, und wenn eine Arbeiter*
regierung aus diesem Kampfe hervorgeht, wird sie auf fester
Grundlage stehen und wird wirklich ein Auftakt, ein Anfang der
Diktatur des Proletariats sein. An und für sich handelt es sich
nicht um das W ort „Pseudonym“ — ich schenke dieses W ort
dem Genossen Meyer gern — sondern es handelt sich darum,
daß wir eine klare Linie in dieser Frage haben. Keinesfalls ist
dies eine Kriegslist, durch die wir der Bourgeoisie den Verzicht
auf den Bürgerkrieg ablisten können. Die Internationale soll
eine gute Strategie haben, aber es gibt keine Strategie, mit der
man den Bürgerkrieg verm eiden und glatt auf dem Parkett zu
einer Arbeiterregierung kom m en kann. Das gibt es in der Natur
nicht. Das Entscheidende ist der Kampf, das Bezwingen der
Bourgeoisie; wenn wir sie bezwungen haben, dann können ver*
schiedene Formen der Arbeiterregierung eintreten.
Eine Arbeiterregierung in England kann in der jetzigen Lage
objektiv revolutionierend wirken, und wir werden dort sogar
eine beschränkte, menschewistischdiberale Arbeiterregierung
unterstützen. Wir wissen, unter gewissen Bedingungen kann sich
eine solche menschewistische liberale Arbeiterregierung mit viel
größeren Blutdurst als eine Bourgeois*Regierung gegen uns
wenden — das hat Noske bewiesen, und das haben unsere
Menschewiki bewiesen. Das kann also keineswegs eine Möglich*
keit bedeuten, dem Bürgerkrieg vorzubeugen. Darum meine ich,
Genossen, daß diese Parole als Agitationsparole unbedingt richtig
ist, wenn wir wirklich verstehen, sie revolutionär auseinander*
zusetzen. . . .
110
Wir müssen in dieser Frage eine feste Linie befolgen. Man
muß den Genossen sagen: ja Arbeiterregierung, das ist gut und
schön, aber um eine Arbeiterregierung zu bilden, muß man zuerst
die Bourgeoisie stürzen, und dazu muß man zunächst Waffen
haben, muß man sich organisieren, muß man die Mehrheit der
Arbeiterklasse erobern, und vor allem muß man sich darüber
klar sein, daß es zu harten Kämpfen kommen wird, und daß
wir anders einen Sieg nicht davontragen können. Ich glaube,
Genossen, damit kann ich diesen Teil meines Schlußwortes be*
endigen.“
Das war der Hauptinhalt meiner Rede. Ich sagte damals, man
spricht von der Arbeiterregierung, als ob wirklich die Macht eine
res nullius sei, das heißt, niemandem gehöre. Um eine Arbeiter*
regierung zu bilden, muß man zunächst die Bourgeoisie besiegen,
die jetzt die Macht innehat. Glauben Sie denn, das wird so leicht
gehen, daß sie einfach sagen, schön, weil ihr eine neue Formel ge*
funden habt, werden wir die Macht an euch abtreten? Nein, Ge*
nossen, um eine Arbeiterregierung zu bilden, muß man zunächst
die Bourgeoisie besiegen. Diese Kleinigkeit darf man nicht ver*
gessen.
Ueber die Spitzenverhandlungen unserer deutschen Partei
sagte ich in derselben Rede folgendes:
„Es schien uns in der Ferne, daß unsere Partei sich ein
bißchen zu sehr in die Hände der Spitzenorganisationen gegeben
hat. Wir sind in. Deutschland keine armen Verwandten, sind
eine selbständige Partei, und der Partei gehört der Sieg. Und
da die Sozialdemokraten uns um jeden Preis haben wollten,
hatten wir gerade in diesem Moment am allerwenigsten Grund,
als arme Verwandte aufzutreten.“
Ich bitte um Entschuldigung für die Fülle der Zitate aus meiner
eigenen Rede. Aber ich sah keinen besseren Weg, um die „Erfin*
düng“ Radeks und der ganzen Rechten zu entlarven, als ob wir
jetzt die Taktik des IV. Kongresses liquidieren.
Wenn Sie jetzt meine Rede lesen, glaube ich, daß Sie sagen
werden, daß es eine ganz gute Rede ist. Ganz klar wird in ihr
ausgesprochen, daß die Arbeiterregierung eine Agitationsparole ist.
Es ist dasselbe wie der Weg zur Diktatur des Proletariats, zur Ge*
winnung der Massen für die Diktatur. Wie kann man jetzt auf*
treten und sagen, jetzt käme die Revision? Nein, Genossen, das
ist bloß'bei Radek eine „Agitationsparole“ gegen die K.I., nicht
mehr.
Man sagt, jedes Buch habe sein Schicksal. Aber auch jede
Parole hat ihr Schicksal und manche erprobten Revolutionäre
können hierbei hereinfallen.
*
Die Parole „Arbeiterregierung“ und ihre Gefahren.
Ich habe heute vormittag noch eine Arbeit getan, ich habe die
Reden und Resolutionen zur A rbeiter* und Bauernregierung auf
der Erweiterten Exekutive im Juni 1923 studiert. In meiner Rede
zur Frage der Taktik der Einheitsfront führte ich folgendes aus
(ich sehe mich wieder gezwungen, mich selbst zu zitieren):
„Worum handelt es sich tatsächlich bei der Taktik der Ein?
heitsfront? Ist sie nur ein taktisches Manöver, oder drückt sie
das aufrichtige Streben nach Vereinigung mit den sozialdemo*
kratischen Arbeitern aus? Auf diese Frage antworten wir
unsererseits mit folgender Frage: Gab es in den allerersten
Jahren der Tätigkeit der Komintern, in den Jahren 1919/1920,
irgend jemand unter uns, der nicht in der aufrichtigsten Weise
nach einer Annäherung und sogar einer Verbrüderung mit den
sozialdemokratischen Arbeitern gestrebt hätte? Nein. Vom
ersten Tage der Existenz der Kommunistischen Internationale
an sind wir restlos für die Annäherung an die Sozialdemokrat
tischen und parteilosen Arbeiter eingetreten.
Jetzt frage ich Sie weiter: Haben wir die Taktik der Eint
heitsfront in den Jahren 1919 und 1920 durchgeführt? Nein, wir
haben sie nicht durchgeführt. Wenn Sie demnach die erste
Periode der Existenz der Komintern, beispielsweise bis eint
schließlich zum II. Kongreß nehmen, so sehen Sie, daß die Lage
folgende war: Annäherung und Verbrüderung mit den sozialt
demokratischen Arbeitern — ja; Taktik der Einheitsfront —
neinl
Was beweist nun das alles? Das beweist, daß diese Frage
ganz anders steht. Die Frage besteht nicht darin, ob wir auft
richtig nach einer Annäherung an die sozialdemokratischen
Arbeiter streben. Nach der haben wir immer gestrebt, wir
wünschen sie auch jetzt und werden sie immer wünschen, aus
dem einfachen Grunde, weil wir die Vereinigung, die Konsolidiet
rung der ganzen Arbeiterklasse wünschen und wünschen werden,
da das die einzige ernsthafte Voraussetzung unseres tatsächt
liehen Sieges ist.
Worin besteht nun die Taktik der Einheitsfront? Worin
besteht jenes Neue, das wir ungefähr seit 1921 vorzubereiten
begonnen haben, daß wir 1922 formulierten und jetzt 1923 mit
Volldampf durchführen? Was ist Neues hinzugekommen? Hinzut
gekommen ist eben das, was wir ein strategisches Manöver
nennen. Hier ' ist es vor allem erforderlich, auf das Problem
„Massen und Führer“ einzugehen.
Wir müssen uns indessen klar Rechenschaft geben darüber,
wie sich die Parole der Arbeiter* und Bauernregierung zu unserer
alten Formel der Diktatur des Proletariats verhält. Es werden
112
sich unter uns Genossen finden, die zweifellos die Frage stellen
werden: geben wir, wenn. wir die Losung der Arbeiter* und
Bauernregierung aufstellen, nicht unsere Formel der Diktatur
des Proletariats preis, bleiben wir, wie bisher, eine Arbeiter*
partei oder werden wir zu einer Arbeiter* und Bauernpartei?
Derjenige, der von der Taktik der Einheitsfront überhaupt
etwas verstanden hat, derjenige, der zu begreifen beginnt, was
klassenpolitische Strategie des Proletariats ist, muß begreifen,
daß die Parole „A rbeiter* und Bauernregierung“ der Weg zur
Diktatur des Proletariats, aber durchaus nicht die Negierung der
Diktatur des Proletariats ist.
Wenn wir also die Parole Arbeiter* und Bauernregierung auf*
stellen, so heißt das keinesfalls, daß wir die Diktatur des Prole*
tariats aufgeben.
Von dieser können wir nicht einen einzigen Schritt abw eichen.
Es gibt keinen einzigen W eg zur Befreiung der M enschheit aus
dem Jo ch e des Kapitalismus als die Diktatur des Proletariats und
kann keinen anderen geben. Die einzige wirkliche und bis zum
letzten revolutionäre Klasse ist die Arbeiterklasse. Aber diese
Klasse, das heißt ihre Partei, kann klug und kann dumm handeln.
So werden wir das Ziel bedeutend rascher erreichen und werden
weniger Opfer haben. Wir werden bedeutende Schichten des
Bauerntums und der Kleinbourgeoisie überhaupt teilweise neutra*
lisieren und teilweise auf unsere Seite hinüberziehen. Handeln
wir aber ungeschickt, fassen wir die großen Klassenaufgaben der
Befreiüng des Proletariats in zünftlerischem Sinne auf, so
schieben wir selbst den Moment des Sieges hinaus.
Wir glauben daran, daß es an der Zeit wäre, die Losung der
Arbeiter* und Bauernregierung zu verallgemeinern . . . .
. . . Die mit der Losung der Arbeiter? und Bauernregierung
verbundenen Gefahren bestehen darin, daß einige unserer nicht
gefestigten und im marxistischen Sinne nicht genügend geschul*
ten Sektionen darauf verfallen können, sie im Geiste der linken
Sozialrevolutionäre auszulegen. Diese Partei gab sich für eine
Partei der Arbeiter, der Bauern und der Intelligenz aus . . .
Die aus der Aufstellung der Losung „Arbeiter* und Bauern*
regierung“ sich ergebenden G efahren bestehen darin, daß unsere
wenig gefestigten Parteien sich m öglicherweise dazu verleiten
lassen, den Klassencharakter unserer Partei zu verwischen. Da*
m
114
Macht durch das Proletariat wertvolle'Dienste leisten. Denn
diese Losung wird das Proletariat immer wieder an die Notwen*
digkeit erinnern, seine Vormarschbewegung mit der Stimmung
der Bauernschaft des betreffenden Landes in Einklang zu bringen,
ein richtiges Verhältnis zwischen dem siegreichen Proletariat
und der Bauernschaft herzustellen und nach dem Sturze der
Bourgeoisie eine weise Mäßigung bei den wirtschaftlichen Maß*
nahmen des Proletariats einzuhalten. Entsprechend der Haltung
des siegreichen Proletariats Rußlands in der gegenwärtigen
Epoche der russischen Revolution, die als „Neue Oekonomische
Politik“ bezeichnet wird.
Es versteht sich von selbst, daß die Agitation unter der
Losung „Arbeiter? und Bauernregierung“ entsprechend den Ver*
hältnissen eines jeden einzelnen Landes konkretisiert werden
muß, zum Beispiel in Nordamerika würde es sich um werk*
tätige Farmer handeln. Die Wahrung der ökonomischen Inter*
essen der Bauernschaft im Sinne des in den Beschlüssen des
II. und IV. Weltkongresses der Komintern dargelegten Pro*
gramms muß zum Ausgangspunkt unserer „gesamten Agitation
für eine „Arbeiter* und Bauernregierung werden.“
Es genügt, glaube ich, diesen Satz herauszugreifen, der über*
zeugend genug ist. Nach der Eroberung der Macht wird die
Parole der Arbeiter* und Bauernregierung auch noch nützen in dem
Sinne, wie sie auch in Sowjetrußland noch nützt, das heißt, wir
haben die Diktatur des Proletariats, aber eine kluge Diktatur. Sie
macht eine solche Politik, die für die Bauern annehmbar ist — sonst
wäre die Diktatur erledigt. Und das muß man den Bauern zu
sagen verstehen. Dazu ist die Parole „Arbeiter* und Bauernregie*
rung“ da.
Also auch nach der Machteroberung nützt diese Parole als
propagandistische Parole. Vor der. Machteroberung aber um so
mehr. Die Losung „Koalition aller Arbeiter* und Bauernparteien“
ist sie niemals gewesen und kann es auch nicht sein.
Gestatten Sie mir hier noch einige Zitate aus derselben Reso*
lution:
„Schon allein dadurch, daß die Kommunistischen Parteien
sich im internationalen Maßstabe die Losung der „Arbeiter* und
Bauernregierung“ zu eigen machen und mit der Agitation dafür
beginnen, wird der Anfang zu einer Neutralisierung der mittleren
Bauernschichten und Eroberung der Kleinbauernschaft gemacht.
Das Exekutivkomitee der Komintern stellt fest, daß die über*
wiegende Mehrheit der Sektionen der Komintern bis jetzt ein
unerhört träges und unserer Sache ungeheuer schadendes Ver*
halten in bezug auf die Arbeit auf dem flachen Lande an den
Tag gelegt hat. In diesem trägen Verhalten zeigen sich erstens
8* *
115
die bedauerliche Tradition der II. Internationale, deren Schoß
die wichtigsten Parteien der Komintern entsprungen sind, zwei*
. tens eine falsche theoretische Einstellung zur Bauernschaft, da
sie die Sache so darzustellen versucht, als ob vom Gesichtspunkt
des „orthodoxen Marxismus“ eine Arbeiterpartei sich um die
Bauernschaft überhaupt nicht zu kümmern brauche, und drittens
eine engherzige Zunftauffassung des proletarischen Klassen*
. kampfes. In der gegenwärtigen Periode besteht die Aufgabe der
kommunistischen Parteien darin, ein für allemal mit diesem
Zunftgeiste zu brechen. Die kommunistischen Parteien dürfen
sich nicht als Parteien nur der äußersten proletarischen Opposi*
tion innerhalb der bürgerlichen Gesellschaftsordnung betrachten,
wie das in der Blütezeit der II. Internationale der Fall war.
Kommunistische Parteien müssen in sich die Psychologie von
Parteien entwickeln, die sich bewußt sind, daß sie in einer mehr
oder weniger nahen Zukunft die werktätigen Massen in dem
Kampf gegen die bürgerliche Ordnung zu führen, die Bourgeoisie
zu stürzen und in der Verwaltung des Staates abzulösen haben.
Die beschränkte Zunftpsychologie muß durch die Psychologie
einer Partei ersetzt werden, die den Willen zur Macht hat und
die Hegemonie des Proletariats in der Revolution verkörpert.
Eine kommunistische Partei muß sich vorbereiten, die Bourgeoi*
sie morgen schon zu schlagen und darum schon heute das ganze
Volk erfassende Ziele aufstellen. Daher hat sie die Aufgabe, zur
. Unterstützung des Proletariats alle jene Schichten der Bevölke*
rung heranzuziehen, die dank ihrer sozialen Lage im entscheiden*
n den Moment der proletarischen Revolution diesen oder jenen
Beistand leisten können. . . .
Als propagandistische Losung, die uns die M öglichkeit bietet,
in einer arithm etischen Form el das auszudrücken, was bisher nur
algebraisch ausgedrückt wurde, kann die Losung „A rbeiter* und
Bauernregierung1* eine universelle Bedeutung gewinnen. Als
Losung des aktuellen politischen Kampfes hingegen wird die
Parole „Arbeiter* und Bauernregierung“ ihre größte Wirkung in
solchen Ländern haben, wie Frankreich, Deutschland, Italien,
Balkan, Tschechoslowakei, Polen, Finnland usw. Auf jeden Fall
ist der Sieg der proletarischen Revolution und dessen Ver*
ankerung ohne einen Beistand seitens der Bauernschaft, welcher
Art er auch sein möge, nirgends möglich. In diesem Sinne muß
die Losung „Arbeiter* und Bauernregierung“ zur Generallosung
kommunistischer Parteien werden.
Indem das Exekutivkomitee der Komintern die Losung
„Arbeiter* und Bauernregierung“ mit allem Nachdruck unter*
stützt, empfiehlt es allen kommunistischen Parteien, stets die
Gefahren zu bedenken, die mit einer falschen Anwendung dieser
116
l i .
Losung verknüpft sind. Wie überhaupt die Taktik der Einheits*
front, so bergen auch die Losungen „Arbeiterregierung“ und
„Arbeiter* und Bauernregierung“ zweifellos schwerste Ge*
fahren in sich in jenen Fällen, in denen unsere Parteien sie nicht
im revolutionär*marxistischen Geiste durchführen. Die mit der
Losung „Arbeiter* und Bauernregierung“ verbundenen, unmittel*
bar in die Augen springenden Gefahren sind vor allem folgende:
1. In den Parteien, die noch keine genügende marxistische
Schulung durchgemacht haben, entsteht die Gefahr, diese Losung
im Geiste der russischen S.R. zu interpretieren, das heißt im
Geiste eines kleinbürgerlichen „Sozialismus“, der die ganze
Bauernschaft als eine kompakte Masse betrachtet und sich der
Tatsache verschließt, daß es innerhalb der Bauernschaft ver*
schiedene Schichten gibt.
2. Die zweite Gefahr besteht darin, daß in politischer Hin*
sicht noch nicht ganz feste Kommunisten den Versuch machen
könnten, die revolutionäre M assenarbeit unter den breiten
Schichten der werktätigen Bauernschaft durch prinzipienlose
parlam entarische Kom binationen mit sogenannten „V ertretern“
der Bauernschaft und Führern sogenannter Bauernparteien, die
häufig die reaktionärsten Elem ente der Bourgeoisie darstellen, zu
ersetzen . ♦
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! *
117
I
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r- ,
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118
gleich mit der erzreaktionären Monarchie. Wir aber streben etwas
ganz anderes an, eine wahre Ar beit er regierung. Durch eine Koali*
tion „aller Arbeiterparteien“ ist sie nicht zu erreichen.
Gewiß, einiges muß man in hochentwickelten kapitalistischen
Ländern anders machen als in Rußland. Die Agitationsformen
darf man nicht mechanisch auf andere Länder übertragen. Ich
werde noch darüber sprechen. Aber in der Kardinalfrage, der
Diktatur des Proletariats, in der Parole der Arbeiter* und Bauern*
regierung als „Pseudonym“, als Weg, als Zutrittsmittel, als Um*
Schreibung der Diktatur des Proletariats, was ist sie da anders für
Deutschland als für Rußland, oder gar für Amerika anders als für
Deutschland?
In Deutschland gibt es Arbeiter so gut wie in Rußland, Bauern
gibt es in Deutschland so gut wie in Rußland. Darum, um diese
Zutrittsform zu gewinnen, um eine Massenpartei zu werden, um
den revolutionären Strom wirklich zu beeinflussen, sagen wir: „Ar*
beiter* und Bauernregierung“.
