Você está na página 1de 239

Bayerische

BSB
M ünchener

StaatsBibliothek VI D Z D igitalisierungszentrum
D igitale Bibliothek

ZinovOev, Grigorij Evseevic, 1883-1936

Die Weltpartei des Leninismus

Hamburg 1924
Pol.g. 1144 z
urn:nbn:de:bvb:12-bsblll28643-6
'V

I
^■ •»ST' £

SINOWJEW

VERLAG CARL HOYM NACHF., HAMBURG 8 »1924


*4
k
V 4

1924
V E R L A G C A R L H O y M N A C H FL ., H A M BU RG 8
f
I

* •• _
' i :, /

•¥
>

Iv*. • T^S^' vWr


. - -*• 4 jS * . y *
j - J«.-; f . _ r

r i
■ !■ ' • ; -vir- ■•*.: ^ s f ^ V ^ d E ^ y r -

4
r ! <
- i . ' v * ;/•— ‘: -V. *
’J ' .

. >. # V#. > '

1 i t
VK
r'
;\.

0

W

v
i
VON LENIN ZUM LENINISMUS

REDE B E I DER ERÖTTNUNG DES


V. W ELTKONGRESSES DER K. I

/ /
4

f
/
j
Die Rolle des Gen. Lenin.
Genossen! Auf der Tagesordnung des V. Kongresses der
Komintern steht die Frage des Programms der Kommunistischen
Internationale. Die Komintern wird noch viel kollektive Arbeit
aufwenden müssen, um einen Programmtext auszuarbeiten, der alle
Bedürfnisse unserer Bewegung befriedigt und unserer Theorie ent?
spricht. Aber, Genossen, wir haben zwei Namen, die das Programm
der Kommunistischen Internationale mit größter Vollständigkeit
in sich verkörpert hat. Diese Namen sind Marx und Lenin
(Beifall). Die Kommunistische Internationale hat es schon in den
ersten Anfängen ihrer Arbeit als ihre Pflicht angesehen, den Weg
zu gehen, den Karl Marx der I. Internationale gewiesen hat. Unter
dem Banner von Marx hat sich die Komintern gebildet.
Schon direkt Hand in Hand, in denselben Reihen hat die Kom?
munistische Internationale zusammen mit Wladimir Iljitsch Lenin
gekämpft und ihre Organisation geschaffen. Für ihn gab es nichts
Höheres und nichts Größeres als die Interessen der Kommu?
nistischen Internationale.
W ladimir Iljitsch hat die russischen Arbeiter gelehrt, daß es
nichts Höheres gibt, als der Arbeiterklasse, nicht nur des eigenen
Landes, sondern auch der internationalen Arbeiterbewegung, zu
dienen. Und das hat er sie schon in den Jahren gelehrt, wo unsere
Partei noch illegal war, wo man nach rechts und nach links kämpfen
und das Recht der Partei auf ihre Existenz verteidigen mußte, wo
die Partei den Revisionismus aller Gattungen abwehren mußte. In
den Jahren des Sieges hat Wladimir Iljitsch das russische Prole?
tariat beständig daran erinnert, daß die Interessen der Internatio?
nale über allen anderen stehen, daß jeder einfache Arbeiter sich
vorbereiten muß für die Rolle eines Mitarbeiters der revolutionären
Bewegung nicht nur im eigenen Lande, sondern in der ganzen Welt.
Ein hervorragender Sozialdemokrat, Max Adler, hat im Nach?
ruf für Wladimir Iljitsch hervorgehoben, daß der reformistische
Sozialismus (zu dessen Lager er selbst gehört) „seelenlos“ ist. Ich
kenne kein härteres Urteil über die II. Internationale, als dieses
kurze Wörtchen „Seelenlosigkeit“, das der II. Internationale von
ihrem Mitglied Max Adler ins Gesicht geschleudert worden ist.
Er schrieb:
„Dieser Gegensatz eines seelenlosen Sozialismus und eines
solchen, in dem die freie Seele der „umwälzenden Praxis“ eines

«
Marx und Engels, der sozialen Revolution fortglüht, ist der
eigentliche Grund der heutigen Zerrissenheit und Schwäche des
Sozialismus. Und ihr gegenüber war Lenin geradezu eine gran?
diose Verkörperung dieser glühenden Seele des Sozialismus.“
Etwas weiter unten schreibt er:
„. . . Wer keine Augen und kein Gefühl für das hat, was ich
vorhin die Seelenlosigkeat des Sozialismus nannte, der wird auch
nie ein Verständnis dafür gewinnen, daß der „Putschismus“ bei
sehr vielen seiner Anhänger, die gerade die besten und idealsten
sind, und das erklärt besonders die Anziehungskraft des „Kommu?
nismus“ auf die Jugend — eine leidenschaftliche Reaktion gegen
diese Seelenlosigkeit ist. Als eine solche Reaktion gegen die revo?
lutionäre Atrophie des proletarischen Sozialismus ist Lenins inter?
nationales Wirken in erster Linie zu verstehen.“
Genossen, in den Tagen, als wir den Tod Wladimir Iljitschs
beweinten, sind einigen der ehrlichsten Gegner des Kommunismus
Geständnisse entschlüpft, wie diejenigen, die ich soeben angeführt
habe. Ja, Wladimir Iljitsch war die Feuerseele des internationalen
Sozialismus, alles dessen, was es Heldenhaftes in der Arbeiter?
bewegung gibt. Und ich glaube, Genossen, daß es für unseren
Kongreß, der morgen oder übermorgen seine Arbeit beginnen wird,
keine größere Ehre gibt, als das Bewußtsein, daß ein Teil der
Seele Wladimir Iljitschs in einer jeden von unseren Parteien
vibriert, und daß jede von ihnen es als höchste Ehre betrachten
wird, den Weg zu gehen, den der verstorbene Wladimir Iljitsch
Lenin dem Weltproletariat und der internationalen Revolution ge?
zeigt hat. (Beifall.)
Als Marx gestorben war, schrieb Engels in seinem bekannten
Brief, den wir oft zitiert haben: „Die Bewegung des Proletariats
geht ihren Gang weiter, aber der Zentralpunkt ist dahin, zu dem
Franzosen, Russen, Amerikaner, Deutsche in entscheidenden
Augenblicken sich von selbst wandten, um jedesmal den klaren,
unwidersprechlichen Rat zu erhalten, den nur das Genie und die
vollendete Sachkenntnis geben konnte.“
Wladimir Iljitsch hat durch seine große Arbeit dafür gesorgt,
daß bei seinem Scheiden aus dem Leben ein Mittelpunkt blieb, an
den sich die Revolutionäre der ganzen Welt um Rat wenden und
Weisungen im Geiste Wladimir Iljitschs erhalten können. Dieser
Mittelpunkt ist hier, cs ist die Kommunistische Internationale, die
vor allem vom Genie Wladimir Iljitschs geschaffen worden ist.
Und der V. Kongreß wird der ganzen Welt beweisen, daß unter uns
nicht umsonst der genialste Führer des internationalen Sozialis?
mus, der beste Vertreter des revolutionären Marxismus auf der
Welt gearbeitet hat. (Beifall.)

5
Heroische Kämpfe und ihre Opfer.
Es ist hier schon erwähnt worden, daß wir in der verflossenen
Zeit nicht wenig Opfer und nicht geringe Verluste erlitten haben.
Natürlich fühlt jeder von uns das Bedürfnis, in den ersten Augen*
blicken unseres internationalen Kongresses der Genossen zu ge*
denken, die .durch die Macht der Umstände in die erste Feuerlinie
gestellt worden waren und daher auch die» ersten und stärksten
Schläge seitens der Feinde auf sich nehmen mußten. Wir senden
einen Gruß an' die Krakauer Aufständischen, die von der weißen
Garde gerade in den Tagen abgeurteilt werden, in denen unser
Kongreß tagt. Einen ebenso flammenden Gruß senden wir an
die polnischen Arbeiter, die in den Gefängnissen sitzen, an die
polnischen Bauern, die von der bürgerlichen Bande gefangen*
genommen worden sind; wir gedenken jetzt der vielen Hunderte
von bulgarischen Aufständischen, die in den Gefängnissen
schmachten oder vertrieben worden sind, wir gedenken auch der
Tausende deutscher Arbeiter, die mit Hilfe der faschistischen
Sozialdemokratie gefangengenommen wurden, wir gedenken der
indischen Revolutionäre, denen dieser Tage ihr Urteil gesprochen
wurde — vier Jahre Zwangsarbeit, wobei die Regierung in voller
Einmütigkeit mit der „Arbeiter“regierung seiner Majestät des
Königs von England und gleichzeitg des Führers der Arbeiterpartei,
Herrn MacDonald, vorging. Wir gedenken des heldenmütigen
Kampfes unserer japanischen, chinesischen und koreanischen Ge*
nossen, wir gedenken in diesen Tagen des tragischen Todes Osugis,
Kavamis, Joschiumas, Takooras und einer ganzen Reihe anderer
Genossen, die durch die Hand der Faschisten des vertierten japa*
nischen Imperialismus gefallen sind.
Wir vergessen nicht den hartnäckigen Kampf der streikenden
chinesischen Eisenbahner.
Wir gedenken des Zentralkomitees der Kommunistischen Par*
tei Aegyptens, das fast restlos ins Gefängnis geworfen wurde für
die Durchführung eines großen Streiks, der zur Besetzung einzelner
Fabriken in Aegypten führte.
Wir gedenken des heldenmütigen Kampfes der internationalen
Kommunistischen Jugend. Ihr wißt, daß kürzlich in Polen Ge*
nosse Engel erschossen worden ist. Ihr wißt, daß über die pol*
nischen Jungkommunisten im Laufe der letzten Woche insgesamt
477 Jahre Zwangsarbeit verhängt worden sind. Einen flammenden
Gruß an die Jungkommunisten Polens und der ganzen Welt.
(Beifall.) Wir gedenken des heldenmütigen Kampfes, den die
französischen und deutschen Jungkommunisten im Ruhrgebiet ge*
führt (haben. Was man auch sagen mag, wir waren verhältnismäßig
doch schwach und konnten nicht in der nötigen Weise auf die Ruhr*

6
ereignisse reagieren, aber die Tatsache bleibt bestehen: nur die kom *
munistischen Parteien Deutschlands und Frankreichs haben unter
der Leitung der Kommunistischen Internationale vom Beginn der
Ruhrbesetzung an ihre Pflicht erfüllt. Und die französischen und
deutschen Jungkommunisten haben sie in der Tat mit Ehren erfüllt
und dafür dieser Tage ungefähr 150 Jahre Gefängnis bekommen-
Selbstverständlich kann unser Kongreß nicht umhin, den franzö?
sischen und deutschen Jungkommunisten einen brüderlichen,
freundschaftlichen, flammenden, kameradschaftlichen Gruß zu
senden. (Beifall.)

Die K.J. läßt sich nicht einschüchtern.


Die bürgerlichen Regierungen hoffen, daß sie durch die
Zwangsarbeit der sozialen Bewegung ein Ende machen können, die
in der ganzen Weltbewegung der Kommunistischen Jugend ver?
körpert ist.
Die Blinden! Die K.J. einschüchtern wollen, wäre dasselbe, wie
wenn man die frühe Morgensonne einschüchtern wollte, damit sie
nicht auf geht! Werden sie denn wirklich nicht begreifen, daß es,
wenn schon niemand anderem, so doch jedenfalls dem jetzigen,
herrlichen Geschlecht der kommunistischen Jugend bestimmt ist,
den vollen Sieg über die bürgerliche Ordnung zu verwirklichen!
Die Jungkommunisten werden, wenn schon sonst niemand, ganz
sicherlich die Totengräber der bürgerlichen Gesellschaft sein. Nein,
es wird nicht gelingen, durch Zwangsarbeitsurteile das Grün der
K.J. zu zertreten, und durch Erschießungen, wie die polnische
Bourgeoisie es tut, die große historische Weltbewegung zu er*
drücken, die von der Kommunistischen Internationale mit allen
Kräften unterstützt wird. (Beifall.)

Das Tempo der Bewegung.


Genossen! Am Jahrestag des ersten Jahrfünfts der Komintern
heben wir hervor, daß die Bewegung sich nicht so rasch entwickelt
hat, wie wir erwarteten. Erinnern wir uns der Zeit, wo Wladimir
Iljitsch, einer der hervorragendsten Köpfe, glaubte, daß die Frage
des Sieges der proletarischen Revolution in allen Ländern eine
Frage von Monaten sei.
Wir haben uns in der Beurteilung des Tempos geirrt und nach
Monaten gerechnet, wo man nach Jahren rechnen mußte. Diejehi*
gen, die sich nicht in das Wesen der Komintern vertieften, ver*
fielen zuweilen in Mutlosigkeit und sagten: Schon fünf Jahr lang
besteht unsere Organisation, und dabei hat sie noch nicht in der
ganzen Welt gesiegt.
Ja, seit den fünf Jahren des Bestehens der Komintern haben
wir vorläufig nur etwa ein halbes Dutzend zerstörter monarchi*
scher Throne und haben ein Sechstel des Festlandes der Erde in
Gestalt der Sowjetunion erobert. Im Laufe dieser fünf Jahre
haben wir die Entstehung und das Wachstum kommunistischer
Parteien in einer ganzen Reihe von Ländern Europas und anderer
Erdteile beobachtet. Im Laufe dieser Zeit hat sich die Sozial*
demokratie abermals an die Macht herangeschlichen. Sie gelangt
zum zweiten Male zur Macht, und die Arbeiteraristokratie und
Kleinbourgeoisie, die von den Sozialdemokraten verkörpert wird,
teilt gegenwärtig in einer ganzen Reihe von Ländern die Macht mit
der Bourgeoisie. Während die Arbeiter unter dem Banner der
Komintern Kräfte sammeln für den neuen Revolutionskampf,
schleicht sich die II. Internationale in der Person ihrer obersten
Führer an die Macht heran und ist ein Mithelfer an der Sache der
Bourgeoisie. Das sind die ungefähren Ergebnisse, die diese ersten
fünf Jahre noch lange nicht erschöpfen.
Kein Anlaß zu Mutlosigkeit.
Ja, es ist richtig, der Sieg ist noch nicht errungen und wir
müssen noch fünf Sechstel des Festlandes der Erde erobern, damit
in der ganzen Welt die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken
errichtet wird. Ja, unsere Jungkommunisten werden erschossen.
Zehntausende unserer Genossen befinden sich in den Gefängnissen
und in der Zwangsarbeit. Wir sehen in dieser Zeit Aufstands*
versuche in Deutschland (ich meine den heldenmütigen Aufstand in
Hamburg), in Polen und einen ausgedehnten Aufstand in Bulgarien-
Aber vieles ist noch bei weitem nicht durchgeführt. Es wäre
jedoch der größte Opportunismus, Naivität und Verständnislosigkeit
für das, was Wladimir Iljitsch uns gelehrt hat, wenn man, wie ich
das bei einigen Kommunisten gesehen habe, in Mutlosigkeit ver*
fallen würde, etwa deshalb, weil der Kommunist Newbold bei den
Wahlen unterlegen ist. Ich habe Kommunisten gesehen, die das als
eine Niederlage der Komintern und als ein riesiges Unglück an*
sahen, obgleich Newbold bedeutend mehr Stimmen erhalten hat als
früher. Man muß endlich begreifen, daß der Erfolg der Komintern
nicht auf dem Schauplatz der Wahlen liegt. Wir haben auch dort
große Erfolge errungen und das ist für uns um so wichtiger, als dies
nicht unser Element ist. Aber es wäre lächerlich zu glauben, daß
unser Erfolg tatsächlich auf Grund dessen bestimmt werden wird,
ob Newbold oder irgendein anderer ins Parlament gewählt worden
ist oder nicht.
Die Zeit hat für uns gearbeitet.
Das Tempo der Entwicklung war langsam, aber die Zeit arbei*
tete für uns. Wir sind fast in jedem Lande gegenwärtig stärker als
vor einem Jahre. Eine ganze Reihe unserer Parteien hat in dieser
Zeit eine illegale Periode durchgemacht. Eine ganze Reihe unserer
Parteien hatte Prüfungen überstanden. Solche Prüfungen haben
die kommunistischen Parteien Deutschlands, Italiens, und fast alle
Parteien der Balkanländer, die tschechoslowakische und zum Teil
die amerikanische Partei durchgemacht, die durch die Prüfungen der
Illegalität gegangen sind. Das ist für uns natürlich eine sehr wich*
tige Prüfung, denn man hat versucht, uns mit Hilfe der illegalen
Lage abzuwürgen. Aber unsere Parteien haben die Prüfungen
überall bestanden und sind aus ihr bedeutend gestählter, bedeutend
stärker hervorgegangen, als sie in die Illegalität hineingingen.
Gegenwärtig haben wir überall bedeutend bolschew istischere kom*
munistische Parteien als bisher. Daher gehen wir an die Arbeit des .
V. Kongresses mit dem Bewußtsein, daß der Endsieg noch nicht
da ist und daß viele Prüfungen auf unserem Wege lagen. Unsere
Sa£he geht langsamer vorwärts, als man erwarten konnte, aber sie
geht vorwärts. Unsere Komintern, geschaffen von Wladimir
Iljitsch und unterstützt von allem, was es Ehrliches und Revolu*
tionäres in der internationalen Arbeiterklasse gibt, und alle ihre
Organisationen haben das Kreuzfeuer ausgehalten und sind bedeu*
tend stärker geworden.

Zehn Jahre Krieg.


Wir eröffnen unseren Kongreß kurz vor dem zehnten Jahres*
tag des Krieges. Das Präsidium der Komintern hat aus diesem
Anlaß einen wichtigen Beschluß gefaßt, den wir Euch bitten
werden, zu bestätigen. Wir wollen im Laufe einer Woche, Ende
Juli und Anfang August, eine internationale Demonstration durch*
führen. Wir wollen diese Demonstration nicht nur gegen die
Bourgeoisie durchführen, sondern auch gegen die weiße Sozial*
demokratie, die am Kriege nicht weniger Schuld trägt als die
Bourgeoisie. Ich hoffe, daß der V. Kongreß die Taktik der Ein*
heitsfront in den Grundzügen bestätigen wird, aber es gibt Augen*
blicke, wo wir vor allem betonen müssen, daß die Führer der
Sozialdemokratie unsere Todfeinde sind, und der zehnte Jahrestag
des Krieges ist gerade ein solcher Augenblick. Wir wollen diese
internationale Demonstration nicht zusammen mit den Sozial*
demokraten, sondern gegen sie durchführen. (Beifall.)

Entlarvt den schamlosen Betrug der Sozialdemokratie.


Gegenwärtig läuft die II. Internationale mit dem Sachverstän*
digengutachten umher wie ein Kind, das über ein buntes Spielzeug
aus dem Häuschen geraten ist, und sucht die Arbeiter der ganzen
Welt glauben zu machen, daß dieses Sachverständigengutachten
der beste Ausweg aus der gegenwärtigen Lage ist, daß dies der
friedliche Weg ist, den die ganze internationale Arbeiterklasse an*
nehmen kann.
Einer der ehrwürdigsten Vertreter des Stumpfsinns und gleich*
zeitig Führer der II. Internationale, Crispien, hat sich auf dem
eben tagenden Parteitag der deutschen Sozialdemokratie durch
folgenden Ausspruch unsterblich gemacht. Er hat gesagt, daß er
im Sachverständigengutachten die „Kapitulation der Bourgeoisie
vor dem Marxismus“ festtelle. Nun, ist das nicht der Kretin der
Kretins. Dieser selbstzufriedene Spießer verwechselt anscheinend
im Ernst Karl Marx mit dem heutigen deutschen Reichskanzler
Marx, denn nur unter dieser Voraussetzung konnte er — und auch
dann nur mit einer gehörigen Dosis Dummheit — einen derartigen
Ausspruch tun.
Ein neuer Weltbetrug wird vorbereitet. Der Sachverständigen*
ausschuß ist eine Schlinge um den Hals der Arbeiterklasse
Deutschlands. Sie ä/hnelt freilich zuweilen einer seidenen Schlinge,
und die Herren aus der II. Internationale freuen sich, daß sie von
Seide ist und daß sie mit Pausen zugezogen werden wird und den
deutschen Arbeitern von Zeit zu Zeit eine Pause * zum Luft*
schnappen gewähren wird. Das vom Sachverständigenausschuß
vorgestellte Dokument sucht man als das letzte Wort der demo*
kratisch*pazifistischen Wahrheit hinzustellen. '
Eine der wichtigsten Aufgaben der Komintern liegt darin,
diesen schändlichen Betrug zu entlarven und das Sachverständigen*
gutachten im verdienten Lichte zu zeigen.
Kürzlich hat sich in Wien die Amsterdamer Internationale ver*
sammelt, und diese Heren haben da die Kriegsfrage angeschnitten.
Herr Jouhaux, der die französische Arbeitskonföderation vertritt,
hat die euch bekannte Resolution eingebracht. In einer ganzen
Reihe von Ländern wollen sie eine empörende Komödie spielen
und in der Rolle von Kämpfern gegen den Krieg auftreten.

Wir werden die deutsche Sozialdemokratie an ihre Schandtaten


erinnern.
Setzen sie denn nicht voraus, daß wir sie im Laufe der nächsten
Zeit an die Verbrechen erinnern werden, die sie im imperialisti*
sehen Weltkriege gegen die internationale Arbeiterklasse began*
gen haben? Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist, die Liste dieser
Verbrechen aufzurollen und im Zusammenhang mit dem bevor*
stehenden zehnten Jahrestag des imperialistischen Krieges vor der
Arbeiterklasse der ganzen Welt dieses üppige Bukett der Führer
der II. Internationale zu entfalten und die ganze Welt daran zu
erinnern, daß sie an der Weltschlächterei nicht im geringsten
weniger schuld sind als die imperialistischen Regierungen.
m * Glauben sie denn wirklich, daß wir sie nicht daran erinnern
V werden, was sie am Vorabend des Krieges gesagt haben? Möge
k l Herr Jouhaux nicht vergessen, daß er am Tage der Berdigung von
m f Jaures seine Rede am Grabe mit den Worten schloß: „Direkt von
i diesem Grabe ziehen wir in den Krieg, und auch ich ziehe mit.“
:r Und dieser selbe Jouhaux, der das Andenken von Jaures an
ß seinem Begräbnistage durch eine solche Erklärung beleidigte, will
nun den zehnten Jahrestag der Erklärung des imperialistischen
t Weltkrieges feiern. Dieser selbe Jouhaux, der ein Führer der
Amsterdamer Internationale ist, kommt jetzt mit den euch be?
.1 kannten Anträgen.
Glauben diese Herren denn wirklich, daß wir die deutschen
Sozialdemokraten nicht an den schmählichen Artikel „Der Tag
der deutschen Nation“ erinnern werden?
„Wie das Los auch fallen mag, im tiefsten Herzen hoffen wir
sehnlichst, daß es für die heilige Sache des deutschen Volkes sieg?
reich sein wird; das Bild, das der deutsche Reichstag, diese Ver?
tretung der Nation, heute bot, wird sich unauslöschlich ins Ge?
dächtnis des ganzen deutschen Teiles der Menschheit einprägen,
wird sich auch der Geschichte einprägen als Tag des mächtigen
und stolzen Aufschwunges des deutschen Geistes . . . Alle deut?
sehen Sozialdemokraten stimmten wie ein Mann für die Anleihe.
Wie die ganze internationale Sozialdemokratie, so ist auch unsere
deutsche Reichspartei, diese kostbare Perle in der Organisation
des klassenbewußten Proletariats, heftigste Kriegsgegnerin und
begeistertste Anhängerin der Einigkeit und Solidarität der
Völker . . . Aber, da das deutsche Vaterland in Gefahr ist, da
die nationale Unabhängigkeit des Volkes bedroht ist, so steht die
Sozialdemokratie zum Schutze der Heimat auf, und die „Vaterlands?
losen Gesellen“, die „rote Bande“, wie der Kaiser sie verächtlich
genannt hat, opfern dem Vaterlande Gut und Blut der Arbeiter?
massen.“ (Aus dem Russischen zurückübersetzt. Anm. d. Uebers.).
Gauben die Führer der deutschen Sozialdemokratie denn wirk?
lieh, daß wir sie nicht an. das erinnern werden, was sie bei Kriegs?
ausbruch gesagt haben?
Scheidemann— der Führer der deutschen Sozialdemokratie,
die bedeutendste Gestalt in der deutschen Sozialdemokratie —
g la u b t er wirklich, daß wir ihn nicht an folgende kleine Seite aus
s e in e m Tagebuch erinnern werden:
„G eg en V*\ Uhr kam der Kanzler. Er sah sehr zermürbt aus.
E r d rü c k te jedem die Hand; ich hatte das Gefühl, daß er mir die
H a n d auffällig fest und lange drückte, und als er dann sagte:
„ G u t e n Morgen Herr Scheidemann!“ da war es mir, als hätte er

11
mir zu verstehen geben wollen: Du, jetzt ist unser herkömmlicher
Krakehl vorläufig hoffentlich vorüber.“
„. . . . Ich wies auf die besondere Lage unserer Partei hin, für
die die übrigen Herren Verständnis haben müßten. Schließlich
Einigung auf folgender Grundlage: der Wortlaut unserer Er*
klärung sollte den übrigen Parteiführern bis abends 9 Uhr über*
mittelt werden, damit sie evtl. Gegenerklärungen formulieren
könnten. Haase gab hierzu das feierliche Versprechen ab, daß
dazu auf keinen Fall Veranlassung gegeben werden solle. Unter
gar keinen Umständen werde unsere Erklärung irgendeine Partei
angreifen . . . .“
„. . . . Aber noch eine Klippe war zu umschiffen: das Hoch
auf den Kaiser. „Was werden Sie tun,“ fragten uns die Herren.
Ich bat, uns nicht neue Schwierigkeiten zu machen . . . . Ich
flüsterte währenddessen dem neben mir sitzenden Abgeordneten
Spahn so laut, daß Delbrück es hören mußte, ins Ohr:
„Aeußerstenfalls halte ich ein Hoch auf Kaiser, Volk und Vater*
land für angängig.“ (Gelächter.)
(Scheidemann, Tagebuch, Aufzeichnung vom 3. August 1914:
Kapitel: „Reichskanzler Bethmann Hollweg vor dem Vorstand
der Parlamentsfraktionen.“)
Wie Ihr seht, hat er das Kompromiß schnell gefunden.
?(jGelächter.)
Glauben diese Herren denn wirklich, daß wir sie zum bevor*
stehenden zehnten Jahrestag nicht an dies alles erinnern und ihnen
gestatten werden, die Rolle von unschuldigen Engeln und Friedens*
boten für die internationale Arbeiterklasse zu spielen? Glauben
sie wirklich, daß wir sie nicht daran erinnern werden, daß
während des letzten Kongresses der Amsterdamer Internationale,
im Augenblick des heißesten Gefechts zwischen einem Teil der
sogenannten linken Engländer und den deutschen Sozialdemo*
kraten, die ersteren riefen: „Wo ist Rosa Luxemburg?“ Das war
eine kleine „kameradschaftliche“ Erinnerung eines Flügels der
Amsterdamer Internationale durch den anderen an seine Teil*
nähme an der Ermordung der internationalen Führer des revolu*
tionären Proletariats, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Die Hauptschuldigen am Kriege sind die Sozialdemokraten.


Es ist notwendig, daß nicht Einzelpersonen, sondern ganze
Parteien, daß das ganze internationale Proletariat am Jahrestag
des imperialistischen Weltkrieges die Führer — die Herren
Scheidemann und Jouhaux, Vandervelde und Konsorten — fragt:
Nicht nur wo Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sind, sondern
auch wo die Millionen deutscher, französischer, russischer

12
Arbeiter und Arbeiter anderer Nationen sind, die von diesen
Herren in den Krieg getrieben wurden.
Wir werden sie daran erinnern, daß in diesem imperia*
listischen Weltkrieg 13 Millionen Menschen umgekommen, daß
10 Millionen Krüppel geblieben sind, daß 20 Millionen verwundet
wurden, und daß dieser Krieg nach den bescheidensten Berechn
nungen 800 Milliarden Goldmark gekostet hat. Wir werden die
Arbeiter der Welt, und vor allem die Arbeiter, die der Sozial*
demokratie folgen, daran erinnern, daß die Hauptschuldigen an
diesem Gemetzel die Führer der Sozialdemokratie sind.
Die Kriegsfrage kann von der Tagesordnung der internatio*
nalen Kongresse nicht verschwinden, insbesondere solange diese
schändlichen Lügner, die an der Spitze der II. Internationale
stehen, noch Einfluß auf die Arbeiterklasse haben. Ich rede schon
gar nicht von einer solchen Persönlichkeit wie Jouhaux, aber sogar
der Engländer Ben Tillet hat gesagt: „Man muß gegen den Krieg
kämpfen, aber wenn er ausbricht, werde ich natürlich an der Seite
meines Vaterlandes stehen.“ Das sagen Leute, die unter den
unverbesserlichen Reformisten noch verhältnismäßig die besten
sind, in Wirklichkeit aber die Rolle der ärgsten Verräter der inter*
nationalen Arbeiterklasse spielen.
Darum ist die Organisation der Kundgebung zum 10. Jahrestag
der Erklärung des imperialistischen K rieges eine der wichtigsten
Aufgaben der Kommunistischen Internationale. Und wir werden
unsere ganze Agitation und Arbeit so gestalten, daß die partei*
losen Arbeiter, die der Sozialdemokratie folgen, sich all des
Schreckens erinnern, den der Krieg für die Arbeiterklasse bedeutet,
damit sie sehen, daß wir keine Garantien gegen zukünftige
Kriege haben, wenn sie nicht der Kommunistischen Internationale
zu Hilfe kommen und wenn nicht die Arbeiter der ganzen Welt
unsere Organisation stützen, die ganz allein gegen den Krieg
kämpft.
Die Aufgaben des Kongresses.
Unserem Kongreß steht die Erörterung einer ganzen Reihe
höchst wichtiger Aufgaben bevor:
Die Bilder wechseln besonders in den letzten Monaten mit
kinematographischer Schnelligkeit: Eine ganze Reihe von Pro*
blemen wartet auf Antwort.
Die Ereignisse in Deutschland und ihre Beurteilung sind von
größter Bedeutung für die Beurteilung des Schicksals der
Komintern und unserer gesamten Taktik. Die „Arbeiter“*Regie*
rung in England und unser Verhalten zu ihr; der Linksblock in
Frankreich und die Aufgaben der französischen Kommunistischen
Partei, die durch die Macht der Tatsachen auf den Vorposten der

i
13
«

Weltpolitik gestellt worden ist; die Beurteilung der bulgarischen


Lehren, die Beurteilung der italienischen Politik, wo schon seit
einigen Jahren der Faschismus wütet; unsere russische Diskussion,
die eine ganze Anzahl von Parteien erregt hat, jetzt aber beendet
ist und ihrer Schlußfolgerungen wartet; die Taktik der Einheits*
front und der Arbeiter# und Bauernregierung — das ist die Reihe
von schwierigen Problemen, die wir werden lösen müssen.

Einzelne Fehler sind kein Argument gegen die Einheitsfront.


Ihr wißt, daß wir unter dem Eindruck einer ganzen Reihe von
Mißerfolgen und Fehlern Versuche gesehen haben, den Verzicht
auf die Taktik der Einheitsfront voll durchzuführen. Dagegen
werden wir kämpfen. Einzelne und sogar große Fehler sind kein
Argument gegen die T aktik der Einheitsfront. Ist es nicht auch
mit der Taktik des revolutionären Parlamentarismus ebenso
gegangen, als man versuchte, jeden Fehler bei der Anwendung
des Parlamentarismus gegen die gesamte Taktik des revolu*
tionären Parlamentarismus auszuschlachten?
Und wenn wir den Marxismus als Lehre nehmen — was
haben die Revisionisten aus ihm gemacht? Wissen wir denn
nicht, daß die schlimmsten Verfälschungen des Marxismus uns
von manchen pseudo„revolutionären“ Syndikalisten aufgetischt
wurden, die auf den Namen des Marxismus schwuren?
Wissen wir denn nicht, daß einzelne Marxisteft tatsächlich
einzelne große Fehler in der Beurteilung des Marxismus begangen
haben?
Die Taktik der Einheitsfront erhebt selbstverständlich nicht
den Anspruch, eine in sich geschlossene Lehre zu sein. Sie ist
nur ein Teil des angewandten Marxismus, für eine gewisse Epoche,
und wir halten sie für ein starkes Werkzeug der Komintern.
Nichtsdestoweniger gab es bei ihrer Anwendung Fehler, und
unter dem Schein der Einheitsfront hat man uns zuweilen die
Idee einer Koalition mit der Sozialdemokratie, eines politischen
Abkommens mit der Sozialdemokratie aufgetischt. Das wird
uns nicht abhalten, die Taktik der Einheitsfront auch weiterhin
so zu beurteilen, wie wir sie im wesentlichen auf den früheren
Kongressen unter der Leitung Wladimir Iljitschs beurteilt haben.
Wir müssen noch die Frage des Programms der Kommu*
nistischen Internationale lösen. Wir stehen vor einer ganzen Reihe
wichtigster Fragen der internationalen Gewerkschaftsbewegung,
wir stehen vor einer ganzen Reihe größter Fragen von außer*
ordentlicher Wichtigkeit, die verknüpft sind mit der Beurteilung

14
unserer Aufgaben in Deutschland, England, Frankreich, Polen,
Skandinavien, auf dem Balkan usw.
Wir stehen vor der Aufgabe, die Ergebnisse der neuen WirU
Schaftspolitik der Union der Sow jetrepublikenf die seit drei Jahren
durchgeführt wird, zu beurteilen.
Wie ihr euch erinnern werdet, lehrte Wladimir Iljitsch, daß
diese Politik viele rein russische Züge habe, aber auch vieles von
allgemeiner und internationaler Bedeutung, vieles, \^as in dieser
oder jener Variante von den kommunistischen Parteien der
anderen Ländern wird angewandt werden müssen. Wir haben
jetzt nicht nur die Theorie der neuen Wirtschaftspolitik, sondern
auch drei Jahre der Erfahrung, drei Jahre der schwersten Arbeit,
wir haben eine Reihe von Ergebnissen vor uns, die der Kongreß
studieren und über die er sein Urteil abgeben muß. Das sind die
gewaltigen Aufgaben, die auf der Tagesordnung stehen. Ich
glaube, daß wir alle von dem einen Wunsche beseelt sein werden,
diese Frage zu erörtern und zu lösen auf Grund des Programms,
das für uns in zwei Namen verkörpert ist: Marx und Lenin.

Im Geiste Iljitschs.
Die Kommunistische Partei Rußlands ist verwaist, und ver*
waist ist auch die Internationale. Aber unabhängig von der
Geschichte des Landes eines jeden von uns, unabhängig von der
Parteitradition, unabhängig vom Temperament sind wir alle darin
übereingekommen und stimmen wir gegenwärtig überein, daß es
unser aufrichtiger Wunsch ist, alle unsere Beschlüsse im Geiste
dessen zu fassen, was W ladimir Iljitsch uns lehrte. Wenn unsere
Partei Rußlands, gleich nachdem Wladimir Iljitsch die Augen für
immer geschlossen hatte, sagte, daß wir jetzt nur einen Weg
haben: uns zu bemühen, um wenigstens bis zu einem gewissen
Grade die Abwesenheit dieses genialsten Führers zu ersetzen —
so werden auch die anderen Sektionen, glaube ich, dasselbe sagen.
Sie werden an die Lösung der gewaltigen Aufgaben, vor denen
wir stehen, herantreten und bei der Lösung dieser Fragen wirk*
lieh den Weg gehen, den Wladimir Iljitsch gebahnt hat, und diese
Fragen werden wir gemeinsam lösen können, weil wir die
Methode in Händen haben, die Karl Marx uns vermacht, und die
Wladimir Iljitsch in der Oktoberrevolution praktisch verwirklicht
hat.
Ich bin überzeugt, daß unser Kongreß auf dem Wege der Kom*
munistischen Internationale zum Siege der Weltrevolution gehen
wird. Was diejenigen auch sagen mögen, die mit dem ersten
Jahrfünft der Komintern unzufrieden sind und sagen, daß es uns

15

t
nicht gelungen ist, die Weltrevolution zu verwirklichen — wir alle
haben das volle Bewußtsein, daß unsere Sache vorwärtsgeht. Ja,
wir werden Hindernisse überwinden und das Steuer fest in der
Hand halten müssen, um nicht auf Untiefen aufzulaufen. Wir alle,
die wir auf einen rascheren Gang der Ereignisse gestimmt sind,
verlieren zuweilen das Gleichgewicht, aber, Genossen, deswegen
haben-wir uns ja hier versammelt, wir Vertreter von 52 kommu*
nistischen Parteien, Vertreter von Arbeiterparteien, nicht die
Schlechtesten von den Kämpfern der kommunistischen Arbeiter*
bewegung, um einmütig, wie es Soldaten der Revolution und
Schülern Wladimir Iljitsch Lenins geziemt, von neuem kollektiv
die Fragen zu erörtern, vor denen wir stehen, und dann mit aufge*
krempelten Aermeln uns an die Arbeit zu machen im Geiste
dessen, was unser großer Lehrer uns gelehrt. (Beifall.)

4
i
7AK7IK UND S7RA7EGIE
: ' D E R '

PROLETARISCHEN REVOLU71ÖN

I. BERICH7 ÜBER D IE TA 7IG KE17 DER EXEKUTIVE»


ERS7A 77E 7 DEM V. WEL TKONGRESS

II. SCHLUSSWORT ZUM BER1CH7


I.

DIE LINIE DER K. L VOR DEM V. KONGRESS.

Unsere Kräfte.
Genossen, wir müssen auf diesem Kongreß den Weg für die
Zukunft suchen, und wir haben allen Anlaß dazu, zunächst den
zurückgelegten Weg etwas zu prüfen — erstens darum, weil wir
unsere Arbeit zum erstenmal ohne die Führung und Mitwirkung
des Genossen Lenin vornehmen müssen, zweitens, weil die intern
nationale Lage jetzt in vieler Hinsicht eine ganz neue geworden
ist, drittens darum, weil wir gewissermaßen einen Jubiläumskon*
greß abhalten.
Wir haben unlängst den fünften Jahrestag der K.I. gefeiert.
Es liegen vier Weltkongresse hinter uns, die gewissermaßen vier
Marksteine in der Geschichte der internationalen revolutionären
Arbeiterbewegung bilden. Erlauben Sie mir darum, zunächst einen
kurzen geschichtlichen Rückblick auf den Werdegang der Kom*
munistischen Internationale zu werfen. Ich will diese Geschichte
von zwei Gesichtspunkten aus untersuchen.
Das erste Kriterium ist: wie stark waren wir am Anfang der
Kommunistischen Internationale und wie hat sich dann die Stärke
während dieser Jahre geändert?
Das zweite Kriterium: Der Richtungskampf innerhalb der
KI., ein Rückblick auf die Richtungskämpfe während dieser bis*
herigen vier Weltkongresse innerhalb der Internationale.

Von der Propagandagesellschaft zur Partei.


Zunächst die Frage der numerischen Stärke früher und jetzt:
Ich glaube, es ist jetzt ganz klar, daß die KI. in ihren ersten
Jahren in einer Reihe von Ländern eigentlich nur eine Propaganda*
gesellschaft war, ohne sich darüber im klaren gewesen zu sein.
Wir glaubten am Anfang, wir wären sehr stark, aber eigentlich
waren wir in jenen Zeiten keine kommunistischen Parteien, sondern
nur große Propagandagesellschaften in einer ganzen Anzahl von
Ländern. Woher kam diese optische Täuschung? Daher, daß die

18

s
elementare Unzufriedenheit der Massen damals am Ausgang des
imperialistischen Krieges sehr groß war, und wir diese elementare
Unzufriedenheit als organisierte kommunistische Kraft aufgefaßt
hatten. Darin haben wir uns geirrt. Ein Beispiel wird genügen,
und zwar eins aus der deutschen Bruderpartei.
Nach dem ersten Parteitag, während des Januaraufstandes der
Spartakisten, glaubten wir alle, unsere deutsche Partei sei eine sehr
große Kraft, die Unzufriedenheit der Massen war sehr groß, die
Verdrossenheit der Massen gegenüber der Bourgeosie, teilweise
auch gegenüber der Sozialdemokratie, war elementar, es schien
uns, als ob wir Kommunisten die Führer dieser millionenköpfigen
Bewegung wären. Wenn wir einen Rückblick auf diese Ereignisse
werfen, sehen wir ganz klar, der Spartakusaufstand (wir brauchen
uns seiner nicht zu schämen) stellte einen der glorreichsten Ab?
schnitte der Geschichte der Arbeiterklasse dar.
Aber was war unsere Partei eigentlich? Sie war noch sehr
klein, sie war eine große Propagandagesellschaft des Kommunist
mus, die noch ganz am Anfang der Gewinnung der Massen stand.
Und so war es auch in anderen Ländern. Um also einen klaren
Maßstab dafür zu haben, wo wir jetzt stehen, dürfen wir eben das,
was ich gesagt habe, nicht übersehen. Trotz aller Schwächen,
trotz aller Mängel unserer Sektionen sind wir jetzt in einer An?
zahl von Ländern schon keine Propagandagesellschaften mehr,
sondern sind zu kommunistischen Parteien, und zum Teil schon zu
kommunistischen Massenparteien angewachsen.

Der Richtungskampf.
Jetzt zur Frage der Richtungskämpfe innerhalb der Kommu?
nistischen Internationale. Wir müssen einige Angelegenheiten
klarstellen, um diesen Kampf verschiedener Strömungen richtig
zu begreifen, den wir auch auf dem V. Kongreß schwerlich werden
vermeiden können. Was die programmatische Seite anbetrifft, so
bin ich ganz mit dem einverstanden, was in der Instruktion der
Delegation der Kommunistischen Partei Deutschlands gesagt ist.
Ich glaube, dies Dokument ist allgemein bekannt. Es ist in vielem
für uns alle annehmbar und wird viel zu den Beschlüssen, die wir
hier fassen müssen, beitragen.

Der eiserne Bestand der K. I.


Die Kommunistische Partei Deutschlands zählt in unserer,
fünfjährigen Tätigkeit sechs wichtige programmatische Dokumente
auf, die sozusagen zum eisernen Bestand der Kommunistischen
Internationale gehören. Es sind dies die Thesen über Diktatur und
V
19
D em okratie, die G enosse Lenin dem ersten Kongreß vorgelegt hat9
ferner die ebenfalls von ihm verfaßten Thesen über die Agrarfrage
und über die nationale Frage, angenommen vom zweiten Kongreß,
die 21 Punkte, die Resolution über die Rolle der Partei in der Revo*
lution und die Resolution des zweiten Kongresses über die Beding
gungen der Bildung von Arbeiterdeputierten*Sowjets: „Unter
welchen Bedingungen können Arbeiterräte gebildet werden und
ihre geschichtliche Rolle.“
Diese Dokumente sind nicht ohne Kämpfe in der Kommun
nistischen Internationale angenommen worden. Aber es gab viel
mehr Kämpfe um die Beschlüsse rein taktischer Natur.
Daß der Bolschewismus im Kampf gegen den Opportunismus,
gegen die Rechten, gegen die Sozialdemokraten, gegen die
Zentristen geboren wurde, ist allgemein bekannt und braucht hier
nicht bewiesen zu werden. Die Kommunisten sind in hohem Grade
aus dem Schoße der Zweiten Internationale geboren. Man kann
jetzt schon zwei Teile der Kommunistischen Internationale hand*
greiflich unterscheiden.

Das Erbe.
Der eine Bestandteil sind diejenigen Teile der Kommun
nistischen Internationale, die aus dem Schoße der II. Internationale
geboren sind, die früheren Sozialdemokraten; den zweiten
Bestandteil bildet die neue Arbeitergeneration, die während des
Krieges und nach demselben herangewachsen ist. Beide Bestand*
teile haben ihre schwachen und starken Seiten. Es ist allgemein
bekannt, daß die Taktik der Kommunistischen Internationale und
die Taktik des Bolschewismus und Leninismus hauptsächlich im
Kampf gegen die Sozialdemokraten, sowohl gegen die rechten als
auch gegen die Zentristen geboren wurde, und es ist also auch zu
verstehen, daß der Leninismus in der Internationale kämpfen
mußte und auch jetzt noch kämpft, in erster Linie gegen die
Ueberreste der Sozialdemokratie, die naturgemäß auch in der KI.
vorhanden sind.
Es ist aber weniger bekannt, daß der Bolschewismus einen
ernsten Kampf gegen andere Abweichungen geführt hat, gegen
die Abweichungen, die man oft als „Linke“ oder „Ultralinke“
bezeichnet. Sie sind selbstverständlich nicht „Linke“, es gibt nichts
„Linkeres“ als den Leninismus, den revolutionären Marxismus.
Aber man nennt eben diese Abweichungen „Linke“. Nun meine
ich: gegen diese „linken Abweichungen“ hat der Bolschewismus
schon vor der Revolution Jahre hindurch heftige Kämpfe durch*
gefochten, und auch in der Kommunistischen Internationale hat ihr

20

%
Gründer und Meister, Genosse Lenin, große Kämpfe gegen diese
sogenannten „ultralinken“ Abweichungen im internationalen
Maßstab geführt, auch die Exekutive der K.I. muß es jetzt tun.

DIE VIER KONGRESSE DER K. L %

Der erste Kongreß.


Der erste Kongreß hat in einem Monat stattgefunden, wo noch
der Siegesrausch der russischen Revolution sehr groß war, wo die
Bedeutung und die Größe der Niederlage des Spartakusauf*
Standes in Deutschland uns noch nicht klar war. Der Gründungs*
kongreß verlief ohne große Richtungskämpfe. So weit ich mich
erinnere, hatten wir nur eine einzige Abstimmung, und zwar eine
sehr interessante Abstimmung, nämlich ob die Kommunistische
Internationale schon auf diesem Kongreß gegründet werden
sollte. Der Vertreter der KPD. war gegen die sofortige Gründung.

* k

Der zweite Kongreß.


Während des zweiten Kongresses hatten wir schon eine
klarere und breitere Linie der Gruppierungen, und wir begannen
den Kampf zunächst gegen die rechten Abweichungen. Sie er*
innern sich wohl an die 21 Punkte, die zum Bollwerk gegen den
Zentrismus werden solltet}. Aber damals schon mußte Genosse
Lenin und die Genossen, die ihn unterstützten, einen Kampf gegen
„linke“ Tendenzen führen, so in der Frage des Parlamentarismus.
Ein Teil der Genossen wandte sich gegen die Ausnutzung des Par*
lamentarismus, unter ihnen war auch der Genosse Bordiga.
Weiter gab es auf dem II. Kongreß einen Kampf in der
Gewerkschaftsfrage. Einige amerikanische (der verstorbene
Genosse John Reed) und auch deutsche Genossen forderten den
Austritt aus den Gewerkschaften, und es wurde ein harter Kampf
von seiten des Genossen Lenin dagegen geführt.
Auf dem II. Kongreß gab es einen Kampf gegen die KAP.
und es gab auch einen Kampf gegen die „Ultralinken“ (Syndika*
listen) über die Rolle der Partei. Manche „Ultralinken“ traten auf
und sagten: eine Partei brauchen wir überhaupt nicht, zum
mindesten nicht vor der Revolution.
Also schon während des zweiten Kongresses hatten wir den
Kampf gegen die Zentristen und zugleich nicht geringere Kämpfe
gegen die sogenannten „Ultralinken“, Kämpfe, die geführt worden

21
sind vom Genossen Lenin. Es gab auch einen Kampf um die
Frage, ob die englischen Kommunisten in die Labour Party ein*
treten sollten.
Sie werden sich erinnern, daß viele Genossen dagegen waren
— nicht nur die Engländer. So hat z. B. der holländische Genosse
Wynkoop, der heute unter uns ist, damals wie ein Löwe dagegen
gekämpft, daß die englischen Kommunisten in die Labour Party
eintreten. Er hielt es für Opportunismus. Nun, die Zeiten ver*
gehen, die Menschen ändern sich. Jetzt beschuldigt man den
Genossen Wynkoop, ganz andere Abweichungen zu machen als
nach links — wir werden zu prüfen haben, ob mit Recht oder
Unrecht. Alles das zeigt, daß der Richtungskampf innerhalb der
Kommunistischen Internationale von Anfang an einen ziemlich
heftigen Charakter trug.

Der dritte Kongreß.


Der dritte Markstein ist der dritte Weltkongreß. Sie werden
sich des Kampfes gegen die sogenannte Offensivtheorie nach der
Märzaktion erinnern. Man Latte ihn ebenfalls als Kampf gegen
die revolutionäre Richtung ausgelegt. Es war aber in Wirklichkeit
kein Kampf gegen links, sondern ein Kampf gegen linke
Abweichungen. Dieser Kampf wurde auch von Lenin geführt, und
dieser Kampf gehört zu den wichtigsten Momenten in der
Geschichte der Kommunistischen Internationale. Zugleich ging
ein heftiger Kampf gegen Levi (Levi wurde auf dem III. Kongreß
ausgeschlossen), ein Kampf gegen die opportunistischen Tendenzen
in der damaligen italienischen Bewegung, aber zu gleicher Zeit
auch ein heftiger Kampf gegen Terracini, gegen Bordiga, gegen
manqhe Genossen, die auch jetzt bei den sogenannten Ultra*
linken stehen. Der Genosse Lenin hat auf dem III. Kongreß schon
im vornhinein die jetzige Politik Bordigas zerschmettert.

Der vierte Kongreß.


Der vierte Markstein, der vierte Kongreß, ist Ihnen ziemlich
im Gedächtnis. Ich brauche hier nicht ausführlich zu reden. Man
hat die Parole der Arbeiterregierung angenommen, man hat die
Einheitsfronttaktik gutgeheißen und hat zugleich die Thesen von
Rom, über die wir hier noch werden sprechen müssen, heftig
kritisiert und abgelehnt. Sie sehen also, Genossen, daß die K. I.
schon von Anfang an, um marxistisch zu sein — heute würden wir
sagen, um leninistisch zu sein — den heftigen Kampf gegen den
Zentrismus und den Opportunismus führte, aber zugleich ultra*
linke Abweichungen bekämpfte und bekämpfen mußte.

22
Es gibt Genossen — und sie sind keine schlechten Revo*
lutionäre, die uns oft stimmungsgemäß den folgenden Vorwurf
machen: Bald kämpft die Exekutive nach rechts, bald nach links,
das sei Prinzipienlosigkeit, man soll sich doch ein für allemal für
alle Zeiten festlegen, also nicht heute gegen die Rechte und morgen
gegen die Linke kämpfen. Selbstverständlich kann man die
sogenannten „ultralinken“ Abweichungen am erfolgreichsten
bekämpfen, wenn man die wirklichen rechten opportunistischen
Fehler und Versehen bekämpft. (Beifall).

Leninisi us ohne Vorbehalt.


Aber, Genossen, auch das Umgekehrte ist ziemlich oft der
Fall. Darum soll man uns nicht sagen, wir seien prinzipienlos,
weil wir auch „ultralinke“ Abweichungen bekämpfen, sondern man
soll verstehen, daß darin eben der Marxismus besteht.
Was würden Sie sagen, wenn jemand auftreten und sagen
würde: Ich bin Marxist, ich akzeptiere den Marxismus, aber nach
Abzug dessen, was Marx gegen den Proudhonismus geschrieben
hat, den Proudhonismus, der sich auch sehr „links“, als Strömung
„links“ vom Marxismus vorkam? Aber Marxismus minus Kampf
gegen den Proudhonismus ist kein Marxismus mehr.
Nun, Genossen, das trifft auch in bezug auf den Leninismus
zu. Ich kenne manche gute Genossen, die sagen: ja alles was
Lenin geschrieben hat, ist glänzend, aber das Buch über die „Kin*
derkrankheit des Kommunismus“ ist eben nicht ganz richtig, es
war vielleicht eine leichte Abweichung nach rechts von seiten
Lenins. „Kinderkrankheiten“ gibt es überhaupt nicht in der K. I.
Wenn wir schon Kinder sind, so gewiß doch nur Wunderkinder,
die keine Krankheiten haben.
Genossen, wir müssen uns klar werden, was hinter diesen
Gedankengängen steckt. Leninismus ohne die Idee, die Lenin in
seiner „Kinderkrankheit“ entwickelt, ist eben schon kein Leninist
mus mehr. Das muß man ganz klar einsehen, und die Genossen,
die den Leninismus unterstützen möchten ohne die Ideen, die in
der Schrift über die „Kinderkrankheiten“ entwickelt werden, er*
innern mich an jenen französischen Bauern aus der Zeit der fran*
zösischen Revolution, der gesagt haben soll: Vive le roi sans
gabelle (es lebe der König, aber ohne die Salzsteuer). Nein, Ge*
nossen, wir brauchen den vollständigen, einheitlichen Leninismus
— mit den Steuern (d. h. der scharfen Kritik auch der „linken Ten*
denzen“).
Genossen, wir gehen den alten Weg, den Lenin uns gelehrt
Hat, und der ist keinesfalls prinzipienlos. Man soll sich die Sache

23
keinesfalls so kleinbürgerlich vorstellen: wenn du heute gegen
rechts und morgen gegen die sogenannte „Ultralinke“ bist, so bist
du also prinzipienlos.
Genossen, stellen Sie sich vor, wir müßten ein Schlachtschiff
lenken und es zu einem bestimmten Ziel bringen. Ihr wißt, da
gibt es eine Minenzone. Einen Plan habt ihr nicht. Bald liegen
die Minen rechts, bald links. Ihr müßt euer Schlachtschiff zwischen
diesen Minen hindurchsteuern. Und da soll man den Kapitän,
der deshalb bald nach rechts, bald nach links steuert, „Prinzipien*
los“ nennen! Ich erwähne das deshalb, weil gute linke Genossen,
wie Bordiga ganz offen mit diesen Anschuldigungen kommen und
erklären, die K. I. sei jetzt prinzipienlos geworden, bald kämpfe
sie gegen „rechts“, bald gegen „links“. Man muß sagen, unsere
Gegner aus den Reihen der II. Internationale behaupten dasselbe.
Ich habe die Geschichte der K. I. hier kurz angeführt, damit
wir alle sehen, daß der Leninismus nicht nur als russische Erschein
nung, sondern als er schon durch die Kommunistische Internatio?
nale international geworden war, immer wieder den Hauptschlag
selbstverständlich gegen die Rechten, gegen die Zentristen, die
Sozialdemokraten, gegen die Ueberreste der Sozialdemokratie in
unseren Reihen führte. Aber um diesen siegreich durchzuführen,
hat er immer, ebenso wie Marx die Proudhonistische Richtung be*
kämpfte,, die sogenannte „Ultralinke“ bekämpft, die unserer Mei*
nung nach in der Tat kleinbürgerlich ist. Und darum werden wir
unseren Weg auch weiter gehen, mag man schreiben, was man will
und über unsere Prinzipienlosigkeit zetern. Das ist die Anwen*
düng der Taktik des revolutionären Marxismus und also auch des
Leninismus unter den Umständen, in denen wir uns befinden.

W as uns Genosse Lenin lehrte.


Ich will in diesem Moment folgendes Zitat aus einem der
glänzendsten Artikel des Genossen Lenin Vorbringen, aus dem
Artikel „Ueber die Bedeutung des Goldes jetzt und nach dem voll*
ständigen Siege des Sozialismus“, ich glaube, eines der wichtigsten
und revolutionärsten Artikel Lenins. Was schreibt er darin? Er
sagt:
„Die allergrößte Gefahr und vielleicht die einzige Gefahr
für einen wahren Revolutionär ist die Uebertreibung des Revo*
lutionären, sowie das Vergessen der Schranken und Bedingungen
für eine angemessene und erfolgreiche Anwendung revolutio*
närer Methoden. Wahre Revolutionäre haben sich meistens dann
den Hals gebrochen, wenn sie Revolution mit großen Buchstaben
schrieben und aus der „Revolution“ etwas geradezu Göttliches

24
\

machen wollten und so den Kopf verloren und die Fähigkeit ein*
büßten, kaltblütig und nüchtern zu erwägen und zu. überprüfen,
in welchem Augenblick, unter welchen Umständen, auf welchem
Aktionsgebiet man revolutionär handeln müsse und in welchem
Augenblick, unter welchen Umständen und auf welchem Gebiet
man zu reformistischem Vorgehen übergehen müsse. Wahre
Revolutionäre werden nur in dem Falle zugrunde gehen (nicht
im Sinne der äußeren Niederlage, sondern im Sinne des inneren
Zusammenbruchs ihrer Sache), wenn sie die Kaltblütigkeit ver?
Heren und glauben, daß die „große siegreiche Weltrevolution“
unbedingt alles und alle Aufgaben unter jeder Bedingung auf
allen Gebieten und auf jede revolutionäre Weise lösen könne
und müsse.“
Diese Worte möchte ich dem Genossen Bordiga gegenüber
anführen, der leider noch nicht hier ist. Aber den Genossen
Rossi, der sein Gesinnungsgenosse ist, möchte ich bitten, diese
Worte zweimal täglich wenigstens während seines Moskauer Auf?
enthaltes zu lesen. Das wird ihm großen Nutzen bringen. (Beifall).
Sie sehen, Genossen, Lenin schreibt sogar über die Zulässigkeit
reformistischen Vorgehens, er hat wahrscheinlich mit Absicht, um
die „Ultralinken“ zu „reizen“, dieses Wort gebraucht. In WirkHch?
keit handelt es sich hier natürlich nicht um ein reformistisches
System, um eine Theorie des Reformismus gegen den Marxismus,
sondern das Wort „reformistisch“ wird eben gebraucht, um den
Grundgedanken gegen die „Ultralinken“ zu betonen.

VOM IV. BIS ZUM V. KONGRESS.

Der Kampf gegen Frossard.


Sofort nach dem IV. Weltkongreß kam der Kampf gegen
Frossard. Dies ist, wie Sie wissen, ein abgeschlossenes Kapitel. Wir
können jetzt Frossard im Namen der französischen Partei und der
Internationale einen Dank aussprechen für seine Handlung.
Frossard hat wie ein Pflaster gewirkt, das alles Ueble und Krank?
hafte von der Kommunistischen Partei Frankreichs aufgesaugt —
und so ihren Organismus gereinigt hat.
Der zweite Kampf, der zu einer Spaltung führte, war der
Kampf gegen die norwegische A rbeiterpartei. Das war eine aus?
gesprochen halb reformistische, halb rechtssyndikalistische Partei.
Es ist ganz klar, daß Lian, einer der Führer der Partei und Gewerk?
schaftspräsident, ein ganz banaler Sozialverräter ist. Das wird
gewiß auch der. Genosse Höglund zugeben müssen.

25
%

Der Kampf gegen die rechten Irrtüi


In Italien ging auch der Kampf gegen rechts, gegen die Führer
der rechten sozialistischen Partei.
In Schweden mußte die Exekutive rechte Strömungen der
Zentrale der schwedischen Partei korrigieren. Inwieweit das mit
Erfolg geschehen ist, ist bis jetzt noch nicht zu übersehen. Dann
kommen die bulgarischen Ereignisse, die ebenfalls rechte Ab?
weichungen offenbarten.
Ich muß betonen, daß diese rechten Abirrungen im Weitaus?
maß im allgemeinen ganz verschiedener Natur waren; sie stehen
im Zusammenhang mit der Tradition und dem Stande der Bewe?
gung des betreffenden Landes. Sie waren in Bulgarien etwas ganz
anderes als in Schweden, in England etwas ganz anderes als in
Norwegen, in Rußland (die russische Opposition) etwas ganz
anderes als in Frankreich usw. Aber man kann sie immer als
rechte bezeichnen. Sie kennen die Beschlüsse, die die Exekutive
in der bulgarischen Frage gefaßt hat. Die besten Führer der bulga?
rischen Partei haben zugegeben, daß die Exekutive recht hatte.
Die bulgarische Partei hat schon manches gutgemacht.

Die Kommunistische Partei Deutschlands.


Die deutsche Partei. Auch da fand ein Kampf gegen rechts
statt. Man behauptet manchmal, wie z. B. in der tschechischen
Presse, die Exekutive hätte die ganze alte Spitze der deutschen
Partei abgesägt. Ich muß ganz offen erklären: dies Verdienst kann
die Exekutive nicht voll für sich in Anspruch nehmen, eher um?
gekehrt! Wir haben zu lange die alte Führung unterstützt in einem
Moment, wo dies schon politisch unmöglich war, aus Gründen,
über die wir noch ausführlich sprechen werden. Der Kampf der
Exekutive in Deutschland ging also gegen Fehler von rechts.

Die russische Parteidiskussion.


Es kommt dann die russische Parteidiskussion, von der der
Kongreß noch ausführlich zu reden haben wird, und die große
internationale Bedeutung hat. Die russische Partei hat diese Ab?
weichungen als kleinbürgerlich gekennzeichnet. Auch sie waren
in mancher Hinsicht anderer Art als in den anderen Ländern. Sie
. hatten eine große internationale Bedeutung. Ich habe vor mir den
„Vorwärts“, in dem ein Artikel über den russischen Parteitag
steht, wo der „Vorwärts“, das Organ der Partei Scheidemanns,
schreibt: „Wo ist nun die Opposition, die noch vor einem halben
Jahr so von sich reden machte und auf die man überall so viele
Hoffnungen gesetzt hat?“

26
Wer hat große Hoffnungen auf die Opposition gesetzt? Die
deutsche gegenrevolutionäre Sozialdemokratie! Diese Hoffnungen
wurden, wie Sie wissen, nicht erfüllt, und ich hoffe, sie werden
auch niemals erfüllt werden. (Beifall.) Es ist so weit gekommen,
daß derselbe „Vorwärts“ in derselben Nummer dem Genossen
Radek einen ganzen Artikel widmet, in dem gesagt wird, Radek
unterscheide sich dadurch von den anderen Führern der K.I.,
daß er eine klare, nüchterne Erkenntnis der Dinge habe usw.
(Zurufe: Hört, hört!) Ich will nicht behaupten, daß Genosse
Radek in dieser Frage die Anerkennung seitens des Sozialdemo?
kratischen „Vorwärts“ voll verdiene. Aber teilweise hat er sie
schon verdient.
Und wenn dem Genossen Radek die ganze Lage noch nicht
klar war, so glaube ich, daß er als erfahrener Politiker auf Grund
dieses Artikels sich doch Gedanken machen wird. Er wird sich
fragen, wie es komme, daß der „Vorwärts“ ihn zum klaren, nüch?
ternen Politiker macht.

Die rechten Tendenzen in der KPF.


Die Exekutive mußte leider auch eine neue „Rechte“ in der
französischen Partei bekämpfen. Ich sagte bereits, Frossard
wirkte wie ein Pflaster, das alles Ungesunde von der Partei auf?
gesaugt h a t Um vorsichtig zu sein, muß man sagen: fast alles.
Manche Abirrungen dieser Rechten sind sehr gefährlicher
Natur. Wir haben unlängst eine Rede von Loebe im Reichstag ge?
hört, wo er sagte: „Mit der englischen Arbeiterregierung und dem
linken Block in Frankreich beginnt ein neuer Abschnitt der Welt?
geschichte, sie werden der Welt Frieden bringen“ usw.
Also — ein Ausdruck der demokratisch?pazifistischen Illusio?
ncn, die jetzt auch in den deutschen sozialdemokratischen
Arbeitermassen auftauchen werden. Nun, wenn Loebe das sagt,
so ist das nicht verwunderlich. Aber wenn der Genosse Rosm er
im Namen seiner Partei zu Beginn der Arbeiterregierung in
England fast Analoges schreibt, so ist das ebenfalls ein Ausdruck
von pazifistisch?demokratischen Illusionen, zu deren Sprachrohr
sich leider Genosse Rosmer gemacht hat.
Es hat sich also eine rechte Gruppe in der französischen Partei
gebildet. Sie ist glücklicherweise zahlenmäßig nicht groß. Ich
glaube, sie wird auch nicht sehr langlebig sein. Ich glaube, politisch
wird sie ungefähr die gleiche Lebensdauer haben, wie das
Ministerium Marsal, das ja nicht sehr dauerhaft und solid war,
wie Sie alle wohl wissen. Die Exekutive wird das ihre beitragen,
um eine solche „Rechte“ nicht aufkommen zu lassen, die von ein?
zelnen Genossen, wie Genossen Souvarine, vertreten wird, der, je

27

»
mehr er hier redet, sich um so besser selbst bekämpft, ferner vom
Genossen Rosmer, von dem wir Besseres erwartet haben und noch
erwarten. Die französische Partei als Ganzes hat diese Richtung
scharf und richtig bekämpft.

Die Abweichungen in der a erikanischen Bewegung.


Wir mußten weiter manche rechte Abweichung in der ameri*
kanischen Bewegung bekämpfen, die im Zusammenhang mit der
„dritten“ Partei, der La*Follette*Partei, aufgetaucht sind, so die
Tendenz, einen Wahlblock mit dieser kleinbürgerlichen Organi*
sation zu bilden. Es war ein schwieriges Problem. Wir haben
etwas geschwankt, weil wir Amerika zu wenig kennen, die Bewe*
gung noch rückständig ist und sogar die elementare Idee einer
selbständigen Arbeiterpartei dort zu neu ist. Der Durchschnitts*
arbeiter in Amerika stimmt noch heute für die bürgerliche Partei,
er hegt immer noch die Hoffnung, selbständiger Unternehmer zu
werden usw. Die Entscheidung war keine leichte Sache. Am Ende
hat sich die Exekutive gegen diese Taktik entschieden und, wie
die weiteren Ereignisse gezeigt haben, vollkommen mit Recht.

Die englische Partei.


Es waren auch rechte Abweichungen in der englischen Partei
da. Es gibt eine Denkschrift von mir, verfaßt zwei oder drei
Monate vor dem V. Kongreß, wo wir die Partei darauf aufmerk*
sam machen, daß sie bei der Durchführung der Einheitsfronttaktik
große Fehler begeht. Wir stimmen dem zu, was die deutschen
Genossen in der zitierten Instruktion darüber sagen.

Der Kampf gegen die Ultralinken und den theoretischen


Revisionismus.
Also Sie sehen, die Exekutive hat die Rechte in ihren ver*
schiedenartigen Formen bekämpft. Gleichzeitig hatten wir auch
gewisse Kämpfe mit der Ultralinken auszufechten.
Was die deutsche Bruderpartei betrifft, so gab es Momente,
in denen wir sehr pessimistisch gestimmt waren. Sie kennen die
zwei Briefe der Exekutive und meinen Artikel. Wir fürchteten,
daß man der „neuen Taktik“ in der Gewerkschaftsfrage freien
Lauf lassen würde. Das konnte sehr großen Schaden anrichten.
Wir haben diese ultralinken Abweichungen mit Recht und ziem*
lieh erfolgreich bekämpft. Es gab einen Moment, wo nicht nur
die Linken, sondern auch die Leute aus der Mittelgruppe und sogar
manche Rechte den Austritt aus den Gewerkschaften als unver*
meidlich erklärten. Was die Rechte betrifft, kann ich das nicht
mit Gewißheit sagen, aber von der Mittelgruppe kann ich es mit
Bestimmtheit behaupten. Zwei führende Genossen dieser Rieh*
tung kamen nach Moskau und beschworen uns, Gott bewahre,
kein einziges Wort gegen die Ultralinken in dieser Frage zu
sagen, weil die deutschen Arbeiter alle für den Austritt aus den
Gewerkschaften seien. Das sei schier eine „Naturerscheinung“.
Wenn die deutsche Partei und die Exekutive hier charakterlos
gewesen wären, hätte das zur großen Gefahr werden können. Die
Gewerkschaften stabilisieren sich wieder, jeder sieht das ein. In
einer illegalen oder halbillegalen Periode würde die Partei zu einer
Sekte werden anstatt einer Massenpartei, wenn wir den Austritt
aus den Gewerkschaften zugelassen hätten. Wir müssen also die
Ultralinke bekämpfen. Zugegeben, sie war zahlenmäßig klein, aber
aus kleinen Bächlein kann sich ein großer Fluß bilden. Wenn wir
prinzipienfest sein wollen, wenn der Leninismus für uns nicht nur
ein Lippenbekenntnis sein soll, so muß uns im Gedächtnis bleiben,
was ich von Lenin zitiert habe. Wir wollen diese Ultralinken nicht
aufkommen lassen, ebenso wie einen theoretischen Revisionismus,
der eine internationale Erscheinung ist. Wenn in Italien der Ge*
nosse Graziadei mit einem Buch auftritt, in welchem er seine alten
Artikel veröffentlicht, die er zu einer Zeit geschrieben hatte, als er
noch Sozialdemokrat und Revisionist war, und in denen er sich
gegen den Marxismus wendet, so kann dieser theoretische Revision
nismus bei uns nicht straflos vor sich gehen. Wenn der ungarische
Genosse L. Lukacz dasselbe auf philosophischem und soziolo*
gischem Gebiete tut, werden wir es auch nicht dulden.
Ich habe einen Brief des Genossen Rudas, eines Führers der
Fraktion, zu der Lukacs gehört, erhalten. Er erklärt, daß er die
Absicht hatte, gegen den Revisionisten Lukacs aufzutreten. Als
die Fraktion ihm dies verbot, ist er aus ihr ausgetreten, weil er den
Marxismus nicht verbessern lassen will. Bravo Rudas!
Wir haben eine gleiche Strömung in der deutschen Partei
(Professor Korsch). Genosse Graziadei ist auch Professor
(Zwischenruf: Lukacs ist ebenfalls Professor!). Wenn noch einige
solcher Professoren kommen und ihre antimarxistischen Theorien
verzapfen, dann wird es schlimm um die Sache bestellt sein. Einen
solchen theoretischen Revisionismus dürfen wir in unserer Kom*
munistischen Internationale nicht dulden.

Kritik der „Internationale“.


Im letzten Heft der „Internationale“ finden Sie einen Artikel
eines gewissen Boris, der sich zur „Ultralinken“ zählt. (Severing:
Kein Professor!) Ausnahmsweise kein Professor, aber auch kein

29
Kommunist oder wenigstens kein Marxist! Ich überlasse diese
Beute dem Genossen Bucharin, der ihn in seiner Programmrede
kritisieren wird. Aber die deutschen Arbeiter werden nicht zu*
lassen, daß in ihrer theoretischen Zeitschrift unmarxistische
Programmartikel gedruckt werden. Ein Beispiel: Dieser Boris
erklärt, koloniale Extraprofite gebe es in Wirklichkeit nicht. A ber
das ist ja die „Prosa“ der II. Internationale. Der ganze Imperia*
lismus der Sozialdemokratie beruht eben auf dieser Tatsache der
i
Extraprofite, die die imperialistischen Länder von den Kolonien
beziehen. Der Redakteur der Zeitschrift, Genosse Korsch, „ver*
teidigt“ den Genossen Lenin gegen manche Abweichungen vom
Leninismus. Ich glaube, wir sollten dem Genossen Korsch den
freundschaftlichen Ratschlag erteilen, daß er zunächst den Marxis*
rrius und den Leninismus studiert.
*, -

I
Ich hörte, daß die deutsche Parteizentrale eine Resolution
— % ____

gefaßt hat, in der sie den Artikel von Boris desavouiert. Es ist
I
4 gut, daß sie das tut, aber das all'ein genügt nicht. Ich glaube nicht
••

zu viel von "der deutschen Partei zu fordern^ wenn ich verlange, daß
r die Zeitschrift „Die Internationale“ sich in Händen von Marxisten
befindet und nicht in Händen derjenigen, die den Marxismus noch
% « zu studieren haben.
Wenn Genosse Graziadei ein überzeugter Revisionist ist, so
tut es mir leid, er ist ja in vielen Dingen ein guter Genosse, aber
man kann nicht zugleich Revisionist und Kommunist sein. Die
v
Kommunistische Internationale kann nicht dulden, daß wir in
diesen Fragen unseren Genossen freie Hand lassen. Wir sind alle
manchmal von der Politik zu sehr in Anspruch genommen, um alle
Broschüren, Bücher und Artikel lesen zu können. Manche sagen:
wir haben keine Zeit, das zu lesen. Das ist nicht Leninismus und
auch nicht Marxismus. Es gibt eine große Generation der Studie*
renden Jugend und Arbeiter, die das lesen, die sich kommunistische
Bildung aneignen, wollen. Wir müssen * in dieser'Frage reinen
Tjscfr niächen und dürfen nicht dulden, daß „das weiter so geht.