Es gab bei uns in Rußland eine Zeit, wo die Menschewiki und
Sozialrevolutionäre in der Mehrheit in den Sowjets waren und wir
die Kampflosung „Alle Macht den Räten“ ausgaben. Damals war
diese Formel der beste Magnet. Es wird in Deutschland auch sicher*
lieh der Moment einmal kommen, wo diese Parole aufgestellt
werden wird. Es ist jedoch möglich, daß irgendeine andere Formel
aufgestellt werden wird. In dieser Uebergangsperiode scheint uns
die Formel „Arbeiter* und Bauernregierung die plausibelste zu
sein. Den sozialdemokratischen Arbeitern sagen wir: Wir sind
sogar bereit, in eine solche Regierung einzutreten, die nur die eie*
mentarste Bedingung annimmt: Entwaffnung der Bourgeoisie, Be*
waffnung des Proletariats. Das müssen alle kämpfenden Arbeiter
begreifen, denn sonst wird man sie niederknallen, niederkartätschen.
Also darin besteht die Kunst des Herantretens an die Massen.
W ir müssen sie beherrschen, wenn wir siegen wollen.
120
K
>
121
i
tropfen. Aber ein« homogene, einheitliche, sozialistische Re*
gierung — warum denn nicht?“
Und wir mußten ihnen damals auseinandersetzen, daß eben
das ein Pseudonym war für bürgerliche Demokratie. Sie sehen
also, Genossen, die Sache ist nicht so einfach.
122
Radeks Niederlagestimmungen.
Radek sagte, ich beginge einen Fehler, wenn ich die Sache so
hinstelle, als ob wir zuerst nur Propagandagesellschaften waren,
und jetzt zu Massenparteien werden. Es verlohnt sich auch diese
Frage zu beleuchten. Ich spreche nicht vom Standpunkt des Histo*
rikers, nein, diese Frage ist von großer aktueller Bedeutung für
uns und unsere Taktik. Radek sagte: wir waren nicht nur Propa*
gandagesellschaften. Stand denn der Spartakusbund nicht in
großen Kämpfen? War denn nicht Rätediktatur in Bayern, in
Ungarn da? Radek befindet sich jetzt in einer Stimmung, die wir
als Niederlagestimmung bezeichnen können. Alles ist ihm recht,
was ihm beweist, daß wir rückwärts gehen.
Die Anhänger Brandlers schieben der jetzigen linken Zentrale
der KPD. die Schuld dafür zu, daß die Sozialdemokraten bei den
letzten Wahlen immer noch sechs Millionen Stimmen bekommen
haben. Schon ganze sechs Wochen lang ist die Linke in der
Partei am Ruder, und die Sozialdemokratie ist noch immer nicht
besiegt! Aber gestatten Sie, wir haben doch auch Brandler nicht
vorgeworfen, daß er nicht gesiegt hat. Nein, wir wissen, daß
man im Kampfe mitunter eine Niederlage erleiden muß. Wir
werfen ihm etwas anderes vor. Wir sagen nicht: „Warum hast
du nicht gesiegt?“, sondern „Warum hast du nicht gekämpft,
warum hast du nicht alles getan, um zu siegen?“
Ich glaube, man solle endlich mit den Lamentationen auf*
hören, daß bei den und den Wahlen die Sozialdemokraten noch
die Mehrheit bekommen haben. Summa summarum stellen Sie
ja nur die eine Frage: Warum habt ihr noch nicht die Macht
ergriffen? Warum hat die linke Zentrale noch nicht die Bour*
geoisie und die Sozialdemokraten besiegt? Warten Sie, das kommt
noch. Radek trägt mit dem Fleiß einer Biene alles zusammen,
um das düstere Bild zu erhalten, das er braucht. In Frankreich
steht es schlecht, in Deutschland haben wir noch nicht gesiegt.
Natürlich, man darf die schwachen Seiten nicht übersehen. Aber
so wie Radek sie sieht, ist es die Ideologie eines Niederlage*
Theoretikers. Früher sollen wir mächtige Parteien gewesen sein,
wir hatten die Macht in Ungarn und in Bayern — und wo sind
wir jetzt? Wahr ist, daß bei der Kriegsbeendigung die elementare
Stimmung der Masse sehr revolutionär war, so daß wir von Stunde
zu Stunde erwarteten, der Kapitalismus würde zusammenbrechen.
Aber weder in Deutschland noch in Ungarn und in Bayern j*ab
es eine wirkliche kommunistische Partei. Daher die Niederlagen,
Genosse Radek. Das sieht Radek nicht ein. Das schien ein
Widerspruch zu sein: die elementare Erregung der Massen war
groß, die Parteien waren noch sehr klein, waren Propaganda*
gesellschaften.
123
♦
124
i
.4
I M
1
125
• i
aufgetreten ist, kann auf unsere volle Unterstützung rechnen.
Mag Smeral selbst sich beeilen, seine Linie zu verbessern, dann
'wird es keines inneren Kampfes bedürfen.
Genosse Bucharin hat gegen einen Artikel des Genossen
Kreibich polemisiert. Genosse Kreibich glaubt, man urteile in
der K.I. nur auf Grund von Leitsätzen, Artikeln und Zitaten;
er hätte das früher, als er noch Linker war, selbst so getan. Ich
sage: Warum sollen wir nicht auf Grund von Artikeln, Zitaten
und Resolutionen urteilen? Aber die Leitsätze, Zitate und Artikel
geben genügend Anhaltspunkte, um auf Grund ihrer — gewiß
nicht ihrer allein — zu urteilen. Ich glaube darum, daß Genosse
Kreibich gut tun würde, sich auf seine rechten Fehler nicht zu
versteifen, ebenso wie er sich früher nicht auf seine linken Fehler
versteift hat. In seiner „linken“ Blütezeit war er zu weit nach
links gegangen. Er muß jetzt des „Gleichgewichts“ halber das*
selbe tun nach der anderen Seite hin. Damals war in dieser
Beziehung Lenin sein Beichtvater, der ihn damals tüchtig ver*
prügelt hat. Ich habe viele Genossen sagen hören: ja, Lenin hat
mich manchmal geprügelt, aber das war fast ein Vergnügen, bei
dem es sich lohnte, Haue zu kriegen. Ich schließe mich ganz
dieser Meinung an. Ja, es war ein Vergnügen, von dem Meister
selbst Prügel zu nehmen. Was ist aber ohne Lenin zu tun? Jetzt
muß die Exekutive kollektiv den Genossen Lenin ersetzen. Sie
ist gern bereit, den Genossen Kreibich kollektiv zu züchtigen
(Beifall) und dem Genossen Kreibich die kollektive Bitte zu über*
mittein, daß er sich nicht auf seine rechten Fehler so versteift,
eben so wie er früher auf seinen „linken“ Fehlern nicht beharrt
hatte.
Genosse Kreibich sagt ferner: Lenin hat seinerzeit nicht zu*
gelassen, daß Smeral in der Resolution des Kongresses Zentrist
genannt wurde. D ieses W ort hat er gestrichen. Richtig. Aber
in welcher Resolution nennen wir jetzt Smeral einen Zentristen?
Wir tun es eben nicht. Es handelt sich nicht darum, in der
Tschechoslowakei eine Parteikrise herbeizuführen. Wir lieben die
tschechische Partei als eine kerngesunde proletarische Partei, aber
wir übersehen auch nicht die Schwächen ihrer Führer und bitten,
daß sie mit diesen parlamentarischen Deklarationen aufhören und
bessern, was zu bessern ist.
127
ternationale wird, werde ich mit ihm zusammen eine solche linke
Fraktion bilden. (Beifall.)
Genosse Bordiga fragt: wer gibt die Garantie, daß die K. L
keine reformistische Internationale wird? Die Frage selbst ist
unsinnig. Wo liegt der Anlaß für eine derartige Frage?
Der Genosse Bordiga weiß wohl, wir hatten in der II. Inter?
nationale eine linke Fraktion gebildet, wir führten den Kampf
in Zimmerwald — also, wenn uns ein solches Unglück passieren
sollte, dann kann er ruhig sein. Aber ich glaube, das wird nicht
passieren. Ich stelle mit Vergnügen fest, daß Genosse Bordiga
die zitierten Worte nicht geäußert haben will. Nun gab mir aber
heute jemand einen Artikel des Genossen Bordiga vom 8. Mai,.
wo es heißt:
„Die Frage der Fraktionen wird sich nicht anders lösen als
durch die Annäherung an jene organisatorischen Normen, von
denen wir gesprochen haben (individueller Eintritt, keine Ver?
Schmelzung). Wenn wir aber davon abrücken sollten, dann würde^
das Bestehen einer internationalen linksoppositionellen Fraktion
notwendig werden.“
Also nicht, wenn wir Opportunisten und Reformisten werden,
sondern wenn wir den Standpunkt Bordigas in kleinen speziellen
Punkten nicht teilen: daß man z. B. sich niemals mit anderen Par?
teien vereinigen und niemals Zellen in anderen Parteien bilden
soll. Das genügt ihm, dann wird er eine Fraktion bilden.
In dieser Frage sind wir bereit, genau so unseren Mann zu
stellen, wie es Genosse Bordiga tut. Würde die Frage so stehen:
Hie Kommunismus — hie Menschewismus, dann wären wir für eine
Rebellion in jeder beliebigen Organisation. Aber wenn es sich um
solche Dinge handelt, wo Bordiga mit Fraktionsbildung droht
wegen Differenzen untergeordneter organisatorischer Natur, so
frage ich: welcher ist der richtige Bordiga? Der vom 8. Mai d. J.
oder der vom 25. Juni, den wir in diesem Saal gehört haben?
(Beifall).
Drei Streitpunkte.
Ich komme also zu den drei Fragen, die für den Genossen
Bordiga die wichtigsten zu sein scheinen. Er sei erstens prinzipiell
gegen die Möglichkeit einer Vereinigung einer kommunistischen
Partei mit irgendeiner anderen Partei. Er sei zweitens gegen die
Möglichkeit der Bildung von Zellen in anderen Parteien, und
drittens sei er dagegen, daß man sym pathisierende Parteien in die
K. I. aufnehme.
Nun wollen wir in allem Ernst diese drei Punkte untersuchen.
Was kann man gegen die Fusion einer kommunistischen Partei
t
m
T
mit einer anderen Partei oder dem Teil einer Partei anführen, die
früher nicht kommunistisch war und nachher es geworden ist?
Ich will daran erinnern, daß die Vereinigung des Spartakusbundes
mit der linken USP. nach Halle die Form einer Fusion hatte. War
sie für die Internationale und die deutsche Partei gut? Sie war gut.
Freilich, sie bedingte viele Krisen, aber sie führte auch zur Bildung
einer mächtigen kommunistischen Massenpartei. Die deutsche
Sozialdemokratie hatte ihr Monopol als einzige Arbeiterpartei
eigentlich schon in Halle verloren.
Nehmen Sie jetzt ein so kleines Land wie Belgien. Wir hatten
dort eine kleine kommunistische Partei, die sich mit dem linken
Flügel der früheren Sozialdemokratischen Partei vereinigt hat. War
es richtig? Ich glaube, daß es richtig war.
Warum ist das alles so gekommen? Genosse Bordiga urteilt
abstrakt. Wir dürfen nie vergessen, daß wir teilweise aus dem
Schoß der II. Internationale geboren sind. Die II. Internationale
ist 30 Jahre vor uns geboren und dadurch erklärt sich, daß wir dem
Schoß der II. Internationale entstammen. Die kommunistischen
Parteien formieren sich aus der neu heranwachsenden Jugend und
dem besten Teil, der dem Schoße der II. Internationale entwachsen
ist. Das geschieht nicht darum, weil wir Eklektiker sind, wie es
der „konsequente“ Bordiga glaubt. Warum sollen wir gegen das
sein, was wir in Halle und in Belgien durchgemacht haben und was
morgen auch in Italien eintreten wird, wo ein Teil der früheren
Sozialistischen Partei sich uns anschließen wird? Ich glaube, in
diesem ersten Punkte hat Genosse Bordiga absolut unrecht.
Der zweite Punkt: Man soll niemals Zellen in anderen Par?
teien bilden. Warum nicht? frage ich. Nehmen Sie das klassische
Beispiel der englischen Labour Party. Wir hatten beschlossen,
daß die englischen Kommunisten in die Labour Party eintreten
müssen. Sie haben das getan, und zwar nicht ohne Erfolg. Nie?
mand wird jetzt verlangen, daß sie aus der Labour Party austreten.
Genosse Bordiga, ist das richtig? Es ist dort eine eigenartige
Lage. In England besteht eine große Partei der II. Internationale,
während ihre Massen für unsere Agitation empfänglich sind. Die
Labour Party ist eine eigenartige Organisation. Wir müssen in
diese Massen eindringen, um sie für den Kommunismus zu
gewinnen. Was veranlaßt Genossen Bordiga, „im Prinzip“ dagegen
zu sein? Nur der Umstand, daß er die Form der Anwendung
dieser Taktik in Italien für unrichtig hält. Nein, sagt er. Aber
dann ist es um so weniger verständlich. Wir müssen unsere
Genossen verpflichten, in der Labour Party zu bleiben, um dort
Zellen zu bilden.
Der dritte Punkt: die sympathisierenden Parteien. Ich kenne
drei Fälle. Die K.A.P.D., die amerikanische und die finnische
« 129
Arbeiterpartei waren unserer Internationale als sympathisierende
Parteien angeschlossen. Jetzt handelt es sich darum, daß Teile der
Sozialistischen Partei Italiens als sympathisierende Partei an die
K. I. angeschlossen werden. War es richtig, daß wir in der Inter*
nationale mit uns sympathisierende syndikalistische Elemente auf*
nahmen? Ja, es war richtig! Wir mußten Aufklärungsarbeit
unter diesen Elementen leisten. Wir mußten auf diese Weise die
ehrlich revolutionären Elemente für uns gewinnen. Das war seiner*
zeit der Fall mit der K.A.P.D. Als aber die Sache erledigt war,
kamen die besten Arbeiter zu uns, die Führer zeigten, wie unrevo*
lutionär sie waren, es kam der Bruch, und dieser Bruch war ein
Beispiel dafür, daß wir richtig gehandelt hatten.
Warum versteift sich hier Genosse Bordiga? In allen drei
Fragen ist er im Unrecht. Er meint, wenn wir in diesen drei
Fragen nicht nachgeben, so wie er es will, würde er eine Fraktion
bilden. Nun, Genossen, ich habe nicht gesagt, wie man es mir
unterschieben wollte: entweder Bordiga oder die Internationale! Ich
weiß, daß Genosse Bordiga ein ebenso treuer Soldat der Revolution
ist wie wir alle: ich habe gesagt, Genosse Bordiga ist unser Freund,
aber die Internationale ist ein größerer Freund. Mit anderen
Worten, Bordiga muß das tun, was die Internationale bestimmt.
„Und der König absolut, wenn er unseren Willen tut“. So denkt
Genosse Bordiga. (Beifall.) Man muß der Internationale jeden
Tribut zollen, aber nur in dem Falle, wenn sie so handelt, wie
Bordiga es will. Ich verstehe nicht, wie Bordiga, den wir alle als
einen sehr guten Genossen kennen, der um die italienische
Bewegung Verdienste hat, sich so versteifen kann. Italien ist ein
schönes, ein sonniges Land. Es hat viele gute Arbeiter. Mussolini
wird geschlagen werden; aber Italien ist dennoch ein Provinzwinkel
vom Standpunkte der Weltrevolution. Sie sehen, daß alle unsere
Methoden der Fusion gute Erfolge haben, wie es in Ländern wie
Deutschland, England und Amerika zum Ausdruck kommt — den
wichtigsten Ländern unserer Weltbewegung. Warum beharren
Sie bei Ihren Fehlern, Genosse Bordiga?
Nun, aber wichtiger ist die Frage der Einheitsfront. Da
suchte auch Bordiga humoristisch zu werden, er sagte: Nun ja,
wenn es sich schon um ein Wort handelt: „Arbeiterregierung“ —
diese Konzession können wir schon machen. Wir standen immer
auf dem Standpunkt, daß es sich nur um ein „Wort“ handelt.
Bordiga hat sich mit Radek getroffen: Es finde sozusagen eine
Revision der Taktik des IV. Kongresses statt. Das kommt bei
„ultralinken“ Abweichungen vor. Die Ultralinken treffen sich
mit den Ultrarechten.
Wie stand die Sache mit der Einheitsfront? Ich bin kein
Historiker, aber ich muß doch einiges aus der Geschichte* anführen.
130
G enosse Bordiga sprach von der erweiterten Sitzung der Exekutive
im Februar 1922. Ich glaube, gerade Genosse Bordiga sollte nicht
s o lange bei diesem Datum verweilen. Warum? Wie waren
damals die Rollen verteilt? Ich, der arme Sünder, der „Oppor*
tu n ist“, der bald nach rechts, bald nach links geht, der Eklektiker
usw .; Bordiga aber wie immer gegen die Rechten, stets geradlinig,
s te if und konsequent! Ein italienischer Genosse hat gestern im
G espräch mit mir gesagt: eine Telegraphenstange ist ebenfalls
„geradlinig“ (Heiterkeit, Beifall). Aber, Genossen, wir wissen
alle, es gibt auch etwas Elastischeres als eine Telegraphenstange.
D iese Elastizität ist eben für die Kommunistische Internationale
vonnöten.
!>
Die Ursachen der starren Position Bordigas.
Ich versuche oft. mir zu erklären, woher diese starre Ein*
Stellung der Italiener vom Typus Bordigas gekommen ist. Gewiß
doch nicht aus den persönlichen Eigenschaften dieser oder jener
Führer. Sie ist entsprungen aus der Geschichte der italienischen
Arbeiterbewegung, aus dieser alten sozialistischen Partei, die alles
vereinigt hat — Turati, Bordiga, Serrati. Alles war da beisammen.
Jetzt ist eine eigentümliche Reaktion eingetreten. Man will eine
kleine, echte, hartgesottene kommunistische Partei haben, selbst
ohne große Massen. Das ist begreiflich. Aber Genossen, nach
Livorno sind doch schon drei, vier Jahre vergangen. Die Dinge
nehmen ihren Verlauf, die Revolution geht weiter. Die italienische
Bewegung belebt sich jetzt wieder, die italienische Arbeiterklasse
wird bald wieder eine große Rolle spielen, wird in die Bewegung
mit sehr großen, neuen Erfahrungen eintreten. Sie wird nicht die
italienische Bewegung der Jahre 1919 und 1920 werden. In dieser
Situation ist es höchste Zeit, diesem Schiboleth ein Ende zu machen
und mit der K. I. zu marschieren, dort wo sie Recht hat. Es handelt
sich keineswegs um eine „Revision“ der alten Taktik, nicht um
Unterscheidung der Einheitsfront auf ökonomischem und poli*
tischem Gebiete, sondern um die Gewinnung der Arbeitermassen
sowohl durch ökonomischen wie auch politischen Kampf, und um
Heranziehung der Massen auf dem Weg, den die K. I. geht. In Eng*
land sind die Mittel andere als in Amerika, in Italien wieder andere.
Hier sind starre „Prinzipien“ nicht angebracht. Aber Bordiga
beharrt auf ihnen. *
Das ist das, was ich Ihnen sagen wollte. Ich bin tief davon
überzeugt, daß es auch die Meinung des größten Teiles des Kon*
gresses ist, der wirklichen Linken der Kommunistischen Inter*
nationale und das alles getan werden wird, um sich mit Bordiga zu
verständigen. Aber auch er muß verstehen, daß er unrecht hat.
Bordiga sprach gestern nicht über die Frage der Gewinnung der
Mehrheit. Es scheint, daß diese Frage jetzt für alle klar ist. Wenn
er jetzt sagen wollte, daß er weiter auf die Thesen des Parteitages
von Rom besteht, so werden wir ihm antworten, daß wir diese
Thesen wiederholt abgelehnt haben. Bordiga hat gestern darüber
nicht gesprochen. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen, daß jetzt
darüber keine Streitigkeiten mehr bestehen, das heißt, daß der
Beschluß des III. Kongresses über die Gewinnung der Mehrheit in
Kraft ist. Bordiga muß jetzt auch seine anderen doktrinären
Fehler einsehen, und wirklich mit uns in Reih und Glied
marschieren. Die ganze Internationale und die Linke der Inter*
nationale wird sich freuen, wenn ein Problem Bordiga nicht mehr
besteht.
Die Lage in Amerika.
Nur noch zwei Worte über die Rede des Genossen Äm ter zur
Lage in Amerika. Ich muß sagen, daß Genosse Ämter mitunter
der amerikanischen Bewegung Bärendienste leistet. Es ist eine
schwierige Lage in Amerika. Die Exekutive hat volles Vertrauen
zu der amerikanischen Zentrale, an deren Spitze Foster und Ruthen*
berg stehen, die beiden besten Kräfte in Amerika. Die beiden
i
Das Fazit.
Zusammenfassend: ich glaube, Genossen, gewiß, wir müssen
manches anders formulieren als es auf dem IV. Kongreß formu*
liert worden ist. Aber die Linie des III. und IV. Kongresses in der
Frage der Weltwirtschaftslage bleibt bestehen; die allgemeine
Linie in der Frage der Arbeiter* und Bauernregierung bleibt eben*
falls bestehen. Was wir revidieren, theoretisch liquidieren und
wenn nötig, auch mit schärferen Mitteln liquidieren werden — das
ist die opportunistische Entstellung der Linie der K . 7.
Mag die Arbeiterschaft der ganzen Welt und mögen die sozial*
demokratischen Führer und alle unsere Gegner wissen, was wir
für strategische Manöver machen. Wir brauchen es nicht zu
befürchten, Genosse Smeral. Das Wort „Manöver“ wird gewöhn*
lieh mit einem schlechten Nebengeschmack gedeutet, aber in
gewissem Sinne kann man sagen, daß unsere ganze Taktik über*
haupt ein Manöver ist. Mögen unsere Gegner wissen, daß wir,
wo es vonnöten ist, manövrieren. Wer glaubt, daß wir die
politische Vereinigung mit allen sogenannten „Arbeiterparteien“
planen, der irrt. Möge die ganze internationale Arbeiterschaft
133
und die internationale konterrevolutionäre Sozialdemokratie
wissen, daß die Ansicht, die hier von verschiedenen Genossen mit
Radek an der Spitze ausgesprochen wurde, nicht die Meinung der
K. I. ist. Die K. I. hat einen entgegengesetzten Standpunkt, den
Standpunkt des revolutionären Marxismus, des Leninismus.
b
t
* « i . 4.
135
r
I
Wir hegen alle die Zuversicht, daß die Bewegung wächst. Die
Propagandagruppen haben sich in starke Organisationen ver*
wandelt, die im Kampfe gestählt worden sind. Wir haben alle das
Gefühl, daß wir auf diesem V. Kongreß wirklich davon sprechen,
daß wir eine Weltpartei sind. In diesem Sinne werden auch die
Resolutionen des Kongresses gefaßt werden. Diejenigen Genossen,
die für eine andere Auffassung gekämpft haben, werden sich
unseren Beschlüssen anschließen als dem Ausdruck der kollektiven
Erfahrungen und des kollektiven Gehirns, alles Besten und Ehr*
lichsten und Revolutionärsten innerhalb der Arbeiterklasse der
ganzen Welt. (Stürmischer, langanhaltender Beifall, die Delegierten
singen die Internationale).
T U R D IE EIN H EIT DER
ITNTERNA TJONALEN
GE W ERKSCHATTSBE WEGUNG
REDE.
GEHALTEN A U T DEM V. WELTKONGRESS DER KOMINTERN
7. JU L I 1924
Genossen! Die Frage der Gewerkschaften ist von der größten
Wichtigkeit. Irgendwelche Zweideutigkeiten in ihr bestehen zu
lassen, hieße der Bewegung den größten Schaden zufügen.
Man spricht auf diesem Kongreß viel über die notwendige
Bolschewisierung der Parteien, über die Treue zum Leninismus.
Wir hätten vorgezogen, daß nicht soviel über den Leninismus
und die Bolschewisierung der Partei gesprochen, aber dafür etwas
genauer studiert würde, was der Leninismus wirklich darstellt,
speziell in der Frage der Gewerkschaften. (Beifall.)
Der Bolschewismus ist gegen die Spaltung der Gew erk*
schäften. Ueber den Standpunkt des Leninismus in der Gewerk?
schaftsfrage kann uns vor allem die Praxis des Leninismus Auf?
Schluß geben. Sie wissen, daß die erste politische Spaltung zwischen
den Bolschewisten und Menschewisten schon 1903 bestand, also
vor mehr als 20 Jahren, um von früheren Zeiten gar nicht zu
reden. In der Frage der Gewerkschaften haben die Bolschewiki
ganz anders gehandelt. Trotz aller politischen Spaltungen haben
wir keine einzige Gewerkschaft gespalten, (Radek: Sehr richtig!)
weder vor, noch während, noch nach der Revolution. Das gibt
zu denken, Genossen. Auch nach der Oktoberrevolution waren
die Gewerkschaften zum großen Teil noch in den Händen der
Menschewiki. Und trotzdem haben wir alles getan, um einer
Spaltung vorzubeugen. Später, als die Menschewiki in den Ge?
werkschaften nur noch einen ganz kleinen Teil bildeten, wurde
von unserer Partei alles getan, um die Gewerkschaften von innen
heraus zu igewinnen, ohne irgendwelche Spaltung.
Also, Genossen, wenn Sie die Praxis des Bolschewismus ver?
stehen wollen, so dürfen Sie diese grundlegende Tatsache nicht
vergessen: 25 Jahre Spaltung auf politischem Gebiete, — die
Menschewiki haben uns Berufsspalter genannt, — und keine ein* .
zige Spaltung auf gewerkschaftlichem Gebiet, weder im Moment,
wo wir die Minderheit, noch im Moment, wo wir die Mehrheit in
den Gewerkschaften hatten. Das ist eine grundlegende Tatsache
aus der Geschichte der russischen Revolution und der Ge?
schichte des russischen Bolschewismus.
Wer sich Leninist nennt, wer sagt, daß er die Partei bolsche?
wisieren will — ich glaube, Schumacher behauptet das auch, aber
vor einer solchen Bolschewisierung der Partei mag Gott uns be?
hüten — der wird die Gewerkschaften nicht spalten. Denn das
wäre das Entgegengesetzte, das wäre eine Forderung der Mensche?
wisierung, trotzdem sich Schumacher als Linker bezeichnet*
138
Solche Linke haben wir schon genug gesehen. Wenn ich nicht
irre, war Schumacher vor zwei bis drei Jahren in Moskau als
Vertreter der U.S.P., und jetzt tritt er schon auf als einer, dem
die Internationale nicht links genug- ist. (Radek: Das passiert
manchem!) Also, wenn Sie wirklich von der Bolschewisierung
der Partei sprechen wollen, dann merken Sie sich ein für allemal:
die Einheit der Gewerkschaftsbewegung ist eines der wichtigsten
Hauptmerkmale des Bolschewismus, ist die Praxis des russischen
Bolschewismus seit 25 Jahren. Keine einzige Gewerkschaft
haben wir gespalten. Warum? Weil wir die Menschewiki ge?
liebt haben, oder weil wir gedacht haben, die Gewerkschaften
seien so eine besondere Form der Bewegung, die uns heilig
ist, die man nicht antasten soll? Nein, nicht darum, sondern
weil wir verstanden haben, daß die Gewerkschaften der Sammel?
punkt der proletarischen Massen, der gesamten A rbeiterklasse sind.
Man hat unlängst in der deutschen Partei gesagt: wir haben
die Gewerkschaften schon satt, wir möchten gern eine „neue
Form“ der Arbeiterbewegung schaffen. Und diese Genossen
haben wirklich geglaubt, es handele sich nur um den guten
Willen; wenn man den habe, werde man diese „neue Form“ leicht
finden. Das ist eher alles andere als Bolschewismus. Die Ge?
werkschaften sind nicht von Graßmann, D'Arragona, Legien aus?
gedacht worden, sie sind die historisch gegebene Form der Massen?
Organisationen des Proletariats während des Kapitalismus. Man
kann sich eine „neue Form“ der Arbeiterbewegung nicht aus den
Fingern saugen. Eine neue Form der Massen?Arbeiterbewegung
außer den Gewerkschaften kennen wir, das sind die Sowjets.
Aber sie sind eine solche neue Form, die man nicht zu beliebiger
Zeit begründen kann. Wir haben auf dem Kongreß eine spezielle
Resolution angenommen über die Bedingungen für die Gründung
der Sowjets. Lesen Sie diese Resolution. Dort werden Sie
genau gesagt finden, wenn Sowjets gegründet werden können:
Am Vorabend der Revolution, wo sie wirklich schon Keime der
Arbeiterregierung sind im Sinne der Diktatur des Proletariats.
Also eine neue Form der Arbeiterbewegung ist wirklich da,
das sind die Sowjets. Die kann man aber nicht zu beliebiger
Zeit produzieren, sondern nur am Vorabend der Revolution. Und
eine andere Form der proletarischen Massenbewegung gibt es
nicht.
Die Betriebsräte werden allmählich zu einer neuen Form
der Arbeiterbewegung innerhalb der Gewerkschaftsbewegung.
Die Gewerkschaften aber bleiben die wichtigste Organisation,
sogar nach dem Sieg des Proletariats, sogar nach der Eroberung der
Macht durch das Proletariat. Wenigstens die Geschichte der
139
einzig siegreichen Revolution, der russischen Revolution hat dies
bezeugt.
Es ist also sehr leichtfertig, zu sagen, daß wir willkürlich,
nach eigenem Wunsch eine „neue Form“ der- Arbeiterbewegung
schaffen und die bisher einzige alte Form vernachlässigen können. ü
Genosse Lenin hat uns gelehrt, daß die G ew erkschaftsbew egung i
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sation ist schon kein Marxismus mehr und kann niemals siegen.
Wir haben gestern die Pariser Kommune gefeiert. Wir iS
wollen aber eine siegreiche Kommune haben, wir wollen den Sieg
des Proletariats. Und dazu gehört zunächst die Vereinigung der
Arbeiterklasse.
Wir haben auf dem 4. Kongreß erklärt, — und das ist auch
jetzt noch absolut richtig: — je mehr die sozialdemokratischen
Führer einsehen, daß die Arbeiterklasse mit den Herzen doch
zu uns gehört, daß wir die Mehrheit gewinnen werden, je mehr
sie einsehen, daß wir uns der Revolution nähern, um so mehr
versuchen sie, die Gewerkschaften zu spalten. Sie denken im
Stillen: Wenn die Kommunisten schon einmal die Organisation
140
7*
Die Schumacherei.
In der deutschen Partei sprach man viel von einer „neuen
Taktik“ in der Gewerkschaftsfrage. Worin besteht diese Taktik?
In der „Schumacherei“. Schade nur, daß es in unserer deutschen
Partei nicht nur einen ganzen Schumacher, sondern auch halbe
\ Schumacher gibt, d. h. Leute, die dieselbe falsche Taktik mehr
oder weniger inkonsequent verfechten. Es ist viel besser, wenn
141
man den „ganzen“ Schumacher hier auf der Tribüne hat und die
Frage im vollen Umfänge aufrollen kann.
Schumacher sagt: eine ganze Weltanschauung trennt uns von
den Sozialdemokraten, darum können wir nicht mit ihnen in den
Gewerkschaften bleiben. Ja, gewiß trennt uns eine ganze Welt*
anschauung von den Sozialdemokraten, sie sind bürgerliche La*
kaien und wir sind Kommunisten. Wer weiß das nicht? Das
braucht nicht erst Schumacher zu entdecken. Oder man sagt
weiter: die Hunde, die Führer der Sozialdemokraten provozieren
uns, um uns aus den Gewerkschaften hinauszutreiben, also müssen
wir fortgehen. Aber dazu sind sie eben Hunde, sind sie Lakaien
der Bourgeoisie, um uns zu provozieren, um die Gewerkschaften
zu spalten — und dazu sind wir nicht Gefühlsmenschen, sondern
ernste proletarische Revolutionäre, um zu sagen: Hunde bleiben
Hunde, Lakaien der Bourgeoisie bleiben Lakaien der Bourgeoisie,
aber wir werden trotzdem ausharren und um jeden Preis die
Mehrheit unserer eigenen Klassengenossen zu gewinnen suchen
in den Gewerkschaften, in der Organisation, die jetzt noch von
den verfluchten Lakaien der Bourgeoisie geführt wird, die aber
von ihnen ja nicht für ewige Zeit beherrscht werden wird. Die
Zeit wird kommen, wo wir die Mehrheit der Arbeiter in ihnen
gewinnen werden. Koste es was es wolle, wir werden die Auf*
gäbe, diesen Sammelpunkt der Arbeitermassen zu erobern, nicht
fallen lassen.
Die Herren Menschewiki in Rußland waren auch solche
Lakaien der Bourgeoisie, auch sie wollten, wir sollten raus aus
den Gewerkschaften. Es fanden bei uns dieselben Kämpfe statt.
Wir aber haben gesagt: je mehr Provokationen, umso größere
Ausdauer unsererseits, um in den Gewerkschaften zu bleiben und
die Mehrheit der Gewerkschaften trotz allem zu gewinnen. In
der K. I. hatten wir von Anfang an Elemente, die versuchten, uns
von unserem Weg abzubringen. Schon auf dem 1. und 2. Kon*
greß wurden solche Stimmen laut; teilweise waren es Genossen
aus Amerika und England, die sagten: wir können nicht in
diesen Gewerkschaften bleiben! Lenin kämpfte wie ein Löwe
gegen sie.
Jetzt sagen diese Genossen: wir sind alle Leninisten, aber
wir wollen aus den reformistischen Gewerkschaften heraus, wir
wollen eine „neue Form“ der Arbeiterorganisation, es trennt uns
eine Weltauffassung von diesen alten Gewerkschaften. Wir
aber stehen hier und können nicht anders: die Taktik der K. I.
besteht darin, in den Gewerkschaften, so wie sie sind, zu arbeiten.
Lenin hat es verstanden, die ersten Arbeiter unserer Partei, die
ersten Gründer unserer Partei in die reaktionären Gewerkschaften
zu entsenden, die von den sozialdemokratischen Gendarmen
142
K
gegründet wurden; er hat sie sogar in die vom General Subatow
gegründeten Gewerkschaften geschickt, um einen Teil der Ar*
beiterschaft für uns zu gewinnen. Ich muß anerkennen, daß die
Dißmann, Graßmann, D’Arragona und Gompers ebensolche
Gendarmen sind; es sind reaktionäre Kerle, wir kennen die
Bande, sie sind objektiv nicht besser als der General Subatow.
Aber wenn wir schon in diese Gewerkschaften eingetreten sind,
um die Mehrheit der Arbeiter zu gewinnen, müssen wir unbedingt
auch in diesen SubatowsGraßmannschen Gewerkschaften, in diesen
SubatowdD’Arragonaschen Gewerkschaften ausharren. Wenn wir
das nicht tun, ist es nur ein Lippenbekenntnis, zu sagen, daß wir
die Mehrheit der Arbeiterklasse gewinnen wollen. Vielleicht
wollt Ihr das, aber Ihr versteht nicht, wie das zu machen ist.
Man kann die Mehrheit nicht gewinnen, wenn man nicht in den
Gewerkschaften arbeiten will. Dann macht man nur die Arbeit
für diesen Gendarmen. Obwohl sich Schumacher für links hält,
macht er doch die Arbeit für Graßmann und Dißmann.
Von einer Heirat mit den Amsterdamern kann keine Rede sein.
Jetzt kommen wir zur zweiten Frage, wie wir uns gegenüber
dem I. G. B. verhalten sollen. Diese zweite Frage ist meines Er*
achtens untergeordneter Natur. Genosse Bordiga hat hier be*
hauptet, wenn man Pläne schmiede, in gewisse Vorunterredungen
mit den Amsterdamern einzutreten, so habe er das Gefühl, daß
man die Bewegung zum „extreme droite“ (rechts) zieht. Wir sind
schon manchmal hier als die Rechte bezeichnet worden gegenüber
den sog. Extrem*Linken. Auf dem III. Weltkongreß sagte Lenin:
t „Ich trete hier als rechter Genosse gegenüber der Offensivtheorie
auf.“ Nun denn, man bezeichne uns auch heute als rechte, wir
fürchten das nicht. Das ist nicht so schlimm. Die wirkliche
leninistische Linke steht immer dort, wo die A rbeiter sind. Die
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teilen. Die Meinung der russischen Partei ist in ihm nicht mit*
geteilt; wenn Sie diese Meinung wissen wollen, so sind wir dazu
da, Ihnen zu sagen: Das Memorandum ist unrichtig. Es heißt
darin, daß wir eine „Heirat“ mit den Amsterdamern anstreben.
Ich fürchte, das haben die Genossen geschrieben, die wirklich so
etwas wie eine „Hochzeit“ in der sächsischen „Arbeiterregierung“
vorbereitet haben. Entweder Heirat mit den Amsterdamern, oder
heraus aus den Gewerkschaften — so stellt man die Frage. Aber
es gibt dort eine andere Fragestellung. Man erkundige sich bei
den russischen Menschewiki. Wir haben mit ihnen wahrhaftig
keine Heirat geschlossen. Wir sind aber auch nicht aus den G e
w erkschaften ausgetreten, wo sie uns geknechtet haben. Wii
haben die Gewerkschaften nicht in 20 Monaten, sondern in
20 Jahren gewonnen. Wenn ihr nur solche Richtlinien wollt, die
den Sieg in 20 Monaten garantieren, so können wir euch keine
geben, das kann nur ein Scharlatan. Wir wissen, daß wir die
Mehrheit der Arbeiter trotz alledem gewinnen werden. W enn
wir das nicht verstehen, wird es keine proletarische Revolution
geben. Von einer „Heirat“ mit den Amsterdamern kann keine
Rede sein. Eine Heirat mit den Sozialdemokraten sahen wir
voriges Jahr in Sachsen, aber in der russischen Revolution nicht:
in der wird man sie niemals sehen.