. Die „rechte Gefahr“ ist nicht zu unterschätzen.


<

Nun, Genossen, wie gesagt, während dieses Jahres mußten


wir unseren Kampf zu 90 Proz. gegen „rechte“ Abirrungen führen.
Ich glaube, daß wird auch auf diesem Kongreß geschehen müssen.
f

Ich gestehe sclion am Anfang, je mehr man die Dokumente unserer


•*
f • Bruderparteien studiert, desto mehr sieht man, daß die rechten
Gefahren nicht zu unterschätzen sind, daß sie größer sind, als sic
.
♦ r
i

%
sich jemand von uns je vorgestellt hat, und zwar nicht deshalb,
i
r
■t
9 weil unsere Genossen schlechte Menschen sind — die Menschen
4

9 r ^ *

i t*

ft r
•*>
t

I * % 4
ft

0
9
* I
•#
sind in der Regel ganz gut — sondern weil das eben aus dem
jetzigen Zeitabschnitt der Weltgeschichte kommt.
Wir machen jetzt eine Periode zwischen zwei Wellen der
Revolution durch, und es ist natürlich, daß in dieser Periode unbe*
dingt rechte Gefahren auftauchen müssen. Die Ueberreste der
Sozialdemokratie sind in unserem eigenen Lager größer, als wir
sie uns jemals vorgestellt haben- Wir werden und müssen diese
rechten Abirrungen bekämpfen, aber wir werden sie nur dann mit
Erfolg bekämpfen, wenn wir dem Wortradikalismus und dem
„theoretischen“ Revisionismus absolut keine Konzessionen machen,
nur dann, wenn wir zielbewußte ultralinke Abweichungen be*
kämpfen in dem Augenblick, wo sie irgendwelche Bedeutung be* 9

kommen.

DIE LAGE ZUR ZEIT DES V. KONGRESSES.

Marschieren wir langsam?


Wie ist jetzt die Lage, die wir in dem Moment der Eröffnung
des V. Weltkongresses vorfinden?
Manche glauben, der Lauf der Ereignisse wäre nicht schnell
genug. Wir sind alle unzufrieden, daß der Sieg noch nicht gekörnt
men ist. Wir alle glauben, daß es zu langsam geht. Wir erwarteten
die deutsche Revolution, sie ist ausgeblieben. Die Schwierig*
keiten sind groß.
Manchmal hat man das Gefühl, es gehe armselig langsam.
Subjektiv gesprochen ist das richtig, gewiß, vom Standpunkt
unseres subjektiven Gefühls ist es langsam, denn wir müssen den
Ablauf der MacDonaldschen Periode abwarten, dann den linken
Block in Frankreich, dann die jetzigen Ereignisse in Deutschland.
Es wäre wirklich eine Lust, wenn wir etwas schneller vorwärts
marschierten, aber objektiv gesprochen, glaube ich, daß der Gang
der Ereignisse gar nicht so langsam ist.
Man sagt, wenn eine Fliege auf einem großen Mühlrad sitzt
und das Rad sich schnell dreht, dann hat die Fliege das Gefühl,
daß das Rad stillstehe. So ist es auch mit uns. Das Rad der
Weltgeschichte dreht sich tatsächlich ziemlich rasch.

Die Ergebnisse von fünf Jahren.


Die Bilanz der fünf Jahre ist folgende:
1. Es sind ein halbes Dutzend Monarchien zerstört, unter
ihnen auch die russiche Monarchie, was ja schon etwas zu sagen
hat. (Zwischenrufe: Sehr richtig!) Dieser Zusammenbruch des
russischen Zarismus hat gar manche Bedeutung für die Welt?
revolution.
2. Ein Sechstel der Erdoberfläche ist von uns gewonnen, es
fehlen zwar noch fünf Sechstel, aber ein Sechstel ist bereits ge*
wonnen.
3. Die revolutionäre Bewegung in Asien und in anderen fern?
liegenden Gebieten ist gewaltig durch den Krieg gefördert worden»
4. Der Kapitalismus in den fortgeschrittenen Ländern ist ge*
schwächt, gelockert und teilweise desorganisiert.
5. Die Arbeiteraristokratie, die Kleinbourgeoisie in Gestalt der
Sozialdemokratie ist zu einem unvermeidlichen Bestandteil der
bürgerlichen Regierungen geworden. Das ist auch ein Fortschritt.
Gewiß sie sind Konterrevolutionäre und Verräter, aber, objektiv
gesprochen, ist das ein Schritt vorwärts, denn das ist ein Symptom
dafür, daß etwas faul ist bei der Bourgeoisie.
6. Die kommunistischen Parteien sind gewachsen, wir sind
keine Propagandagesellschaften mehr, wir werden zur kommu?
nistischen Weltpartei.
Diese Bilanz ist gewiß recht knapp, wir hätten mehr erwartet,
aber diese Bilanz ist nicht ganz so schlimm, wie man es sich vor*
stellen könnte.
Wir hatten im letzten Jahr ein Auf lodern der Bewegung in
Bulgarien, in Deutschland und in Polen. Es ist ganz klar, daß
das kein Zufall war, sondern ein Symptom dafür, daß wir uns
zwischen zwei Wellen der Revolution befinden.
Ueberhaupt gab es in diesem Jahre viele Geschehnisse auf
dem Gebiete der internationalen Politik, wie auf dem Gebiete der
internationalen Arbeiterbewegung: Arbeiterregierung in England,
Wahlen in Deutschland, in Frankreich und in Italien, Arbeiter?
regierung in Dänemark, eine starke Entwicklung der kleinbürger?
liehen Strömungen in Amerika, ein halbes Jahr Streik in Nor?
wegen, Auflösung der 2 V2 Internationale, internationale Konferenz
der Transportarbeiter, Streikwelle in England, Eisenbahnerstreik
in China, Streik von 150 000 Textilarbeitern in Indien usw. Also,
die Ereignisse waren groß, wir haben zwar noch keinen vollen
Sieg, aber es geht vorwärts.

DIE WELTWIRTSCHAFTSLAGE .

Der Niedergang des Kapitalismus hält an.


Ich komme zur W eltwirtschaftslage. Wir werden ein spezielles
Referat vom Genossen Varga haben. Soweit ich sehen kann,
glaube ich, daß die Einschätzung des Genossen Varga richtig ist.

32 ’ '
/
Niemand hat bewiesen, daß in seinen Thesen etwas unrichtig ist.
Die Einschätzung ist richtig, und welches ist diese Einschätzung?
Der III. und IV. Kongreß haben dazu gesprochen, da ist nicht viel
zu ändern. Der Kapitalismus befindet sich nach wie vor in) einer
Niedergangsperiode. Wir haben Anfänge einer neuen ökono*
mischen Krise in Amerika, haben eine Weltagrarkrise. Wir haben
in einigen europäischen Ländern teilweise einen kleinen Auf*
schwung, meistenteils in einem Lande auf Kosten der anderen
Länder. Die Sozialdemokratie meint, die Lage wäre normal.
Hilferding triumphiert, er sagt, jetzt gehen wir einer neuen Stabile
tät entgegen. In der Zeitschrift „Die Gesellschaft“ behauptet er,
das würde geschehen, sobald die Sicherheit in Mitteleuropa wieder*
hergestellt werden würde! Nur die „Kleinigkeit“ fehlt, daß die
Sicherheit nicht geschaffen werden kann. Diese Sicherheit besteht
nur in Sowjetrußland, gerade in dem Lande, von/dem er schreibt,
daß die Lage dort noch nicht normal ist.
Wenn es „normal“ ist, daß die Valuta in Deutschland, in
Oesterreich, in Polen gestürzt und geradezu eine Katastrophe er*
lebt hat, sich zwar jetzt gebessert, aber unbedingt nochmals
stürzen wird, wenn das normal ist — bitte! wir wünschen euch
veiter solche „normalen“ Zeiten. Wenn das normal ist, was mit
dem französischen Franken geschieht, so wünschen wir ihm auch
weiter solche „Normalität“! Wenn es „normal“ ist, daß eine
Agrarkrise in der ganzen Welt herrscht, daß 40 Proz. der Farmer
in Amerika zur Verarmung verurteilt sind, daß wir jetzt etwa
7 Millionen Arbeitslose haben — wenn das normal ist, so zeugt
eine solche „Normalität“ eben von der Dimension der Krise, die
die bürgerliche Welt durchmacht.
Wir wissen wohl, daß der Klassenkampf sich verschärft, daß
der Lebensstandard der Arbeiterklasse niedriger und niedriger
wird, in Deutschland 20 bis 40 Proz. niedriger ist als im Jahre 1923,
daß die Arbeitswoche weit über 48 Stunden beträgt, daß sogar in
England der Reallohn oft nur 75 Proz. der Vorkriegszeit ausmacht,
daß in Frankreich, wo keine Arbeitslosigkeit herrscht, wo eine
große Immigration besteht, die Teuerung doch viel höher ist als
die Zunahme des Arbeiterlohnes, daß in Deutschland, Oesterreich,
Ungarn usw., in einer ganzen Reihe von Ländern der Reallohn
50 bis 75 Proz. der Vorkriegszeit beträgt. Also nicht nur relativ,
auch absolut verschlimmert sich die Lage der Arbeiterklasse immer
mehr. Darum müssen wir konstatieren: es ging nicht so schnell,
wie wir uns dachten. Aber die Periode der Krise, des Nieder*
ganges, des Unterganges des Kapitalismus hält an.
Auf politischem Gebiete ist sie noch krasser als auf ökono*
mischem, weil das politische Gebiet ein empfindlicherer Barometer
ist als das ökonomische. Es kann nicht die Rede sein von einer
3 33
Stabilität der weltwirtschaftlichen Lage. Die Bourgeoisie sieht
hier schwärzer als die Sozialdemokraten, diese Lakaien der Bour*
geoisie, denn die Bourgeoisie steht viel näher zur bürgerlich*
ökonomischen Wirklichkeit. Es besteht für uns absolut kein Anlaß
dazu, auf diesem Gebiet die Auffassung der K.I. zu ändern, wie sie
in den Resolutionen des III. und IV. Kongresses niedergelegt sind.

DIE POLITISCHE WELT LA GE.


Die neue pazifistische Phase.
Im Moment des Kongresses ist die Lage in vieler Hinsicht eine
andere geworden. Es hat sich eine neue Phase ergeben. Wir
haben diese Phase in der Resolution des IV. Weltkongresses vor*
ausgesagt, die sogenannte demokratisch*pazifistische Phase. In
der Resolution des IV. Kongresses ist zu lesen:
„Was die internationale politische Lage im Moment charak*
terisiert, ist der Faschismus, der Belagerungszustand und die
steigende Welle des weißen Terrors gegen die Arbeiterschaft.
Das schließt jedoch nicht aus, daß in absehbarer Zeit in sehr
wichtigen Ländern die offene bürgerliche Reaktion durch eine
„demokratisch*pazifistische“ Aera abgelöst wird.“
Das wurde 1922 gesagt. Also vor anderthalb Jahren hat die
K. I. direkt diese demokratisch*pazifistische Aera vorausgesagt.

} Die Periode neuer Illusionen.


Also schon während der Periode des allgemeinen Belagerungs*
zustandes haben wir die demokratisch*pazifistische Phase voraus*
gesagt- Ich glaube, jetzt müssen wir das Umgekehrte tun: Im
Moment des Eintritts der demokratisch*pazifistischen Aera müssen
wir die neue kommende Aera des Belagerungszustandes und der
wütenden bürgerlichen Konterrevolution voraussehen. Die demo*
kratisch*pazifistische Aera wird wohl kaum noch lange dauern.
Wir haben auch das vorausgesehen. Wir sagten in derselben
Resolution: „In England (Stärkung der Labour Party bei den
letzten Wahlen), in Frankreich (der unvermeidlich kommende Sieg
des sogenannten „linken Blocks“) ist eine solche „demokratisch*
pazifistische Uebergangsperiode wahrscheinlich, und sie kann
ihrerseits eine Wiederbelebung der pazifistischen Illusionen im
bürgerlichen und sozialdemokratischen Deutschland auslösen.
Zwischen der gegenwärtigen Periode der Herrschaft der offen
bürgerlichen Reaktion und dem vollen Sieg des Proletariats liegen
verschiedene Etappen und sind verschiedene vorübergehende
Episoden möglich.“

34
Die Kommunistische Internationale hat also diese wichtigsten
Tatsachen vorausgesehen. Jetzt sind sie eingetreten. Wir haben
wirklich eine ganz neue Lage vor uns: eine gewisse demokratisch*
pazifistische Periode in den wichtigsten Ländern Europas ist unver*
meidlich. In England — Arbeiterregierung, in Frankreich — der
linke Block, wo die Sozialdemokraten de fa cto , aber nicht de jure
einen Bestandteil der Regierung bilden, in Dänemark — eine
Arbeiterregierung, in Oesterreich ein großer Sieg der Sozialdemo*
kraten, in Belgien wird wahrscheinlich Vandervelde nach den
Wahlen in der Regierung sitzen, eine neue Linksregierung in Japan,
in der Tschechoslowakei und in Polen werden analoge Erscheinun*
gen oder wenigstens teilweise neue Nuancen aufkommen im
Zusammenhang mit dem Sieg des linken Blocks in Frankreich,
denn die Bourgeoisie der Tschechoslowakei und Polens ist doch nur
ein Vasall des bürgerlichen Frankreichs. Wir haben in Amerika
die Unterstützung des pazifistischen „Sachverständigengutachtens“,
ferner den Anfang der Bewegung der sogenannten dritten Partei.
Wir haben weiter die Anerkennung Sowjetrußlands de jure
durch verschiedene Länder. All das zusammengenommen ergibt
eben diese demokratisch*pazifistische Welle. Sie wird unbedingt
bei den sozialdemokratischen Arbeitern und auch, Genossen, bei
uns in den am wenigsten erprobten Schichten der Kommunisten
neue Illusionen erwecken und die Stimmungen aller halbbewußten
„Rechten“ stärken. Das sollen wir ganz klar sehen.

Anstatt „Chirurgie“ — „Therapie“.


Die Bourgeoisie hat jetzt angefangen, die „Chirurgie“ durch
„Therapie“ zu ersetzen. Sie kennen das Sachverständigengut*
achten. Ich habe schon gesagt: meiner Meinung nach ist das eine
Schlinge um den Hals der deutschen Arbeiterklasse. Nur ist es
scheinbar eine seidene Schlinge. Sie scheint viel weicher zu sein
und man will sie allmählich zuziehen — mit Atempausen — und
das nennen die Sozialdemokraten Pazifismus, Triumph der Demo*
kratie! Wir werden dies Sachverständigengutachten selbstver*
ständlich bekämpfen, man soll sich keine großen Illusionen machen.
Die Durchführung des Sachverständigengutachtens ist eine große
Utopie. Je mehr die Leute jetzt versuchen werden, die Meinungs*
Verschiedenheiten der Bourgeoisien der verschiedenen Länder zu
vertuschen, um so schneller wird diese Flickarbeit zugrunde gehen.
Das ist so wie ein zerlöcherter Socken; je mehr sie in den verfaul*
ten Faden stopfen, um so mehr wird er zerreißen. Je mehr die
Leute jetzt Flickarbeit machen und sagen: wir haben uns alle
geeinigt, wir haben ein Programm — um so eher wird es klar
werden, daß dies Gutachten eigentlich nur ein Stück Papier ist.
3*
35
1
*

Selbstverständlich werden wir dies Gutachten aufs heftigste


bekämpfen und die verräterische Rolle der Sozialdemokratie ent?
1
larven.
Was wird weiter in dieser demokratisch?pazifistischen Aera
geschehen? Ich glaube z. B. die Regierung des französischen
, . I
Linksblocks wird ziemlich rasch dazu beitragen, eine klare Lage zu
I
I
schaffen. Die Regierung hat uns schon ziemlich klaren Wein ein?
I t •?.’•
C ,f f

geschenkt durch die Deklaration, die Sie ja alle kennen. Die fran?
zösischen Sozialisten stimmen für die Besetzung der Ruhr, sie
i werden für das Budget Herriot stimmen müssen. Ich glaube, die
Zeit ist nicht mehr fern, wo die Regierung Herriot auf die franzö?
, <
i

sischen Arbeiter schießen wird. Herriot wird auf die französischen
t r *«
Arbeiter wahrscheinlich ebenso schießen wie Poincare und Co es
taten. Ich glaube nicht, daß die Illusionen lange in Frankreich
Boden haben werden.
► «r
'S

* Die Regierungsteilnahme der Labour Party ist keine vorüber?



gehende Erscheinung.
o
t
i
t
Es ist jetzt schon klar, daß die „Arbeiterregierung“ in England
nicht eine ganz vorübergehende Erscheinung sein wird. Nein, um?
gekehrt. Ich glaube, daß die sogenannte Arbeiterpartei in dieser
oder jener Form für einige Jahre zu der Regierungskombination
gehören wird. Sie ist zu stark geworden, als daß sie nicht ein
Regierungsfaktor sein müßte (die Macht der Bourgeoisie ist zu sehr
t ins Wanken geraten). Man darf allgemein sagen, daß die inter?
nationale Sozialdemokratie jetzt eigentlich zur „dritten“ Partei der
Bourgeoisie geworden ist. Man spricht in Amerika von einer
dritten Partei der amerikanischen „Demokratie“. Aber die
europäische Sozialdemokratie, wie wir sie kennen, ist eigentlich,
objektiv gesprochen, jetzt nichts anderes als eine dritte Partei
der W eltbourgeoisie-
Darum glaube ich, daß die englische Labour Party wahrschein?
lieh in anderen Regierungskombinationen auftreten wird. Ihre
Beteiligung an der Regierung ist keine vorübergehende Erschei?
nung, aber sie wird auch, je länger sie regiert, um so weniger
Illusionen bei der englischen Arbeiterklasse erwecken.
Die neue internationale Lage kam also für uns nicht
■* *
unerwartet. Es werden bei vielen sozialdemokratischen und
parteilosen Arbeitern Illusionen auftauchen. Loebe hat wahr?
scheinlich aus dem Herzen vieler sozialdemokratischer Arbeiter
gesprochen. Mehr noch. Es ist möglich, daß die englische
Labour?Regierung zusammen mit Herriot der deutschen Sozial?
demokratie für einen bestimmten Zeitabschnitt rettende Hilfe *

bringen wird. Also demokratische Illusionen werden unter diesen

4
Umständen unvermeidlich kommen. Aufgabe des V. Welt*
kongresses muß es sein, hier klar zu sehen, diese Illusionen zu
bekämpfen, an die sozialdemokratischen und parteilosen Arbeiter
heranzukommen und ihnen in die Köpfe zu hämmern, was jetzt in
Europa in Wirklichkeit vorgeht, ihnen zu beweisen, daß der
„Pazifismus“ ein Einschläferungsmittel ist, um die Arbeiter zu
schwächen — besonders in den zwei wichtigsten Ländern: England
und Frankreich.
Das Sachverständigengutachten enthält eine Reihe von
Shylock*Forderungen, aber die deutsche Arbeiterklasse hat noch
nicht gesprochen, die /internationale Arbeiterklasse wird noch ihr
Wort sagen. Wenn sie auch nicht die Kraft haben sollte, sofort in
der nächsten Zeit diese Forderungen von sich zu weisen, so ist es*
doch unsere Pflicht, die Arbeiter schon jetzt darüber aufzuklären,
womit die Sache enden wird, und daß wir, Kommunisten, unseren
Standpunkt noch klarer betonen, als es bisher der Fall war. Unsere
Agitation muß sich in vielem ändern, weil wir uns in einer neuen
Lage befinden. Man betrachte z. B. die Frage der Abrüstung.

Die Kriegsgefahr.
Ist denn nicht der Augenblick da, wo wir Kommunisten an die
Sozialdemokraten die Frage richten müssen, die Friedrich Engels
in seiner bekannten Broschüre aufgeworfen hat: „Kann Europa
abrüsten?“
Soll man jetzt nicht zu ihnen sagen: in England ist eure
„Arbeiterregierung“, eine Regierung der II. Internationale, am
Ruder, in Rußland ist eine Räteregierung, eine Regierung, die den
Prinzipien der III. Internationale nahekommt, an der Macht; die
zaristischen Kosaken sind nicht mehr, der russische Zarismus ist
nicht da, die Sowjetregierung ist stets bereit, abzurüsten. Also ihr
habt eine Arbeiterregierung in England, einen linken Block in
Frankreich, wo die Sozialisten faktisch an der Regierung beteiligt
sind- Ihr habt eine „demokratische“ Aera auch in Amerika; in
Oesterreich, in Belgien seid ihr stark. Ihr sagt, ihr wollt keinen
Krieg, also bitte, wollt ihr nicht den Abrüstungsplan unterstützen?
Wir wissen sehr wohl, sie gehen dieser Frage nicht nur aus
dem Wege, sondern unterstützen in England und in Frankreich
und allerorts sogar die Rüstungen. Ich habe das als ein Beispiel
angeführt. Man kann die Beispiele vermehren.
Das ist in groben Zügen die internationale Lage.

Das Problem der Macht steht auf der Tagesordnung.


Ich glaube dennoch, daß ungeachtet der „pazifistischen Aera“
in den wichtigsten Ländern des bürgerlichen Europas auf der

37
*r\

Tagesordnung das Problem der Macht steht. Ich werde später


erklären, was ich damit sagen will.
Genossen, man erklärt, die Lage Europas sei normal, der Kapi*
talismus stabilisiere sich, alles verlaufe glatt, und dennoch sehen
wir Regierungskrisen über Regierungskrisen. In den letzten
Monaten wurde so ziemlich ein halbes Dutzend Regierungen ab?
gesetzt. Es ist freilich noch nicht der frische Wind der Revolu?
tion, der diese Regierungen hinwegfegt, aber es ist ein Symptom
der Unsicherheit. Die ganze politische Lage spricht dafür. Es
besteht in den wichtigsten europäischen Ländern ein Problem der
Macht, die Bourgeoisie kann nicht wie früher regieren. Eine
nackte, offene, reine, d. h. vielmehr schmutzige bürgerliche
‘Klassenmacht ist jetzt unmöglich. In einer ganzen Anzahl von
Ländern muß die Bourgeoisie zu Kniffen greifen, daher die
Arbeiterregierung in England, daher der linke Block mit den Sozia?
listen in Frankreich. Die Bourgeoisie kann nicht regieren, wie sie
früher regiert hat. Früher bestand in England ein Zwei?Parteien?
System. Und was sehen wir jetzt in diesem Hauptlande des
Kapitalismus?

Die Sozialdemokratie — die dritte bürgerliche Partei. t -

Die Sozialdemokratie ist zur „dritten Partei“ der Bourgeoisie


geworden. Sogar die mächtige englische Bourgeoisie kann nicht
mit den alten Methoden regieren; sie greift zu einer „Arbeiter?
regierung“. Die Bourgeoisie in Europa ist gezwungen, sich bald
an den Faschismus, bald an die Sozialdemokratie zu klammern.
Die Faschisten sind die rechte Hand, die Sozialdemokraten die
linke Hand der Bourgeoisie. Das ist das neue an der Lage. Akut
wurde für die Bourgeoisie das Problem der Macht und das ist das
beste Zeichen, wie labil doch das ganze Gleichgewicht ist.
Wir sehen, wie die II. Internationale schon zum zweiten Male -p

zur Macht gelangt. Das erste Mal geschah es während des


Krieges. Die Motive der Bourgeoisie waren begreiflich. Aber
jetzt sind doch normale Zeiten? Wozu brauchen sie sie jetzt?
Die Sache ist eben die, daß die jetzigen „normalen“ Zeiten nicht
so normal sind — und das muß man verstehen. Es kann durchaus
ein Augenblick eintreten, wo fast in allen Hauptländern Europas
sozialdemokratische Minister das Wort führen. Diese Zeit wird
kommen, weil die Bourgeoisie nicht anders wird regieren können.
Sie muß die Sozialdemokraten als dritte bürgerliche Partei ver?
wenden. Die Sozialdemokratie geht darauf ein.
Das ist das wichtigste Merkmal der gegenwärtigen Periode.
Die II. Internationale stellt Minister für England, tatsächlich
auch für Frankreich. Man greift zu den Sozialdemokraten in

38
Belgien, wie auch in einer ganzen Anzahl anderer Länder, z.B. Däne*
mark usw. Was bedeutet das? Die Sozialdemokratie behauptet,
sie sei der Bourgeoisie feindlich gesinnt. Was würde man sagen,
wenn z. B. unsere russische Sowjetregierung den General Denikin
als Minister engagiert hätte? Man würde sagen, das sei ein Be*
weis, daß die Sowjetregierung nicht mehr regieren kann wie früher,
daß sie zu wanken beginnt, daß das Problem der Macht zu einem
brennenden Problem für sie geworden ist. Für die Bourgeoisie
ist die Sozialdemokratie eben nicht das, was Denikin für uns ist,
obwohl die Sozialdemokraten behaupten, Feinde der Bourgeoisie
zu sein. Aber dennoch beweist die Heranziehung Sozialdemokrat
tischer Minister, daß die Lage der Bourgeoisie gar nicht stabil ist,
daß sie nicht etwa in einem kleinen Lande wie Estland oder Däne*
mark, sondern auch in England die Macht eine Zeitlang durch die
Hände einer sogenannten Arbeiterregierung verwirklichen muß.
Das ist einer der besten Beweise dafür, wie unsicher die Lage ist,
dafür, daß die Lage objektiv revolutionär ist, und das ist wieder
der taktische Schlüssel zu unserer Position.

Die Theorie RadeksBrandler ist unrichtig.


Erinnern wir z. B. an den ominösen Streit in der deutschen
Partei über den „Sieg des Faschismus über die November*
Republik“. Diese Frage ist jetzt ganz klar, vom deutschen wie
vom internationalen Standpunkt aus erledigt. Es ist jetzt ganz
klar, daß die Sozialdemokratie zur dritten Partei der Bourgeoisie,
zur mitregierenden Partei geworden ist. Diese Erscheinung ist in
fast allen wichtigsten Ländern wahrzunehmen. Die „Theorie“, daß
die Sozialdemokratie vom Faschismus „besiegt“ worden sei, hat
sich augenscheinlich als falsch erwiesen und damit auch die Theorie
von R adek und Brandler.
Das ist der taktische Schlüssel in den Händen der Kommu*
nisten. Die Theorie, daß der Faschismus die Sozialdemokratie
„besiegt“ hätte, war ein falscher Schlüssel, der zu opportunistischen
Folgerungen führen mußte.

Die Sozialdemokratie als Flügel des Faschismus.


Wäre es richtig gewesen, daß die Sozialdemokraten gegen die
Faschisten gekämpft hatten und von ihnen besiegt worden waren,
so hätte sich daraus eine Annäherung zwischen den Sozialdemo*
kraten und den Kommunisten ergeben und nicht die Verschärfung
des Kampfes zwischen ihnen. Da aber die Sozialdemokratie in
Wirklichkeit gegen den Faschismus nicht gekämpft hat und von
ihm nicht „besiegt“ wurde, so müssen die Kommunisten eine ganz

39
andere Taktik befolgen, als es Radek möchte. Das wichtigste dabei
ist, daß die Sozialdemokratie zu einem Flügel des Faschismus ge*
worden ist. Das ist eine wichtige politische Tatsache. Was ist
die sozialistische Partei Frankreichs anders als ein linker Flügel der
Bourgeoisie? Bei den Wahlen ist das sozusagen notariell fest*
gestellt worden. Es gab eine gemeinsame Liste der bürgerlichen
und der sozialistischen Parteien. Der ganze Unterschied bestand
darin, daß die Namen der bürgerlichen Parteien rechts und die der
sozialistischen links standen. Welche Beweise bedarf es noch?
Die französische sozialistische Partei ist der linke Flügel der fran*
zösischen Bourgeoisie. Sie treibt noch ein Versteckspiel, sie sitzt
noch nicht direkt in der Regierung, aber sie ist ein mitregierender
Faktor. Je weiter die Entwicklung geht, desto ersichtlicher
wird das.
Die II. Internationale ist der linke Flügel der Bourgeoisie, die
mitregierende Partei der Bourgeoisie geworden. Darin äußert sich
nicht nur der sozialverräterische Geist der Sozialdemokratie, son*
dern auch die Unsicherheit der Lage der Bourgeoisie, aus der
heraus sie zu diesen Mitteln greifen muß.

FRAGEN DER TAKTIK.


%

Die opportunistischen Schlußfolgerungen des Genossen Hula.


Ich komme jetzt zu Fragen der Taktik. Zunächst etwas All*
gemeines hierzu. Ich meinte bisher, daß die Frage der Gewinnung
der Mehrheit in den Arbeitermassen als Bedingung des Sieges über
die Bourgeoisie und Sozialdemokratie von uns bereits auf dem
III. Kongreß gelöst wurde. Nun hat es sich gezeigt, daß diese
Frage noch Klärung erfordert.
Das hat das Verhalten einiger Führer der tschechischen Bruder#
partei gezeigt. Ich habe vielleicht die tschechischen Ereignisse
nicht genügend verfolgt. Manches ist mir unklar geblieben, aber
das Material, über das ich verfügte, genügt für manche Schlüsse.
Ich las einen Artikel des Genossen Hulaf der einen Satz aus einem
meiner Artikel zitiert, wo ich schrieb, daß die Voraussetzung der
siegreichen Revolution die Gewinnung der Majorität in den wich*
tigsten, entscheidenden Schichten der Arbeiterklasse bildet. Genosse
Hula schlug Alarm und versuchte mich zu konfrontieren mit dem,
was Genosse Lenin schrieb. Meine Worte seien angeblich das
Gegenteil dessen, was Lenin gelehrt hat. Hula schreibt folgendes:
„Es bedarf jedoch keiner Beweise dafür, daß die „Eroberung
der Majorität der Hauptschichten der Arbeiterklasse“ ein unge*
nauer, unbestimmter Ausdruck ist, und daß seine Deutung im
gewissen Sinne letzten Endes auch einen Widerspruch darstellt,

40
4

denn die Eroberung der Majorität der „Hauptschichten“ der


Arbeiterklasse läßt sich auch auslegen als Eroberung der Minori*
tät des Proletariats, besonders wenn man nicht weiß, was in
dieser Definition das Entscheidende ist, welche Schichten der
Arbeiterklasse wichtiger sind und welche weniger wichtig sind,
so daß wir uns, wie aus dem Sinowjewschen Zitat folgt, um
deren Gewinnung nicht zu sorgen brauchten.“
Hula ist einer der aufrichtigsten Anhänger der III. Internatio*
nale in der Tschechoslowakei. Ich kenne ihn persönlich. Er ist
ein guter Kommunist. Um so schlimmer ist aber dieses Zeichen,
um so mehr ein Beweis dafür, daß etwas faul im Staate Dänemark,
daß man irgendwo rüttelt und schüttelt, um opportunistische
Schlüsse zu ziehen.

Die Frage der Eroberung der Majorität.


Ich werde Sie nicht mit Gegenzitaten ermüden, obwohl ich sie
gesammelt habe. Ich will nur sagen, daß der III. Kongreß unter

Lenins Leitung eine Resolution angenommen hat, in der gesagt
wird, daß wir bemüht sind, die Arbeiterklasse durch Organisierung
der „sozial entscheidenden“ Schichten zu gewinnen.
Ich will nicht sagen, daß ich in meiner flüchtigen Formulierung
den Grundsatz der Gewinnung der Mehrheit, der wichtigsten
Schichten einwandfrei formuliert habe. Aber der Gedanke ist im
großen und ganzen richtig, und zwar ist es der gleiche wie der
des III. Kongresses. Ich akzeptiere vollauf die Formulierung des
III. Kongresses. Nur müssen wir alle eingedenk sein: Eroberung
der Majorität — .wofür? Für den revolutionären K am pf zum Sturz
des Kapitalismus.
Was steckt hinter dem Artikel Hulas? Doch nur die bekannte
opportunistische „Theorie“, man soll zuerst eine statistische Mehr?
heit von schier 99 Proz. gewinnen und in der Partei organisieren
und dann erst an die Revolution denken.
Das ist ein rein opportunistischer Gedanke, der uns auf Irr*
wege führen würde, wenn wir tatsächlich diese Theorie annehmen
wollten. Ich glaube, eine der wichtigsten Aufgaben des Kongresses
wird in der Ueberprüfung der Frage der Gewinnung der Mehrheit
bestehen. Wir haben hierbei nichts Neues zu sagen, wir werden nur
gegen den Revisionismus in bezug auf die Formulierung des
III. Kongresses auftreten müssen. Es gibt Genossen, die sich über*
haupt um die Gewinnung der Majorität wenig kümmern, die diese
Kardinalfrage sorglos behandeln. Gegen diese „Ultralinken“
kämpfen w ir.. Doch sie bilden eine verschwindende Minorität, das
sind G efühlsrevolutionäre, sie sind nicht besonders gefährlich.
Die wirkliche Gefahr besteht darin, daß manche ernsthafte Ge*
ikl
P

fr
nossen eine statistische Mehrheit von 99 Proz. oder weiß Gott
4

wieviel Prozent fordern, bevor sie von irgendeinem revolutionären


Kampf reden wollen. Um so schlimmer, wenn Hula einen solchen
Artikel schreibt. Es sind in ihm mehr verborgene Stimmungen ent*
halten, als Genosse Hula ausspricht.
Was die Gewinnung der Mehrheit betrifft, so glaube ich,
müssen wir die Formulierung des III. Kongresses bestätigen. Wir
müssen uns darüber klar sein, daß bald ein Moment kommen wird,
wo die Frage der Gewinnung der Mehrheit vor uns mehr praktisch
stehen wird, denn in einer ganzen Reihe von Ländern beginnen
wir uns der Gewinnung der Mehrheit zu nähern. In dieser Frage
haben wir die Tabellen aufgestellt, die in diesem Saale hängen.
Ich will Sie nicht mit Ziffern ermüden; aus ihnen geht hervor,
daß der Augenblick naht, wo wir so stark sein werden, wie es die
II. Internationale auf dem Gipfelpunkt ihrer Macht war. Quanti*
tativ werden wir bald diese Stärke erreichen und haben sie zum
Teil schon erreicht. In manchen Ländern ist sie schon verwirklicht.
Wir stehen dadurch vor ähnlichen Gefahren, wie die II. Internatio*
nale stand, eben weil wir zu Massenparteien werden. Es sind
natürlich nicht ganz dieselben Gefahren, weil neben uns die Sozial*
demokratie wirkt und die allerschlimmsten Elemente zu ihr gehen.
Je stärker die Verrätereien der Sozialdemokratie werden, desto
stärker werden wir sein. -Darum müssen wir auf diesem Kongreß
die Frage der Mehrheit ganz klar aufwerfen. Wir müssen um die
Mehrheit der entscheidenden Schichten der Arbeiterklasse weiter
kämpfen. Das ist eine der wichtigsten Parolen Lenins. Das will
natürlich keinesfalls heißen, daß wir uns auf die Position der So*
zialdemokratie zurückdrängen lassen werden. Das sind Kautsky*
sehe Methoden: zuerst die Arbeiterklasse zu 100 Prozent organi*
sieren, sie in Partei und Gewerkschaft zusammenfassen, dann ab*
stimmen und dann Revolution machen nach allen Regeln der Kunst!
So würden wir niemals zu revolutionären Kämpfen kommen, nie*
mals eine wahrhaft revolutionäre Partei werden.
Sie kennen alle die glänzende Arbeit des Genossen Lenin über
die Ergebnisse der Wahlen zur Konstituante in Rußland. Wir
führten die Wahlen durch, als wir schon an der Macht waren; den*
noch hatte unsere Partei 9% Millionen von 36 Millionen Stimmen
bekommen, gegenüber 25 Millionen der Sozialrevolutionäre und
der Menschewiki. Genosse Lenin sagte dazu offen: wir hatten noch
keine zahlenmäßige Mehrheit, aber wir hatten die Mehrheit an
den entscheidenden Stellen und im entscheidenden Moment, —
und das war das Wichtigste. Wenn Genosse Hula ein Schüler des
Genossen Lenin sein will, sollte er die tschechischen Arbeiter
lehren, die entscheidende Majorität an entscheidender Stelle in*
entscheidenden Augenblick!

42
t

Ist die größte Gefahr, die wir in der tschechischen Partei jetzt
haben sollen, wirklich die Gefahr, daß wir zu früh losschlagen
könnten? Sie wissen wohl, daß diese Gefahr in der Tschechow
Slowakei nicht besteht. Also warum mit diesem Artikel kommen?
Und was bedeutet er objektiv nach dem kürzlich stattgefundenen
Kampf in der deutschen Partei und in der K. I. überhaupt? In
dieser Lage bedeutet dieser Artikel nichts anderes als die Unter*
Stützung der Rechten. Das soll man ganz offen aussprechen. Ich
hoffe, daß Genosse Hula auf seinen Fehlern nicht bestehen wird.
Wir begehen alle gelegentlich Fehler; wenn wir einen Fehler ge*
macht haben, so sollten wir ihn korrigieren. Aber wenn Genosse
Hula anders denkt und wenn er sich daraus eine Theorie1machen
will und die tschechischen Genossen ihn darin unterstützen werden,
so wird ein ernster Kampf der K. I. mit diesem Flügel der tschechi*
sehen Partei absolut unvermeidlich sein, denn aus diesen Theorien
folgt die Praxis der Rechten in der deutschen Partei, dabei ist in
manchen Beziehungen die Lage in der tschechischen Partei noch
viel schwieriger.

Die Aufgaben der KPD.


Viele zweifeln jetzt an den Kräften der deutschen Partei. Mit
viel Behagen zitiert der „Vorwärts“ Radeks Worte, daß der Wahl*
sieg der deutschen Kommunisten gar nicht so groß sei. Aber wenn
wir in Deutschland auf parlamentarischem Gebiet eine Proportion
von 62 Kommunisten zu 100 Sozialdemokraten haben, so ist das
für jedermann ein Beweis, daß wir nahe daran sind, die Mehrheit
in der deutschen Arbeiterklasse zu bekommen, weil die deutsche
Sozialdemokratie 100 Vorsprünge auf dem Gebiete des Parlamenta*
rismus hat, weil für sie nicht nur Arbeiter allein gestimmt haben.
Alles das ist ein Beweis dafür, daß wir nahe daran sind, die Ma*
jorität der deutschen Arbeiterklasse zu gewinnen.
Ich habe die Ergebnisse der Wahlen zu den Betriebsräten in
Deutschland nachgeprüft. Sie sind viel günstiger als die Wahlen
zum Parlament. Das heißt aber nicht, daß wir jetzt ausruhen
können. Wir können die gewonnenen Massen auch wieder ver*
lieren, wenn wir Fehler begehen. Wir werden und müssen die Ma*
jorität der Arbeiter im Kampfe zusammenbringen, wir müssen
weitergehen.
Also in Deutschland geht es voran und vielleicht auch noch
in einigen anderen Parteien. Aber für 90 Prozent der Kommunisti*
sehen Internationale stehen die Dinge so, daß sich die Parteien
weniger um die „große Politik“ kümmern sollen als folgende ein*
fache Maßregeln zu treffen:
Sie müssen es erstens verstehen, eine kommunistische Partei
zu schaffen und die Partei auf Betriebszellen aufzubauen. W enn

43
wir in den Betrieben keine kommunistischen Zellen haben, sind
wir keine kommunistische Partei.
Zweitens müssen wir eine richtige Taktik in den Gewerks
schäften anwenden, in den Gewerkschaften kommunistische Fraks
tionen bilden und sie von innen zu erobern wissen.
0

Drittens müssen wir eine richtige Politik in der nationalen


Frage treiben.
Viertens müssen wir eine richtige Politik in der Bauernfrage
führen.

W ir müssen die Bauernschaft gewinnen.


Man ist nicht Leninist, wenn man es nicht versteht, unter den
Bauern zu arbeiten. Ich habe schon auf die Agrarkrise der Welt
hingewiesen. Das allein sollte uns Anlaß geben, eine verstärkte
Arbeit unter den Bauern zu leisten, weil viele Bauern verzweifeln..
Bisher war es so, daß sogar kommunistische Parteien in ausge*
sprochenen Agrarländern die Bauern nicht für uns zu gewinnen
wußten. Sogar die Balkanparteien und die polnische Partei haben
sich bis zur letzten Zeit keine ernste Mühe gegeben, Arbeit unter
den Bauern zu leisten. Dasselbe gilt für die KPD. und andere
Kommunistische Parteien. Sie kennen das Ergebnis der Wahlen
in Karpatho^Rußland.
Manche tschechischen Genossen, Taussig, Haty und andere,
insbesondere die Genossen aus Karpatho^Rußland, arbeiteten heb
denhaft und setzten sich in der Wahlkampagne großen Gefahren
aus. Aber ich kann das Gefühl nicht los werden, daß die Partei
im allgemeinen die Bauernfrage in der Tschechslowakei nicht ge*
nügend einschätzt; Karpatho?Rußland zeigt, wie wichtig es ist, daß
wir es verstehen, unter den Bauern zu arbeiten. Es darf nicht mehr
Vorkommen, daß z. B. unsere rumänischen Genossen nicht wissen,,
wie viele Bauern es in ihrem Lande gibt, welche Agrarverhältnisse
dort bestehen usw.
Was war der Hauptfehler der bulgarischen Partei im Juni 1923?
Eben, daß sie keine revolutionäre Fühlung mit den Bauern hatte,
sich nicht über die Rolle der Bauern im klaren war. Sie hat es jetzt
korrigiert und es geht jetzt schon schneller vorwärts.
Statt sich mit „hoher Politik“ zu befassen, muß der größte Teil
unserer kommunistischen Parteien darauf achten, kommunistische
Arbeit zu leisten, kommunistische Betriebszeilen zu bilden und
in den Gewerkschaften und in der nationalen und der Bauernfrage
eine richtige Politik einzuschlagen. Wenn wir das verstehen, so
haben wir 99 Prozent unserer Aufgaben gelöst.

44
\

<
t

Ueber Teilforderungen.
Ich möchte noch ein paar Worte über die Teilforderungen
sagen. Wir Bolschewiki gingen mit den Menschewiki nicht des?
halb auseinander, weil wir gegen Teilforderungen waren, sondern
deshalb, weil wir es verstanden, diese Teilforderungen mit den
Grundfragen der Revolution zu verknüpfen. Für die Menschewiki
waren die Teilforderungen ein Schritt zur Ersetzung der Revolution
durch die reformistische Evolution, für uns aber waren sie ein
Kettenglied in der Vorbereitung der Revolution.
Wenn die deutschen Genossen eine Kampagne für den Acht?
stundentag oder für politische Amnestie führen, so sind es Teil?
forderungen, die wir aufstellen müssen, falls wir eine Massenpartei
sein wollen. Ist die Forderung des Achtstundentages oder die der
politischen Amnestie ein Endziel? Nein, es sind bloß Teilforde?
rungen. Prinzipiell unterscheidet sich die von der K.P.D. seinerzeit
aufgestellte Forderung der 51prozentigen Sachwerterfassung nicht
von anderen Teilforderungen. Aber es gilt in jedem Augenblick die
„Teilforderung“ aufzustellen, die Anklang in den Massen findet,
und es gilt, sie in Zusammenhang zu bringen mit der Vorbereitung
zur R evolution. Ich glaube, die wirkliche Linke der K.I., die wahr?
haft leninistisch ist, kann prinzipiell keinesfalls die Taktik der Teil?
forderungen bekämpfen, sondern muß auf Grund dieser Taktik
es verstehen, eine wirkliche Politik der Revolution und nicht der
Evolution zu betreiben.

Die Linksschwenkung in der englischen Arbeiterbewegung.


Um dieses Kapitel zu beenden — noch ein paar Worte zur
G ew erkschaftsfrage. Ich glaube, diese Frage wird eine der wich?
tigsten Fragen unserer Tagung sein. Wir sehen neue, sehr wichtige
Erscheinungen, in erster Linie in der englischen G ew erkschaft sbe*
wegung. Die englische Arbeiterbewegung ist eine eigenartige Be?
wegung. Ich habe unlängst einen Bericht von Max Beer gelesen.
Er ist kein Kommunist, er war früher Sozialdemokrat, jetzt hat
er auch diese Reihen verlassen, ein ausgezeichneter Kenner der
englischen Arbeiterbewegung und ein gewissenhafter Mann. Sein
Gutachten hat große Bedeutung. Was sagt er zur Arbeiterbewe?
gung in England?
Er sagt:
„Drei revolutionäre Tatsachen kenne ich in England. Die
erste ist die Chartistenbewegung, die zweite die Gründung der
Labour?Party und der Anfang des Kampfes gegen den alten
Trade?Unionismus, die dritte epochemachende Tatsache ist jetzt
die beginnende Befreiung der englischen Arbeiterbewegung vom

45
Reformismus. Dieser Prozeß hat im Jahre 1917 angefangen mit
der russischen Revolution, hat sich ganz allmählich entwickelt,
aber jetzt sieht er dem Ende entgegen, wo die Quantität in
Qualität Umschlägen wird.“
Es hat den Anschein, Genossen, daß er recht hat. Er sagt
ferner, es beginnt ein Auseinandergehen des besten Teils der eng*
lischen Gewerkschaften und der Labour*Party, die doch bisher
auf Grund der Gewerkschaften aufgebaut war.
Ich glaube, Genossen, das ist im allgemeinen richtig. Sehen
Sie, was dort vor sich geht. Plötzlich erobert ein Genosse, der den
revolutionären Ansichten nahesteht, wie C ook, eine große Ge*
werkschaft, die der Bergarbeiter. Man soll das nicht überschätzen.
Selbstverständlich, es sind nur Anzeichen, Symptome, aber, Ge*
nossen, man soll es auch nicht unterschätzen.
Die Haltung der Engländer in Wien auf dem Kongreß der
Amsterdamer war eine symptomatische Erscheinung. Ihr wißt, die
Leute sind inkonsequent, aber sie werden von der Masse getrieben.
Die Leute sind aufgestanden und haben Sassenbach gefragt,
wo ist Rosa Luxemburg, wo ist Karl Liebknecht? Was bedeutet
das? Die englischen Gewerkschaften waren bisher die Hauptstütze
für Amsterdam. Sie sind für Amsterdam dasselbe was die russische
und die deutsche Partei für die Kommunistische Internationale
sind. Was wäre, wenn die russische und die deutsche Kommu*
nistische Partei, sagen wir, auf diesem Kongreß sozialdemokratische
Reden gegen die Kommunisten halten würden?! Jedermann würde
sagen: das ist die Krise der Kommunistischen Internationale, die
wirkliche Krise, nicht die Krise, die Radek täglich in seiner Westen*
tasche hat und nach der wir mit jedem Monat stärker werden. Es
wäre also eine wirkliche Krise. Nun, diese Krise ist bei den
Amsterdamern da. Was heißt das, wenn die Engländer fragen:
„Wo ist Rosa Luxemburg und Liebknecht?“ Sie sagen damit das*
selbe, was wir wiederholen, nämlich, daß die Sozialdemokraten
die Komplizen oder Schuldigen an der Ermordung von Rosa Luxem*
bürg und Karl Liebknecht sind. Gewiß, die Leute sind inkonse*
quent. Sie haben kein Programm. Sie haben teilweise aus demon*
strativen Motiven gehandelt, um zu betonen, daß sie im Moment
der Verhandlungen der beiden Regierungen in London eine An*
näherung an die russischen Gewerkschaften suchen. Dennoch ist
es ein ernsthaftes Symptom.
Die Hauptaufgabe der K.I. wird jetzt auf England übertragen.
Auf allen Gebieten. Haben wir in England eine Kommunistische
Massenpartei, so ist es der halbe Sieg in europäischem Maßstab,
und jetzt sind die Bedingungen dafür herangereift. Darum sollen
wir nicht unterschätzen, was in England vor sich geht. Wir kennen
England zu wenig, fast so wenig wie Amerika.

46
f
1
9

} Ich glaube, Genossen, wir werden jetzt die Frage reiflich


! prüfen müssen, was zu tun ist, um eine tatsächliche Einheit der
f Gewerkschaftsbewegung auf internationalem Gebiet zu erreichen.
i Die Gerissensten unter den Sozialdemokraten, die Deutschen, die
Belgier, die Franzosen — sie wollen diese Einheit nicht. Wir haben
schon auf dem IV. Kongreß erklärt, daß die Sozialdem okraten jetzt
alles aufbieten, um eine Spaltung der G ew erkschaften zu erreichen,
wir aber dahin arbeiten müssen, eine Einheit der G ew erkschaften
im internationalen M aßstabe zu erzielen,
4

i DIE TAKTIK DER EINHEITSFRONT,


f
^ Wurzeln der Einheitsfront.
j Ich komme jetzt, Genossen, zur Einheitsfronttaktik, Es ist
: eine Frage, die am meisten in unseren Reihen umstritten ist. Ich
bin da ganz mit der Instruktion der KPD. an ihre Delegation ein*
f verstanden, der Instruktion, in der die deutsche Partei erklärt, man
| solle jetzt nicht über die Einheitsfronttaktik als „Ding an sich“
diskutieren. Ich bin damit einverstanden, die Taktik der Einheits*
front bleibt richtig, man soll die Frage konkret stellen, von Land
zu Land, entsprechend den Verhältnissen.
Ich kann nicht umhin, einiges Allgemeine zu diesem Thema
zu sagen. Historisch genommen: was war für uns die Einheitsfront*
taktik, wenn man die chronologische Entwicklung betrachtet? Ich
glaube, wenn man jetzt den zurückgelegten Weg überschaut, so
ist das für uns klar. Die Einheitsfronttaktik war eigentlich zuerst
! (d. h. in den Jahren 1921/22) das aufkommende Bewußtsein, daß
wir erstens noch keine Mehrheit in der Arbeiterklasse haben;
zweitens, daß die Sozialdemokratie noch sehr stark ist, drittens,
daß wir in der Defensive sind, der Feind aber in der Offensive ist
(nebenbei bemerkt auch die Streiks des verflossenen Jahres, z. B.
in England, waren zum großen Teil Defensiv*Streiks, ebenso in
den anderen Ländern); viertens, daß der entscheidende Kampf
noch nicht direkt auf der Tagesordnung steht. Daraus folgern wir
die Parole: „An die Massen!“ und weiter — die Taktik der Ein*
heitsfront.
Ich habe schon angedeutet, Genossen, es war eine Zeit in der
Kommunistischen Internationale, wo wir eigentlich nur eine Pro*
pagandagesellschaft waren, ohne es selber zu wissen. Nach den
ersten Kämpfen hat sich das wirkliche Kräfteverhältnis und eben
das Bewußtsein geklärt, daß wir noch in der Minderheit sind, daß
die Sozialdemokratie noch stark ist, daß wir einstweilen erst in der
Defensive sind — und das hat den Anfang der Einheitsfronttaktik
ergeben.

47

i
Die Entstellung der Einheitsfrontparole.
Nun, Genossen, die Geschichte hat mit dieser Parole sozusagen
einen schlechten Scherz gespielt, was mit Parolen ziemlich oft vor?
kommt. Wir faßten die Einheitsfront als die Taktik der Revolution
im Zeitabschnitt des verlangsamten Tempos der heranwachsenden
Revolution auf. Sofort haben sich Genossen in unseren Reihen
eingefunden, die aus ihr etwas ganz anderes gemacht haben, und
zwar eine Taktik der Evolution, eine Taktik des Opportunismus
gegen die revolutionäre Taktik. Das hat sich allmählich herausge?
stellt. Zuerst hatte es den Anschein, es würde es sich um unbedeu?
tende Nuancen oder stilistische Feinheiten handeln. Wir faßten
die T aktik der Einheitsfront als die T aktik der Vorbereitung der
Revolution auf. A ber manche Genossen aus unserer Mitte legten
sie als die T aktik des Ersatzes der revolutionären T aktik durch
friedliche, evolutionäre M ethoden aus. Wir verstanden diese Taktik
als strategisches Manöver, aber manche Genossen begannen die
Taktik der Einheitsfront zu deuten als Versuch eines Bündnisses
mit der Sozialdemokratie, als Koalition „sämtlicher Arbeiter?
Parteien“.
Eine kommunistische Partei hat neulich eine Resolution ange?
nommen, die „nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt ist“, in der
es heißt: Alles schön und gut, strategisches Manöver, nur soll man
nicht so oft davon in der Oeffentlichkeit reden, denn unsere
Gegner werden es sofort aufgreifen. In der Resolution heißt es
'wörtlich:
„Dabei ( das heißt bei der Taktik der Einheitsfront) ist darauf
zu achten, daß wir nicht ohne zwingende Gründe unseren Klassen?
gegnern den Sinn unserer revolutionären Strategie enthüllen.“
Ich glaube, Genossen, das ist entweder naives Kinderspiel oder
Reformismus. Eher das letzte, denn diejenigen, die die Frage so
gestellt haben, sind alles andere eher als Kinder.
Das Hauptunglück, das Pech unserer Parteien besteht darin,
daß, wenn man ihnen eine revolutionäre Strategie gegenüber dem
Feinde, gegenüber dem schlauesten Feinde, der Sozialdemokratie,
vorschlägt, — sie sofort versuchen, diese Strategie zu „vertiefen“,
„marxistisch“ zu „erklären“, eine Theorie abzuleiten, die nicht
kommunistisch ist.
•x- S

Was ist revolutionäre Strategie?


Die bolschewistische Partei hat in der Revolution viele strate*
gische Manöver durchgemacht. Das Genie Lenins lag zum großen
Teil in dieser Kunst der revolutionären Strategie. Das Glück
unserer Partei bestand darin, daß wir bei jedem Manöver wußten,
was wir wollten. Wir konnten deshalb auch manövrieren. „Wir

48
wissen, was wir wollen“ — das war die Stimmung. Wir wußten,
wir wollen den restlosen Kampf. Wir wußten, wir wollen den Sieg;
wir wollten die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre politisch
vernichten — und dazu manövrierten wir politisch. Das Pech
mancher unserer jungen und nicht nur jungen Sektionen in der
K. I. besteht eben darin, daß sie erstens mitunter ein strategisches
Manöver überhaupt für unzulässig halten, und zweitens, wenn sie
es anwenden, sie es sofort zu ernst nehmen, daß sie sich daraus
eine Methode, ein ganzes tiefsinniges System machen. Daraus
sind 90 Prozent unserer Mißerfolge zu erklären. Wir sind von
Feinden umzingelt; der schlaueste Feind ist die Sozialdemokratie.
Es hat sich gezeigt, daß manche Parteien, manche Genossen
e? nicht verstanden und nicht verstehen wollten, daß T aktik der
Einheitsfront für die Kommunistische Internationale nichts anderes
ist als eine M ethode der Agitation und der Mobilmachung der
Massen.
Ich muß hier zugeben, daß manche Schuld hierbei auch auf
mich zurückfällt. Ich war etwas zu nachgiebig.
Gestatten Sie, daß ich etwas ausführlicher darüber spreche.
Im Juni 1922 hielt ich in der Erweiterten Exekutive eine Rede über
die Einheitsfronttaktik, wo ich sagte: „Einheitsfront bedeutet
keinesfalls politische Konzessionen; es handelt sich nicht darum,
die Selbständigkeit unserer Partei zu beeinträchtigen, sondern
darum, daß unsere selbständigen Kommunistischen Parteien unsere
Parolen zweckmäßig formulieren. Die Arbeiterregierung ist ein
Pseudonym für die Diktatur des Proletariats“.
Ich wurde sofort von dem Vertreter der deutschen Rechten
angegriffen; ich muß sagen, ich habe nicht sofort begriffen, wes*
wegen man mich angriff. Der Genosse Ernst M eyer zum Beispiel
hielt auf dem IV. Kongreß eine Rede, in der er mich deswegen an*
griff. Der Genosse R adek versuchte zu vermitteln und rückte
selber auf dem IV. Kongreß leise von meiner Formulierung ab.
Mein Fehler bestand darin, daß ich damals nicht einsah, daß es sich
nicht um stilistische Formulierung, sondern um eine opportun
nistische Auslegung einer richtigen Losung handelte. Ich nahm
zuerst an, daß ich durch meine schroffe Formulierung vielleicht
tatsächlich den Genossen die Agitation mit dieser Parole vor den
sozialdemokratischen Arbeitern erschwert hätte. Kurz und gut:
ich habe nicht sofort eingesehen, warum man eigentlich diesen Satz
bekämpfte.

. Arbeiters und Bauernregierung.


Gestatten Sie mir, ein paar Worte über die A rbeiter* und
Bauernregierung zu sagen. Auch die Parole der Arbeiters und

49
Bauernregierung hat man versucht, als eine Regierung „aller Ar?
beiterparteien plus einiger Bauernparteien“ auszulegen. Man tut
jetzt manchmal so, als ob dies eine spezifische Parole für eine ganze
Periode sei, als würde sie das Bündnis „aller“ Arbeiter? und
Bauernparteien im Rahmen der bürgerlichen Demokratie bedeuten,
und ähnlichen Unsinn.
Aber in Wirklichkeit ist ja diese Losung, Teufel noch einmal,
mit der Geschichte der russischen Revolution verknüpft. Welches
ist die historische Entstehung dieser Parole? Welchen Sinn hat
diese Parole in der russischen Revolution? Sie war das „Pseudo?
nym“ für die Diktatur des Proletariats, nichts mehr. Als wir nach
den Junitagen 1917 einsahen: es geht vorwärts, die Arbeiter und
Soldaten sind für uns, wir können einen Teil der Bauern gewinnen
— da standen wir vor der Frage: wie ist das Ziel des Kampfes am
besten, am einfachsten, am klarsten, am gewinnendsten zu formu?
lieren. Die Parole „Diktatur des Proletariats“ wäre für die breiten
Massen nicht so verständlich gewesen. Woher sollte der Analpha?
bet, der Muschik und def russische Soldat diese lateinischen Worte
„Diktatur des Proletariats“ verstehen? Da haben wir diese Worte
ins Russische übersetzt und gesagt: Du Bauer, du Arbeiter, Soldat,
du siehst diese Bande, die uns regiert, wir haben die Macht, wir
haben die Waffen, willst du eine Regierung der Arbeiter und
Bauern haben? Wir haben ihnen diese lateinischen Worte in die
einfache, verständliche Sprache des revolutionären Kampfes über?
setzt. Der Bauer, der Arbeiter und Soldat ist nicht verpflichtet,
zu wissen, was Diktatur des Proletariats heißt. „Arbeiter? und
Bauernregierung“ hat er verstanden.
Manche unserer Genossen sind dazu gekommen, daß sie diese
Losung als Regierung „aller“ Arbeiterparteien gemeinsam mit
manchen Bauernparteien auslegten. Das heißt, man hat aus dieser
Parole das Gegenteil von dem gemacht, was sie sein sollte. Dagegen
muß aufs entschiedenste gekämpft werden.

Formulierung der Einheitsfront.


Sie wissen: man hat viel um die Frage gestritten: Einheitsfront
„von unten“ oder „von oben“ usw. Ich glaube, wir können folgende
Formulierung gebrauchen:
Einheitsfront von unten — diese Taktik ist eigentlich immer
«

notwendig, vielleicht mit Ausnahme ganz seltener Momente des


sich entfaltenden direkten Bürgerkrieges, wo man schon mit dem
Gewehr in der Faust evtl, gegen jene Arbeiter kämpfen muß,
die konterrevolutionär gestimmt sind (obwohl wir aus der Ge?
schichte der russischen Revolution wissen, daß sogar in diesen
schärfsten Augenblicken die Einheitsfront von unten von uns
durchgeführt werden konnte. In dem Moment, als Kerenski gegen
Petersburg marschierte, haben wir einen Teil der Arbeiter aus
der Sozialrevolutionären Partei gegen ihre eigene Regierung mobb
lisiert und sie haben mit uns gemeinsam gekämpft). Einheitsfront
von unten — immer oder fast immer, denn das bedeutet die
tatsächliche Mobilisierung aller wirklich revolutionären Arbeiter
mit Ausnahme ganz seltener Momente.
Einheitsfront von unten und zugleich von oben. Das ist schon
ein zweiter Fall. Diese Form muß ebenfalls ziemlich häufig an*
gewandt werden. Nicht immer, aber ziemlich oft in den Ländern,
wo wir in der Minderheit sind. Ich glaube, niemand von den
„Linkesten“ wird bestreiten wollen, daß wir z. B. in England, in
Oesterreich, in Belgien, wo wir einstweilen eine kleine Minderheit
sind, die Taktik der Einheitsfront von unten und zugleich von
oben anwenden müssen. Gewiß, mit allen Vorbehalten und
Garantien in ihrer Anwendung als Methode der Agitation, der
M obilisierung der Massen, damit sie nicht zur opportunistischen
Entstellung werde, nicht zur Methode der politischen Koalition
mit der Sozialdemokratie werde.
Der dritte Fall ist die Einheitsfront von oben allein. Ich glaube,
hier muß man sagen: Niemals!
Leider war bei uns die Praxis derart, daß man diese Methode
am häufigsten anwandte. Einen offenen Brief an die Sozialdemo*
kratie richten, lange und langweilige Unterredungen mit den
Spitzen führen zur Aufstellung eines „gemeinsamen Programms“
— das ist natürlich die Linie des geringsten Widerstandes.
Zu dieser Frage können wir also folgendes feststellen: Ein*
heitsfront von unten — fast immer, Einheitsfront von unten
und zugleich von oben — ziemlich o ft, mit allen notwendigen
Garantien als T aktik zur revolutionären Mobilisierung der Massen,
Einheitsfront nur von oben —s niemals! (Zwischenruf R adek:
Richtig!)
Sogar Radek ruft: Richtig! Wie hat sich die Sache in Wirk*
lichkeit gestaltet? Es kam der IV. Kongreß, auf dem die Resolution
über die Arbeiterregierung angenommen wurde. Hier muß ich
wiederum offen gestehen — Revolutionäre müssen immer offen
ihre Fehler eingestehen —, daß bei der Abfassung dieser Resolution
von mir manche Fehler zugelassen wurden, zu viele Konzessionen
gemacht wurden, die als redaktionelle Konzessionen erschienen,
in Wirklichkeit aber in politische Konzessionen an die Rechten
verwandelt wurden. Ich meine folgenden Satz aus der von mir ab*
gefaßten Resolution des IV. Kongresses über die Arbeiterregierung.
„Einer offenen oder maskierten bürgerlich*sozialdemokrati*
sehen Koalition stellen die Kommunisten die Einheitsfront aller
Arbeiter und eine Koalition aller Arbeiterparteien auf ökonomi*
schem und politischem Gebiete zum Kampfe gegen die bürgerliche
Macht und zu ihrem schließlichen Sturz gegenüber. Im vereinten
Kampfe aller Arbeiter gegen die Bourgeoisie soll der ganze Staats*
apparat in die Hände der Arbeiterregierung gelangen und dadurch
sollen die Machtpositionen der Arbeiterklasse gestärkt, werden.“

Ueber „Kompromisse“.
Ich erinnere mich sehr wohl an die Arbeit der Kommission.
Ich will keineswegs sagen, daß alle guten Sätze der Resolution von
mir und die schlechten nicht von mir herrühren. Mein Fehler be*
steht darin, daß ich solche redaktionellen Konzessionen machte,
die später als politische ausgelegt wurden. Vom Standpunkt der
politischen Agitation, des strategischen Manövers muß dieser Satz
als richtig anerkannt werden. Er ist durchaus zulässig.
Im Jahre 1917 schrieb Lenin in seinem Artikel: „Ueber Kom*
promisse“ über ein mögliches Abkommen mit den Menschewiki
und Sozialrevolutionären •zur Bildung einer vor den Sowjets ver*
antwortlichen Regierung durch die letzteren. Er schrieb wörtlich:
„Nun ist eine solche jähe und originelle Wendung der russi*
sehen Revolution eingetreten, daß wir als Partei ein freiwilliges
Kompromiß anbieten können — freilich nicht der Bourgeoisie,
unserem direkten und ersten Klassenfeinde, sondern unseren
nächsten Gegnern, den „führenden“ kleinbürgerlichen Parteien —
den Sozialrevolutionären und Menschewiki.
Nur im Ausnahmefall, bloß kraft der besonderen Lage, die
offenbar nur eine ganz kurze Zeitlang anhalten wird, können wir
diesen Parteien einen Kompromiß vorschlagen, und ich glaube,
wir müssen es tun.
Ein Kompromiß ist unsererseits unsere Rückkehr zu der Juli*
forderung: Alle Macht den Räten, eine vor den Räten verantwort*
liehe Regierung aus Sozialrevolutionären und Menschewiki.
Jetzt, und nur jetzt, vielleicht nur während einiger Tage oder
ein, zwei Wochen, könnte eine solche Regierung sich bilden und
sich vollkommen friedlich konsolidieren. Sie könnte, mit größter
Wahrscheinlichkeit, die friedliche Vorwärtsentwicklung der ganzen
russischen Revolution sichern und hätte außerordentlich große
Chancen, die internationale Bewegung für den Frieden und den
Sieg des Sozialismus weiterzubringen.
Allein im Namen dieser friedlichen Entwicklung der Revolu*
tion — einer in der Geschichte höchst seltenen und höchst wert*
vollen Möglichkeit, einer ausnehmend seltenen Möglichkeit — nur
in ihrem Namen können und müssen die Bolschewiki als Ver*
fechter der Weltrevolution und Anhänger der revolutionären Me*
thoden meiner Meinung nach auf ein solches Kompromiß eingehen.“

52

1
#

Und an anderer Stelle:


„Die Aufgabe einer wahrhaft revolutionären Partei besteht
nicht darin, den unmöglichen Verzicht auf jegliche Kompromisse
zu proklamieren, sondern darin, durch alle Kom prom isse hindurch,
soweit sie unvermeidlich sind, die Treue den eigenen Prinzipien,
der eigenen Sache, der Vorbereitung der Revolution und der Er*
Ziehung der Volksmassen zum Siege in der Revolution zu wahren
zu wissen.“
(S. Artikel „Ueber Kompromisse“ vom 3. September 1917).

Strategisches Manöver — nicht System.


Das war eben, Genosse Smeral, ein strategisches Manöver!
Man sprach von einer „ehrlichen Koalition“. In der Agitation sind
solche Redewendungen zulässig. Ich selbst hatte damals ebenfalls
die Gelegenheit, ähnliche Artikel zu schreiben. Hatte denn Lenin
damals die Absicht, sich mit den Menschewiki auszusöhnen, ein?
zutreten in die Regierung „aller“ Arbeiterparteien oder in eine Re*
gierung aller Arbeiter* und Bauernparteien? Mitnichten! Dies
war ein strategisches Manöver. Wenn man aber diesen Satz „ver*
tieft“, ihn zu einem System, einer „Theorie“ macht, allen Ernstes
meint, in eine friedliche demokratische Koalition mit „allen Ar*
beiterparteien“ eintreten zu dürfen, die sich nur Arbeiterparteien
nennen und in Wirklichkeit dritte bürgerliche Parteien sind, so
führt das zum Opportunismus. Gewiß, die Stärke dieser anderen
angeblichen „Arbeiterparteien“ ist noch sehr groß. Wenn diese
dem Namen nach „Arbeiterparteien“ wirkliche Arbeiterparteien
wären, nicht allein ihrer Zusammensetzung nach, sondern ihrem
politischen Charakter nach — wenn sie sich in Wirklichkeit, sei
es auch nur vorübergehend, uns anschließen würden, so wären
wir jetzt schon eine unbesiegbare Macht in Europa.
Aber sie sind Arbeiterparteien nur in Worten. Darum ist.
eine Koalition „aller“ Arbeiterparteien, solcher, die wirkliche Ar*
beiterparteien sind, wie wir, und solcher, die sich Arbeiterparteien
nennen und objektiv bürgerliche Parteien sind, ein Nonsens, ein
Verbrechen, eine konterrevolutionäre Utopie oder Opportunismus.
Es stellte sich jedoch heraus, daß für eine Reihe unserer Ge*
nossen die Taktik der Einheitsfront nicht nur eine Methode der
Agitation und Mobilmachung der Massen, die Methode einer
Partei war, die weiß, was sie will. Ich hatte es nicht gleich richtig
gesehen. Ich sah nicht, daß man aus dem strategischen Manöver
eine opportinistische Bibel machen wird, obwohl ich sagen muß,
daß ich schon in den ersten Thesen zur Frage der Einheitsfront
ausführlich von den Gefahren einer opportunistischen Deutung
dieser Parole sprach. Aber gerade das hat man getan.

53
I

Die Lehre Sachsens.