Darum sehe ich hierin einen zweiten Beweis dafür, daß die
deutsche Partei diese Frage bis zu Ende durchdenken muß. Wenn
die deutsche Partei, wie sie ist, gegen gewisse Unterredungen
mit den Amsterdamern opponiert, so nicht aus internationalen
Gründen, glaube ich, sondern aus nationalen Gründen, weil die
deutsche Partei in der Frage der Einheit der Gewerkschaften
noch mit sich selbst ringt.
Ich habe mit einigen Genossen gesprochen, und es scheint
mir, daß manche denken: mögen die russischen Gewerkschaften
zu den Amsterdamern gehen, dagegen werden wir nicht oppo* .
nieren, nur aber soll man uns in Deutschland nicht dazu zwingen,
in den sozialdemokratischen Gewerkschaften zu arbeiten. Ist
das ein internationaler Standpunkt? Keinesfalls! Wenn die
russischen Gewerkschaften selbst ohne die R. G. I. zu den Amster*
damern gingen, so wäre das wirklich eine Kapitulation der K. I.
und der R. G. I. Das wird niemals geschehen. Unsere russischen
G ew erkschaften sind leninistische G ew erkschaften, sie werden
nicht als russische G ew erkschaften auftreten, sondern als Be»
standteil der Roten G ew erkschaftsinternationale, und das aus«
führen, was die Internationale beschließt. Die deutschen Ge>
nossen müssen die Frage vom internationalen Standpunkt auf«
fassen. Aber nicht vom deutschen.
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149
die deutsche Partei, sondern Paul Levi war gegen die Gründung
der R.G.I. Das ist ein Unterschied. Wir waren zusammen mit
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der deutschen Partei für die Gründung. Die R.G.I. wurde ge*
gründet in einem Moment, wo es schien, wir würden die Front
des Feindes in frontaler Attacke durchbrechen können und die
Gewerkschaften rasch erobern. Ich erinnere mich ganz gut an
die ersten Gründungsversammlungen. An dieser Versammlung
nahm noch im Namen der italienischen Delegation D’Arragona
teil, im Namen der englischen Robert Williams, und manche
von ihnen haben linksstehende Abänderungen der Resolution be*
antragt. Ja, wir hatten sogar den Fall zu verzeichnen, daß ein
spanischer Professor nach Moskau kam und erklärte: ich bin
zwar Reformist, aber die spanischen Arbeiter sind. Kommunisten,
und sie verlangen, daß ich mich der III. Internationale anschließen
soll. Wir sagten ihm: bevor Sie nicht Kommunist sind, können
Sie sich der K.I. nicht anschließen. Es war dies eine Zeit, wo
wir glaubten, wir werden die Mehrheit der Arbeiter ganz schnell
gewinnen. Sie wissen, Genossen, daß die Bewegung später ab*
geflaut ist, daß das ganze Problem, alle taktischen Schwierig*
keiten der K.I. während dieser fünf Jahre eben daraus stammen,
daß die Entwicklung viel langsamer gegangen ist, als wir annahmen.
Die Sozialdemokratie hat sich teilweise konsolidiert, auch auf dem
Gewerkschaftsgebiet. Jetzt müssen wir sie auf Umwegen be*
kämpfen, die langwieriger und schwerer sind. Das ist das Neue*
was Sie nicht verstehen wollen.
Man sagt weiter: Ja, was ist denn neu in England? Ein
sogenannter linker Flügel, der natürlich kein wirklicher linker
Flügel ist; das sind nur Illusionen. Aber bedenken •Sie, Ge*
nossen, daß England das modernste Land der Arbeiterbewegung
ist. Darin hat Wijnkoop durchaus recht, als er sagte, daß die
britische Arbeiterbewegung in diesem Sinne ausschlaggebend ist.
Nun, wir haben jetzt in England ein neues Kapitel der Arbeiter*
bewegung. Wir wissen noch nicht ganz genau, woher die kom*
munistische Massenpartei in England kommen wird, ob durch die
Tür von Steward*MacManus oder vielleicht auch noch durch
eine andere Tür. Und es ist wohl möglich, Genossen, daß die
kommunistische Massenpartei noch durch eine andere Tür kommen
kann. Das* darf man nicht übersehen. Was jetzt in England vor*
geht, hat mindestens dieselbe historische Bedeutung, wie das, was
in den anderen Ländern Europas vorgeht.
Ich habe den deutschen Genossen schon gesagt: es ist ganz
natürlich,' daß wir alle an unserer Partei, an unserer Organisation
150
hängen. Ich hänge an Leningrad; andere Genossen haben immer
Beispiele von Ludwigshafen und Hamburg angeführt, und das
ist alles ganz verständlich. Doch Hamburg, Ludwigshafen und
Leningrad in allen Ehren, aber ich sage offen, daß London auch
einige Bedeutung hat und wahrlich keine geringere . als die ge*
nannten Städte.
Was sich in England abspielt, hat welthistorische Bedeutung.
Wir dürfen nicht blind sein, wir müssen das sehen. Sonst müssen
wir eine deutsch*russische Internationale gründen oder eine rein
europäische Internationale. Und wir haben etwas anderes
gegründet, wir haben eine W^eZ/internationale gegründet, eine
IFe/fpartei. Darum darf ein deutscher Genosse nicht sagen: „Was
gehen mich die russischen oder englischen Gewerkschaften an?“
Sie gehen uns sehr viel an, denn sie bilden einen sehr wichtigen
Bestandteil der modernen Arbeiterbewegung.
Man fragt, was sich Neues zügetragen hat. Neues ist, daß
die Amsterdamer Internationale zu zerfallen beginnt, daß in der
englischen Arbeiterbewegung eine sehr wichtige Entwicklung an*
gefangen hat. Ich mache mir keine Illusionen. Ich bin durch*
aus überzeugt, daß die Linken dort noch keine Revolutionäre
sind, daß sie vorläufig nicht besser sind als die „linken“ deut*
sehen Sozialdemokraten. Aber es ist schon ein' wichtiges Ereignis,
daß sie überhaupt aufgetaucht sind. Das müssen wir begreifen,,
sonst werden wir in England keine proletarische Massenbewegung,
geschweige denn eine proletarische Revolution hervorrufen.
Man macht jetzt der russischen Gewerkschaftsbewegung
einen Antrag;'ich frage: hat diese Frage wenigstens für Rußland
und England Bedeutung? Ja, und zwar eine sehr große Be*
deutung. Was die russischen Gewerkschaften hier in Moskau
antworten werden, wird dort in London eine große Rückwirkung
haben. Und nun frage ich: wie soll die Antwort lauten? Sie
muß lauten, wie es vom Standpunkt der ganzen Internationale
notwendig ist. Manche glauben, daß dabei vielleicht diplomatische
Gründe mitspielen. Das ist leeres Gerede, MacDonald und
seine Garde fürchten die Annäherung ihrer Bewegung an uns
wie die Pest. Wenn es im deutschen Memorandum heißt, eine.
Annäherung werde uns bei der Mobilisierung der Massen gegen
das „Sachverständigen*Gutachten“ hindern, so sage ich: das ist
eine so heilige Naivit.t, daß ich gar kein Argument dagegen finde.
Ganz umgekehrt, Genosse Heckert. Sie, der Sie doch große parla*
mentarische .Erfahrungen in Sachsen gesammelt haben (Beifall),
sollten doch eine solche heilige Naivität nicht haben. Meinen
Sie wirklich, daß MacDonald oder Graßmann oder der „Vor*
wärts“ aufrichtig an eine Heirat zwischen uns und ihnen glauben?
151
Nun, das wird eine „Heirat“ sein, bei der diese Leute fast die
Hälfte ihrer Haare verlieren werden.
Im Gegenteil, die erste Frage, die wir, wenn es zu einer
Unterredung kommen sollte, diesen Leuten stellen werden, wird
lauten: Nun, meine Herren, und das Sachverständigengutachten?
Wir werden die Leute an die Barriere stellen, wir werden sie
zwingen, zu antworten, wir werden sagen: Was ist die Politik
der Zweiten und der Amsterdamer Internationale im Problem
des Sachverständigengutachtens? Es ist die Politik von 1914, es
ist die Fortsetzung der Sozialverräterei mit anderen Mitteln. Es
ist derselbe Betrug der Massen wie am 4. August 1914. Also
die Leute wollen das im Stillen abmachen. In dem Moment, wo
wir diese Frage irgendwo international stellen können, haben sie
die Schwierigkeiten, nicht wir.
152
kann. Das ist eine Illusion. In dem Moment, wo wir die Parole
von der Einheit der Gewerkschaftsbewegung wirklich in die
Massen tragen, wird es den Herren Sozialdemokraten schwer
werden, Euch so schamlos zu bekämpfen, wie sie es jetzt tun —
wenn die Frage nur tatsächlich zur internationalen Frage wird.
Nur in einem Punkte kann ich unseren deutschen Freunden
Recht geben, nämlich darin, daß die Frage noch nicht vorbereitet
ist, und daß dies alles nicht im Zeitraum von einigen Wochen
auf die Massen stürzen kann. Das ist richtig.
153
unsere Partei versteht zu manövrieren, sie führt den Feind an
der Nase herum und versteht unsere Interessen zu verteidigen.
Ich glaube, daß das auch in Deutschland der Fall ist. Sie wissen,
daß man ziemlich oft die Fehler der Führer auf die Massen ah«
wälzt. Die Masse wird unsere Politik gegen die konterrevo«
lutionären Führer der S. P. D. sehr wohl verstehen.
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nach auch des großen Werkes der Pariser Kommune auf uns
genommen haben.
Es wird keiner 53 Jahre bedürfen, bis das Banner der Kom*
mune sich über der ganzen Welt entfaltet. Es wird zweifelsohne >
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ilm einer viel geringeren Frist bedürfen. Als Unterpfand hierfür dient i
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Zuchthäusern. Opfer des Kampfes für das Werk, das die Pariser
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Internationale fortführt. 1
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Das große Proletariat der S.S.S.R. schwört vor dem Banner der
Pariser Kommune, daß es sein letztes für den Sieg der Revolution
nicht nur in Europa, sondern in der ganzen W elt hergeben wird.
Das Gedächtnis an die heutige Versammlung wird nicht
untergehen, die Fahne der Pariser Kommunarden wird unter den
Ruhmesfahnen der russischen Revolution aufbew ahrt werden als
ein Heiligtum.
Ich schlage vor, daß diese Fahne der Pariser Kommunarden 0
in der Gruft auf bewahrt wird, wo der größte Führer der ganzen
A rbeiterklasse, W. J. Lenin, ruht. Den Fahnen des ZentralkomU
cba tees unserer Partei und der Kommunistischen Internationale, die
na sich am G rabe Wladimir Iljitschs senkten, möge sich das Heldern
da banner der Pariser Kommunarden zugesellen.
Es lebe der unvergängliche Ruhm der Pariser Kommune.
E$ lebe der Sieg der A rbeiterklasse in der ganzen W elt!
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UNSERE ERRUNGENSCHAFTEN
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müssen, wir verfolgen jetzt mit größter Aufmerksamkeit die
. kämpfende, internationale Arbeiterklasse.
Wo wir sehen, daß Ihr internationale Arbeiter, das Ueber*
gewicht über die Bourgeoisie gewinnt, strahlt alles auf. Wo wir
umgekehrt sehen, daß die Bourgeoisie das Uebergewicht bekommt,
sinkt für einen Moment lang der Kopf des russischen Arbeiters,
aber wir sind felsenfest davon überzeugt, daß trotzalledem der
endgültige Sieg euch und uns gehört.
Kann man einfacher, schlichter und kürzer die wirklichen
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DIE HA UPTERGEBNISSE D ES
V. WELTKONGRESSES
I
Die Schwierigkeiten bestehen darin, daß die internationale
Arbeiterbewegung sich in verschiedenen Ländern auf ver*
schiedenen Entwicklungsstufen befindet. In unserem Lande haben
wir die Macht den Händen der Bourgeoisie entrissen. Auf einem
Sechstel des Erdballes wurde die Sowjetmacht aufgerichtet. Auf
den übrigen fünf Sechsteln leben unsere Parteien unter ver*
schiedenen Regimes, auf verschiedener Entwicklungsstufe. Es ist
ein sehr buntes Bild. Anders ist die Lage zum Beispiel in Deutsch*
land, anders, sagen wir, auf dem Balkan, wieder ganz anders in
Japan, Amerika usw. Wir brauchen ein Programm, das uns er*
lauben würde, den Zustand der revolutionären Bewegung im
Weltmaßstabe ins Auge zu fassen.
Auf dem IV. Kongreß sagte uns Wladimir Iljitsch, daß wir uns
mit der endgültigen Ausarbeitung des Programms der K.I. nicht
allzu sehr zu beeilen haben, schon darum nicht, weil wir die —
wie er sagte — Rückzugslinie noch nicht ganz klar erfaßt haben.
Wenn man in den Kampf zieht, dann muß man einen Rückzugs*:
plan haben. Er hatte unsere „NEP“ vor Augen, die er nicht
selten einen Rückzug nannte, und er sagte: wir haben einen
Angriff gegen die bürgerliche Ordnung vollzogen, wir haben den
Sieg errungen, waren aber dann aus verschiedenen Gründen ge*
zwungen, zu manövrieren, machten die bekannten Zugeständnisse
an* die Bourgeoisie, führten die sogenannte „NEP“ ein. W ir
müssen auch im internationalen Umfang eine Rückzugslinie für
die Industrieländer und für die Agrar* und halbagrarischen Länder
haben. Diese Bemerkung macht es verständlich, was für große
Schwierigkeiten der Ausarbeitung unseres Programms im W ege
stehen. Wir arbeiten daher schon seit Jahren gewissenhaft daran
und wollen uns damit nicht überstürzen.
Der V. Weltkongreß bestätigte den Programmentwurf, den
ihr in einigen Tagen zu lesen bekommen werdet, und stellt ihn
in allen Sektionen der Komintern zur Diskussion. Wahrscheinlich
werden wir auf dem nächsten Kongreß, der in zwei Jahren zu*
sammentritt (wir änderten die Statuten und beschlossen, die Welt*
kongresse der Komintern jedes zweite Jahr abzuhalten), in der
Lage sein, unser Programm endgültig auszugestalten.
Es ist überflüssig zu bemerken, daß es eine äußerst schwere
Sache ist, das Programm ohne Lenin fertigzubringen. An der
Ausarbeitung des Programms unserer eigenen Partei hatte selbst*
verständlich Wladimir Iljitsch den größten Anteil, und nun, da
wir ein solches Programm für die ganze Arbeiterbewegung und
überhaupt für die revolutionäre Bewegung der ganzen W elt
schaffen wollen, ist diese Aufgabe noch viel schwerer. Allerdings
war der gegenwärtige Programmentwurf in seinen Hauptzügen
oWladimir Iljitsch bekannt, er las ihn zweimal durch und hat ihn
168
I
im wesentlichen gutgeheißen. Das erleichterte unsere Aufgabe,
denn es ist natürlich, daß auf jedem von uns, der an der Aus*
arbeitung eines Programms für die Arbeiter der ganzen Welt
teilnimmt, eine ungeheure Verantwortung lastet. Und es ist viel
leichter, diese Verantwortung zu tragen, wenn wir wissen, daß
Wladimir Iljitsch den Programmentwurf im wesentlichen kannte
und ihn guthieß.
Für die II. Internationale und für die einzelnen Parteien,
die ihr angehören, ist es viel leichter, ein Programm auszuarbeiten.
Die deutsche Sozialdemokratie hat im vorigen Jahr ihr Programm
geändert. Für solche Parteien ist das sehr einfach, da sie eine
vollkommen begreifliche Bewegung vollziehen; sie evolutionieren
nach rückwärts, sie gehen vom alten Erfurter Programm zu einem
bürgerlichen Programm zurück. Die Programmrevision der S.P.D.
ging auf ihrem Parteitag im vorigen Jahre so weit, daß man aus
dem Programm sogar den Ausdruck „Klassenkampf“ gestrichen
hatte. Beobachtet ihr das theoretische Niveau, die Gedanken*
arbeit der sozialdemokratischen Parteien, so seht ihr, daß sie
selbst auf die marxistische Terminologie verzichten. Selbst einen
solchen Ausdruck wie „Klassenkampf“ streichen sie sorgfältig
aus ihrem Programm. Es geht ein Prozeß der Umwandlung der
alten sozialdemokratischen Parteien in kleinbürgerliche Arbeits*
Parteien vom Schlage der Macdonald'schen Labour Party vor
sich. Die gegenwärtige Evolution der sozialdemokratischen Par*
teien bewegt sich von links nach rechts, das heißt: von klein*
bürgerlichen*sozialdemokratischen Parteien mit marxistischer
Phraseologie menschewistischen Schlages entwickeln sie sich nun
nach rechts, hüten sich selbst vor der Erwähnung des Klassen*
kampfes, werfen die marxistischen Ausdrücke, die ganze
marxistische Terminologie heraus. Sie entwickeln sich allmählich
zu formlosen, offen kleinbürgerlichen Parteien.
Wir, die wir aus dem Schoß der II. Internationale hervor*
gegangen sind, machen eine Evolution nach links durch und ent*
wickeln uns allmählich aus sozialdemokratischen Parteien zu
kommunistischen Parteien. In einer ganzen Reihe von Ländern
sind wir bereits zu kommunistischen Parteien geworden, und in
anderen handelt es sich darum, nicht nur einfach eine kommu*
nistische Partei zu werden, sondern zu bolschewistischen Parteien
russischen Typs, zu leninistischen Kommunisten. Wenn wir alles
dies ins Auge fassen, wenn wir in Betracht ziehen, daß die
Arbeiterbewegung und der Sozialismus im weiten Sinne des
W ortes infolge des Krieges eine große, ideologische Krise durch*
lebte, daß sich während des Krieges eine Umwertung aller Werte
vollzogen hatte, wenn wir uns daran erinnern, daß auch unsere
Revolution nicht auf ebenem Wege vorwärtsschreitet, daß wir uns
169
/
der „NEP“ zuwenden mußten, was natürlich auch ideologisch?
theoretisch zum Ausdruck kommt, — dann wird uns klar, wie
schwer es ist, ein Programm für die Kommunistische Internationale
fertigzubringen.
Wir erforschen schrittweise den Weg, wir gehen lieber lang?
samer vorwärts, wir ziehen es vor, der Arbeit des kollektiven
Gedankens der kommunistischen Arbeiter aller Länder noch ein
bis zwei Jahre Zeit zu lassen, um nur ein grundlegendes Dokument
bekommen zu können.
171
*
172
SM
4
173
0
Pol der bürgerlichen Politik der Versuch auf, die Hydra der Re*
volution direkten Weges zu zerschmettern, sie an der Kehle zu
packen, offene, militärische Maßnahmen zu ergreifen. Auf dem
einen Pol steht Lloyd George, auf dem anderen Poincare. Beide
sind aber Gesinnungsgenossen.
sind. Die Bourgeoisie kann sich nicht von den Folgen des Welt*
krieges wieder erholen. Sie hat sich wirtschaftlich festgerannt,
daher mußte sie sich auch politisch festrennen. Sie fühlt, daß
die Arbeiterbewegung anwächst, aber noch nicht stürmische
Formen angenommen hat, noch nicht unmittelbar in einen bolsche*
wistischen Aufstand mündete. Sie sieht, daß die Arbeiterklasse
noch abwartet, daß sie sich von den Erschöpfungen des Krieges
ausruht, ihre Kräfte sammelt, kommunistische Parteien aufbaut,
die Atempause benützt. Aber die Bourgeoisie fühlt zugleich, daß,
wenn nicht heute, dann morgen, wenn nicht in einem Jahr, dann
in zwei Jahren, der Sturm auszubrechen droht. Und da sie das
vorausfühlt, sucht die Bourgeoisie Mittel und Wege, die Geschichte
zu überlisten, und kommt zu der von ihrem Gesichtspunkt aus
einzig richtigen Schlußfolgerung: daß man es versuchen müsse,
die Arbeiterklasse zu spalten, um sie beherrschen zu können, Zu
diesem Zwecke mußte der rechte Flügel der Arbeiterschaft, der
unter der Führung der Menschewiki steht, in den Wagen der
Bourgeoisie eingespannt werden. ' Daher ihre Neigung zu den
Menschewiki,-daher ihre Neigung zur Arbeiterregierung und zum
linken Block. Daher fühlen sich die Herren Menschewiki zum
zweitenmal als die Gefeierten, putzen ihre Zylinder und besieh*
tigen die Portefeuilles. Einige von ihnen sind bereits in die
bürgerlichen Ministerstellen hineingeraten, andere glauben, heute
oder morgen dasselbe zu erreichen.
Wir sagen: ja, wir sehen jetzt eine Art demokratisch*
pazifistische Periode, aber lange wird das nicht dauern. In
einigen Ländern wird sich das nicht einmal ein, zwei Jahre halten.
Das Spiel kann sehr leicht verdorben werden. Insoweit es sich
natürlich um die Menschewiki handelt, die in den Ministersesseln
sitzen, so kann man diese leicht kaufen. Mit den großen Schichten
der Arbeiterschaft geht das aber nicht so leicht.
wir müssen uns darüber klar werden: warum war vor ein, zwei
Jahren der Faschismus die Mode, warum ist jetzt der Mensche*
wismus, die sogenannte Arbeiterregierung, die Mode, und warum
werden die Menschewiki morgen wieder den Faschisten das Feld
räumen? Glaubt ihr, daß sich Mussolini nicht für einen Mensche*
wiken erklärte? Er erklärte: „Klammere ich mich denn persönlich
an die Macht? Ich wünsche nur das Wohl des ganzen Volkes“.
Er bot den Vertretern der Opposition sechs Ministersessel an. Ihr
werdet noch sehen, daß Mussolini sich noch mausern und als
Demokrat emportauchen wird! Dieses Spiel kostet sehr wenig. .. f.
Aber wir müssen sehen, was diese Aenderungen, was dieses Spiel
der Kräfte auf der Oberfläche bedeutet, das Macdonald in einen
Hofnarren des Königs Georg und Allan Parkinson, einen ange*
sehenen Führer des Bergarbeiterverbandes, in einen Kontrolleur
der königlichen Hauswirtschaft verwandelt.
Was bedeutet dieses Kräftespiel an der Oberfläche, was be* VT*
176
v ,
demokratischen Pazifismus erleben, richtig sei. Gerade zu einer
Zeit, wo die menschewistischen Führerschichten sich in Re*
gierungskombinationen mit der Bourgeoisie verirren, werden sich
die unteren Schichten der Arbeiter, die noch mit den Menschewiki
Zusammengehen, allmählich immer mehr und mehr, zunächst im
wirtschaftlichen, später auch im politischen Kampfe, uns an*
schließen, und das schafft eine ideale Lage für die Anwendung
der Einheitsfronttaktik. Wenn die Führer darum besorgt sind,
wie man den englischen König und die Bourgeoisie befriedigen
könnte, die Massen aber daran denken, wie die Arbeitslosigkeit
zu bekämpfen und der Achtstundentag zu verteidigen wäre, dann
ist es gerade eine Lage, wo der Menschewismus zwischen uns und
der Weltreaktion auf gerieben wird. Zwischen dem proletarischen
Hammer und dem bürgerlichen Amboß wird der Menschewismus
zermalmt. Es wurde hier nicht selten auf die Einheitsfronttaktik
und darauf hingewiesen, daß sie ein großes, taktisches Manöver
zur Steigerung der bolschewistischen Kräfte darstellt. Wir wenden
uns an die menschewistischen Arbeiter und sagen: „Kämpfen wir
gemeinsam gegen die Bourgeoisie. Ihr seid keine Kommunisten!
Kämpfen wir also für den Achtstundentag, für das Stückchen
Brot, verteidigen wir gemeinsam unseren Arbeitslohn, kämpfen
wir gemeinsam für die elementarsten Arbeiterforderungen.“ Und
da ihre Führer sich schon seit langem an die Bourgeoisie ver*
kaufen und verkauften, wußten wir, was bei einem solch ein*
fachen Vorschlag eines gemeinsamen, wirtschaftlichen Kampfes
herauskommt. Wir gewinnen allmählich die menschewistischen
Arbeiter. Darin besteht die sogenannte Einheitsfronttaktik.
Es kam aber, daß ein Teil unserer Genossen vom rechten
Flügel die Sache so auszulegen begann, daß dies keine taktische
Methode sei, sondern, daß wir wirklich eine ehrliche Vereinigung
mit den Menschewiki wünschten.
Besonders kam diese Auffassung bei der Auslegung der Parole
der Arbeiter* und Bauernregierung zum Ausdruck.
Es ist euch bekannt, daß wir zunächst die Parole der Arbeiter*
regierung, später die der Arbeiter# und Bauernregierung heraus*
gegeben haben und um sie zu kämpfen begannen. Natürlich haben
wir nicht auf die Diktatur des Proletariats verzichtet, wir haben
aber einen Namen dafür gewählt, den die Arbeitermassen besser
verstehen und sich besser aneignen können. Ich werde das an dem
Schicksal unserer eigenen Revolution illustrieren.
Als wir im Mai—Juni 1917 die Parole herausgaben, „Nieder
mit den zehn kapitalistischen Ministern“, — was bedeutet das?
Bedeutete das, daß wir nur diese zehn entfernen und uns mit
den übrigen versöhnen wollten? Nein! Das war ein Pseudonym
für die Diktatur des Proletariats, weil das Hinausschmeißen der
12 177
#
zehn kapitalistischen Minister unter den damaligen Verhältnissen
den Sturz der kapitalistischen Macht, den Bruch des Bündnisses
mit der Bourgeoisie, worauf sich damals Kerenski stützte, be*
deutet hätte. Das hätte bedeutet, sich zur Diktatur des Prole*
tariats emporzuringen. Warum haben wir gesagt: „Nieder mit
den zehn kapitalistischen Ministern, und nicht: „Es lebe die Dik*
tatur des Proletariats?“ Darum, weil die Parole der Diktatur des
Proletariats damals in Petersburg nur 15 000 bis 20 000 Arbeiter
begriffen haben, die Parole „Nieder mit den kapitalistischen
Ministern“ aber auch der rückständige Proletarier und das ganze
arbeitende Volk begriffen hatten. Später las ich in der „Geschichte
der russischen Revolution“ — ich glaube, von Miljukow —
folgendes: „Nieder mit den zehn kapitalistischen Ministern . . .
Man kann sich kaum eine feinere Demagogie als diese Parole vor*
stellen“. (Heiterkeit). Besonders von ihrem Gesichtspunkt aus
war das eine fürchterliche Demagogie. Man konnte sich so aus*
drücken, daß die Parole nicht nur die Kommunisten, sondern jeden
Arbeiter ins Herz traf. Eine wirkliche revolutionäre Massenpartei
zu sein, Genossen, bedeutet, mit dem Volk nicht lateinisch zu
sprechen, sondern lateinische Worte, wie die „Diktatur“, in eine
Sprache zu übersetzen verstehen, die den Volksmassen begreiflich
ist. Darum haben wir im Mai—Juni 1917 anstatt lateinisch zu
sagen „Es lebe die Diktatur des Proletariats“, was nur einige
Zehntausende fortgeschrittener Proletarier verstanden hätten, ge*
sagt: „Nieder mit den zehn kapitalistischen Ministern“.
Wir sagten den Arbeitern, unter denen es eine große Anzahl
von Menschewiki gab, daß unsere Parole ist: „Nieder mit den
zehn kapitalistischen Ministern“. Gefallen euch denn die
Tereschtschenko, die Miljukow und die übrigen so sehr? Unter
dieser Parole haben wir große Massen für uns gewonnen, und
Kerenski blieb nichts anderes übrig, als auf das Marsfeld zu
blicken und sich darüber zu wundern, warum Zehntausende unter
unserem Banner marschieren. Im Oktober aber, als die Räte eine
sehr große Popularität erwarben, sagten wir bereits: „Alle Macht
den Räten!“ Das war die Hauptparole, das war der Magnet, der
jeden anzog. Es wird der Augenblick kommen, wo wir auch in
Westeuropa sagen werden: „Alle Macht den Räten!“ Hierzu ist
aber die Kleinigkeit nötig, daß es überhaupt Räte geben soll. Nun,
als es bei uns Räte gab, und als sich die Arbeiter daran gewöhnt
haben, als die Räte dje Vorhut der Arbeiterklasse zu erfassen
begannen, als wir nach einigen Monaten Existenz die Räte volks*
tümlich machten und sagten: „Alle Macht den Räten“, hat das
ganze Volk diese Parole begriffen. Und wenn wir jetzt auf der
Arena von ganz Europa kämpfen — in der Periode einer ver*
hältnismäßigen Windstille, in der die Arbeiterklasse zurückge*
178
worfen ist, die Bourgeoisie sich aber gut oder schlecht im Sattel
hält, — müssen wir unsere Parole so formulieren, daß sie sich
den denkbar breitesten Arbeiterschichten und nicht nur den %
180
und den christlichen Arbeiter verbänden steht auch ein Teil der
Arbeiter. Bedeutet denn das, daß die Pfaffen eine Arbeiterpartei
sind?
Mit Macdonald geht auch ein gewisser Teil der Arbeiter zu*
sammen. Soll denn das bedeuten, daß wir eine wirkliche Ver*
einigung aller Arbeiterparteien wünschen? Nein, wir wollen ein
solches Bündnis, eine solche Koalition der Arbeiterparteien, die
bereit ist, die Bourgeoisie zu entwaffnen, die Arbeiter zu be*
waffnen und die Steuern und Kriegslasten auf die Kapitalisten
abzuwälzen. Darauf antwortet man uns: das bedeutet, daß ihr
diese Vereinigung überhaupt nicht wollt. Das ist es eben. Wir
wollen keine Vereinigung mit den Herren Sozialdemokraten, mit
den Henkern der Arbeiterklasse, mit den schlimmsten Verrätern
der Arbeiterbewegung. Wozu wählt ihr dann solche Formen? —
fragt man uns. Dazu sagen wir: da es noch sehr viel unaufge*
klärte Arbeiter gibt.- Das ist unser Unglück. Sonst würde die
Bourgeoisie schon längst am Boden liegen. Wir müssen diesen
Arbeitern die Augen öffnen. Wir sind bereit, uns mit den
Menschewiki an einen Tisch zu setzen und zu verhandeln. Wir
stellen einfache Forderungen. Die menschewistischen Führer
flüchten aber vor diesen einfachen Forderungen, wie der Teufel
vor dem Weihwasser. Dadurch werden auch die rückständigen
Arbeiter begreifen, daß es sich nicht darum handelt, daß die
Kommunisten etwa einen sofortigen Bürgerkrieg, ein Blutvergießen,
einen Kommunismus wollen, sondern darum, daß die mensche*
wistischen Führer die Bourgeoisie nicht entwaffnen, die Arbeiter
nicht bewaffnen und die Kriegslasten nicht auf die Kapitalisten
abwälzen wollen.
Uns, die wir einen so großen Krieg, eine so große Schule
durchgemacht haben, scheint das nicht eine kopfzerbrechende
Aufgabe zu sein. Aber für die jüngeren Parteien und in solchen
Ländern, wo die Sozialdemokratie stark ist, bringt die Durch*
führung dieses Manövers große Gefahren mit sich.
Es ist ein ganzer, rechter Flügel entstanden, der die Einheits*
fronttaktik im Sinne einer wirklichen, organischen Koalition mit
den Menschewiki auszulegen begann. Das bedeutet mit anderen
Worten den Untergang der kommunistischen Partei. Mit den
Menschewiki zu spielen, auf jedes ihrer Manöver mit zwanzig
Manövern zu antworten, ist unser gutes Recht, aber ein wirk*
liches Bündnis mit ihnen bedeutet den Untergang.
Ich habe schon vor drei Jahren, als wir die Einheitsfronttaktik
einzuführen begannen, das Wort Pseudonym — oder man könnte
sagen Verschleierung — für die Diktatur des Proletariats ge*
braucht. Ich werde das wieder an einem Beispiel aus unserer
181
Revolution erläutern. Es gibt Situationen, wo man zu Pseudo*
nymen Zuflucht nehmen muß. Ich hatte euch das Beispiel mit
den zehn kapitalistischen Ministern erwähnt.
Im September, nach dem Kornilow*Abenteuer, als es mit
unserer Sache vorwärts und mit den Menschewiki schief ging,
gaben sie die Parole: „Homogene sozialistische Regierung“ aus.
Darunter verstanden sie eine Regierung von den Bolschewiki bis
zu den Trudowiki. Es hätten daran sowohl die Bolschewiki als
auch die Menschewiki, die Volkssozialisten, die rechten und
linken S. R. und Teufel weiß noch wer teilnehmen sollen. Und
das nannten sie eine „Homogene sozialistische Regierung“, ob*
wohl es jeder gesund denkende Mensch verstehen konnte, daß
das erstens nicht eine homogene und zweitens nicht eine sozia*
listische Regierung sein konnte. Als sie aber sahen, daß die erste
Karte mit Kerenski geschlagen xwar, versuchten sie, die Sache zu
verschleiern und unter dem Banner der „Homogenen so*
zialistischen Regierung“ weiter zu segeln, indem sie sowohl den
Bolschewiki als auch den anderen „sozialistischen“ Parteien je
zwei Sitze in der Regierung einräumen wollten.
Es fragt sich, warum sie eine solche Parole aufgegriffen
hatten? Wir verstehen, daß sie das gemacht haben, um eine Re*
gierung zu bekommen, die aus 14 Anhängern der bürgerlichen
Demokratie und als Aushängeschild aus zwei Bolschewiki be*
stehen sollte. Das war für sie ebenfalls ein Pseudonym. Offen:
bürgerliche Demokratie, Konstituante zu sagen, war nicht mehr
möglich. Niemand glaubte mehr daran. Wenn sie aber sagten:
„Homogene sozialistische Regierung“ — so haben daran noch
viele geglaubt. Und ich erinnere mich, wie die guten Arbeiter
der Putilow*Werke, ein Teil unserer Bolschewiki, zu uns kamen
und sagten: Homogene sozialistische Regierung, was ist denn
schlimmes daran?
Sozialistisch, dazu noch homogen, ja, alle nParteien werden
sich versöhnen, der Bürgerkrieg wird aufhören usw. . . . Was
brauchen wir denn noch mehr? Es ist besser, im Frieden zu
arbeiten und Brot herauszuschaffen, als sich mit dem Kriege
abzugeben.
Sogar ein Teil der guten Arbeiter der Putilow*Werke glaubte
noch daran, solange wir ihnen nicht erklärt haben, daß es
Situationen gibt, in denen man zu gewissen politischen Parolen
greift, um große Massen zu gewinnen. In solchen Fällen ist es
notwendig, die Absichten irgendwie zu verschleiern, irgend ein
Pseudonym zu finden.
Gegenwärtig befinden wir uns in einer solchen Lage. Um die
sozialdemokratischen Massen aufzurütteln, um sie allmählich vom
Teufelsspuk der Menschewiki zu befreien, müssen wir es ver*
stehen, die Parole pädagogisch zu formulieren: Arbeiterregierung.
Unsere Bedingungen sind einfach. Das Manöver ist voll*
kommen berechtigt und notwendig. Aber, wehe uns, wenn wir
bei der Anwendung dieses Manövers nicht begreifen, was wir
machen. Und es kam so, daß ein Teil des rechten Flügels die
Einheitsfronttaktik als eine wirkliche Vereinigung mit den
Menschewiki, als eine Uebergangsperiode von mehreren Jahren,
während der wir mit den Menschewiki eine gemeinsame parla*
mentarische Regierung bilden können, auszulegen begann.
183
wir leben und handeln im Rahmen der bürgerlichen Ordnung.
Sogar bei uns gibt es noch starke Ueberreste der bürgerlichen
Ideen. Unter den Verhältnissen der westeuropäischen Länder ist
das noch in größerem Maße der Fall. Wir sind vergiftet von der
bürgerlichen Ideologie und schlucken sie, ohne es zu bemerken,
so wie wir die Luft einatmen. Ueberreste bürgerlicher Ideen gibt
es in dieser oder jener Proportion überall.
Wenn ein Stillstand beginnt, dann kommt der Einfluß der
bürgerlichen Ideen stärker zum Vorschein. Die Bourgeoisie fühlt
sich stärker, zuversichtlicher und das stärkt den Einfluß ihrer
Ideologie. In solchen Zeiten bringen die Ueberreste der bürger*
liehen Ideologie des Opportunismus rechte, kleinbürgerliche Ab*
weichungen hervor. Das verflossene Jahr war eben dadurch
gekennzeichnet, daß diese Abweichungen in verschiedenen
Ländern verschiedenartig auftraten. In internationalem Umfange
kamen die Abweichungen darin zum Ausdruck, daß viele Ge*
nossen die Einheitsfronttaktik als die Taktik einer wirklichen
Koalition mit den Menschewiki auffassen. In diesem Sinne
mußten wir unsere Waffen vom Roste säubern. Natürlich, wenn
man den Rost nicht entfernt, dann wird die Waffe ganz unbrauchs
bar und dann kann sie uns nicht mehr den Dienst leisten, für
den wir sie brauchen.
In diesem Sinne brauchten wir keine neue Taktik auszu*
denken. Wir blieben ganz bei unserer alten Einheitsfronttaktik.