Der Gipfelpunkt war Sachsen. Für uns wurde es bald absolut
klar, daß in Sachsen sich eine wahrhaft banale parlamentarische
Komödie der Koalition mit den „linken“ Sozialdemokraten ab?
gespielt hat. Das war das Gefühl aller russischen Bolschewiki
und ich glaube auch aller deutschen revolutionären Arbeiter und
wirklichen Bolschewiki. In diesem Moment war die Scheidelinie da.
Man soll Sachsen nicht mit dem Argument rechtfertigen, wir
hätten die Möglichkeit der Revolution überschätzt. Das ist ein
ziemlich billiges Argument. Sicher ist das Gelingen der Revolution
niemals. Ich sage: wenn eine solche revolutionäre Situation, wie
sie im Oktober 1923 war, sich wiederholt, werden wir noch einmal
darauf bestehen, offen zu bekennen, daß die Revolution an die
Tür pocht. Im Oktober waren die Vertreter der wichtigsten
kommunistischen Parteien hier. Niemand hat ein Wort gegen die
Auffassung der Exekutive gesagt. Alle stimmten darin überein,
daß der Einsatz auf die Revolution gemacht werden muß. Aber
die Hauptverantwortung ruhte auf den Schultern der Exekutive,
der deutschen und der russischen Bruderpartei. Ich wiederhole:
wenn eine solche Situation noch einmal eintritt, werden wir die
Zahlen überprüfen, unsere Kräfte besser zählen, aber wir werden
wieder alles auf die Karte der Revolution setzen.
Daß man die Situation überschätzt hat, ist noch nicht das
Schlimmste. Schlimmer war, daß das sächsische Beispiel gezeigt
hat, welche großen Ueberbleibsel der Sozialdemokratie wir noch
in unserer Partei haben. R adek fragte uns: Habt ihr alle deutschen
Zeitungen so gelesen, wie ich sie gelesen habe, kennt ihr alle Details
über die sächsische „Erfahrung“? Aber die Arbeiter, die Mos?
kauer und die Leningrader Bolschewiki, antworteten ihm: Nun,
wir verstehen nicht die deutsche Sprache, wir können keine
deutschen Zeitungen lesen, aber wir haben drei Revolutionen
durchgemacht: eine 1905 und zwei 1917 unter Führung Lenins.
So viel verstehen wir, daß das, was sich in Sachsen abgespielt hat,
eine banale parlamentarische Komödie war. Die sächsische Er?
fahrung hat die wahre Sachlage offenbart, hat gezeigt, wie es mit
der Einheitsfront und der Arbeiterregierung bei dem rechten
Flügel der K. I. bestellt ist.
Die Resolution des IV. Kongresses zur Frage der Arbeiter?
regierung ist im allgemeinen richtig. Manche Stellen sind aus?
gezeichnet, manche Voraussetzungen wurden gerechtfertigt. Diese
Sätze sind als weit gedachter strategischer Plan der Gewinnung
der Massen zu verstehen. Aber eine ganze „demokratische“
Theorie aufbauen, erklären, daß wir eine ganze Periode von
Arbeiterregierungen der kommunistischen und aller Arbeiter?
t

54

l
Parteien oder sogar noch Bauernparteien haben werden im Rahmen
der „Demokratie“ — das ist der Anfang des Opportunismus.
Wie hat sich die Sache weiter entwickelt? Die Rechte in der
, K. I. ist nach dem IV. Kongreß zur Offensive übergegangen. Es
fand der Leipziger Parteitag statt, wo eine Resolution angenommen
wurde, in der gesagt wird, in Deutschland sei bei der Anwendung
der Einheitsfronttaktik ausschlaggebend die Anknüpfung an die
Illusionen und Vorurteile der breitesten sozialdemokratischen Ar*
beitermassen. Das ist vielleicht eine unglückliche Fassung. Aber
wie ist die folgende Beschreibung der Arbeiterregierung^zu ver*
stehen?
„Sie ist weder die Diktatur des Proletariats noch ein friedlich
parlamentarischer Aufstieg zu ihr. Sie ist ein Versuch der Arbeiter*
klasse, im Rahmen und vorerst mit den Mitteln der bürgerlichen
Demokratie, gestützt auf proletarische Organe und proletarische
Massenbewegungen, Arbeiterpolitik zu treiben . . .“

Die Fehler der tschechoslowakischen K. P.


Nach dem Parteitag in Leipzig kam in Prag der Parteitag des


Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Wenn Sie die
Resolution des Prager Parteitages studieren, finden Sie dort
folgenden Satz:
„Die Arbeiterregierung kann auch ein friedlicher Uebergang
zur Diktatur des Proletariats sein. Sie ist ein Versuch der
Arbeiterklasse, im Rahmen und vorerst mit den Mitteln der
bürgerlichen Demokratie, gestützt auf proletarische Massen*
bewegungen, Arbeiterpolitik zu treiben.“
Wie sie sehen, eine wörtliche Wiederholung. Ich weiß nicht,
ob es elementar geschah, oder ob hierbei ein „Plan“ war. Natür*
lieh ist das letztere der Fall.
#

Es wurde buchstäblich dieselbe „goldene“, in Wirklichkeit aber


opportunistische These aufgestellt. .Wie gesagt, ich weiß nicht, ob
das ganz elementar gekommen ist, oder ob hier ein Plan vorliegt.
(Zwischenruf R adek: Kleine!) Sie wissen ja, daß Genosse Radek
auf anderen Gebieten für einen „Plan“ ist. (Zwischenruf Brandlev:
Radek war ganz unschuldig an der Sache.) Nein, Sie irren, Genosse
Brandler, an der ganzen Sache ist Radek viel mehr schuld als
Sie, wie überhaupt an den opportunistischen Fehlern der letzten
Periode. Bucharin und ich protestierten gegen diesen Satz der Leip*
ziger Resolution, aber auch hier muß ich gestehen, aus Nach*
giebigkeit, da wir noch nicht sahen, daß es sich hierbei um ein
ganzes opportunistisches System handelt, taten wir es nicht offen
und formell, waren wir nicht entschlossen genug, haben nicht
genügend die Macht der Exekutive angewandt.

55
Genosse Radek sagte damals: „Was wollen Sie von Brandler,
Formulierungen sind nicht seine Sache, Brandler ist ein Baus
arbeiter, und wenn er formuliert, so schmeißt er mit Ziegels
steinen.“ Das hat Genosse Radek auf unserem Parteitag gesagt.
Nun gut, Brandler ist ein Bauarbeiter, aber Smeral ist ja kein
Bauarbeiter, wenn er argumentiert, schleudert er keine Ziegels
steine. (Heiterkeit.) Ich muß übrigens sagen, daß der Schluß der
Resolution bei Smeral viel geschickter ausgefallen ist als bei
Brandler. Aber den grundlegenden opportunistischen Satz hat
auch er wiederholt.
Nun, Genossen, wer auf diesem Satz besteht, der gerät in Kons
flikt mit dem Kommunismus und dem Leninismus. Der hat sich
ein Bild von einer besonderen friedlichen Uebergangsperiode der
Arbeiterregierung oder der Arbeiters und Bauernregierung gemacht,
so, als ob alles ohne Revolution, im Rahmen der Demokratie vers
laufen würde.
Nach Leipzig und Prag — und besonders nach Sachsen —
hört die Gemütlichkeit auf. Es ist klar, es handelt sich hierbei
nicht um Worte, sondern um * zwei Systeme der Politik. Die
deutsche Linke, von der wir eine Zeitlang geglaubt haben, sie
übertreibe vieles (und in manchen Dingen hat sie tatsächlich sehr
übertrieben) hatte in diesen Dingen recht. Sie waren die einzigen,
die in Moskau den Ausgang des sächsischen Experiments voraus?
sagten. Das machte uns nachdenklich und zwang uns, die Linke
mit anderen Augen anzusehen.
Das sächsische Experiment hatte eine neue Lage geschaffen,
es drohte, den Anfang der Liquidierung der revolutionären Taktik
der Komintern zu bringen, und da müssen wir eben wählen und
klar aussprechen, um was es sich handelt.

Die Einheitsfronttaktik bleibt voll in Kraft.


Was ist die Taktik der Einheitsfront? Was ist die Arbeiter?
regierung und was ist die Arbeiter? und Bauernregierung? Man
soll nicht versuchen, uns einzuschüchtern, wie es Genosse Radek
manchmal getan hat, indem er sagte, wir unternehmen die Re?
vision des IV. Kongresses und überhaupt fast aller früheren Be?
Schlüsse der K. I. Wozu solche „schrecklichen“ Worte? Wir
wollen bloß die übertriebenen, unvorsichtigen und falschen For?
mulierungen revidieren, die Radek in die Resolutionen des
IV. Kongresses hineingebracht hat. Wir wollen, daß die nicht aus?
nutzt und nach Gutdünken ausgelegt werden können. Wir wollen
so formulieren, daß jeder Bauarbeiter oder Professor klar sieht,
um was es sich handelt. Wir sind für die Anwendung der Ein*
heitsfronttaktik zur Gewinnung der M ehrheit der A rbeiterklasse.

56
Die T aktik der Einheitsfront bleibt voll in Kraft. Wir. sind nach
wie vor für die A rbeiter* und Bauernregierung. In ihrer Instruk*
tion sagt die deutsche Partei mit Recht: Zum Beispiel für ein
Land wie Italien ist die Losung der Arbeiter* und Bauernregierung
ganz richtig. Ich glaube, für Frankreich und eine Reihe anderer
Länder ist diese Parole ebenfalls am Platze. Ich glaube, wenn
wir diese Parole so verstehen, wie sie die Russische Kommu*
nistische Partei verstanden hat, so wird niemand von der wirk*
liehen Linken etwas gegen sie einzuwenden haben.
Woher stammt die Parole? Es wurde manchmal so dargestellt,
Radek hätte sie sich aus den Fingern gesogen. Das stimmt nicht.
Die Parole ist aus der Geschichte der russischen Revolution gekom*
men, und was Radek mit ihr tat, ist nur eine Verdrehung. Wir
wollen diese Parole so anwenden, wie sie die russische Revolution
angewendet hat. Wir haben bereits die Anwendung der Parole der
Arbeiterregierung charakterisiert. (Zwischenruf R adek: Wir haben
in Rußland eine Koalition mit den linken S.R. gemacht.) Wir
werden es nicht ablehnen, auch in Europa in die Räteregierung
dieses oder jenes Bruchstück der Sozialdemokratie aufzunehmen,
soweit es sich von der Sozialdemokratischen Partei lossagen und
geneigt sein wird, uns eine Zeitlang zu unterstützen. Das war-
auch mit den linken Sozialrevolutionären der Fall. Das war ein
Stück, das sich von der Partei der S. R. losgelöst und einen Teil
der Bauernschaft hinter sich hatte. Wir haben sie ins Schlepptau
genommen. Aber sobald sie wieder in ihrer Sozialrevolutionären
Sprache zu reden begannen, wurden wir sie los. Das war eine
richtige Strategie. Hingegen der Plan des Paktes mit der sozial*
revolutionären und der menschewistischen Partei nach dem Ok*
tober war falsch. Es war im Moment der Oktoberrevolution, als
eine Gruppe von Genossen glaubte, es sei möglich, eine Koalition
mit den Sozialrevolutionären und den Menschewiki einzugehen.
Ich selbst gehörte Momente lang zu der Gruppe, die diese Meinung
vertrat. Aber es war ein gewaltiger Fehler. Wir haben das schnell
eingesehen und verbessert. Und deshalb hat schon nach einigen
Tagen Genosse Lenin einen Artikel geschrieben, in dem es hieß,
der Streit sei vorbei, nun kämpfen wir gemeinsam weiter. Also,
ihr wollt diese irrige Politik auch auf andere kommunistische
Parteien übertragen. Um keinen Preis!
D ie Fehler, die in der russischen Revolution begangen worden
sind, werden dadurch ein wenig gerechtfertigty daß sie nicht in
anderen Revolutionen wiederholt werden. So verhält es sich auch
mit der Taktik der Einheitsfront. Es handelt sich nicht darum,
daß man die Einheitsfronttaktik an sich revidiert und an ihr
herumpfuscht. Das wäre überflüssig. Es handelt sich nicht darum,
eine „neue“ Taktik auszudenken; ich schwanke keinen Augenblick,

57
1

zu sagen, daß trotz mancher Fehler bei der Anwendung im großen


und ganzen die Taktik der Einheitsfront mit einem positiven Vor*
Zeichen in unserer Bilanz notiert werden kann. Es handelt sich
bloß darum, die Kommunistische Internationale gegen oppor?
tunistische Auslegungen dieser Parole zu sichern.
Nehmen Sie ein beliebiges Land, zum Beispiel England. In
England wurden auf diesem Gebiete, d. h. in der Anwendung
der Einheitsfronttaktik große Fehler begangen.
*

Erfolge der Einheitsfront in England.


Genossin Ruth Fischer schreibt in der „Internationale“ über
ihre Beobachtungen in England. Ich bin vollkommen mit dem ein*
verstanden, was sie über die Wahlkampagne Fergusons sagt, der
nicht offen als Kommunist auftrat. Wenn wir unser kommu*
nistisches Gesicht verhüllen, wozu brauchen wir die ganze Wahl*
kampagne? Der Genosse N ew bold hat, als er Mitglied des eng?
lischen Parlaments war, mich und den Genossen Bucharin ganz
im Ernst einen ganzen Abend lang mit der Frage gequält, ob es
zulässig sei, daß er im Parlament, ausnahmsweise wenigstens, gegen
die Fraktion der Labour Party auf trete. Wir sagten zu ihm: Dazu
seid ihr ja da! Und dennoch, trotz aller dieser Fehler in der
englischen Partei ist die Einheitsfronttaktik in England sogar mit
einem positiven Vorzeichen zu vermerken. In den lokalen Ge?
werkschaftsbranchen haben die kommunistischen Arbeiter doch an
vielen Orten ganz richtig gehandelt und haben dabei viel ge?
wonnen.
Das ist auch in der tschechischen Partei, lokal, in den Betrieben
usw. ganz gut gemacht worden. Viel Richtiges gab es auch in
Deutschland. Die Fehler lagen hauptsächlich auf dem Gebiete des
Parlamentarismus, der Gewerkschaftsspitzen, der Gemeinderäte
usw. Dort wuchs die Hauptwelle des Opportunismus, aber in
den Betrieben und lokal, von unten ist trotz der unrichtigen
Auffassung und Auslegung der Einheitsfronttaktik durch die Führer
viel Gutes auf diesem Gebiete geleistet worden.
#

Was muß die Einheitsfronttaktik sein?


Nun, Genossen, wie ist die Lage jetzt? Ich habe hier schon
in allgemeinen Zügen die internationale Lage behandelt. Daraus
entspringt auch die Notwendigkeit, manches, in manchen Dingen,
unsere Haltung bei der Durchführung unserer Einheitsfronttaktik
zu modifizieren. Zunächst müssen wir feststellen, daß sie für uns
nur eine Methode der Agitation und Mobilisierung der Massen
ist, wie es in der russischen Revolution der Fall war. Für die

58
4

•j

\\ Sozialdemokraten, für die Reformisten kann die „Arbeiter*


regierung“ einen ganzen Zeitabschnitt ausmachen. Der italienische
Reformist D‘Arragona z. B. sagte in Wien auf dem Kongreß der
Amsterdamer im Juni 1924: „das beste Mittel, um neuen Kriegen
vorzubeugen, ist, möglichst viele Arbeiteregierungen zu bilden“.
Also für D’Arragona, für den ausgesprochenen Reformisten, ist die
„Arbeiterregierung“ ein Allheilmittel gegen alle Krankheiten, das
ihm sogar die Möglichkeit gibt, die Kriege zu vermeiden usw. Für
uns keinesfalls. Wir'haben schon in der Resolution des IV. Kon*
gresses, Radele zuwider, viel Richtiges gesagt. (Zwischenruf
R adek: der schlechte Satz ist von Ihnen, Genosse Sinowjew!)
Der Verfasser der Zweideutigkeiten sind Sie, die ganze Resolution
ist von mir. Aber ich will die Verantwortung nicht abschütteln,
auch für die angeführte’Stelle. Gewiß hätte ich das während des
IV. Kongresses fun sollen, nicht erst auf dem V. Kongreß. Aber
niemand auf dem IV. Kongreß war weitsichtiger, das kann ein
wenig meine Schuld mindern.

DAS PROBLEM DER ARBEITERREGIERUNG.


Typen der „Arbeiterregierungen“.
4

Die Hauptsache ist, daß in der Resolution des IV. Kongresses


** folgende Stelle enthalten ist:
»
f
> „Jede bürgerliche Regierung ist zugleich eine kapitalistische
Regierung. Aber nicht jede Arbeiterregierung ist eine wirkliche
proletarische, das heißt, ein revolutionäres Machtinstrument des
Proletariats. Die * K. I. muß folgende Möglichkeiten berück*
sichtigen:
1. Liberale Arbeiterregierung: Eine solche gab es in Australien,
eine solche Regierung wird auch in absehbarer Zeit in England
möglich sein,
2. Sozialdem okratische Arbeiterregierung (Deutschland).
3. Regierung der Arbeiter und Bauern. Eine solche Möglichkeit
besteht auf dem Balkan, in* der Tschechoslowakei, Polen usw.
4. Arbeiter regierung mit Teilnahme der Kommunisten.
5. W irkliche proletarische Arbeiter regierung, die in seiner Form
nur durch die Kommunistische Partei verkörpert werden
kann.“
__ Ja, es gibt Arbeiterregierungen, die liberale Regierungen sind,
z. B. eine Regierung der Labour Party, wie man sie jetzt hat. Für
D ’Arragona ist jede Arbeiterregierung gut; ich fürchte für Radek,
für manche Genossen aus der Tschechoslowakei ebenfalls, obwohl
das für sie noch nicht die Diktatur des Proletariats ist.
Wir haben jetzt Erfahrungen gesammelt. Jetzt müssen wir
direkt sagen, daß die Parole der „Arbeiterregierung“ und der „Ars
beiter? und Bauernregierung für uns hauptsächlich wichtig ist als
M ethode der Agitation und Organisierung der Massen zum revo?
lutionären Kampfe. Wir müssen natürlich auch die Situationen
ausnutzen, die von liberalen Arbeiterregierungen geschaffen
werden (z. B. der MacDonald?Regierung). Die Parole „Arbeiters
regierung“ ist für uns die anziehendste, die zugänglichste, die popu?
lärste Form für die Gewinnung der Massen, für die Diktatur des
Proletariats. Der Arbeiter, der Bauer usw. wird zuerst die revos
lutionäre Tat vollbringen und erst dann verstehen, daß sie die
Diktatur des Proletariats ist. Wir müssen die volkstümlichsten
Formeln wählen, wie wir es in der russischen Revolution getan
haben. Das ist keine geringfügige Frage, nicht eine Frage der Stis
listik, sondern die Frage, ob wir eine Partei sind* die den Bauern,
den Soldaten dort fassen kann, wo er zugänglich ist, nicht eine
Sekte, sondern eine Massenpartei.
Nun, manche „linke“ Genossen haben dennoch eine große Ab?
neigung gegen die Taktik der Einheitsfront überhaupt. Für diese
Genossen habe ich nur einen Trost: Für uns ist die Frage der
Einheitsfronttaktik und der Arbeiterregierung nur ein Instrument
für die Mobilisierung und Organisierung der Arbeitermassen. Euch
gefällt dieses Instrument nicht? Schön, dann schlage ich euch ein
„Kompromiß“ vor: Sobald ihr die überwiegende Mehrheit der
Werktätigen eures Landes gewonnen haben werdet, werden wir
euch sofort von der Anwendung der Taktik der Einheitsfront
befreien. (Heiterkeit.) Wenn ihr eine Mehrheit in den wichtigsten
Schichten des Proletariats habt, nun dann könnt ihr euch schon
erlauben, mit dieser Taktik etwas weniger 'zeremoniell zu ver?
fahren. Aber die Lage ist einstweilen in den wichtigsten Ländern
noch derart, daß wir diese Mehrheit noch nicht haben. Wir müssen
es verstehen, an die Massen heranzutreten, so wie sie sind, sie zu
gewinnen, sie auf den bolschewistischen Weg zu führen, und dann
können wir die Sache modifizieren.

Man soll sich an die konkrete Situation anpassen.


Es handelt sich hierbei keinesfalls darum, daß man alle Parteien
über denselben Kamm schert. Nein, man muß die Frage konkret
stellen — für jedes Land besonders, je nach der Situation. Nach
einem russischen Sprichwort soll man nicht einen Löffel Teer in
ein Faß Honig tun.
Ich habe gelesen, daß in der Tschechoslowakei Hula und andere
Genossen sich darüber graue Haare wachsen lassen, daß wir jetzt
angeblich sagen: wendet überall die Einheitsfront von unten an!

60
%

Und daß wir es angeblich ablehnen, diese Taktik den Verhältnissen


des gegebenen Landes entsprechend anzuwenden.
Genosse Neurath hat vollkommen recht in seinem Gegen*
artikel gegen Hula, in dem er sagte, die Exekutive hätte niemals
vorgeschlagen, das zu tun, was Hula ihr in die Schuhe schiebt. Die
Exekutive hatte es niemals vorgeschlagen. Wir sagten, in Deutsch*
land seien die Dinge so herangereift, daß man jetzt sagen muß:
Einheit von unten! Zu gleicher Zeit sagten wir, daß z. B. in Polen
die Sache sich wahrscheinlich anders verhält. Anders in Oester*
reich, anders auch in anderen Ländern. Die ganze Kunst der Inter*
nationale besteht in der konkreten Anwendung der Taktik
entsprechend den verschiedenen Verhältnissen, die ganz ver*
schieden, sehr buntscheckig sind. Wir behaupten niemals, alle Par*
teien müßten über denselben Kamm geschoren werden. Genosse
Smeral, bitte, sagen Sie es dem Genossen Hula.
Zum Schluß noch einmal über die Arbeiter* und Bauern*
regierung. Die Arbeiter* und Bauernregierung ist nichts mehr als
eine Methode der Agitation, der Propaganda und MobiU
machung der M assen. Wie ich schon im Jahre 1922 sagte, ist es ein
Pseudonym für die Diktatur des Proletariats. Das hat damals
nur Ernst Meyer, zum Teil auch Radek bestritten, und zwar sehr
unklar, sehr schüchtern. In unserer russischen Partei hat das aber
kein einziger Mensch bestritten, für uns war das ganz klar. Unser
Irrtum bestand darin, daß wir nicht sofort begriffen haben, daß
Radek und seine Freunde mit uns streiten, nicht wegen redaktionel*
ler Formulierungen, sondern, daß sie die Taktik der Einheitsfront
zu einer reform istischen T aktik machen wollten.

Mehr Beachtung der Bauernschaft.


Sie werden sich erinnern, daß ich der Urheber der Parole
„Arbeiter* und Bauernregierung“ in der Sitzung der Erweiterten
Exekutive war. Was hat mich dazu bewogen? Das Bewußtsein, daß
wir in manchen Ländern, und zwar ziemlich rasch uns der Frage
der Machtergreifung zu nähern beginnen. Ich will mich nicht
brüsten, ich hätte schon damals gefühlt, daß die deutschen Ver*
hältnisse heranreifen. Nein, das war nicht der Fall. Aber unser
Bewußtsein sagte uns, daß in manchen Ländern die Frage der
Machteroberung aktuell zu werden beginnt. Darum haben wir
schon längst versucht, den Parteien zu sagen: Ihr sollt euch um
die Bauernschaft kümmern! Gewiß, eine Partei, die selbst in der
Perspektive an die Machteroberung nicht einmal denkt, braucht es
nicht, sie bleibt eine halbe Zunftpartei, eine reine „Arbeiterpartei“.
Aber in dem Moment, wo eine Partei eine ernste kommunistische
Partei wird, eine Massenpartei, muß sie die Perspektive der Macht*

61

t
0

eigreifung haben, muß sie sich überlegen, wie sich die Bauern ver?
halten werden, wie das flache Land auf das Wachstum der Arbeiter?
partei reagieren wird. Deshalb ist für uns die Parole der „Arbeiter?
und Bauernregierung“ ein Ausdruck dessen, daß wir in manchen
Ländern in nicht allzu ferner Zukunft die Frage der Machter?
oberung aufstellen werden. Das ist der Ausdruck dafür, daß dem
Proletariat die Hegemonie in der Revolution und der Partei die
Führung des Proletariats gehören muß. Es war für uns gewisser?
maßen der Uebergang von der Propaganda zur Massenagitation,
zur revolutionären Tat.
Es besteht ein Unterschied zwischen Agitation und Propa?
ganda. Am lapidarsten hat diesen Unterschied Plechanow ausge?
sprochen, als er noch Marxist war: die Propaganda ist die Vermitt?
lung eines gewissen Ideenkomplexes an einen kleinen Zirkel von
Personen; Agitation ist, wenn wir eine Hauptidee an eine große
Masse von Leuten weitergeben. Ich glaube diese Definition kann
uns genügen. Sie ist richtig. Die Parole „Arbeiter? und Bauern?
regierung“ entstand eben dadurch, daß wir in manchen Parteien
schon von der üblichen Propaganda des Kommunismus zur Massen?
agitation in den Volksmassen und zur Vorbereitung des Kampfes
um die Macht übergehen mußten. Wenn wir die Frage des Kampfes
um die Macht stellen, müssen wir eben dieses Stichwort ausgeben,
das volkstümlich ist, das Anziehungskraft hat, das bei guter revolu?
tionärer Auslegung für die Arbeiter ein Magnet sein kann, für alle
diejenigen Schichten, die wir teilweise neutralisieren und teilweise
für uns gewinnen müssen.
Also, für uns ist die Parole „Arbeiter? und Bauernregierung“
der Ausdruck der führenden Rolle, der Hegemonie des Proleta?
riats in der Revolution. Sie ist ein Ausdruck des W illens zur
M acht, des Dranges, eine eigene Regierung zu bilden, die das Land
verwaltet und die dem Bauern gegenüber geschickt manövriert.
Und diese lebendige Idee des Leninismus, diesen lebendigen Quell
dea Leninistischen Schaffens und Agitierens in den Massen hat man
versucht (und teilweise mit Erfolg) durch opportunistische Aus?
legung zu vernichten!
%

Linke Abweichungen in der Einheitsfronttaktik.


Ich rate unseren Genossen, besonders den Genossen aus
Deutschland, die ja — und das ist nach all den sächsischen Experi?
menten und Fehlern, die gemacht wurden, durchaus zu verstehen —
sich jetzt aus Reaktion die Ohren mit Watte verstopfen, sobald
über Einheitsfront gesprochen wird, diese Dinge sich ernsthaft
durch den Kopf gehen zu lassen.

62
Der linke Genosse Buvian (der junge Burian) in der Tschecho*
r
Slowakei schreibt z. B., die Einheitsfronttaktik sei die „Hauptquelle
f des Revisionismus“. Das ist nicht richtig. Wer ein Revisionist ist,
wird schon eine Quelle finden. (Heiterkeit. Rufe: Richtig!). Er wird
sie im Parlamentarismus finden usw. Wir können nicht die Sozial*
J demokratie besiegen, wenn wir uns vor unserem eigenen Schatten
fürchten und sagen, Einheitsfronttaktik sei eine Quelle des' Revi*
sionismus. Die Taktik muß man annehmen, aber man muß sie
vom opportunistischen Schmutz reinigen.
Es werden sich stets Leute finden, für die diese Parole eine
.„Quelle“ des Revisionismus ist. Wir müssen das Gute, das
Leninistische der Einheitsfronttaktik entnehmen, müssen von der
Parole der Arbeiterregierung des Volkstümlichste nehmen, und das
Vertrauen der Massen gewinnen, nicht nur der Arbeiterklasse,
sondern auch aller Unterdrückten. Wir, die wirklichen Linken der
K. I„ müssen diese Arbeit in unsere Hände nehmen, nur dadurch
werden wir die Fehler der wirklichen Rechten beseitigen und jene
Rechten überzeugen, die man überzeugen kann und diejenigen
bekämpfen, die nicht zu überzeugen sind. Der V. Kongreß darf
seine Aufgabe nicht darin erblicken, zu erklären, die Einheitsfront
sei nicht richtig, sondern muß Schritte unternehmen zur Schaffung
von Vorsichtsmaßregeln gegen die Entstellung dieser Taktik, muß
eine Art Impfung gegen den Opportunismus vornehmen, wie gegen
Pocken.
In Deutschland ist das Geschwür geplatzt. Dort wurde es zu
Ende getrieben. Die logische Vollendung der rechten Tendenzen
sahen wir in Sachsen.
Ich glaube, wenn es in der Tschechoslowakei zu einem solchen
Platzen des Geschwürs, wenn es zu einer solchen politischen Kata*
Strophe nicht gekommen ist, so nur deshalb, wel dort die Ereignisse
nicht so herangereift waren. Die Stellungnahme des Prager Partei*
tages, der Artikel des Genossen Hula signalisieren dies, und bei
der Apathie und der unklaren Führung der tschechischen Partei
fürchte ich, wenn die Lage so gewesen wäre, wie sie in Deutschland
» war, hätten wir einen zweiten sächsischen Durchfall erlebt.

DIE KONKRETEN AUFGABEN DER HAUPT*


PARTEIEN .
Ich komme zum Schlußkapitel: Ueber die konkreten Aufgaben
der wichtigsten Parteien. Da muß ich der KPD. zustimmen, die
sagt, es handele sich vor allem darum, daß dieser Kongreß kon krete
Anweisungen gibt.

63
Die englische Partei.
Die politisch wichtigste Sektion der Kommunistischen Inter*
nationale ist jetzt nicht die deutsche, nicht die russische, sondern
die englische. Wir haben dort eine merkwürdige Lage, eine Partei
von dreitausend bis viertausend Mitgliedern, die aber weit
mehr Einfluß hat. In England besteht eiben eine andere Tradition.
Die Partei MacDonalds ist nicht viel stärker als unsere. Ihr Wochen?
blatt „New Leader“ hat eine Auflage von 15 000, unser Blatt von
55 000. In England fehlt die Tradition der Massenparteien. Mit
Recht sagt Max B eer, daß der alte Keir H ardie seinerzeit seine
ganze Partei auf der individuellen Bearbeitung der Führer aufgebaut
hätte. In England eine Kommunistische M assenpartei schaffen —
darin besteht die H auptaufgabe unserer ganzen Periode. Die Vor*
bedingungen sind dazu da. Ich sprach davon ausführlich in meinem
Artikel: „Das erste Jahrfünft der K. I.“
Die großen Massen der englischen Arbeiter hängen noch an
MacDonald und sprechen oft mit Liebe von ihm.
Ich habe das Gefühl, es ist dasselbe wie bei uns in den ersten
Monaten der Kerenski?Regierung. Man durfte kein Wort gegen
Kerenski sagen. Man mußte ihn kritisieren auf Umwegen. Erst
eine Stunde lang reden: Kerenski ist ein guter Kerl, ja fast ein
großer Mann, aber vielleicht begeht er doch manchen Fehler. In
England besteht jetzt eine ähnliche Lage. Die Arbeiter hängen
noch an MacDonald, sind noch voller Illusionen. Er hat eine ver?
hältnismäßig gute Position, darum, weil er noch keine Mehrheit
im Parlament hat. So kann er den Arbeitern sagen: Ich würde
viel mehr bieten, ich habe aber keine Mehrheit. Bei den nächsten
Wahlen, wenn wir eine Mehrheit haben, werden wir zeigen, was wir
sind, wir werden auf treten wie die Löwen, da soll der Tanz los?
gehen.
Die Lage ist also nicht so einfach. Die MacDonald?Regierung
befindet sich noch auf der aufsteigenden Linie der Popularität.
Sollten wir aber passiv warten, bis die Linie abwärts geht, dann
brauchen wir keine kommunistische Partei. Die Sozialdemokraten
werden sowieso bankrott machen, auch ohne uns werden sie früher
oder später politisch krepieren. Das ist unzweifelhaft. Aber wir
sind da, um diesen Prozeß zu beschleunigen. Darum muß unsere
Partei in England heute MacDonald entschieden bekämpfen, damit
die Masse, wenn sie selbst zur Erkenntnis kommt, einsieht, daß
wir, die Kommunisten, schon früher richtig die Lage taxiert haben.
Im Jahre 1921 mußte Lenin gegen W ynkoop und die andern
damaligen „Linken“ dafür kämpfen, daß die Kommunisten in die
Labour Party eintreten. Im Jahre 1924 ist eine andere Lage einge?
treten. Wir haben in England eine „Arbeiterregierung“, wir haben

64
die MacDonald?Regierung. Jetzt muß unser Häuflein Kommunisten
seinen historischen Weg gehen. Es muß 1. zu einer Massenpartei
werden; 2. eine Tageszeitung ins Leben rufen. Wenn man mit den
englischen Genossen darüber spricht, so halten sie das für eine
allzu große Mütze für ihren Kopf und haben Sorge, wie sie da
hineinpassen würden. Wir müssen 3. noch tiefer in die Massen der
Gewerkschaften hinabsteigen, um dort einen linken Flügel zu
bilden; 4. mehr Aufmerksamkeit der Jugend widmen. Bis zur
letzten Zeit gab es keine Jugendbewegung in England, sie steckt
erst in den Kinderschuhen; 5. die koloniale Frage anfassen mit
Wagemut, wie es den Bolschewiki geziemt; 6. die rechten Fehler
dort bekämpfen, wo sie sind, eine andere Wahlkampagne führen,
nicht die Wege gehen, die Rosm er vorschlug, sondern es verstehen,
in der Agitation draufgängerisch zu sein. Das sind die wichtigsten
Fragen für die englische Partei.

Die Entwicklung der französischen Sektion.


Die zweitwichtigste Partei der K. I. ist die französische, eben?
falls wegen der neuen weltpolitischen Lage („demokratisch?pazi?
fistische“ Aera), über die ich schon gesprochen habe.
Ich glaube, die französische Partei hat große Fortschritte ge?
macht. Sie steht viel stärker da als früher, sie hat eine gesunde,
robuste Linke, die wir unterstützen. Das frühere Zentrum und die
Linke müssen zu einer gemeinsamen Linken werden ohne Frak?
tionen, im guten kommunistischen Sinne dieses Wortes, und im
Geiste der Kommunistischen Internationale arbeiten. Die fran?
zösische Partei muß die großen Arbeiterzentren im ganzen Lande
erobern. Sie hat momentan ein Uebergewicht nur in Paris. Das
ist ein großer Stützpunkt. Bei der alten Brandlerschen Zentrale
war es so, daß sie „alles“ hinter sich hatte, nur nicht Berlin und
Hamburg. Dann stellte sich heraus, daß sie auch alles andere
nicht hinter sich hatte.
Die französische Partei hat jetzt Paris, aber im Lande selbst
sind ihre Verbindungen mit den Organisationen noch zu schwach.
In Schweden hat Genosse Höglund „alles“, außer Stockholm.
Ich werde keine Konsequenzen daraus ziehen. Genosse Höglund
soll das selbst auf Grund einiger Beispiele tun.
Die Hauptaufgabe der französischen Partei ist jetzt, in die
proletarischen Zentren zu gehen, in die Industriedepartements, die
außerhalb von Paris liegen.

Das Verhältnis zum Linksblock.


Unsere Tätigkeit muß jetzt den Illusionen Rechnung tragen,
die durch den „linken Block“ erzeugt werden. Jetzt sollen wir die
5 65
Einheitsfronttaktik in etwas neuer Gestalt anwenden. Die franzö*
sische Sozialdemokratie wollte sehr schlau sein, sie ist nicht offen
in die Regierung eingetreten, sie wird aber für das Budget, für die
Ruhrbesetzung usw. stimmen. Sie ist ein Bestandteil der Regie#
rung. Wir werden ebenfalls „schlau“ sein, wir werden den sozia#
listischen Arbeitern sagen: das ist doch nicht eure Regierung,
eure Leute sitzen nicht in der Regierung, was geniert euch, das
ist eine bürgerliche Regierung, warum sollen wir nicht gemeinsam
gegen sie kämpfen — für Amnestie, für die Ruhrräumung, für
bessere Löhne, für die Anerkennung Sowjetrußlands, für den Acht#
stundentag usw. Wir müssen eine kluge Einheitsfronttaktik
führen. In dem Moment, wo die Sozialdemokratie offiziell zur
dritten Partei der Bourgeoisie wird, ist die Blütezeit der Einheits#
fronttaktik von oben natürlich vorbei. Im Moment, wo die
Spitzen der Sozialdemokratie mit den Bürgerlichen sich in politische
Regierungskombinationen einlassen, ist die Situation am passend*
sten, um die „untersten“ Schichten der sozialdemokratischen
Arbeiter für den gemeinsamen ökonomischen und dann auch für
den politischen Kampf mit uns zu gewinnen.
Wenn uns das gelingt, so haben wir die idealste Lage. Die
sozialdemokratischen Spitzen sind an der Regierungskombination
mit der Bourgeoisie interessiert. In diesem Moment muß es uns
gelingen, tiefere Schichten der sozialdemokratischen und partei*
losen Arbeiterschaft durch den ökonomischen Kampf zu erfassen
und für eine Kombination mit uns zu engagieren. Dann wird die
Sozialdemokratie zerrieben werden zwischen diesen beiden Kom*
binationen. Die Unzufriedenheit der Massen muß unvermeidlich
wachsen, die Arbeitslosigkeit geht weiter, die ökonomische Lage
verschlimmert sich, das Sachverständigengutachten wird nicht
mehr helfen.
Das ist die ideale Lage für die Gewinnung der besten Schich*
ten der Arbeiterklasse für uns, und zwar am meisten in Frankreich.

Organisatorische Aufgabe.
Die Hauptaufgabe der französischen Partei ist, das Land, die
Industriemittelpunkte außerhalb von Paris zu gewinnen, den
Parteiapparat auszubauen und zu festigen. Wir haben in Paris
8000 Parteimitglieder und dabei 50 000 Abonnenten der „Humanite“
und 300 000 Stimmen bei den Wahlen. ' Was bedeutet das? Eine
beträchtliche Rückständigkeit der französischen Arbeiter. Wir
müssen die französischen Arbeiter an eine andere organisatorische
Praxis gewöhnen. Die Föderation de la Seine soll bald 25 000 Mit#
glieder zählen. Die wichtigste Aufgabe der französischen Partei
ist: die letzten Ueberreste des Frossardismus auszumerzen, das

66
frühere „Zentrum“ muß zusammen mit der Linken mutig und .auf*
richtig marschieren. Die französische Partei muß mit Hilfe der
glänzenden Eigenschaften vor allem der Pariser Arbeiter in der
Provinz gewinnen in dem Moment, wo die sozialdemokratischen
Spitzen sich in Regierungskombinationen mit der Bourgeoisie ein*
lassen werden. Die Betriebszellenbewegung steckt in den An*
fangen. Man spricht viel über „hohe“ Politik. Aber einstweilen
gibt es in Frankreich nur 120 Betriebszeilen. Diese Fortschritte
sind noch nicht sehr ernst zu nehmen. Parteizellen und Betriebs*
räte sind unsere ersten Forderungen an die K.P.F. Die Parole
„Arbeiter* und Bauernregierung“ ist in Frankreich mehr am Platze
als in irgendeinem anderen Lande. Tiefer hinein in die Bauern*
massen, auf das flache Land! Eine gute%kommunistische Presse,
ein fester, organisatorischer Parteiapparat! Bessere internationale
Verbindungen! So lauten die Aufgaben!

Die deutsche Frage ist in den Hauptpunkten geklärt.


Nun zur deutschen Partei. Wir haben einen speziellen Punkt
auf der Tagesordnung: die deutsche Frage. Ich persönlich bin
jetzt der Meinung, daß wir diesen speziellen Punkt ruhig von der
Tagesordnung absetzen können, •weil die Frage bereits in den
Hauptzügen geklärt ist. Im letzten Jahr hat man über die deutsche
Partei am besten geredet und geschrieben. Ich sehe jedenfalls
jetzt keine spezielle deutsche Frage vor mir. Die Lage in Deutsch*
land ist schwierig. Die allgemeine politische Perspektive bleibt
unverändert. Die Lage ist revolutionsschwanger. Neue -Klassen*
schlachten sind wieder im Gange, ein gewaltiger Kampf geht vor
sich. Die Kommunistische Partei Deutschlands ist bis jetzt im
allgemeinen auf der Marschroute der Kommunistischen Internatio*
nale. Die Krise war sehr tiefgehend, die Gefahren waren groß. Es
bestand die Gefahr einer Parteispaltung.
Die polnischen Genossen fragen, warum wir so rasch die
Brandlersche Zentrale desavouiert hätten. Man muß es doch ver*
stehen, Genossen, wenn man noch ein wenig gezögert hätte, wäre
die Spaltung unvermeidlich geworden, die Krise war so schwer, daß
wir sagen können, daß sie noch recht glimpflich abgelaufen ist.
(Severing: Sehr richtig!)
Nun zum Streit mit den „Ultralinken“. In dem Moment, wo
wir noch nicht wußten, wohin die Reise ging, mußten wir ein*
greifen und die Gefahren sogar ein wenig überschätzen. Wir
wußten noch nicht, inwieweit sie numerisch stark sind, aber wir
wußten, daß sie Menschewiki mit umgekehrten Vorzeichen sind.
Im gegenwärtigen Moment sind sie zum Teil schon liquidiert. Die
b*
67
neue Zentrale weist diese Liquidatoren von „links“ in die
Schranken, und ich hoffe, daß sie mit ihnen fertig werden wird.

Die Schwierigkeiten der KPD.


Sehr große Schwierigkeiten bestehen noch in der G ew erk*
schaftsfrage. Die Zentrale soll schonungslos jeden geringsten
Versuch bekämpfen, die Frankfurter Beschlüsse zu revidieren und
die Frage des Austrittes aus den Gewerkschaften zu berühren.
Die parlam entarische Lage ist auch nicht einfach. Wir haben
jetzt in Frankreich und in Deutschland, in beiden Parlamenten
eine Lage ähnlich derjenigen, die Lenin als „Pendellage“ bezeichnet
hat. In diesen Parlamenten kann es zwei gleiche Kräfte geben
und es können Momente eintreten, wo unsere Fraktion das
Zünglein an der Wage bildet. Das wird uns in Deutschland und in
Frankreich faktische Schwierigkeiten bereiten. Die deutsche
Partei hat ebenfalls viel versäumt und versäumt noch auf dem
Gebiete der Arbeit unter den. Bauern. Das muß nachgeholt
werden. Das muß gutgemacht werden. Man kann noch eine
Reihe anderer Teilaufgaben auf zählen, aber ich will es nicht tun.
Die deutsche Partei hat sich als eine im Grunde genommen gesunde
Partei erwiesen. Der Organismus ist mit der schweren Krankheit
gut fertig geworden. Wäre der Organismus der K.P.D. nicht so
robust und proletarisch gewesen, so hätten wir noch viel mehr
Schwierigkeiten.
Wenn die „Ultralinken“ noch aufzutauchen versuchen sollten,
so werden wir sie weiter bekämpfen. Wenn die alte linke Ab?
weichung auch in der Gewerkschaftsfrage auftaucht, werden wir
sie bekämpfen. Es besteht zwischen uns und der Zentrale der
K.P.D. Freundschaft, aber nicht Kumpanei. Es gibt keine Beweg?
gründe, die uns hindern würden, Fehler zu bekämpfen, wenn solche
entstehen. Sie haben gesehen, daß wir es taten, als die Linken
Irrtümer begingen. Und wir werden es auch fernerhin tun. Die
K.P.D. hat wie jede andere Partei das Recht, die Exekutive zu
kritisieren. Sie hat dieses Recht mehr als zur Genüge ausgenutzt.
Wir brauchen auch keine Jasager. Aber die deutsche Partei
braucht auch keine Exekutive, die nicht offen sagt, was zu sagen
wäre. Die Exekutive kann und wird alles kritisieren und korrigie?
ren, was notwendig ist. Ich glaube, die linken Elemente, die die
Mehrheit der K.P.D. ausmachen, werden sagen, daß wir gut getan
haben mit unserer Einmischung, als man von der „neuen Taktik“
in den Gewerkschaften zu reden begonnen hat. Wenn manche
glaubten, die Exekutive würde ohne weiteres die deutsche Partei
an die „Ultralinken“ ausliefern, so werden sie jetzt einsehen, daß
sie sich geirrt haben. Die Exekutive hat das nicht getan und wird

68
*

es niemals tun. Wir werden für den Leninismus in der K.P.D.


kämpfen. Insofern die neue Zentrale dem entgegenkommt, können
wir nur unsere Genugtuung darüber ausdrücken.

In der tschechoslowakischen KP.


Ich komme zur tschechischen Partei. Ich habe schon vor*
übergehend von ihr gesprochen und habe nicht viel hinzuzufügen.
Ich habe den Eindruck, daß der tschechischen Partei eine ständige
regelmäßige angespannte revolutionäre Führung fehlt. Man
arbeitet von Fall zu Fall. Es kommen die Wahlen oder etwas Aehn*
liches — da findet eine Belebung statt, dann schläft die Arbeit
wieder ein. Eine kontinuierliche revolutionäre Leitung ist nicht
zu fühlen. Ich glaube also, daß die tschechische Partei vieles zu
bessern hat. Es müssen frische proletarische Kräfte in die Füll*
rung kommen. Die revisionistischen Elemente, die noch vorhan*
den sind, müssen ausgemerzt werden. Wenn ich die volle Hoff*
nung habe, daß Genosse Hula seinen Irrtum bald gutmachen wird,
so habe ich diese Hoffnung z. B. beim Genossen Vanek fast nicht.
In der tschechischen Partei gibt es Elemente, die mehr oder
weniger unverbesserliche Zentristen sind. An dem guten Willen
des Genossen Smeral brauchen wir nicht zu zweifeln. Wir müssen
aber die Ausmerzung des Fehlers fordern, der in der zitierten Stelle
des Prager Parteitages zum Ausdruck kommt — eines Fehlers, der
von der ganzen Kommunistischen Internationale abgelehnt wird,
und wir brauchen bloß noch, daß er in der tschechischen Partei
liquidiert wird. Mehr A ufm erksam keit der nationalen und der
Bauernfrage als bisher — dies trifft unzweifelhaft besonders für
die tschechoslowakische Partei zu.

In der polnischen Sektion.


Nun zu den andern Ländern. Ich werde mit Polen anfangen.
Sie wissen, daß man ziemlich lange die polnische Sektion zu den
besten bolschewistischen Sektionen der Kommunistischen Inter*
nationale gezählt hat. Das trifft auch jetzt zu in bezug auf die
polnische Arbeiterklasse, die revolutionären Traditionen in Polen,
die ausgezeichneten proletarischen Kommunisten, die alle Nöte
einer illegalen Partei zu ertragen haben. Ich muß offen gestehen;
mit den führenden Organen der Partei ist die Sache schlechter
bestellt. Die Führung der polnischen Partei hat in den wichtigsten
Fragen, durch die die ganze Taktik der K.I. bestimmt wird, in der
deutschen und in der russischen Frage, viel zu viel Diplomatie ge*
trieben. Und das erzeugt traurige Gedanken. Die polnischen
Genossen aus dem Zentralkomitee kennen die russischen Verhält*

69
Ir
nisse besser als die andern, die deutschen Verhältnisse kennen sie
auch recht gut. Sie stellen sich jetzt auf den Standpunkt des Z.K.
sowohl in der russischen wie auch in der deutschen Sprache. So
behaupten sie.
Diese Erklärung hat nur einen Mangel: Sie kommt etwas zu
spät. Es gibt eine russische Redensart: „Senf nach dem Abend?
essen.“ Nun, Genossen, Senf nach dem Abendessen kann manch?
mal auch gut sein, aber wir wollen lieber Senf beim Essen genießen.-
Was die Durchführung der Einheitsfronttaktik betrifft, so
haben die polnischen Genossen selbst auf ihrer eigenen Konferenz
zugegeben, daß recht große Fehler begangen worden sind. Man
hat in der Presse wiederholt die Arbeit des Genossen Krulikowski
im polnischen Sejm kritisiert. Ich muß sagen, so weit ich sein
Auftreten verfolgen kann, halte ich es für ein heldenmütiges
(Zwischenruf: R adek: Sehr richtig!) für ein richtiges und revolu?
tionäres Verhalten. Man soll nicht wegen einer einzigen geringen
Entgleisung den Genossen am Aermel zupfen, man darf nicht die
Umstände vergessen, die schwierigen Bedingungen der Arbeit im
weißgardistischen Parlament. Im allgemeinen nutzt Genosse
Krulikowski den Parlamentarismus im Geiste Karl Liebknechts
aus. Alles übrige, Genossen, sind Kleinigkeiten.
Ich kann nicht dasselbe sagen vom leitenden Organ der polni?
sehen Partei. Während des Krakauer Aufstandes — wo war unsere
Partei? Sie war nicht da. Ich sage nicht, daß eine Partei immer
die Mehrheit haben muß, aber, Genossen, in einem Moment, wo
ein Aufstand von Regimentern aufflackert, — wenn in diesem
Moment die Kommunistische Partei durch Abwesenheit glänzt, so
gibt das schon zu denken. Ja, die Schwierigkeiten der Arbeit in
Polen sind wirklich groß und ungewöhnlich. Wir wissen wohl,
was illegales Arbeiten unter solchen Umständen ist. Wir kennen
das heroische Wirken der Z.K.?Mitglieder, die unmittelbar in
Polen arbeiten. Aber die politische Spitze des Z.K. krankt an
Diplomatie. Das Z.K, ist nicht einheitlich. Ich bin fest davon
überzeugt: in dem Moment, wo die polnischen kommunistischen
Arbeiter erfahren, wo sie der Schuh drückt, wo in der Führung
etwas falsch ist, wie die wirkliche Kontroverse zwischen ihrem
Z.K. und der Internationale und insbesondere der K.P.R. ist —
in diesem selben Moment werden die polnischen Arbeiter auf
unserer Seite stehen, auf der Seite der Kommunistischen Inter?
nationale, auf der Seite der Kommunistischen Partei Rußlands, und
nicht auf seiten der Diplomatie. Ja, Diplomatie gegen bürgerliche
Feinde, gegen die Sozialdemokraten ist eine ganz gute Sache, aber
nur gegenüber unseren Feinden! Das müssen wir auch manchmal
tun. Gegen eine solche Diplomatie läßt sich nichts einwendem
Aber in unserer Kampfgemeinschaft, in unserer Internationale,

70
hier braucht man keine Diplomatie. Ich glaube, um den Namen der
polnischen Sektion als einer der besten bolschewistischen Parteien
wieder herzustellen, ist es notwendig, ein wenig die Fehler der
Spitzen des polnischen Z.K. zu korrigieren.

IN DER ITALIENISCHEN SEKTION.

Unser Verhältnis zu den Sozialisten.


Jetzt, Genossen, über Italien. Da haben wir zwei praktische
Fragen: 1. das Verhalten gegenüber den sogenannten „Terzini“,
2. das Verhalten gegenüber der Sozialistischen Partei Italiens. Wir
müssen, glaube ich, die sofortige Vereinigung mit den Terzini, mit
den Anhängern der III. Internationale, beschließen. Die Zeit
dafür ist gekommen. Ob die „Terzini“ in die Parteileitung kom?
men müssen — diese Frage ist für mich nebensächlich. Gewiß
müssen sie in die Leitung kommen, wir sollen uns ihnen gegen?
über auf die 21 Bedingungen nicht versteifen. Die Genossen wollen
schon seit zwei Jahren in unsere Partei. Aber wir sagten zu ihnen:
Bleibt in der alten Partei zur Eroberung der Partei von innen
heraus. Wir müssen für die S.P.I. den alten Beschluß der Exeku?
tive gelten lassen, d. h. die Tür offen lassen, um sie als sympathi?
sierende Partei aufzunehmen. Bei den jüngsten Wahlen ist be?
wiesen worden, daß hinter dem „Avanti“, hinter der Sozialistischen
Partei Italiens, noch große Arbeiterschichten stehen. Sie werden
sich erinnern, daß auf dem IV. Kongreß die italienischen Ultra?
linken sagten, es stünden hinter der S.P.I. keine Arbeiter, sondern
nur Angestellte, Kleinbürgertum usw. Es ist jetzt durch die
Wahlen unwiderleglich bewiesen worden, daß hinter der Sozialisti?
sehen Partei Italiens noch Hunderttausende guter Proletarier
stehen. Lazzari, Clerici und andere sind keine Kommunisten. Sie
sind Gefühlsrevolutionäre. Neulich habe ich vom alten Lazzari
einen Brief erhalten, in dem er schreibt: es ist eine Gewissensfrage
— einerseits die Partei — andererseits die K.I.; er könne keinen
Disziplinbruch begehen, aber er bleibe der III. Internationale
treu usw. Aber ich weiß, daß hinter der S.P.I. Hunderttausende
von Arbeitern stehen, von denen viele für uns sind. Der Politi?
kaster Vella ist jetzt, scheint es, fast ganz abgesägt, selbst für die
S.P.I. Das ist ein Beweis dafür, daß wir die Tür offen halten und den
früheren Beschluß hierin bestehen lassen müssen. Es hat sich
gezeigt, daß die extrem „linken“ Kommunisten in Italien etwas
Falsches sägten, als sie erklärten, hinter der Sozialistischen
Partei ständen keine Arbeiter. Es stehen hinter ihr Tausende von
Arbeitern, die immer noch glauben, daß die Sozialistische Partei

71
i
halbwegs der III. Internationale angehört, daß es sich einfach um
ein Mißverständnis handelt, das man aufklären soll.
Gegen die zentristischen Elemente der S.P.I. muß der Kampf
natürlich weitergeführt werden.

Die Lage in der K.P.I.


Was unsere Kommunistische Partei in Italien betrifft, so haben
die Wahlen gezeigt, daß sie doch eine sehr starke, gute Partei mit
einem gesunden proletarischen Kern ist. Dieser Partei gehört
. unsere ganze Unterstützung. Sie ist unsere Hoffnung. Sie ist die
einzige Vertreterin der K.I. in Italien. Jedoch die Schwächen, die
wir kritisiert haben, bleiben bestehen. Die letzte Zeit hat die
Richtigkeit der Auffassung der K.I. gezeigt. Sie kennen die Tat*
Sache, daß wir jetzt dort drei Fraktionen haben. Ich weiß nicht,
welche Fraktion über die faktische Mehrheit verfügt. Wir werden
mit unseren Schlußfolgerungen abwarten. Aber ich weiß, daß die
ultralinke Fraktion politisch unrecht hat. Bordiga fordert in
seinen Thesen die „vollständige Bestätigung“ der Thesen von Rom
aus dem Jahre 1922, der ganzen Politik der K.P.I., und der Taktik
gegenüber den „Arditi di Popolo“, das heißt, eine Anerkennung
jener Thesen, die wir schon zwanzigmal kritisiert haben, noch
gemeinsam mit Genossen Lenin. Bordigas Freund, Rossi, schreibt:
„Hingegen ist nicht kommunistisch eine Taktik, die von der
Situation Weisungen oder Eingebungen für die taktischen Metho*
den erwartet.“
Die Frage: an was sollen wir unsere Taktik anpassen, wenn
nicht an die Tatsachen, an die konkrete Situation? In der italie*
nischen „Linken“ gibt es solche Doktrinäre, die glauben, daß wir
Zusammenkommen und ein für allemal auf Grund gewisser „Prin*
zipien“ irgendeine taktische Alchimie ausarbeiten können, die für
alle Zeiten brauchbar wäre. Gewiß, wir dürfen unsere Taktik
nicht herabwürdigen, wir dürfen sie nicht bei den geringfügigsten
Veränderungen der Situation wechseln. Aber den Tatsachen Rech*
nung tragen, ist wahrhaftig auch uns Kommunisten nicht schädlich.
Wir bleiben Kommunisten unter allen Umständen. Das ist klar.
Daß wir aber die kommunistische Taktik der Situation anpassen
müssen, ist so selbstverständlich, daß wir darüber nicht mehr zu
reden brauchen. Und nur Genossen, die keine Fühlung mit den
Massen haben, die keine Marxisten sind, können das Gegenteil
fordern.
Die italienische Frage ist eine etwas heikle Frage. Bordiga
und seine Freunde sind gute Revolutionäre, die treu zur Inter*
nationale halten, aber die Schwächen, die Lenin bei ihnen kritisiert
hat, bestehen noch bis jetzt. Hier ist die Lage nicht so, daß dio

72
Internationale nachgeben müßte: nachgeben müssen Bordiga und
seine Gesinnungsfreunde. Wenn sie ihren Dogmatismus loswerden,
werden sie der italienischen Revolution größere Dienste leisten.

Genosse Bordiga und die Frage der Disziplin.


Noch ein Wort möchte ich dazu sagen. Bordiga hat unlängst
erklärt: Wenn die Internationale sich nicht bessert, seinen Stand*
punkt nicht annimmt, nun dann wird er bloß „formelle“ Disziplin
üben und wird versuchen, eine linke Fraktion im internationalen
Maßstab zu bilden.
Ich glaube, das wird die Internationale niemals dulden. Bordiga
ist uns lieb, aber die Internationale ist uns noch lieber. Nicht die
Internationale muß sich an Bordiga anpassen, sondern Bordiga
an die Internationale. Es kann keine Rede sein von „formeller
Disziplin“ in unserer Kommunistischen Internationale. Wir sind
eine kommunistische Weltpartei, wollen nicht rückwärts, wir
müssen vorwärtsgehen und je weiter wir vorwärtskommen, um so
mehr werden wir zur kommunistischen Weltpartei werden.
Gestatten Sie mir, daß ich auf die anderen Parteien nicht mehr
eingehe. Das Gesagte läßt sich mit bestimmten Modifikationen
auch auf die anderen Parteien anwenden. Ich verweile hier bloß
bei denjenigen, die momentan von größter Bedeutung sind.

Die K.J.I. ist unser Stolz.


Noch einige kurze Bemerkungen über unsere Hilfsinternatio*
nalen und die Organisationsfrage. Die Jugendinternationale ist
unser Stolz und unsere Hoffnung. Es reifen da eine wirkliche kom*
munistische Generation und wirkliche kommunistische Führer heran.
Wir haben hierin die Sozialdemokratie teilweise schon überflügelt;
in der Union der Sowjetrepubliken ist die kommunistische Jugend
zu einer Organisation angewachsen, die anstatt der früheren 400 000
jetzt schon 700000 Mitglieder zählt; in Deutschland anstatt der
früheren 28 000 fast 70 000. Im Ruhrgebiet verdient der Kampf
unserer Jugend jedwedes Lob. Die Kommunistische Jugendinter*
nationale ist die rechte Hand der Kommunistischen Internationale.
Wir haben hier sehr wichtige Arbeit zu leisten. Einige Bemerkun*
gen über die anderen Hilfsinternationalen.
Die „Rote Hilfe“ arbeitet meiner Meinung nach sehr gut, die
I.A.H. ebenfalls. Sie wissen, daß die deutsche Sozialdemokratie
den Feldzug gegen die I.A.H. eröffnet hat und den Austritt aus
der I.A.H. beschlossen hat. Die Sportinternationale hat gleich*
falls gute Erfolge zu verzeichnen. Die Frauenbewegung muß noch
gestärkt werden, wir haben hier zu wenig geleistet.
Die Organisationsfrage.
In der organisatorischen Frage, glaube ich, ist es Zeit, ernst?
haft an die Frage der Organisation unserer Parteien auf Grund der
Betriebszellen heranzugehen. Wir würden dabei Mitglieder ver?
Heren, so wird behauptet. Wir müssen aber den Arbeitern sagen,
daß eine Partei unbedingt auf der Grundlage der Produktion auf?
gebaut werden muß. Die bisherige Organisation nach Wohn?
bezirken war ein Ueberrest der Sozialdemokratie. Die Sozialdemo?
kratie baute ihre Organisation als Wahlapparat, zu Wahlzwecken
auf, und wo unsere Kommunistische Partei so aufgebaut ist, hat
sie in dieser Hinsicht noch ein gut Teil von der Sozialdemokratie
an sich. Wir müssen endlich die Partei auf Betriebszeilen umstellen,
damit wir auf dem VI. Weltkongreß darüber nicht mehr ?u sprechen
brauchen.
\ #

Die Frage der Führung ohne Lenin.


Nun noch zum Schluß ein paar Worte zur weiteren Führung
der Internationale. Hier muß ich wieder einige Worte des Ge?
nossen Bordiga zitieren, der mit einer Courage, die anerkennens?
wert ist, diese Frage angeschnitten hat. Er sagt wörtlich folgendes:
„Wo sind Garantien dafür, daß die Internationale zur kom?
munistischen Weltpartei werden wird? Die Tatsache, daß an
der Exekutive die besten Genossen der russischen Partei teil?
nehmen, ist noch nicht ausreichend, da es sich um eine Welt?
frage handelt. Die Wagnisse, die wir bisher unternahmen, weil
sie von einem Genie wie Lenin geleitet wurden, muß man
gegenwärtig ablehnen als gefährlich für die kommunistische Be?
wegung des Proletariats.“
Genossen! Wir brauchen keine Zeremonien. Wir müssen
offen sagen, in dieser Frage hat Bordiga etwas recht. Wir nehmen
es ihm nicht übel, daß er darauf hinweist, daß, wo wir Lenin nicht
mehr haben, das allgemeine Vertrauen nicht mehr so unumschränkt
sein kann. Wir selber haben dieses Vertrauen zu uns in diesem
unbedingten Grade nicht mehr, wie wir es früher hatten, als wir
wußten, daß unsere Beschlüsse sozusagen endgültig vom Genossen
Lenin ratifiziert werden würden. Denn wir alle wußten, daß sein
Urteil so reif, so objektiv, so klug, so marxistisch, so weitsichtig
sein wird, wie bei niemandem sonst. Es ist unser Unglück, daß wir
den besten Kopf, den besten Menschen, den genialsten Führer ver?
loren haben. Das muß auf allen Gebieten große Folgen nach sich
ziehen, und wir sind vorsichtiger geworden.
Aber welche Schlüsse kann man daraus ziehen? Unseren
Lenin haben wir nicht mehr, einen zweiten Lenin gibt es in der
Welt nicht. Aber der Kampf des Weltproletariats muß geleitet
f

74

#
werden. Die Schlußfolgerung ist die: Die internationale Leitung
muß noch mehr kollektiv sein, sämtliche Parteien müssen der
Exekutive, den leitenden Organen der Internationale, die besten
Schüler von Marx und Lenin zuführen, die besten Köpfe, die besten
Organisatoren. Welche anderen Mittel als diese können wir noch
ausdenken? Lenin ist nicht mehr. An seiner statt müssen wir aus
allen Bruderparteien die besten Kräfte aussondern, um die kollek*
tive Leitung der Internationale zu organisieren. Aber nachdem
wir dies leitende Organ aufgebaut haben, nachdem wir eine Exe*
kutive haben, die aus den besten Kommunisten der ganzen Kommu*
nistischen Internationale der ganzen Welt zusammengesetzt ist,
soll in ihr nicht „formelle“ Disziplin herrschen, sondern eine
wahre proletarische und kommunistische Disziplin. Wir nehmen es
Bordiga nicht übel, wir sind nicht so dumm, uns einzubilden: Lenin
ist tot und alles wird beim alten bleiben! Wir selbst appellieren
an euch, Genossen, aus allen Bruderparteien. Lenin ist nicht mehr,
so wollen wir versuchen, wenn nur bis zu einem gewissen Grade,
ihn mit gemeinsamen Kräften zu ersetzen. Wir brauchen die Inter*
nationale zur Befreiung der Arbeiterklasse, wir müssen eine kollek*
tive Führung zustande bringen, ein ehernes Organ, das wirklich
führend eingreift und die kollektive Zusammenfassung der ge*
samten Arbeiterklasse darstellt, den kollektiven Verstand aller
Parteien verkörpert.

Fälle von Disziplinbruch.


Wir hatten Fälle von Disziplinbruch in dieser Zeit. Man hat
sie teilweise nicht geahndet. Wir hatten z. B. solche Disziplin*
brüche von rechts, wie durch Hoeglund, der Tranmael unterstützte,
und von links durch Bordiga, der es ablehnte, ein Mandat zum
Parlament anzunehmen, obwohl die Partei und die Exekutive dar*
auf bestanden hätten.
Wir versuchten, geräuschlos diese Fälle zu liquidieren, da wir
diese Genossen hochschätzten. Hoeglund hat sich während des
Krieges als guter Revolutionär erwiesen, Bordiga hat ebenfalls
ernsthafte Verdienste. Aber ich sage offen, wenn der Kongreß
keine Garantien schafft, daß sich ähnliche Disziplinbrüche nicht
wiederholen, können wir die ganze Verantwortung nicht auf uns
nehmen. Unsere Disziplin muß jetzt noch straffer sein als sie zu
Lebzeiten Lenins war. Wir dürfen nicht zurückschauen, sondern
müssen vorwärtsblicken und eine W eltpartei schaffen, ein inter*
nationales Exekutivkomitee, ein internationales leitendes Organ.
Niemand soll es wagen, von der Wahrung bloß „formeller“ Dis*
ziplin zu reden, dann sind wir blos die 21/2*Internationale, dann sind
wir nicht Testamentsvollstrecker von Marx und Lenin, dann sind

75
wir nicht viel besser als Crispien. Wir müssen kämpfen für eine
einheitliche kommunistische Partei ohne Fraktionen und ohne
Gruppierungen.

Die K.P.R.
Was unsere russische kommunistische Partei betrifft, (ich bin
mir darüber klar, daß sie manchem nicht gefällt, sie gefällt Sou*
varine nicht, manchmal auch R adek nicht — Zwischenruf R adek:
Mir gefällt sie sehr! — Sie sehen sogar Radek gefällt sie), so er*
kläre ich ihnen, die K.P.R. ist eine disziplinierte Partei und erblickt
ihren größten Stolz darin, der K. I. das beste zu geben, worüber
sie verfügt. Wir haben nur eine Bitte an euch — ihr mqget das*
selbe tun. Lenin ist nicht mehr. Aber der Leninismus ist ge*
blieben. Um ihm zum Siege in der ganzen Welt zu verhelfen,
brauchen wir eine feste Führung, wir müssen allen Genossen sagen:
wir brauchen noch eine strengere, straffere Disziplin als früher.
Die neue politische Konjunktur in Europa, die lang anhaltende
Periode der Wirtschaftskrise in der ganzen Welt stellt uns vor
große, gewaltige Aufgaben. Wir können sie nur unter der Bedin*
gung bewältigen, daß wirkliche Disziplin zu unserer Elementar*
pflicht wird.
Gewiß, es ist leicht, ein disziplinierter Soldat zu sein, wenn man
in der Mehrheit ist, wenn man alles, was man für die Bewegung
für nützlich hält, durchführen kann. Aber man muß auch in der
Minderheit diszipliniert sein können. Es gab eine Zeit, als wir
sogar im Schoße der II. Internationale straffe Disziplin übten, aber
später wurde es unsere Pflicht und Schuldigkeit, eine linke Fraktion
in der II. Internationale zu bilden (Zwischenruf Wynkoop: Richtig!)
mit allen Mitteln gegen den Opportunismus zu kämpfen und dann
die II. Internationale auch zu spalten. Das war richtig. Aber das
kann nicht mit der III. Internationale geschehen, mit der Lenin*
sehen Internationale, der kommunistischen Weltpartei, die einheit*
lieh, aus einem Guß, wie aus einem Block gehauen sein muß. Wir
werden ihnen nicht sagen, daß alles in unserer russischen Partei
gut sei, aber nach und nach werden wir alle Mängel gutzumachen
wissen. Aber wenn' man hört, wie mir ausländische Genossen die
Worte einzelner Führer unserer Opposition weitergegeben haben:
wartet nur, im Oktober gibt es ein Defizit im Budget Sowjetruß*
lands von 400 Millionen, dann wird sich heraussteilen, wer recht
hatte und wer Unrecht. — So muß die Kommunistische Internatio*
nale eine solche Sprache unmöglich machen! (Stürmischer Beifall).
Die K. I. soll sagen, daß sie ebenso gut wie wir alle weiß,
welche Schwierigkeiten die proletarische Regierung hatte, hat und
haben wird, diese erste proletarische Regierung, die von Feinden
umringt ist (Beifall).

76
Wenn wir nicht allein ein Lippenbekenntnis für Lenins Lehre
ablegen, wenn wir eine wirkliche Leninsche kommunistische Inter*
nationale schaffen wollen, wenn die Resolution über die Bolsche*
wisierung der Partei nicht eine leere Phrase sein soll, dann brauchen
wir eine eiserne Disziplin, dann müssen wir alle Reste und Ueber*
bleibsel des Sozialdemokratismus, des Föderalismus, der „Auto*
nomie“ ausmerzen.

Die II. Internationale geht abwärts, die III. aufwärts.


Wir dürfen uns nicht scheuen dies auszusprechen, ja, wir sind
nicht vom Himmel gefallen, wir sind aus dem Schoße der //. Inter*
nationale geboren. Die bürgerliche und kleinbürgerliche soziaU
dem okratische Ideologie lastet noch hier und da auf uns, das ist das
Unglück unserer Klasse, sonst hätten wir schon längst die Born*
geoisie und die Sozialdem okratie besiegt. A ber wir müssen gegen
diese G efahr käm pfen, energisch, mutig, beharrlich und tatkräftig,
wie es Revolutionären und Leninisten geziemt. Keine Panik, wenn
eine Opposition von rechts aufkommt. Klärt die Irrtümer auf, *
kämpft, und ihr werdet siegen. Schafft eine wirkliche Leninistische
Kommunistische Internationale!
Die II. Internationale ist noch numerisch stark, aber historisch
ist sie zu Grabe getragen. Wir haben uns das früher allzu einfach
vorgestellt: Die Epoche der II. Internationale ist zu Ende, die
Epoche der III. Internationale hat begonnen. Historisch ist es
richtig, aber im gesellschaftlichen Leben sind die Beziehungen
nicht so einfach: das Ende des Zeitalters der II. Internationale
und der Anfang des Zeitalters der Kommunistischen Internationale
stimmen in der Zeit überein. Eine gewisse Anzahl von Jahren
werden die Beiden parallel nebeneinander bestehen. Die II. Inter*
nationale wird nach und nach den Schauplatz verlassen. Es geht
abwärts mit ihr. Wir gehen aufwärts. Wir werden siegen. Dazu
gehört eine eiserne Disziplin, eine wirkliche Kommunistische Welt*
partei, wie sie die K. I. werden muß. Wir haben nicht umsonst ge*
lobt, im Geiste der Lehre Lenins zu wirken. Als wahre kommu*
nistische Weltpartei müssen wir gegen den Opportunismus der
Rechten kämpfen und die Irrtümer der Linken aufhellen. Wir
brauchen eine eiserne kommunistische Führung, weil wir vor großen
Kämpfen stehen. Wer von uns hat auf dem IV. Kongreß daran ge*
dacht, daß wir im Oktober 1923 über die Frage der deutschen Re*
volution so ernsthaft würden beraten müssen. Aber die Ereignisse
waren ganz nahe herangerückt.
Die Dinge reifen schneller heran als wir glaubten, trotzdem
es uns scheint, daß es zu langsam geht. Es ist klar, daß zwischen
dem V. und VI. Weltkongreß uns entscheidende Kämpfe an vielen

77
Orten der Erde erwarten. Wir müssen bereit sein, alles zu tun,
damit wir nicht in Worten, sondern in der Tat eine wirklich un*
besiegbare Kommunistische Weltpartei werden. (Stürmischer, lang*
anhaltender Beifall, der in Ovationen übergeht, die Delegierten
erheben sich von ihren Plätzen und singen die „Internationale“).

II.

DIE WELTWIRTSCHAFT.

Vorbe: II erkungen.
Manche Redner haben bemängelt, daß die Frage der weiteren
Taktik der Exekutive zusammen mit dem Bericht über die ver*
gangene Berichtszeit diskutiert worden ist. Dies mag eine gewisse
Unbequemlichkeit mit sich bringen, so daß man es auf den näch*
sten Kongressen vielleicht anders machen sollte. Ich persönlich
habe wenigstens dagegen nichts einzuwenden, nur glaube ich, dies
wäre nicht praktisch, weil die Tätigkeit der Exekutive und ihre
allgemeine Linie immer sehr eng mit der taktischen Richtlinie für
die nächste Zukunft verbunden ist. Also, wenn diese Form' der
Diskussion von unseren Kongressen gewählt worden ist, so ist es
nur aus Rücksichten der Zeitersparnis geschehen und aus keinen
anderen.
Ich glaube, wir werden außer der Resolution zur Tätigkeit der
Exekutive, die ziemlich ausführlich sein kann, unbedingt noch
allgemein taktische T hesen annehmen müssen. Diese Arbeit soll
nach unserer Diskussion von der allgemein politischen Kommission
vorbereitet werden.
Unsere Diskussion, Genossen, war diesmal so ausgiebig, wie
noch niemals. Es haben insgesamt 62 Redner gesprochen, ohne die
Deklarationen und Erklärungen zu zählen. Viele Reden waren sehr
wertvolle Beiträge zur Erläuterung der tatsächlichen Lage in dem
betreffenden Lande. Ich kann selbstverständlich nicht auf alle
diese Reden eingehen und muß mich auf das wichtigste konzen*
trieren. Ich will versuchen, zunächst einiges zu ergänzen, was, wie
es scheint, in meinem Einführungsreferat, trotzdem dieses ziemlich
lang war, nicht genug beleuchtet worden ist. Die Länge der Rede
kommt in diesem Falle nicht aus der Liebe zu langen Reden, son*
dem aus dem riesigen Thema, das darin besteht, über 50 bis 60 Par*
teien Bericht zu erstatten und die taktische Linie für die Zukunft
zu skizzieren.

i
Ich will zunächst die Frage der weltwirtschaftlichen Lage noch
ein wenig ergänzend betrachten. Ich habe schon in meinem Ein*
führungsreferat geäußert, daß ich im ganzen dem zustimme, was
in der Broschüre und in den Thesen des Genossen Varga gesagt
worden ist. Gewiß sind da viele Verbesserungen möglich und not*
wendig, niemand wird sich' dagegen wehren, daß man in einer
speziellen Kommission die Thesen noch etwas umarbeitet. Aber
was die allgemeine Linie betrifft, so glaube ich, Genossen, müssen
wir uns hier darüber einigen, ob sie richtig ist oder nicht.

War der Beschluß des III. Weltkongresses richtig?


Ich lese in der Zeitschrift „Die Internationale*4, der Zeitschrift
unserer deutschen Bruderpartei, einen Artikel des Genossen K. S.,
in dem es heißt
„In der Tat hat der III. Kongreß die klare Perspektive auf
die Weltrevolution durch ein allgemeines ökonomisches Schema
ersetzt, das im einzelnen und methodisch viele Rückschritte
zeigt.44
Man muß sich fragen, Genossen, was brauchen wir: Das
Schema oder die Revolution? Es hat wirklich den Anschein, als
ob für manche Schriftsteller das „Schema“ die Hauptsache wäre,
soweit man von einem Schema sprechen kann, hatte der III. Kon*
greß es im allgemeinen’ absolut richtig vorgezeichnet. Die Er*
eignisse haben bereits bewiesen, daß der III. Kongreß die all*
gemeine weltökonomische Lage richtig abgeschätzt hat. Die Er*
eignisse haben sich nicht rascher entwickelt, als der Kongreß
vorhergesehen hatte. Also, was nützt uns ein Schema, das für uns
sehr günstig und für die Bourgeoisie sehr ungünstig aussieht, wenn
es dann der Wirklichkeit nicht entspricht? Ja, es wäre so ein
Leichtes gewesen, etwa auf dem III. Kongreß so ein papiernes
„Schema“ aufzustellen, das besagte, daß wir in einem, zwei Jahren
den absoluten und vollen Zusammenbruch des Kapitalismus er*
leben würden. Aber was hätten wir davon, wenn dies nicht ein*
getroffen wäre?
Ueberhaupt, Genossen, wir haben in dieser Zeit viel hinzu*
gelernt, in Sonderheit haben wir begriffen, daß man mit dem
Begriff „Zusammenbruch des Kapitalismus“ vorsichtig sein soll.
Der Zusammenbruch des Kapitalismus kommt unvermeidlich, der
Kapitalismus ist zum Untergang verurteilt, aber man muß eben
klar sehen, wie die Dinge liegen und man soll mit dem Begriff der
Zeit vorsichtiger umgehen, als es bisher geschah.
Sie haben gehört, wie der Genosse Dengel den Bericht des
Genossen Varga gewertet hat. Nachdem wir die Erklärung der
deutschen Delegation in dieser Frage entgegengenommen haben,

79
ist diese Angelegenheit jetzt viel mehr untergeordneter Natur.
Es verlohnt sich dennoch, auch mit einem einzelnen Genossen,
wie es der Genosse Dengel ist, sich über diese Meinungsver*
schiedenheit zu verständigen. Nebenbei bemerkt, der Genosse
Kreibichj der doch eine ganz andere politische Nuance vertritt,
hat den Bericht des Genossen Varga genau so eingeschätzt wie
Dengel.
Dengel meint, es sei kein Zufall, daß Radek und ich weiß nicht
mehr welche andere Genossen von der Rechten Varga an*
geblich zugestimmt haben. Ich glaube, Genosse Dengel ist hier
ein wenig ein Opfer der Kriegslist „Radek’s“ geworden. Sie
haben wohl gesehen, Radek sucht sich die schwachen Seiten der
Linken heraus, er tastet überall herum, wo es bei den Linken
schlimm aussieht, ob man da vielleicht einhaken kann. Er hat
das auch mit dem Referat des Genossen Varga zu tun versucht.
Ich verstehe schon die „Gefühle“ eines Revolutionärs, beson*
ders eines deutschen Revolutionärs in der gegebenen Lage. Dengel
möchte von unseren Wissenschaftlern, von unseren Oekonomen
~ so eine Marschroute haben, daß es ganz klar wird: heute, morgen
kracht der Kapitalismus zusammen. Die Revolution kommt un*
vermeidlich, eher heute als morgen. Besonders sind solche Stirn*
mungen nach der Oktoberniederlage begreiflich, besonders, nach*
dem man das „Joch“ der rechten Führung abgestreift hat: wo
man wirklich kämpfen will, wo sich die Fäuste von selbst zusam*
menballen, da erwartet man eben, unsere Wissenschaftler möchten
ihre Sache gut machen, das heißt, ein „Schema“ geben, das die
Sicherheit gibt: morgen ist die Revolution da!

Unsere Aufgabe ist es, die Dinge so zu sehen wie sie sind.
Wie gesagt, ich verstehe schon diese Gefühle bei Revolu*
tionären, besonders bei unseren deutschen Genossen, die sich in
einer ganz besonderen Lage befinden. Aber, Genossen, wir
wollen doch den Sieg erringen und nicht nur mit der Faust in
der Luft herumfuchteln. Dazu müssen wir die Dinge so sehen
wie sie sind.
Genosse Varga hat den Auftrag, uns die ökonomische Welt*
läge zu zeigen, nicht nur die Lage in Deutschland. Deutschland
ist ein für die Revolution sehr wichtiges Land. Aber hier wurde
mit Recht behauptet, daß die anglo*sächsischen Länder, in erster
Linie England, auch manche Bedeutung für die Weltrevolution
haben. Wenn ich nicht irre, war es Karl Marx, der sagte: Die
Revolution ohne England ist doch nur ein Sturm im Wasserglas.
Also, alle Ehre der deutschen Bewegung, aber wir müssen
dennoch die ökonomische W eltlage betrachten, nicht allein die
Lage in Deutschland. Wir dürfen nicht vergessen, daß sogar in
Deutschland trotz der mannigfachen Zeichen des Niederganges
und der Zersetzung des Kapitalismus, manche Anzeichen der
Konsolidierung doch da sind. Jeder Arbeiter im Betriebe fühlt
das. Wir brauchen gar ‘ nicht das zu sagen, was nicht da ist.
Ueberhaupt, es gibt Fragen, wo es gar nicht so leicht ist, einfach
ja oder nein zu sagen. Der Sinn mancher Artikel und Reden
war eben der: Ja, ja — nein, nein: was darüber ist, das ist vom
Uebel!
• Die Lage ist eben kompliziert. Man kann nicht dem Genossen
iVarga einen Strick daraus drehen, daß es doch manche Ten*
denzen der Konsolidierung des Kapitalismus gibt. Es gibt sie
leider. Können wir die Augen einfach davor verschließen und
sagen, es gebe sie nicht? Unsere Aufgabe besteht eben darin,
daß wir die Dinge so sehen wie sie sind.

Der „Pazifismus“ des Genossen Varga.


Man sagte, Varga habe „pazifistische Abweichungen“ offen*
hart. Ja, wenn man Varga ansieht, sein Aeußeres, so kann man
wohl sagen, daß er wirklich manche „pazifistische“ Abweichungen
hat. (Heiterkeit.) Varga hat es ja auch soeben bewiesen; ich an
seiner Stelle wäre gegen Dengel nicht so „pazifistisch“ aufge*
treten. (Heiterkeit.) Trotzdem glaube ich, daß das Schema, das
uns Varga wissenschaftlich zusammenfaßt, richtig ist. Die Öko*
nomischen Arbeiten, die er für die K.I. macht, seine Viertel*
jahrsübersichten, sind gutes Material. Ich kenne in der inter*
nationalen ökonomischen Literatur kein besseres. Ich glaube,
daß wir alle auf diesem Gebiete von Varga lernen sollten. Ich
glaube, mancher Genosse, auch K. S., wird ganz gut tun, wenn er
von Varga etwas lernt.
Die Analyse der Wirtschaft ist sehr schwierig, sehr kom*
pliziert. Die Lage ist recht bunt, man kann mit subjektiven
Gründen die Sache nicht abtun. Was ergibt die Analyse von
Varga? Er spricht von einer allgemeinen Agrarkrise fast in der
ganzen Welt. Es beginnt der Anfang einer schweren Industrie*
krise in Amerika. In einzelnen Ländern Europas ist im allge*
meinen auf Kosten der Nachbarländer eine Besserung der Krise
eingetreten, eine Verschlechterung der Lage der Arbeiterklasse,
und zwar nicht nur relativ, sondern absolut, sowie eine Ver*
Schärfung der Klassengegensätze.
Genossen, ist das Pazifismus? Varga meint mit Recht, die
jetzige Wirtschaftslage sei derart, daß die Organisiertheit des
Proletariats, der Wille zur Macht, die Bereitschaft zum Kampf,
die Stärke der kommunistischen Parteien, daß der subjektive

6 81

*
Faktor ausschlaggebend sein könne. Das ist nicht pazifistisch.
Die objektive Lage kann so revolutionär sein wie nur etwas;
wenn kein Machtwille da ist, wenn den unterdrückten Massen
die Erfahrung des Kampfes fehlt, wenn keine kommunistische
Partei vorhanden ist, wird nichts herauskommen.
Es ist gar nicht schlecht, daß dieses kleine Intermezzo ge?
kommen ist; es ist besonders gut, daß Dengel nicht auf seinen
Uebertreibungen besteht, die er aus den besten Absichten heraus
begangen hat.
Aber wir müssen nüchtern sein. Was wäre gewesen, wenn
wir auf dem III. Weltkongreß beschlossen hätten: Die Weltlage
ist so, daß der Kapitalismus in den letzten Zügen liegt — und
dann kommt der IV. Kongreß und der V. Kongreß und der Ka?
pitalismus sitzt immer noch in vielen Ländern ziemlich fest im
Sattel? Ein solcher Selbstbetrug hätte wohl kaum unser Ansehen
unter unseren eigenen Mitgliedern, geschweige denn unter den
sympathisierenden Arbeitern gehoben.

Zwei Perspektiven in der Entwicklung des Kapitalismus.


*

Es sind zwei Perspektiven möglich. Die eine, ganz grob aus?


gedrückt, ist die einer verhältnismäßig lang andauernden Periode
des Vegetierens des Kapitalismus, der nicht leben und nicht
sterben will; und eine zweite, die auch sehr möglich ist, eine
viel raschere Entwicklung. der Dinge, der zeitlich rasche Zu?
sammenbruch des Kapitalismus in manchen entscheidenden
Ländern und dann in rascherer Verfallsbewegung in der übrigen
Welt. Historisch gesprochen ist dem Kapitalismus natürlich nur
noch ganz kurze Zeit zum Leben geblieben. Im Leben des ein?
zelnen bedeuten 5, 10, 20 Jahre sehr viel, aber für die Welt?
geschichte sind solche Zeiträume so viel wie 5 Minuten. Wir, die
Kommunistische Internationale, die wir die Aufgabe haben, die
Weltrevolution zu organisieren, wir müssen unsere Taktik auf
beide Möglichkeiten einstellen. Wir müssen unser Haupt?
augenmerk auf die schlechtere Möglichkeit lenken; kommt dann
die bessere, die schnellere, dann werden wir es schon verstehen,
uns nach den besseren Möglichkeiten zu orientieren. Es wäre
schlimm, wenn wir alle Möglichkeiten auf das glatte, bessere,
raschere Tempo einstellen wollten. Das ist richtig für jedes
einzelne Land, um so richtiger, wenn wir von der ganzen ökono?
mischen Weltlage sprechen. Ich weiß, daß es unter den linken
Führern der K.P.D. sehr einflußreiche Genossen gibt, die auch
für Deutschland mit der Möglichkeit eines Hinausschiebens des
Schlußaktes für ein Jahrzehnt rechnen. Ich glaube, dem ist nicht

82
so. Aber man darf Varga nicht angreifen, wenn er in der Be*
urteilung der gesamten Wirtschaftslage Vorsicht walten läßt.
Ich glaube deshalb, daß die Thesen des Genossen Varga im
allgemeinen richtig sind. Man kann dem Wunsch der deutschen
Delegation entgegenkommen und die Möglichkeiten der revolu*
tionären Perspektive mehr herausarbeiten, besonders für Deutsch*
land. Man sollte in einer Kommission die Sache überprüfen.
Wir müssen im allgemeinen, besonders aber den jüngeren Ge*
nossen, ein sorgfältigeres Studium der Thesen anempfehlen. Man
kann doch nicht, ohne eine einzige .Tatsache, ohne eine einzige
Zahl vorzubringen, einfach behaupten, Varga habe „pazifistische“
Abweichungen, weil er „pazifistisch“ aussieht. Wir müssen auf
dem Gebiet der Weltwirtschaft mehr als je studieren, mehr als
auf jedem anderen Gebiete hinzulernen, mehr als auf jedem an*
deren Gebiete vorsichtig sein in unseren Schlüssen.

DIE DEMOKRATISCH*PAZIFISTISCHE „AERA“.


Ihre Wurzeln.
Ich möchte jetzt noch manches ergänzend zur politischen
Lage sagen. Wir haben in unserem Bericht konstatiert, „daß
während des IV. Weltkongresses der Höhepunkt des Faschismus“,
der bürgerlichen Reaktion im internationalen Maßstabe war.
Schon damals hatte der Kongreß vorausgesagt, daß diese Be*
wegung einer anderen, einer demokratisch * pazifistischen Aera
Platz machen würde.
Diese Voraussage des Kongresses ist jetzt eingetreten. Aber
auch diese Periode wird nicht lange dauern. In einer Reihe
von Ländern wird sich die Lage wieder zuspitzen, es wird wieder
der verschärfte Belagerungszustand kommen usw. Wie war die
Lage während des imperialistischen Krieges? Eine unerhört ver*
schärfte Situation, Belagerungszustand fast überall.
Ende des Krieges blühte gewissermaßen die „Demokratie“,
in einer Anzahl von Ländern gab es bürgerlich*demokratischc
Revolutionen. Eine kurze Zeit ist verflossen, da kommt der
Faschismus, die verschärfte bürgerliche Reaktion, in fast allen
entscheidenden Ländern. Das war unvermeidlich, da es keine
kommunistischen Parteien gab, die imstande gewesen wären, die
Arbeiterklasse in den Kampf zu führen und der Bourgeoisie den
Sieg zu entreißen. Darauf beginnt eine neue Welle der demo*
kratisch*pazifistischen „Aera“. Die Sozialdemokratie, diese
Herren, stellen sich die Sache ganz einfach vor; zunächst Be*
lagerungszustand, l,dann Demokratie, dann wieder Belagerungs*
zustand, dann wieder Demokratie — nichts ändert sich dabei.
6*
83
Krise des faschistischen Regimes in Italien.
So einfach wird die Sache nicht’ sein. Nehmen wir ein Land
wie Italien. Es wäre vielleicht übertrieben, zu sagen (genaue
Pressemeldungen über die Geschehnisse anläßlich der Ermordung
Matteottis liegen noch nicht vor), daß dort schon eine neue
Revolutionswelle beginnt, allgemeine Streiks usw., aber sicher ist,
daß dort eine ganz neue Lage entsteht, das zeigt allein, daß das
kommunistische Organ „L’[/ni7a“ in zwei Nummern auf der
ersten Seite in Fettschrift die Parole: „Nieder mit der Re*
gierung der Mörder!“ brachte und daß Mussolini diese
Zeitung nicht verboten hat. Das ist ein sicheres Zeichen, daß
eine neue „Aera“ begonnen hat. Mussolini erklärt, in diesem
Moment gehe er nicht aus der Regierung, aber wenn diese Frage
schon gestellt wird, so ist das ein „Zeichen der Zeit“. Das ist
die erste wichtige, tiefe, innere Krise des Faschistenregimes in
Italien.
Wenn morgen tatsächlich die , bürgerliche Demokratie in
Italien wieder siegt, so wird die neue „Demokratie“ nicht die*
selbe sein, wie sie 1920 war. Sie wissen, daß die sogenannte So*
zialistische Partei in Italien eine große Massenpartei war. Die
Arbeiterklasse fühlte sich frei, die bürgerliche Demokratie hatte
ihre Blütezeit. Aber das Wesen der „Demokratie“ begriffen die
italienischen Arbeiter damals nicht. Die Sozialistische Partei war
voller Illusionen, die Arbeiter waren politisch naiv. Wenn dieses
Regime abgeschafft wird, wird dann etwa einfach die frühere
Lage wiederkehren? Aber keinesfalls! Die Arbeiterklasse ist
eine ganz andere geworden, sie hat die „demokratischen“ Illu*
sionen verloren. Sie hat sehr teures Lehrgeld bezahlt. Es wird
jetzt ein ganz anderes politisches Milieu, eine ganz neue „De*
mokratie“ sein. Die Arbeiterklasse hat ganz neue politische
Erfahrungen gesammelt. Ich glaube, das sollen wir im Auge be*
halten.
Zwar haben auch wir, die Kommunisten, und nicht nur die
Sozialdemokraten, manchmal die Lage für einfach aufgefaßt und
geglaubt, erst war Demokratie da, dann wird der Faschismus
kommen und nach dem Faschismus kommt unbedingt die Dik*
tatur des Proletariats.
Das kann sein, das kann aber auch nicht sein. Wenn wir
z. B. Italien betrachten, so kann es sein, daß das Regime Musso*
linis nicht unmittelbar von der Diktatur des Proletariats, sondern
von einer neuen „Demokratie“ abgelöst werden wird, die gar nicht
dieselbe sein wird wie sie 1920 war, und daß schon unter der
neuen „Demokratie“ sich die Diktatur des Proletariats vor*
bereiten wird.
Die Lage ist eben nicht so einfach, man kann nicht sagen,
daß die Formel etwa lautet: die Demokratie, Buchstabe D; dann
Faschismus, Buchstabe F; dann kommt unbedingt Revolution,
Buchstabe R. Die Sache ist nicht so einfach wie die Formel bei
Marx: Ware — Geld — Ware. Sie kann hier ein bißchen anders
ausgehen. Es wird dabei auch ein Prozeß der eigentümlichen
Mehrwertbildung vor sich gehen in Form der politischen Er*
fahrung der Arbeiterklasse. Tritt in Italien eine „Aera“ der
Demokratie ein, so wird die Arbeiterklasse schon bereichert mit
neuen politischen Erfahrungen und gestählt in sie eintreten. Die
Rolle unserer Partei wird dabei eine ganz andere sein, eben weil
die Lage eine ganz neue ist.
Ob für lange?
Wie lange wird diese demokratischtpazifistische „Aera“
dauern? Mit Gewißheit kann man das im voraus nicht sagen,
aber soweit zu übersehen ist, wird sie nicht von langer Dauer
sein, wenigstens in Frankreich nicht, in dem auserwählten Land
der Politikaster und der bürgerlichen Demokratie. Dort wird
der Linksblock eher abwirtschaften, als wir es alle glauben.
Seine Lage ist sehr unsicher. Der Linksblock hat mit 300 000
Stimmen gesiegt, das heißt, der Rechtsblock hat (wenn man alle
Schattierungen hinzurechnet) 3 600 000 Stimmen erhalten, der
Linksblock 3 900 000 Stimmen. Herriot hat seine Regierungs*
tätigkeit damit begonnen, daß er 6 Minister Poincares eingestellt
hat, daß er in seiner auswärtigen Politik fast die alte Linie bei*
behält, die Leute haben der Arbeiterschaft große Versprechungen
gemacht, die sie heute nicht halten können. Es scheint also,
daß in Frankreich die bürgerlichtdemokratische Aera ziemlich
vorüber sein wird. Wenn die Arbeiterklasse und die K.P.F. sich
als schwach erweisen, wird Frankreich um den Faschismus nicht
herumkommen. Wie lange bleibt Herriot — wie schnell wird
statt seiner Doriot kommen? (Heiterkeit und Beifall.)
Man kann nicht sagen, daß viele Monate oder Jahre die
neue „Aera“ dauern wird, wieviel Jahre die Diktatur der Bourt
geoisie anhalten wird, aber das eine kann man sagen: die Ten*
denz de r Entwicklung geht von Herriot zu Doriot. Aber wie
schnell das gehen wird, weiß niemand. Man sieht nur, der
Prozeß des Verfalls des Linksblocks geht viel schneller als wir
gedacht haben. Der Linksblock wird sich ziemlich schnell bla*
mieren. *
Was kennzeichnet die ganze demokratischtpazifistische
„Aera“? Weswegen ist sie gekommen? Ist sie ein Korrelat
der Festigung der Bourgeoisie oder des Zerfalls des Kapitalist
mus? Unbedingt das zweite. Die Ereignisse gehen ziemlich
schnell voran, obwohl wir das nicht einsehen. Nehmen Sie die

85
Ereignisse in der allerletzten Zeit. Sie werden sich z. B. er*
innern, was für Krisen die Bourgeoisie vor dem Krieg erlebte.
Als z. B. in Frankreich sich die Dreyfuß*Affäre abspielte, sprach
man jahrelang von ihr, man hielt sie für eine gewaltige Krise für
die Bourgeoisie, oder z. B. der Kampf gegen das Dreiklassen*
Wahlrecht in Preußen. Was ist das alles im Vergleich zu den
Kämpfen der letzten Zeit? Wenn z. B. vor dem Kriege in
Belgien wegen des allgemeinen Wahlrechts gestreikt wurde, so
schrieb die Genossin Rosa Luxemburg eine ganze Abhandlung
über dieses Ereignis. Vergleichen Sie das alles mit dem, was
jetzt täglich vorkommt. Zum Beispiel die Ermorderung Matte*
ottis, die Ruhrbesetzung, die Ermordung Rathenaus, den Auf*
stand in Bulgarien, Hamburg und Krakau, den Linksblock in
Frankreich, die Arbeiterregierung in England und Belgien, die
riesige Streikwelle, das Anwachsen der revolutionären Bewegung
im Osten. Wenn jetzt eine halbe Million Arbeiter streiken,
bringen wir in der Presse zwanzig Zeilen darüber und gehen
zur Tagesordnung über. Das ist ein Beweis dafür, wie rasch der
Klassenkampf riesige Fortschritte macht, wie schnell wir dem
Endsieg entgegengehen.
Die demokratisch*pazifistische Aera, ein Zeichen des Zerfalls
des Kapitalismus.
Die Kretins in der Sozialdemokratie glauben, daß die geeignete
Zeit gekommen sei, wo man endlich aufatmen und sagen kann:
der Kapitalismus hat sich konsolidiert. Sie verstehen nicht, daß
gerade diese dem okratiscfepazifistische Aera so, wie sie ist, der
Ausdruck, das Symptom dessen ist, daß der K lassenkam pf riesig
fortgeschritten ist, daß der Kapitalismus nicht mehr mit alten
Mitteln regieren kann, und daß diese dem okratiscfepazifistische
Aera objektiv dazu angetan ist, den zerrütteten und vom Kriege
untergrabenen Kapitalismus noch m ehr zu zerrütten. Viele Sozial*
demokraten stellen sich die Sache so vor: die Reaktion wurde von
der Demokratie abgelöst, die Demokratie von der Reaktion, dann
wieder die Reaktion von der Demokratie, während die schöne
Dame Demokratie nicht mitgenommen, sondern immer schöner
und jünger wird. So stellen die Herren Sozialdemokraten sich die
Sache vor und begreifen nicht, daß unter den breiten Schichten
der Werktätigen jede solche Ablösung tiefe Veränderungen in den
politischen Stimmungen auslöst. Die Sozialdemokraten irren, wenn
sie diese Aera bloß als eine der neuen Episoden in der Geschichte
des Parlamentarismus ansprechen. Für die Volksmassen ist sie
immer verbunden mit ihrer ökonomischen Lage, mit ihrer ganzen
Lebenslage. Wenn die Bourgeoisie zusammen mit der Sozialdemo*
kratie von dem rechten Ufer des Faschismus zum sogenannten

86
j
„linken“ Ufer der Demokratie pendelt und wieder zurück, so wird
bei all dem der Kapitalismus erschüttert, und das kommunistische
Bewußtsein der Massen nimmt zu. Das ist eben die konkrete Vors
bereitung der proletarischen Revolution, wie sie vor sich geht.
Also keinesfalls ist die demokratisch?pazifistische Aera ein
Beweis dafür, daß jetzt endlich glückliche Zeiten eintreten, wo
alles friedlich?schiedlich im Parlament durch die Demokratie ent?
schieden wird. Diese Aera ist ein Korrelat für den Verfall des
Kapitalismus. Auf politischem Gebiete sind die Symptome manch?
mal viel frühzeitiger, empfindlicher und klarer als auf ökonomi?
schem zu spüren. Gewiß, die Oekonomie ist das Fundament, sie
bestimmt alles voraus. Aber bevor noch irgend ein Prozeß voll?
kommen ausgereift ist und sich offenbart hat, während er erst im
Entstehen begriffen ist, sind die politischen Symptome manchmal
viel charakteristischer als die ökonomischen. Ich sage, eben diese
dem okratiscfepazifistische Aera ist ein Zeichen des Zerfalls des
Kapitalismus, der N iedergangsperiode, der unheilbaren K rise des
Kapitalismus. Alles was diese Herren Mussolini und Poincare einen
seits, M acdonald und H erriot andererseits jetzt machen, ist W asser
auf die Mühle der proletarischen Revolution, gleichviel, ob sie es
durch die D em okratie oder den unverhüllten Faschismus versuchen.
Beides kommt uns sehr teuer zu stehen, beides erfordert große
Opfer von der Arbeiterklase, aber beides arbeitet für die proleta?
rische Revolution. Wir wollen also die Sache nicht so simpel an?
sehen, es ist nicht so wie die Marx’sche Formel: Geld — Ware —
Geld; Faschismus —Demokratie — Faschismus. Es ist eine kom?
plizierte und eigentümliche Erscheinung in jedem Lande.
Im allgemeinen bedeutet dieses Kapitel der Weltgeschichte
den Zerfall des Kapitalismus. Diese Aera kann nicht lange an?
halten. Die Sozialdemokratie sucht die Bourgeoisie zu retten, sie
wirft ihr einen Rettungsgürtel zu. Aber dieser Rettungsgürtel, den
sie der Bourgeoisie zuwirft, taugt nichts, er ist aus unbrauchbarem
Material angefertigt, er wird die Bourgeoisie noch eher auf den
Grund ziehen.

Die Rolle der „Arbeiterregierang“.


Die Macdonald’sche „Arbeiterregierung“, die objektiv konter?
revolutionär ist, muß doch, in der Perspektive gesehen, für die
Bourgeoisie eine negative Rolle spielen. Tausendmal hat der Ge*
nosse Lenin recht, als er auf dem II. Kongreß sagte: es wird eine
Arbeiterregierung in England kommen, die Kommunisten sollen
diese Arbeiterregierung unterstützen, aber so, wie der Strick den
Gehängten unterstützt. In dem Augenblick, wo die klügste Bour?
geoisie der Welt an den englischen Menschewismus appellieren
muß — in diesem Augenblick ist bewiesen, daß sie mit der alten

87
Methode nicht mehr regieren kann. Gewiß, es wäre Luge, von der
menschewistischen Partei als einer wahren Arbeiterpartei zu reden.
Sie ist keine revolutionäre Arbeiterpartei. Doch der Menschewismus
ist sehr oft ein Wesen, das mit einem Auge nach links und mit dem
anderen Auge nach rechts schielt. Die Menschewiki können auch
dazu beitragen, zunächst die Lage der Bourgeoisie zu verschlechtern
und zu schädigen, ohne es zu wollen.
Darum müssen wir klar sehen, unsere Agitation muß teilweise
modifiziert werden, eben deshalb, weil wir eine neue Aera vor uns
haben, die demokratisch*pazifistische „Aera“. Wir müssen der
Arbeiterklasse der ganzen Welt sagen, was diese Aera bedeutet,
wir müssen ihr erklären, daß sie nicht lange dauern kann, daß es
ein Betrug ist seitens der Sozialdemokratie. Wir bilden die einzige
Macht auf der Welt, die sich nicht blenden läßt durch diese „Arbeit
terregierung“, durch Demokratie und Pazifismus. Aber unsere Auf*
gäbe besteht eben, weil wir diese einzige historische Kraft
auf der Welt sind, darin, das Konkrete zu sehen, das hervorzu*
heben, wodurch das gegenwärtige bürgerliche Regime sich von dem
Vergangenen unterscheidet.

KOMMUNISMUS UND BAUERNSCHAFT.

Die Zuspitzung der Frage in Deutschland.


*

Ich möchte noch über eine Frage reden, über die man in der
Diskussion zu wenig gesprochen hat. Ich meine die Bauernfrage.
Es ist für mich ein schlechtes Signum, daß in dieser sehr aus*
giebigen Diskussion, in der 62 Redner gesprochen haben, die Bauern*
frage fast gar nicht angeschnitten worden ist. Ich fürchte, daß wir
hier wieder sagen, wir seien mit allem einverstanden, alles sei
richtig, was man gesagt hat, aber Schwamm darüber! und dann
bleibt alles beim Alten. Das wäre die größte Gefahr nicht nur für
die Agrarländer, sondern auch für die Industrieländer.
Ich las vor einigen Tagen im „Vorwärts“ vom 19. Juni eine
Notiz mit der Ueberschrift: „Fünf Minuten vor 12“. Ueber einen
Landtagsabgeordneten bei der Bayerischen Volkspartei wird dort
geschrieben, ich zitiere wörtlich:
„Auf der Generalversammlung des Mittelfränkischen Bauern*
Vereins in Eichstätt hielt der Landtagsabgeordnete der Bayerischen
Volkspartei und Generalsekretär des Christlichen Bauernvereins,
Dr. Schlittenbauer, eine Rede: „Ich bin mir der Tragweite meiner
Rede vollkommen bewußt und übernehme für sie jedermann gegen*
über die volle Verantwortung. Wir sind in Deutschland noch lange
nicht über den Berg. Im düsteren Hintergründe lauert nicht bloß

88
die kommunistische Gefahr, sondern auch die soziale Revolution
der Bauern. Wenn die bisherige Politik der Reichsregierung und
des Reichstages den deutschen Bauern gegenüber nur ein halbes
Jahr weitergeführt wird, dann ist die Gefahr akut. Das ist eine
unabwendbare logische Entwicklung. Denn der heutige Zustand ist
unerträglich, weil er mit unheimlicher Schnelligkeit die Wirtschaft*
liehe Existenz der Bauern vernichtet. Wenn der Druck nicht mehr
ertragen werden kann, wenn die Existenz ins Wanken gerät, dann
kommt die Explosion und Bauernrevolution, und Bauernrevolutionen
sind radikal, sind grausam, sind furchtbar. Da gibt es Rauch und
Feuer und baumelnde Köpfe, wie die Geschichte lehrt. Dem muß
vorgebeugt werden. Dazu ist es bereits allerhöchste Zeit. Es ist
fünf Minuten vor 12.“
Nun, Genossen, wenn ich nichts von Deutschland wüßte, nur
diese Worte aus dem Munde eines Bürgerlichen, sie wären für mich
ein Beweis, wie akut die Frage in einem Lande wie Deutschland
wird, wo große Massen revolutionärer Bauern nicht vorhanden
sind, wo nur einige Schichten der Bauernschaft zu gewinnen und
die anderen zu neutralisieren sind. Der Herr Doktor Schlittenbauer
sagt vollkommen mit Recht, daß eine Bauernrevolution eben radikal
und grausam wird — das können wir von der russischen Revolution
bestätigen — und daß es dabei Rauch und Feuer und noch manches
andere gibt. Bei einer solchen Lage dürfen wir diese Frage nicht
unterschätzen. Es ist nicht eine untergeordnete Frage, sondern
die Frage zur Diktatur des Proletariats.

Von den Thesen zur Aktion.


Ich habe gelesen, daß die Völkischen in Deutschland ein ganz
geschicktes, demagogisches „Aktionsprogramm“ für die Bauern*
schaft aufgestellt haben. Was bedeutet es, wenn die Völkischen
ein „Aktionsprogramm“ aufstellen? Manche unserer Ultralinken
werden vielleicht sagen: „weil wir für die Diktatur des Proletariats
sind, geht uns die Bauernschaft nichts an“. Oder bestenfalls sagt
man: „Wir werden der Zentrale eine spezielle Bauernabteilung
angliedern und dort Leute hineinsetzen“, und sie werden Thesen
schreiben, die leider niemand lesen wird. Das kommt manchmal
vor. In Agrarländern ist das nicht besser. Ich las z. B. über Ru* .
mänien, daß die gegenrevolutionäre Partei Avarescus neulich einen
Kongreß einberief, an dem 10 000 Bauern teilnahmen — es ist wahr*
scheinlich, daß auch reiche Bauern dabei waren, — aber wenn sie
10 000 Bauern zusammenbringen, hat das etwas zu bedeuten.
Die bürgerlichen Parteien Polens rufen ebenfalls stark besuchte
Bauernkongresse in Warschau ein. Im bayerischen Landtag wird
gesagt: „Fünf Minuten vor 12, eine Bauernrevolution droht,“ das
H

bedeutet, daß die Bauernfrage eine der wichtigsten Fragen für uns
bildet, nicht nur in den Agrarländern, sondern auch in den aus*
gesprochensten Industrieländern, wo die Lage revolutionär ist, wie
in Deutschland.
Ich glaube, man muß hier revolutionär vorgehen. Genug der
Thesen auf dem Papier, genug des Nachplapperns der Sozialdemo*
kratischen Ansicht, daß die Bauernschaft uns nichts angehe.
Ja, Genossen, insofern wir eine Zukunftspartei sind, geht uns
die Bauernschaft nichts an, insofern wir aber eine wirkliche Ar*
beiter* und Bauernregierung und die Hegemonie des Proletariats
in der Revolution erstreben, insofern müssen wir auch mit unserer
9 4

Propaganda in die Bauernschaft hinein.


Einige Illustrationen aus der Geschichte der russischen Re*
volution.
Die Kommunisten haben jetzt große Erfolge unter der Ar*
beiterschaft Deutschlands. Wir haben große Fabriken ganz auf
unserer Seite in Deutschland. Man muß so tun, wie wir es in
Rußland gemacht haben. Wenn wir sagen, daß eine Fabrik mit uns
sympathisierte, riefen wir eine Betriebsversammlung ein und
sagten: „jetzt gilt es, unter der Bauernschaft etwas zu leisten.
Kinder, wir wollen zunächst 25 Kerle aussuchen und sie in diese
oder jene Gouvernements zu den Bauern hinausschicken. Man
braucht dazu Geld, die Partei hat das Geld nicht, die Arbeiter
werden es sammeln. Wir werden aus 5 Kommunisten und 20 Partei*
losen eine Gruppe bilden,, und sie auf ein oder zwei Monate in
die Dörfer hinaussenden. Wir werden ihre Familien unterstützen,
bis sie zurückkommen.“ So wurde die Arbeit getan. Die Arbeiter*
frauen spielten hierbei die größte Rolle. Die Arbeiter schrieben
Briefe, schickten Flugblätter, Zeitungen, Leute in die Dörfer. Jede
Ferienreise eines Proletariers wurde zu diesem Zweck ausgenutzt.
Die Proletarier wußten: die Kommunistische Partei hält die Arbeit
im Dorfe für eine der wichtigsten Aufgaben.

Die Bedeutung der Bauernarbeit für die Armee.


Stellen Sie sich vor, wenn das unsere deutsche Partei einmal
macht, die doch jetzt die größten Sympathien in den Arbeiter*
massen genießt, die in großen Betrieben die Mehrheit auf ihrer
Seite hat. Wenn sie wirklich da ein wenig organisiert, nicht nur
Kommunisten, auch Parteilose, wenn sie das durch die Betriebs*
räte tut, ganz systematisch — in einigen Monaten werden wir dann
neue Ergebnisse haben, wir werden auch die Arbeiterfrauen haben,
die wir zur Arbeit auf dem Lande und in der Armee brauchen. Die
besten Agitatoren sind die Arbeiterfrauen, das hat die russische
Revolution gezeigt. Man muß hier nicht konservativ auftreten,
- j - .

tv .
- 4

^ * «
sondern soll neue Formen der Agitation anwenden. Man darf nicht
vergessen, daß die Armee zu 50 Prozent aus Bauern besteht.
Wenn es wahr ist, was dieser Bayerische Abgeordnete sagt:
„Fünf Minuten vor 12“, wenn so eine große Verschärfung bei den
Bauern vorhanden ist, so kann das nicht ohne Resultat in der
Armee bleiben, wo zwar viele Offiziere aus dem Adel sind, aber
noch mehr Bauernsöhne dienen. Wer hat stets die revolutionäre
Bewegung unterdrückt? Wer hat uns 1905 niedergeschlagen? Wer
hat die bayerische Räterepublik niedergeschlagen und noch manche
Aufstände nach dem Jahre 1918? Im Grunde waren es die Bauern*
söhne.
Also Genossen, diese Frage ist eine der wichtigsten in der
Kommunistischen Internationale. Wollen wir nicht so viel herum*
tüfteln, an dem, was Radek oder ich gesagt haben, auf dem III. oder
IV. Kongreß, sondern nehmen wir die wichtigste Frage zur Vor*
bereitung der Revolution in Angriff, tragen wir hier ein wenig
neuen Geist hinein, wirkliche revolutionäre Entschließung. Thesen
in allen Ehren, aber wir sollen nicht nur Thesen abfassen, sondern
auch versuchen, die Arbeiter* und Bauernmassen aufzurütteln.

Man muß endlich einmal lernen, an die Bauernmassen


heranzukommen.
Besonders, Genossen, betrifft das die agrarischen und halb*
agrarischen Länder: Es muß ein für allemal mit der Schande auf*
hören, daß unsere Parteien dort nicht verstehen, die Bauern an*
zupacken. Manche Parteien wissen nicht einmal, wie viele Bauern
sie in ihrem Lande haben, und in welcher Lage sie sich befinden.
Was würden Sie dazu sagen, Genossen, wenn wir z. B. eine Reise
machen wollten, alles genau überlegt hätten, nur eine „Kleinigkeit“
auer Acht gelassen hätten: die Entfernung, die evtl. Hindernisse
und ähnliches mehr. Das ist dasselbe, wie wenn eine Kommu*
nistische Partei sagt: ich will siegen, den Sozialismus erkämpfen,
nur weiß ich nicht das eine, nämlich, eine „Kleinigkeit“, ich weiß
nicht, wie meine Bevölkerung zusammengesetzt ist, welches spe*
zifische Gewicht die Bauernschaft hat, in welcher ökonomischen
Lage sie sich befindet, was sie will.
Was würden Sie von einem Chirurgen sagen, der operieren
wollte und dabei nur eine Kleinigkeit vergessen hätte, wie das
Herz des Kranken ist? Das wäre doch genau dasselbe. Sie wollen
eine so wichtige chirurgische Operation unternehmen, wollen die
Bourgeoisie besiegen und vergessen die Kleinigkeit, zu erfahren,
wie es in den agrarischen Ländern aussieht. Mit demjenigen Teil
der Bevölkerung, der die Mehrheit darstellt.
Also ich meine: nicht so viel in den pazifistischen Abweichung
gen des Genossen Varga herumsuchen, sondern die wichtigste
grundlegende Tatsache hervorheben, ohne die wir keine revolu*
tionäre kommunistische Partei sind, oder wir sind das vielleicht,
aber noch nicht diejenige revolutionäre kommunistische Partei,
die wir werden müssen, um einen wirklichen Sieg davon zu tragen.

FRAGEN DER TAKTIK .

i Abwälzung der Verantwortung.


Jetzt komme ich, Genossen, zur Frage unserer Taktik. Es
wurde hier behauptet — es war das erste Wort des Genossen
R adek gegen uns —, was hier vor sich geht, das sei die Liquidierung
der Einheitsfronttaktik des IV. Kongresses. Und das haben, leider
noch andere Genossen nach Radek wiederholt, zu meinem Bedauern
auch Genossin Zetkin, von der ich Besseres erwartet hätte. Nun,
Genossen, daß wir nach dem IV. Kongreß einen V. brauchen,
nach dem V. noch einen VI. usw. das ist wohl klar.
Daß manches, was von einem Kongreß beschlossen worden
ist, auf dem nächsten verbessert oder modifiziert werden muß, ist
auch klar, sonst brauchten wir ja keine Kongresse mehr.
Wir könnten einmal Zusammenkommen und ein für allemal
etwas beschließen. Also, wenn man für diesen oder jenen Teil einer
Resolution eine Aenderung oder Ergänzung vorschlägt, so ist das
keinesfalls ein Beweis dafür, daß man eine Revision, eine Liquh
dation der Grundlagen der früheren Taktik vorschlägt.
Genossen, Sie verstehen ja, welchen spezifischen Beigeschmack
dieser Vorwurf gerade jetzt hat, im Moment des V. Kongresses,
wo wir zum ersten Male ohne den Genossen Lenin arbeiten
müssen, wo wir alle diese schweren Krisen in den einzelnen Län*
*

dern durchgemacht haben. Sie fühlen schon den spezifischen Bei*


geschmack, wenn man sagt: was hier vorgeschlagen wird, ist eine
Revision des III. und des IV. Kongresses. Ich glaube behaupten
zu dürfen und beweisen zu können, daß nicht wir die Revision der
Resolution des III. und IV. Kongresses vorschlagen, sondern eben
Radek und die anderen Rechten. Die Sache ist die, daß die Rechte
jetzt gezwungen ist, Farbe zu bekennen. Sie kann jetzt nicht mit
der Exekutive mitgehen, und so ist es gekommen, daß man jetzt
versucht, wie man im Russischen sagt, die Verantwortung von
einem kranken Kopf auf den gesunden abzuwälzen.

92
Ueber die rechten Abweichungen des Genossen Radek.
W er ist mit wem gegangen?
Es wurde hier vom Genossen Radek gesagt, ich hätte be*
hauptet, ich wäre der „Verführte“ von Radek gewesen. Er hat das
viele Male behauptet und Genossin Zetkin hat seine Worte buch*
stäblich wiederholt — was mir leid tut, denn ich habe von ihr
Besseres erwartet als die einfache Wiederholung dessen,* was Radek
gesagt hat.
Also die Frage hat einige politische Bedeutung, wer der „Ver*
führte“ war. Die Genossin Zetkin sagte: „Ja, woher kommt das.
Die Exekutive ging vier oder fünf Jahre mit Radek, jetzt ist er
plötzlich der Rechte!“ Es ist ihr gar nicht eingefallen, daß das
Verhältnis vielleicht etwas anders war, nämlich, daß nicht die
Exekutive fünf Jahre mit Radek ging, sondern Radek mit der
Exekutive. (Zustimmung.) Also, Genossen, so war eben die Sache,
daß nicht die Exekutive mit Radek ging, sondern Radek teilweise,
eine Zeitlang, mit der Exekutive gegangen ist (was seinerseits sehr
lobenswert war). Ich glaube das ist gar nicht so schwer zu ver*
stehen.
Sie werden mir erlauben, einige Tatsachen von politisch*bio*
graphischer Bedeutung anzuführen. Dies erscheint geboten, weil
es politische Bedeutung hat, wer tatsächlich der „Verführte“ war
und wer mit wem gegangen ist. Genossen, es kommt immer so,
daß Meinungsverschiedenheiten sich allmählich ansammeln, auf*
speichern und dann schlägt eben die Quantität in die Qualität um
und man sieht „plötzlich“, es sind zwei ganz verschiedene Linien da.
Das kommt nicht über Nacht, nicht in einer Stunde, manchmal
dauert es ziemlich lange.

Zehn Punkte der Meinungsverschiedenheiten mit


Genossen Radek.
Wenn ich jetzt versuche, mir zu vergegenwärtigen, welche
Meinungsverschiedenheiten wir in den letzten Jahren mit Radek
während unserer gemeinsamen Arbeit in der K.I. hatten, so könnte
ich folgende zehn auf zählen:
Meine erste und ziemlich harte und scharfe Meinungsverschie*
denheit mit Radek war während des zweiten W eltkongresses.
In welcher Frage, Genossen? In der Frage Paul Levi. In der Frage
Paul Levi und in der Frage des Verhältnisses zu den Rechten und
Linken. Während des zweiten Kongresses schon, manche Genossen
werden sich erinnern, ich hatte eine Rede in der Exekutive gehalten,
in der ich sagte: die Rechten werden wir schonungslos bekämpfen.
Es handelte sich damals um Crispien, Dittmann usw., die uns um*

93
worben hatten, und die in die Internationale hineinwollten. Ich
sagte, diese Leute werden wir als Klassenfeinde bekämpfen. Was
die Linke betrifft, die „Ultralinke“, so war sie damals sehr aus*
gedehnt. Es gab unter den Linken ehrliche revolutionäre Eie*
mente, sie waren sehr unklar, aber wir haben sie als Kampfgenossen
betrachtet, sie waren keine Klassenfeinde. Levi meinte, wir müßten
nur „echte Kommunisten“, aber nie und nimmer revolutionäre Syn?
dikalisten in die Internationale aufnehmen. Es war damals die
Frage der K.A.P.D. akut. Ich war dafür, daß man sie als sym-
pathisierende Partei auf nimmt. Diese Taktik war die richtige. Levi,
die damalige rechte Zentrale, die sich unter seinem Einfluß be?
fand, und Radek waren dagegen. Das war die erste Meinungs*
Verschiedenheit ziemlich wichtiger Natur. Schon während des
II. Weltkongresses der K.I. (der erste war nur eine ganz kleine
Versammlung) hatten wir also eine grundlegende Meinungsver?
schiedenheit in der Frage Levi, K.A.P.D., in der Frage der Behänd?
lung der Rechten und der Linken, sogar nicht einmal der Kommu?
nisten, sondern der Syndikalisten.
Die zweite Meinungsverschiedenheit betraf speziell das Ver*
hältnis zur K. A. P. D., was ich oben scho.n ausgeführt habe. Wir
gerieten wiederholt in dieser Frage aneinander.
Die dritte Meinungsverschiedenheit entstand infolge des ersten
Offenen Briefes der deutschen Zentrale an die S. P. D., der von
Radek geschrieben wurde. Einige Genossen — ich und Bucharin —
waren dagegen, weil wir fürchteten, daß Levi und die Elemente
um ihn aus dieser Taktik statt einer wirklich revolutionären
Strategie das machen würden, was dann tatsächlich gemacht
worden ist. Darum waren wir am Anfang gegen den Offenen
Brief.
Die Einmischung des Genossen Lenin hat die Sache später
eingerenkt. Aber Levi behielten wir noch mehr im Auge. Später
stellte es sich heraus, daß im Falle Levi wir Recht gehabt hatten.
Genosse Lenin gab es zu.
Die vierte Meinungsverschiedenheit war die Frage der Kon*
ferenz der drei Internationalen in Berlin. Sie werden sich
erinnern, daß Radeks Haltung durch zwei Artikel, durch einen
des Genossen Lenin und durch einen meiner Wenigkeit desavouiert
wurde. Radek hatte das Maß des Erlaubten in der Taktik der
Einheitsfront überschritten, es war derselbe. opportunistische
Fehler wie auch'jetzt.
Genossin Klara, ging hier die Exekutive mit Radek, ging
Lenin mit Radek oder aber Radek mit der Exekutive? Radek hat
damals seinen Fehler eingesehen und nachgegeben — um so besser
für ihn.
Die fünfte Meinungsverschiedenheit bestand in der nor*
wegischen Frage. Als wir Radek nach Norwegen schickten,
schloß er sofort ein „einstimmiges“ faules Kompromiß mit Tram
mael. In diesem Falle konnten wir Radek nicht öffentlich desavom
ieren aus bestimmten Gründen, die Sie wohl begreifen werden,
Die sechste Meinungsverschiedenheit bestand in dem Ver*
halten R adeks zur Deutschen Linken. Jedermann weiß, daß ein
wenn auch nicht offener Kampf zwischen mir und Radek in dieser
Frage geführt wurde. Radek ging 'durch dick und dünn mit
Brandler, unterstützte auch mit wenigen Ausnahmen seine organi*
satorischen Drohungen gegenüber den Linken. Ich habe nicht
immer die Linke unterstützt, man kannte die neuen Führer nicht,
man glaubte, Radek hätte bessere Personalkenntnisse.
Ich habe nicht immer klar gesehen, aber die eine Tendenz
war für mich absolut klar: wir müssen, koste es was es wolle, eine
Verständigung mit der Linken finden.
Die siebente Meinungsverschiedenheit. Ist die „A rbeiter*
regierung“ ein Pseudonym für die Diktatur des Proletariats oder
nicht? Darüber werde ich noch später sprechen.
Die achte Meinungsverschiedenheit betraf den Leipziger
Parteitag; es handelte sich um den Satz über die „Arbeiter*
regierung im Rahmen der bürgerlichen Demokratie“, den ich und
Bucharin kritisierten und der von Radek verteidigt wurde.
0

Die neunte Meinungsverschiedenheit berührte das Steuer*


Programm, die Beschlagnahme von 51 Prozent und alle diese
Sachen. Wir waren dagegen, nicht weil wir Teilforderungen im all*
gemeinen ablehnten, sondern weil wir nur solche Teilforderungen
gelten lassen, die die Massen interessieren, nicht gekünstelte, tote
Teilforderungen, die man am grünen Tisch ausdenkt.
Die zehnte Meinungsverschiedenheit ist das Wichtigste. Wir
waren während der Septem ber-O ktobenT age 1923 nicht in allem
einig. Ich habe schon in der Presse auseinandergesetzt, wie Radek
gegen den Antifaschisten*Tag eingestellt war. Das ist aber nicht
das Wichtigste. Wichtiger ist seine Stellung auf der September*
konferenz 1923 der deutschen Genossen in Moskau. Wir haben
die Frage so gestellt: wäre es jetzt nicht an der Zeit, in Deutsch*
land die Parole der Bildung der Sowjets, der Arbeiterräte aus*
zugeben? Radek war dagegen, und leider haben auch hier die
Vertreter der Linken nachgegeben. (Thälmann: nicht alle!)
Damals sagten auch die Linken: Die Betriebsräte genügen, das
ist dasselbe wie Räte (wir glaubten es selber) wir brauchen noch
keine Arbeiterräte, das würde zur Parallelarbeit führen usw. Als
wir sahen, daß die Linke nachgibt, mußten auch wir nachgeben.

95
Wenn wir jetzt die Sache retrospektiv betrachten, so müssen
wir festseilen, das alle diese Meinungsverschiedenheiten auf ein
und derselben Linie liegen.
Der Kongreß ist natürlich nicht so naiv zu glauben, fünf Jahre
hätte die Exekutive Radek gefolgt, jetzt endlich habe sie seine
Fehler eingesehen. Die Sache verhielt steh' gerade umgekehrt. Aber
dasselbe ist leider nicht nur mit Radek passiert, sondern auch' mit
der Genossin Zetkin.

Die opportunistische Komödie in Sachsen.


Das tut mir leid, aber es ist absolut notwendig, das hier zu
sagen« Die Genossin Zetkin ist von der Exekutive abgerückt. Es
gab einen Moment, wo sie sogar in der jetzt umstrittensten Frage
der „banalen Parlamentskomödie“ in Sachsen mit uns einig ging.
Dem Genossen Radek mißfällt auch, daß ich das, was sich in
Sachsen abspielte, als eine banale parlam entarische K om ödie be*
zeichnete. Ich möchte dabei etwas verweilen. Im Gegensatz zu
seinen Behauptungen will ich1 Sie mit dem bekannt machen, was
ich über den Eintritt in die Regierung in meiner Schrift „Probleme
der deutschen Revolution“ geschrieben habe:
„Der Eintritt der deutschen Kommunisten in die sächsische
Regierung hat nur dann Sinn, wenn er von sicheren! Garantien
begleitet sein wird, daß der Apparat der Staatsgewalt tatsächlich
nur der Arbeiterklasse dienen wird; daß die Bewaffnung von
zehntausenden Arbeitern zum Kampfe gegen den bayrischen und
den deutschen Faschismus beginnen wird; daß nicht in Worten,
sondern in der Tat die Massenverbannung der bürgerlichen Be*
amten aus den Apparat der Staatsmacht beginnen wird, die
zum Teil noch aus den Wilhelminischen Zeiten zurückgeblieben
sind; daß unverzüglich wirtschaftliche Maßnahmen revolutio*
nären Charakters ergriffen werden müssen, die empfindlich die
Bourgeoisie treffen.
Gelingt es der jetzigen sächsischen Regierung tatsächlich,
Sachsen zu einem roten Lande zu machen, das wenigstens bis zu
einem gewissen Grade zum Konzentrationspunkt aller revolu*
tionären proletarischen Kräfte des Landes werden wird, dann
wird das revolutionäre deutsche Proletariat die sächsischen Ver*
suche begreifen und unterstützen. Geschieht es nicht, so müssen
die deutschen Kommunisten die ganze sächsische Episode bloß
dazu ausnutzen, um noch einmal den deutschen Massen die
Charakterlosigkeit der „linken“ Sozialdemokraten und die
gegenrevolutionäre Schäbigkeit der sozialdemokratischen Führer
vorzudemonstrieren. Eine „Einheitsfront“ zur Vertuschung der

%
revolutionären Aufgaben lehnen wir ab.“ (Probleme der
deutschen Revolution. Kapitel III.)
Das schrieb ich gleich in den ersten Stunden des „sächsischen
Experiments“. Kaum waren einige Tage vergangen, und für mich
wurde klar, daß die rechten Elemente in der KPD. unsere Taktik
f r

zu einer opportunistischen Tragödie degradierten.


Am 5. November 1923 beantragte meine Wenigkeit, einen
vertraulichen Brief an die deutsche Zentrale zu schicken, wo von
dieser wahren Parlamentskomödie die Rede war. Genossen, wir
brauchen uns dieses Briefes nicht zu schämen. Es ist kein
schlechtes Dokument. Der Entwurf war von mir verfaßt. Die
Redaktionskommission bestand aus den Genossen Kolarow,
Zetkin, Sinowjew, Kuusinen und noch anderen Genossen. Genossin
Clara Zetkin hat fleißig mitgearbeitet, manche politische und
stilistische Aenderung angebracht. Wir haben den Brief ein?
stimmig beschlossen. Wie war damals die Lage? Ist die Exekutive
der Genossin Zetkin gefolgt oder umgekehrt? Genossin Zetkin
ist der Exekutive gefolgt. Das war auch sehr gut; schlimm ist
nur, daß die Genossin Zetkin jetzt nicht mehr der Exekutive
folgen will, jetzt, wo die Sache noch klarer ist als im November.
Schlimm ist, wenn sie mit Rücksicht auf ihre Freundschaft und
Solidarität mit denjengen, die jetzt von der Linie der K. I. ab?
gerückt sind, nicht mit uns geht. Dieselbe Stellung, „man soll sie
nicht verlassen“, hatte sie leider auch auf dem III. Kongreß gegen?
über Levi eingenommen. Dieses Freundschaftsgefühl ist die gute
Seite der Genossin Zetkin. Es schlägt hier aber dialektisch in
$ einen politischen Fehler um. Das Herzensgute, das wir an ihr so
schätzen und lieben, schlägt dialektisch in einen politischen
Fehler um.

Die starken und die schwachen Seiten Radeks.


Radek hat hier frisch, fröhlich und munter gesprochen, mit
viel Humor, um den ich ihn beneiden muß. Das war wirklich
eine Tat in seiner Lage.
Aber, Genossen, wenn man die Sache wirklich ernst nimmt,
so zeigt die Arbeit der K.I. während der 5 Jahre — und das sind
wichtige 5 Jahre —, daß im Innern ein Kampf vor sich ging, der
nicht bis zu Ende geführt wurde, weil Genosse Radek sich der
K. I. und dem Russischen Z. K. fügte und keine Opposition aus?
dachte. Wir alle sagten uns: wir kennen doch unseren Radek,
kennen seine starken und seine schwachen Seiten; seine starken
bestehen darin, daß er ein guter Journalist ist; seine schwache
Seite darin, daß er das ganze politische Leben durch die Spalten
der Zeitung sieht. Er ist eben ein Journalist, dessen Artikel

97
fertig ist, noch bevor er ihn durchdacht hat. Manche be?
haupten, sonst ist man kein echter Journalist. Unlängst habe ich
eine Studie, ich glaube, von Maximilian Harden gelesen, in der er
beschreibt, was der Journalist ist. Der ausgesprochene Typ ist
der Mann, der sofort reagiert, wenn die Tatsachen noch brüh?
*

warm sind, der sofort reagiert und dann erst, wenn er geschrieben
hat, nachdenkt. Das ist Radeks starke und schwache Seite. „Wie
könnt ihr Sachsen beurteilen“, sagte Radek oft zu uns, „wo ich
täglich 10 sächsische Zeitungen lese!“ Auch von Lenin sagte er
öfters: „der Alte ist wirklich genial, aber wie kann er sich in der
Weltpolitik auskennen, ohne alle Zeitungen, Broschüren gelesen
zu haben! Das verstehe ich nicht.“ Nun, ich bin nicht gegen das
Lesen von Zeitungsartikeln und Broschüren, aber es wäre leicht?
sinnig, nur auf Grund dieser Lektüre urteilen zu wollen. Oft
sagte er auch: „Wie können Sie es leugnen, es steht doch in der
Zeitung.“ Als ob Radek nicht wüßte, wie Zeitungen gemacht
werden. (Heiterkeit, Beifall.)

DIE BERÜCHTIGTE „REVISION“DER RESOLUTIONEN


i DES IV. KONGRESSES. 4

Die Taktik der Einheitsfront.


Nun, Genossen, erlauben Sie mir, zu der Frage überzugehen,
ob es richtig ist, daß wir jetzt eine Revision der Beschlüsse
des IV. Kongresses vornehmen. Ich glaube, daß ich hier
ein wenig ungeschickt gesprochen habe, was mißverstanden worden
ist. Ich habe den Satz über die Koalition aller Arbeiterparteien
zitiert. Jetzt kommt der Genosse K reibich und sagt: „Da steht es
doch: Koalition aller Parteien, das ist eben die beste Taktik der
Einheitsfront und der Arbeiterregierung. Meine Ungeschicklich?
keit bestand darin, daß ich nicht fünf Zeilen weiter gelesen habe,
wo es heißt:
„Die elem entarste A ufgabe einer Arbeiterregierung muß
darin bestehen ............. das Proletariat zu bew affnen, die
bürgerlichen konterrevolutionären Organisationen zu enU
waffnen, die Kontrolle der Produktion einzuführen, die Haupt?
last der Steuern auf die Schultern der besitzenden Klassen ab?
zuwälzen und den W iderstand der konterrevolutionären Bour­
geoisie zu brechen.“
Ich werde die Resolution ausführlicher zitieren. Das ist not?
wendig, da eine ganze Legende über eine Revision und Liquidation

98
f

der Taktik der Einheitsfront und der Arbeiterregierung geschaffen


wird. Das mag langweilig sein, ist aber nützlich.
Es heißt in den Resolutionen des IV. Kongresses:

%
„Taktik der Einheitsfront“.
„Die Taktik der Einheitsfront bedeutet das Vorangehen der
Kommunistischen Avantgarde in den täglichen Käm pfen der
breiten A rbeiterm assen um ihre notwendigsten Lebensinteressen.
In diesem Kampfe sind die Kommunisten sogar bereit, mit den
verräterischen” Führern der Sozialdemokraten und der Amster*
damer zu verhandeln. Die Versuche der II. Internationale, die
Einheitsfront als organisatorische Verschmelzung aller „Arbeiter*
Parteien“ hinzustellen, sind selbstverständlich auf das ent*
schiedenste zurückzuweisen. Die Versuche der II. Internationale,
unter dem Deckmantel der Einheitsfront, die weiter links stehenden
Arbeiterorganisationen aufzusaugen (Vereinigung der S. P. und
U. S. P. in Deutschland), bedeuten in der Tat nichts anderes als
die Möglichkeit für die sozialdemokratischen Führer, neue
Arbeitermassen an die Bourgeoisie auszuliefern.
Die Existenz selbständiger kommunistischer Parteien und
/deren vollständige A ktionsfreiheit gegen die Bourgeoisie und
gegen d ie konterrevolutionäre Sozialdem okratie ist die wichtigste
historische Errungenschaft des Proletariats, auf die die Kom*
munisten unter keinen Umständen verzichten werden. Die kom*
munistischen Parteien allein verfechten die Interessen des ge*
samten Proletariats.
Die Taktik der Einheitsfront bedeutet auch keinesfalls söge*
nannte „Wahlkombinationen“ der Spitzen, die diese oder jene
Zwecke verfolgen. Die Taktik der Einheitsfront ist das Angebot
des gemeinsamen Kampfes der Kommunisten mit allen Arbeitern,
die anderen Parteien oder Gruppen angehören, und mit allen
parteilosen Arbeitern zwecks Verteidigung der elementarsten
Lebensinteressen der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie. Jeder
Kampf um die kleinste Tagesförderung bildet eine Quelle revolu*
tionärer Schulung. Denn die Erfahrungen des K am pfes werden
die W erktätigen von der U nverm eidlichkeit der Revolution und
der Bedeutung des Kommunismus überzeugen.
Eine besonders wichtige Aufgabe bei der Durchführung der
Einheitsfront ist die Erreichung nicht nur agitatorischer, sondern
auch organisatorischer Resultate. (Wohlgemerkt: agitatorischer
und organisatorischer — sonst keiner!) Keine einzige Gelegenheit
darf verpaßt werden, um in der Arbeitermasse selbst organi*
satorische Stützpunkte, Betriebsräte, Kontrollkommissionen aus
Arbeitern aller Parteien und Parteilosen, Aktionskomitees usw.
zu schaffen.

/
. . t- *

*'
Das Wichtigste in der Taktik der Einheitsfront ist und bleibt
die agitatorische und organisatorische Zusammenfassung der
Arbeiterm assen. Der wirkliche Erfolg der Einheitsfronttaktik
erwächst „von unten“, aus den T iefen der A rbeiterm assen selbst.
Die Kommunisten können dabei aber nicht darauf verzichten,
unter gewissen Umständen auch mit den Spitzen der gegnerischen
Arbeiterparteien zu unterhandeln. Ueber den Gang dieser Unter*
handlungen müssen die Massen jedoch dauernd und vollkommen
unterrichtet bleiben. Die Selbständigkeit der Agitation der
Kommunistischen Partei darf auch während der Unterhandlungen
mit den Spitzen keinesfalls eingeschränkt werden.
Es versteht sich von selbst, daß je nach den konkreten Be*
dingungen die Taktik der Einheitsfront in den verschiedenen
Ländern in verschiedener Form anzuwenden ist. Aber dort, wo
in den wichtigsten kapitalistischen Ländern die objektiven Verhält*
nisse für die soziale Umwälzung gereift sind und wo — von konter*
revolutionären Führern geleitet — die sozialdemokratischen Par*
teien bewußt auf die Spaltung der Arbeiterschaft hinarbeiten, wird
die Taktik der Einheitsfront für eine neue Epoche maßgebend sein.“
All das bleibt auch jetzt absolut richtig.
• •

Der IV. Kongreß über die Arbeiterregierung.


Zu der Resolution des IV. Kongresses über die „Arbeiter*
regierung“ lesen wir:
„Als allgemeine propagandistische Parole ist die Arbeiter*
regierung (evtl. Arbeiter* und Bauernregierung) fast überall zu
gebrauchen. Als aktuelle politische Parole aber hat die Ar*
beiterregierung die größte Bedeutung in denjenigen Ländern, wo
die Lage der bürgerlichen Gesellschaft besonders unsicher ist,
wo das Kräfteverhältnis zwischen den Arbeiterparteien und der
Bourgeoisie die Entscheidung der Regierungsfrage als praktische
Notwendigkeit auf die Tagesordnung setzt. In diesen Ländern
ergibt sich die Losung der Arbeiterregierung als unvermeidliche
Schlußfolgerung aus der ganzen Taktik der Einheitsfront.
Die Parteien der II. und der II^Internationale versuchen,
in diesen Ländern die Lage dadurch zu „retten“, daß sie eine
Koalition der Bürgerlichen und Sozialdemokraten propagieren
und verwirklichen.
Die neuesten Versuche einiger Parteien der II. Internationale
(z. B. in Deutschland), eine offene Teilnahme an einer solchen
Koalitionsregierung abzulehnen, und sie gleichzeitig in ver*
steckter Form durchzuführen, bedeuten nichts anderes als ein
Beschwichtigungsmanöver gegenüber den protestierenden
Massen, als einen raffinierten Betrug der Arbeitermassen. Einer
offenen oder maskierten bürgerlich*sozialdemokratischen Koa*

100

%
lition stellen die Kommunisten die Einheitsfront aller Arbeiter
und eine Koalition aller Arbeiterparteien auf ökonomischem und
politischem Gebiete zum Kampf gegen die bürgerliche Macht
und zu ihrem schließlichen Sturz gegenüber. Im vereinten
Kampfe aller Arbeiter gegen die Bourgeoisie soll der ganze
Staatsapparat in die Hände der Arbeiterregierung gelangen und
dadurch sollen die Machtpositionen der Arbeiterklasse gestärkt
werden.
D ie elem entarsten Aufgaben einer Arbeiterregierung müssen
darin bestehen, das Proletariat zu bew affnen, die bürgerlichen,
konterrevolutionären Organisationen zu entw affnen, die Kon?
trolle der Produktion einzuführen, die Hauptlast der Steuern
auf die Schultern der Reichen abzuwälzen und den W iderstand
der konterrevolutionären Bourgeoisie zu brechen.
Eine solche Arbeiterregierung ist nur möglich, wenn sie aus
dem Kampfe der Massen selbst geboren wird, sich auf kämpf«'
fähige Arbeiterorgane stützt, die von den untersten Schichten
der unterdrückten Arbeitermassen geschaffen werden. Auch
eine Arbeiterregierung, die einer parlamentarischen Konstellation
entspringt, die also rein parlamentarischen Ursprungs ist, kann
den Anlaß zu einer Belebung der revolutionären Arbeiter?
bewegung geben (z. B. sogar die MacDonald?Regierung jetzt).
Es ist selbstverständlich, daß die Geburt einer wirklichen
Arbeiterregierung und die weitere Aufrechterhaltung einer Re?
gierung, die revolutionäre Politik treibt, zum erbitterten Kampf,
evtl, zum Bürgerkrieg mit der Bourgeoisie führen muß. Schon
der Versuch des Proletariats, eine solche Arbeiterregierung zu
bilden, wird von vornherein auf den schärfsten Widerstand
der Bourgeoisie stoßen. Die Losung der Arbedterregierung ist
daher geeignet, das Proletariat zusammenzuschließen, und revo?
lutionäre Kämpfe auszulösen.
Die Kommunisten müssen sich unter Umständen bereit
erklären, zusammen mit nichtkommunistischen Arbeiter?
Parteien und Arbeiterorganisationen eine Arbeiterregierung zu
bilden. Sie können das aber nur dann tun, wenn Garantien dafür
vorhanden sind, daß die Arbeiterregierung wirklich einen Kam pf
gegen das Bürgertum im oben angegebenen Sinne führen wird.
Dabei bestehen die selbstverständlichen Bedingungen der Teil?
nähme der Kommunisten an einer solchen Regierung darin, daß:
1. die Teilnahme an einer Arbeiterregierung nur mit Zu?
Stimmung der Komintern erfolgen kann;
2. Die kommunistischen Teilnehmer an einer solchen Re?
gierung unter der strengsten Kontrolle ihrer Partei stehen;
3. Die betreffenden kommunistischen Teilnehmer an dieser

101
Arbeiterregierung in engster Fühlung mit den revolutionären Or*
ganisationen der Massen stehen;
4. Die Kommunistische Partei ihr eigenes Gesicht und die
volle Selbständigkeit ihrer Agitation unbedingt behält.
Bei allen großen Vorteilen hat die Arbeiterregierungs;
parole auch ihre G efahren, ebenso wie die gesam te T aktik der
Einheitsfront G efahren in sich birgt. Um diesen Gefahren vor*
zubeugen, müssen die kommunistischen Parteien folgendes ins
Auge fassen:
Jede bürgerliche Regierung ist zugleich eine kapitalistische
Regierung, aber nicht jede Arbeiterregierung ist eine wirklich
proletarische, das heißt ein revolutionäres Machtinstrument des
Proletariats.
Die Kommunistische Internationale muß folgende Möglich*
keiten berücksichtigen:

I. Scheinbare Arbeiterregierungen:
1. Liberale Arbeiterregierung. Eine solche gab es in
Australien, eine solche Regierung wird auch in absehbarer Zeit
in England möglich sein.
2. Sozialdem okratische Arbeiterregierung (Deutschland).
%
II. Wirkliche Arbeiterregierungen:
3. Regierung der A rbeiter und ärmeren Bauern. Eine solche
Möglichkeit besteht auf dem Balkan, der Tschechoslowakei usw.
4. Arbeiterregierung mit Teilnahme der Kommunisten.
5. Wirkliche proletarische revolutionäre Arbeiterregierung,
die in reiner Form nur durch die Kommunistische Partei ver*♦

körpert werden kann.