Wir mußten sie nur in der jetzigen, neuen Lage revolutionär aus*
legen. Wir sagten: Wir sehen das Auf erstehen der Menschewiki
Es brach eine ganze Periode des demokratischen Pazifismus
herein, eine Periode des menschewistisch*demokratischen Heils,
der menschewistische Bazillus dringt in die Nase und in die
Ohren. Daraus ziehen manche Genossen die Schlußfolgerung,
daß man mit den Menschewiki einen Block bilden müßte. Ganz
im Gegenteil. Der Kongreß sagt: rücksichtsloser und unversöhn*
licher Kampf gegen die Menschewiki. Wir müssen sie noch mehr
enthüllen, wenn sie den Arbeitern alles, was gut und schön ist,
versprechen. Um so mehr müssen wir jetzt unsere Waffen gegen
den Menschewismus, Pazifismus, gegen die demokratische
Träumerei, gegen die Arbeiterregierung Macdonald'schen Schlages
richten.
Der Hauptteil des Kampfes auf dem Kongreß wurde um diese
Frage ausgefochten. Das war der Kern aller taktischen Streitig*
keiten über mein Referat, zu dem 62 Redner das Wort ergriffen
haben.
Unsere Partei ging wie in allem auch darin voran. Wir ver*
treten sowohl den stärksten als auch den schwächsten Punkt der
184
Komintern. An der Spitze dieser neuen Abweichung in der Ko*
mintern steht Genosse Radek. Unsere Streitigkeiten mit Radek
sind euch schon bekannt. Ihr wißt, daß der dreizehnte Parteitag
den Standpunkt des Genossen Radek verurteilte. Genosse Radek
ist ein europäischer Kommunist. Er hat eine andere Ideologie.
Und diesen Irrtum erhebt er nun zur Krone der Schöpfung und
sagte, daß die Einheitsfronttaktik eine Koalition aller Arbeiter*
Parteien bedeute. Er sagte, daß wir in unserer Resolution das*
selbe gesagt hätten. In unserer Resolution sagen wir: die Taktik
der Einheitsfront ist ein Bündnis aller Arbeiterparteien, aber ein
solches, daß unter der Führung der Kommunisten steht, wobei
dieses Bündnis die Bourgeoisie entwaffnen, die Arbeiterschaft
bewaffnen und alle Kriegslasten auf die Bourgeoisie abwälzen muß.
Nun hat Genosse Radek nur die ersten Zeilen dieser Resolution
herausgegriffen und sagte: Genosse Sinowjew schrieb, daß er für
das Bündnis aller Arbeiterparteien ist; warum wollt ihr jetzt die
Taktik des IV. Kongresses revidieren. Aber Genosse Radek
hat es unterlassen, noch vier Zeilen weiter zu lesen, wo wir gesagt
haben, daß wir für eine solche Koalition der Arbeiterparteien
sind, die die Bourgeoisie entwaffnet, die Arbeiterschaft bewaffnet
und die unter der Führung der Kommunisten steht. Das ist
dieselbe Taktik wie damals, als wir gesagt haben: „Nieder mit den
zehn kapitalistischen Ministern“.
Genosse Radek verwandelte unser Manöver in eine selbst*
ständige Theorie. Anstatt selbst den Feind an der Kehle zu
packen, läßt er sich selbst einfangen. Er folgt selbst den sozial*
demokratischen Führern, anstatt ihnen die sozialdemokratischen
Massen abzugewinnen. Wie konnte das geschehen? In einer
Periode der Pfadlosigkeit, des Stillstandes der revolutionären Be*
wegung, wie wir sie jetzt haben, ist die Anhäufung gewisser
rechter Abweichungen unvermeidlich.
186
wiki getrennt, aber wir haben weder vor noch während, noch nach
dem Kriege, weder vor noch während, noch nach der Revolution
eine einzige Gewerkschaft gespalten. Warum? Darum, weil wir
wußten, daß die Gewerkschaften jene Organisation darstellen,
wo die ganze Arbeitermasse versammelt ist, die man um jeden
Preis von innen erobern muß. Kannst du die Gewerkschaften
nicht erobern, dann prahle nicht, daß du eine proletarische Revolu*
tion vollbringen kannst. Du wirst die bürgerliche Ordnung nicht
stürzen, wenn du die Gewerkschaften nicht erobern kannst. Dar*
um sind wir zähneknirrschend in den menschewistischen Gewerk*
schäften geblieben. Und Genosse Lenin sagte: „Wollt ihr die
Gewerkschaften verlassen, glückliche Reise! Ihr seid Deserteure.
Wir werden schon auch ohne euch auskommen. Seid ihr aber
wirkliche Bolschewiki, dann bleibt in den Gewerkschaften.“ Und
als General Subatow die Gewerkschaften organisierte, schickte
Genosse Lenin seine besten Schüler, wie den Arbeiter Babuschkin
in diese Subatowschen Gewerkschaften. Genosse Lenin sagte: „Er*
obere diese Gewerkschaften, dann wirst du ein wirklicher Revolu*
tionär sein. Haben die Menschewiki die Macht in den Gewerk*
schäften, dann mußt du ein, zwei, drei Jahre lang tüchtig arbeiten
und du wirst die Arbeitermasse erobern. Läufst du aber von den
Gewerkschaften weg, dann bist du nur ein Schreihals“.
Dasselbe müssen wir auch jenen Genossen sagen, die jetzt
die Flucht aus den Gewerkschaften in internationalem Umfange
predigen. Wir sagen ihnen: Wenn ihr die Gewerkschaften verlaßt,
so bedeutet das, daß ihr die Komintern verlaßt.
Die Menschewiki provozieren unsere Genossen, sie zwingen sie,
dumme Sachen zu unterschreiben. In Deutschland ist folgendes
vorgekommen: Der ADGB. zwang die Mitglieder der Gewerk*
schäften, einen Revers zu unterschreiben, wonach sich die Mitglie*
der verpflichten, keine kommunistische Agitation zu führen, nicht
der KPD. anzugehören, nichts Gemeinsames mit der Komintern und
der Prof intern zu haben. Die Hitzköpfe fragen: kann man denn
einen solchen Revers unterschreiben? Wir sagen aber: Man muß
unter Umständen fünf solcher Zettel unterschreiben und in den
Gewerkschaften bleiben. In den bürgerlichen Parlamenten muß ja
auch jeder Abgeordnete einen Eid dem König und, wenn es keinen
König gibt, dem Vaterland, das heißt, der Bourgeoisie leisten. Die
Kommunisten haben auch diese Frage zu lösen. Wir müssen den
Eid leisten und jeden Revers unterschreiben. Als unsere Genossen
Wladimir Iljitsch fragten, ob sie schwören dürfen, so sagte er:
Schwöre dreimal, nur arbeite illegal, so wie es notwendig ist. Wie
könnte man denn sonst die bürgerliche Ordnung ausnützen? (Der
ganze Apparat befindet sich ja in den Händen der Bourgeoisie.)
Könnten sie uns durch diesen einfachen Köder einfangen, dann
187
hätten sie es leicht. „Ich kann doch keinen Revers unterschreiben,
daher trete ich aus den Gewerkschaften aus.“ Das klingt etwa
ähnlich der Regel der Altgläubigen: „Trinke nicht aus fremdem
Becher, nur aus dem eigenen.“
Die Komintern gibt den deutschen Genossen den Ratschlag,
diese Reverse zu unterschreiben und fordert zugleich von der
Zentrale, daß sie die Erlaubnis für solche Unterschriften erteilt.
Das ist auch geschehen. Darauf kamen die Amsterdamer; ihre
Führer waren empört und sagten: „Seht, was für Jesuiten die
Kommunisten sind. Sie sagen, hols der Teufel, unterschreibt drei
Reverse, erfüllt nur eure Pflicht.“ (Beifall).
Das ist eine ziemlich elementare Frage, aber dort, wo die
Sozialdemokraten stark und unsere Genossen noch schwach sind,
dort, wo es keine solchen Führer gibt wie Genossen Lenin, dort
sind diese Erscheinungen begreiflich. Natürlich spricht aus den
Genossen das ehrliche Gefühl des Revolutionärs. Aber solche
Revolutionäre, die nur Gefühlsrevolutionäre sind, sind nichts wert.
Der Revolutionär muß einen Kopf haben, er muß vor allem ein
Verständnis dafür haben, welche Kerntruppen wir in den Gewerk*
schäften von innen erobern müssen. Nun, das war die zweite
Abweichung.
ISS
es versteht, unter den Massen zu sein, eine Partei, die nicht nur
kämpfen, sondern auch siegen kann.
Bordiga sprach wie ein Mensch, der nur eine Seite, die linke
Seite, hat (und die andere verlor), als ob das irgend etwas Revo?
lutionär?Linkes wäre, dabei ist er ein guter Genosse, ein anstän?
diger Kommunist usw. . . Er sagt: „Wir wären in Eklektizismus
verfallen, wir wählen den Mittelweg, wir wären weder warm noch
kalt, wir schlugen zuerst auf die Rechten los, dann kehren wir
uns um und hauen die Linken. Sei denn das möglich?“ Wir
zeigten bereits, wie die bolschewistische Partei entstanden und
gewachsen ist, wie sie Genosse Lenin geschmiedet hat. Die Haupts
Schläge erhielten immer die Rechten, die Zentristen. Als aber
Leute kamen und sagten: „Wir wollen nicht in die Staats?Duma
hineingehen, schlug er auf sie los und sagte: Ihr seid umgestülpte
Menschewiki. Ihr glaubt, daß ihr Linke seid und ihr seid doch
Menschewiki. Wenn wir aus den Gewerkschaften austreten, so
tun wir das, was die Menschewiki brauchen; sie werden sie zu
ihren Festungen ausbauen.“
Das war die dritte Abweichung, die wir bekämpfen mußten.
Das Ergebnis war, daß wir die Rechte gehörig beim Arm packten.
Wir nahmen eine Resolution an, worin wir sagten, daß, wenn die
Rechte die Taktik so auslegen wird, wie sie sie ausgelegt hat, sie
nicht mehr der Komintern angehören kann. Was die Linken am
belangt, so war hier eine größere Ueberlegung angebracht. Hier
mußten wir nicht so sehr kämpfen als vielmehr propagieren.
189
sie sind Kommunisten im europäischen Sinne des Wortes. Aber
das bedeutet nicht, daß sie genügend bolschewistisch sind. Eine
wirkliche, bolschewistische Partei entsteht nur allmählich.
In Deutschland bestand die Partei zunächst aus etwa 15 000
bis 20 000 Spartakus*Leuten, sodann spalteten wir in Halle die
USPD. und bekamen von ihnen 300 000 ehemalige Sozialdemo*
kraten. Wir haben sie in Halle erobert; aber das bedeutet nicht,
daß sie zu wirklichen Kommunisten geworden sind. Sie wollten
Kommunisten werden, sie nannten sich Kommunisten, aber, um
sich zu wirklichen Kommunisten zu entwickeln, mußten sie noch
eine ganze Reihe von Kämpfen durchmachen. Einige Male wurden
sie durch die Bourgeoisie und die Sozialdemokratie geschlagen. Sie
mußten lernen, sich allmählich in eine bolschewistische Partei zu
verwandeln.
Nach dem ersten Jahrfünft der Komintern haben wir die
Parole herausgegeben: Bolschewisierung der Parteien. Früher war
unsere Parole: Heran an die Massen, sodann die Einheitsfront*
taktik, jetzt aber fordern wir zur Bolschewisierung der Parteien
auf. Zu den Parolen: Heran an die Massen, Einheitsfront, reiht sich
nun, nachdem wir sie vom „Radek’schen Rost“ gesäubert haben,
eine neue Parole: die Bolschewisierung der Parteien. Sie wird uns
durch den ganzen Entwicklungsgang des Klassenkampfes auf*
gedrängt.
Um Kommunist zu sein, ist es wenig, wenn man gegen die
Sozialdemokraten ist. Außerdem muß man noch sagen können,
welchen Weg man einzuschlagen hat, wie man kämpfen und um
welches Program man sich scharen wird. Es spielte hier der Tod
Lenins eine große Rolle. Das war ein schwerer Schlag für die Ar*
beiterklasse. Jeder hat es begriffen, daß unser größtes Genie, unser
geliebter Lehrer, der sich ganz der Sache der Arbeiterschaft
widmete, dahingeschieden ist. Jeder sagte: „Wir wollen Leninisten
sein.“ Was bedeutet das? Bedeutet das eine Ehrung für den Ge*
nossen Lenin? Das wäre wenig. In einer bolschewistischen Partei
zu sein, das bedeutet, daß wir unsere Partei bolschewisieren wollen.
Man begann ernstlich darüber nachzudenken; die Frage bezieht
sich nicht nur politisch, sondern auch organisatorisch auf ein großes
Gebiet. Die Mehrheit der kommunistischen Parteien ist eigentlich
nicht bolschewistisch organisiert. Unser Organisationstypus er*
fordert, daß wir in jeder Fabrik unsere Zelle haben sollen. Das
ist für uns das ABC. Unsere Hauptbasis ist die Betriebszelle. Bei
den meisten Parteien ist aber die Hauptbasis der Wohnbezirk,
die territoriale Zelle, ohne Betriebszellen zu haben. Ihre unterste
Zelle ist die Zelle einer ganzen Straße, eines Stadtviertels oder
eines Bezirkes. Woher kommt das? Das ist ein Ueberrest des
sozialdemokratischen Organisationstypus. Das war der Organisa*
190
tionstypus einer Partei, für die die Hauptsache die Vorbereitung
der Parlaments^ und sonstigen Wahlen war. Hierzu ist die Wohn*
bezirksorganisation, das territoriale System geeignet. Dieses System
haben unsere Parteien aufrechterhalten.
Wir müssen uns aber jetzt umbauen. Darum geht jetzt der
Kampf von den kleinsten bis zu den größten Fragen, bis zu den
Fragen der Taktik. Der Kampf geht jetzt um die Bolschewisierung
der Partei. In diesem Sinne ist die Parole der Bolschewisierung
der Partei herausgegeben worden, und sie ist eine der wichtigsten
Parolen des V. Kongresses.
Die Bauerninternationale.
Es wurde noch die Agrarfrage und die nationale Frage erörtert.
Wir haben es gelernt, wie man die Taktik des Leninismus anzu*
wenden hat. Wir sagten unseren Bruderparteien: das Wichtigste,
was ihr braucht, ist eine richtige Gewerkschaftstaktik, eine richtige
organisatorische Zellentaktik, eine richtige Taktik in der Arbeit
unter der Bauernschaft und eine richtige Linie in der nationalen
Frage. Nur dann werdet ihr wirkliche bolschewistische Parteien
sein.
In den Reihen der Bauernschaft geht jetzt eine wichtige Wand*
lung vor sich. Ihr habt wahrscheinlich schon alle von der kroath
sehen Bauernpartei, die unter Führung Radies steht, etwas gehört?
Radic ist jetzt in Moskau. Er ist ein wirklicher Volksführer. Die
kroatische Bauernschaft bildet einen Teil des jugoslavischen
Staates. Sie ist auch national unterdrückt und ist daher noch re*
volutionärer. Hinter Radic steht buchstäblich die gesamte arme
und mittlere Bauernschaft Kroatiens. Kroatien stellt einen be*
deutenden Teil Jugoslaviens dar. Es ist ein kleines, typisches
Bauernland. Radic hat jetzt im Namen seiner Partei den Anschluß
an die Bauerninternationale vollzogen. Wir halten das für ein sehr
wichtiges Ereignis. In welchem Sinne? In dem Sinne, daß die
Bauerninternationale sich aus einer Idee in Fleisch und Blut ver*
wandelt. Die größten Volksparteien, die national und wirtschafte
lieh unterdrückt sind, beginnen sich ihr anzuschließen.
Der Komintern kommt eine große Bauernorganisation zu Hilfe,
die in europäischem und im Weltmaßstabe heranwächst. Die Grüne
düng der Bauerninternationale war ein äußerst wichtiges Ereignis.
Wladimir Iljitsch, der zur Zeit der Gründungskonferenz der Bauern*
internationale schon krank war und ihren Verlauf nur aus den
Zeitungen verfolgen konnte, legte ihr eine große Bedeutung bei.
Es gab Genossen, die nicht daran glaubten, daß dabei etwas Großes
herauskommen wird. Jetzt ist es schon ganz klar, daß sie sich zu
191
einer großen Organisation entwickeln wird, etwa in der A rt des
Bauernbundes von 1905.
Die Bauernschaft hat sich nach dem Kriege in ganz Europa
verändert. Der Krieg hat den Bauer empfindlich getroffen, der
Bauer ist nicht mehr wie er war. Wir bekommen jetzt eine große
Hilfsmaschine, die Bauernschaft. Der Arbeiter kann in Europa
nur dann siegen, wenn er über eine Hilfskraft verfügt, und die
Bauerninternationale gestaltet sich zu einer solchen Hilfskraft aus.
Wenn sich die ganze kroatische Partei ihr anschließt, das bedeutet,
daß sie noch mehr wachsen wird.
Auf dem Kongreß hat sich der Weg ganz klar herauskristalli*
siert, auf dem wir zum Siege der Revolution gelangen. Es gibt einige
Pfade, die dann in eine große Straße münden. Der Hauptweg ist
die Komintern selbst, der Bund der politischen Parteien des
Kommunismus, die allmählich zu bolschewistischen Parteien wer*
den. Sodann kommt die größte Hilfskraft, die Rote Gewerk*
schaftsinternationale, die nicht nur kommunistische Arbeiter, son*
dern alle Arbeiter in sich vereinigt, die mit den roten Gewerk*
schäften sympathisieren.
192
Genosse Bucharin hat ihm sehr volkstümlich erklärt, daß wir nicht
für jede alte Garde sind. Es gibt verschiedene alte Garden. Kommt
es denn auf das Alter an? Ist es denn um so besser, je älter man
ist? Wir sind darum für unsere alte Garde, weil sie sich im Kampfe
gegen den Menschewismus gestählt hatte und nicht, weil sie alt
ist. Wir schätzen die Alten, aber das bedeutet nicht, daß wir ihnen
darum die politische Führung überlassen. Die politische Führung
muß jenem Genossen überlassen werden, der politisch richtig führt
und den menschewistischen Opportunismus nach allen Regeln der
Kunst erledigt. Neben dieser verwässerten alten Garde, die noch
starke Ueberreste der Sozialdemokratie in sich trägt, wächst eine
neue Generation von wirklichen Kommunisten aus der kommu*
nistischen Jugend empor.
Wenn wir die geographische Karte der Revolution im Sinne
ihrer Organisation aufzeichnen wollten, so würde sie folgendes
Schema zeigen: „Die erste und Hauptlinie ist die Komintern,
der Bund der kommunistischen Parteien, sodann die Profintern
als erste Hilfskraft, nach ihr die Kommunistische Jugendinter*
nationale als zweite Hilfskraft.
Die dritte Hilfskraft ist die Bewegung im Nahen und Fernen
Osten, in Indien, China, in der Türkei usw., wo sich große Ar*
beiterstreiks abspielen. Die Entwicklung der Bewegung in diesen
Kolonien erinnert an unsere „Gruppe der Befreiung der Arbeit“.
Nur ist dort die Bewegung stärker. Die „Gruppe der Befreiung der
Arbeit“ war in Rußland im Jahre 1883 allein. Es gab damals keine
Komintern, die sie unterstützt hätte. Jetzt steht aber der ersten
Gruppe in Indien, an deren Spitze Genosse Roy steht, die ganze
Erfahrung der Komintern zur Verfügung. Sie kann sich der
Lehren Lenins bedienen.
Die revolutionäre Welle wogt im Osten hoch empor. Wladimir
Iljitsch hat in seinen letzten Lebensjahren nicht selten auf den
Osten hingewiesen: „Das, was im Westen vor sich geht, ist sehr
wichtig, aber das, was im Osten vor sich geht, ist noch wichtiger,
weil es der Revolution einen Weltumfang verleiht.“ Am Todestage
Wladimir Iljitschs sagte ich bereits, daß der Leninismus sich erst
zu entfalten beginnt, und daß wir die wirklichen Triumphe des
Leninismus erst in der Zukunft erleben werden. Und wenn wir
die Entwicklung der Bauerninternationale ins Auge fassen, dann
überzeugen wir uns davon, daß die Hauptidee des Bolschewismus,
das Bündnis der Arbeiterklasse mit der Bauernschaft — sich in
internationalem Maßstabe zu entwickeln beginnt. Wir sagen, das
ist gerade der Beginn des weltumfassenden Triumphes des Leni*
nismus.
193
Auf dem Weg zum Sieg. «
Auf dem letzten Kongreß hatte ich mehr als je den Eindruck,
daß die Sache in Ordnung ist. Noch zwei, drei Jahre solcher Ar#
beit, und keine Kraft wird mehr diese Parteien schlagen können.
Sie sind so stark in den Massen verwurzelt, sie sind schon so
bolschewistisch geworden, daß sie keinen Sturm, kein Toben der
Reaktion mehr zu fürchten haben. Wir sehen schon jetzt konkret
den Plan der Organisationen, durch die wir zum Siege gelangen.
Hätte man vor fünf Jahren Wladimir Iljitsch gefragt', durch welche
organisatorischen Wege wir zum Siege gelangen, dann hätte er ge*
antwortet: „Wir sind Kommunisten. Die Diktatur des Proletariats
ist unvermeidlich, die Mehrheit der Proletarier gehört uns. Unser
Stern geht auf. Wir werden siegen.“ Wie das aber konkret vor
sich gehen wird, haben wir nicht gewußt.
Jetzt sieht jeder diesen Weg: die Hauptorganisation ist die
Komintern mit ihren drei großen Hilfsorganisationen: der Provin*
tern, der Organisationen im Osten, der Bauerninternationale und
mit anderen kleineren Hilfsorganisationen, von denen ich hier
nicht sprechen werde, wie die „Rote Hilfe“, die „Arbeiterhilfe“,
die „Sportinternationale“ usw.
Das sind die wichtigsten Kanäle, durch die die Bewegung zu
einem mächtigen, riesigen Strom zusammenfließt, in dem der
Kapitalismus endgültig ertrinken muß. In diesem Sinne können
wir sagen, daß wir den Kongreß mit der Ueberzeugung verließen,
daß unsere Kräfte unaufhörlich wachsen, daß wir zahlenmäßig viel
stärker geworden sind, als die II. Internationale in den Jahren
ihre* früheren Entwicklung gewesen ist.
Die Wahlresultate sind euch bekannt. Ueberall sind wir zahlen*
mäßig gewachsen, wir sind bedeutend stärker geworden, aber die
Gefahren sind auch sehr stark gewachsen. Uns droht die Gefahr
der rechten Abweichung, die eine Erbschaft der sozialdemokra*
tischen Vergangenheit ist. Diese Gefahr ist unvermeidlich, da
wir zu einer mächtigen Kraft geworden sind, die Organisationen
der kommunistischen Jugend zählen ja allein über ein Million
Mitglieder, die Profintern umfaßt mehrere Millionen Arbeiter. In
Indien und in der Türkei sehen wir die Anfänge einer großen
Klassenorganisation. Darum haben wir diesen Kongreß mit dem
zuversichtlichen Bewußtsein verlassen, daß unser Werk fort*
schreitet.
194
wohnte eine Menge von Arbeiterdelegationen aus den Fabriken
und Werkstätten, sowie Delegationen der Rotarmisten bei, es
kamen Pioniere aus Weißrußland usw. . . . Und diese Verbrüde*
rungsszenen hatten einen unglaublichen Eindruck hinterlassen. In
der Schlußsitzung sah ich einen alten Moskauer bolschewistischen
Arbeiter und einen deutschen Arbeiter, der mehr als fünf Jahre
Kerker hinter sich hat und auch auf den Barrikaden kämpfte. Sie
konnten ihre Tränen angesichts dieser Verbrüderungsszenen nicht
zurückhalten.
Unsere Internationale gestaltet sich eigenartig aus. Die Fa*
briken eines Landes verbrüdern sich mit denen anderer Länder:
so überbrachten zum Beispiel eine Fahne: die Belegschaft der
Putilowwerke der Belegschaft der Kruppfabrik, die Arbeiterschaft
der „Treugolnik“*Fabrik den chemischen Arbeitern Deutschlands,
unsere Textilarbeiter den französischen Textilarbeitern usw. .. .
Auf den ersten Blick scheint das eine Kleinigkeit zu sein. Wir
haben während der Revolution viele solcher Szenen gesehen,
aber in Wirklichkeit zeugt das von einem tatsächlichen Wachsen
der internationalen Verbindung.
Die Komintern wächst in eigenartiger Weise. Solche Ver*
brüderung der Arbeiter von Fabrik zu Fabrik, von Bergwerk zu
Bergwerk war in der II. Internationale absolut unmöglich. Mir liegt
ein kleiner Artikel des Herrn Vandervelde, des Vorsitzenden der
II. Internationale, vor. Unlängst fand in Wien ein Kongreß dieser
Herren statt. Der Artikel trägt die Ueberschrift: „Zwei Photo*
graphien“. Vandervelde erzählt darin, wie sie sich im Jahre 1914
vor dem Kriege versammelt haben, wie sie den Krieg nicht be*
kämpfen konnten und sich jetzt nach zehn Jahren wieder in Wien
versammeln. „Nun habe ich“, schreibt Vandervelde, „zwei Photo*
graphien vor mir. Die eine von damals, die andere von heute. Ich
kann sie nicht ohne Rührung anschauen. Was sehe ich an der
ersten Photographie? Ich sehe da den gegenwärtigen Reichspräsi*
denten von Deutschland, Ebert, drei heutige Minister, Macdonald,
Stauning und Branting, sieben ehemalige Mitglieder anderer Re*
gierungen.“ — Darüber bricht Vandervelde in lyrische Lamenta*
tionen aus. Das ist die Gefühlsseite der II. Internationale. Das
sind ihre Gefühle: seht nur! sieben ehemalige Minister, so und
so viel zukünftige Ministerlakeien der Bourgeoisie usw. . . . Ver*
gleicht es mit dem Gefühlsfaktor unserer Internationale. — Unser
Gefühlsfaktor hat für die Revolution manche Bedeutung.
Das Gefühl allein ist wenig. Aber es ist unmöglich, eine Re*
volution ohne Gefühl, ohne Herz, ohne Seele zu machen. Der
größte Vorwurf, den Max Adler seiner eigenen II. Internationale
in seinem Nachruf für Lenin machte, war folgender: er sagte,
t
13* 195
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daß Lenin vor der II. Internationale den einen Vorzug hatte, daß
die II. Internationale ohne Seele ist. Das hat er geschrieben. Nicht
weniger, nicht mehr — ohne Seele! Alles übrige ist anscheinend
am richtigen Platze, nur die Kleinigkeit — die Seele fehlt.
Nun, diese psychische emotionelle Seite, das gesunde revolu*
tionäre Gefühl der unterdrückten Klasse kam auf unserem Kon?
greß mit einer so großen Anschaulichkeit zum Ausdruck, wie man
es nur wünschen kann. Ein Arbeiter sagte auf unserem Kongreß:
„Wladimir Iljitsch hat die Partei so zusammengeschweißt, daß
man sie jetzt mit keinem Instrument entzweien kann. Es gibt
bei uns Metallarbeiter, Heißschweißer und Kaltschweißer. Nun*
wir brauchen eine heiße Schweißung und wir hoffen auch, daß die
Komintern wirklich heiß geschweißt ist.“
Ich will es bezeugen, daß das eine Wahrheit und keine Phrase
ist, es gab bei uns Richtungskämpfe, es gab schwache Seiten, aber
im ganzen sind wir eine wirklich heißgeschweißte Organisation,
eine Organisation, die die proletarischen Revolutionäre brauchen,
um die Sozialdemokratie zu zerschlagen und den Sieg zu erringen.
In diesem Sinne hat die Komintern alles erfüllt, was sie in der
ersten Sitzung versprochen hat. Sie ging den Weg, den uns Wla*
dimir Iljitsch vorzeichnete. Alle waren vom heißen Wunsch be*
seelt, die Parteien in wirklich leninistische Parteien zu verwandeln,
in eine mächtige proletarische Organisation, die ihre historische
Aufgabe erfüllen kann. (Langanhaltender Beifall).
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RESOLUTION
ZUM BERICHT DER EXEKUTIVE DER
KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE
2 00
einen verschärften schonungslosen Kampf gegen den Opportunist
mus die politischen und organisatorischen Konsequenzen zu ziehen.
4. Schon früher hatte die Exekutive entsprechend der Auf*
fassung der Linken nicht nur die opportunistischen Entgleisungen
des Leipziger Parteitages der K.P.D. kritisiert, sondern auch die
in Leipzig zusammengesetzte Parteizentrale zweimal vor dem
Oktober mit den Vertretern der linken Opposition ergänzt. Jetzt
wurde durch die Mitwirkung der Exekutive die Vereinigung der
Linken und des Zentrums zum Kampfblock gegen die Rechte zu*
stände gebracht und diesem Block die Parteileitung übertragen in
der Zuversicht, daß die Mitgliedermassen der Partei diese Aus*
Schaltung der politisch bankrotten Rechten billigen und bestätigen
würden, wie es dann auch geschah. Infolge dieser entschlossenen
Lösung seitens der Exekutive wurde sowohl der K.P.D. geholfen,
als auch die infolge der unüberbrückbaren inneren Gegensätze
drohende Spaltungsgefahr überwunden und auch das Anwachsen
der deutschen Parteikrise zu einer Krise der gesamten Komintern
infolge der Panikstimmung, die sich bereits hier und da bei un*
sicheren Elementen fühlen ließ, verhindert. Das Verdienst daran
trägt auch die deutsche Arbeiterklasse, ebenso wie die deutsche
Partei, die mit der größten' Energie die rücksichtslose Ausmerzung
der rechten Abweichungen gefordert hat, und die in sich selbst mit
der Unterstützung der Internationale die Kraft fand, eine so
schwere Krise ohne Entmutigung und ohne Schwächung ihrer
Kampfkraft zu überstehen.
5. Angesichts der Gefahr der rechten Abirrungen, die sich in
der Durchführung der Einheitsfronttaktik viel größer gezeigt
hatten, als man früher voraussehen konnte, wies die Exekutive
auf das entschiedenste alle opportunistischen Auslegungen zurück,
ebenso jeden Versuch, aus der Einheitsfronttaktik etwas mehr als
eine revolutionäre Methode der Agitation und Mobilisierung der
Massen zu konstruieren, wie auch jeden Versuch, mit der Losung
der Arbeiter* und Bauernregierung nicht eine Agitation für die
proletarische Diktatur; sondern eine Koalition für die bürgerliche
Demokratie zu erzielen. Ebenso betonte die Exekutive entgegen
den opportunistischen Auffassungen über die Bedeutung der
Sozialdemokratie ihren wahren Charakter als den linken Flügel
der Bourgeoisie.
6. Auf Grund der Lehren der deutschen Ereignisse in bezug
auf die Entwicklung der Parteiorganisation wurden von der Exeku*
tive sowohl in Deutschland als auch anderswo energische Schritte
zum Aufbau der Betriebszeilen als der Grundlage der Parteiorga*
nisation eingeleitet. Diese Schritte führten bereits in einigen
Ländern zu einem nennenswerten Beginn des Betriebszellen*
Systems.
201
7. Gegenüber der kurzsichtigen opportunistischen Passivität*
die sich in der Haltung der bulgarischen Parteileitung in bezug auf
den Juni*Staatsstreich zeigte, suchte die Exekutive sofort durch
eine offene, sehr nachdrückliche Kritik die Partei auf den Weg einer
ernsten Vorbereitung zum Kampfe beim voraussichtlichen neuen
Ueberfall der Konterrevolution hinzudrängen. Es gelang damals
jedoch nicht, der Parteileitung genug Verständnis für den Stand*
punkt der Exekutive beizubringen. Auf Grund der Erfahrungen
der Niederlage wurde dieser Standpunkt der Exekutive als Platt*
form angenommen, auf deren Grundlage die K.P.B. ihre Reihen
wieder zusammenschloß und sich von dem verfaulenden rechten
Flügel befreite.
202
Das Echo vom Kampf der norwegischen Gegner der Komin*
tern, das sich in Schweden durch den Angriff der rechten Elemente
lautbar machte und zu der panischen Stimmungsmache mitwirkte,
wurde von der Exekutive zurückgewiesen.
203
hältnisse der K.P. zu den Führern der Labour Party (in Amerika
der sogenannten „Dritten“ Partei). Die Exekutive konnte die
englischen und amerikanischen Genossen von der Notwendigkeit
der Revidierung ihrer Aufassung überzeugen, die eigenartigen und
neuen Probleme der revolutionären Bewegung in den angelsächsi*
sehen Ländern wurden mehrere Male durch die Exekutive sehr
eingehend behandelt und sie werden in Zukunft noch viel mehr
Aufmerksamkeit von der internationalen Leitung für sich fordern.
Die Gewerkschaftsarbeit.
14. In der G ew erkschaftsarbeit wurden in mehreren Ländern
Fortschritte in der Vereinheitlichung und Intensität der Arbeit
gemacht (vor allem, in Frankreich), wie auch bedeutende Erfolge
erzielt (unter anderen in England). In Deutschland wurde im
vorigen Winter durch eine von der reformistischen Gewerkschafts*
bürokratie verschuldete gewerkschaftsfeindliche Stimmung das
Hinauslaufen der Kommunisten und der Sympathisierenden aus
den Gewerkschaften als Massenerscheinung hervorgerufen. Da
die K.P.D. eine Zeitlang nicht entschieden dieser gefährlichen Ab*
irrung Widerstand leistete, trat die Exekutive aufs nachdrück*
lichste dagegen auf, bis der Beschluß des Frankfurter Parteitages
mit energischer Unterstützung der Exekutive dieser katastropha*
len Erscheinung Einhalt gebot und einen totalen Stimmungs*
204
Umschwung zugunsten der revolutionären Gewerkschaftsarbeit
herbeiführte.
205
setzt nicht nur die weitere Entwicklung der direkten Verbindung
gen der Exekutive mit den nationalen Befreiungsbewegungen des
Orients voraus, sondern auch eine nähere Verbindung der Sektio*
nen der imperialistischen Länder mit den Kolonien dieser Länder
und vor allem einen unaufhörlichen, rücksichtslosen Kampf in
jedem Lande gegen die imperialistische Kolonialpolitik der Bour*
geoisie. In dieser Hinsicht ist die kommunistische Arbeit noch
überall sehr schwach.
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THESEN ZUR TAKTIKTRAGE
ANGENOMMEN A U T DEM V. KONGRESS DER KOMINTERN.
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I. IN T E R N A T IO N A LE PROBLEME.
208
unterstützen, gesiegt. Die wachsende Bewegung zugunsten der
Bildung einer „Dritten“ (kleinbürgerlichen) Partei in Amerika
stellt ebenfalls eine gewisse Verschiebung in der Richtung einer
demokratisch*pazifistischen Phase amerikanischer Politik dar. In
Ja p a n nähert sich die „demokratische“ Bourgeoisie der Macht und
bereitet sich darauf vor, der feudalen Partei die Regierungsgewalt
abzunehmen. Der kürzlich in Japan erfolgte’ Regierungswechsel
wird ebenfalls als ein Sieg der „Demokratie“ und des Pazifismus
gedeutet. In Dänemark ist eine sogenannte Arbeiterregierung an
der Macht, an deren Spitze ein prominenter Vertreter der
II. Internationale steht. In Belgien können im Gefolge der bevor*
stehenden Wahlen die Führer der belgischen Arbeiterpartei zur
M acht gelangen, die de facto schon heute Minister, nur ohne
Portefeuille, sind. In O esterreich hat die Sozialdemokratie einen
7 m
3. Das Sachverständigengutachten.
Das Evangelium des gegenwärtigen „Pazifismus“ und der
modernen „Demokratie“ stellt das sogenannte Sachverständigen*
gutachten dar. In Wirklichkeit bezweckt das Expertenprogramm
die Ausräubung der werktätigen Massen Deutschlands. Darüber
hinaus stellt es einen Versuch der Imperialisten der gestern noch
im Kriege miteinander gelegenen Länder dar, ihre Geschäfte auf
Kosten der Werktätigen zu verbessern. Die Ruhrbesetzung hat
nicht das Ergebnis gehabt, das die französischen Imperialisten er*
hofften. •Der zynische Versuch einer unverhüllten Raubaktion
blieb erfolglos. Der einzige Weg zur „Lösung“ des Reparations*
Problems ist der Weg einer auf längere Zeit ausgedehnten, mit
„demokratisch*pazifistischen“ Phasen verbrämten Raubmethode.
Diesen Weg sehen wir denn auch nunmehr die Imperialisten der
Entente betreten. Dabei werden sie von den in erster Linie daran
interessierten Schichten der deutschen Bourgeoisie und von der
im Dienste der letzteren stehenden deutschen Sozialdemokratie
unterstützt. Das Sachverständigengutachten, das nun die Billigung
der gesamten internationalen konterrevolutionären Sozialdemo*
kratie gefunden hat, stellt in Wahrheit das schmachvollste Doku*
ment der Gegenwart dar. Es wird zu einer Schlinge um den Hals
nicht nur aller Werktätigen Deutschlands, sondern auch der werk*
tätigen Massen einer ganzen Reihe anderer Länder. Die Unter*
Stützung des Sachverständigengutachtens durch die Sozialdcmo*
kratie ist ein ebensolcher Verrat an der Sache des werktätigen
Volkes wie die Unterstützung des verflossenen imperialistischen
Krieges, da das Sachverständigengutachten nichts anderes ist als
die Fortführung dieses Krieges mit anderen Mitteln.
Doch das Sachverständigengutachten vermag selbst im Falle
seiner entschiedenen Durchführung den Interessengegensatz der
verschiedenen Gruppen des Weltimperialismus unter keinen Um*
ständen zu beseitigen. Je mehr man jetzt diese Interessen auf
dem Papier zu versöhnen sucht, desto stärker wird der sie be*
..herrschende Gegensatz in kurzer Frist wieder zutage treten.