Die ersten beiden Typen sind keine revolutionären Ar*
beiterregierungen, sondern in Wirklichkeit verkappte Koalitions*
regierungen zwischen Bourgeoisie und antirevolutionären Ar*
beiterführern.
• . Solche „Arbeiterregierungen“ werden in kri*
tischen Zeiten von der geschwächten Bourgeoisie geduldet, um
das Proletariat über den wahren Klassencharakter des Staates
zu täuschen oder sogar mit Hilfe der korrumpierten Ar*
beiterführer den revolutionären Ansturm des Proletariats ab*
zuwehren und Zeit zu gewinnen. Die Kommunisten können
sich an einer solchen Regierung nicht beteiligen. Sie müssen
im Gegenteil den wahren Charakter dieser Pseudo*Arbeiter*
regierungen unerbittlich vor den Massen entlarven. In der
gegebenen Niedergangsperiode des Kapitalismus, wo die wich*
tigste Aufgabe darin besteht, die Mehrheit des Proletariats für
$

102
-• r ^
v;
4

die proletarische Revolution zu gewinnen, können aber auch


diese Regierungen objektiv dazu beitragen, den Zersetzungs*
prozeß der bürgerlichen Gewalt zu beschleunigen.
Die Kommunisten sind bereit, auch mit jenen Arbeitern zu
marschieren, die die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats
noch nicht erkannt haben, mit sozialdem okratischen, Christ*
liehen, syndikalistischen, parteilosen usw. Die Kommunisten
sind also auch bereit, unter gewissen Garantien eine nicht*
kommunistische Arbeiterregierung zu unterstützen. Die Kom*
munisten erklären aber der Arbeiterschaft unter allen Um*
ständen offen, daß nur die Diktatur des Proletariats der Ar*
beiterklasse die wirkliche Befreiung sichert. Die zwei wei*
teren Typen der Arbeiterregierung (Ziffer 3 und 4), an denen
die Kommunisten teilnehmen können, bedeuten noch nicht die
Diktatur des Proletariats, sie sind nicht einmal eine geschieht*
lieh unvermeidliche Uebergangsform der Diktatur, aber sie
können dort, wo sie zustande kommen, ein wichtiger Aus*
gangspunkt zur Erkämpfung dieser Diktatur werden. Die
vollendete Diktatur des Proletariats ist nur diejenige wirkliche
Arbeiterregierung (Z iffer 5), die aus Kommunisten b e s te h t“
Nun frage ich Sie: Welche Arbeiterpartei der Welt außer der
kommunistischen gibt es, die imstande wäre, diese elementarste
Aufgabe durchzuführen — die Bourgeoisie zu entwaffnen, das
Proletariat zu bewaffnen, die Steuerlasten auf die Schultern der
Reichen abzuwälzen und den Widerstand der konterrevolutio*
nären Bourgeoisie zu brechen? Das kann nur eine wahre revo*
lutionäre Regierung tun, geleitet von einer kommunistischen
Partei. Was ist der Sinn des Zitierten? Wir sagten zu dem
sozialdemokratischen Arbeiter:
„Du bist für Koalitionsregierung, du glaubst noch an Koali*
tionen, du meinst, wir Kommunisten seien gegen die Einheit.
Nein, wir sind nicht gegen die Einheit, dem Bündnis mit dir
zuliebe sind wir sogar für eine Koalitionsregierung aller
Arbeiterparteien, aber nur unter der kleinen Bedingung,
daß sie gewisse elementare Bedingungen erfüllen — die
Bourgeoisie entwaffnen, die Arbeiter bewaffnen usw. Mit an*
deren Worten: wir sind gegen eine Koalition mit den Sozial*
demokraten und solchen „Arbeiterparteien“, die eigentlich keine
Arbeiterparteien sind. Aber weil du das nicht einsiehst, weil
du uns vorwirfst, daß die Einheitsfront wegen unseres Unwillens
nicht zustande kommt, so geben wir dir eine Formel, die dir
die Augen öffnen soll. Da, wir sind für eine solche Koalitions*
regierung, die dieses Programm durchsetzt. •

103
Es ist jedem Kommunisten klar, daß das heißt: wir sind
gegen eine Koalitionsregierung aller „Arbeiterparteien“, die
dieses Programm nicht durchführen kann.

Aus de II Lateinischen ins Revolutionäre.


Warum haben wir unseren Gedanken in dieser Form aus*
gedrückt? Einige Genossen kritisierten mich, daß ich gesagt
habe, man müßte die Parole „Diktatur des Proletariats“ aus dem
Lateinischen ins Russische übertragen, als ob ich wirklich hier
vom Standpunkt eines einfachen Uebersetzers gesprochen hätte.
Das soll heißen: vom Lateinischen ins Volkstümliche, ins Re*
volutionäre, und das heißt, nicht eine Sekte, sondern eine Massen#
partei sein. Lesen Sie, was Lenin im „Renegat Kautsky“ über
die Ereignisse in Deutschland 1918 schreibt. „Jetzt braucht man
es nicht mehr zu schreiben, jetzt haben die Ereignisse selber
gezeigt, daß die lateinischen Worte „Diktatur des Proletariats“
in die Sprache der Revolution übersetzt worden sind,“ — sagt
Wladimir Iljitsch.
Es handelt sich hier nicht nur um die einfache Popularisierung
einer Parole, sondern darum, daß wir als Massenpartei verlangen
müssen, daß unsere Agitation in Fleisch und Blut übergeht — das
heißt, diese lateinischen Worte ins Revolutionäre übersetzen.
Sonst sind wir Marxisten nicht des Jahres 1924, sondern des
Jahres 1847, des „Kommunistischen Manifestes“.
Wir befanden uns in einer Situation, wo die Sozialdemo*
kraten noch die Mehrheit hatten, als wir alle als Spalter
der Arbeiterbewegung galten, damals bestand eben die ganze
Strategie darin, daß wir versuchen mußten, der Sozialdemokrat
tischen Arbeiterschaft ad oculus zu demonstrieren, um was es
sich handelte.
Wir sind für die Einheit mit dir, wir sind sogar bereit, mit
den sozialdemokratischen Führern eine Koalition aller Arbeiter#
Parteien zu bilden —, mögen sie nur einwilligen, das zu tun,
was auch du, sozialdemokratischer Arbeiter, brauchst, das heißt,
die Bourgeoisie entwaffnen, die Arbeiter bewaffnen usw. Sie
wollen es nicht? Du siehst es ein? Folglich fällt die Schuld
nicht auf uns. Laß uns die Einheit von unten verwirklichen,
den sozialdemokratischen Führern zum Trotz. Mit anderen
Worten: aus pädagogischen Gründen sagten wir zu dem sozial#
demokratischen Arbeiter nicht: „Wir sind gegen die Koalition
mit anderen „Arbeiterparteien“, denn ihre Führer sind konter#
revolutionär,“ sondern wir sprachen zu ihm: „Wir sind zu einer
Koalition bereit, falls deine sozialdemokratischen Führer diese

104
Elementarbedingungen annehmen“, (die bekanntlich für diese
Herren unannehmbar sind).

Die Legende über die Revision unserer Taktik.


Ich hatte heute früh eine langweilige Arbeit, meine eigene
Rede auf dem IV. Weltkongreß nachzulesen. Es gibt bekanntlich
keine langweiligere Arbeit, und es wird Sie vielleicht auch lang»
weilen zu hören, was dort steht. Ich muß aber eine Reihe län*
gerer Zitate anführen, um der Legende über die Revision un*
serer Taktik das Genick zu brechen. Ich sagte auf dem IV. Kon#
greß:
„Die Losung der Arbeiterregierung ist nicht genügend
geklärt. Die Taktik der Einheitsfront ist fast universell
anzuwenden. Man kann schwerlich ein Land nennen, wo
eine bedeutende Arbeiterklasse besteht und wo die Taktik
der Einheitsfront jetzt nicht angebracht wäre. Diese Taktik
ist ebenso in Amerika wie in Bulgarien, Italien und Deutsch*
land am Platze. Diese Taktik ist bei der gegebenen allge*
meinen Lage fast generell. Das kann man aber von der
Losung der Arbeiterregierung bei weitem nicht sagen. Die
Losung der Arbeiterregierung ist keinesfalls generell auf*
zufassen. Sie hat vielmehr beschränkte Bedeutung. Sie kann
nur in solchen Ländern aufgenommen werden, wo das Macht*
Verhältnis wirklich so ist, wo das Problem der Macht, das
Problem der Regierung sowohl auf parlamentarischem, wie
auch außerparlamentarischem Gebiete im Vordergrund steht.
Gewiß kann man heute auch in Amerika mit der Parole der
„Arbeiterregierung“ gute propagandistische Arbeit leisten, indem
man den Arbeitern zuruft: wollt ihr euch befreien, dann müßt
ihr die Macht in die Hände nehmen. Aber man kann nicht
sagen, daß bei den gegebenen Kräfteverhältnissen in Amerika
die Parole der Arbeiterregierung einen solchen Widerhall her*
vorrufen kann, wie es in der Tschechoslowakei der Fall war,
in Deutschland werden kann und in Italien war und werden
kann. Die Losung der Arbeiterregierung ist keine so generelle
Losung wie die Taktik der Einheitsfront. Die Losung der Ar*
beiterregierung ist die bestimmte konkrete Anwendung der
Taktik der Einheitsfront unter bestimmten Verhältnissen. Auf
diesem Gebiete kann man Fehler leicht begehen. Ich glaube,
Genossen, wir müssen uns dagegen verwahren, daß man manch*
mal versucht, diese Parole als Universalmittel aufzufassen, so,
als müßten wir unbedingt durch eine Arbeiterregierung hin*
durchgehen. Ich glaube, soweit man auf diesem Gebiet prophe*
zeihen kann, kann man viel eher sagen, daß die Arbeiterregie*
rung (das heißt, eine „Arbeiterregierung“ von Uebergangs*
Charakter, nicht eine revolutionäre Arbeiterregierung) nur aus*
nahmsweise zu einer Tatsache werden wird, nur unter ganz
speziellen konkreten Verhältnissen in diesem oder jenem
Lande. Die „Arbeiterregierung von Uebergangscharakter“ wird
nur eine Ausnahme sein. Außerdem heißt das keinesfalls, daß
wir durch eine Periode halbfriedlicher Natur den Weg gehen
werden dank der Arbeiterregierung, die uns die Last des
Kampfes abnehmen wird. Die Arbeiterregierung, die sich nur
auf parlamentarische Positionen gründen würde, wäre nichts
wert, sie würde nur eine kleine Episode im Kampfe sein und
den Bürgerkrieg nicht aufhalten. Das will nicht sagen, daß die
Parole der Arbeiterregierung unter den gegebenen Verhält*
nissen nicht anzuwenden ist . . .
Auch die Einheitsfronttaktik hat ihre Gefahren, darauf hat
die Exekutive in ihren Dezemberthesen hingewiesen. Besonders
große G efahren birgt sie in der Form der A rbeit er re gier ung►
Das wird in Ländern mit parlamentarischen Traditionen, wie
z. B. in Frankreich so aufgefaßt, als ob es sich um etwas anderes
für uns Marxisten handelte als um die Diktatur des Proletariats.
W ir verstehen unter dieser Parole nichts anderes als Anwendung
der Diktatur des Proletariats. Auch wenn eine Arbeiterregierung
kommen sollte, können wir den Bürgerkrieg nicht vermeiden.
Unter Umständen wird er durch sie noch verschärft werden.“
Ist das noch nicht klar genug, Genossen?
t

Da ist noch ein Zitat aus meinem Schlußwort:


„Es ist mir nicht ganz klar, ob wirklich in unserer Mitte
ernste Meinungsverschiedenheiten in dieser Frage bestehen
oder ob diese Frage vielleicht nur nicht ganz gut erläutert worden
ist und ob es sich nicht zum Teil nur um die Terminologie han*
delt. Im Laufe des Kongresses und bei der Abfassung der Re*
solution über die taktischen Fragen, die'wir nach den Fragen
der russischen Revolution behandeln werden, wird es sich zeigen.
Für mich handelt es sich absolut nicht um das Wort „Pseudo*
nym“, das hier zitiert worden ist. Ich bin gern bereit, in diesem
Streit um das W ort nachzugeben. Doch es handelt sich nicht
um Worte, sondern um die Auffassung. Ich glaube, die Frage
wird am klarsten, wenn ich zunächst folgendes ausspreche. Jede
bürgerliche Regierung ist zugleich eine Bourgeoisie*Regierung,
eine kapitalistische Regierung. Man kann sich schwerlich eine
bürgerliche Regierung vorstellen, eine Regierung der bürgerlichen
Klasse, die nicht zugleich eine kapitalistische Regierung wäre.
Aber leider kann man nicht das Umgekehrte sagen“.
/

« •
-

W as nicht zu vergessen ist.


„Nicht jede Arbeiterregierung ist gleichzeitig eine prole?
tarische Regierung; nicht jede Arbeiterregierung ist eine sozial
listische Regierung. Diese Antithese ist sehr tiefer Natur. Es
ist eine Umschreibung der Tatsache, daß die Bourgeoisie inner?
halb unserer Klasse .ihre Vorposten hat und nicht umgekehrt.
Wir können, so sehr wir es wünschen, unsere Vorposten nicht
ins Lager der Bourgeoisie entsenden. . .
. . . Ich fürchte, daß wir auf der Jagd nach einer streng
wissenschaftlichen Definition das Politische übersehen. Es han?
delt sich für mich nicht um Haarspaltereien wissenschaftlicher
Definition, sondern darum, daß man das Revolutionäre nicht
versäumt. Man hat oft das G efühl, daß sich manche Genossen
die Sache so vorstellen, daß wir mit den Sozialdem okraten bloß
zusammenzugehen brauchen, und schon eine Arbeiterregierung
haben. Man vergißt dabei das eine: daß man zunächst die Bour?
geoisie stürzen muß. Die Bourgeoisie wird ihren Platz nicht
freiwillig abtreten, sie wird um ihre Macht ringen. Es ist wichtig,
alle Möglichkeiten der Entwicklung der Weltrevolution und des
Bürgerkrieges vorauszusehen“. . . %

„Man soll nicht vergessen: außer den „A rbeiterparteien ‘


besteht noch eine Bourgeoisie, die jahrzehntelang an der Macht
gewesen ist und die alles tut, um für diese Macht zu käm pfen.
Um also eine Arbeiterregierung im revolutionären Sinne zu
bilden, muß man zunächst die Bourgeoisie stürzen; das ist das
Wichtigste. Wir wollen nicht vergessen, daß wir zweierlei zu
unterscheiden haben: 1. unsere M ethoden der Agitation, wie wir
am besten zum einfachen A rbeiter sprechen, wie wir ihm seine
Lage am besten begreiflich machen können. Dazu glaube ich, ist
die Parole der Arbeiterregierung wohl geeignet; und es gibt eine
zweite Frage, die Frage, wie die Ereignisse sich historisch ent?
wickeln werden, wie die Revolution konkret vor sich gehen wird.
Wir wollen den Vorhang der Zukunft hier etwas lüften. . .“

Die Arbeiterregierung und die Weltrevolution.


. . Wie wird die Revolution, marschieren? Wir wollen
Vermutungen anstellen — durch alle Stadien der Arbeiterregie?
rung, der Koalitionsregierung und dann des Bürgerkrieges. Wir
alle lieben es, über den weiteren Verlauf der Revolution zu weis?
sagen, aber man kann bloß Voraussagen, daß alle unsere Prophe?
zeihungen nicht zutreffen werden. Die Revolution wird wahr?
scheinlich anders kommen, als wir uns es vorstellen, durch eine
ganz andere Tür. Das haben wir auch bei unserer russischen

107

j
Revolution gesehen. Vor 5 Jahren hat man sich vorgestellt, daß
man uns durch die Blockade, durch den Hunger auf die Knie
zwingen würde usw.- Man hat an verschiedene Eventualitäten
gedacht, nur die Eventualität der neuen ökonomischen Politik
und den jetzigen Weg der Revolution hat niemand voraus*
gesehen.
Die Lage ist in allen Ländern verschieden. Wahrscheinlich
wird die Revolution in Deutschland und in England ganz ver*
schieden kommen. Das soll nicht bedeuten, daß wir als bewußte
Revolutionäre den Vorhang der Zukunft nicht lüften dürfen.
Wir sind denkende Menschen, wir wollen der Arbeiterklasse
vorangehen, wir müssen die Sache von allen Seiten zu klären ver*
suchen. Aber es ist wirklich schwer, hier etwas vorauszusagen.
Wenn wir die Parole der Arbeiterregierung von diesem Stande
punkt aus betrachten, als kon krete Frage des W eges zur prole*
tarischen Revolution, so kann man sehr bezweifeln, ob die Welt*
revolution unbedingt durch die Tür der Arbeiterregierung herein*
spazieren wird. Gestern wurde von unserem Freunde Radek ge*
sagt, daß die Arbeiterregierung eine Möglichkeit des Ueberganges
zur Diktatur des Proletariats ist. Ich möchte sagen: ja, es ist eine
Möglichkeit, #aber, wenn ich mich ganz richtig ausdrücken soll,
es ist eine unwahrscheinliche Möglichkeit. Das will nicht heißen,
daß die Parole der Arbeiterregierung nicht richtig sei. Sie ist
richtig. Sie wird uns dort, wo die M achtverhältnisse dazu ge*
eignet sind, große Erfolge in der Agitation bringen. Aber wenn
wir die Frage des Weges prüfen, die Frage, ob die Revolution
unbedingt diesen Weg gehen wird, so sage ich, das ist keine Frage,
die hier zu lösen ist. Das ist ein W eg, der wahrscheinlich der
ungewöhnliche ist. In Ländern mit entw ickelter Bourgeoisie
werden wir die M acht nicht anders erobern als im Bürgerkrieg,
und wenn wir die Bourgeoisie im Bürgerkrieg beseitigt haben
werden, so wird es für einen großen Zeitabschnitt schwerlich
eine größere Zwischenpause geben. Das kann sein, aber es lohnt
sich nicht, darüber zu streiten, man kann nur Vermutungen auf*
stellen. Das einzige, was wir brauchen, ist, daß wir alle grund*
legenden Eventualitäten des Weges der Revolution klar sehen.'*

Die Losung „Arbeiterregierung“ als Mittel, an die Massen


heranzukoi••911 en.
„. . . Es kann eine Arbeiterregierung geben, die nichts
anderes ist als eine liberale Arbeiterregierung, wie sie in England,
in Australien usw. möglich wäre. Diese Arbeiterregierung kann
objektiv für die Arbeiterklasse von Nutzen sein. Die Agitation
für die Arbeiterregierung ist richtig; in der Agitation können
I

wir sehr viel dam it machen. A ber was wir dabei nicht vergessen
sollen, sind d i e revolutionären Perspektiven.“
Ich zitiere den tschechischen Außenminister Benesch, der ein
gutes Wort über die Kommunisten gesagt hat:
„Den Kommunisten ist die Findigkeit nicht abzusprechen.
Sie verstehen es, den Arbeitern die gleiche Sache in verschieb
dener Form darzubringen. So z. B. fingen die Kommunisten
seinerzeit e in e Agitation für die Bildung von Sowjets an; als
diese A gitation zu keinem Resultat führte, stellten die Korn*
munisten d ie Agitation für die Bildung von Sowjets ein, um
sie nach 1 >2 Jahren unter der Maske von Einheitsfrontaus*
Schüssen v o n neuem anzufangen.“
Ich sag te: Bravo Benesch, Sie scheinen besser als mancher
opportunistischer Arbeiterführer der Tschechoslowakei zu ver*
stehen, um w a s es sich handelt.
Man w ird mir vielleicht wieder vorwerfen, warum ich diese
Binsenwahrheiten zum besten gebe. Sie sehen also, Benesch hat
1922 gut verstanden, um was es sich handelt. Wie können da
die Genossen Kreibich und Smeral dieses „Geheimnis“ vergessen,
das Benesch schon 1922 kannte, nämlich, daß diese Parole für
uns nur die Formel, sozusagen die Zutrittsformel zu der Masse
ist. Das h ab e ich schon auf dem IV. Kongreß klar ausgesprochen.
„Ich glaube, daß .unsere Diskussion auf diesem Kongreß,
und zwar erst recht nach der Arbeit der Kommissionen, nicht
dazu führen wird, daß wir die Parole der Arbeiterregierung
aufgeben werden, die Parole bleibt richtig als Zutrittsmittel zu
den M assen. Darüber läßt sich nicht streiten. Die Parole bleibt
richtig. Wir müssen nur verstehen, sie richtig zu gebrauchen.
Sie birgt dieselben Gefahren in sich, wie die Taktik der Einheits?
front. Wenn man anfängt, von Regierungen zu reden, da ist es
selbstverständlich, daß man an parlamentarische Kombina*
tionen mit der Vorstellung der Portefeuilles denkt usw. Da
bestehen noch größere Schwierigkeiten als bei der Einheitsfront*
taktik. Deswegen dürfen wir aber nicht sagen, daß wir auf
diese Parole verzichten müssen, weil sie schwierig ist, wie
unsere französischen Genossen es vorgeschoben habenj“
W as kann klarer sein als dieses, Genosse Radek?

Nicht schlaue Strategie, sondern Bürgerkrieg.


Noch mehr, Genossen, im Schlußwort des IV. Kongresses
sagte ich:
»»Darum glaube ich, Genossen, daß wir ruhig die Parole der
Arbeiterregierung befolgen sollen, aber nur unter der einzigen

109
1
1

Bedingung, daß wir uns dabei ganz klar sind, um was es sich
dabei handelt. W ehe uns, wenn wir in der Agitation auch nur
eine Minute lang die Meinung aufkom m en ließen, es würde u n be*
dingt eine Arbeiterregierung kom m en, sie könnte auch auf fr ie d *
lichem W ege zustande kom m en, es gebe eine feste organische
Periode, die den Bürgerkrieg ersetzen könnte usw. Wenn so lch e
Auffassungen bei uns vorhanden sind — und sie sind vielleicht
irgendwo vorhanden — dann muß man sie entschieden bekäm p fen
und die A rbeiterklasse in dem Sinne erziehen, daß man ihr sag t:
ja, liebe, Freunde, um eine Arbeiterregierung zu errichten, m uß
man zunächst die Bourgeoisie stürzen und besiegen.
Was ist das wesentliche an dieser Parole? Willst du eine
Arbeiterregierung haben, schön, so sind wir sogar bereit zu
einem Uebereinkommen mit den Sozialdemokraten; wenn wir
auch sagen, sie werden dich verraten, so sind wir doch für eine
solche Arbeiterregierung, sogar mit ihrer Beteiligung, aber nur
unter der Bedingung, daß sie bereit ist, Schulter an Schulter m it
uns die Bourgeoisie zu bekäm pfen . Wir werden den Kampf
gegen die Bourgeoisie aufnehmen, und wenn eine Arbeiter*
regierung aus diesem Kampfe hervorgeht, wird sie auf fester
Grundlage stehen und wird wirklich ein Auftakt, ein Anfang der
Diktatur des Proletariats sein. An und für sich handelt es sich
nicht um das W ort „Pseudonym“ — ich schenke dieses W ort
dem Genossen Meyer gern — sondern es handelt sich darum,
daß wir eine klare Linie in dieser Frage haben. Keinesfalls ist
dies eine Kriegslist, durch die wir der Bourgeoisie den Verzicht
auf den Bürgerkrieg ablisten können. Die Internationale soll
eine gute Strategie haben, aber es gibt keine Strategie, mit der
man den Bürgerkrieg verm eiden und glatt auf dem Parkett zu
einer Arbeiterregierung kom m en kann. Das gibt es in der Natur
nicht. Das Entscheidende ist der Kampf, das Bezwingen der
Bourgeoisie; wenn wir sie bezwungen haben, dann können ver*
schiedene Formen der Arbeiterregierung eintreten.
Eine Arbeiterregierung in England kann in der jetzigen Lage
objektiv revolutionierend wirken, und wir werden dort sogar
eine beschränkte, menschewistischdiberale Arbeiterregierung
unterstützen. Wir wissen, unter gewissen Bedingungen kann sich
eine solche menschewistische liberale Arbeiterregierung mit viel
größeren Blutdurst als eine Bourgeois*Regierung gegen uns
wenden — das hat Noske bewiesen, und das haben unsere
Menschewiki bewiesen. Das kann also keineswegs eine Möglich*
keit bedeuten, dem Bürgerkrieg vorzubeugen. Darum meine ich,
Genossen, daß diese Parole als Agitationsparole unbedingt richtig
ist, wenn wir wirklich verstehen, sie revolutionär auseinander*
zusetzen. . . .

110
Wir müssen in dieser Frage eine feste Linie befolgen. Man
muß den Genossen sagen: ja Arbeiterregierung, das ist gut und
schön, aber um eine Arbeiterregierung zu bilden, muß man zuerst
die Bourgeoisie stürzen, und dazu muß man zunächst Waffen
haben, muß man sich organisieren, muß man die Mehrheit der
Arbeiterklasse erobern, und vor allem muß man sich darüber
klar sein, daß es zu harten Kämpfen kommen wird, und daß
wir anders einen Sieg nicht davontragen können. Ich glaube,
Genossen, damit kann ich diesen Teil meines Schlußwortes be*
endigen.“
Das war der Hauptinhalt meiner Rede. Ich sagte damals, man
spricht von der Arbeiterregierung, als ob wirklich die Macht eine
res nullius sei, das heißt, niemandem gehöre. Um eine Arbeiter*
regierung zu bilden, muß man zunächst die Bourgeoisie besiegen,
die jetzt die Macht innehat. Glauben Sie denn, das wird so leicht
gehen, daß sie einfach sagen, schön, weil ihr eine neue Formel ge*
funden habt, werden wir die Macht an euch abtreten? Nein, Ge*
nossen, um eine Arbeiterregierung zu bilden, muß man zunächst
die Bourgeoisie besiegen. Diese Kleinigkeit darf man nicht ver*
gessen.
Ueber die Spitzenverhandlungen unserer deutschen Partei
sagte ich in derselben Rede folgendes:
„Es schien uns in der Ferne, daß unsere Partei sich ein
bißchen zu sehr in die Hände der Spitzenorganisationen gegeben
hat. Wir sind in. Deutschland keine armen Verwandten, sind
eine selbständige Partei, und der Partei gehört der Sieg. Und
da die Sozialdemokraten uns um jeden Preis haben wollten,
hatten wir gerade in diesem Moment am allerwenigsten Grund,
als arme Verwandte aufzutreten.“
Ich bitte um Entschuldigung für die Fülle der Zitate aus meiner
eigenen Rede. Aber ich sah keinen besseren Weg, um die „Erfin*
düng“ Radeks und der ganzen Rechten zu entlarven, als ob wir
jetzt die Taktik des IV. Kongresses liquidieren.
Wenn Sie jetzt meine Rede lesen, glaube ich, daß Sie sagen
werden, daß es eine ganz gute Rede ist. Ganz klar wird in ihr
ausgesprochen, daß die Arbeiterregierung eine Agitationsparole ist.
Es ist dasselbe wie der Weg zur Diktatur des Proletariats, zur Ge*
winnung der Massen für die Diktatur. Wie kann man jetzt auf*
treten und sagen, jetzt käme die Revision? Nein, Genossen, das
ist bloß'bei Radek eine „Agitationsparole“ gegen die K.I., nicht
mehr.
Man sagt, jedes Buch habe sein Schicksal. Aber auch jede
Parole hat ihr Schicksal und manche erprobten Revolutionäre
können hierbei hereinfallen.
*
Die Parole „Arbeiterregierung“ und ihre Gefahren.
Ich habe heute vormittag noch eine Arbeit getan, ich habe die
Reden und Resolutionen zur A rbeiter* und Bauernregierung auf
der Erweiterten Exekutive im Juni 1923 studiert. In meiner Rede
zur Frage der Taktik der Einheitsfront führte ich folgendes aus
(ich sehe mich wieder gezwungen, mich selbst zu zitieren):
„Worum handelt es sich tatsächlich bei der Taktik der Ein?
heitsfront? Ist sie nur ein taktisches Manöver, oder drückt sie
das aufrichtige Streben nach Vereinigung mit den sozialdemo*
kratischen Arbeitern aus? Auf diese Frage antworten wir
unsererseits mit folgender Frage: Gab es in den allerersten
Jahren der Tätigkeit der Komintern, in den Jahren 1919/1920,
irgend jemand unter uns, der nicht in der aufrichtigsten Weise
nach einer Annäherung und sogar einer Verbrüderung mit den
sozialdemokratischen Arbeitern gestrebt hätte? Nein. Vom
ersten Tage der Existenz der Kommunistischen Internationale
an sind wir restlos für die Annäherung an die Sozialdemokrat
tischen und parteilosen Arbeiter eingetreten.
Jetzt frage ich Sie weiter: Haben wir die Taktik der Eint
heitsfront in den Jahren 1919 und 1920 durchgeführt? Nein, wir
haben sie nicht durchgeführt. Wenn Sie demnach die erste
Periode der Existenz der Komintern, beispielsweise bis eint
schließlich zum II. Kongreß nehmen, so sehen Sie, daß die Lage
folgende war: Annäherung und Verbrüderung mit den sozialt
demokratischen Arbeitern — ja; Taktik der Einheitsfront —
neinl
Was beweist nun das alles? Das beweist, daß diese Frage
ganz anders steht. Die Frage besteht nicht darin, ob wir auft
richtig nach einer Annäherung an die sozialdemokratischen
Arbeiter streben. Nach der haben wir immer gestrebt, wir
wünschen sie auch jetzt und werden sie immer wünschen, aus
dem einfachen Grunde, weil wir die Vereinigung, die Konsolidiet
rung der ganzen Arbeiterklasse wünschen und wünschen werden,
da das die einzige ernsthafte Voraussetzung unseres tatsächt
liehen Sieges ist.
Worin besteht nun die Taktik der Einheitsfront? Worin
besteht jenes Neue, das wir ungefähr seit 1921 vorzubereiten
begonnen haben, daß wir 1922 formulierten und jetzt 1923 mit
Volldampf durchführen? Was ist Neues hinzugekommen? Hinzut
gekommen ist eben das, was wir ein strategisches Manöver
nennen. Hier ' ist es vor allem erforderlich, auf das Problem
„Massen und Führer“ einzugehen.
Wir müssen uns indessen klar Rechenschaft geben darüber,
wie sich die Parole der Arbeiter* und Bauernregierung zu unserer
alten Formel der Diktatur des Proletariats verhält. Es werden

112
sich unter uns Genossen finden, die zweifellos die Frage stellen
werden: geben wir, wenn. wir die Losung der Arbeiter* und
Bauernregierung aufstellen, nicht unsere Formel der Diktatur
des Proletariats preis, bleiben wir, wie bisher, eine Arbeiter*
partei oder werden wir zu einer Arbeiter* und Bauernpartei?
Derjenige, der von der Taktik der Einheitsfront überhaupt
etwas verstanden hat, derjenige, der zu begreifen beginnt, was
klassenpolitische Strategie des Proletariats ist, muß begreifen,
daß die Parole „A rbeiter* und Bauernregierung“ der Weg zur
Diktatur des Proletariats, aber durchaus nicht die Negierung der
Diktatur des Proletariats ist.
Wenn wir also die Parole Arbeiter* und Bauernregierung auf*
stellen, so heißt das keinesfalls, daß wir die Diktatur des Prole*
tariats aufgeben.
Von dieser können wir nicht einen einzigen Schritt abw eichen.
Es gibt keinen einzigen W eg zur Befreiung der M enschheit aus
dem Jo ch e des Kapitalismus als die Diktatur des Proletariats und
kann keinen anderen geben. Die einzige wirkliche und bis zum
letzten revolutionäre Klasse ist die Arbeiterklasse. Aber diese
Klasse, das heißt ihre Partei, kann klug und kann dumm handeln.
So werden wir das Ziel bedeutend rascher erreichen und werden
weniger Opfer haben. Wir werden bedeutende Schichten des
Bauerntums und der Kleinbourgeoisie überhaupt teilweise neutra*
lisieren und teilweise auf unsere Seite hinüberziehen. Handeln
wir aber ungeschickt, fassen wir die großen Klassenaufgaben der
Befreiüng des Proletariats in zünftlerischem Sinne auf, so
schieben wir selbst den Moment des Sieges hinaus.
Wir glauben daran, daß es an der Zeit wäre, die Losung der
Arbeiter* und Bauernregierung zu verallgemeinern . . . .
. . . Die mit der Losung der Arbeiter? und Bauernregierung
verbundenen Gefahren bestehen darin, daß einige unserer nicht
gefestigten und im marxistischen Sinne nicht genügend geschul*
ten Sektionen darauf verfallen können, sie im Geiste der linken
Sozialrevolutionäre auszulegen. Diese Partei gab sich für eine
Partei der Arbeiter, der Bauern und der Intelligenz aus . . .
Die aus der Aufstellung der Losung „Arbeiter* und Bauern*
regierung“ sich ergebenden G efahren bestehen darin, daß unsere
wenig gefestigten Parteien sich m öglicherweise dazu verleiten
lassen, den Klassencharakter unserer Partei zu verwischen. Da*
m

gegen gilt es, sofort Vorbeugungsmaßregeln zu treffen.


Wir
% müssen den Weg zur Befreiung vom Joch des Kapitalis*
mus allen jenen Bevölkerungsschichten weisen können, die nicht
direkt an der Herrschaft des Kapitals interessiert sind. Wir
dürfen uns also nicht eine Minute den Gefahren verschließen,
die mit der Ausgabe der Parole „Arbeiter* und Bauernregierung“
8
113
verbunden sind. Wer indes die Wölfe fürchtet, soll nicht in den
Wald gehen. Wir haben schon etwas gelernt, der Schwier igkei*
ten der Taktik des Manövrierens Herr zu werden............
Jetzt stehen wir vor einer noch größeren Aufgabe: in unseren
Parteien den Willen zur Macht zu erwecken, aus ihnen Parteien
zu machen, die bei jedem Schritt ihrer Arbeit sich als Parteien
betrachten, die morgen die Bourgeoisie niederringen werden.
Unsere Partei ist die Avantgarde der Arbeiterklasse. Entbrannt
vom Willen zur Macht, übergibt diese Avantgarde diesen Willen
breiten, vielmillionenköpfigen Arbeitermassen. Und wenn erst
der Wille zur Macht Millionen und aber Millionen Proletarier er*
faßt haben wird, dann wird der Sieg nicht schwer sein.

Konkretisierung der Losung „Arbeiter* und Bauernregierung“.


Die Genossen Radek, Zetkin und Kreibich sagen, Arbeiter*
regierung bedeute Koalition „aller Arbeiterparteien“. Die
A rbeiten und Bauernregierung würde danach die Koalition aller
A rbeiten und Bauernparteien bedeuten?
Es genügt, nur die Frage so zu stellen, um einzusehen, daß das
falsch und unmarxistisch ist. Wer von uns kann sagen, daß die
Arbeiter* und Bauernregierung eine Koalition mit den Arbeiter*
und Bauernparteien ist, wo noch jede wahrhaft revolutionäre
Bauernpartei in der Welt fehlt?
Genosse Radek und Ihr anderen, bei dieser Fragestellung wird
es ganz klar, daß Ihr im besten Fall auf dem Holzwege seid. Lesen
Sie nur die Resolution über die Arbeiter* und Bauernregierung, die
von mir verfaßt und verteidigt worden ist.
Sie werden dort lesen:
„Die Losung „Arbeiter* und Bauernregierung“ wie auch
seinerzeit die Losung „Arbeiterregierung“ ersetzt in keiner W eise
die Agitation für die Diktatur des Proletariats, dieser Grundlage
aller Grundlagen der kommunistischen Taktik. Sie drängt diese
Agitation auch keineswegs in den Hintergrund, im G egenteil,
gerade die Losung „A rbeiten und Bauernregierung“ stellt, indem
sie die Basis für die Durchführung der unter den gegenwärtigen
Verhältnissen einzig richtigen T aktik der Einheitsfront erw eitert,
den wahren W eg zur Diktatur des Proletariats dar. Die richtige
Auslegung der Losung „A rbeiten und Bauernregierung“ wird es
den Kommunisten erm öglichen, nicht nur die proletarischen
Massen in den Städten zu m obilisieren, sondern sich auch w ic h
tige Stützpunkte auf dem Lande zu schaffen und dadurch den
Boden zur Eroberung der Macht vorzubereiten.
Die Losung „Arbeiter* und Bauernregierung“ wird den kom*
munistischen Parteien auch für die Zeit nach der Eroberung der

114
Macht durch das Proletariat wertvolle'Dienste leisten. Denn
diese Losung wird das Proletariat immer wieder an die Notwen*
digkeit erinnern, seine Vormarschbewegung mit der Stimmung
der Bauernschaft des betreffenden Landes in Einklang zu bringen,
ein richtiges Verhältnis zwischen dem siegreichen Proletariat
und der Bauernschaft herzustellen und nach dem Sturze der
Bourgeoisie eine weise Mäßigung bei den wirtschaftlichen Maß*
nahmen des Proletariats einzuhalten. Entsprechend der Haltung
des siegreichen Proletariats Rußlands in der gegenwärtigen
Epoche der russischen Revolution, die als „Neue Oekonomische
Politik“ bezeichnet wird.
Es versteht sich von selbst, daß die Agitation unter der
Losung „Arbeiter? und Bauernregierung“ entsprechend den Ver*
hältnissen eines jeden einzelnen Landes konkretisiert werden
muß, zum Beispiel in Nordamerika würde es sich um werk*
tätige Farmer handeln. Die Wahrung der ökonomischen Inter*
essen der Bauernschaft im Sinne des in den Beschlüssen des
II. und IV. Weltkongresses der Komintern dargelegten Pro*
gramms muß zum Ausgangspunkt unserer „gesamten Agitation
für eine „Arbeiter* und Bauernregierung werden.“
Es genügt, glaube ich, diesen Satz herauszugreifen, der über*
zeugend genug ist. Nach der Eroberung der Macht wird die
Parole der Arbeiter* und Bauernregierung auch noch nützen in dem
Sinne, wie sie auch in Sowjetrußland noch nützt, das heißt, wir
haben die Diktatur des Proletariats, aber eine kluge Diktatur. Sie
macht eine solche Politik, die für die Bauern annehmbar ist — sonst
wäre die Diktatur erledigt. Und das muß man den Bauern zu
sagen verstehen. Dazu ist die Parole „Arbeiter* und Bauernregie*
rung“ da.
Also auch nach der Machteroberung nützt diese Parole als
propagandistische Parole. Vor der. Machteroberung aber um so
mehr. Die Losung „Koalition aller Arbeiter* und Bauernparteien“
ist sie niemals gewesen und kann es auch nicht sein.
Gestatten Sie mir hier noch einige Zitate aus derselben Reso*
lution:
„Schon allein dadurch, daß die Kommunistischen Parteien
sich im internationalen Maßstabe die Losung der „Arbeiter* und
Bauernregierung“ zu eigen machen und mit der Agitation dafür
beginnen, wird der Anfang zu einer Neutralisierung der mittleren
Bauernschichten und Eroberung der Kleinbauernschaft gemacht.
Das Exekutivkomitee der Komintern stellt fest, daß die über*
wiegende Mehrheit der Sektionen der Komintern bis jetzt ein
unerhört träges und unserer Sache ungeheuer schadendes Ver*
halten in bezug auf die Arbeit auf dem flachen Lande an den
Tag gelegt hat. In diesem trägen Verhalten zeigen sich erstens
8* *
115
die bedauerliche Tradition der II. Internationale, deren Schoß
die wichtigsten Parteien der Komintern entsprungen sind, zwei*
. tens eine falsche theoretische Einstellung zur Bauernschaft, da
sie die Sache so darzustellen versucht, als ob vom Gesichtspunkt
des „orthodoxen Marxismus“ eine Arbeiterpartei sich um die
Bauernschaft überhaupt nicht zu kümmern brauche, und drittens
eine engherzige Zunftauffassung des proletarischen Klassen*
. kampfes. In der gegenwärtigen Periode besteht die Aufgabe der
kommunistischen Parteien darin, ein für allemal mit diesem
Zunftgeiste zu brechen. Die kommunistischen Parteien dürfen
sich nicht als Parteien nur der äußersten proletarischen Opposi*
tion innerhalb der bürgerlichen Gesellschaftsordnung betrachten,
wie das in der Blütezeit der II. Internationale der Fall war.
Kommunistische Parteien müssen in sich die Psychologie von
Parteien entwickeln, die sich bewußt sind, daß sie in einer mehr
oder weniger nahen Zukunft die werktätigen Massen in dem
Kampf gegen die bürgerliche Ordnung zu führen, die Bourgeoisie
zu stürzen und in der Verwaltung des Staates abzulösen haben.
Die beschränkte Zunftpsychologie muß durch die Psychologie
einer Partei ersetzt werden, die den Willen zur Macht hat und
die Hegemonie des Proletariats in der Revolution verkörpert.
Eine kommunistische Partei muß sich vorbereiten, die Bourgeoi*
sie morgen schon zu schlagen und darum schon heute das ganze
Volk erfassende Ziele aufstellen. Daher hat sie die Aufgabe, zur
. Unterstützung des Proletariats alle jene Schichten der Bevölke*
rung heranzuziehen, die dank ihrer sozialen Lage im entscheiden*
n den Moment der proletarischen Revolution diesen oder jenen
Beistand leisten können. . . .
Als propagandistische Losung, die uns die M öglichkeit bietet,
in einer arithm etischen Form el das auszudrücken, was bisher nur
algebraisch ausgedrückt wurde, kann die Losung „A rbeiter* und
Bauernregierung1* eine universelle Bedeutung gewinnen. Als
Losung des aktuellen politischen Kampfes hingegen wird die
Parole „Arbeiter* und Bauernregierung“ ihre größte Wirkung in
solchen Ländern haben, wie Frankreich, Deutschland, Italien,
Balkan, Tschechoslowakei, Polen, Finnland usw. Auf jeden Fall
ist der Sieg der proletarischen Revolution und dessen Ver*
ankerung ohne einen Beistand seitens der Bauernschaft, welcher
Art er auch sein möge, nirgends möglich. In diesem Sinne muß
die Losung „Arbeiter* und Bauernregierung“ zur Generallosung
kommunistischer Parteien werden.
Indem das Exekutivkomitee der Komintern die Losung
„Arbeiter* und Bauernregierung“ mit allem Nachdruck unter*
stützt, empfiehlt es allen kommunistischen Parteien, stets die
Gefahren zu bedenken, die mit einer falschen Anwendung dieser

116

l i .
Losung verknüpft sind. Wie überhaupt die Taktik der Einheits*
front, so bergen auch die Losungen „Arbeiterregierung“ und
„Arbeiter* und Bauernregierung“ zweifellos schwerste Ge*
fahren in sich in jenen Fällen, in denen unsere Parteien sie nicht
im revolutionär*marxistischen Geiste durchführen. Die mit der
Losung „Arbeiter* und Bauernregierung“ verbundenen, unmittel*
bar in die Augen springenden Gefahren sind vor allem folgende:
1. In den Parteien, die noch keine genügende marxistische
Schulung durchgemacht haben, entsteht die Gefahr, diese Losung
im Geiste der russischen S.R. zu interpretieren, das heißt im
Geiste eines kleinbürgerlichen „Sozialismus“, der die ganze
Bauernschaft als eine kompakte Masse betrachtet und sich der
Tatsache verschließt, daß es innerhalb der Bauernschaft ver*
schiedene Schichten gibt.
2. Die zweite Gefahr besteht darin, daß in politischer Hin*
sicht noch nicht ganz feste Kommunisten den Versuch machen
könnten, die revolutionäre M assenarbeit unter den breiten
Schichten der werktätigen Bauernschaft durch prinzipienlose
parlam entarische Kom binationen mit sogenannten „V ertretern“
der Bauernschaft und Führern sogenannter Bauernparteien, die
häufig die reaktionärsten Elem ente der Bourgeoisie darstellen, zu
ersetzen . ♦
ü *;<
! *

Obgleich sich die kommunistischen Parteien dieser und ähn*


licher Gefahren, die mit der Anwendung der Losung „Arbeiter*
und Bauernregierung“ verbunden sind, klar bewußt bleiben, ver*
mögen sie sich der Erkenntnis der Vorzüge einer Manövrier*
taktik nicht zu verschließen. Sie müssen lernen, die Taktik des
Eindringens in die breitesten Schichten der Werktätigen mit einer
zähen, unerbittlichen und folgerichtigen Verteidigung der Prin*
zipien des revolutionären Marxismus zu verbinden.
Es versteht sich von selbst, daß das Eindringen in die
Bauernmassen wie auch die Losung „Arbeiter* und Bauernregie*
rung“ keineswegs die Verwandlung unserer Partei aus einer
Arbeiterpartei in eine „Partei der Arbeit“ oder „Arbeiter* und
Bauernpartei“ zur Folge haben darf. Unsere Partei hat, was ihre
soziale Zusammensetzung und ihre Ziele betrifft, eine Partei der
Arbeiterklasse zu bleiben, doch einer Arbeiterklasse, die alle
Schichten des werktätigen Volkes mit sich reißt und sie in den
Kampf gegen die Kapitalisten führt.

Die Fehler der Genossin Zetkin.


Ich glaube wirklich, daß diese Zitate genügen, um zu sehen,
daß manche unsichere Kommunisten, wie wir auch erwartet haben,
das nicht verstanden haben. Die Sache ist so gekommen, daß

117
I
& e-.
r- ,

tu'

infolge gewisser Umstände sogar Genossin Zetkin, die doch sicher


zu den sichersten Vorkämpfern der Kommunistischen Internatio#
nale gehört, die Sache nicht versteht. Gestatten Sie mir, noch ein
Zitat anzuführen, und zwar aus der gestrigen Rede der Genossin
Z etkin. Sie sagte:
„Zur Frage der Arbeiter# und Bauernregierung. Hier muß
ich gestehen, daß ich die Erklärung des Genossen Sinowjew
‘ durchaus nicht akzeptieren kann, Arbeiter# und Bauernregierung
sei nur ein Pseudonym, ein Synonym oder noch ein anderes
,nym“ für die Diktatur des Proletariats.
Für Rußland ist es vielleicht richtig, aber für Länder mit
höherer kapitalistischer Entwicklung trifft das nicht zu. Da ist
Arbeiter# und Bauernregierung der Ausdruck einer bestimmten
konkreten geschichtlichen Situation, nämlich der Periode, wo die
Bourgeoisie die Macht nicht mehr zu halten vermag und das
Proletariat noch nicht genügend zusammengeschweißt ist, um
die ganze Macht an sich zu reißen.“
Ich glaube, Genossen, für diesen Satz wird sich wahrscheinlich
selbst der Genosse Radek bei der Genossin Zetkin bedanken. Das
ist ein wenig zu viel, sogar in der Lage, in der sich die Rechte be#
findet. Was heißt das: Für Rußland ist das vielleicht richtig, für
die fortgeschrittenen westeuropäischen Länder trifft das nicht zu?
Genossen, das ist nichts anderes als eine gewisse Wieder#
belebung der levitischen Auffassungen. Levi hatte doch eine ganz
konsequente Theorie aufgestellt. Er sagte: „Die russische Revolu#
tion in allen Ehren, den Zarismus hat sie besiegt, aber die russische
Revolution ist eine Bauernrevolution in einem rückständigen
Lande.“ Wir in den westeuropäischen Ländern müssen eine grund#
sätzlich andere Taktik einschlagen. Ohne die sozialdemokratischen
Arbeiter können wir nichts machen. Wir müssen an die sozial#
demokratischen Arbeiter heran.
Daher die Theorie des Bündnisses mit allen Arbeiterparteien.
Ich will natürlich nicht behaupten, daß Genossin Zetkin eine
Anhängerin von Levi ist, aber in ihren Worten kommt ein Stück
Renaissance alter Anschauungen zum Ausdruck.
Wenn Genossin Clara sagen will, daß in Europa bis zu dem
Siege der proletarischen Revolution „Arbeiterregierungen“ vom
Schlage MacDonalds oder Scheidemanns unvermeidlich sind — so
ist das richtig. Aber was will es besagen? Ist es denn die
„Arbeiterregierung“, die wir in unserer Parole fordern? Diese
„Arbeiterregierungen“ sind bloß abgeleitet vom Kampfe der
Arbeiterklasse um die proletarische Revolution. Objektiv gesehen
ist auch die „Arbeiterregierung“ MacDonalds ein historischer Fort#
schritt im Vergleich mit dem Feudalismus, die bürgerliche Demo#
kratie, der Kapitalismus — ist ein historischer Fortschritt im Ver#

118
gleich mit der erzreaktionären Monarchie. Wir aber streben etwas
ganz anderes an, eine wahre Ar beit er regierung. Durch eine Koali*
tion „aller Arbeiterparteien“ ist sie nicht zu erreichen.
Gewiß, einiges muß man in hochentwickelten kapitalistischen
Ländern anders machen als in Rußland. Die Agitationsformen
darf man nicht mechanisch auf andere Länder übertragen. Ich
werde noch darüber sprechen. Aber in der Kardinalfrage, der
Diktatur des Proletariats, in der Parole der Arbeiter* und Bauern*
regierung als „Pseudonym“, als Weg, als Zutrittsmittel, als Um*
Schreibung der Diktatur des Proletariats, was ist sie da anders für
Deutschland als für Rußland, oder gar für Amerika anders als für
Deutschland?
In Deutschland gibt es Arbeiter so gut wie in Rußland, Bauern
gibt es in Deutschland so gut wie in Rußland. Darum, um diese
Zutrittsform zu gewinnen, um eine Massenpartei zu werden, um
den revolutionären Strom wirklich zu beeinflussen, sagen wir: „Ar*
beiter* und Bauernregierung“.
Es gab bei uns in Rußland eine Zeit, wo die Menschewiki und
Sozialrevolutionäre in der Mehrheit in den Sowjets waren und wir
die Kampflosung „Alle Macht den Räten“ ausgaben. Damals war
diese Formel der beste Magnet. Es wird in Deutschland auch sicher*
lieh der Moment einmal kommen, wo diese Parole aufgestellt
werden wird. Es ist jedoch möglich, daß irgendeine andere Formel
aufgestellt werden wird. In dieser Uebergangsperiode scheint uns
die Formel „Arbeiter* und Bauernregierung die plausibelste zu
sein. Den sozialdemokratischen Arbeitern sagen wir: Wir sind
sogar bereit, in eine solche Regierung einzutreten, die nur die eie*
mentarste Bedingung annimmt: Entwaffnung der Bourgeoisie, Be*
waffnung des Proletariats. Das müssen alle kämpfenden Arbeiter
begreifen, denn sonst wird man sie niederknallen, niederkartätschen.
Also darin besteht die Kunst des Herantretens an die Massen.
W ir müssen sie beherrschen, wenn wir siegen wollen.

Die Frage des Genossen Radek.


R ad ek und zum Teil auch K reibich versuchen jetzt, die Be*
Schlüsse des IV. Kongresses umzudeuten, als ob wir eine neue
Taktik für die westeuropäischen Länder im Gegensatz zu der
russischen Revolution schaffen wollten. Radek fragte es und
glaubte, daß diese Frage für uns eine sehr prekäre sei: „Also schön,
Sie werden niemals mit Sozialdemokraten in einer Regierung sein?
Mag Sinowjew diese Frage beantworten! Radek meinte, das sei
eine so kitzlige Frage, die man gar nicht beantworten kann. Ich
glaube, wir befinden uns doch in der Rolle desjenigen, der den Pelz
verteilt, bevor er den Bären erlegt hat. Im großen und ganzen
stehen wir in der Periode des Kampfes um die Macht. Deshalb
sind diese Fragen durchaus am Platz. Ich glaube nicht, das Wichs
tigste sei, ob einmal ein Sozialdemokrat mit uns in der Regierung
sitzen würde, sondern es werden hier zwei Systeme der Politik
gegenübergestellt. Ich werde mir erlauben, auch hier an die Erfah*
rungen der russischen Revolution anzuknüpfen, und zwar nicht
nur deshalb, weil wir die russische Revolution lieben — wir alle
lieben sie —, sondern weil sie die größte Quelle der Erfahrungen
ist. Wenn die deutsche Revolution gesiegt haben wird, wird sie
unzweifelhaft noch viel größere Lehren geben, aber bisher ist die
russische Revolution nicht übertroffen. Es gab, wie Bucharin uns
bereits erinnert hat, bei uns eine Regierung, an der auch linke
Sozialrevolutionäre teilnahmen, die damals Teile der Arbeiter und
Bauern vertraten. Nun, Genossen, kann ein solcher Fall vor*
kommen, daß zum Beispiel in Deutschland eine kommunistische
Regierung einen Bruchteil von Sozialdemokraten enthält? Ich glaube
ja. Was waren die linken SR.? Sie waren ein Bruchteil der SR., ein
Bruchteil, der sich vom Grundkern der Partei losgerissen hatte und
der unter dem Druck der revolutionären Ereignisse uns in einem
gewissen Moment unterstützte. Nebenbei bemerkt, sie haben sich
damals äußerlich „linker“ gebärdet als die Kommunisten selber
und hatten einen Einfluß auf einen Teil der Arbeiterschaft und der
Bauernschaft. Wir haben sie ins Schlepptau genommen, ausgenutzt
und dann ging der beste Teil von ihnen zu uns über, hat von der
Revolution gelernt. Die anderen sind, wie es wildgewordenen Klein*
bürgern geziemt, dann ins Lager der Konterrevolution übergelaufen.

Die Erfahrung der Vergangenheit.


Im vorigen Jahr während der Oktobertage in Deutschland
sagte man mir, daß es bei den Sozialdemokraten Leute gebe, die
eventuell mit uns gehen würden. Ich glaube, man nannte den
Namen Aufhäuser (Widerspruch bei der deutschen Delegation).
Ich kenne ihn nicht, es ist anzunehmen, daß die Nennung dieses
Mannes nicht ganz am Platze ist. Aber man sagte mir, er sei
so ein Kerl, der vielleicht im entscheidenden Moment sich doch
von der Sozialdemokratie absondern und mit uns kämpfen würde.
Namen sind hierbei Nebensache. Ich gebrauche nur ein Bei*
spiel. Wie gesagt, ich kenne weder Aufhäuser noch seine Tante.
Aber ich weiß mit Gewißheit, daß im entscheidenden Momente
ein gewisser Teil der sozialdemokratischen Arbeiter mit uns zu*
sammen kämpfen wird, daß im gegebenen Moment wahrscheinlich
Führer auftauchen werden, die die Stimmung jenes Teils der sozial*
demokratischen Arbeiter widerspiegeln werden. Es entsteht die
Frage: Müssen wir diesen Teil, der sich von der zerfallenden

120

K
>

Sozialdemokratie abgesondert hat und einen Teil der kämpfenden


Arbeiter verkörpert, in die Regierung hineinziehen? Gewiß,
niemand wird dagegen sein. Dies war schon der Fall.
Das, Genossen, ist ein System der Politik. Ein anderes
System ist das folgende. Auch hierbei haben wir die Erfahrungen
in der Geschichte der russischen Revolution. Als die Kerenski*
Regierung schon im Zusammenbrechen war, ungefähr im Sep*
tember 1917, als die Menschewiki sahen, daß ihr Lied zu Ende
war, kamen sie mit der Losung „Einheitliche, homogene,
sozialistische Regierung“. Und was ist das? In Wirklichkeit
meinten sie eine Regierung der Menschewiki, der S. R., der so?
genannten „Trudowiki“ und anderer bürgerlich*demokratischer
Intellektuellen* und Bauerngruppen mit einem Zusatz von Bol*
schewiki. Eine solche Regierung wäre absolut nicht „homogen“.
Es wären dabei Kommunisten gewesen, die die Revolution
wollten, dann Menschewiki, die gegen die Revolution waren, und
S. R., die ebenfalls gegen die Revolution waren. Aber die Mensche*
wiki und die S. R. haben diesen Mischmasch unter der Parole:
„Homogene, einheitliche, sozialistische Regierung“ verteidigt.
Gerade das, was alles andere als homogen, einheitlich, sozialistisch
war, nannten sie „homogen, einheitlich, sozialistisch“.
Was hat sie dazu bewogen? Ich glaube, Genossen, hier wäre
am Platze, zu sagen, daß auch unsere Feinde in diesem Moment
eine Zutrittsformel zu den Massen, ein Pseudonym für ihre
Politik suchten. Für die Menschewiki war diese Parole „homogene,
sozialistische Regierung“ ein Pseudonym für demokratische,
bürgerliche Politik. Warum hatten sie gerade diese Parole ge*
wählt? Darum, weil sie sehr große Popularität genoß, darum,
weil alle Welt schier den Sozialismus wollte.
Ich habe ihnen ein historisches Beispiel angeführt. Wir
leben jetzt in einer Zeit, wo wir ein „Pseudonym“ suchen, um die
sozialdemokratischen Arbeiter und einen Teil der parteilosen Ar*
beiter leichter zu gewinnen. Es gab eine Zeit, wo die Mensche*
wiki in der Revolution ebenfalls ein Pseudonym suchten und es
in dieser wohlklingenden Formel fanden. Der einfache Arbeiter
mußte sich ja sagen: „Warum denn nicht? Homogen, einheit*
lieh, sozialistisch — das ist doch glänzend! Warum sollen wir
nicht alle dafür stimmen?“ Besonders, wenn man es ohne Bürger*
krieg erreichen kann.
Ich erinnere mich, wie Arbeiter der Petrograder Putilow*
Werke, des wichtigsten Bollwerkes des Bolschewismus, damals
zu uns eine Deputation aus bolschewistischen und parteilosen
Arbeitern geschickt und erklärt hatten: „Gewiß, Genossen, eine
Koalitions*Regierung mit den Bürgerlichen ist unzulässig; gegen
eine solche Regierung würden wir kämpfen bis zum letzten Bluts*

121

i
tropfen. Aber ein« homogene, einheitliche, sozialistische Re*
gierung — warum denn nicht?“
Und wir mußten ihnen damals auseinandersetzen, daß eben
das ein Pseudonym war für bürgerliche Demokratie. Sie sehen
also, Genossen, die Sache ist nicht so einfach.

Können die Sozialdemokraten I I it uns in einer Regierung sitzen?


Es gibt zwei Systeme der Politik. Wenn Radek mich fragt:
„Also niemals dürfen Sozialdemokraten in der Regierung mit uns
sitzen?“, so antworte ich: Bei uns, in unserer Regierung, saßen
die linken S. R. als Bruchteil eines gestrandeten Schiffes der
S. R. Ein Bruchteil der Sozialdemokratie, die Schiffbruch
erlitten haben wird, ein Bruchteil der revolutionären Ar*
beiter kann auch jetzt in unserer Regierung sitzen. Aber das,
was Sie, Genosse Radek, wollen, ist eben eine andere Sorte
Politik, die uns an diese Parole „Einheitliche Regierung“ oder die
„Koalition aller Arbeiterparteien“ erinnert.
Gewiß, ich weiß wohl, daß die Menschewiki die Massen
prellen wollten und der Genosse Radek der Masse dienen will,
ebenso' wie wir alle. Aber es handelt sich nicht um subjektive
Absichten, sondern um bestimmte objektive Auffassungen.
Warum, Genosse Radek, fragen Sie so echt journalistisch*
sensationell: „Also darf kein Sozialdemokrat in der kommu*
nistischen Regierung sitzen?“
Sie schießen recht oft daneben! Gewiß, ein Sozialdemokrat
kann bei uns in der Regierung sein. Warum denn nicht? Aber
Genosse Radek hat hierbei das zitiert, was ich von den Christlich*
sozialen gesagt habe. Ja, ich habe auch die Ansicht vertreten, man
müßte der Arbeiterklasse sagen: Wir sind bereit, mit allen Ar*
beitern, sogar mit den christlichsozialen, zusammenzugehen, aber
nur unter einer „kleinen“ Bedingung: Entwaffnung der Bour*
geoisie, Bewaffnung der Arbeiterklasse usw. Radek meinte, er
hätte mich damit getroffen, als er meine Worte zitierte, ich würde
mit den Christlichsozialen paktieren. Hier ist das französische
Sprichwort am Platze: „Qui prouve trop, ne prouve rien“ (wer zu
viel beweist, beweist nichts). Daß ich mit Christlichsozialen unter
den gegebenen Bedingungen Zusammengehen will, ist nichts
anderes als eine Methode des Zutrittes zu den Massen, eine Agi*
tationsparole, und nicht ein System der Koalition, mit den söge*
nannten Arbeiterparteien. Damit hat Radek bewiesen, daß seinen
Ansichten gerade das zugrunde liegt, was für die K. I. am gefähr*
lichsten und schädlichsten ist.
So viel, Genossen, zu der Frage der Arbeiter* und Bauern*
regierung und der angeblichen Revision unserer Taktik.

122
Radeks Niederlagestimmungen.
Radek sagte, ich beginge einen Fehler, wenn ich die Sache so
hinstelle, als ob wir zuerst nur Propagandagesellschaften waren,
und jetzt zu Massenparteien werden. Es verlohnt sich auch diese
Frage zu beleuchten. Ich spreche nicht vom Standpunkt des Histo*
rikers, nein, diese Frage ist von großer aktueller Bedeutung für
uns und unsere Taktik. Radek sagte: wir waren nicht nur Propa*
gandagesellschaften. Stand denn der Spartakusbund nicht in
großen Kämpfen? War denn nicht Rätediktatur in Bayern, in
Ungarn da? Radek befindet sich jetzt in einer Stimmung, die wir
als Niederlagestimmung bezeichnen können. Alles ist ihm recht,
was ihm beweist, daß wir rückwärts gehen.
Die Anhänger Brandlers schieben der jetzigen linken Zentrale
der KPD. die Schuld dafür zu, daß die Sozialdemokraten bei den
letzten Wahlen immer noch sechs Millionen Stimmen bekommen
haben. Schon ganze sechs Wochen lang ist die Linke in der
Partei am Ruder, und die Sozialdemokratie ist noch immer nicht
besiegt! Aber gestatten Sie, wir haben doch auch Brandler nicht
vorgeworfen, daß er nicht gesiegt hat. Nein, wir wissen, daß
man im Kampfe mitunter eine Niederlage erleiden muß. Wir
werfen ihm etwas anderes vor. Wir sagen nicht: „Warum hast
du nicht gesiegt?“, sondern „Warum hast du nicht gekämpft,
warum hast du nicht alles getan, um zu siegen?“
Ich glaube, man solle endlich mit den Lamentationen auf*
hören, daß bei den und den Wahlen die Sozialdemokraten noch
die Mehrheit bekommen haben. Summa summarum stellen Sie
ja nur die eine Frage: Warum habt ihr noch nicht die Macht
ergriffen? Warum hat die linke Zentrale noch nicht die Bour*
geoisie und die Sozialdemokraten besiegt? Warten Sie, das kommt
noch. Radek trägt mit dem Fleiß einer Biene alles zusammen,
um das düstere Bild zu erhalten, das er braucht. In Frankreich
steht es schlecht, in Deutschland haben wir noch nicht gesiegt.
Natürlich, man darf die schwachen Seiten nicht übersehen. Aber
so wie Radek sie sieht, ist es die Ideologie eines Niederlage*
Theoretikers. Früher sollen wir mächtige Parteien gewesen sein,
wir hatten die Macht in Ungarn und in Bayern — und wo sind
wir jetzt? Wahr ist, daß bei der Kriegsbeendigung die elementare
Stimmung der Masse sehr revolutionär war, so daß wir von Stunde
zu Stunde erwarteten, der Kapitalismus würde zusammenbrechen.
Aber weder in Deutschland noch in Ungarn und in Bayern j*ab
es eine wirkliche kommunistische Partei. Daher die Niederlagen,
Genosse Radek. Das sieht Radek nicht ein. Das schien ein
Widerspruch zu sein: die elementare Erregung der Massen war
groß, die Parteien waren noch sehr klein, waren Propaganda*
gesellschaften.

123

Italien ist in dieser Hinsicht ein klassisches Beispiel. Ein


Meer des Unwillens, des Hasses gegen den Krieg, und zu gleicher
Zeit das absolute Fehlen einer den Verhältnissen entsprechenden
Partei. Ja, wir hatten in Italien eine sozialistische Partei von
200 000 Mitgliedern. Die damalige sozialistische Partei gehörte zur
III. Internationale. Aber trotzdem die Massenbewegung so riesig
war, war der Kommunismus ein Propagandazirkel, ein kleiner
Kreis von Propagandisten, eine kleine Fraktion in der großen
sozialistischen Partei.
Bevor ich dem Genossen Radek adieu sage, möchte ich noch
eins erwähnen. Radek hat erklärt: „Wenn wir so schlimm sind,
wenn wir Reformisten sind, so schließt uns doch aus.“
Hätte das jemand anders gesagt, so würden wir es ernst
nehmen, aber Radek sagt manchmal etwas früher, bevor er denkt,
ebenso wie er manchmal schreibt, bevor er denkt. Wir haben
nicht gesagt, daß er und seine Gesinnungsgenossen Reformisten
seien, aber er und sie haben gewisse reformistische kleinbürger*
liehe „Abweichungen“, die die KPR. und die Internationale korri*
gieren müssen.
Wir hoffen, daß Radek sich bessern wird. Auf dem Kongreß
haben sich zweifellos gewisse reformistische Abirrungen gezeigt,
obwohl nicht alle Genossen so offen gesprochen haben wie die
Genossen der deutschen Rechten. Die Vertreter der deutschen
Rechten haben hier sehr viel gesprochen. Ihre Redezeit war ihrem
Einfluß in der Arbeiterbewegung umgekehrt proportional. Aber
es gibt auf dem rechten Flügel der K. I. gewisse Genossen, die es
mit dem Sprichwort halten: „Reden ist Silber, aber Schweigen ist
Gold!“ Sie scheinen zu denken: wir können erst ein bißchen
abwarten, es herrscht hier eine zu revolutionäre Stimmung.
Der rechte Flügel faßte die Parole „Arbeiter* und Bauern*
regierung“ als „Koalition“ „aller Arbeiterparteien“ auf. Genossen,
Ihr seid hier zu weit gegangen, Ihr müßt Halt machen. Ich hoffe,
daß die Resolution der K.I. auch für die rechten Genossen ent*
scheidend sein wird.

Die tschechischen Genossen und ihre Diplomatie.


4

Jetzt über die tschechischen Genossen. Sie haben zwei


Deklarationen vorgelesen. Beide schriftlich niedergelegt, vor*
sichtig formuliert. Die eine wurde vom Genossen Smeral, die
andere vom Genossen Kreibich verlesen. Genosse Smeral erklärt,
die Delegation sei eigentlich mit unseren politischen Ausfüh*
rungen über die Arbeiterregierung einverstanden. Kreibich erklärt
das Gegenteil: aber in der Resolution des IV. Kongresses steht
doch die Koalition aller Arbeiterparteien usw.

124

i
.4
I M
1

Ich hätte es vorgezogen, daß Smeral offen auftritt und aus?


spricht, was ist. Wir haben jetzt den Vorzug, daß wir nicht auf
dem I. Kongreß sind, wir kennen schon einander persönlich
recht gut. Das ist ein großes Plus. Ich muß sagen, der haupt?
verantwortliche politische Führer der K.P.Tsch. ist Genosse Smeral
wegen seines überragenden Einflusses, den er in der Bewegung
genießt.
Smeral drückte sich sehr vorsichtig aus. Smeral liebte, so zu
handeln: mögen die anderen Tschechen die K.I. scharf angreifen,
ich aber trete auf und rette die Situation; ich erkläre mich mit
der Exekutive einverstanden.
Die politische Verantwortung für die opportunistischen Ab?
weichungen in der K.P.Tsch. ruht aber, wie gesagt, in erster Linie
auf ihm, weil er der politische Führer der Partei ist. Deshalb müssen
wir uns mit Smeral in diesen Fragen ganz offen aussprechen. Die
guten Seiten des Genossen Smeral sind allgemein bekannt. In der*
Periode, wo es sich darum handelt, die Mehrheit des Proletariats
zu gewinnen, der Sozialdemokratie die Massen abzugewinnen, ist
Smeral uns absolut unersetzlich. Er kennt das Land, er kennt
seine Arbeiter usw. An der Formulierung der Gewinnung der
Mehrheit des Proletariats, wie sie auf dem III. und IV. Welt?
kongrqß angenommen wurde, ist nicht zu rütteln. Höchstens
wäre hinzuzufügen, daß wir die Mehrheit brauchen, nicht um der
Mehrheit willen, sondern zum revolutionären Kampfe. Daran zu
erinnern, ist jetzt in der Tschechoslowakei besonders am Platze.
Wir wollen keinesfalls eine Krise in der K.P.Tsch. herauf beschwören,
wir kennen ihre starken Seiten. Es ist eine gute, ihrer Zusammen?
Setzung nach proletarische Partei.. Wir wissen, daß ihr Menschen?
material vortrefflich ist, daß’ die Arbeiter in ihr gut kämpfen
werden. Die Partei hat auch manche große Verdienste. So hat
sie es vorzüglich verstanden, der Sozialdemokratie die Mehrheit
abzujagen. Aber es ist hier nicht der Ort, um einander mit diplo?
matischen Liebenswürdigkeiten abzuspeisen. Manches muß in der
K.P.Tsch. gebessert werden. Ich teile vollkommen das, was Ge?
nossin Ruth Fischer über die Deklaration des Genossen Smeral
gesagt hat. Wer braucht hier auf dem Kongreß solche diplo?
matischen Deklarationen? Wir sind doch hier kein bürgerliches
Parlament, hier muß doch ein offenes, vielleicht ein hartes Wort
gesprochen werden, sei es auch gegen die Exekutive. Das tut
nichts. Man kann nicht nur mit papierenen Deklarationen kommen.
Meine Meinung ist die, daß die tschechische Partei ohne tiefe
Erschütterungen und Krisen das bessern muß, was zu bessern ist.
Sie kann das, wenn die führenden Genossen der Partei es wollen.
Die Minorität der tschechoslowakischen Delegation, die auf
dem Kongreß gegen den Opportunismus Smerals und Kreibichs

125

• i
aufgetreten ist, kann auf unsere volle Unterstützung rechnen.
Mag Smeral selbst sich beeilen, seine Linie zu verbessern, dann
'wird es keines inneren Kampfes bedürfen.
Genosse Bucharin hat gegen einen Artikel des Genossen
Kreibich polemisiert. Genosse Kreibich glaubt, man urteile in
der K.I. nur auf Grund von Leitsätzen, Artikeln und Zitaten;
er hätte das früher, als er noch Linker war, selbst so getan. Ich
sage: Warum sollen wir nicht auf Grund von Artikeln, Zitaten
und Resolutionen urteilen? Aber die Leitsätze, Zitate und Artikel
geben genügend Anhaltspunkte, um auf Grund ihrer — gewiß
nicht ihrer allein — zu urteilen. Ich glaube darum, daß Genosse
Kreibich gut tun würde, sich auf seine rechten Fehler nicht zu
versteifen, ebenso wie er sich früher nicht auf seine linken Fehler
versteift hat. In seiner „linken“ Blütezeit war er zu weit nach
links gegangen. Er muß jetzt des „Gleichgewichts“ halber das*
selbe tun nach der anderen Seite hin. Damals war in dieser
Beziehung Lenin sein Beichtvater, der ihn damals tüchtig ver*
prügelt hat. Ich habe viele Genossen sagen hören: ja, Lenin hat
mich manchmal geprügelt, aber das war fast ein Vergnügen, bei
dem es sich lohnte, Haue zu kriegen. Ich schließe mich ganz
dieser Meinung an. Ja, es war ein Vergnügen, von dem Meister
selbst Prügel zu nehmen. Was ist aber ohne Lenin zu tun? Jetzt
muß die Exekutive kollektiv den Genossen Lenin ersetzen. Sie
ist gern bereit, den Genossen Kreibich kollektiv zu züchtigen
(Beifall) und dem Genossen Kreibich die kollektive Bitte zu über*
mittein, daß er sich nicht auf seine rechten Fehler so versteift,
eben so wie er früher auf seinen „linken“ Fehlern nicht beharrt
hatte.
Genosse Kreibich sagt ferner: Lenin hat seinerzeit nicht zu*
gelassen, daß Smeral in der Resolution des Kongresses Zentrist
genannt wurde. D ieses W ort hat er gestrichen. Richtig. Aber
in welcher Resolution nennen wir jetzt Smeral einen Zentristen?
Wir tun es eben nicht. Es handelt sich nicht darum, in der
Tschechoslowakei eine Parteikrise herbeizuführen. Wir lieben die
tschechische Partei als eine kerngesunde proletarische Partei, aber
wir übersehen auch nicht die Schwächen ihrer Führer und bitten,
daß sie mit diesen parlamentarischen Deklarationen aufhören und
bessern, was zu bessern ist.

Der Genosse Höglund uß seinen Fehler zugeben.