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„Arbeiterregierung“ hinweg zur Diktatur des Proletariats zu
schreiten.
7. Die objektive Bedeutung und die wahrscheinlichen Perspektiven
der demokratisch^pazifistischen Aera.
Der objektive Sinn der gegenwärtigen eigenartigen demo?
kratisch?pazifistischen Phase besteht darin, daß die Bourgeoisie
schon nicht mehr mit den alten Methoden regieren kann. Diese
Aera ist ein Ausdruck für die Unsicherheit der kapitalistischen
Ordnung, für ihren Verfall, ihre Entwicklung in absteigender Linie.
Die gegenwärtigen demokratisch?pazifistischen Regierungen,
wie analoge Regierungen, die noch entstehen können, werden nicht
nur keine wirklich demokratische Friedenspolitik führen, sondern
sich im Gegenteil selbst sehr rasch in der Richtung des Faschismus
entwickeln. Der Klassenkampf wird nicht nur nicht abflauen, son?
dern im Rahmen der „Demokratie“ und des „Pazifismus“ noch
stärker entbrennen. Der Wechsel der Regime (Demokratie — Fa*
schismus — Demokratie) wird das Fundament des angefaulten Ka?
pitalismus noch mehr untergraben. Nach jedem Wechsel werden
die Volksmassen und in erster Linie die proletarischen Massen,
einen größeren Reichtum an politischer Erfahrung aufweisen und
einen gestählteren Willen zum Kampf zeigen, während die Bour?
geoisie und die ihr dienenden Führer der Sozialdemokratie aus
jedem Regimewechsel mit geschwächter Kraft, demoralisierter
und mit geringerem Glauben an sich selbst und an ihre Politik
hnvorgehen werden.
Auf diesem Wege wird die Mehrung der Kräfte der proleta*
rischen Revolution erfolgen bis zum entscheidenden Siege.
2 16
die Krise des Kapitalismus zwar langwierig, aber immer hoffnungs?
loser wird, ist der „subjektive Faktor“, das heißt die Organisa?
tionshöhe der proletarischen Massen und ihrer kommunistischen
Vorhut (Partei) die Kardiinalfrage der gesamten historischen
Epoche.
2. Die Losung: Heran an die Massen.
Die Losung: heran an die Massen, die vom III. Weltkongreß
der Komintern ausgegeben wurde, bleibt unverändert in Kraft. Die
Erfolge, die die Komintern in der verflossenen Periode errungen
hat, sind erst einleitende Errungenschaften. Die Erfolge der ein*
zelnen Sektionen sind noch nicht verankert. Sofern wir in der Er?
oberung der Massen nicht weiterkommen, kann leicht eine rück?
läufige Bewegung entstehen.
217
clenheit als unrichtig einerseits die Tendenzen der Rechten zurück,
die eine vorherige Eroberung der statistischen Mehrheit der werk?
tätigen Masse fordern und der Ansicht sind, daß von keinerlei
ernsten revolutionären Kämpfen die Rede sein kann, solange die
Kommunisten nicht womöglich 99 Prozent aller Werktätigen er?
obert hätten, andererseits die Fehler der „Ultralinken“, die bis
auf den heutigen Tag die entscheidende welthistorische Bedeutung
der Losung: heran an die Massen! nicht begriffen haben und sich
zuweilen bis zur Behauptung versteigen, die kommunistischen Par?
teien könnten Parteien „terroristischer Minderheiten“ sein, also
glauben, die kommunistischen Parteien könnten, ohne Massen?
Parteien geworden zu sein, die Massen in jedem Augenblick in den
Kampf führen.
4
entsenden, zu diesem Zweck Geldsammlungen veranstalten usw.
Mangelnde Aufmerksamkeit unsererseits für die Frage der Bauern*
schaft ist ein Ueberibleiibsel des Sozialdemokratismus. Kommu*
nistische Parteien, die es nicht gelernt haben, die revolutionäre
Arbeit unter der Bauernschaft zu leisten, können nicht als kommu*
nistische Massenparteien gelten, die die Frage der Eroberung der
Macht ernst behandeln. Selbstverständlich haben dabei unsere
Sektionen marxistische Arbeiterparteien zu bleiben, nicht aber
sich in „Arbeiter* und Bauernparteien“ zu verwandeln.
221
den rechten Opportunismus, sondern auch gegen die „ultralinken“
Tendenzen, die häufig nur die Kehrseite des Opportunismus dar*
stellen. In der Periode zwischen dem IV. und V. Kongreß nahmen
die „ultralinken“ Tendenzen einen besonders bedrohlichen Cha*
rakter in der Frage des Arbeitens in den reaktionären Gewerk*
schäften an. Die Bewegung zugunsten des Austritts der Kommu*
nisten aus den Gewerkschaften ist für den Kommunismus mit den
größten Gefahren verbunden. Wenn die Komintern diese Ten*
denzen, die nur den konterrevolutionären Führern der Sozialdemo*
kratie, die sich der Kommunisten in den Gewerkschaften entledigen
möchten, Vorschub leisten, nicht immer wieder aufs entschiedenste
zurückweist, werden wir niemals wahrhaft bolschewistische Par*
teien schaffen können.
Die „ultralinken“ Tendenzen fanden ferner ihren Ausdruck
in der „prinzipiellen“ Verwerfung der Taktik des Manövrierens
als solcher, insbesondere auch in der Verständnislosigkeit für die
Taktik der Einheitsfront, der Ablehnung ihrer praktischen Durch*
führung, oder in Versuchen, die Taktik der Einheitsfront nur für
das wirtschaftliche, nicht aber auch für das politische Gebiet gelten
zu lassen und ähnliches mehr. Das Manövrieren darf zu opportu*
nistischen Methoden nicht ausgenützt werden.
In dem die Komintern die rechten opportunistischen Ten*
denzen schonungslos bekämpft, muß sie gleichzeitig systematisch
die Fehlerhaftigkeit und Verderblichkeit der „ultralinken“ Ten*
denz, die den Aufbau kommunistischer manövrierfähiger Massen*
Parteien unmöglich macht, darlegen.
222
i
223
dürfen nicht zur Schablone herabsinken. Das wichtigste hierbei ist,
zuvor in den Arbeitermassen (auch unter den sozialdemokratischen
Arbeitern) eine Stimmung zugunsten dieser oder jener Aktion, den
Eintritt in diesen oder jenen Kampf zu erzeugen, um darauf erst
an die offiziellen Organe der Sozialdemokratie heranzutreten, sie
so bereits vor die vollendete Tatsache der Existenz bestimmter
Stimmungen in der Arbeiterklasse stellend, und um sie im Falle
ablehnenden Verhaltens vor den Massen zu entlarven.
Es versteht sich von selbst, daß die kommunistischen Par?
« teien ihre volle und absolute Selbständigkeit aufrechtzuerhalten
und in jeder Phase der Verhandlungen unter allen Umständen ihr
kommunistisches Gesicht zu wahren wissen müssen. Zu diesem
Zweck müssen alle Verhandlungen mit den Spitzen der Sozial?
demokratie öffentlich geführt werden. Zudem müssen die Kommu?
nisten alles tun, um das Interesse der Arbeitermassen an diesen
Verhandlungen lebendig zu erhalten.
3. Einheitsfronttaktik nur von oben. Diese Methode wird
von der Kommunistischen Internationale kategorisch und entschied
den verworfen. Die größte Bedeutung kommt der Einheitsfront?
taktik von unten zu, das heißt eine Einheitsfront, die unter der
Führung der Kommunistischen Partei unter den kommunistischen,
sozialdemokratischen und parteilosen Arbeitern im Betrieb, Be?
triebsrat, der Gewerkschaft und darüber hinaus in einem Industrie?
Zentrum oder einem ganzen Gebiete, einem ganzen Lande oder
einem ganzen Berufe und so fort verwirklicht wird.
Selbstverständlich kann und muß die Art der Anwendung der
Einheitsfronttaktik entsprechend der konkreten Lage in jedem
Lande und jeder Zeitpeniode wechseln. Eine allgemeine schab?
ionenmäßige Durchführung der Einheitsfronttaktik beraubt diese
Taktik jeglicher Bedeutung und verwandelt sie in ihr direktes
Gegenteil.
Bei der Konkretisierung der taktischen Methoden müssen alle
Umstände des betreffenden Landes, seine Struktur, der Zustand
der betreffenden Sektionen in Betracht gezogen werden, unter
Verlegung des Schwergewichtes auf* die Mobilisierung der Massen
von unten, die Schaffung von Kampforganen, die Verbindung mit
den wichtigsten Schichten der werktätigen Massen (Proletariat,
Bauern, Landproletariat), die in Kämpfe hinemgezogen werden
sollen.
Die Einheitsfronttaktik war und bleibt eine Methode der Re?
volution, nicht aber eine Taktik der friedlichen Evolution. Die
Einheitsfronttaktik war und bleibt die Taktik eines revolutionären
strategischen Manövers der von Feinden umringten kommunisti?
sehen Vorhut in ihrem Kampfe vor allem gegen die verräterischen
Führer der konterrevolutionären Sozialdemokratie. Sie ist keines?
*
224
falls eine Taktik des Bündnisses mit diesen Führern. Die Einheits*
fronttaktik war und bleibt die Taktik eines allmählichen Herüber*
Ziehens der sozialdemokratischen und des besten Teiles der par*
teilosen Arbeiter auf unsere Seite, darf dagegen unter keinen Um*
ständen zu einer Taktik der Herabsetzung unserer Ziele ent*
sprechend dem Niveau des Verständnisses der letzteren degradiert
werden.
X. TEILFO RD ERU N G EN .
XIII. ZW EI PERSPEKTIVEN.
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den engsten und festesten Kontakt mit der Masse der Arbeiter
aufrechtzuerhalten und deren Nöten und Erwartungen Ausdruck zu
verleihen.
2. Sie muß manövrierfähig sein, das heißt ihre Taktik darf keine
dogmatische, sektiererische sein. Sie muß es verstehen, alle jene
strategischen Manöver gegen den Feind in Anwendung zu bringen,
die es ihr ermöglichen, dabei ihren eigenen Charakter unverändert
zu erhalten. Es ist ein Hauptfehler unserer Parteien, daß sie dies
sehr häufig nicht verstehen.
3. Sie muß ihrem Wesen nach revolutionärsmarxistisch sein,
unentwegt ihrem Ziele zustreben, in jeder Situation das Maximum
an Energie zur Förderung der Vorbereitung des Sieges des Prole?
tariats über die Bourgeoisie entwickeln.
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intensivste Arbeit in der Minoritätsbewegung der Gewerkschaften
leistet;
b) die sogenannte „Arbeiterregierung“ Macdonalds klar und
eindeutig in den Massen zu bekämpfen durch Aufzeigung ihres
bürgerlichen und arbeiterfeindlichen Charakters;
c) bei allen etwaigen Nachwahlen und in der kommenden Wahl*
kampagne eine klare, entschiedene, eindeutige kommunistische
Linie zu beziehen;
d) die wirtschaftlichen Kämpfe so zu führen, daß die Haupt*
kraft auf die Schaffung von Einheitsfrontorganen von unten
(Streikkomitee, Betriebsräte usw.) gelegt wird, um den Arbeiter*
massen den politischen Sinn dieser wirtschaftlichen Kämpfe klar*
zumachen;
e) die K.P.E. muß eine aktive Kampagne durchführen zur
Schaffung von Aktionskomitees in den Betrieben und Gewerk*
schäften, um einen Druck auf die sogenannte Arbeiterregierung
auszuüben zur Durchführung desjenigen Teiles des Programms
der sogenannten „Arbeiteregierung“, der von ihr fallen gelassen
worden ist, nämlich der Sozialisierung der Eisenbahnen und Berg*
werke, der Erhöhung der Unterstützung der Arbeitslosen, Bau von
Arbeiterwohnungen usw. Nur, wenn die KPE. an Hand der täg*
liehen Nöte der Arbeiterklasse den Verrat der „Arbeiterregierung“
aufzeigt, und wenn sie versucht, die breiten Arbeitermassen in
den Kampf für diese Ziele zu führen, wird sie in den Arbeiter*
massen die Illusionen über die sogenannte „Arbeiterregierung“
zerstören;
f) eine besondere Bedeutung muß die KPE. der Verbindung mit
den Kolonien, der Unterstützung der nationalrevolutionären Bewe*
gungen der Kolonialländer, der Frage des Militarismus und Marinis*
mus, der Abrüstung, der Beziehungen Englands zu Sowjetrußland,
zu dem imperialistischen Frankreich, dem Sachverständigengut*
achten beilegen;
g) ferner muß die KPE. eine besonders sorgfältige Arbeit zur
Beeinflussung der Erwerbslosen beginnen;
h) die KPE, muß ferner ihr besonderes Augenmerk richten
auf die innere Durchorganisierung der Partei, auf die Bildung von
Betriebszellen, auf die kommunistische Durchbildung der Mit*
glieder, auf die Verbreitung von Kenntnissen über die internatio*
nale Arbeiterbewegung.
2. Frankreich. Der Kongreß stellt mit Genugtuung die bedeut*
samen Erfolge der französischen Partei fest, die alle zweifelhaften
Elemente aus ihrer Mitte vertrieben hat und zu einer wirklichen
proletarischen Partei heranreift. Gleichzeitig aber weist der Kon*
greß die französische Bruderpartei auf die unaufschiebbare Not*
wendigkeit der Durchführung folgender Aufgaben hin:
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a) Aufbau eines wirklichen Parteiapparates, ohne den das
Bestehen einer proletarischen Partei unmöglich ist;
b) gründliche Arbeit der Partei in den Industriezentren des
Landes neben Paris, in jenen großen Industriezentren, in denen,
wie die jüngsten Wahlen gezeigt haben, die Sozialisten noch einen
großen Einfluß besitzen. Paris ist für das Land selbstverständlich
von ungeheurer Bedeutung. Dennoch ist ein Sieg der proletarischen
• Revolution ohne Gewinnung der übrigen wichtigsten Industrie*
Zentren ausgeschlossen;
c) ernste Massenarbeit unter den breiten Schichten der Bauern?
schaft;
d) Durchführung der Einheitsfronttaktik in entsprechender
Form. Zwar haben es die Führer der französischen Sozialisten
nicht gewagt, offen in die HerriotsRegierung einzutreten, bilden
aber dessenungeachtet einen faktischen Bestandteil dieser Regie*
rung. Daraus ergibt sich für uns eine Modifikation unserer Agi*
tation unter strenger Befolgung der Einheitsfronttaktik;
e) die Partei muß der Bildung von Parteizellen in den Betrieben
ernsteste Beachtung schenken. Ohne Parteizellen kann es keine
kommunistische Massenpartei geben;
f) Werbung neuer Parteimitglieder unter den Arbeitern. Das
Departement Seine muß sich für die nächste Zukunft die Aufgabe
stellen, seinen Mitgliederbestand auf nicht weniger als 25 000 Par*
teimitglieder zu bringen. Eine gleiche Werbekampagne ist im ganzen
Lande zu entfalten;
g) die Partei muß alles daran setzen, eine Massenbewegung
im ganzen Lande zugunsten der Bildung von Betriebsräten wach?
zurufen;
h) die Partei muß danach streben, die Ueberreste rechter
Stimmungen zu überwinden, ihre gesamte Organisation unter dem
Banner der Komintern fest zusammenzuschließen und einen wirk?
liehen arbeitsfähigen, festen Kern im Zentrum zu schaffen. Alle
Reibungen zwischen der Linken und dem früheren „Zentrum“
haben zu verschwinden. Die gesamte Partei muß zu einer
geschlossenen K. I.*Linken werden;
i) die internationalen Verbindungen der französischen kommu?
nistischen Partei müssen intensiver werden. Vor allem ist ein
dauernder, ununterbrochener Kontakt mit der KPD. zu schaffen;
Die französische Schwerindustrie gewinnt immer größere
Bedeutung für die imperialistische Auseinandersetzung und für die
innerpolitischen Verhältnisse. Die KPF. hat den Kampf gegen den
zunehmenden Einfluß der Schwerindustrie, vor allem in Verbind
düng mit dem Kampf gegen die Durchführung des Sachverstän*
digengutachtens und in engster Kampfgemeinschaft mit der KPD.
zu führen;
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a) jedwede Neigung zum Austritt aus den Sozialdemokrat
tischen Gewerkschaften aufs energischste mit eiserner Faust zu
bekämpfen, alle Parteimitglieder, ohne Ausnahme zu verpflicht
ten, die Taktik der K.I. und des Frankfurter Parteitages in der
Gewerkschaftsfrage zu verwirklichen, entschieden und energisch
die Umorganisierung der Partei auf der Grundlage von Betriebst
zellen durchzuführen, was für die Partei von ungeheurem Nutzen
beim Uebergang zur Illegalität sein wird.
b) den Tendenzen, die unter der Maske des Radikalismus in
die Partei theoretischen Revisionismus und menschewistische Abt
weichungen einschmuggeln wollen, entschieden und schonungslos
entgegenzutreten;
c) die Linie der K.I. in der Frage des Verhältnisses zur
Bauernschaft mit Festigkeit und Energie durchzuführen;
d) dasselbe in der nationalen Frage zu tun;
e) in ihrer parlamentarischen Tätigkeit entschiedene, unvert
söhnliche prinzipielle kommunistische Haltung mit Sachlichkeit zu
verbinden;
f) der Betriebsrätebewegung eine weit größere Beachtung als
bisher zu widmen.
Das Exekutivkomitee der K.I., wie sämtliche Brudersektionen,
müssen der gegenwärtigen Zentrale der KPD. eine unbegrenzte
Unterstützung gewähren. Dann wird die KPD. die rechten
Tendenzen, die der Partei einen so ungeheuren Schaden zugefügt
haben und hier und da Wiedererstehen können, mit Leichtigkeit
überwinden.
4. T schechoslow akei. Rechte Tendenzen, die sich in Deutsch*
land konsequent zu Ende entwickelt und erst dadurch ihre Halt*
losigkeit vollauf offenbart haben, gab und gibt es auch in der
tschechoslowakischen Partei. Wenn dieselben Tendenzen hier
nicht denselben Bankrott erlebten wie in Deutschland, so nur
darum, weil das politische Entwicklungstempo in der Tschecho*
Slowakei ein langsameres war. Die Komintern hat neben ihren
anderen Funktionen auch die Aufgabe, dahin zu wirken, daß die
Sektionen voneinander lernen, daß Fehler einzelner Sektionen
nicht von anderen wiederholt werden. Das sollte im vorliegenden
Falle auch die tschechoslowakische Partei tun. Die tschechoslo*
wakische Kommunistische Partei, die in ihrer überwiegenden
Mehrheit aus vortrefflichen proletarischen Elementen besteht, ver*
mochte ungeachtet dieses Umstandes bisher keine wirkliche
bolschewistische Partei zu werden. Daher muß man:
a) vor allem die theoretische Linie der Partei korrigieren;
b) die Fehler in den Formulierungen des Prager Parteitages
und der jüngstens Konferenz in Brünn als solche anerkennen;
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