Ich möchte noch ein paar Worte über den Genossen Höglund
sagen. Jedesmal, wenn ich mit ihm spreche oder ihn von der
Tribüne herabsprechen höre, habe ich das Gefühl, welch* ein
kluger Kerl, wie große Dienste könnte er nicht nur einem so
kleinen Lande wie Schweden, sondern auch der gesamten K.I.
leisten, wenn er seine Fehler aufgäbe! Wozu braucht er mit seinen
glänzenden Eigenschaften eine ungerechte Sache zu verteidigen,
die vom Standpunkt des Kommunisten doch absolut hoffnungs*
los ist! W ie er früher Lian, Tranmael und die andern verteidigt
hat, so fängt er jetzt mit ganz guten kommunistischen Elementen
in seiner eigenen Partei wegen Prestigefragen Streitigkeiten an,
die eine Folge seiner eigenen opportunistischen Fehler sind. Er
will die von ihm einmal begangenen Fehler nicht eingestehen. Wir
alle haben schon große Fehler begangen. Es ist schlimm, wenn
wir nicht den Mut aufbringen, diese Fehler einzugestehen. Die
Rede des Genossen Höglund war sehr geschickt, enthielt eine
Anzahl von guten Formeln, aber es fehlte die warme Seele, das,
was wir am meisten brauchen, die Fehler einsehen, die gemacht
worden sind.

DIE FEHLER DES GENOSSEN BORDIGA.

Die Frage der Fraktionen.


Nun, pour la bonne bouche muß ich noch eine Aussprache
mit unserem Genossen Bordiga haben, der so heiß erwartet wurde
und etwas zu spät gekommen ist, sozusagen als Dessert der ganzen
Diskussion. Tatsächlich* seine Rede war in mancher Beziehung
ein Leckerbissen. Ich bin zu allen möglichen Konzessionen ihm
gegenüber bereit, weil wir Genossen Bordiga als guten Revolu*
tionär kennen, der der italienischen Partei und der gesamten Inter*
nationale noch die größten Dienste leisten wird. Dort, wo es
sich um Formalitäten handelt, und nicht um prinzipielle Diffe*
renzen — von persönlichen gar nicht zu reden — sind wir bereit,
Bordiga jegliche Zugeständnisse zu machen.
In einem Teil seiner Rede war Genosse Bordiga, was ihm
ähnlich sieht, diplomatisch. Ich glaube, er war gestern zum ersten
Male in seinem Leben Diplomat, zum ersten und wir wollen
hoffen, auch zum letzten Male. Zum Beispiel die Frage der
Fraktionen. Ich habe Sie an sein Wort erinnert, daß es notwendig
wäre, in der Internationale eine linke Fraktion zu organisieren.
Genosse Bordiga erwiderte mir, er hätte das nicht gesagt, er
hätte nur gesagt, wenn die Internationale nach rechts marschieren
und etwa reformistisch werden so'Jie, er dann eine Fraktion
bilden würde. Ich gebe dem Genossen Bordiga öffentlich mein
Wort, wenn unsere Internationale eine rechte, reformistische In«

127
ternationale wird, werde ich mit ihm zusammen eine solche linke
Fraktion bilden. (Beifall.)
Genosse Bordiga fragt: wer gibt die Garantie, daß die K. L
keine reformistische Internationale wird? Die Frage selbst ist
unsinnig. Wo liegt der Anlaß für eine derartige Frage?
Der Genosse Bordiga weiß wohl, wir hatten in der II. Inter?
nationale eine linke Fraktion gebildet, wir führten den Kampf
in Zimmerwald — also, wenn uns ein solches Unglück passieren
sollte, dann kann er ruhig sein. Aber ich glaube, das wird nicht
passieren. Ich stelle mit Vergnügen fest, daß Genosse Bordiga
die zitierten Worte nicht geäußert haben will. Nun gab mir aber
heute jemand einen Artikel des Genossen Bordiga vom 8. Mai,.
wo es heißt:
„Die Frage der Fraktionen wird sich nicht anders lösen als
durch die Annäherung an jene organisatorischen Normen, von
denen wir gesprochen haben (individueller Eintritt, keine Ver?
Schmelzung). Wenn wir aber davon abrücken sollten, dann würde^
das Bestehen einer internationalen linksoppositionellen Fraktion
notwendig werden.“
Also nicht, wenn wir Opportunisten und Reformisten werden,
sondern wenn wir den Standpunkt Bordigas in kleinen speziellen
Punkten nicht teilen: daß man z. B. sich niemals mit anderen Par?
teien vereinigen und niemals Zellen in anderen Parteien bilden
soll. Das genügt ihm, dann wird er eine Fraktion bilden.
In dieser Frage sind wir bereit, genau so unseren Mann zu
stellen, wie es Genosse Bordiga tut. Würde die Frage so stehen:
Hie Kommunismus — hie Menschewismus, dann wären wir für eine
Rebellion in jeder beliebigen Organisation. Aber wenn es sich um
solche Dinge handelt, wo Bordiga mit Fraktionsbildung droht
wegen Differenzen untergeordneter organisatorischer Natur, so
frage ich: welcher ist der richtige Bordiga? Der vom 8. Mai d. J.
oder der vom 25. Juni, den wir in diesem Saal gehört haben?
(Beifall).

Drei Streitpunkte.
Ich komme also zu den drei Fragen, die für den Genossen
Bordiga die wichtigsten zu sein scheinen. Er sei erstens prinzipiell
gegen die Möglichkeit einer Vereinigung einer kommunistischen
Partei mit irgendeiner anderen Partei. Er sei zweitens gegen die
Möglichkeit der Bildung von Zellen in anderen Parteien, und
drittens sei er dagegen, daß man sym pathisierende Parteien in die
K. I. aufnehme.
Nun wollen wir in allem Ernst diese drei Punkte untersuchen.
Was kann man gegen die Fusion einer kommunistischen Partei
t

m
T

mit einer anderen Partei oder dem Teil einer Partei anführen, die
früher nicht kommunistisch war und nachher es geworden ist?
Ich will daran erinnern, daß die Vereinigung des Spartakusbundes
mit der linken USP. nach Halle die Form einer Fusion hatte. War
sie für die Internationale und die deutsche Partei gut? Sie war gut.
Freilich, sie bedingte viele Krisen, aber sie führte auch zur Bildung
einer mächtigen kommunistischen Massenpartei. Die deutsche
Sozialdemokratie hatte ihr Monopol als einzige Arbeiterpartei
eigentlich schon in Halle verloren.
Nehmen Sie jetzt ein so kleines Land wie Belgien. Wir hatten
dort eine kleine kommunistische Partei, die sich mit dem linken
Flügel der früheren Sozialdemokratischen Partei vereinigt hat. War
es richtig? Ich glaube, daß es richtig war.
Warum ist das alles so gekommen? Genosse Bordiga urteilt
abstrakt. Wir dürfen nie vergessen, daß wir teilweise aus dem
Schoß der II. Internationale geboren sind. Die II. Internationale
ist 30 Jahre vor uns geboren und dadurch erklärt sich, daß wir dem
Schoß der II. Internationale entstammen. Die kommunistischen
Parteien formieren sich aus der neu heranwachsenden Jugend und
dem besten Teil, der dem Schoße der II. Internationale entwachsen
ist. Das geschieht nicht darum, weil wir Eklektiker sind, wie es
der „konsequente“ Bordiga glaubt. Warum sollen wir gegen das
sein, was wir in Halle und in Belgien durchgemacht haben und was
morgen auch in Italien eintreten wird, wo ein Teil der früheren
Sozialistischen Partei sich uns anschließen wird? Ich glaube, in
diesem ersten Punkte hat Genosse Bordiga absolut unrecht.
Der zweite Punkt: Man soll niemals Zellen in anderen Par?
teien bilden. Warum nicht? frage ich. Nehmen Sie das klassische
Beispiel der englischen Labour Party. Wir hatten beschlossen,
daß die englischen Kommunisten in die Labour Party eintreten
müssen. Sie haben das getan, und zwar nicht ohne Erfolg. Nie?
mand wird jetzt verlangen, daß sie aus der Labour Party austreten.
Genosse Bordiga, ist das richtig? Es ist dort eine eigenartige
Lage. In England besteht eine große Partei der II. Internationale,
während ihre Massen für unsere Agitation empfänglich sind. Die
Labour Party ist eine eigenartige Organisation. Wir müssen in
diese Massen eindringen, um sie für den Kommunismus zu
gewinnen. Was veranlaßt Genossen Bordiga, „im Prinzip“ dagegen
zu sein? Nur der Umstand, daß er die Form der Anwendung
dieser Taktik in Italien für unrichtig hält. Nein, sagt er. Aber
dann ist es um so weniger verständlich. Wir müssen unsere
Genossen verpflichten, in der Labour Party zu bleiben, um dort
Zellen zu bilden.
Der dritte Punkt: die sympathisierenden Parteien. Ich kenne
drei Fälle. Die K.A.P.D., die amerikanische und die finnische

« 129
Arbeiterpartei waren unserer Internationale als sympathisierende
Parteien angeschlossen. Jetzt handelt es sich darum, daß Teile der
Sozialistischen Partei Italiens als sympathisierende Partei an die
K. I. angeschlossen werden. War es richtig, daß wir in der Inter*
nationale mit uns sympathisierende syndikalistische Elemente auf*
nahmen? Ja, es war richtig! Wir mußten Aufklärungsarbeit
unter diesen Elementen leisten. Wir mußten auf diese Weise die
ehrlich revolutionären Elemente für uns gewinnen. Das war seiner*
zeit der Fall mit der K.A.P.D. Als aber die Sache erledigt war,
kamen die besten Arbeiter zu uns, die Führer zeigten, wie unrevo*
lutionär sie waren, es kam der Bruch, und dieser Bruch war ein
Beispiel dafür, daß wir richtig gehandelt hatten.
Warum versteift sich hier Genosse Bordiga? In allen drei
Fragen ist er im Unrecht. Er meint, wenn wir in diesen drei
Fragen nicht nachgeben, so wie er es will, würde er eine Fraktion
bilden. Nun, Genossen, ich habe nicht gesagt, wie man es mir
unterschieben wollte: entweder Bordiga oder die Internationale! Ich
weiß, daß Genosse Bordiga ein ebenso treuer Soldat der Revolution
ist wie wir alle: ich habe gesagt, Genosse Bordiga ist unser Freund,
aber die Internationale ist ein größerer Freund. Mit anderen
Worten, Bordiga muß das tun, was die Internationale bestimmt.
„Und der König absolut, wenn er unseren Willen tut“. So denkt
Genosse Bordiga. (Beifall.) Man muß der Internationale jeden
Tribut zollen, aber nur in dem Falle, wenn sie so handelt, wie
Bordiga es will. Ich verstehe nicht, wie Bordiga, den wir alle als
einen sehr guten Genossen kennen, der um die italienische
Bewegung Verdienste hat, sich so versteifen kann. Italien ist ein
schönes, ein sonniges Land. Es hat viele gute Arbeiter. Mussolini
wird geschlagen werden; aber Italien ist dennoch ein Provinzwinkel
vom Standpunkte der Weltrevolution. Sie sehen, daß alle unsere
Methoden der Fusion gute Erfolge haben, wie es in Ländern wie
Deutschland, England und Amerika zum Ausdruck kommt — den
wichtigsten Ländern unserer Weltbewegung. Warum beharren
Sie bei Ihren Fehlern, Genosse Bordiga?
Nun, aber wichtiger ist die Frage der Einheitsfront. Da
suchte auch Bordiga humoristisch zu werden, er sagte: Nun ja,
wenn es sich schon um ein Wort handelt: „Arbeiterregierung“ —
diese Konzession können wir schon machen. Wir standen immer
auf dem Standpunkt, daß es sich nur um ein „Wort“ handelt.
Bordiga hat sich mit Radek getroffen: Es finde sozusagen eine
Revision der Taktik des IV. Kongresses statt. Das kommt bei
„ultralinken“ Abweichungen vor. Die Ultralinken treffen sich
mit den Ultrarechten.
Wie stand die Sache mit der Einheitsfront? Ich bin kein
Historiker, aber ich muß doch einiges aus der Geschichte* anführen.

130
G enosse Bordiga sprach von der erweiterten Sitzung der Exekutive
im Februar 1922. Ich glaube, gerade Genosse Bordiga sollte nicht
s o lange bei diesem Datum verweilen. Warum? Wie waren
damals die Rollen verteilt? Ich, der arme Sünder, der „Oppor*
tu n ist“, der bald nach rechts, bald nach links geht, der Eklektiker
usw .; Bordiga aber wie immer gegen die Rechten, stets geradlinig,
s te if und konsequent! Ein italienischer Genosse hat gestern im
G espräch mit mir gesagt: eine Telegraphenstange ist ebenfalls
„geradlinig“ (Heiterkeit, Beifall). Aber, Genossen, wir wissen
alle, es gibt auch etwas Elastischeres als eine Telegraphenstange.
D iese Elastizität ist eben für die Kommunistische Internationale
vonnöten.

Doktrinarismus in der Auffassung der Einheitsfront.


$
Nun, Genosse Bordiga spricht von der erweiterten Exekutive
I im Februar 1922. Wie waren damals die Rollen verteilt? Ich war
in der Frage der Arbeiterregierung aufgetreten und sagte: das ist
ein Synonym für die Diktatur des Proletariats. Alles andere sind
sozialdemokratische Abweichungen. Und Freund Bordiga? Er
war im Bunde mit Genossen Daniel Renoult, und sogar mit dem
ehemaligen Genossen Frossard, gegen die Exekutive, gegen die
Taktik der Einheitsfront. Wie Sie wissen, wandten sich damals die
französischen rechten Kommunisten gegen die Einheitsfront und
spielten sich als Linke auf. Die Delegation des italienischen Z.K.,
das unter Leitung Bordigas stand, hatte ein politisches Bündnis
mit der französischen Rechten gegen die Exekutive in der Frage
der Einheitsfront geschlossen. Ich rate Ihnen, Genosse Bordiga,
nicht so oft die erweiterte Exekutivsitzung vom Februar 1922 zu
zitieren — das ist das beste, was Sie tun können. (Beifall.)
Genosse Bordiga .sagt, er wäre niemals gegen die Einheits*
fronttaktik gewesen. Aber wir alle in der K. I. wissen ja, daß die
italienischen Genossen sich darauf versteiften, daß sie für die
Einheitsfront nur auf Ökonomischem Gebiete wären, aber nicht auf
politischem. Ich. frage, was ist das für ein Standpunkt? Kann
man ihn verteidigen? Das ist ein ganz eigentümlicher italienischer
Doktrinarismus. Wie soll man den jetzigen Kampf gegen
Mussolini verstehen: Als ökonomischen oder politischen? Der
Kampf um den Achtstundentag ist unzweifelhaft ein ökonomischer
Kampf, aber zugleich ist er in der jetzigen Situation ein politischer
Kampf. Wir beschwören Bordiga, diesen künstlichen unkommu*
nistischen Unterschied zwischen politischem und ökonomischem
Kampfe aufzugeben, aber er besteht darauf. In seinem Schiboleth
sah er den Stolz der italienischen kommunistischen Partei. Das
ist kein Prinzip, sondern ein Schiboleth.
9* 131

!>
Die Ursachen der starren Position Bordigas.
Ich versuche oft. mir zu erklären, woher diese starre Ein*
Stellung der Italiener vom Typus Bordigas gekommen ist. Gewiß
doch nicht aus den persönlichen Eigenschaften dieser oder jener
Führer. Sie ist entsprungen aus der Geschichte der italienischen
Arbeiterbewegung, aus dieser alten sozialistischen Partei, die alles
vereinigt hat — Turati, Bordiga, Serrati. Alles war da beisammen.
Jetzt ist eine eigentümliche Reaktion eingetreten. Man will eine
kleine, echte, hartgesottene kommunistische Partei haben, selbst
ohne große Massen. Das ist begreiflich. Aber Genossen, nach
Livorno sind doch schon drei, vier Jahre vergangen. Die Dinge
nehmen ihren Verlauf, die Revolution geht weiter. Die italienische
Bewegung belebt sich jetzt wieder, die italienische Arbeiterklasse
wird bald wieder eine große Rolle spielen, wird in die Bewegung
mit sehr großen, neuen Erfahrungen eintreten. Sie wird nicht die
italienische Bewegung der Jahre 1919 und 1920 werden. In dieser
Situation ist es höchste Zeit, diesem Schiboleth ein Ende zu machen
und mit der K. I. zu marschieren, dort wo sie Recht hat. Es handelt
sich keineswegs um eine „Revision“ der alten Taktik, nicht um
Unterscheidung der Einheitsfront auf ökonomischem und poli*
tischem Gebiete, sondern um die Gewinnung der Arbeitermassen
sowohl durch ökonomischen wie auch politischen Kampf, und um
Heranziehung der Massen auf dem Weg, den die K. I. geht. In Eng*
land sind die Mittel andere als in Amerika, in Italien wieder andere.
Hier sind starre „Prinzipien“ nicht angebracht. Aber Bordiga
beharrt auf ihnen. *

Das ist das, was ich Ihnen sagen wollte. Ich bin tief davon
überzeugt, daß es auch die Meinung des größten Teiles des Kon*
gresses ist, der wirklichen Linken der Kommunistischen Inter*
nationale und das alles getan werden wird, um sich mit Bordiga zu
verständigen. Aber auch er muß verstehen, daß er unrecht hat.
Bordiga sprach gestern nicht über die Frage der Gewinnung der
Mehrheit. Es scheint, daß diese Frage jetzt für alle klar ist. Wenn
er jetzt sagen wollte, daß er weiter auf die Thesen des Parteitages
von Rom besteht, so werden wir ihm antworten, daß wir diese
Thesen wiederholt abgelehnt haben. Bordiga hat gestern darüber
nicht gesprochen. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen, daß jetzt
darüber keine Streitigkeiten mehr bestehen, das heißt, daß der
Beschluß des III. Kongresses über die Gewinnung der Mehrheit in
Kraft ist. Bordiga muß jetzt auch seine anderen doktrinären
Fehler einsehen, und wirklich mit uns in Reih und Glied
marschieren. Die ganze Internationale und die Linke der Inter*
nationale wird sich freuen, wenn ein Problem Bordiga nicht mehr
besteht.
Die Lage in Amerika.
Nur noch zwei Worte über die Rede des Genossen Äm ter zur
Lage in Amerika. Ich muß sagen, daß Genosse Ämter mitunter
der amerikanischen Bewegung Bärendienste leistet. Es ist eine
schwierige Lage in Amerika. Die Exekutive hat volles Vertrauen
zu der amerikanischen Zentrale, an deren Spitze Foster und Ruthen*
berg stehen, die beiden besten Kräfte in Amerika. Die beiden
i

* Gruppen um diese Führer müssen sich verschmelzen und gemein*


sam arbeiten, ohne fraktionelle Reibungen. Wir wissen, die Lage
ist ernst, aber die Linie ist gegeben. Sie wird ehrlich und revolu*
tionär durchgeführt werden.
Man muß den amerikanischen ebenso wie den englischen
Genosen helfen. Wenn wir rechte Abweichungen bei den englischen
und amerikanischen Genossen auch konstatieren, so ist das eine
ganz andere Sache als bei der deutschen Rechten. Bei den ameri*
kaniscken und englischen Genossen handelt es sich um Unerfahren*
heit und Schwäche. Sie sind noch junge Parteien. Da ist kamerad*
schaftliche Hilfe am Platze und nicht sofort Richtungskampf,
Fraktionskampf. Die Exekutive wird dafür sorgen, daß der
Fraktionskampf in Amerika aufhört (wir werden Fraktions*
Bildungen verfolgen) und daß die junge Partei eine ernste Unter*
Stützung bekommt. Dann wird sie auch ernste Erfolge haben.

Das Fazit.
Zusammenfassend: ich glaube, Genossen, gewiß, wir müssen
manches anders formulieren als es auf dem IV. Kongreß formu*
liert worden ist. Aber die Linie des III. und IV. Kongresses in der
Frage der Weltwirtschaftslage bleibt bestehen; die allgemeine
Linie in der Frage der Arbeiter* und Bauernregierung bleibt eben*
falls bestehen. Was wir revidieren, theoretisch liquidieren und
wenn nötig, auch mit schärferen Mitteln liquidieren werden — das
ist die opportunistische Entstellung der Linie der K . 7.
Mag die Arbeiterschaft der ganzen Welt und mögen die sozial*
demokratischen Führer und alle unsere Gegner wissen, was wir
für strategische Manöver machen. Wir brauchen es nicht zu
befürchten, Genosse Smeral. Das Wort „Manöver“ wird gewöhn*
lieh mit einem schlechten Nebengeschmack gedeutet, aber in
gewissem Sinne kann man sagen, daß unsere ganze Taktik über*
haupt ein Manöver ist. Mögen unsere Gegner wissen, daß wir,
wo es vonnöten ist, manövrieren. Wer glaubt, daß wir die
politische Vereinigung mit allen sogenannten „Arbeiterparteien“
planen, der irrt. Möge die ganze internationale Arbeiterschaft

133
und die internationale konterrevolutionäre Sozialdemokratie
wissen, daß die Ansicht, die hier von verschiedenen Genossen mit
Radek an der Spitze ausgesprochen wurde, nicht die Meinung der
K. I. ist. Die K. I. hat einen entgegengesetzten Standpunkt, den
Standpunkt des revolutionären Marxismus, des Leninismus.

Wir brauchen eine Weltpartei des Leninismus.


Ich komme zum Schluß. Wir haben hart miteinander
gesprochen, wir brauchen es einander nicht übel zu nehmen.
Natürlich, die K. I. ist nicht die II. Internationale und auch kein
Parlament der „Meinungen“. Gewiß, wir sprechen in unserer
Mitte frank und frei — aber unser Ideal besteht nicht darin,
Heißes und Kaltes zu vermischen, um Laues zu bekommen. Die
K. I. muß wie aus einem Stück gegossen sein. Die Auffassung der
Rechten wird auf diesem Kongreß in unbedeutender Minderheit
bleiben. Wir kämpfen scharf, wir verteidigen heiß unsere Am
sichten, aber die Beschlüsse der für uns höchsten Instanz sind für
uns alle entscheidend. Wir können kein „Parlament“ im Sinne der
II. Internationale sein. Wenn wir hier einen Beschluß fassen, so
heißt das, daß auch die Minderheit nicht nach der alten Art fort?
fahren kann. Auf dem Kongreß mag man bis „zum letzten Bluts?
tropfen“ kämpfen. Aber nachdem diese Versammlung, diese für
uns Kommunisten höchste gesetzgebende Instanz (einen höheren
Gerichtshof für Kommunisten kennen wir nicht) ihr Wort gesagt
haben wird, handelt es sich darum, ihre Beschlüsse auszuführen, in
Reih und Glied zu marschieren. Es kann nicht die Rede davon
sein, daß die Rechte fortfährt, wie früher zu handeln und sich zu
einer Fraktion zusammentut. Das wird die K. I. nicht zulassen.
Ein russischer Genosse, der. an der internationalen Arbeit
unmittelbar nicht teilnimmt, sie aber aufmerksam verfolgt und der
ein gutes Auge, ein aufmerksames Ohr hat, sagte zu mir: wenn ich
diesen Kongreß betrachte, so merke ich, es ist schon etwas ganz
anderes als früher. Früher waren es oft nur liebe Gäste, die nach
Moskau kamen und mit viel Freude empfangen wurden. Jetzt
sind es Kommunisten, die die Geschicke mitunter großer Parteien
in ihren Händen halten, die reif prüfen, reif beschließen als Gleich?
berechtigte, und sie sind die Herren der K. I.
Es wächst eine neue Generation von Führern heran, eine
Anzahl wirklich revolutionärer Führer unserer Jugend. Wir haben
schon Delegationen wie die deutsche, wo Arbeiter sitzen, die fünf
Jahre und mehr Gefängnis hinter sich haben. Nicht nur die
russischen Genossen, auch die ausländischen sind schon reife, feste
Elemente. Das ist das Gesicht unseres Kongresses: nicht nur liebe
\ ♦
I
t
f
^ A ^ * «

b
t

Gäste, die brüderlich von den Russen empfangen werden, sondern


Vertreter von gewiß noch verschiedenartig aufgebauten starken
und schwachen Parteien, aber zum Teil schon Massenparteien, die
ihre eigene Erfahrung haben.
t
t
#

W as heißt Bolschewisierung der Parteien?


% Man hat viel von „Bolschewisierung der Parteien“ geredet.
Bolschewisierung ist nicht zu verstehen in dem Sinne, daß man
mechanisch die russischen Erfahrungen auf die deutsche und andere
Parteien überträgt, wovor schon Genosse Lenin gewarnt hat.
Unter Bolschewisierung verstehen wir, daß die Parteien das auf#
nehmen, was generell bedeutend international im Bolschewismus
war und worauf Lenin in der „Kinderkrankheit“ hingewiesen hat.
,Unter Bolschewisierung der Parteien verstehen wir die Unver#
„söhnlichkeit des Hasses gegen die Bourgeoisie und die verräte#
rischen sozialdemokratischen Führer, die Zulässigkeit jedes strate#
gischen Manövers gegen den Feind. Die Bolschewisierung ist der
unbeugsame Wille zum Kampfe für die Hegemonie des Prole#
tariats, ist der flammende Haß gegen die Bourgeoisie, gegen die
konterrevolutionären Führer der Sozialdemokratie, gegen den
Zentrismus und gegen die Zentristen, gegen die Halbzentristen
und Pazifisten und alle Auswüchse der bürgerlichen Ideologie.
Bolschewisierung — das ist die Schaffung einer festgefügten,
wie aus einem Stein gehauenen zentralisierten Organisation, die
harmonisch und brüderlich die Differenzen in ihren eigenen Reihen
austrägt, wie es Lenin gelehrt hat. Bolschewisierung ist Marxismus
in Aktion, ist Treue der Idee der Diktatur des Proletariats,' den
Ideen des Leninismus. Das ist Bolschewisierung. Nicht mechanisch
die russischen Bolschewiki nachahmen, sondern das aufnehmen,
was im Bolschewismus unsterblich war und ist.
Viele Parteien, von denen hier überhaupt nicht gesprochen
wurde, haben große Fortschritte gemacht, z. B. die spanische
Partei. Hunderte Genossen sind dort durch die Gefängnisse
gegangen, und in diesem klassischen Lande des Syndikalismus und
des Anarchismus gewinnt der Bolschewismus an Boden. Wir haben
dort schon einen festen Kern von ehrlichen, kampfgewöhnten
revolutionären Arbeitern, die es wirklich mit der proletarischen
Revolution ehrlich meinen (Beifall). Wir haben große Fortschritte
auch in der französischen Partei zu verzeichnen, die vor kurzem
noch so vom Opportunismus zerfressen war, daß man glauben
mußte, eine ernste Partei wäre dort unmöglich. Viel gelernt.hat
auch die bulgarische Partei, die, wie wir hoffen wollen, vor Rück#
fällen der opportunistischen Tendenzen bewahrt bleiben wird.*

* « i . 4.
135

r
I

Wir hegen alle die Zuversicht, daß die Bewegung wächst. Die
Propagandagruppen haben sich in starke Organisationen ver*
wandelt, die im Kampfe gestählt worden sind. Wir haben alle das
Gefühl, daß wir auf diesem V. Kongreß wirklich davon sprechen,
daß wir eine Weltpartei sind. In diesem Sinne werden auch die
Resolutionen des Kongresses gefaßt werden. Diejenigen Genossen,
die für eine andere Auffassung gekämpft haben, werden sich
unseren Beschlüssen anschließen als dem Ausdruck der kollektiven
Erfahrungen und des kollektiven Gehirns, alles Besten und Ehr*
lichsten und Revolutionärsten innerhalb der Arbeiterklasse der
ganzen Welt. (Stürmischer, langanhaltender Beifall, die Delegierten
singen die Internationale).
T U R D IE EIN H EIT DER
ITNTERNA TJONALEN
GE W ERKSCHATTSBE WEGUNG

REDE.
GEHALTEN A U T DEM V. WELTKONGRESS DER KOMINTERN
7. JU L I 1924
Genossen! Die Frage der Gewerkschaften ist von der größten
Wichtigkeit. Irgendwelche Zweideutigkeiten in ihr bestehen zu
lassen, hieße der Bewegung den größten Schaden zufügen.
Man spricht auf diesem Kongreß viel über die notwendige
Bolschewisierung der Parteien, über die Treue zum Leninismus.
Wir hätten vorgezogen, daß nicht soviel über den Leninismus
und die Bolschewisierung der Partei gesprochen, aber dafür etwas
genauer studiert würde, was der Leninismus wirklich darstellt,
speziell in der Frage der Gewerkschaften. (Beifall.)
Der Bolschewismus ist gegen die Spaltung der Gew erk*
schäften. Ueber den Standpunkt des Leninismus in der Gewerk?
schaftsfrage kann uns vor allem die Praxis des Leninismus Auf?
Schluß geben. Sie wissen, daß die erste politische Spaltung zwischen
den Bolschewisten und Menschewisten schon 1903 bestand, also
vor mehr als 20 Jahren, um von früheren Zeiten gar nicht zu
reden. In der Frage der Gewerkschaften haben die Bolschewiki
ganz anders gehandelt. Trotz aller politischen Spaltungen haben
wir keine einzige Gewerkschaft gespalten, (Radek: Sehr richtig!)
weder vor, noch während, noch nach der Revolution. Das gibt
zu denken, Genossen. Auch nach der Oktoberrevolution waren
die Gewerkschaften zum großen Teil noch in den Händen der
Menschewiki. Und trotzdem haben wir alles getan, um einer
Spaltung vorzubeugen. Später, als die Menschewiki in den Ge?
werkschaften nur noch einen ganz kleinen Teil bildeten, wurde
von unserer Partei alles getan, um die Gewerkschaften von innen
heraus zu igewinnen, ohne irgendwelche Spaltung.
Also, Genossen, wenn Sie die Praxis des Bolschewismus ver?
stehen wollen, so dürfen Sie diese grundlegende Tatsache nicht
vergessen: 25 Jahre Spaltung auf politischem Gebiete, — die
Menschewiki haben uns Berufsspalter genannt, — und keine ein* .
zige Spaltung auf gewerkschaftlichem Gebiet, weder im Moment,
wo wir die Minderheit, noch im Moment, wo wir die Mehrheit in
den Gewerkschaften hatten. Das ist eine grundlegende Tatsache
aus der Geschichte der russischen Revolution und der Ge?
schichte des russischen Bolschewismus.
Wer sich Leninist nennt, wer sagt, daß er die Partei bolsche?
wisieren will — ich glaube, Schumacher behauptet das auch, aber
vor einer solchen Bolschewisierung der Partei mag Gott uns be?
hüten — der wird die Gewerkschaften nicht spalten. Denn das
wäre das Entgegengesetzte, das wäre eine Forderung der Mensche?
wisierung, trotzdem sich Schumacher als Linker bezeichnet*

138
Solche Linke haben wir schon genug gesehen. Wenn ich nicht
irre, war Schumacher vor zwei bis drei Jahren in Moskau als
Vertreter der U.S.P., und jetzt tritt er schon auf als einer, dem
die Internationale nicht links genug- ist. (Radek: Das passiert
manchem!) Also, wenn Sie wirklich von der Bolschewisierung
der Partei sprechen wollen, dann merken Sie sich ein für allemal:
die Einheit der Gewerkschaftsbewegung ist eines der wichtigsten
Hauptmerkmale des Bolschewismus, ist die Praxis des russischen
Bolschewismus seit 25 Jahren. Keine einzige Gewerkschaft
haben wir gespalten. Warum? Weil wir die Menschewiki ge?
liebt haben, oder weil wir gedacht haben, die Gewerkschaften
seien so eine besondere Form der Bewegung, die uns heilig
ist, die man nicht antasten soll? Nein, nicht darum, sondern
weil wir verstanden haben, daß die Gewerkschaften der Sammel?
punkt der proletarischen Massen, der gesamten A rbeiterklasse sind.
Man hat unlängst in der deutschen Partei gesagt: wir haben
die Gewerkschaften schon satt, wir möchten gern eine „neue
Form“ der Arbeiterbewegung schaffen. Und diese Genossen
haben wirklich geglaubt, es handele sich nur um den guten
Willen; wenn man den habe, werde man diese „neue Form“ leicht
finden. Das ist eher alles andere als Bolschewismus. Die Ge?
werkschaften sind nicht von Graßmann, D'Arragona, Legien aus?
gedacht worden, sie sind die historisch gegebene Form der Massen?
Organisationen des Proletariats während des Kapitalismus. Man
kann sich eine „neue Form“ der Arbeiterbewegung nicht aus den
Fingern saugen. Eine neue Form der Massen?Arbeiterbewegung
außer den Gewerkschaften kennen wir, das sind die Sowjets.
Aber sie sind eine solche neue Form, die man nicht zu beliebiger
Zeit begründen kann. Wir haben auf dem Kongreß eine spezielle
Resolution angenommen über die Bedingungen für die Gründung
der Sowjets. Lesen Sie diese Resolution. Dort werden Sie
genau gesagt finden, wenn Sowjets gegründet werden können:
Am Vorabend der Revolution, wo sie wirklich schon Keime der
Arbeiterregierung sind im Sinne der Diktatur des Proletariats.
Also eine neue Form der Arbeiterbewegung ist wirklich da,
das sind die Sowjets. Die kann man aber nicht zu beliebiger
Zeit produzieren, sondern nur am Vorabend der Revolution. Und
eine andere Form der proletarischen Massenbewegung gibt es
nicht.
Die Betriebsräte werden allmählich zu einer neuen Form
der Arbeiterbewegung innerhalb der Gewerkschaftsbewegung.
Die Gewerkschaften aber bleiben die wichtigste Organisation,
sogar nach dem Sieg des Proletariats, sogar nach der Eroberung der
Macht durch das Proletariat. Wenigstens die Geschichte der

139
einzig siegreichen Revolution, der russischen Revolution hat dies
bezeugt.
Es ist also sehr leichtfertig, zu sagen, daß wir willkürlich,
nach eigenem Wunsch eine „neue Form“ der- Arbeiterbewegung
schaffen und die bisher einzige alte Form vernachlässigen können. ü
Genosse Lenin hat uns gelehrt, daß die G ew erkschaftsbew egung i

trotz aller Verrätereien der Sozialdem okratie die historisch


gegebene Form der Sammlung aller Proletarier in einer Or«
ganisation darstellt. Hieraus, Genossen, entspringen alLe Be­
mühungen der Führer der Sozialdemokraten, die Einheit dieser Be«
wegung zu zerschlagen und die Kommunisten aus ihr heraus« 13
zustoßen. Darum haben wir auf dem 3. und 4. Kongreß gesagt, '*

daß die Führer der Sozialdemokratie alles Interesse haben, die


Einheit der Gewerkschaften zu zerschlagen, und daß wir jetzt
alles Interesse haben, sie zu bewahren. Denn diese Form der
Arbeiterbewegung werden wir noch nötig haben, nicht nur
während des Kampfes um die Macht, sondern auch am Morgen
nach der Gewinnung der Macht. Lenin hat hundertmal erklärt:
hätten wir die Gewerkschaften nach dem Jahre 17 nicht hinter
uns gehabt, so hätte sich unsere Diktatur nicht ein Jahr, nicht
eine Woche lang halten können. Die Gewerkschaften waren die
7) R
Organisation, die uns geholfen hat, die Produktion, die Rote
Armee und vieles, vieles andere zu organisieren.
Leninismus in der G ew erkschaft bedeutet K am pf gegen die
liti
Spaltung der G ew erkschaften. Wir sagen das nicht aus Diplo«
1.4
matie gegenüber den Sozialdemokraten, sondern weil es dem !l’
tiefen Kern des Leninismus entspringt. 1t

4
’ V«

Ohne Massenorganisation kein Sieg. [*

Der Leninismus besteht daher in erster Linie darin, zu ver« P


stehen: unversöhnlicher Marxismus ist nicht möglich ohne Massen« tf

Organisation des Proletariats, denn Marxismus ohne Massenorgani« *1

8
\

sation ist schon kein Marxismus mehr und kann niemals siegen.
Wir haben gestern die Pariser Kommune gefeiert. Wir iS

wollen aber eine siegreiche Kommune haben, wir wollen den Sieg
des Proletariats. Und dazu gehört zunächst die Vereinigung der
Arbeiterklasse.
Wir haben auf dem 4. Kongreß erklärt, — und das ist auch
jetzt noch absolut richtig: — je mehr die sozialdemokratischen
Führer einsehen, daß die Arbeiterklasse mit den Herzen doch
zu uns gehört, daß wir die Mehrheit gewinnen werden, je mehr
sie einsehen, daß wir uns der Revolution nähern, um so mehr
versuchen sie, die Gewerkschaften zu spalten. Sie denken im
Stillen: Wenn die Kommunisten schon einmal die Organisation

140
7*

der Arbeiterklasse in ihre Hände kriegen, so sollen sie nur


Scherben, Splitter der Gewerkschaften kriegen, aber nicht die
Gewerkschaften als solche, die zur unersetzlichen Waffe in den
Händen der Kommunisten werden können.
Ja, wenn man jetzt die englische, die deutsche Gewerk*
Schaftsbewegung ansieht, die sich noch in den Händen der. Sozial*
demokratie befindet, so glaubt man schwerlich, daß diese Ge*
werkschaften noch einmal der proletarischen Revolution dienen
könnten. Aber sie werden ihr dennoch ganz sicher dienen. Die
russischen Gewerkschaften in den Händen der Menschewiki waren
nicht viel besser. Aber als der entscheidende Moment gekommen
war, haben wir die Menschewiki geschlagen. Und die Disziplin,
die organisatorischen Gewohnheiten und all das Gute, das sich
jahrzehntelang in den Gewerkschaften angesammelt hat, wurde
in den Händen der Kommunisten zum unvergleichlichen Werk*
zeug der russischen Revolution.
W er es also ernst meint mit der proletarischen Revolution,
mit der Gewinnung der M ehrheit der A rbeiterklasse, der darf
die Frage der Einheit der G ew erkschaften nicht so leichtfertig
behandeln. Bolschewisierung der Partei ist die Taktik des auf*
richtigen Kampfes für die Einheit der Gewerkschaftsbewegung,
des jahrzehntelangen Kampfes für den Kommunismus innerhalb
der Gewerkschaftsbewegung.
Je mehr die Sozialdemokraten provozieren, umso mehr
müssen wir manövrieren, müssen wir die Reihen in den Gewerk*
schäften zusammenschließen und dort von innen aus arbeiten.
i

Warum? Weil sich dort unsere Klassenbrüder befinden.


Man hat den leichtfertigen Vergleich gezogen: wie man den
bürgerlichen Staat nur mit Gewalt erobern könne, so auch die
Gewerkschaften. Dieser Vergleich hinkt. Der bürgerliche Staat
unterscheidet sich von den Gewerkschaften dadurch, daß diese
Gewerkschaften aus unseren Klassenbrüdern bestehen, die zwar
verführt sind, zuweilen sogar objektiv konterrevolutionär wirken,
aber immerhin gute Arbeiter sind, die in gegebener Stunde ins
Gegenteil Umschlägen werden.

Die Schumacherei.
In der deutschen Partei sprach man viel von einer „neuen
Taktik“ in der Gewerkschaftsfrage. Worin besteht diese Taktik?
In der „Schumacherei“. Schade nur, daß es in unserer deutschen
Partei nicht nur einen ganzen Schumacher, sondern auch halbe
\ Schumacher gibt, d. h. Leute, die dieselbe falsche Taktik mehr
oder weniger inkonsequent verfechten. Es ist viel besser, wenn

141
man den „ganzen“ Schumacher hier auf der Tribüne hat und die
Frage im vollen Umfänge aufrollen kann.
Schumacher sagt: eine ganze Weltanschauung trennt uns von
den Sozialdemokraten, darum können wir nicht mit ihnen in den
Gewerkschaften bleiben. Ja, gewiß trennt uns eine ganze Welt*
anschauung von den Sozialdemokraten, sie sind bürgerliche La*
kaien und wir sind Kommunisten. Wer weiß das nicht? Das
braucht nicht erst Schumacher zu entdecken. Oder man sagt
weiter: die Hunde, die Führer der Sozialdemokraten provozieren
uns, um uns aus den Gewerkschaften hinauszutreiben, also müssen
wir fortgehen. Aber dazu sind sie eben Hunde, sind sie Lakaien
der Bourgeoisie, um uns zu provozieren, um die Gewerkschaften
zu spalten — und dazu sind wir nicht Gefühlsmenschen, sondern
ernste proletarische Revolutionäre, um zu sagen: Hunde bleiben
Hunde, Lakaien der Bourgeoisie bleiben Lakaien der Bourgeoisie,
aber wir werden trotzdem ausharren und um jeden Preis die
Mehrheit unserer eigenen Klassengenossen zu gewinnen suchen
in den Gewerkschaften, in der Organisation, die jetzt noch von
den verfluchten Lakaien der Bourgeoisie geführt wird, die aber
von ihnen ja nicht für ewige Zeit beherrscht werden wird. Die
Zeit wird kommen, wo wir die Mehrheit der Arbeiter in ihnen
gewinnen werden. Koste es was es wolle, wir werden die Auf*
gäbe, diesen Sammelpunkt der Arbeitermassen zu erobern, nicht
fallen lassen.
Die Herren Menschewiki in Rußland waren auch solche
Lakaien der Bourgeoisie, auch sie wollten, wir sollten raus aus
den Gewerkschaften. Es fanden bei uns dieselben Kämpfe statt.
Wir aber haben gesagt: je mehr Provokationen, umso größere
Ausdauer unsererseits, um in den Gewerkschaften zu bleiben und
die Mehrheit der Gewerkschaften trotz allem zu gewinnen. In
der K. I. hatten wir von Anfang an Elemente, die versuchten, uns
von unserem Weg abzubringen. Schon auf dem 1. und 2. Kon*
greß wurden solche Stimmen laut; teilweise waren es Genossen
aus Amerika und England, die sagten: wir können nicht in
diesen Gewerkschaften bleiben! Lenin kämpfte wie ein Löwe
gegen sie.
Jetzt sagen diese Genossen: wir sind alle Leninisten, aber
wir wollen aus den reformistischen Gewerkschaften heraus, wir
wollen eine „neue Form“ der Arbeiterorganisation, es trennt uns
eine Weltauffassung von diesen alten Gewerkschaften. Wir
aber stehen hier und können nicht anders: die Taktik der K. I.
besteht darin, in den Gewerkschaften, so wie sie sind, zu arbeiten.
Lenin hat es verstanden, die ersten Arbeiter unserer Partei, die
ersten Gründer unserer Partei in die reaktionären Gewerkschaften
zu entsenden, die von den sozialdemokratischen Gendarmen

142

K
gegründet wurden; er hat sie sogar in die vom General Subatow
gegründeten Gewerkschaften geschickt, um einen Teil der Ar*
beiterschaft für uns zu gewinnen. Ich muß anerkennen, daß die
Dißmann, Graßmann, D’Arragona und Gompers ebensolche
Gendarmen sind; es sind reaktionäre Kerle, wir kennen die
Bande, sie sind objektiv nicht besser als der General Subatow.
Aber wenn wir schon in diese Gewerkschaften eingetreten sind,
um die Mehrheit der Arbeiter zu gewinnen, müssen wir unbedingt
auch in diesen SubatowsGraßmannschen Gewerkschaften, in diesen
SubatowdD’Arragonaschen Gewerkschaften ausharren. Wenn wir
das nicht tun, ist es nur ein Lippenbekenntnis, zu sagen, daß wir
die Mehrheit der Arbeiterklasse gewinnen wollen. Vielleicht
wollt Ihr das, aber Ihr versteht nicht, wie das zu machen ist.
Man kann die Mehrheit nicht gewinnen, wenn man nicht in den
Gewerkschaften arbeiten will. Dann macht man nur die Arbeit
für diesen Gendarmen. Obwohl sich Schumacher für links hält,
macht er doch die Arbeit für Graßmann und Dißmann.

Wir müssen in den Gewerkschaften bleiben.


Deshalb sagen wir: in dieser Frage kann es keine Kompro*
misse geben. Wenn diese Frage hier noch einmal auftaucht auf
einem internationalen Kongreß, so muß die K. L klar sagen: wir
müssen in den G ew erkschaften bleiben. Von einem wirklichen
Leninisten prallen all diese Argumente Schumachers ab. Sie
sind nur ein Beweis für die Richtigkeit unserer Taktik.
Warum schließen die sozialdemokratischen Führer uns aus?
Weil sie fürchten, daß wir in den Gewerkschaften verstehen
werden, die Mehrheit der Arbeiter zu gewinnen. Wenn es eine
Frage gibt, die den Kopf der K. I. kosten kann, dann ist es die
Gewerkschaftsfrage. Wenn es eine Frage gibt, die die deutsche
Bruderpartei vernichten kann, so ist es die Gewerkschaftsfrage!
(Beifall).
Heute erzählt mir ein Genosse: in Altona hätten wir bei
den Kommunalwahlen eine Schlappe erlitten. Selbstverständlich
ist sogar eine kleine Schlappe für uns unangenehm. Aber wir
gehören nicht zu den Revolutionären, die unbedingt von unseren
Genossen Siege fordern, wir wissen, daß es Niederlagen geben
kann, aber als Kommunisten wissen wir auch, daß wir trotz dieser
Niederlagen weiter zu kämpfen haben. A ber wenn die leninistische
Auffassung in der G ew erkschaftsfrage in unserer deutschen Partei
nicht durchdringt, wenn die leninistische Linie der Einheit der
G ew erkschaftsbew egung nicht klar ausgedrückt wird, so wäre das
eine Niederlage, die wir nicht ertragen können.
Ich muß erklären, daß die Opposition in dieser Frage keine
„Professoren“?Opposition ist. Manche kommunistischen „Pro?
fessoren“ tun alles mögliche, um jeden falschen Schritt zu ver?
tiefen, aber die Gefährlichkeit dieser Abweichung besteht darin,
daß auch gute Arbeiter sie teilweise aufnehmen. Das ist beson?
ders gefährlich.
Ich verstehe es menschlich, daß die Arbeiter die Fäuste ballen,
wenn sie den Namen Graßmann und Konsorten hören, daß sie
für ihren Beitrag, den sie an die Sozialverräter zahlen, lieber ihren
Kindern Milch kaufen, wenn sie hungern. Ich verstehe das ge?
fühlsmäßig, aber als Klassenbruder, als Mitglied einer Weltpartei,
als Klassenkämpfer hat so ein Arbeiter unrecht; er muß ver?
stehen, daß wir diesen Beitrag zahlen müssen, daß wir diese eigenste
Organisation jedes Arbeiters gewinnen müssen, daß wir in ihr
bleiben müssen und nur von innen heraus alles an uns reißen
können. Wenn wir das nicht tun, so ist unser ganzes Programm
absolut hoffnungslos.
Genossen, was hat uns während der deutschen Diskussion
über diese Frage am meisten beunruhigt. Wir haben verstanden,
daß nach der Niederlage im Oktober, nach der Komödie in
Sachsen eine Krise absolut unvermeidlich war. Das ist nicht so
schrecklich, das kann man korrigieren. Aber wenn die Partei
als solche, und dabei ganz gute Arbeiter, die das Fundament
unserer Partei bilden, keine klare Linie in der Gewerkschafts?
frage haben, so beunruhigt uns das am stärksten. Die Partei kann
die Linie des Kommunismus nicht durchführen, wenn sie in
dieser Frage, die die Frage aller Fragen ist, keine klare Linie hat.
Da muß eine ganz klare Linie geschaffen werden, da müssen wir
einander reinen Wein einschenken. Nicht um Worte, sondern um
Kompromisse handelt es sich hier, und daher müssen wir die
Frage bis zu Ende durchkämpfen.
Die Frankfurter Resolution unserer deutschen Partei ist theo?
retisch richtig, sie ist die Basis einer richtigen leninistischen Taktik
in der Gewerkschaftsfrage. Aber wir wissen auch, wie jedes Buch
sein Schicksal hat, so kann auch eine Resolution ihr Schicksal
haben, sie kann auf dem Papier stehen bleiben. Wir hatten viele
Rücksprachen mit unseren deutschen Genossen, den besten Pro?
letariern Deutschlands, die sehr starke Seiten haben. Aber ihre
schwache Seite besteht teilweise darin, daß sie in den Gewerk?
schäften noch mit sich selbst in ihrem tiefsten Herzen ringen.
Sie haben diese Frage noch nicht durchgekämpft. Sie meinen,
es sei vielleicht ein Opportunismus, wenn sie in den Gewerk?
schäften bleiben. Genossen, diesen Kampf in der eigenen Brust
muß man zu Ende führen.
Schumacher hat eine Anzahl von Resolutionen zitiert aus der
Uebergangsperiode der deutschen Bruderpartei, aus der Mause*
rungsperiode, wo man in der Ansicht über die Gewerkschaften
noch geschwankt hat. Diese Resolutionen sind keine Beweise für
uns. Auch wir haben in manchen Fragen viel geschwankt; wir
sind nicht als fertige Kommunisten geboren. Man kann unserer
Partei keinen Strick daraus drehen, daß es Schwankungen gegeben
hat. Es war die Mauserungsperiode. Aber wenn diese Periode
sich jahrelang hinzieht, so wird das zu einem Unglück für die
Partei. Die Beweise Schumachers sind keine Beweise, sie sind
* *

wie wir hoffen, theoretisch in Frankfurt schon überwunden. Es


handelt sich aber darum, sie auch praktisch zu überwinden.

Die Parteimitglieder müssen gewerkschaftlich organisiert sein.


Ich habe einen Berliner Genossen gesprochen, einen von den
Proletariern, die das Fundament der Partei bilden. Ich hatte das
Gefühl, daß den Massen gegenüber er sich ein wenig schämt, warum
wir in den sozialdemokratischen Gewerkschaften bleiben. Er
sagt: wir haben in meinem Betrieb 30 000 Arbeiter, gewerkschaft*
lieh organisiert sind nur 1000 oder anderthalb Tausend, und die
anderen wollen von den Gewerkschaften nichts hören; und er
schämt sich, vor sie hinzutreten und zu sagen: Ihr müßt in die
sozialdemokratischen Gewerkschaften hinein. Er glaubt, daß
diese 30 000 die Besten sind. Nein, Genossen, wir haben die
Massen sehr gut kennen gelernt, wir haben mit Hunderttausenden,
Millionen zu tun gehabt. Wir kennen diese Menschen schon, die
da sagen: „in die Gewerkschaften gehe ich nicht, es lohnt sich
nicht, in diese Schwatzbude zu gehen.“ Sie führen sich zuweilen
äußerlich sehr radikal auf, abier diese Massen gehen auch oft nicht
zur Partei, nicht zum revolutionären Kampf. Dann aber kommt
ein Augenblick, wo sie sagen: „wo war die Partei, als wir uns
irrten? Sie ist dazu da, unsere Fehler zu korrigieren!“ Gewiß,
ohne diese 30 000 Mann kann man die Revolution nicht machen,
aber man muß sie überzeugen, daß man in den Gewerkschaften
bleiben muß. Wenn wir das nicht fertig bringen, werden wir die
bürgerliche Ordnung nicht stürzen können.
Die deutsche Partei muß in dieser Frage reinen Tisch machen.
Alle Fehler können wir verzeihen, aber diese Frage kann für uns
ein Stein um den Hals werden; wenn man schwimmen muß, kann
man gerade durch diesen Stein untergehen, d. h. weil man keine
klare Auffassung in der Gewerkschaftsfrage hat.
Wenn Schumacher sagt, daß er im Namen von 20 000 Genossen
hier spreche, so ist das so eine Art lokalistischer Geist. Wir
io 145
I
%

kennen diese lokalistischen Gewerkschaften schon seit dem seligen


Legien; damals nannte er auch ungefähr diese Zahl. W ir hoffen,
19 000 von den 20 000 werden mit der Kommunistischen Inter*
nationale gehen, wenn sie eine bestimmte Linie bestätigt hat,
und von den anderen müssen wir uns eine Zeitlang trennen, aber
wir können keine. Kompromisse mit ihnen schließen. Schumacher
ist auch ein Soldat der Revolution; wenn die Partei etwas
beschlossen hat, so muß er es nicht nur formell, sondern auch
praktisch durchführen. Ich glaube nicht, daß die deutsche Partei
diese „Schumacherei“ noch lange vertragen kann.
Schumacher sagt: wir predigen ja eigentlich gar nicht den
Austritt aus den Gewerkschaften, wir sagen nicht: „heraus aus
den Gewerkschaften“, sondern wir propagieren nur die Bildung *7
der selbständigen Gewerkschaften und die Parole: Industrie*
verbände, und das muß die Partei unterstützen. Ja, hält Genosse
Schumacher uns denn für so naiv, daß wir es nicht verstehen, um
was es geht, und weil er es mit etwas anderen Worten sagt? Er
will uns vor solche Tatsachen stellen, die die Linie der Partei in der
Gewerkschaftsfrage brechen.

Zurück in die Gewerkschaften!


Wir müssen die Ausgetretenen zusammenfassen unter der
Parole: Zurück in die G ew erkschaften/ Ja, zurück in d ie ver*
fluchten, reaktionären, konterrevolutionären, m enschew istischen,
in die G endarm em G ew erkschaften, die sich jetzt noch unter dev
Führung der Sozialdem okraten befinden! Zurück in sie und dort
den Sammelpunkt unserert K räfte bilden! Wenn wir das nicht
verlangen und durchführen, sind wir revolutionäre Schwätzer,
keine Leninisten und werden niemals die bürgerliche Ordnung
stürzen, niemals im Ernst die Arbeiterklasse gewinnen. Also
hier gibt es absolut keinen Spaß, und wir glauben nicht an die
Worte Schumachers: „wir propagieren nicht den Austritt aus den
Gewerkschaften.“
1 . . *

Was Schumacher vorträgt, bedeutet eben Propaganda für den


Austritt, sie hat den objektiven Sinn: Heraus aus der modernen
Arbeiterbewegung, so wie sie ist, mit allen ihren Schwächen. Und
das bedeutet: heraus aus der Arbeiterklasse, so wie sie ist. Wir •«

dürfen uns keine Illusionen machen, wir können keine eigenen k\


großen Gewerkschaften in Deutschland gründen; und wenn wit L
sie gründen, können wir keine erfolgreichen ökonomischen Käm pfe^! «
führen; und wenn, wir sie führen, werden wir sie verlieren; und die
Arbeiter, die jetzt aus den Gewerkschaften heraus wollen, werden
dann erst recht den Sozialdemokraten Zuströmen.
Darum keine Illusionen! Die neue Form sind die Betriebs*
rate, aber die Gewerkschaften bleiben bestehen, auch nach der
Revolution, wie die russische Revolution gezeigt hat. Die neue
revolutionäre Form der Arbeiterbewegung sind die Sowjets,
ab er man kann sie nicht jeden Montag und Donnerstag gründen,
sondern nur, wenn die Revolution ans Fenster klopft. Aber
die reale Form der Arbeiterbewegung, die Marx, die Lenin
geschätzt hat, sind die Gewerkschaften mit all ihren Mängeln,
ihren Schwächen, mit all ihren vorläufigen Vorteilen für die
Sozialdemokraten. In dieser Frage ist absolute Klarheit not*
wendig. Wenn Genosse Schumacher sich nicht fügt, kann er
der K. I. nicht mehr angehören. Wen er 20 000 Arbeiter zu*
sammenfaßt, um sie aus den Gewerkschaften, gon der Einheits*
fronttaktik hinwegzuführen, so hat er uns 20 000 Klassenkämpf :r
abgenommen, statt sie in die Wagschale des Klassenkampfes
zu werfen gegen die Sozialdemokratie. Im besten Falle hat er
sie neutralisiert, verpulvert und objektiv gegen’uns gestellt.

Von einer Heirat mit den Amsterdamern kann keine Rede sein.
Jetzt kommen wir zur zweiten Frage, wie wir uns gegenüber
dem I. G. B. verhalten sollen. Diese zweite Frage ist meines Er*
achtens untergeordneter Natur. Genosse Bordiga hat hier be*
hauptet, wenn man Pläne schmiede, in gewisse Vorunterredungen
mit den Amsterdamern einzutreten, so habe er das Gefühl, daß
man die Bewegung zum „extreme droite“ (rechts) zieht. Wir sind
schon manchmal hier als die Rechte bezeichnet worden gegenüber
den sog. Extrem*Linken. Auf dem III. Weltkongreß sagte Lenin:
t „Ich trete hier als rechter Genosse gegenüber der Offensivtheorie
auf.“ Nun denn, man bezeichne uns auch heute als rechte, wir
fürchten das nicht. Das ist nicht so schlimm. Die wirkliche
leninistische Linke steht immer dort, wo die A rbeiter sind. Die
_ _ 9 % 4

großen Massen der Sozialdem okratie abzugewinnen, darin be*


steht die wirklich revolutionäre linke Orientierung des
Leninismus. r ■ ’

Es wurde hier ein „Memorandum“ der deutschen Delegation


zitiert, das mir erst heute zu Gesicht kommt. Wir wissen nicht
genau, wann es geschrieben wurde.*) Wir bitten den Kongreß,
unsere Meinung nicht auf Grund dieses Memorandums zu beur*

*) In der Folge hat die deutsche Delegation erklärt, das „Memo#


randum“ sei gleich zu Beginn des Streits geschrieben worden und nur zur
Kenntnisnahme der russischen und französischen Delegation bestimmt ge*
wesen. Da das Dokument aber auf dem Kongreß zitiert wurde, ist auch
Gen. Sinowjew auf das Schriftstück eingegangen.
io* 147 m * I

TffitMiH
teilen. Die Meinung der russischen Partei ist in ihm nicht mit*
geteilt; wenn Sie diese Meinung wissen wollen, so sind wir dazu
da, Ihnen zu sagen: Das Memorandum ist unrichtig. Es heißt
darin, daß wir eine „Heirat“ mit den Amsterdamern anstreben.
Ich fürchte, das haben die Genossen geschrieben, die wirklich so
etwas wie eine „Hochzeit“ in der sächsischen „Arbeiterregierung“
vorbereitet haben. Entweder Heirat mit den Amsterdamern, oder
heraus aus den Gewerkschaften — so stellt man die Frage. Aber
es gibt dort eine andere Fragestellung. Man erkundige sich bei
den russischen Menschewiki. Wir haben mit ihnen wahrhaftig
keine Heirat geschlossen. Wir sind aber auch nicht aus den G e­
w erkschaften ausgetreten, wo sie uns geknechtet haben. Wii
haben die Gewerkschaften nicht in 20 Monaten, sondern in
20 Jahren gewonnen. Wenn ihr nur solche Richtlinien wollt, die
den Sieg in 20 Monaten garantieren, so können wir euch keine
geben, das kann nur ein Scharlatan. Wir wissen, daß wir die
Mehrheit der Arbeiter trotz alledem gewinnen werden. W enn
wir das nicht verstehen, wird es keine proletarische Revolution
geben. Von einer „Heirat“ mit den Amsterdamern kann keine
Rede sein. Eine Heirat mit den Sozialdemokraten sahen wir
voriges Jahr in Sachsen, aber in der russischen Revolution nicht:
in der wird man sie niemals sehen.
Darum sehe ich hierin einen zweiten Beweis dafür, daß die
deutsche Partei diese Frage bis zu Ende durchdenken muß. Wenn
die deutsche Partei, wie sie ist, gegen gewisse Unterredungen
mit den Amsterdamern opponiert, so nicht aus internationalen
Gründen, glaube ich, sondern aus nationalen Gründen, weil die
deutsche Partei in der Frage der Einheit der Gewerkschaften
noch mit sich selbst ringt.
Ich habe mit einigen Genossen gesprochen, und es scheint
mir, daß manche denken: mögen die russischen Gewerkschaften
zu den Amsterdamern gehen, dagegen werden wir nicht oppo* .
nieren, nur aber soll man uns in Deutschland nicht dazu zwingen,
in den sozialdemokratischen Gewerkschaften zu arbeiten. Ist
das ein internationaler Standpunkt? Keinesfalls! Wenn die
russischen Gewerkschaften selbst ohne die R. G. I. zu den Amster*
damern gingen, so wäre das wirklich eine Kapitulation der K. I.
und der R. G. I. Das wird niemals geschehen. Unsere russischen
G ew erkschaften sind leninistische G ew erkschaften, sie werden
nicht als russische G ew erkschaften auftreten, sondern als Be»
standteil der Roten G ew erkschaftsinternationale, und das aus«
führen, was die Internationale beschließt. Die deutschen Ge>
nossen müssen die Frage vom internationalen Standpunkt auf«
fassen. Aber nicht vom deutschen.

148 _
I

♦V I

Die Eroberung der Gewerkschaften geht nicht rasch genug


vorwärts.
«

Wenn man den Kongreß betrachtet, sieht man erstens drei


Gruppen von Delegierten: Länder, wo die Kommunisten schon
die Mehrheit in den Gewerkschaften hatten, wie z. B. in Frank*
reich. In diesem Fall entscheidet man sich ziemlich leicht für
die Verschmelzung mit den Reformisten: die Minderheit soll sich
der Mehrheit unterwerfen. Die zweite Gruppe der Länder ist
die, wo wir überhaupt noch nicht als ernster Faktor in der Ge*
werkschaftsbewegung in Frage kommen. Dort verhalten sich die
Genossen zu unserem Streit mehr oder weniger gleichgültig.
Zur dritten Gruppe gehört Deutschland, und teilweise auch die
Tschechoslowakei, wo wir noch keine feste Mehrheit haben, aber
nahe daran sind, sie zu gewinnen, wo ein heißer Kampf zwischen
Kommunisten und Sozialdemokraten tobt. Dort ist die Frage in
der T a t am schwierigsten. Das muß ich anerkennen, das sehen
wir auch. Aber diese Schwierigkeiten können doch nicht ent*
scheidend sein.
Vom internationalen und auch vom nationalen Standpunkt
ist der Antrag der russischen Delegation richtig.
Genosse Bordiga sagt, und das Memorandum wiederholt:
Wenn wir Vorschläge machen und die Herren Amsterdamer diese
ablehnen, sind wir moralisch tot. Ich frage: was ist das für eine
seltsame Auffassung? Wenn wir einem Klassenfeind ein Aner*
bieten vorschlagen und dieser lehnt es ab, so sind wir moralisch
geschlagen? Warum denn? Absolut nicht! Nehmen wir ein Bei*
spiel aus dem Staatsleben. Die russische Sowjetregierung hat
der internationalen Bourgeoisie vorgeschlagen, abzurüsten. Sie
lehnt dieses Anerbieten ab. Sind wir dann moralisch getötet?
— Wenn wir den Herren Sozialdemokraten erklären: wir sind
für die Einheit der modernen internationalen Gewerkschafts*
bewegung — und sie sind dagegen, so sind wir moralisch getötet?
Keineswegs! Sehen Sie, der gelbe „Vorwärts“ in Berlin tobt gegen
die Einheit der Gewerkschaftsbewegung in internationalem Maß*
stabe. Warum? Weil sie fürchten, daß das ein Schlag gegen sie
sein kann. Es wird alles andere als ein Schlag gegen uns sein.

Wie die R.G.I. entstand.


In diesem Memorandum wird weiter erklärt: die deutsche
Delegation und die deutsche Partei habe sich gegen die Gründung
der R.G.I. ausgesprochen, aber da sie dennoch gegründet worden
sei, so müsse man bei der alten Form bleiben. Das ist nicht
richtig. Ihr kennt Eure eigene Parteigeschichte schlecht. Nicht

149
die deutsche Partei, sondern Paul Levi war gegen die Gründung
der R.G.I. Das ist ein Unterschied. Wir waren zusammen mit
I

der deutschen Partei für die Gründung. Die R.G.I. wurde ge*
gründet in einem Moment, wo es schien, wir würden die Front
des Feindes in frontaler Attacke durchbrechen können und die
Gewerkschaften rasch erobern. Ich erinnere mich ganz gut an
die ersten Gründungsversammlungen. An dieser Versammlung
nahm noch im Namen der italienischen Delegation D’Arragona
teil, im Namen der englischen Robert Williams, und manche
von ihnen haben linksstehende Abänderungen der Resolution be*
antragt. Ja, wir hatten sogar den Fall zu verzeichnen, daß ein
spanischer Professor nach Moskau kam und erklärte: ich bin
zwar Reformist, aber die spanischen Arbeiter sind. Kommunisten,
und sie verlangen, daß ich mich der III. Internationale anschließen
soll. Wir sagten ihm: bevor Sie nicht Kommunist sind, können
Sie sich der K.I. nicht anschließen. Es war dies eine Zeit, wo
wir glaubten, wir werden die Mehrheit der Arbeiter ganz schnell
gewinnen. Sie wissen, Genossen, daß die Bewegung später ab*
geflaut ist, daß das ganze Problem, alle taktischen Schwierig*
keiten der K.I. während dieser fünf Jahre eben daraus stammen,
daß die Entwicklung viel langsamer gegangen ist, als wir annahmen.
Die Sozialdemokratie hat sich teilweise konsolidiert, auch auf dem
Gewerkschaftsgebiet. Jetzt müssen wir sie auf Umwegen be*
kämpfen, die langwieriger und schwerer sind. Das ist das Neue*
was Sie nicht verstehen wollen.

Was ist in der englischen Gewerkschaftsbewegung neu?


%
i
* v „

Man sagt weiter: Ja, was ist denn neu in England? Ein
sogenannter linker Flügel, der natürlich kein wirklicher linker
Flügel ist; das sind nur Illusionen. Aber bedenken •Sie, Ge*
nossen, daß England das modernste Land der Arbeiterbewegung
ist. Darin hat Wijnkoop durchaus recht, als er sagte, daß die
britische Arbeiterbewegung in diesem Sinne ausschlaggebend ist.
Nun, wir haben jetzt in England ein neues Kapitel der Arbeiter*
bewegung. Wir wissen noch nicht ganz genau, woher die kom*
munistische Massenpartei in England kommen wird, ob durch die
Tür von Steward*MacManus oder vielleicht auch noch durch
eine andere Tür. Und es ist wohl möglich, Genossen, daß die
kommunistische Massenpartei noch durch eine andere Tür kommen
kann. Das* darf man nicht übersehen. Was jetzt in England vor*
geht, hat mindestens dieselbe historische Bedeutung, wie das, was
in den anderen Ländern Europas vorgeht.
Ich habe den deutschen Genossen schon gesagt: es ist ganz
natürlich,' daß wir alle an unserer Partei, an unserer Organisation

150
hängen. Ich hänge an Leningrad; andere Genossen haben immer
Beispiele von Ludwigshafen und Hamburg angeführt, und das
ist alles ganz verständlich. Doch Hamburg, Ludwigshafen und
Leningrad in allen Ehren, aber ich sage offen, daß London auch
einige Bedeutung hat und wahrlich keine geringere . als die ge*
nannten Städte.
Was sich in England abspielt, hat welthistorische Bedeutung.
Wir dürfen nicht blind sein, wir müssen das sehen. Sonst müssen
wir eine deutsch*russische Internationale gründen oder eine rein
europäische Internationale. Und wir haben etwas anderes
gegründet, wir haben eine W^eZ/internationale gegründet, eine
IFe/fpartei. Darum darf ein deutscher Genosse nicht sagen: „Was
gehen mich die russischen oder englischen Gewerkschaften an?“
Sie gehen uns sehr viel an, denn sie bilden einen sehr wichtigen
Bestandteil der modernen Arbeiterbewegung.
Man fragt, was sich Neues zügetragen hat. Neues ist, daß
die Amsterdamer Internationale zu zerfallen beginnt, daß in der
englischen Arbeiterbewegung eine sehr wichtige Entwicklung an*
gefangen hat. Ich mache mir keine Illusionen. Ich bin durch*
aus überzeugt, daß die Linken dort noch keine Revolutionäre
sind, daß sie vorläufig nicht besser sind als die „linken“ deut*
sehen Sozialdemokraten. Aber es ist schon ein' wichtiges Ereignis,
daß sie überhaupt aufgetaucht sind. Das müssen wir begreifen,,
sonst werden wir in England keine proletarische Massenbewegung,
geschweige denn eine proletarische Revolution hervorrufen.
Man macht jetzt der russischen Gewerkschaftsbewegung
einen Antrag;'ich frage: hat diese Frage wenigstens für Rußland
und England Bedeutung? Ja, und zwar eine sehr große Be*
deutung. Was die russischen Gewerkschaften hier in Moskau
antworten werden, wird dort in London eine große Rückwirkung
haben. Und nun frage ich: wie soll die Antwort lauten? Sie
muß lauten, wie es vom Standpunkt der ganzen Internationale
notwendig ist. Manche glauben, daß dabei vielleicht diplomatische
Gründe mitspielen. Das ist leeres Gerede, MacDonald und
seine Garde fürchten die Annäherung ihrer Bewegung an uns
wie die Pest. Wenn es im deutschen Memorandum heißt, eine.
Annäherung werde uns bei der Mobilisierung der Massen gegen
das „Sachverständigen*Gutachten“ hindern, so sage ich: das ist
eine so heilige Naivit.t, daß ich gar kein Argument dagegen finde.
Ganz umgekehrt, Genosse Heckert. Sie, der Sie doch große parla*
mentarische .Erfahrungen in Sachsen gesammelt haben (Beifall),
sollten doch eine solche heilige Naivität nicht haben. Meinen
Sie wirklich, daß MacDonald oder Graßmann oder der „Vor*
wärts“ aufrichtig an eine Heirat zwischen uns und ihnen glauben?

151
Nun, das wird eine „Heirat“ sein, bei der diese Leute fast die
Hälfte ihrer Haare verlieren werden.
Im Gegenteil, die erste Frage, die wir, wenn es zu einer
Unterredung kommen sollte, diesen Leuten stellen werden, wird
lauten: Nun, meine Herren, und das Sachverständigengutachten?
Wir werden die Leute an die Barriere stellen, wir werden sie
zwingen, zu antworten, wir werden sagen: Was ist die Politik
der Zweiten und der Amsterdamer Internationale im Problem
des Sachverständigengutachtens? Es ist die Politik von 1914, es
ist die Fortsetzung der Sozialverräterei mit anderen Mitteln. Es
ist derselbe Betrug der Massen wie am 4. August 1914. Also
die Leute wollen das im Stillen abmachen. In dem Moment, wo
wir diese Frage irgendwo international stellen können, haben sie
die Schwierigkeiten, nicht wir.

Die Argumente der deutschen Genossen sind falsch.


Also all diese Argumente im deutschen Memorandum sind
sehr gekünstelt. Nur ein einziges wirkliches Hindernis haben
die deutschen Genossen. Und das besteht darin, daß sie selbst
in der tiefsten Tiefe ihrer eigenen Partei die „Schumacherei“
noch nicht überwunden haben. Und wir sind der Amsterdamer
Internationale schon darum Dank schuldig, weil sie uns die
Gelegenheit geboten hat, noch einmal auf einem internationalen
Kongreß die deutsche Partei mit aller Entschiedenheit vor die
Frage zu stellen. Wenn jemand wirklich glaubt, es handle sich
um eine Heirat mit den Amsterdamern, dann hört die Gemüt*
lichkeit auf. Wenn ich eine Heirat mit den Amsterdamern
wünschte, dann müßten Sie mir die Tür weisen. Ich wenigstens
würde das mit dem tun, der wirklich eine Heirat mit ihnen wünscht.
'Wir wollen unsere Waffen so führen, wie es die Notwendig?
keiten des Klassenkampfes gebieten. Und diese Notwendigkeiten
sind jetzt so, daß wir auf Umwegen versuchen müssen, die
gewerkschaftliche Einheit zu wahren und die Mehrheit in den
Gewerkschaften zu gewinnen. Wir haben gehofft, daß wir durch
eine frontale Attacke siegen könnten. Das ist nicht gelungen.
Jetzt müssen wir dieselbe Frage stellen und langsam vorgehen.
Wir müssen unbedingt siegen. Wer aufrichtig für die Arbeit in
den Gewerkschaften seines Landes ist, der wird auch aufrichtig
für die Taktik der Einheit auf internationalem Gebiet sein. Das
ist ganz klar. Und nur, wer im nationalen Maßstab „Leibweh“
hat, bekommt auch im internationalen Sinne Leibweh. (Zu*
Stimmung). Und dann schreibt er ein Memorandum über die
Heirat. Ich glaube, daß diese Episode hier absolut erledigt werden
muß. Ich fürchte nicht, daß das der deutschen Partei schaden

152
kann. Das ist eine Illusion. In dem Moment, wo wir die Parole
von der Einheit der Gewerkschaftsbewegung wirklich in die
Massen tragen, wird es den Herren Sozialdemokraten schwer
werden, Euch so schamlos zu bekämpfen, wie sie es jetzt tun —
wenn die Frage nur tatsächlich zur internationalen Frage wird.
Nur in einem Punkte kann ich unseren deutschen Freunden
Recht geben, nämlich darin, daß die Frage noch nicht vorbereitet
ist, und daß dies alles nicht im Zeitraum von einigen Wochen
auf die Massen stürzen kann. Das ist richtig.

Tragt die Losung „Einheit der Gewerkschaften“ in die Massen.


W ir müssen hier tatsächlich so verfahren, daß wir diese Sache
vorbereiten. Wir dürfen hier nicht eine Einheitsfront nur von
oben anfangen, was wir schon verurteilt haben, sondern wir
müssen cLas monatelang in den Massen vorbereiten. Wenn die
deutschen Genossen das vorschlagen, werden wir uns in einer
Minute m it ihnen verständigen. Wir wollen also jetzt beschließen,
daß wir in den Massen den Boden vorbereiten, daß wir die Propa*
ganda fü r die Parole: „Einheit der Gewerkschaften“ international
organisieren, daß wir schon jetzt in der ganzen Welt mit Meetings
über diesen Plan beginnen, daß wir den Boden lockern und dann
erst mit den Unterredungen anfangen. Wir brauchen nicht eilen.
Aber w ir dürfen auch nicht übersehen, daß hier etwas Neues
vorliegt. Dazu sind wir da, dazu sind wir Führer, dazu sollen wir
Führer sein, um etwas zu sehen, auch wo nur erst die Tendenz sich
zeigt. In zwei Jahren wird es leicht sein, das zu sehen, dann wird
jeder Dummkopf es sehen. Die Tendenz ist aber schon jetzt
ganz klar. Wir müssen schon jetzt manches Neue beginnen.
Also: wollen wir den Boden vorbereiten, wollen wir zunächst
in die Massen hineingehen mit dieser Einheitsparole. Wir brauchen
das nicht zu fürchten. Mögen unsere Feinde mit Ausschlüssen vor*
gehen, wir antworten mit dieser Kampagne in den Massen für die
Einheit auf internationalem Boden, in England, in Deutschland, in
Frankreich, in der ganzen Welt.
Im Memorandum heißt es: „Die Massen der Arbeiter hegen
ein bestimmtes Mißtrauen gegen die Manöverpolitik, die nicht
sofort greifbare Resultate zeitigt. Die Arbeiter sind keine Kinder.
Sie wissen, daß der Klassenkampf ein Krieg ist, in dem man ohne
Strategie nicht auskommen kann. Die Arbeiter verstehen das
sehr wohl. Ein kleines Beispiel. Jeder, der die Psychologie der
modernen russischen Arbeiter kennt, wird sehen, daß die Politik
unserer Partei auf keinem Gebiet in den Massen so populär ist
wie in der auswärtigen Politik, wo wir gegenüber dem Feinde nur
Manöver ausführen. Die Masse liebt das, denn sie sagt sich:

153
unsere Partei versteht zu manövrieren, sie führt den Feind an
der Nase herum und versteht unsere Interessen zu verteidigen.
Ich glaube, daß das auch in Deutschland der Fall ist. Sie wissen,
daß man ziemlich oft die Fehler der Führer auf die Massen ah«
wälzt. Die Masse wird unsere Politik gegen die konterrevo«
lutionären Führer der S. P. D. sehr wohl verstehen.
»
4 •

Die Schui acherei muß liquidiert werden.


Darum muß unsere Politik jetzt darin bestehen, völlig reinen
ÄTisch zu machen ' mit der Schumacherei in der deutschen Partei
und überhaupt in der Internationale. Die Hindernisse sind noch
groß, die Bourgeoisie ist noch stark. Sie wird zweifellos zu«
sammenbrechen, aber man darf die Zersetzung der Bourgeoisie
nicht in übertriebener Form darstellen, sonst erweckt man Illu«'
sionen. So geht es nicht. Die Bourgeoisie ist vorläufig viel
stärker als wir. Sie wird natürlich untergehen, wir werden
sie brechen, wenn wir keine Dummheiten machen. Aber die
größte Gefahr für die deutsche Partei besteht gegenwärtig in
einer Unterschätzung der Kräfte der Bourgeoisie und der Sozial«
demokratie. Wir verstehen die revolutionären Gefühle, die
Psychologie der deutschen Arbeiter; ohne diese kann es keine
K. I. geben. Aber das genügt nicht. Man muß wirklich Schüler
Lenins sein und die Kräfte und die Schlauheit der Bourgeoisie
*
genau erkennen, nicht aber unterschätzen.
m

Also genug mit der nationalen und internationalen Schu«


macherei. Wir werden diesen oder jenen Schritt gegenüber den
Amsterdamern besprechen, aber nicht sagen, daß es zu einer
„»Heirat“ mit ihnen führen soll. Wir rufen euch nicht nach extrem
rechts, wie Genosse Bordiga sagte, sondern vorwärts gegen die
Bande der bürgerlichen Lakaien, zur Gewinnung der Mehrheit in
den gegenwärtigen Gewerkschaften, nicht nur im nationalen,
sondern auch im internationalen Sinne. (Anhaltender Beifall.)
«i
«S

t p

\
0

I 9
i A •

i *
9

4
%

154
t

<

‘i 9
4

»
D /E PA RISER KOMMUNE LEBT
IN UNSEREN HERZEN

RED E: a u t DEM CHODYNKA - TELD AM 13. JU L I 1924


BET D E R ÜBERREICHUNG DER TAHNE DER PARISER
KOM M UNARDEN DURCH D IE KOMMUNISTISCHE PARTEI
TRA N KREICH S AN DAS MOSKAUER PROLETARIAT
t i '

?T»

Die Besten der Menschheit, die größten Führer und Lehrer


des internationalen Proletariats — Marx und Lenin — lehrten
uns das Andenken der Pariser Kommunarden hochhalten, die Er#
fahrungen des ersten großen Proletarieraufstandes beherzigen und
die Pariser Kommune als Vorbild der nahenden großen proleta#
rischen Aktionen der ganzen Welt betrachten. Heute, 53 Jahre
nach dem Aufstande der französischen Arbeiter, wird uns in
Gegenwart des Kongresses der Kommunistischen Internationale
und des Moskauer Proletariats das Banner übergeben, getränkt
mit den Tränen und dem Blut der Besten des französischen Prole#
tariats.
Entblößt die Häupter im Gedenken an die Gefallenen von
1871, im Gedenken an die edelsten und besten Söhne und Töchter
des französischen Proletariats. Möge die Arbeiterklasse Frank#
reichs wissen, daß das russische Proletariat die französischen Ar#
beiter und Pariser Kommunarden als seine Vorläufer und seine
Lehrer betrachtet.
Keiner der Aktionen des internationalen Proletariats hat Wla#
dimir Iljitsch soviel Aufmerksamkeit gewidmet, keine mit solcher
Liebe studiert wie die Pariser Kommune; über keine der Aktionen
des internationalen Proletariats hat Wladimir Iljitsch mit solcher
Liebe gesprochen, wie über die Aktion der Pariser Arbeiter.
Die Saat, die die Pariser Kommunarden gesät haben, ist auf#
gegangen.
Zehntausende von Pariser Arbeitern und Arbeiterinnen
wurden in tierischer Wut von der weißgardistischen Bourgeoisie
niedergeschossen. Keine Arbeiterfamilie in Paris, die nicht im
Jahre 1871 das eine oder das andere Opfer gebracht hätte. Trotz
alledem hat sich die französische Arbeiterklasse bald wieder auf#
gerichtet. In ihr leben die großen heroischen Traditionen der
Pariser Kommunarden, verkörpert in der Kommunistischen Partei l
Frankreichs.
In einigen Wochen wird sich zum sechzigsten Male der Tag *
der Gründung der I. Internationale jähren, der Internationalen
Arbeiterassoziation, an deren Spitze Marx und Engels standen.
Die Pariser Kommune war der Kulminationspunkt in der großen
und ruhmvollen Arbeit der I. Internationale. Die III. Internatio#
nale hat sich die ruhmvollen Traditionen der Internationalen
Arbeiterassoziation zu eigen gemacht: nicht umsonst heißt es
in dem Statut der Kommunistischen Internationale, daß wir die
Fortführung des großen Werkes der I. Internationale und dem#

156

t v

d
I
w
f

nach auch des großen Werkes der Pariser Kommune auf uns
genommen haben.
Es wird keiner 53 Jahre bedürfen, bis das Banner der Kom*
mune sich über der ganzen Welt entfaltet. Es wird zweifelsohne >
\, f
I

ilm einer viel geringeren Frist bedürfen. Als Unterpfand hierfür dient i
/
/

uta die III. Internationale.


Genossen! Die Kommunistische Internationale weiß, daß
schwere Kämpfe unserer harren. Hunderte, Tausende, Zehn*
t
tausende von Arbeitern schmachten in den Gefängnissen und 1 r

I
9

Zuchthäusern. Opfer des Kampfes für das Werk, das die Pariser
i

Kommunarden begonnen haben und das die III. Kommunistische 1

Internationale fortführt. 1
t

f
1
i

Das große Proletariat der S.S.S.R. schwört vor dem Banner der
Pariser Kommune, daß es sein letztes für den Sieg der Revolution
nicht nur in Europa, sondern in der ganzen W elt hergeben wird.
Das Gedächtnis an die heutige Versammlung wird nicht
untergehen, die Fahne der Pariser Kommunarden wird unter den
Ruhmesfahnen der russischen Revolution aufbew ahrt werden als
ein Heiligtum.
Ich schlage vor, daß diese Fahne der Pariser Kommunarden 0

in der Gruft auf bewahrt wird, wo der größte Führer der ganzen
A rbeiterklasse, W. J. Lenin, ruht. Den Fahnen des ZentralkomU
cba tees unserer Partei und der Kommunistischen Internationale, die
na sich am G rabe Wladimir Iljitschs senkten, möge sich das Heldern
da banner der Pariser Kommunarden zugesellen.
Es lebe der unvergängliche Ruhm der Pariser Kommune.
E$ lebe der Sieg der A rbeiterklasse in der ganzen W elt!

* 4

t
r

0

i
157

\,
•*
ri ■ > . I T
! >

I
* f

■ * *V ' 1 * 1 N • '

V £ ♦ m m ’ , ? '« '
* M e . •
* i - f
' H •c

V* '
-%’j *

, \

4 4

* !’ 4

s •

I •
O \ \ -

« » #. • *

%*
-j V .j / ' ;
’ . fl
• \JSv ' ♦ f* "
. , ä -, .-• v- 4 t

l - 1. , ■ '

*> »
1' 3 , • t . fc , o ♦ r
*> .
i, v -'" *,i •
1• i >r

*■
* ■ * •/ '
’C
•t ♦•a
ft • * «

: '/ \ •3
\
' 1\
t ft •/ ,
• -I i ♦
♦ * : I • t . * . /

r«•> <» T • •
• ' *•J t'V * #;
H • .
k J. . * r • <
3 m h '1** ' ’ - * ♦ *. .
V;( % *

. .
* .
,
• ^
* « _ r
♦ >
1 ./# *
^ ^ « • ' f
* i * |K ,
«1
4 f ♦ •
t «
p t'V * V i - V»

^
V?*. -H* • •
1 .
* >«. l «- ) ft * t
M
>* ' •
f’

V
ft

?- v l ■ a fe
r
i if >
♦ *
t .
P- *

J f
» » • **

1. » • .»
* • V , 2 ,;-r^ '• V I ••f

w>. y ^ i :
i.
f

rt ; ■kvH
V •
• b ^
k
^ •
*r

«i ♦ «

u
ti

j : s.
* • ' f
• 1•
/•. . • ' • • I
- • “Ä ' / >v;
»
*
% 1 / - a
~t\ 7 1

« 1 . i -. r - % .*
• «
v • *»
* 0

• 1 r u
r ' I' .

Ä?v t y " :
t». i - i *,
• *> .
I •

’. l -j
4
.

v •; v ' •• • \5 :
»•
i#» ‘ # 1 *■
> . * . •- i 4 r . * i v . .• '# • ' . • 4• v^
i • / - P.\' t M ^ ‘ i '• *. * , ».* : <* . ^ . . t * i ‘ /
I^ p'^ioV A ' t f'v . } £ \ \ . < .. ■' ' .
>, 4 . * * .
‘ f f V - v 4 -- ' . . . . •• *
, * v ; \ J : v ;•■-.• ’ / . ■■:• ‘ ,'■ / . • f >x.
4 :/
-*a ' 1
• .

t
.
>■ ■
^
'

- .Jk n-
* ■
* •>

i .■#*»'
" 7 . J f .
v
• •
* ^l
. 1
“ ‘ j*
« -•
'
*
^l
<
■ Viü. ■
i» . . .. •TJV
b r

i '

V '. V
. v ; '. • ,;. J •>> •’ I * r>
i!T^•*\
. : i i V
4 ' 1

i > . !•
l *
. "l 4* « r*
c r
V• * . ♦

T. i : " 'y>,
.!•** •* 1 .1
• V * i *, -V ft ' •» * t ^ *tr«v
* * ** Vyi.^..
i 9 * .. •
*I r„y/r
• »rr

•1 /j 1
S -r' ,1 y f :-5H
- ? ': • /» « *
i^.

’ LL ’. -»* J
1. . - , t ' s f
r^ 7 •
.

2 -*• ►
m 's^ 0 . / .’ >
ä ä ' - i a •

b ••„ » - ------
jr i r * * • v K k J. _ K ., v- . —

u, -• ■; - —
J - 1
'l;' s ^ i . fr ^ ^ 'r ./r . / r .
■' r ' / f ,• -. ' . “ - ' S 4 - i

- -«•'>
... A • J' V ' ' ' -j-:
., ■V‘*‘: *r» . *er
r i '.■.• .-•....-
•f . » . .f ry - ki «. , ,\ Ai ) I:f ; fü.
f &,. 11
- i t s

--- f
', * : a

'. - ^ * v . ' 's ' r^ . • - ) & k " ] ’' * * ■ * ' T ^


i# W .
: '■"*■ .'ib - r •
-

r m* f

>kt-' /X

i -

\/y<J - *

»fr »•
i’ •>v>,
UNSERE ERRUNGENSCHAFTEN

R E D E TN DER SCHLUSSITZUh G DES KONGRESSES


DER KOMIN 7ERN ♦
Das Gesicht der III. Internationale.
Genossen, erlauben Sie zunächst ein Zitat aus einem Artikel
des Präsidenten der II. Internationale, Herrn Vandervelde, zu
verlesen. Vor einigen Tagen kam mir ein Artikel von Herrn
Vandervelde in die Hände, der betitelt ist: „Zwei Lichtbilder“.
Herr Vandervelde schreibt: „Anfang August 1924 war der
X. Kongreß der II. Internationale in Wien anberaumt gewesen,
jetzt ist nach zehn Jahren eine Konferenz des Büros der Inter?
nationale ebenfalls nach Wien einberufen worden.“ Vandervelde
lenkt die Aufmerksamkeit auf zwei Lichtbilder. Das eine stellt
das Büro der II. Internationale in seiner Zusammensetzung im
Jahre 1914 dar. Vandervelde weist darauf hin, daß er auf diesem
Lichtbilde gefunden habe: ein Staatsoberhaupt, den Reichs?
Präsidenten Ebert, drei ehemalige oder gegenwärtige Premier?
minister: MacDonald (England), Stauning (Dänemark) und
Branting (Schweden), und sieben ehemalige Mitglieder verschiede?
ner Regierungen: Guesde (Frankreich), Nemetz (Tschecho?j
Slowakei), Skaret (Oesterreich), Kautsky (Deutschland) — der war!
auch einmal Minister — Vandervelde usw.
Von allen Mitgliedern des Büros von 1914 gehören gegen?
wärtig dem Büro der Internationale außer Vandervelde,
Soukup (Tschechoslowakei), Sakisow (Bulgarien) und Troelstra
(Holland) an.
Das andere Lichtbild stellt die Mitglieder des Amsterdamer
Kongresses von 1904 dar. Neben Plechanow steht der Delegierte
Katayama, der spätere japanische Kommunist und Mitglied der
Exekutive der Kommunistischen Internationale.
Ich glaube, Genossen, daß wir in der Kommunistischen Inter?
nationale uns freuen werden, ganz andere Lichtbilder aus unseren
Tagungen zu haben, als jen e, die V andervelde hier vorgeführt haU
Es scheint wirklich, daß das beste Mittel, ein Staatsoberhaupt
oder Minister einer bürgerlichen Regierung zu werden, ist, zunächst
durch die Schule der Exekutive der II. Internationale zu wandern.
Wir dürfen nicht den Enthusiasmus und die Gefühle unter?
schätzen, die auf unseren Tagungen vorherrschen. Ich sah heute
im Saale manche alte russische und deutsche und aus anderen
Ländern stammende Arbeiter, die wahrscheinlich schon mehrere
Schlachten durchgefochten haben, und die heute den Szenen der
Verbrüderung nicht ohne Tränen Zusehen konnten, die wir hier
zwischen verschiedenen nationalen Abteilungen des Proletariats
beobachtet haben.
I

Ich glaube, Genossen, diese Delegationen von einer Fabrik zu


der anderen, von einer Branche zur anderen, von einem Stadt*
viertel zu dem anderen und von einem Zentrum der Arbeiter*
bewegung zum anderen, sind kein Zufall. Das ist eben die
III. Kommunistische Internationale, so, wie sie ist, wie sie sein
soll. Solche Szenen der Verbrüderung mit solchen Gefühlen sind
einfach unmöglich in der II. Internationale. Das ist die III. Inter*
nationale, wie wir sie wollen.
Einer der einfachsten Arbeiter, ich glaube, es war sogar ein
parteiloser Arbeiter — sagte heute — leider hat er russisch
gesprochen, nicht alle haben ihn verstanden: Macht es, wie Lenin
es gemacht hat, „er hat die bolschewistische Partei so zusammen*
geschweißt, daß sie jetzt wie ein fester Block dasteht.“ Es war
ein Metallarbeiter, der das gesprochen hat, und er hat, wie die
Arbeiter es immer zu tun gewöhnt sind, einen Vergleich aus dem
Produktionsprozeß herangezogen und seine Meinung damit
illustriert. Er sagte: es gibt bei uns Metallarbeitern Heißschweißer
und Kaltschweißer. Nun sagt er, Lenin hat uns gelehrt, heiß zu
schweißen, die Kommunistische Internationale soll ihr G ebäude,
ihre O rganisation, heiß schw eißen.
Ich glaube, Genossen, daß wir auf diesem Kongreß trotz der
Mängel und Fehler, die selbstverständlich bei uns allen festzu*
stellen sind, den Wunsch hatten, heiß zu schweißen. Und ich
glaube, wir haben unsere Internationale heiß geschweißt, wie uns
Lenin gelehrt hat und wie es die Interessen der Arbeiterklasse
wirklich erfordern. Und das, glaube ich, Genossen, ist das
Wichtigste. Es ist kein großes Unglück, wenn wir den oder jenen
Fehler machen, wir werden ihn korrigieren. Die Erfahrungen der
internationalen Arbeiterbewegung werden uns helfen, die
Korrektur vorzunehmen. Das Wichtigste ist, daß unsere Inter*
nationale nicht, wie Max Adler es in bezug auf die II. Inter*
nationale feststellt, ohne Seele ist. Das Wichtigste bei uns ist, daß
wir eben heiß schweißen, und daß, was wir machen, mit der Seele
gemacht wird, daß wir wirklich aus der Seele der kämpfenden
Arbeiterklasse, so wie sie ist, mit ihren schwachen und mit ihren
starken Seiten sprechen. Das ist das Wichtigste. Und ich glaube,
Genossen, das haben wir alle, so wie wir sind, mit unseren
schwachen und starken Seiten, gemeinsam gewollt und auch voll*
bracht.
Ein anderer parteiloser Arbeiter hat die ganze Stimmung der
russischen Arbeiterklasse in zwei Worten wiedergegeben. Er
sagte: wir russischen Arbeiter befanden uns früher in einer sehr
schwierigen Lage, wir haben in schwierigsten Situationen mit dem
einfachen schlechten Revolver gegen schwere Geschütze kämpfen
lt
§

161
müssen, wir verfolgen jetzt mit größter Aufmerksamkeit die
. kämpfende, internationale Arbeiterklasse.
Wo wir sehen, daß Ihr internationale Arbeiter, das Ueber*
gewicht über die Bourgeoisie gewinnt, strahlt alles auf. Wo wir
umgekehrt sehen, daß die Bourgeoisie das Uebergewicht bekommt,
sinkt für einen Moment lang der Kopf des russischen Arbeiters,
aber wir sind felsenfest davon überzeugt, daß trotzalledem der
endgültige Sieg euch und uns gehört.
Kann man einfacher, schlichter und kürzer die wirklichen
7 *

Gefühle der internationalen Solidarität, von der die russische


Arbeiterklasse und der beste Teil der Arbeiterklasse der ganzen
Welt beseelt ist, ausdrücken, als dieser parteilose Arbeiter es
getan hat? ! Darum glaube ich, Genossen, alle diese unvergeß*
liehen M omente unseres Kongresses sind ein wichtiger Bestandteil
unserer A rbeit, nicht weniger wichtig als die T hesen, denn die
Thesen sind totes Papier, wenn ihnen die Seele fehlt, wenn wir
nicht heiß schweißen, wenn die Funken des Leninismus, wie ein
anderer Arbeiter hier gesagt hat, nicht wirklich unter uns sprühen,
wenn sie nicht das entzünden, was an Gutem und Ehrlichem und
Revolutionärem in der internationalen Arbeiterklasse vorhanden ist.

Die Errungenschaften des V. Kongresses.


Was ist das Fazit unseres Kongresses? Ich glaube, das
Wichtigste ist, daß wir uns zusammengefunden haben, nach
anderthalb Jahren härtester R eaktion, und daß wir alle gefühlt
haben: unsere K räfte sind gewachsen.
Zweitens: unsere A rbeit war eine A rbeit der Säuberung
unserer T aktik der Einheitsfront von opportunistischen Ab*
weichungen. Das ist ein wichtiges Moment. Das ist unsere Waffe,
und diese Waffe muß blank sein, damit wir tatsächlich die Taktik
des Kommunismus so anwenden, daß sie uns zum wirklichen Sieg
führen kann.
Das dritte Ergebnis ist die Einstellung der K.L auf die P hase
des sogenannten dem okratischen Pazifismus. Wir müssen uns die
internationale Situation vergegenwärtigen, damit wir. nicht blind
auf das Schlachtfeld gehen, damit unsere Führung, der Kopf, das
Gehirn der Arbeiterklasse, ihre historische Mission erfüllen kann.
Das vierte und wichtigste Ergebnis ist die Bolschewisierung
der Partei. Das war die eigentliche Parole des V. Weltkongresses.
Das ist die Parole, die jetzt die wichtigste Parole sein soll für eine
ganze Anzahl von Monaten, ja vielleicht von Jahren. Der gute
Wille ist da. Wir alle wollen wirklich bolschewistische Parteien
schaffen. Aber die Schwierigkeiten sind groß. Die Tradition der
Arbeiterbewegung in den verschiedenen Ländern ist verschieden.
Der Opportunismus hat noch zum Teil tiefe Wurzeln in unserer
Bewegung. Es sind dies die Ueberbleibsel der bürgerlichen
Ideologie in unsern Reihen. Das ist nicht bloß böser Wille,
sondern es kommt aus dem ganzen Milieu, in dem wir leben.
W ir leben, atmen in der bürgerlichen Gesellschaft, daher die
Ueberreste der bürgerlichen Ideologie, daher der Opportunismus.
Das fünfte Merkmal ist die Bestätigung der Parole „Zu den
M assen“. Es; ist eigentlich eine ganz einfache Sache, sie klingt
ziemlich elementar, aber sie ist das Wichtigste gegenüber allen
früheren Parolen. Zu der Parole „Heran an die Massen“ haben
wir hinzugefügt: „Heran an die Massen durch Bolschewisierung
der Partei“.

Arbeiter auf die führenden Posten.


Das ist das Wichtigste, was dieser Kongreß gesagt hat. Wir
müssen diese Parole allen Arbeitern der Welt klarmachen. Die
Statistik hat gezeigt, daß auf diesem Kongreß 44 Prozent der
D elegierten einfache A rbeiter sind. Ein internationaler Kongreß
ist eine Auslese der Auslese der Kommunistischen Parteien. Und
wenn wir auf diesem internationalen Kommunistischen Kongreß
44 Prozent Arbeiter (ohne die russische Delegation, die diesen
Prozentsatz noch vermehren würde) haben, so ist das selbstver*
stündlich noch nicht genug, zeigt aber doch, welches politische
Antlitz die K. I. hat.
Wir müssen neue Führer aus der Masse schmieden. Niemand
kann die internationale Arbeiterklasse zum Siege führen, als die
Arbeiterklasse selbst, als die Auslese der Arbeiter aus den
Betrieben, die zur Führung herangezogen werden müssen, trotz
all ihrer Schwächen und sogar Vorurteile, denn sie haben die
eiserne Faust der wirklichen Arbeiter, wie wir sie kennen, der
einzigen Klasse, die die historische Mission hat, die Bourgeoisie
niederzukämpfen.
Wir werden auch weiterhin auf diesem Wege vorwärts
marschieren. Wir werden fordern, daß in den Führungen aller
Kommunistischen Parteien möglichst viele wirkliche A rbeiter
hineinkommen, daß ein frischer Wind in den zentralen Organisa*
tionen unserer Parteien weht.
Wir wachsen auf verschiedenen Wegen, wir wachsen durch die
Jugendorganisationen, wie wir schon auf diesem Kongreß gesagt
haben. Wir wachsen durch die Gewerkschaftsinternationale, wir
werden auch jetzt neue Kräfte bekommen durch die Bauerninter*
nationale, die keine reine kommunistische Organisation ist, aber
alle Revolutionäre in der Bauernschaft sammelt.
Man sieht jetzt schon konkret den Weg, auf dem wir alle
unsere Kräfte werden sammeln müssen, um sie zu einer Faust
zusammenzuballen, um der Bourgeoisie den entscheidenden Schlag
zu versetzen. Wir werden wachsen durch die Jugendorganisation,
durch die Gewerkschaftsinternationale, durch die Parteien des
Femen und Nahen Ostens, durch die nationalen Gruppen, die noch
zahlenmäßig schwach sind, aber große Bedeutung für uns haben,
und durch die Bauern*Internationale. Das sind die Kanäle, die alle
zu einem großen Strom der siegreichen proletarischen Revolution
zusammenfließen werden.

Die Demonstration gegen den Krieg.


Ich möchte schließen, indem ich noch einmal an die Demon*
strationsw oche der zehnjährigen W iederkehr des Krieges erinnere.
Wir alle wollen Leninisten sein. Die Lehre des Leninismus über
den Krieg ist ein wichtiger Bestandteil des ganzen Leninismus. Ich
werde diese Lehre hier nicht auseinandersetzen, aber Sie wissen,
daß der Leninismus gerade während des Krieges zu einer inter*
nationalen Strömung wurde. Es handelt sich jetzt darum, die erste
Gelegenheit zu benutzen, um zu zeigen, daß wir eine internationale
Leninistische Partei werden wollen. Wir werden jetzt die wirk*
liehen Erfolge unserer Parteien einschätzen können. Die Parteien
müssen zeigen, was sie in der Demonstrationswoche gegen den
konterrevolutionären Krieg, der Woche des Hasses gegenüber.der
Bourgeoisie und der konterrevolutionären Führung der sozialdemo*
kratischen Parteien leisten. Ich glaube, daß jetzt alle, die nach
Hause gehen, sich besonders anstrengen werden, um diese Demon*
strationen international durchzuführen, um sie wirklich zu einer
großen Demonstration der K. I. zu gestalten.
(Stürmischer Beifall, die Delegierten singen stehend
die Internationale).

i
f

4
DIE HA UPTERGEBNISSE D ES
V. WELTKONGRESSES

RETERAT IN DER VERSAMMLUNG


DER LENINGRADER PARTEITUNKTIONÄRE
AM 9. J U L I 1924
I

Die harte Stählung der Kommunistischen Parteien. atio


iüe
Genossen! Der V. Kongreß der Komintern gehört Zweifels*
ohne zu jenen Kongressen, die einen sehr wichtigen Markstein
iae
in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung bilden.
Der Kongreß trat ungefähr eineinhalb Jahre nach dem IV. Welt* Uff
kongreß zusammen. Dies war eine Zeit von entscheidenden
m
Prüfungen für eine ganze Reihe von Parteien. Daher ist es natür*
lieh, daß der Kongreß vor allem eine Heerschau über die Kommu? p
nistischen Parteien der ganzen Welt hielt. ml
Während der vergangenen Zeit machte eine ganze Reihe von I
Parteien eine illegale Periode durch. Die illegale Arbeit war *3
X
•eine wirkliche Prüfung der Lebensfähigkeit, der Standhaftigkeit,
der Geschlossenheit der betreffenden Parteien. Zahlenmäßig ist ji

die internationale kommunistische Bewegung sehr erstarkt. Eine


ganze Reihe von Parteien hatte während dieser Zeit ihre
schwierigste Periode durchlebt, erhielt in der Illegalität die ent* iri
sprechende Stählung, und ging aus der Illegalität stärker hervor.
Ich führe nur ein Beispiel an, das allen Arbeitern am meisten i
bekannt ist: die italienische Arbeiterbewegung.
Man kann sich kaum etwas Schwereres vorstellen, als das
Regime der Faschisten unter der Führung des ehemaligen Sozia* ob
listen Mussolini. In der Person Mussolinis ist alles vereinigt, was
es nur Reaktionäres und Verräterisches in der bürgerlichen Ord*
nung gibt. Er kennt durch und durch alle unsere Genossen, da
er ja ein Führer der sozialistischen Partei war, er kennt die m
.starken und schwachen Seiten der Arbeiterbewegung: 300 000 w*
Halsabschneider stehen ihm zur Verfügung. Die Kommunistische
Partei wurde unter unerhört schwierigen Verhältnissen in die
Illegalität getrieben. Die italienischen Kommunisten wurden auf
Schritt und Tritt für die — selbst vom Gesichtspunkte der
Faschisten — geringsten Verschulden erschlagen. Und was ist
die Folge? Die Partei hat diese schweren Verhältnisse nicht nur
mit Ehre überstanden, sondern sie erstarkte auch.
Jetzt, wo sich das Regime Mussolini abzuschwächen beginnt,
können wir die Bilanz ziehen. Das Zentralkomitee der K.P.I. saß
fast während der ganzen Zeit des MussolinhRegimes im Kerker.
In einer Reihe von Industriezentren und in verschiedenen anderen
t

Ortschaften konnte während der eineinhalb bis zwei Jahre kein


einziges ZK.*Mitglied erscheinen, und manche von ihnen glaubten,
daß die Arbeit in diesen Industriezentren vollkommen aufgehört
hat. Alle waren überzeugt, daß die Organisationen unter dem
faschistischen Terror zugrundegegangen seien. In Wirklichkeit
hat sich das Gegenteil davon herausgestellt: sie sind gewachsen
und erstarkt. Die Arbeiter haben sich trotz der ganzen Last des
faschistischen Terrors wie die Ameisen um ihre Parteiorgan^
sationen bemüht. Sie haben Stein für Stein die Grundlage für
die kommunistischen Organisationen gelegt. Jetzt, wo das
faschistische Regime abzuebben beginnt und unsere Partei wieder
eine gewisse Legalität erwarb, war das erste, was die Partei unter?
nahm, daß sie wieder eine kommunistische Tageszeitung schuf.
Während des Kongresses erhielten wir die Nachricht, daß die
kommunistische Zeitung anfangs eine Auflage von 30 000 Exem?
plaren hatte, jetzt auf 70 000 gestiegen ist. Die Partei erntet
jetzt, was sie während dieser Jahre gesät hatte.
Dasselbe, was wir an dem Beispiel der italienischen Partei
gesehen haben, ging auch in einer ganzen Reihe anderer Länder
vor sich. Eine ähnliche Lage hatten wir in Deutschland, wo die
Partei eine Periode unerhört schwerer Verfolgungen, die auch
heute noch nicht nachgelassen haben, durchmachen mußte. Eine
ganze Reihe von Parteien, wie die italienische, deutsche, jugo?
slavische, tschechoslowakische, polnische, amerikanische, bul?
garische, rumänische und andere haben diese harte Stählung
empfangen.
Zwischen dem IV. und V. Kongreß befand sich eine ganze
Reihe von Parteien in der Illegalität. Diese Periode war eine
entscheidende Prüfung für unsere Parteien. Werden sie diese
Prüfung bestehen? Werden die Arbeiter allen diesen Schwierig?
keiten gewachsen sein?
Die erste Rubrik der Bilanz der Arbeiten des V. Welt?
kongresses schließt damit, daß alle Parteien auf diese Frage eine
bejahende Antwort gaben.
Der erste Eindruck des V. Kongresses war also: unsere Bruder?
Parteien wachsen, erstarken und werden reifer. Ueberall, wo die
erste Saat ausgestreut war, sehen wir jetzt schon bedeutende
Früchte. Das Regime der Verfolgungen stählt unsere Parteien,
stärkt sie, macht sie zu elastischeren, bolschewistischeren Parteien.
Die Schwierigkeiten bei der Ausarbeitung des Programms.
Der V. Kongreß hatte eine äußerst vielseitige Arbeit zu
leisten. Von neuem stand die Programmfrage auf der Tages?
Ordnung. Wir arbeiten an dieser Frage schon seit einigen Jahren.
Augenscheinlich wird es noch ein bis zwei Jahre dauern, bis das
Programm der Kommunistischen Internationale endgültig formu?
liert werden kann.

I
Die Schwierigkeiten bestehen darin, daß die internationale
Arbeiterbewegung sich in verschiedenen Ländern auf ver*
schiedenen Entwicklungsstufen befindet. In unserem Lande haben
wir die Macht den Händen der Bourgeoisie entrissen. Auf einem
Sechstel des Erdballes wurde die Sowjetmacht aufgerichtet. Auf
den übrigen fünf Sechsteln leben unsere Parteien unter ver*
schiedenen Regimes, auf verschiedener Entwicklungsstufe. Es ist
ein sehr buntes Bild. Anders ist die Lage zum Beispiel in Deutsch*
land, anders, sagen wir, auf dem Balkan, wieder ganz anders in
Japan, Amerika usw. Wir brauchen ein Programm, das uns er*
lauben würde, den Zustand der revolutionären Bewegung im
Weltmaßstabe ins Auge zu fassen.
Auf dem IV. Kongreß sagte uns Wladimir Iljitsch, daß wir uns
mit der endgültigen Ausarbeitung des Programms der K.I. nicht
allzu sehr zu beeilen haben, schon darum nicht, weil wir die —
wie er sagte — Rückzugslinie noch nicht ganz klar erfaßt haben.
Wenn man in den Kampf zieht, dann muß man einen Rückzugs*:
plan haben. Er hatte unsere „NEP“ vor Augen, die er nicht
selten einen Rückzug nannte, und er sagte: wir haben einen
Angriff gegen die bürgerliche Ordnung vollzogen, wir haben den
Sieg errungen, waren aber dann aus verschiedenen Gründen ge*
zwungen, zu manövrieren, machten die bekannten Zugeständnisse
an* die Bourgeoisie, führten die sogenannte „NEP“ ein. W ir
müssen auch im internationalen Umfang eine Rückzugslinie für
die Industrieländer und für die Agrar* und halbagrarischen Länder
haben. Diese Bemerkung macht es verständlich, was für große
Schwierigkeiten der Ausarbeitung unseres Programms im W ege
stehen. Wir arbeiten daher schon seit Jahren gewissenhaft daran
und wollen uns damit nicht überstürzen.
Der V. Weltkongreß bestätigte den Programmentwurf, den
ihr in einigen Tagen zu lesen bekommen werdet, und stellt ihn
in allen Sektionen der Komintern zur Diskussion. Wahrscheinlich
werden wir auf dem nächsten Kongreß, der in zwei Jahren zu*
sammentritt (wir änderten die Statuten und beschlossen, die Welt*
kongresse der Komintern jedes zweite Jahr abzuhalten), in der
Lage sein, unser Programm endgültig auszugestalten.
Es ist überflüssig zu bemerken, daß es eine äußerst schwere
Sache ist, das Programm ohne Lenin fertigzubringen. An der
Ausarbeitung des Programms unserer eigenen Partei hatte selbst*
verständlich Wladimir Iljitsch den größten Anteil, und nun, da
wir ein solches Programm für die ganze Arbeiterbewegung und
überhaupt für die revolutionäre Bewegung der ganzen W elt
schaffen wollen, ist diese Aufgabe noch viel schwerer. Allerdings
war der gegenwärtige Programmentwurf in seinen Hauptzügen
oWladimir Iljitsch bekannt, er las ihn zweimal durch und hat ihn

168

I
im wesentlichen gutgeheißen. Das erleichterte unsere Aufgabe,
denn es ist natürlich, daß auf jedem von uns, der an der Aus*
arbeitung eines Programms für die Arbeiter der ganzen Welt
teilnimmt, eine ungeheure Verantwortung lastet. Und es ist viel
leichter, diese Verantwortung zu tragen, wenn wir wissen, daß
Wladimir Iljitsch den Programmentwurf im wesentlichen kannte
und ihn guthieß.
Für die II. Internationale und für die einzelnen Parteien,
die ihr angehören, ist es viel leichter, ein Programm auszuarbeiten.
Die deutsche Sozialdemokratie hat im vorigen Jahr ihr Programm
geändert. Für solche Parteien ist das sehr einfach, da sie eine
vollkommen begreifliche Bewegung vollziehen; sie evolutionieren
nach rückwärts, sie gehen vom alten Erfurter Programm zu einem
bürgerlichen Programm zurück. Die Programmrevision der S.P.D.
ging auf ihrem Parteitag im vorigen Jahre so weit, daß man aus
dem Programm sogar den Ausdruck „Klassenkampf“ gestrichen
hatte. Beobachtet ihr das theoretische Niveau, die Gedanken*
arbeit der sozialdemokratischen Parteien, so seht ihr, daß sie
selbst auf die marxistische Terminologie verzichten. Selbst einen
solchen Ausdruck wie „Klassenkampf“ streichen sie sorgfältig
aus ihrem Programm. Es geht ein Prozeß der Umwandlung der
alten sozialdemokratischen Parteien in kleinbürgerliche Arbeits*
Parteien vom Schlage der Macdonald'schen Labour Party vor
sich. Die gegenwärtige Evolution der sozialdemokratischen Par*
teien bewegt sich von links nach rechts, das heißt: von klein*
bürgerlichen*sozialdemokratischen Parteien mit marxistischer
Phraseologie menschewistischen Schlages entwickeln sie sich nun
nach rechts, hüten sich selbst vor der Erwähnung des Klassen*
kampfes, werfen die marxistischen Ausdrücke, die ganze
marxistische Terminologie heraus. Sie entwickeln sich allmählich
zu formlosen, offen kleinbürgerlichen Parteien.
Wir, die wir aus dem Schoß der II. Internationale hervor*
gegangen sind, machen eine Evolution nach links durch und ent*
wickeln uns allmählich aus sozialdemokratischen Parteien zu
kommunistischen Parteien. In einer ganzen Reihe von Ländern
sind wir bereits zu kommunistischen Parteien geworden, und in
anderen handelt es sich darum, nicht nur einfach eine kommu*
nistische Partei zu werden, sondern zu bolschewistischen Parteien
russischen Typs, zu leninistischen Kommunisten. Wenn wir alles
dies ins Auge fassen, wenn wir in Betracht ziehen, daß die
Arbeiterbewegung und der Sozialismus im weiten Sinne des
W ortes infolge des Krieges eine große, ideologische Krise durch*
lebte, daß sich während des Krieges eine Umwertung aller Werte
vollzogen hatte, wenn wir uns daran erinnern, daß auch unsere
Revolution nicht auf ebenem Wege vorwärtsschreitet, daß wir uns

169

/
der „NEP“ zuwenden mußten, was natürlich auch ideologisch?
theoretisch zum Ausdruck kommt, — dann wird uns klar, wie
schwer es ist, ein Programm für die Kommunistische Internationale
fertigzubringen.
Wir erforschen schrittweise den Weg, wir gehen lieber lang?
samer vorwärts, wir ziehen es vor, der Arbeit des kollektiven
Gedankens der kommunistischen Arbeiter aller Länder noch ein
bis zwei Jahre Zeit zu lassen, um nur ein grundlegendes Dokument
bekommen zu können.

Die Agrarkrise und die Revolutionierung der Bauernschaft.


i

Die nächstwichtige Frage, die der Kongreß, zu erörtern hatter


ist die Weltwirtschaftsläge. Als Marxisten, als Kommunisten, als
Bolschewiki sind wir daran gewöhnt, unsere taktischen Schluß?
folgerungen auf Grund des Studiums der Wirtschaft und der
Wirtschaftslage in der ganzen Welt zu ziehen.
Der V. Kongreß stellte vor allem fest, daß wir gegenwärtig
eine Agrarkrise im Weltmaßstab vor uns haben. Die „Schere“,
von der wir hier so viel gesprochen haben, ist zu einer Welt?
erscheinung geworden. Diese „Schere“ ist heute in fast allen
Agrarländern, halbagrarischen und Industrie?Ländern vorhanden.
Es geht ein Prozeß der raschen Zerstörung des Mittelbesitzes an
Grund und Boden in einer ganzen Reihe von Ländern, ganz zu
schweigen von dem Kleinbesitz, vor sich. Die Agrarkrise, die
einen Weltmaßstab annahm, ist die wichtigste neue Erscheinung —
wir haben ihr bisher wenig Beachtung geschenkt. Sie bietet für
uns zum ersten Male eine Lage, wo wir bedeutende Schichten
der Bauernschaft für die Revolution gewinnen können. Die land?
wirtschaftliche Weltkrise wirkte sich in Amerika in einer Weise
aus, daß die dortige Bauernschaft oder richtiger die Farmerklasse
(es gibt dort eigentlich keine Bauern, sondern Farmer) zu 40 Pro?
zent proletarisiert wurde. Sie ist bei den landwirtschaftlichen
Banken bis an den Hals verschuldet. Sie kann keine Zinsen zahlen
und geht immer mehr zu Grunde. Daher werden einige Millionen
Farmer, ob sie es wollen oder nicht, durch die Agrarkrise plötz?
lieh an die Seite der Arbeiterklasse getrieben.
Die erste Antwort des Kongresses auf die Frage, in welcher
Lage sich die Weltwirtschaft befindet, war die Feststellung, daß
die Agrarkrise sich fast auf die ganze Welt ausgedehnt hat.
Natürlich ist die Art der Zerstörung der Wirtschaft in jedem
Lande verschieden, die Rolle der „Schere“ kommt in jedem Lande
in verschiedener Weise zum Ausdruck, aber an sich ist sie
dennoch eine allgemeine Erscheinung.
Die industrielle Krise«

Die zweite Antwort war: die Feststellung der Anfänge einer


neuen großen Industriekrise in Amerika. Amerika hat an dem
imperialistischen Weltkrieg das meiste gewonnen, es ist zu einem
starken, vollblütigen Industrieland geworden. Wohl haben seine
Industriekrisen auch früher auf die wirtschaftliche Entwicklung
ganz Europas einen Einfluß ausgeübt. Gewöhnlich breitete sich
diese Krise in konzentrischen Kreisen aus Amerika über ganz
Europa aus. Nach dem Kriege kam diese Erscheinung mit noch
viel größerer Kraft zum Durchbruch. In Amerika setzte während
der letzten Monate eine Industriekrise von unerhörtem Umfange
ein und wächst mit fürchterlicher Geschwindigkeit an. Unter*
dessen wurde in einzelnen Ländern Europas eine partielle Be*
lebung festgestellt, und zwar ist diese Belebung derart, daß sie
in einem Lande sich auf Kosten der Industrie des Nachbarlandes
auswirkt. Im allgemeinen befinden wir uns wie bisher in einer
Periode der Industriekrise. .Wohl kann innerhalb dieser Krisen*
Periode in einigen Ländern das Barometer steigen, muß aber
dafür sofort im Nachbarlande sinken.
Im vergangenen Jahre ist die Valuta in drei Ländern voll*
kommen zusammengebrochen, hat sich dann ein klein wenig erholt
und sinkt jetzt wieder in einem so reichen Lande wie Frankreich,
das im Kriege keine Niederlage erlitten hatte.
Die partielle Belebung in den europäischen Ländern besagt
keineswegs, daß der Kapitalismus sich befestigt hat, daß wieder
normale Zeiten eingetreten sind. Auf dem Kongreß sagten wir:
wenn das normale Zeiten sein sollen, wo im Laufe eines Jahres
drei Valuten zusammenbrechen, wenn der Arbeitslohn sinkt, wo
in der ganzen Welt eine Agrarkrise herrscht, wenn all dies be*
zeichnend wäre für den normalen Kapitalismus, dann könnten wir
sagen, daß „normale Zeiten“ eingetreten sind, aber das ist alles
andere als normale Entwicklung.
Wenn wir eine landwirtschaftliche Weltkrise durchleben, die
sich auf die Industrie auswirkt, wenn Valuten vor unseren Augen
zusammenbrechen, wenn die Zahl der Arbeitslosen 7 Millionen
beträgt, wenn der Arbeitslohn unaufhörlich sinkt und die Streik*
bewegung zunimmt, wenn es keine einheitliche Weltwirtschaft
mehr gibt, da sie infolge des Versailler Gewaltfriedens schon
lange in ihre Bestandteile zerfiel — dann können wir ganz ruhig
sagen, daß der Kapitalismus noch sehr weit von einem Aufschwung
entfernt ist. Die Kurve des Kapitalismus kann jetzt nicht anders,
als abwärts gehen.

171
*

Es gibt jetzt keinen vollblütigen Kapitalismus.


Wir haben eine große Verschärfung des Klassenkampfes in
der ganzen Welt vor uns. Und wenn all dies eine normale Ent*
wicklung genannt werden kann, so beneiden wir sie nicht. In
Wirklichkeit ist das eine Fortsetzung der zur Zeit des Krieges
ausgebrochenen Krise, aus der es für den Kapitalismus keine
Rettung mehr gibt. Der Kapitalismus kann sich in diesem oder
jenem Lande auf ein, zwei oder fünf Jahre erholen, diese Erholung
kann um den Preis der Ausplünderung des Volkes eine Zeitlang
dauern. Die reicheren Länder können sich einige Jahre halten,
dazu dient auch der Kampf zwischen Frankreich und Deutsch*
land, aber der Kapitalismus als ganzes befindet sich in der Periode
der Agonie, in der Periode der Krise, in der Periode des letzten
Atemzuges. Der „letzte Atemzug“ ist allerdings nicht so zu ver*
stehen, daß es sich hier um einen Monat handelt. Er. kann einige
Jahre dauern, aber von einem Vollblutkapitalismus, wie wir ihn
vor dem Kriege hatten, kann keine Rede sein. Die gegenwärtige
Industriekrise gehört nicht zu jenen Krisen, die sich früher
alle zehn, zwölf Jahr wiederholten. Sie gehört nicht zu jenen
Krisen, die sich in den vierziger Jahren abspielten, als Marx den
Kapitalismus in England zu studieren bekam. Das ist der Nach*
kriegskapitalismus, der sein Gleichgewicht verlor. Sein Pendel
schwingt krampfhaft nach rechts und nach links und versucht
vergebens das Gleichgewicht zu finden.

Zwischen Faschismus und Arbeiterregierung,


Die dritte Frage, die der Weltkongreß zu beantworten hatte,
war die politische Weltlage, für die gegenwärtig die Periode des
„demokratischen Pazifismus“ bezeichnend ist.
In einer ganzen Reihe von Ländern sehen wir jetzt ein ge*
wisses Aufblühen der bürgerlichen Demokratie.
Wenn wir die Landkarte Europas betrachten, wenn wir den
Zustand des politischen Kampfes in Europa, die Zusammen*
Setzung der Regierungen, der Parlamente, die Wahlresultate der
verschiedenen Länder ins Auge fassen, dann können wir sagen,
daß der europäische Kapitalismus zwischen Faschismus und „Ar*
beiterregierung“ lebt. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich
das Pendel des politischen Lebens im heutigen Europa. In Eng*
land, im größten Lande des bürgerlichen Europa, sehen wir eine
menschewistische Arbeiterregierung. Dasselbe in Dänemark. Eine
ähnliche Regierung wird bald in Belgien zustande kommen, wo
Vandervelde im Begriff ist, die Macht zu übernehmen. In einigen
Ländern bilden die Menschewiki mit dem linken Flügel der Bour*

172

SM
4

geoisie einen „Linksblock“; da sind die Menschewiki an der


Regierung nicht beteiligt, weil sie fürchten, daß die Arbeiter ihnen
auf die Finger schauen werden; sie begnügen sich, die Regierung
illegal zu unterstützen, wie es die Menschewiki bei uns zu Beginn
der Revolution getan haben, als sie in die Regierung nicht direkt
eingetreten sind, um sich vor den Arbeitern nicht zu „kompro*
mittleren“, die Regierung aber so weit als möglich unterstützten.
Es gibt in solchen Ländern eine Art kleinbürgerlicher Koalitions*
regierung.
In Italien beginnt sich das Bild gleichfalls zu ändern. Es
werden hier bald neue Dekorationen aufgezogen. Diese Aende*
rungen widerspiegeln sich in der Tschechoslowakei und in Polen,
die vollkommen vom bürgerlichen Frankreich und England ab*
hängen. Wir stehen also vor einer neuen Periode, vor einer
gewissen Wiedergeburt der bürgerlichen Demokratie und einer
Rückkehr zur kleinbürgerlich*menschewistischen Regierung.
W as bedeutet diese Periode? Bedeutet sie etwa, daß der Ka*
pitalismus erstarkt ist, daß er sich erholt hat, daß er durch nor*
malere Mittel herrschen will? Wie wirkt sich das auf die Wirt*
schaftslage aus? Das war die Hauptfrage auf dem Kongreß, weil
das eben den Schlüssel zu unserer Taktik darstellt.
Wir glauben, daß die gegenwärtige pazifistisch*kleinbürger*
lich*menschewistische Entwicklungsperiode ein Sympton der
fürchterlichen Krise des Kapitalismus, seines allmählichen Zerfalls
darstellt. Seit der Zeit, wo die Epoche der Weltrevolution ein*
setzte, sehen wir, daß der Kapitalismus zwischen zwei taktischen
Methoden schwankt. Bei der Bourgeoisie — international ge*
nommen, — sehen wir zwei politische Linien, zwischen denen sie
schwankt. Die eine Linie ist durch Lloyd George in England ver*
körpert, die andere findet ihren besten Ausdruck auf dem anderen
Pol: in Poincare. Beide sind Angehörige derselben Klasse. Sie
vertreten nur verschiedene Gesinnungsschattierungen innerhalb
derselben bürgerlichen Klasse; sie vertreten zwei verschiedene
Methoden der bürgerlichen Politik. Die eine kann die refor*
mistische Methode genannt werden, das ist die Methode von
Lloyd George, die andere, die in Poincare verkörpert ist, die
brutal*reaktionäre Methode. Die Bourgeoisie bedient sich ab*
wechselnd beider Methoden, aber diese Schwankung hängt von
der Weltlage ab. Sieht die bürgerliche Klasse, daß es ihr schlecht
geht, daß die Sache schief geht, daß die Kräfte der Revolution
einmal hier, einmal dort in den Vordergrund treten, dann ver*
suchen es die begabtesten Führer der Bourgeoisie mit der „Friedens*
Politik“, indem sie die Arbeiteraristokratie kaufen. Diese
Methode, die für die Politik Lloyd Georges bezeichnend ist, ist
eine reformistische Methode. Zugleich taucht auf dem anderen

173
0
Pol der bürgerlichen Politik der Versuch auf, die Hydra der Re*
volution direkten Weges zu zerschmettern, sie an der Kehle zu
packen, offene, militärische Maßnahmen zu ergreifen. Auf dem
einen Pol steht Lloyd George, auf dem anderen Poincare. Beide
sind aber Gesinnungsgenossen.

Teile und herrsche.


Wir sehen jetzt eine Erstarkung des linken, reformistischen
Flügels der Bourgeoisie. Je stärker der Druck der Arbeiterklasse
sein wird, um so größer werden natürlich die Schwankungen der
Bourgeoisie sein, um so stärker wird der Pendel nach der Seite
der Politik des linken Flügels der Bourgeoisie ausschwingen. Wir
glauben, daß das gegenwärtige Aufblühen des Menschewismus
in Europa, das Erscheinen der Arbeiterregierung oder des Links*
blocks das Symptom eines Schwankens in den Reihen des Feindes,
in den Reihen der Führer der Bourgeoisie darstellt. Das ist ein
Versuch, die Klassen zu versöhnen, etwas Oel auf das tobende
Element zu gießen, das morgen mit noch größerer Wucht hervor*
bricht. Das ist der Grund der neuerlichen Zulassung der Mensche*
wiki zur Macht.
Wir sahen die Menschewiki zum erstenmal während des
Krieges an der M acht.„ Die französische Bourgeoisie nahm einige
französische Menschewiki in die Regierung auf, ohne es zu ver*
heimlichen, daß sie die Menschewiki ausbeuten, wie Zitronen aus*
pressen und sie dann auf den Misthaufen werfen werden, nachdem
sie sie gegen die deutsche Arbeiterklasse ausgenützt haben würde.
Als der Zarismus Kusma Gwosdjew ins Kriegsindustriekomitee
berief, tat er es, damit der Arbeiter nicht streiken sollte. Es
wTar nötig, die Arbeiter etwas zu täuschen und sie zum Klassen*
frieden zu bewegen.

Die gegenwärtigen „normalen Zeiten“ sind durchaus anori I I

Während des Krieges war das alles begreiflich.


Das Jahr 1924 ist aber ein normales Jahr. Es gibt keinen
Krieg. Die Bourgeoisie fühlt sich scheinbar fest im Sattel.
Warum beruft sie dann in England Macdonald in die Regierung,
und warum wird sie bald in Belgien Vandervelde, in Frankreich
Renaudel berufen? Warum werden die Menschewiki jetzt zum
zweitenmal zur Uebernahme der Macht eingeladen? Wir glauben,
das geschieht jetzt zum zweitenmal gerade darum, weil eben die
jetzigen normalen Zeiten in Wirklichkeit noch äußerst anormal t
f

sind. Die Bourgeoisie kann sich nicht von den Folgen des Welt*
krieges wieder erholen. Sie hat sich wirtschaftlich festgerannt,
daher mußte sie sich auch politisch festrennen. Sie fühlt, daß
die Arbeiterbewegung anwächst, aber noch nicht stürmische
Formen angenommen hat, noch nicht unmittelbar in einen bolsche*
wistischen Aufstand mündete. Sie sieht, daß die Arbeiterklasse
noch abwartet, daß sie sich von den Erschöpfungen des Krieges
ausruht, ihre Kräfte sammelt, kommunistische Parteien aufbaut,
die Atempause benützt. Aber die Bourgeoisie fühlt zugleich, daß,
wenn nicht heute, dann morgen, wenn nicht in einem Jahr, dann
in zwei Jahren, der Sturm auszubrechen droht. Und da sie das
vorausfühlt, sucht die Bourgeoisie Mittel und Wege, die Geschichte
zu überlisten, und kommt zu der von ihrem Gesichtspunkt aus
einzig richtigen Schlußfolgerung: daß man es versuchen müsse,
die Arbeiterklasse zu spalten, um sie beherrschen zu können, Zu
diesem Zwecke mußte der rechte Flügel der Arbeiterschaft, der
unter der Führung der Menschewiki steht, in den Wagen der
Bourgeoisie eingespannt werden. ' Daher ihre Neigung zu den
Menschewiki,-daher ihre Neigung zur Arbeiterregierung und zum
linken Block. Daher fühlen sich die Herren Menschewiki zum
zweitenmal als die Gefeierten, putzen ihre Zylinder und besieh*
tigen die Portefeuilles. Einige von ihnen sind bereits in die
bürgerlichen Ministerstellen hineingeraten, andere glauben, heute
oder morgen dasselbe zu erreichen.
Wir sagen: ja, wir sehen jetzt eine Art demokratisch*
pazifistische Periode, aber lange wird das nicht dauern. In
einigen Ländern wird sich das nicht einmal ein, zwei Jahre halten.
Das Spiel kann sehr leicht verdorben werden. Insoweit es sich
natürlich um die Menschewiki handelt, die in den Ministersesseln
sitzen, so kann man diese leicht kaufen. Mit den großen Schichten
der Arbeiterschaft geht das aber nicht so leicht.

Neue Ereignisse innerhalb der Arbeiterklasse reifen heran.


•Welchen Verlauf wird die Sache nehmen? Bisher versuchte
die Bourgeoisie in einer Reihe von Ländern durch die Faschisten
zu herrschen. Nun aber versucht sie durch die Menschewiki zu
herrschen. In Wirklichkeit wird die Sache den Verlauf nehmen,
daß die Menschewiki immer mehr und mehr zu Faschisten
werden; in einigen Ländern sind sie sogar zu schlimmeren
Faschisten geworden als die Faschisten selbst.
Als Führer des internationalen Proletariats müssen wir uns
vor Augen halten, daß das ein sehr kompliziertes Gewebe ist,
daß die Sache sich nicht im Handumdrehen erledigen läßt. Wir
müssen lernen, uns in diesem komplizierten Gewebe auszukennen,
0

wir müssen uns darüber klar werden: warum war vor ein, zwei
Jahren der Faschismus die Mode, warum ist jetzt der Mensche*
wismus, die sogenannte Arbeiterregierung, die Mode, und warum
werden die Menschewiki morgen wieder den Faschisten das Feld
räumen? Glaubt ihr, daß sich Mussolini nicht für einen Mensche*
wiken erklärte? Er erklärte: „Klammere ich mich denn persönlich
an die Macht? Ich wünsche nur das Wohl des ganzen Volkes“.
Er bot den Vertretern der Opposition sechs Ministersessel an. Ihr
werdet noch sehen, daß Mussolini sich noch mausern und als
Demokrat emportauchen wird! Dieses Spiel kostet sehr wenig. .. f.

Aber wir müssen sehen, was diese Aenderungen, was dieses Spiel
der Kräfte auf der Oberfläche bedeutet, das Macdonald in einen
Hofnarren des Königs Georg und Allan Parkinson, einen ange*
sehenen Führer des Bergarbeiterverbandes, in einen Kontrolleur
der königlichen Hauswirtschaft verwandelt.
Was bedeutet dieses Kräftespiel an der Oberfläche, was be* VT*

deuten diese Launen der Geschichte im Sinne des Kräfteverhält*


nisses in den Tiefen des Volkes? Das müssen wir begreifen*
Das ist die Hauptfrage, die der Kongreß zu beantworten hatte,
und der Kongreß hat festgestellt, daß diese Erscheinungen das
Heranreifen tiefgehender Ereignisse innerhalb der Arbeiterklasse
bedeuten. Ob diese Ereignisse nun noch ein Jahr oder noch länger
auf sich warten lassen werden, wissen wir nicht. Wir sagen es
aber voraus, daß diese demokratisch?pazifistische Welle nicht
lange dauern wird. Die Demokraten sind in einigen Ländern
größere Faschisten als die Faschisten selbst. Es beginnt ein Diffe?
renzierungsprozeß innerhalb des menschewistischen Lagers. Die
ehrlichsten Elemente beginnen zu uns überzugehen, wie zum Bei*
spiel in England. Einer der englischen Minister, Snowden, prophe*
zeite, daß die Macdonald?Regierung die schärfste Kritik seitens
der Linken erfahren wird. «
>

Daher ist es unsere Aufgabe, die Dinge so zu sehen, wie sie


sind, und auf Grund dieser Beobachtung den Gesamtzustand der
Klassenkräfte in europäischem Maßstabe einzuschätzen.

Die Säuberung der taktischen Waffe.


Hieraus entspringt auch unsere Taktik. Der vierte und wich?
tigste Punkt der Tagesordnung des V. Weltkongresses betraf die
Frage der Taktik. Wir können sagen, daß der Kongreß sich mit
der Säuberung unserer taktischen Waffe beschäftigte, die hie und
da zu rosten begann. Ich habe die Einheitsfronttaktik im Auge.
Der Kongreß war der Meinung, daß die Einheitsfronttaktik auch
weiterhin, auch in dem Augenblick, wo wir eine Periode des

176

v ,
demokratischen Pazifismus erleben, richtig sei. Gerade zu einer
Zeit, wo die menschewistischen Führerschichten sich in Re*
gierungskombinationen mit der Bourgeoisie verirren, werden sich
die unteren Schichten der Arbeiter, die noch mit den Menschewiki
Zusammengehen, allmählich immer mehr und mehr, zunächst im
wirtschaftlichen, später auch im politischen Kampfe, uns an*
schließen, und das schafft eine ideale Lage für die Anwendung
der Einheitsfronttaktik. Wenn die Führer darum besorgt sind,
wie man den englischen König und die Bourgeoisie befriedigen
könnte, die Massen aber daran denken, wie die Arbeitslosigkeit
zu bekämpfen und der Achtstundentag zu verteidigen wäre, dann
ist es gerade eine Lage, wo der Menschewismus zwischen uns und
der Weltreaktion auf gerieben wird. Zwischen dem proletarischen
Hammer und dem bürgerlichen Amboß wird der Menschewismus
zermalmt. Es wurde hier nicht selten auf die Einheitsfronttaktik
und darauf hingewiesen, daß sie ein großes, taktisches Manöver
zur Steigerung der bolschewistischen Kräfte darstellt. Wir wenden
uns an die menschewistischen Arbeiter und sagen: „Kämpfen wir
gemeinsam gegen die Bourgeoisie. Ihr seid keine Kommunisten!
Kämpfen wir also für den Achtstundentag, für das Stückchen
Brot, verteidigen wir gemeinsam unseren Arbeitslohn, kämpfen
wir gemeinsam für die elementarsten Arbeiterforderungen.“ Und
da ihre Führer sich schon seit langem an die Bourgeoisie ver*
kaufen und verkauften, wußten wir, was bei einem solch ein*
fachen Vorschlag eines gemeinsamen, wirtschaftlichen Kampfes
herauskommt. Wir gewinnen allmählich die menschewistischen
Arbeiter. Darin besteht die sogenannte Einheitsfronttaktik.
Es kam aber, daß ein Teil unserer Genossen vom rechten
Flügel die Sache so auszulegen begann, daß dies keine taktische
Methode sei, sondern, daß wir wirklich eine ehrliche Vereinigung
mit den Menschewiki wünschten.
Besonders kam diese Auffassung bei der Auslegung der Parole
der Arbeiter* und Bauernregierung zum Ausdruck.
Es ist euch bekannt, daß wir zunächst die Parole der Arbeiter*
regierung, später die der Arbeiter# und Bauernregierung heraus*
gegeben haben und um sie zu kämpfen begannen. Natürlich haben
wir nicht auf die Diktatur des Proletariats verzichtet, wir haben
aber einen Namen dafür gewählt, den die Arbeitermassen besser
verstehen und sich besser aneignen können. Ich werde das an dem
Schicksal unserer eigenen Revolution illustrieren.
Als wir im Mai—Juni 1917 die Parole herausgaben, „Nieder
mit den zehn kapitalistischen Ministern“, — was bedeutet das?
Bedeutete das, daß wir nur diese zehn entfernen und uns mit
den übrigen versöhnen wollten? Nein! Das war ein Pseudonym
für die Diktatur des Proletariats, weil das Hinausschmeißen der
12 177
#
zehn kapitalistischen Minister unter den damaligen Verhältnissen
den Sturz der kapitalistischen Macht, den Bruch des Bündnisses
mit der Bourgeoisie, worauf sich damals Kerenski stützte, be*
deutet hätte. Das hätte bedeutet, sich zur Diktatur des Prole*
tariats emporzuringen. Warum haben wir gesagt: „Nieder mit
den zehn kapitalistischen Ministern, und nicht: „Es lebe die Dik*
tatur des Proletariats?“ Darum, weil die Parole der Diktatur des
Proletariats damals in Petersburg nur 15 000 bis 20 000 Arbeiter
begriffen haben, die Parole „Nieder mit den kapitalistischen
Ministern“ aber auch der rückständige Proletarier und das ganze
arbeitende Volk begriffen hatten. Später las ich in der „Geschichte
der russischen Revolution“ — ich glaube, von Miljukow —
folgendes: „Nieder mit den zehn kapitalistischen Ministern . . .
Man kann sich kaum eine feinere Demagogie als diese Parole vor*
stellen“. (Heiterkeit). Besonders von ihrem Gesichtspunkt aus
war das eine fürchterliche Demagogie. Man konnte sich so aus*
drücken, daß die Parole nicht nur die Kommunisten, sondern jeden
Arbeiter ins Herz traf. Eine wirkliche revolutionäre Massenpartei
zu sein, Genossen, bedeutet, mit dem Volk nicht lateinisch zu
sprechen, sondern lateinische Worte, wie die „Diktatur“, in eine
Sprache zu übersetzen verstehen, die den Volksmassen begreiflich
ist. Darum haben wir im Mai—Juni 1917 anstatt lateinisch zu
sagen „Es lebe die Diktatur des Proletariats“, was nur einige
Zehntausende fortgeschrittener Proletarier verstanden hätten, ge*
sagt: „Nieder mit den zehn kapitalistischen Ministern“.
Wir sagten den Arbeitern, unter denen es eine große Anzahl
von Menschewiki gab, daß unsere Parole ist: „Nieder mit den
zehn kapitalistischen Ministern“. Gefallen euch denn die
Tereschtschenko, die Miljukow und die übrigen so sehr? Unter
dieser Parole haben wir große Massen für uns gewonnen, und
Kerenski blieb nichts anderes übrig, als auf das Marsfeld zu
blicken und sich darüber zu wundern, warum Zehntausende unter
unserem Banner marschieren. Im Oktober aber, als die Räte eine
sehr große Popularität erwarben, sagten wir bereits: „Alle Macht
den Räten!“ Das war die Hauptparole, das war der Magnet, der
jeden anzog. Es wird der Augenblick kommen, wo wir auch in
Westeuropa sagen werden: „Alle Macht den Räten!“ Hierzu ist
aber die Kleinigkeit nötig, daß es überhaupt Räte geben soll. Nun,
als es bei uns Räte gab, und als sich die Arbeiter daran gewöhnt
haben, als die Räte dje Vorhut der Arbeiterklasse zu erfassen
begannen, als wir nach einigen Monaten Existenz die Räte volks*
tümlich machten und sagten: „Alle Macht den Räten“, hat das
ganze Volk diese Parole begriffen. Und wenn wir jetzt auf der
Arena von ganz Europa kämpfen — in der Periode einer ver*
hältnismäßigen Windstille, in der die Arbeiterklasse zurückge*

178
worfen ist, die Bourgeoisie sich aber gut oder schlecht im Sattel
hält, — müssen wir unsere Parole so formulieren, daß sie sich
den denkbar breitesten Arbeiterschichten und nicht nur den %

kommunistischen Arbeitern ins Gehirn einprägt, sondern auch den


parteilosen Arbeitern.

Die Einheitsfront ist kein lateinisches W o rt


Auf diesem Wege gelangten wir zunächst zur Parole der Ar*
beiterregierung, sodann der Arbeiter? und Bauernregierung. Mit
anderen Worten: Die Kommunisten wenden sich an die Arbeiter
und sagen: „Die Zahl der Arbeiter beträgt bei euch in Deutsch?
land 40 Prozent der Bevölkerung. Warum sollen dort Seeckt oder
die Bankiers herrschen? Ihr wollt keine Kommunisten sein. Ihr
sagt, der Kommunismus bedeute den Bürgerkrieg. Ihr hofft
aber, ohne ihn auszukommen. Ihr wollt aber die Einheitsfront.
Nun gut, verständigen wir uns auf der Grundlage der Arbeiter?
regierung. Möge sie aus Kommunisten und aus euren Sozial?
demokraten, sogar auch aus Christlichsozialen bestehen, insoweit
es solche Arbeiterverbände gibt — mögen diese gemeinsam eine
Arbeiterregierung bilden — aber was für eine? Natürlich nicht
eine solche, wie Macdonald sie gebildet hat, der alles dem König
zum Gefallen tut. Wir stellen nur drei Bedingungen: 1. Die
Entwaffnung der Bourgeoisie und der Weißgardisten (Heiterkeit),
das wird jeder Arbeiter verstehen, da, wenn wir sie nicht ent?
waffnen, sie uns entwaffnen und niedermetzeln. 2. Bewaffnung
der Arbeiter; nun, man muß sich ja verteidigen (Heiterkeit, Bei?
fall). 3. Die dritte Bedingung bezieht sich auf die Steuer: Die
Menschewiki versuchen, mit den Kriegskosten die Arbeiter zu
belasten, wir aber schlagen den Arbeitern und der Arbeiter?
regierung vor, die Steuer auf die Reichen abzuwälzen. Welches
Arbeiterherz könnte sich hier zurückhalten, nicht sofort „ja“ zu
sagen? (Beifall.) Natürlich kann man die Steuern und noch viel
mehr die Kriegskosten nur der Bourgeoisie auferlegen.
Das sind ungefähr die Bedingungen, die die Komintern bei der
Bildung einer Arbeiterregierung stellt. Wozu tun wir das? Natür?
lieh denken die Menschewiki darüber ebenso wie Miljukow über
die Parole „Nieder mit den zehn kapitalistischen Ministern“.
Sie glauben, daß die Bolschewiki hier zu einer niederträchtigen
Demagogie Zuflucht nehmen, daß sie die Arbeiter betrügen. Sie
wollen,.daß wir mit den Arbeitern chinesisch sprechen, sie aber
durch die Pfaffen, Parlamentarier, Theater? und Boulevard?
Zeitung das Volk einfangen können. Wir aber, als Vorhut der
Arbeiterklasse, sagen, daß, wenn wir die ganze Arbeiterklasse
hinter uns hätten, wir euch in fünf Minuten erledigen würden:
Euer Glück und unser Unglück besteht darin, daß die rück*
ständigen Schichten der Arbeiter noch nicht ganz richtig ver*
stehen, was vor sich geht. Man muß ihnen noch das wesentliche
erklären, und wir sind in jeder Weise bestrebt, ihnen die Lage
begreiflich zu machen.
Wenn die sozialdemokratischen Arbeiter in Deutschland zu
ihrer 50 jährigen Partei noch Vertrauen haben, so sagen wir ihnen:
Gut, ihr habt zu eurer Partei Vertrauen. Wir sind bereit, mit
euren Führern, wenn sie auch Schufte sind, uns an einen Tisch
zu setzen und über die Schaffung einer Arbeiterregierung zu ver*
handeln. Wir schlagen ihnen nicht die Rätemacht und die Diktatur
vor. Wir schlagen nur eine Kleinigkeit vor: Bewaffnung der
Arbeiter, Entwaffnung der Bourgeoisie und der Weißgardisten,
Abwälzung der Steuern auf die Reichen., Wollt ihr das oder nicht?
(Beifall.) Wir sind davon überzeugt* daß von hundert sozial*
demokratischen Arbeitern alle hundert mit „ja“ antworten werden,
und ihre Führer werden einen Lärm machen, wir seien nieder*
trächtige Bolschewiki, wir wollen die Arbeiter für Moskau ein*
fangen. Das ist unsererseits aber gar kein Trick. — Wir müssen sie
natürlich enthüllen, wir müssen sie vor den werktätigen Massen
an die Wand drücken, da sie nur vom Betrug leben. Das heißt
in gelehrter Sprache, eine strategisches Manöver. Im Kriege
müssen wie Kriegsmethoden anwenden. Nur das Manöver ist gut,
das die Bourgeois und die Menschewiki zu Boden wirft. Natürlich
ist jedes Manöver von Gefahren begleitet. Und im Kriege kommt
es oft vor, daß wenn, sagen wir, die eine oder die andere Division
den Befehl erhält, sich am rechten Flügel ein wenig zurückzu*
ziehen, um den Angriff auf den linken Flügel zu verdecken, irgend*
. ein Kauz kommt, der sagt: wenn es schon Rückzug ist, dann soll
es ein Rückzug sein — nehmt die Beine in die Hand und rennt los.
(Heiterkeit.) Das ist schon nicht mehr Strategie, sondern De*
faitismus.

Rechte Abweichungen in der Auslegung der Einheitsfrontparole.


Das war ungefähr der Fall bei einigen Schichten der rechten
Kommunisten. Sie sagten „Oh, eine Arbeiterregierung. Nun,
wenn es schon eine Arbeiterregierung ist, dann soll es eine Ar*
beiterregierung sein. Dann sollen wir schon alle sogenannte Ar*
beiterparteien zusammenfassen“. Es ist natürlich, daß dabei eine
Konfusion herauskam. Was sind denn das für Arbeiterparteien?
Sie sind nur dem Namen nach Arbeiterparteien. Allerdings steht
ein Teil der Arbeiter hinter ihnen. Aber, hinter den Pfaffen

180
und den christlichen Arbeiter verbänden steht auch ein Teil der
Arbeiter. Bedeutet denn das, daß die Pfaffen eine Arbeiterpartei
sind?
Mit Macdonald geht auch ein gewisser Teil der Arbeiter zu*
sammen. Soll denn das bedeuten, daß wir eine wirkliche Ver*
einigung aller Arbeiterparteien wünschen? Nein, wir wollen ein
solches Bündnis, eine solche Koalition der Arbeiterparteien, die
bereit ist, die Bourgeoisie zu entwaffnen, die Arbeiter zu be*
waffnen und die Steuern und Kriegslasten auf die Kapitalisten
abzuwälzen. Darauf antwortet man uns: das bedeutet, daß ihr
diese Vereinigung überhaupt nicht wollt. Das ist es eben. Wir
wollen keine Vereinigung mit den Herren Sozialdemokraten, mit
den Henkern der Arbeiterklasse, mit den schlimmsten Verrätern
der Arbeiterbewegung. Wozu wählt ihr dann solche Formen? —
fragt man uns. Dazu sagen wir: da es noch sehr viel unaufge*
klärte Arbeiter gibt.- Das ist unser Unglück. Sonst würde die
Bourgeoisie schon längst am Boden liegen. Wir müssen diesen
Arbeitern die Augen öffnen. Wir sind bereit, uns mit den
Menschewiki an einen Tisch zu setzen und zu verhandeln. Wir
stellen einfache Forderungen. Die menschewistischen Führer
flüchten aber vor diesen einfachen Forderungen, wie der Teufel
vor dem Weihwasser. Dadurch werden auch die rückständigen
Arbeiter begreifen, daß es sich nicht darum handelt, daß die
Kommunisten etwa einen sofortigen Bürgerkrieg, ein Blutvergießen,
einen Kommunismus wollen, sondern darum, daß die mensche*
wistischen Führer die Bourgeoisie nicht entwaffnen, die Arbeiter
nicht bewaffnen und die Kriegslasten nicht auf die Kapitalisten
abwälzen wollen.
Uns, die wir einen so großen Krieg, eine so große Schule
durchgemacht haben, scheint das nicht eine kopfzerbrechende
Aufgabe zu sein. Aber für die jüngeren Parteien und in solchen
Ländern, wo die Sozialdemokratie stark ist, bringt die Durch*
führung dieses Manövers große Gefahren mit sich.
Es ist ein ganzer, rechter Flügel entstanden, der die Einheits*
fronttaktik im Sinne einer wirklichen, organischen Koalition mit
den Menschewiki auszulegen begann. Das bedeutet mit anderen
Worten den Untergang der kommunistischen Partei. Mit den
Menschewiki zu spielen, auf jedes ihrer Manöver mit zwanzig
Manövern zu antworten, ist unser gutes Recht, aber ein wirk*
liches Bündnis mit ihnen bedeutet den Untergang.
Ich habe schon vor drei Jahren, als wir die Einheitsfronttaktik
einzuführen begannen, das Wort Pseudonym — oder man könnte
sagen Verschleierung — für die Diktatur des Proletariats ge*
braucht. Ich werde das wieder an einem Beispiel aus unserer

181
Revolution erläutern. Es gibt Situationen, wo man zu Pseudo*
nymen Zuflucht nehmen muß. Ich hatte euch das Beispiel mit
den zehn kapitalistischen Ministern erwähnt.
Im September, nach dem Kornilow*Abenteuer, als es mit
unserer Sache vorwärts und mit den Menschewiki schief ging,
gaben sie die Parole: „Homogene sozialistische Regierung“ aus.
Darunter verstanden sie eine Regierung von den Bolschewiki bis
zu den Trudowiki. Es hätten daran sowohl die Bolschewiki als
auch die Menschewiki, die Volkssozialisten, die rechten und
linken S. R. und Teufel weiß noch wer teilnehmen sollen. Und
das nannten sie eine „Homogene sozialistische Regierung“, ob*
wohl es jeder gesund denkende Mensch verstehen konnte, daß
das erstens nicht eine homogene und zweitens nicht eine sozia*
listische Regierung sein konnte. Als sie aber sahen, daß die erste
Karte mit Kerenski geschlagen xwar, versuchten sie, die Sache zu
verschleiern und unter dem Banner der „Homogenen so*
zialistischen Regierung“ weiter zu segeln, indem sie sowohl den
Bolschewiki als auch den anderen „sozialistischen“ Parteien je
zwei Sitze in der Regierung einräumen wollten.
Es fragt sich, warum sie eine solche Parole aufgegriffen
hatten? Wir verstehen, daß sie das gemacht haben, um eine Re*
gierung zu bekommen, die aus 14 Anhängern der bürgerlichen
Demokratie und als Aushängeschild aus zwei Bolschewiki be*
stehen sollte. Das war für sie ebenfalls ein Pseudonym. Offen:
bürgerliche Demokratie, Konstituante zu sagen, war nicht mehr
möglich. Niemand glaubte mehr daran. Wenn sie aber sagten:
„Homogene sozialistische Regierung“ — so haben daran noch
viele geglaubt. Und ich erinnere mich, wie die guten Arbeiter
der Putilow*Werke, ein Teil unserer Bolschewiki, zu uns kamen
und sagten: Homogene sozialistische Regierung, was ist denn
schlimmes daran?
Sozialistisch, dazu noch homogen, ja, alle nParteien werden
sich versöhnen, der Bürgerkrieg wird aufhören usw. . . . Was
brauchen wir denn noch mehr? Es ist besser, im Frieden zu
arbeiten und Brot herauszuschaffen, als sich mit dem Kriege
abzugeben.
Sogar ein Teil der guten Arbeiter der Putilow*Werke glaubte
noch daran, solange wir ihnen nicht erklärt haben, daß es
Situationen gibt, in denen man zu gewissen politischen Parolen
greift, um große Massen zu gewinnen. In solchen Fällen ist es
notwendig, die Absichten irgendwie zu verschleiern, irgend ein
Pseudonym zu finden.
Gegenwärtig befinden wir uns in einer solchen Lage. Um die
sozialdemokratischen Massen aufzurütteln, um sie allmählich vom
Teufelsspuk der Menschewiki zu befreien, müssen wir es ver*
stehen, die Parole pädagogisch zu formulieren: Arbeiterregierung.
Unsere Bedingungen sind einfach. Das Manöver ist voll*
kommen berechtigt und notwendig. Aber, wehe uns, wenn wir
bei der Anwendung dieses Manövers nicht begreifen, was wir
machen. Und es kam so, daß ein Teil des rechten Flügels die
Einheitsfronttaktik als eine wirkliche Vereinigung mit den
Menschewiki, als eine Uebergangsperiode von mehreren Jahren,
während der wir mit den Menschewiki eine gemeinsame parla*
mentarische Regierung bilden können, auszulegen begann.

Die Wurzel der rechten Abweichungen.


Wie ist die rechte Abweichung entstanden? Es ist kein Zufall.
Unser Kongreß zeigte, daß die rechte Abweichung auch in unserer
russischen Partei kein Zufall war. Mehr oder minder ähnliche
Abweichungen sahen wir im vergangenen Jahre auch in einer
ganzen Reihe anderer Parteien.
Natürlich nahm diese Abweichung in jedem einzelnen Lande
eine andere Form an, aber die allgemeine Richtung war dieselbe:
eine kleinbürgerliche Abweichung in einer Reihe von Parteien.
Woher *kam dies? Sind denn die Leute schlecht? Nein! Es
handelt sich darum, daß wir gegenwärtig auf dem Kreuzwege
stehen. Wir befinden uns zwischen zwei revolutionären Wellen,
die eine ist vorbei, die andere zieht heran. Wir sind ein wenig
zurückgeworfen worden. Diese neue Welle naht sehr langsam«
heran. Es ist jetzt Windstille. Wenn ihr die ganze Geschichte
des Sozialismus und der revolutionären Bewegungen durchblättert,
so seht ihr, daß es immer so war. In einem solchen Augenblick
ist es unvermeidlich, daß sich auf dem rechten Flügel eine ganze
Reihe von Illusionen, Phantasien anhäuft. In diesen Jahren der
Windstille sind rechte Abweichungen unvermeidlich. Das war
nicht nur bei uns, sondern auch bei einer ganzen Reihe
anderer Parteien der Fall. Man glaubt nicht so stark an die Re*
volution, man glaubt, daß der Stillstand lange dauern wird. Und
cs kommt die rechte Abweichung zum Vorschein, die bei unserer
Opposition einen eigenartigen Ausdruck fand.
Was ist der Opportunismus? Will man schließlich eine
einfache Definition geben, so würde er bedeuten: Einflüsse der
Ueberreste der bürgerlichen Ideen. Er nimmt verschiedene
Formen an, und seine Ursache liegt ganz und gar nicht darin,
daß die Leute schlecht sind. Wenn wir von jemandem sagen,
er ist ein Opportunist, so bedeutet das noch nicht: er ist ein
böser Mensch, er hat sich der Bourgeoisie verkauft usw. Nein,

183
wir leben und handeln im Rahmen der bürgerlichen Ordnung.
Sogar bei uns gibt es noch starke Ueberreste der bürgerlichen
Ideen. Unter den Verhältnissen der westeuropäischen Länder ist
das noch in größerem Maße der Fall. Wir sind vergiftet von der
bürgerlichen Ideologie und schlucken sie, ohne es zu bemerken,
so wie wir die Luft einatmen. Ueberreste bürgerlicher Ideen gibt
es in dieser oder jener Proportion überall.
Wenn ein Stillstand beginnt, dann kommt der Einfluß der
bürgerlichen Ideen stärker zum Vorschein. Die Bourgeoisie fühlt
sich stärker, zuversichtlicher und das stärkt den Einfluß ihrer
Ideologie. In solchen Zeiten bringen die Ueberreste der bürger*
liehen Ideologie des Opportunismus rechte, kleinbürgerliche Ab*
weichungen hervor. Das verflossene Jahr war eben dadurch
gekennzeichnet, daß diese Abweichungen in verschiedenen
Ländern verschiedenartig auftraten. In internationalem Umfange
kamen die Abweichungen darin zum Ausdruck, daß viele Ge*
nossen die Einheitsfronttaktik als die Taktik einer wirklichen
Koalition mit den Menschewiki auffassen. In diesem Sinne
mußten wir unsere Waffen vom Roste säubern. Natürlich, wenn
man den Rost nicht entfernt, dann wird die Waffe ganz unbrauchs
bar und dann kann sie uns nicht mehr den Dienst leisten, für
den wir sie brauchen.
In diesem Sinne brauchten wir keine neue Taktik auszu*
denken. Wir blieben ganz bei unserer alten Einheitsfronttaktik.
Wir mußten sie nur in der jetzigen, neuen Lage revolutionär aus*
legen. Wir sagten: Wir sehen das Auf erstehen der Menschewiki
Es brach eine ganze Periode des demokratischen Pazifismus
herein, eine Periode des menschewistisch*demokratischen Heils,
der menschewistische Bazillus dringt in die Nase und in die
Ohren. Daraus ziehen manche Genossen die Schlußfolgerung,
daß man mit den Menschewiki einen Block bilden müßte. Ganz
im Gegenteil. Der Kongreß sagt: rücksichtsloser und unversöhn*
licher Kampf gegen die Menschewiki. Wir müssen sie noch mehr
enthüllen, wenn sie den Arbeitern alles, was gut und schön ist,
versprechen. Um so mehr müssen wir jetzt unsere Waffen gegen
den Menschewismus, Pazifismus, gegen die demokratische
Träumerei, gegen die Arbeiterregierung Macdonald'schen Schlages
richten.
Der Hauptteil des Kampfes auf dem Kongreß wurde um diese
Frage ausgefochten. Das war der Kern aller taktischen Streitig*
keiten über mein Referat, zu dem 62 Redner das Wort ergriffen
haben.
Unsere Partei ging wie in allem auch darin voran. Wir ver*
treten sowohl den stärksten als auch den schwächsten Punkt der

184
Komintern. An der Spitze dieser neuen Abweichung in der Ko*
mintern steht Genosse Radek. Unsere Streitigkeiten mit Radek
sind euch schon bekannt. Ihr wißt, daß der dreizehnte Parteitag
den Standpunkt des Genossen Radek verurteilte. Genosse Radek
ist ein europäischer Kommunist. Er hat eine andere Ideologie.
Und diesen Irrtum erhebt er nun zur Krone der Schöpfung und
sagte, daß die Einheitsfronttaktik eine Koalition aller Arbeiter*
Parteien bedeute. Er sagte, daß wir in unserer Resolution das*
selbe gesagt hätten. In unserer Resolution sagen wir: die Taktik
der Einheitsfront ist ein Bündnis aller Arbeiterparteien, aber ein
solches, daß unter der Führung der Kommunisten steht, wobei
dieses Bündnis die Bourgeoisie entwaffnen, die Arbeiterschaft
bewaffnen und alle Kriegslasten auf die Bourgeoisie abwälzen muß.
Nun hat Genosse Radek nur die ersten Zeilen dieser Resolution
herausgegriffen und sagte: Genosse Sinowjew schrieb, daß er für
das Bündnis aller Arbeiterparteien ist; warum wollt ihr jetzt die
Taktik des IV. Kongresses revidieren. Aber Genosse Radek
hat es unterlassen, noch vier Zeilen weiter zu lesen, wo wir gesagt
haben, daß wir für eine solche Koalition der Arbeiterparteien
sind, die die Bourgeoisie entwaffnet, die Arbeiterschaft bewaffnet
und die unter der Führung der Kommunisten steht. Das ist
dieselbe Taktik wie damals, als wir gesagt haben: „Nieder mit den
zehn kapitalistischen Ministern“.
Genosse Radek verwandelte unser Manöver in eine selbst*
ständige Theorie. Anstatt selbst den Feind an der Kehle zu
packen, läßt er sich selbst einfangen. Er folgt selbst den sozial*
demokratischen Führern, anstatt ihnen die sozialdemokratischen
Massen abzugewinnen. Wie konnte das geschehen? In einer
Periode der Pfadlosigkeit, des Stillstandes der revolutionären Be*
wegung, wie wir sie jetzt haben, ist die Anhäufung gewisser
rechter Abweichungen unvermeidlich.

Die „Ultralinke“ der Komintern.


Auf der anderen Seite mußten wir gegen die sogenannte
ultralinke Abweichung kämpfen. Das mußten wir tun, seitdem
die kommunistische Internationale besteht. Was nennen wir eine
ultralinke Abweichung? Ist denn das etwas mehr linkes als der
Leninismus? Nein. Aber es gibt Leute, die so denken. Die
„linke“ Abweichung nimmt die verschiedensten Formen an. Es gibt
einen theoretischen Revisionismus, der sich „Ultralinke“ nennt,
der sich für die Revision des Marxismus und der Hauptgedanken 4

Lenins in bezug auf die Rolle des Staates ausspricht.


Es gibt zum Beispiel einen deutschen Genossen, (sein Pseu*
donym ist Boris,) der sich die Mühe gab, die Frage des Extra*
Profits zu bearbeiten. Das ist eine rein theoretische Frage. Wer
das ABC des Leninismus kennt, der weiß, daß der Leninismus
unter anderem auf der Behauptung beruht, daß die Sozial*
demokratie im Zusammenhänge mit dem Imperialismus zu einer
verräterischen Partei geworden ist. Was ist denn Imperialismus?
Er ist diejenige Periode des Kapitalismus, in der einzelne reiche
Länder auf Kosten der Kolonien durch deren Ausplünderung
Extraprofite erzielen können. Die Kapitalisten bekommen zum
Beispiel aus Indien oder irgend einem anderen. Lande einen
riesigen Profit, und aus diesem riesigen Haufen von Extraprofiten
verwenden sie kleine Groschen dazu, um die Spitzen der Ar*
beiteraristokratie zu kaufen. Dadurch ist die Basis für die Sozial*
demokratie geschaffen. Die Sozialdemokratie ist zu einer impe*
rialistischen Sozialdemokratie geworden. Das ist in zwei Worten
eine der Grundlagen des Leninismus. Nun gibt es überkluge
Leute, die sagen: ich stehe mehr links als Lenin. Was ist denn
das, der Extraprofit? Das ist ein einfacher Profit, Extraprofit
gibt es nicht“. Und sie versuchen, diesen Gedanken Wirtschaft*
lieh zu beweisen, ohne zu verstehen, daß sie dadurch den wich*
tigsten Stein aus dem Fundament des Leninismus entfernen.
Würde es wahr sein, daß es keinen Extraprofit gibt, so würde
das bedeuten, daß es keinen räuberischen Kapitalismus gibt. Wozu
brauchen die Kapitalisten neue Erdteile? Nun, gerade, um Extra*
Profite zu erzielen! Dort ist die Arbeitskraft billiger, dort ist
mehr Rohmaterial vorhanden, dort können sie leichter plündern,
dort erzielen sie einen größeren Gewinn als im eigenen Lande,
und aus diesen großen Summen geben sie kleine Groschen dafür,
um den privilegierten Teil des Proletariats zu kaufen. In Wirk*
lichkeit wiederholt der Genosse das, was die Sozialdemokraten'
sagen. Die Sozialdemokraten aus der II. Internationale sagen:
„Was ist denn das — Extraprofit? Was ist denn das — Arbeiter*
aristokratie? Alle Arbeiter sind gleich, wir sind ebensolche Ar*
beiter wie die übrigen, von einer Korruption ist hier keine Rede.“
Darin besteht die erste ultralinke Abweichung. Eine zweite
Abweichung ist der Austritt aus den Gewerkschaften. In vielen
Ländern haben wir menschewistische Gewerkschaften, wie wir sie
bei uns hatten, und nun gibt es „linke“ Genossen, die sagen: „Wir
werden nicht in den menschewistischen Gewerkschaften bleiben,
wir treten aus den Gewerkschaften aus und versuchen, eigene
Gewerkschaften zu schaffen. Ihr seid rechts, ihr wollt in gemein*
samen Gewerkschaften mit den Menschewiki sitzen, wir aber
sind wirkliche Leninisten.“ Ich mußte diesen Genossen über diese
Frage eine ganze Vorlesung halten.
Wollt ihr Leninisten sein, dann lernt erst, was der Leninismus
ist. Wir haben uns während der 25 Jahre öfter von den Mensche*

186
wiki getrennt, aber wir haben weder vor noch während, noch nach
dem Kriege, weder vor noch während, noch nach der Revolution
eine einzige Gewerkschaft gespalten. Warum? Darum, weil wir
wußten, daß die Gewerkschaften jene Organisation darstellen,
wo die ganze Arbeitermasse versammelt ist, die man um jeden
Preis von innen erobern muß. Kannst du die Gewerkschaften
nicht erobern, dann prahle nicht, daß du eine proletarische Revolu*
tion vollbringen kannst. Du wirst die bürgerliche Ordnung nicht
stürzen, wenn du die Gewerkschaften nicht erobern kannst. Dar*
um sind wir zähneknirrschend in den menschewistischen Gewerk*
schäften geblieben. Und Genosse Lenin sagte: „Wollt ihr die
Gewerkschaften verlassen, glückliche Reise! Ihr seid Deserteure.
Wir werden schon auch ohne euch auskommen. Seid ihr aber
wirkliche Bolschewiki, dann bleibt in den Gewerkschaften.“ Und
als General Subatow die Gewerkschaften organisierte, schickte
Genosse Lenin seine besten Schüler, wie den Arbeiter Babuschkin
in diese Subatowschen Gewerkschaften. Genosse Lenin sagte: „Er*
obere diese Gewerkschaften, dann wirst du ein wirklicher Revolu*
tionär sein. Haben die Menschewiki die Macht in den Gewerk*
schäften, dann mußt du ein, zwei, drei Jahre lang tüchtig arbeiten
und du wirst die Arbeitermasse erobern. Läufst du aber von den
Gewerkschaften weg, dann bist du nur ein Schreihals“.
Dasselbe müssen wir auch jenen Genossen sagen, die jetzt
die Flucht aus den Gewerkschaften in internationalem Umfange
predigen. Wir sagen ihnen: Wenn ihr die Gewerkschaften verlaßt,
so bedeutet das, daß ihr die Komintern verlaßt.
Die Menschewiki provozieren unsere Genossen, sie zwingen sie,
dumme Sachen zu unterschreiben. In Deutschland ist folgendes
vorgekommen: Der ADGB. zwang die Mitglieder der Gewerk*
schäften, einen Revers zu unterschreiben, wonach sich die Mitglie*
der verpflichten, keine kommunistische Agitation zu führen, nicht
der KPD. anzugehören, nichts Gemeinsames mit der Komintern und
der Prof intern zu haben. Die Hitzköpfe fragen: kann man denn
einen solchen Revers unterschreiben? Wir sagen aber: Man muß
unter Umständen fünf solcher Zettel unterschreiben und in den
Gewerkschaften bleiben. In den bürgerlichen Parlamenten muß ja
auch jeder Abgeordnete einen Eid dem König und, wenn es keinen
König gibt, dem Vaterland, das heißt, der Bourgeoisie leisten. Die
Kommunisten haben auch diese Frage zu lösen. Wir müssen den
Eid leisten und jeden Revers unterschreiben. Als unsere Genossen
Wladimir Iljitsch fragten, ob sie schwören dürfen, so sagte er:
Schwöre dreimal, nur arbeite illegal, so wie es notwendig ist. Wie
könnte man denn sonst die bürgerliche Ordnung ausnützen? (Der
ganze Apparat befindet sich ja in den Händen der Bourgeoisie.)
Könnten sie uns durch diesen einfachen Köder einfangen, dann

187
hätten sie es leicht. „Ich kann doch keinen Revers unterschreiben,
daher trete ich aus den Gewerkschaften aus.“ Das klingt etwa
ähnlich der Regel der Altgläubigen: „Trinke nicht aus fremdem
Becher, nur aus dem eigenen.“
Die Komintern gibt den deutschen Genossen den Ratschlag,
diese Reverse zu unterschreiben und fordert zugleich von der
Zentrale, daß sie die Erlaubnis für solche Unterschriften erteilt.
Das ist auch geschehen. Darauf kamen die Amsterdamer; ihre
Führer waren empört und sagten: „Seht, was für Jesuiten die
Kommunisten sind. Sie sagen, hols der Teufel, unterschreibt drei
Reverse, erfüllt nur eure Pflicht.“ (Beifall).
Das ist eine ziemlich elementare Frage, aber dort, wo die
Sozialdemokraten stark und unsere Genossen noch schwach sind,
dort, wo es keine solchen Führer gibt wie Genossen Lenin, dort
sind diese Erscheinungen begreiflich. Natürlich spricht aus den
Genossen das ehrliche Gefühl des Revolutionärs. Aber solche
Revolutionäre, die nur Gefühlsrevolutionäre sind, sind nichts wert.
Der Revolutionär muß einen Kopf haben, er muß vor allem ein
Verständnis dafür haben, welche Kerntruppen wir in den Gewerk*
schäften von innen erobern müssen. Nun, das war die zweite
Abweichung.

Bolschewismus oder Sektierertum.


Die dritte Abweichung vertrat Genosse Bordiga, einer der
besten Genossen, der sich aber in einem politischen Taumel zu
befinden scheint. Er vertritt eine sektiererische Strömung. In
Italien waren sowohl die Menschewiki als auch die künftigen Bol*
schewiki und auch das Zentrum bis Livorno in einer Partei ver*
einigt, sowohl Mussolini und Turati als auch Serrati, der eine
schwankende Haltung einnahm, und Bordiga, der künftige Kommu*
nist. So lebten sie einige Jahre lang und versäumten die Revolu*
tion: als sie ihren Mund mit heißer Milch verbrannten, begannen
sie auf das kalte Wasser zu blasen. Sie sagen: „Gebt uns eine
kleine Partei und keine große; wir wollen eine kleine, aber reine
Partei, rein wie Gold der „96“er Probe. Möge sie nicht mehr als
5000 Mitglieder haben. Wozu wollt ihr uns eine Massenpartei ein*
reden? In Deutschland gab es eine Massenpartei, und dennoch
hat sie sich der Bourgeoisie verkauft. MacDonald hat eine Massen*
partei und dabei ist die Partei eine bürgerliche Partei.“
Natürlich brauchen wir eine reine kommunistische Partei. Sie
muß es aber lernen, sich mit den Massen zu verbinden, sonst
werden wir zwar eine gute Partei haben, aber die proletarische
Revolution wird sie nicht machen. Wir brauchen eine Partei, die

ISS
es versteht, unter den Massen zu sein, eine Partei, die nicht nur
kämpfen, sondern auch siegen kann.
Bordiga sprach wie ein Mensch, der nur eine Seite, die linke
Seite, hat (und die andere verlor), als ob das irgend etwas Revo?
lutionär?Linkes wäre, dabei ist er ein guter Genosse, ein anstän?
diger Kommunist usw. . . Er sagt: „Wir wären in Eklektizismus
verfallen, wir wählen den Mittelweg, wir wären weder warm noch
kalt, wir schlugen zuerst auf die Rechten los, dann kehren wir
uns um und hauen die Linken. Sei denn das möglich?“ Wir
zeigten bereits, wie die bolschewistische Partei entstanden und
gewachsen ist, wie sie Genosse Lenin geschmiedet hat. Die Haupts
Schläge erhielten immer die Rechten, die Zentristen. Als aber
Leute kamen und sagten: „Wir wollen nicht in die Staats?Duma
hineingehen, schlug er auf sie los und sagte: Ihr seid umgestülpte
Menschewiki. Ihr glaubt, daß ihr Linke seid und ihr seid doch
Menschewiki. Wenn wir aus den Gewerkschaften austreten, so
tun wir das, was die Menschewiki brauchen; sie werden sie zu
ihren Festungen ausbauen.“
Das war die dritte Abweichung, die wir bekämpfen mußten.
Das Ergebnis war, daß wir die Rechte gehörig beim Arm packten.
Wir nahmen eine Resolution an, worin wir sagten, daß, wenn die
Rechte die Taktik so auslegen wird, wie sie sie ausgelegt hat, sie
nicht mehr der Komintern angehören kann. Was die Linken am
belangt, so war hier eine größere Ueberlegung angebracht. Hier
mußten wir nicht so sehr kämpfen als vielmehr propagieren.

Die Bolschewisierung der Komintern.


Eine der wichtigsten Fragen auf dem Kongreß war ferner
die Bolschewisierung der Parteien. Was ist das für ein Ding? Das
klingt so seltsam, Bolschewisierung. Die Parteien sind doch ja
ohnedies bolschewistische Parteien. In Wirklichkeit waren sie
bisher kommunistische, jetzt müssen sie zu bolschewistischen Par?
teien umgestaltet werden. Es muß hier irgend etwas nicht stimmen.
Das muß vielleicht so etwas sein, wie ein Bauer sagte: „Nieder mit
dem Kommunismus, es lebe der Bolschewismus“!
Nun, um dies zu begreifen, müssen wir die Geschichte der
internationalen Arbeiterbewegung kennen. Wie sind die kommu?
nistischen Parteien entstanden? Sie sind entstanden aus der Spal?
tung der alten Parteien. Die Partei besteht zur Hälfte aus Genossen,
die mit der Sozialdemokratie gebrochen haben, zum anderen Teil
aus der neuen Generation, die sich zu Ende des Krieges und nach
dem Kriege zu einem kommunistischen Kern ausgestaltete. Das
sind zwei Teile, die man klar voneinander unterscheiden kann. Ja,

189
sie sind Kommunisten im europäischen Sinne des Wortes. Aber
das bedeutet nicht, daß sie genügend bolschewistisch sind. Eine
wirkliche, bolschewistische Partei entsteht nur allmählich.
In Deutschland bestand die Partei zunächst aus etwa 15 000
bis 20 000 Spartakus*Leuten, sodann spalteten wir in Halle die
USPD. und bekamen von ihnen 300 000 ehemalige Sozialdemo*
kraten. Wir haben sie in Halle erobert; aber das bedeutet nicht,
daß sie zu wirklichen Kommunisten geworden sind. Sie wollten
Kommunisten werden, sie nannten sich Kommunisten, aber, um
sich zu wirklichen Kommunisten zu entwickeln, mußten sie noch
eine ganze Reihe von Kämpfen durchmachen. Einige Male wurden
sie durch die Bourgeoisie und die Sozialdemokratie geschlagen. Sie
mußten lernen, sich allmählich in eine bolschewistische Partei zu
verwandeln.
Nach dem ersten Jahrfünft der Komintern haben wir die
Parole herausgegeben: Bolschewisierung der Parteien. Früher war
unsere Parole: Heran an die Massen, sodann die Einheitsfront*
taktik, jetzt aber fordern wir zur Bolschewisierung der Parteien
auf. Zu den Parolen: Heran an die Massen, Einheitsfront, reiht sich
nun, nachdem wir sie vom „Radek’schen Rost“ gesäubert haben,
eine neue Parole: die Bolschewisierung der Parteien. Sie wird uns
durch den ganzen Entwicklungsgang des Klassenkampfes auf*
gedrängt.
Um Kommunist zu sein, ist es wenig, wenn man gegen die
Sozialdemokraten ist. Außerdem muß man noch sagen können,
welchen Weg man einzuschlagen hat, wie man kämpfen und um
welches Program man sich scharen wird. Es spielte hier der Tod
Lenins eine große Rolle. Das war ein schwerer Schlag für die Ar*
beiterklasse. Jeder hat es begriffen, daß unser größtes Genie, unser
geliebter Lehrer, der sich ganz der Sache der Arbeiterschaft
widmete, dahingeschieden ist. Jeder sagte: „Wir wollen Leninisten
sein.“ Was bedeutet das? Bedeutet das eine Ehrung für den Ge*
nossen Lenin? Das wäre wenig. In einer bolschewistischen Partei
zu sein, das bedeutet, daß wir unsere Partei bolschewisieren wollen.
Man begann ernstlich darüber nachzudenken; die Frage bezieht
sich nicht nur politisch, sondern auch organisatorisch auf ein großes
Gebiet. Die Mehrheit der kommunistischen Parteien ist eigentlich
nicht bolschewistisch organisiert. Unser Organisationstypus er*
fordert, daß wir in jeder Fabrik unsere Zelle haben sollen. Das
ist für uns das ABC. Unsere Hauptbasis ist die Betriebszelle. Bei
den meisten Parteien ist aber die Hauptbasis der Wohnbezirk,
die territoriale Zelle, ohne Betriebszellen zu haben. Ihre unterste
Zelle ist die Zelle einer ganzen Straße, eines Stadtviertels oder
eines Bezirkes. Woher kommt das? Das ist ein Ueberrest des
sozialdemokratischen Organisationstypus. Das war der Organisa*

190
tionstypus einer Partei, für die die Hauptsache die Vorbereitung
der Parlaments^ und sonstigen Wahlen war. Hierzu ist die Wohn*
bezirksorganisation, das territoriale System geeignet. Dieses System
haben unsere Parteien aufrechterhalten.
Wir müssen uns aber jetzt umbauen. Darum geht jetzt der
Kampf von den kleinsten bis zu den größten Fragen, bis zu den
Fragen der Taktik. Der Kampf geht jetzt um die Bolschewisierung
der Partei. In diesem Sinne ist die Parole der Bolschewisierung
der Partei herausgegeben worden, und sie ist eine der wichtigsten
Parolen des V. Kongresses.

Die Bauerninternationale.
Es wurde noch die Agrarfrage und die nationale Frage erörtert.
Wir haben es gelernt, wie man die Taktik des Leninismus anzu*
wenden hat. Wir sagten unseren Bruderparteien: das Wichtigste,
was ihr braucht, ist eine richtige Gewerkschaftstaktik, eine richtige
organisatorische Zellentaktik, eine richtige Taktik in der Arbeit
unter der Bauernschaft und eine richtige Linie in der nationalen
Frage. Nur dann werdet ihr wirkliche bolschewistische Parteien
sein.
In den Reihen der Bauernschaft geht jetzt eine wichtige Wand*
lung vor sich. Ihr habt wahrscheinlich schon alle von der kroath
sehen Bauernpartei, die unter Führung Radies steht, etwas gehört?
Radic ist jetzt in Moskau. Er ist ein wirklicher Volksführer. Die
kroatische Bauernschaft bildet einen Teil des jugoslavischen
Staates. Sie ist auch national unterdrückt und ist daher noch re*
volutionärer. Hinter Radic steht buchstäblich die gesamte arme
und mittlere Bauernschaft Kroatiens. Kroatien stellt einen be*
deutenden Teil Jugoslaviens dar. Es ist ein kleines, typisches
Bauernland. Radic hat jetzt im Namen seiner Partei den Anschluß
an die Bauerninternationale vollzogen. Wir halten das für ein sehr
wichtiges Ereignis. In welchem Sinne? In dem Sinne, daß die
Bauerninternationale sich aus einer Idee in Fleisch und Blut ver*
wandelt. Die größten Volksparteien, die national und wirtschafte
lieh unterdrückt sind, beginnen sich ihr anzuschließen.
Der Komintern kommt eine große Bauernorganisation zu Hilfe,
die in europäischem und im Weltmaßstabe heranwächst. Die Grüne
düng der Bauerninternationale war ein äußerst wichtiges Ereignis.
Wladimir Iljitsch, der zur Zeit der Gründungskonferenz der Bauern*
internationale schon krank war und ihren Verlauf nur aus den
Zeitungen verfolgen konnte, legte ihr eine große Bedeutung bei.
Es gab Genossen, die nicht daran glaubten, daß dabei etwas Großes
herauskommen wird. Jetzt ist es schon ganz klar, daß sie sich zu

191
einer großen Organisation entwickeln wird, etwa in der A rt des
Bauernbundes von 1905.
Die Bauernschaft hat sich nach dem Kriege in ganz Europa
verändert. Der Krieg hat den Bauer empfindlich getroffen, der
Bauer ist nicht mehr wie er war. Wir bekommen jetzt eine große
Hilfsmaschine, die Bauernschaft. Der Arbeiter kann in Europa
nur dann siegen, wenn er über eine Hilfskraft verfügt, und die
Bauerninternationale gestaltet sich zu einer solchen Hilfskraft aus.
Wenn sich die ganze kroatische Partei ihr anschließt, das bedeutet,
daß sie noch mehr wachsen wird.
Auf dem Kongreß hat sich der Weg ganz klar herauskristalli*
siert, auf dem wir zum Siege der Revolution gelangen. Es gibt einige
Pfade, die dann in eine große Straße münden. Der Hauptweg ist
die Komintern selbst, der Bund der politischen Parteien des
Kommunismus, die allmählich zu bolschewistischen Parteien wer*
den. Sodann kommt die größte Hilfskraft, die Rote Gewerk*
schaftsinternationale, die nicht nur kommunistische Arbeiter, son*
dern alle Arbeiter in sich vereinigt, die mit den roten Gewerk*
schäften sympathisieren.

Die Alten und die Jugend in der Komintern.


Dann kommt die Jugendinternationale, die während des letzten
Jahres zahlenmäßig um 50 Prozent gewachsen ist. Auf dem
IV. Kongreß zählte sie 750000 Mitglieder, auf dem V. Kongreß be*
reits 1 060 000. Vor unseren Augen ist aus der Kommunistischen
Jugendinternationale eine neue Führergeneration emporgewachsen.
Ich könnte einige mit Namen nennen. Ich nenne nur den Fran*
zosen D oriot. Ich kenne diesen jungen Genossen schon seit mehre*
ren Jahren. Er ist bereits Mitglied der Exekutive der Jugendinter*
nationale gewesen. Zweimal saß er in Frankreich im Gefängnis,
machte selbst den Hungerstreik durch und wurde bei den jüngsten
Wahlen durch die Pariser Arbeiter ins Parlament gewählt. Die
französischen Arbeiter haben ihn dem Kerker entrissen. Das ist
schon ein wirklicher bolschewistischer Kommunist, ein bewußter
Leninist, der im Schoße des kommunistischen Jugendverbandes
aufwuchs. Es gibt solche jungen Eichen in allen Parteien. Das
ist die neue Führergeneration, die sich zu wirklichen kommunisti*
sehen Führern ausbilden werden, bei denen es keine sozialdemo*
kratische Erbschaft mehr geben wird.
Man spricht jetzt viel von der alten Garde. Genossen, es gibt
verschiedene alte Garden. Auf dem Kongreß sagte zum Beispiel
Genosse Thalheimer: „Ihr seid in Rußland für die alte Garde,
wir sind auch eine alte Garde. Warum seid ihr denn gegen uns?

192
Genosse Bucharin hat ihm sehr volkstümlich erklärt, daß wir nicht
für jede alte Garde sind. Es gibt verschiedene alte Garden. Kommt
es denn auf das Alter an? Ist es denn um so besser, je älter man
ist? Wir sind darum für unsere alte Garde, weil sie sich im Kampfe
gegen den Menschewismus gestählt hatte und nicht, weil sie alt
ist. Wir schätzen die Alten, aber das bedeutet nicht, daß wir ihnen
darum die politische Führung überlassen. Die politische Führung
muß jenem Genossen überlassen werden, der politisch richtig führt
und den menschewistischen Opportunismus nach allen Regeln der
Kunst erledigt. Neben dieser verwässerten alten Garde, die noch
starke Ueberreste der Sozialdemokratie in sich trägt, wächst eine
neue Generation von wirklichen Kommunisten aus der kommu*
nistischen Jugend empor.
Wenn wir die geographische Karte der Revolution im Sinne
ihrer Organisation aufzeichnen wollten, so würde sie folgendes
Schema zeigen: „Die erste und Hauptlinie ist die Komintern,
der Bund der kommunistischen Parteien, sodann die Profintern
als erste Hilfskraft, nach ihr die Kommunistische Jugendinter*
nationale als zweite Hilfskraft.
Die dritte Hilfskraft ist die Bewegung im Nahen und Fernen
Osten, in Indien, China, in der Türkei usw., wo sich große Ar*
beiterstreiks abspielen. Die Entwicklung der Bewegung in diesen
Kolonien erinnert an unsere „Gruppe der Befreiung der Arbeit“.
Nur ist dort die Bewegung stärker. Die „Gruppe der Befreiung der
Arbeit“ war in Rußland im Jahre 1883 allein. Es gab damals keine
Komintern, die sie unterstützt hätte. Jetzt steht aber der ersten
Gruppe in Indien, an deren Spitze Genosse Roy steht, die ganze
Erfahrung der Komintern zur Verfügung. Sie kann sich der
Lehren Lenins bedienen.
Die revolutionäre Welle wogt im Osten hoch empor. Wladimir
Iljitsch hat in seinen letzten Lebensjahren nicht selten auf den
Osten hingewiesen: „Das, was im Westen vor sich geht, ist sehr
wichtig, aber das, was im Osten vor sich geht, ist noch wichtiger,
weil es der Revolution einen Weltumfang verleiht.“ Am Todestage
Wladimir Iljitschs sagte ich bereits, daß der Leninismus sich erst
zu entfalten beginnt, und daß wir die wirklichen Triumphe des
Leninismus erst in der Zukunft erleben werden. Und wenn wir
die Entwicklung der Bauerninternationale ins Auge fassen, dann
überzeugen wir uns davon, daß die Hauptidee des Bolschewismus,
das Bündnis der Arbeiterklasse mit der Bauernschaft — sich in
internationalem Maßstabe zu entwickeln beginnt. Wir sagen, das
ist gerade der Beginn des weltumfassenden Triumphes des Leni*
nismus.

193
Auf dem Weg zum Sieg. «

Auf dem letzten Kongreß hatte ich mehr als je den Eindruck,
daß die Sache in Ordnung ist. Noch zwei, drei Jahre solcher Ar#
beit, und keine Kraft wird mehr diese Parteien schlagen können.
Sie sind so stark in den Massen verwurzelt, sie sind schon so
bolschewistisch geworden, daß sie keinen Sturm, kein Toben der
Reaktion mehr zu fürchten haben. Wir sehen schon jetzt konkret
den Plan der Organisationen, durch die wir zum Siege gelangen.
Hätte man vor fünf Jahren Wladimir Iljitsch gefragt', durch welche
organisatorischen Wege wir zum Siege gelangen, dann hätte er ge*
antwortet: „Wir sind Kommunisten. Die Diktatur des Proletariats
ist unvermeidlich, die Mehrheit der Proletarier gehört uns. Unser
Stern geht auf. Wir werden siegen.“ Wie das aber konkret vor
sich gehen wird, haben wir nicht gewußt.
Jetzt sieht jeder diesen Weg: die Hauptorganisation ist die
Komintern mit ihren drei großen Hilfsorganisationen: der Provin*
tern, der Organisationen im Osten, der Bauerninternationale und
mit anderen kleineren Hilfsorganisationen, von denen ich hier
nicht sprechen werde, wie die „Rote Hilfe“, die „Arbeiterhilfe“,
die „Sportinternationale“ usw.
Das sind die wichtigsten Kanäle, durch die die Bewegung zu
einem mächtigen, riesigen Strom zusammenfließt, in dem der
Kapitalismus endgültig ertrinken muß. In diesem Sinne können
wir sagen, daß wir den Kongreß mit der Ueberzeugung verließen,
daß unsere Kräfte unaufhörlich wachsen, daß wir zahlenmäßig viel
stärker geworden sind, als die II. Internationale in den Jahren
ihre* früheren Entwicklung gewesen ist.
Die Wahlresultate sind euch bekannt. Ueberall sind wir zahlen*
mäßig gewachsen, wir sind bedeutend stärker geworden, aber die
Gefahren sind auch sehr stark gewachsen. Uns droht die Gefahr
der rechten Abweichung, die eine Erbschaft der sozialdemokra*
tischen Vergangenheit ist. Diese Gefahr ist unvermeidlich, da
wir zu einer mächtigen Kraft geworden sind, die Organisationen
der kommunistischen Jugend zählen ja allein über ein Million
Mitglieder, die Profintern umfaßt mehrere Millionen Arbeiter. In
Indien und in der Türkei sehen wir die Anfänge einer großen
Klassenorganisation. Darum haben wir diesen Kongreß mit dem
zuversichtlichen Bewußtsein verlassen, daß unser Werk fort*
schreitet.

Das Anwachsen der internationalen Verbindung.


Ich will mich noch mit einer anderen Seite der Sache beschäf*
tigen, die nicht mit der revolutionären Vernunft, sondern mit dem
revolutionären Gefühl in Zusammenhang steht. Diesem Kongreß

194
wohnte eine Menge von Arbeiterdelegationen aus den Fabriken
und Werkstätten, sowie Delegationen der Rotarmisten bei, es
kamen Pioniere aus Weißrußland usw. . . . Und diese Verbrüde*
rungsszenen hatten einen unglaublichen Eindruck hinterlassen. In
der Schlußsitzung sah ich einen alten Moskauer bolschewistischen
Arbeiter und einen deutschen Arbeiter, der mehr als fünf Jahre
Kerker hinter sich hat und auch auf den Barrikaden kämpfte. Sie
konnten ihre Tränen angesichts dieser Verbrüderungsszenen nicht
zurückhalten.
Unsere Internationale gestaltet sich eigenartig aus. Die Fa*
briken eines Landes verbrüdern sich mit denen anderer Länder:
so überbrachten zum Beispiel eine Fahne: die Belegschaft der
Putilowwerke der Belegschaft der Kruppfabrik, die Arbeiterschaft
der „Treugolnik“*Fabrik den chemischen Arbeitern Deutschlands,
unsere Textilarbeiter den französischen Textilarbeitern usw. .. .
Auf den ersten Blick scheint das eine Kleinigkeit zu sein. Wir
haben während der Revolution viele solcher Szenen gesehen,
aber in Wirklichkeit zeugt das von einem tatsächlichen Wachsen
der internationalen Verbindung.
Die Komintern wächst in eigenartiger Weise. Solche Ver*
brüderung der Arbeiter von Fabrik zu Fabrik, von Bergwerk zu
Bergwerk war in der II. Internationale absolut unmöglich. Mir liegt
ein kleiner Artikel des Herrn Vandervelde, des Vorsitzenden der
II. Internationale, vor. Unlängst fand in Wien ein Kongreß dieser
Herren statt. Der Artikel trägt die Ueberschrift: „Zwei Photo*
graphien“. Vandervelde erzählt darin, wie sie sich im Jahre 1914
vor dem Kriege versammelt haben, wie sie den Krieg nicht be*
kämpfen konnten und sich jetzt nach zehn Jahren wieder in Wien
versammeln. „Nun habe ich“, schreibt Vandervelde, „zwei Photo*
graphien vor mir. Die eine von damals, die andere von heute. Ich
kann sie nicht ohne Rührung anschauen. Was sehe ich an der
ersten Photographie? Ich sehe da den gegenwärtigen Reichspräsi*
denten von Deutschland, Ebert, drei heutige Minister, Macdonald,
Stauning und Branting, sieben ehemalige Mitglieder anderer Re*
gierungen.“ — Darüber bricht Vandervelde in lyrische Lamenta*
tionen aus. Das ist die Gefühlsseite der II. Internationale. Das
sind ihre Gefühle: seht nur! sieben ehemalige Minister, so und
so viel zukünftige Ministerlakeien der Bourgeoisie usw. . . . Ver*
gleicht es mit dem Gefühlsfaktor unserer Internationale. — Unser
Gefühlsfaktor hat für die Revolution manche Bedeutung.
Das Gefühl allein ist wenig. Aber es ist unmöglich, eine Re*
volution ohne Gefühl, ohne Herz, ohne Seele zu machen. Der
größte Vorwurf, den Max Adler seiner eigenen II. Internationale
in seinem Nachruf für Lenin machte, war folgender: er sagte,

t
13* 195
- V

daß Lenin vor der II. Internationale den einen Vorzug hatte, daß
die II. Internationale ohne Seele ist. Das hat er geschrieben. Nicht
weniger, nicht mehr — ohne Seele! Alles übrige ist anscheinend
am richtigen Platze, nur die Kleinigkeit — die Seele fehlt.
Nun, diese psychische emotionelle Seite, das gesunde revolu*
tionäre Gefühl der unterdrückten Klasse kam auf unserem Kon?
greß mit einer so großen Anschaulichkeit zum Ausdruck, wie man
es nur wünschen kann. Ein Arbeiter sagte auf unserem Kongreß:
„Wladimir Iljitsch hat die Partei so zusammengeschweißt, daß
man sie jetzt mit keinem Instrument entzweien kann. Es gibt
bei uns Metallarbeiter, Heißschweißer und Kaltschweißer. Nun*
wir brauchen eine heiße Schweißung und wir hoffen auch, daß die
Komintern wirklich heiß geschweißt ist.“
Ich will es bezeugen, daß das eine Wahrheit und keine Phrase
ist, es gab bei uns Richtungskämpfe, es gab schwache Seiten, aber
im ganzen sind wir eine wirklich heißgeschweißte Organisation,
eine Organisation, die die proletarischen Revolutionäre brauchen,
um die Sozialdemokratie zu zerschlagen und den Sieg zu erringen.
In diesem Sinne hat die Komintern alles erfüllt, was sie in der
ersten Sitzung versprochen hat. Sie ging den Weg, den uns Wla*
dimir Iljitsch vorzeichnete. Alle waren vom heißen Wunsch be*
seelt, die Parteien in wirklich leninistische Parteien zu verwandeln,
in eine mächtige proletarische Organisation, die ihre historische
Aufgabe erfüllen kann. (Langanhaltender Beifall).
%

• 1
Vs
#s
D

> x i
«. >•

i > «■

%.' >/T*
ZA
k\
•V ^ C

:-i - >
-rv

••
•,* * r.'
4— . i

- ’/ •v.
yn. ** -
ft'

AV T

*-’7% t + __- *2*


w 1♦! u^ .#?. r
/
•. i»
:t : ■VV*>
H■ A

J-*
JA
Ml“v. « •>
. ^ «:>• ~V*
■ f t ‘ .

£ £
'. 7 * \*
- -V f. v ./ * r W .
> * ' hL * < m
'• ’
/. / 'V rf1 •<

- .- *r■ .* , |• > « •*
t I *-r 9

4.*
:--■

«"» A
T * * - V * * : ' ‘ ’ - . - V
>• ■- •♦ ». ■ . - v f •• v
I. ' . •.
V >r' ’ *- A4
» '*
t •'
\
^
b
‘ ;.gk s£ v --• ^ •) >
v :? - ' “ ä k *•■ « V *. . , •^ . .- ' * s - : t-.«*
V «.
Alt
.^ r : ' 5 ^ * r ^ T ; « I

* .
- * “
' • /:
. * ■•
- *«
* •
. •*
_

-•
*• X 3 Ä E S

^ i\ * . ^ *-■ * .r •■*■ -.a , v * * r ^ -

r- v
»v :-.

•V 44

•v ? i<
’ .
A

r
t *
.1 M
__
1^ r V >

>jp *&>*-;_/< uy * - -:4,v ■;< ~ ,


. •\
*V
-
: i .- ' ‘7 ? # - ■•*- , rV>
K r* itl*'* *’ ^ .i •*•“ ■‘« v ^ v Vt/
*i
j 5 £ * ; > ' ^ . *• ' , ‘
‘^ O 4 . f* ^ - ' " .’ * *
•-* - ( -4^ -j > . • b (* .♦ . J L ** - i» ' l - f» ■ « .J . ’ .V ^
r ;J - < /
,V T " - ‘ V l-\ .- .- , 1- - •
3 *' : 1 * _. ■ . * . ? • ..:fi i «
v • . * • * * riP FT».*
•* ^ *r- w 1
'> 1 * ' j i : > •
•__•j
“V'l
■<■ < — ------------------------------ ---- ■ * - ,7
- fy
C'. '•,« ■' ^ ■ ■»
rt k
- - '' H
. i r* */ hj%Äi\L
• »J
•■■ .' ■ - , { • • • - ■ & > - • W
Z’ T?‘
;* 7 - ; . - i ; ^ V ^ '*>.'4
_ 4- . »

r*vr^.4 *

L“ ‘
“ •T t,“
»5^*.

*-
I»- "V

* - ’f L^-
'K

^*
:,^ y r-* r-r^ - y ‘*£Xj s v v. '- ■' : V ••
«4
H r :• -v;V - ’ - v •
''
'- ? ' &
^ --.*.
£ ' ' j1£-
/ *5 •>
. . - ''*.
- /'•- * *
" ■: ‘ - 'r - L i •:* -, £ ■■-■■ \£c23?
ls 6>i
>.*. . ' '■
l : 5 X ' -. * l r.* -.
- b,
^ . - • , M- , * - *
**
- - - g -

.“
>♦
t
•F
•• •
rf---? -V.*s- «'tr-.'aäi*:
I*-
; •-»]

V
■Sv^yvi
L ^ i 5>i V 1 A

Jrt
i* s=-
‘J w ii
/? p
» •

-2
^ r^ 1
- ’y ^ *
k-t 'i
I - s •
- ^^
• > S»T . r
^ ^ — a E
1 ■# JL - / v 'L i. * -

.!• 4 M>

*• ^
1• -«

iv ts -*
< •‘ j’
i SP ^j*5- -7^,
‘* £ j r • - r' «
S f c

v* -r

.•Wtm £ £ a -v
n=^
’A* >I - r
^ ^ ^AJ . S ^ r i l S k l
Tri • *“l*
»r.
.X1..*'.

':VSc <U
' ■
r*TA.

»•. j*?

> / J .:
>. v>

:a 3
s>^.
_ r f»T«
/ . (V
i , v .»
{M i

»• « ic # y
L -r.
V -t1 ,“ ,A ^
\> r - j
7 */ ♦ r jÄ i
* >fk w
5W

i _ r
RESOLUTION
ZUM BERICHT DER EXEKUTIVE DER
KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE

Volle Billigung der Tätigkeit der Exekutive.


Der V. Kongreß der Komintern' heißt vollständig die Tätig*
keit der Exekutive nach dem IV. Kongreß gut und stellt fest, daß
die richtige und feste Führung der Exekutive wesentlich zu dem
Resultat beigetragen hat, daß die Kommunistische Internationale
auf dieser Etappe der wildesten Angriffe des um seine Diktatur
kämpfenden Kapitals fast überall mit gesteigerten Kräften hervor*
gegangen ist.

Uebersicht über die verflossenen Kai pfe.


II

In dieser Zeitspanne von eineinhalb Jahren steigert sich die


schon früher begonnene Offensive des Kapitals in den meisten
kapitalistischen Ländern zu heftigen Ueberfällen auf das revolu*
tionäre'Proletariat, so in Bulgarien, Italien, in Deutschland, Polen,
Finnland, Rumänien, Jugoslavien, Spanien, Japan und Indien. So*
gar in Frankreich standen auf der Tagesordnung Repressalien
gegen streikende Arbeiter und zahlreiche Verhaftungen der
Kommunisten, in der Tschechoslowakei Ausnahmegesetze gegen
die Kommunisten, in Oesterreich faschistische Bluttaten, in Nor*
wegen während mehrerer Monate brutale Polizeiüberfälle, ver*
schärfte Klassenjustiz und Bildung von Weißen Garden gegen
die Arbeiterklasse.
Diese gewaltsamen Angriffe bestand die Kommunistische Be*
wegung nicht ohne schwere Verluste, auch nicht überall ohne
große Fehlgriffe und Entgleisungen. In keinem Lande war aber
die kapitalistische Gewalt imstande, die Organisation der kommu*
nistischen Vorkämpfer zu zerschlagen oder ihre Verbindung mit
den Massen des Proletariats abzuschneiden. Nicht einmal in Ita*
lien vermochte die systematisch betriebene Ausrottung des Kom*
munismus die mindeste Einbuße seines Masseneinflusses zu er*
reichen — nicht einmal während der Parlamentswahlen. In Bui*
*

garien zeigte sich, daß nach der blutigsten Niederwerfung des


Widerstandes der unter der Führung der Kommunisten sich ver*
teidigenden Arbeiter* und Bauernmassen, sich diese Massen bei
den Wahlen wieder um die Fahne der kommunistischen Partei
scharten. Nach der schwersten Niederlage der revolutionären Be*
wegung in Deutschland, nach einer darauffolgenden gefährlichen
inneren Krise und nach den brutalsten äußeren Verfolgungen raffte
die Komunistische Partei Deutschlands ihre Reihen rasch zu*
sammen, schaffte sich eine feste Führung und demonstrierte durch
einen glänzenden Wahlsieg mit dreidreiviertel Millionen Stimmen
ihre revolutionäre Kraft größer und fester als jemals zuvor. Auch
in Frankreich und in der Tschechoslowakei war schon aus den
kommunistischen Wahlsiegen das entscheidende Anwachsen des
Masseneinflusses des Kommunismus zu erkennen.
Während dieser großen Klassenkämpfe hat das Exekutiv*
komitee eine Reihe der wichtigsten Schritte unternommen, die
geeignet waren, für die richtige Leitung der Sektionen der K.I.
von entscheidender Bedeutung zu sein; insbesondere will der Kon*
greß folgende Fälle feststellen:

Die Lage in Deutschland.


1. Bei den internationalen Konferenzen in Essen und Frank*
furt im Frühjahr 1923 zeigte die Exekutive richtig die praktischen
Aufgaben der gesteigerten revolutionären Vorbereitung, die aus
der Ruhrbesetzung dem europäischen Proletariat, vor allem den
kommunistischen Parteien Deutschlands und Frankreichs er*
wuchsen.
2. Als das Anschwellen der revolutionären Massenbewegung
im August die Nähe einer für den entscheidenden Machtkampf
in Deutschland günstigen Situation signalisierte, forderte die Exe*
kutive die sofortige Orientierung der Partei auf die unmittelbare
M achteroberung, sicherte zu diesem Zwecke der KPD. die größt*
mögliche Hilfe zu und mobilisierte mehrere andere Sektionen zur
kräftigen Unterstützung der deutschen Revolution.
3. Nach der fast kampflosen Oktoberkapitulation in Deutsch*
land, der Kapitulation, die infolge des Verrats der sozialdemokra*
tischen Führer und des Versagens der kommunistischen Partei*
führung erfolgte, war es durchaus richtig und notwendig, daß die
Exekutive, von der starken linken Strömung in der deutschen
Partei aufmerksam gemacht, mit Unterstützung der deutschen Lin*
ken die opportunistische Haltung der deutschen Parteizentrale, vor
allem die Verdrehung der Einheitsfronttaktik beim sächsischen
Regierungsexperiment verurteilte und sich entschloß, daraus durch

2 00
einen verschärften schonungslosen Kampf gegen den Opportunist
mus die politischen und organisatorischen Konsequenzen zu ziehen.
4. Schon früher hatte die Exekutive entsprechend der Auf*
fassung der Linken nicht nur die opportunistischen Entgleisungen
des Leipziger Parteitages der K.P.D. kritisiert, sondern auch die
in Leipzig zusammengesetzte Parteizentrale zweimal vor dem
Oktober mit den Vertretern der linken Opposition ergänzt. Jetzt
wurde durch die Mitwirkung der Exekutive die Vereinigung der
Linken und des Zentrums zum Kampfblock gegen die Rechte zu*
stände gebracht und diesem Block die Parteileitung übertragen in
der Zuversicht, daß die Mitgliedermassen der Partei diese Aus*
Schaltung der politisch bankrotten Rechten billigen und bestätigen
würden, wie es dann auch geschah. Infolge dieser entschlossenen
Lösung seitens der Exekutive wurde sowohl der K.P.D. geholfen,
als auch die infolge der unüberbrückbaren inneren Gegensätze
drohende Spaltungsgefahr überwunden und auch das Anwachsen
der deutschen Parteikrise zu einer Krise der gesamten Komintern
infolge der Panikstimmung, die sich bereits hier und da bei un*
sicheren Elementen fühlen ließ, verhindert. Das Verdienst daran
trägt auch die deutsche Arbeiterklasse, ebenso wie die deutsche
Partei, die mit der größten' Energie die rücksichtslose Ausmerzung
der rechten Abweichungen gefordert hat, und die in sich selbst mit
der Unterstützung der Internationale die Kraft fand, eine so
schwere Krise ohne Entmutigung und ohne Schwächung ihrer
Kampfkraft zu überstehen.
5. Angesichts der Gefahr der rechten Abirrungen, die sich in
der Durchführung der Einheitsfronttaktik viel größer gezeigt
hatten, als man früher voraussehen konnte, wies die Exekutive
auf das entschiedenste alle opportunistischen Auslegungen zurück,
ebenso jeden Versuch, aus der Einheitsfronttaktik etwas mehr als
eine revolutionäre Methode der Agitation und Mobilisierung der
Massen zu konstruieren, wie auch jeden Versuch, mit der Losung
der Arbeiter* und Bauernregierung nicht eine Agitation für die
proletarische Diktatur; sondern eine Koalition für die bürgerliche
Demokratie zu erzielen. Ebenso betonte die Exekutive entgegen
den opportunistischen Auffassungen über die Bedeutung der
Sozialdemokratie ihren wahren Charakter als den linken Flügel
der Bourgeoisie.
6. Auf Grund der Lehren der deutschen Ereignisse in bezug
auf die Entwicklung der Parteiorganisation wurden von der Exeku*
tive sowohl in Deutschland als auch anderswo energische Schritte
zum Aufbau der Betriebszeilen als der Grundlage der Parteiorga*
nisation eingeleitet. Diese Schritte führten bereits in einigen
Ländern zu einem nennenswerten Beginn des Betriebszellen*
Systems.

201
7. Gegenüber der kurzsichtigen opportunistischen Passivität*
die sich in der Haltung der bulgarischen Parteileitung in bezug auf
den Juni*Staatsstreich zeigte, suchte die Exekutive sofort durch
eine offene, sehr nachdrückliche Kritik die Partei auf den Weg einer
ernsten Vorbereitung zum Kampfe beim voraussichtlichen neuen
Ueberfall der Konterrevolution hinzudrängen. Es gelang damals
jedoch nicht, der Parteileitung genug Verständnis für den Stand*
punkt der Exekutive beizubringen. Auf Grund der Erfahrungen
der Niederlage wurde dieser Standpunkt der Exekutive als Platt*
form angenommen, auf deren Grundlage die K.P.B. ihre Reihen
wieder zusammenschloß und sich von dem verfaulenden rechten
Flügel befreite.

Die Konsolidierung der französischen Partei.


8. Ebenso wurde durch die Mitwirkung der Exekutive in
Frankreich mit der Unterstützung der Mehrheit des Z.K. die
K.P.F. von dem größten Teil des. opportunistischen Ballastes ge*
reinigt und so die Partei konsolidiert.

Der Kampf der Kommunisten in Norwegen


Unter den größten Schwierigkeiten ging das in N orw egen, wo
die Kommunisten als eine schlecht organisierte Minderheit in der
opportunistischen „Arbeiterpartei“ einen schweren Fraktionskampf
führen mußten und dabei ständig der Gefahr ausgesetzt waren,
durch die rücksichtslose, dem Kommunismus feindliche Partei*
führung abgesägt zu werden. Nachdem die maßlose Selbstüber*
hebung der opportunistischen Führer der N.A.P. sich zur offenen
systematischen Sabotage der Beschlüsse der Komintern ent*
wickelte und nach der Oktoberniederlage in Deutschland in feiges
Desertierertum umschlug, war es unmöglich, dieses Treiben im
Namen des Kommunismus weitergehen zu lassen. Obgleich es
vorauszusehen war, daß im Falle des Bruches der Parteiführung
der N.A.P. mit der K.I. ein Teil der guten Proletarier in der Mit*
gliedschaft vorläufig mit ihren antikommunistischen Führern
gehen würde, mußte die Exekutive vom Parteikongreß der N.A.P.
•eine klare Entscheidung für oder gegen die loyale Zusammenarbeit
mit der Internationale fordern. Das führte zur Spaltung der
Partei und zur Gründung der selbständigen Kommunistischen
Partei in Norwegen. In einem halben Jahre hat die K.P.N. durch
ihre Tätigkeit, vor allem durch ihre einflußreiche Beteiligung an
den großen Arbeiterkämpfen, die Autorität einer revolutionären
Massenpartei gewonnen.

202
Das Echo vom Kampf der norwegischen Gegner der Komin*
tern, das sich in Schweden durch den Angriff der rechten Elemente
lautbar machte und zu der panischen Stimmungsmache mitwirkte,
wurde von der Exekutive zurückgewiesen.

Ungenügende Aktivität der polnischen Partei.


9. Die polnische Partei hat auf ihrem II. Parteitag 1923 unter
tätiger Mitwirkung der Exekutive der Komintern die Beschlüsse
angenommen, die ihr eine bolschewistische Grundlage für die Er*
Weiterung und Festigung des Parteieinflusses gaben. Die Partei*
führer zeigten aber in ihrer praktischen Tätigkeit, besonders in
der Periode der Massenkämpfe im Oktober, keine richtige revolu*
tionäre-Aktivität. In der russischen und deutschen Frage hat die
polnische Zentrale den rechten Flügel unterstützt und versucht,
jede linke Kritik in den eigenen Reihen zu unterdrücken.

Die Fehler der tschechischen Partei.


10. Die K.P.Tsch. war nicht frei von opportunistischen Fehlern
und Abweichungen, was u. a. in der Auslegung der Beschlüsse des
IV. Kongresses in der Frage der Einheitsfront und der Arbeiter*
regierung Ausdruck fand. Opportunistische Schwankungen und
Unklarheiten kamen auch in der Haltung der Partei in der
russischen und deutschen Frage zum Ausdruck. Die Partei hat
zwar auf einigen Gebieten eine gesteigerte Aktivität entfaltet, aber
sie hat es nicht verstanden, parlamentarische Aktionen mit
Massenaktionen des Proletariats zu verbinden und das Proletariat
auf die kommenden revolutionären Kämpfe entsprechend vor*
zubereiten.

Die Aufgaben der ungarischen Kommunisten.


11. Die Massenbewegungen der Arbeiterschaft in Ungarn
zeigen, daß die Lage für die Organisierung und den Aufbau einer
kommunistischen Partei reif ist. Es ist Aufgabe der ungarischen
Kommunisten, die Organisierung der Partei durchzuführen und im
• Interesse der Förderung dieser Arbeit die angefangene Liquidie*
rung der Fraktionskämpfe zu beschleunigen.

Die rechten Abweichungen in England und Amerika.


12. Rechte Abirrungen zeigen sich auch in der englischen und
amerikanischen Partei in der Frage der Einheitsfront und des Ver*

203
hältnisse der K.P. zu den Führern der Labour Party (in Amerika
der sogenannten „Dritten“ Partei). Die Exekutive konnte die
englischen und amerikanischen Genossen von der Notwendigkeit
der Revidierung ihrer Aufassung überzeugen, die eigenartigen und
neuen Probleme der revolutionären Bewegung in den angelsächsi*
sehen Ländern wurden mehrere Male durch die Exekutive sehr
eingehend behandelt und sie werden in Zukunft noch viel mehr
Aufmerksamkeit von der internationalen Leitung für sich fordern.

Ultra„linke“ Abweichungen in Italien.


13. Die Exekutive hat auch zur Ueberwindung der ultralinken
Abweichungen mitgewirkt. In einem Teil der italienischen Partei
gibt es noch Tendenzen eines marxistischen Dogmatismus, der es
aus Prinzip ablehnt, bei den Schlußfolgerungen der Taktik auf die
konkrete Situation Rücksicht zu nehmen, und dadurch die
Manövrierfähigkeit der Partei behindert.
Die Kommunistische Partei Italiens muß sich heute rückhalt*
los auf den Boden der Taktik der Kommunistischen Internationale
stellen, wenn sie das Problem, eine Massenpartei zu werden, lösen
will. Die Verschmelzung der Terzia*Internationalisten mit der
Kommunistischen Partei Italiens erlaubt die Ausschaltung einer
Frage, welche die Differenzen zwischen der K.P.I. und der Komin*
tern verursacht hat.
Aber auch nach dieser Verschmelzung muß die KJP.I. aktiv
an die Frage der Eroberung jener Massen herangehen, die heute
noch der Sozialistischen Partei Italiens anhängen.

Die Gewerkschaftsarbeit.
14. In der G ew erkschaftsarbeit wurden in mehreren Ländern
Fortschritte in der Vereinheitlichung und Intensität der Arbeit
gemacht (vor allem, in Frankreich), wie auch bedeutende Erfolge
erzielt (unter anderen in England). In Deutschland wurde im
vorigen Winter durch eine von der reformistischen Gewerkschafts*
bürokratie verschuldete gewerkschaftsfeindliche Stimmung das
Hinauslaufen der Kommunisten und der Sympathisierenden aus
den Gewerkschaften als Massenerscheinung hervorgerufen. Da
die K.P.D. eine Zeitlang nicht entschieden dieser gefährlichen Ab*
irrung Widerstand leistete, trat die Exekutive aufs nachdrück*
lichste dagegen auf, bis der Beschluß des Frankfurter Parteitages
mit energischer Unterstützung der Exekutive dieser katastropha*
len Erscheinung Einhalt gebot und einen totalen Stimmungs*

204
Umschwung zugunsten der revolutionären Gewerkschaftsarbeit
herbeiführte.

Die Arbeit unter den Mittelschichten.


15. Die Propaganda unter den halbproletarischen und klein*
bürgerlichen M ittelschichten wurde den Sektionen von der Exeku*
tive vielfach empfohlen, um dem Faschismus den Boden zu ent*
ziehen. In Deutschland hat die K.P. dadurch in der Tat bedeu*
tende Erfolge erzielt, in Italien dagegen fast gar keine.

Die Arbeit unter den Bauern.


16. Eine stäiidige, rege Agitation zur Gewinnung der Massen
der armen Bauernschaft zur Unterstützung der proletarischen
Revolution ist von der Exekutive aufs nachdrücklichste allen
Sektionen zur Pflicht gemacht worden. Zu diesem Zweck wurde die
Agitationslosung „Arbeiterregierung“ zur Losung der „Arbeiter* und
Bauernregierung“ erweitert. Die Gründung der Bauernintevnatio*
nale, die sich als eine höchst wichtige Initiative gezeigt hat, er*
folgte unter der aktiven Mitwirkung der Exekutive. Die Entwick*
lung einer selbständigen kommunistischen Agrarpolitik wird sicher
in der nächsten Zeit für fast alle Sektionen eine der wichtigsten
Aufgaben sein.

Die nationale Frage.


17. In der nationalen Frage hat die Exekutive vielfach Grund
gehabt, verschiedene Sektionen, für die diese Frage eine höchst
wichtige Bedeutung hat, wegen der mangelhaften Durchführung
der Beschlüsse des II. Kongresses zu ermahnen. Eines der Grund­
prinzipien des Leninismus, das unbedingt ein entschlossenes,
ständig aktives Eintreten der Kommunisten für das Selbstbestim*
mungsrecht der Nationen (bis zur Loslösung und Bildung eines
selbständigen Staates) fordert, hat noch immer nicht bei allen
Sektionen der K.I. die notwendige Anwendung gefunden.

Ueber die Kolonien und die Völker des Ostens.


18. Neben der Gewinnung der Unterstützung der Bauern*
massen und der unterdrückten nationalen Minderheiten hat die
Exekutive in ihren Anweisungen ständig betont die Wichtigkeit
der Gewinnung der revolutionären Befreiungsbewegungen der
Kolonialvölker und aller V ölker des Ostens zu Bundesgenossen
des revolutionären Proletariats der kapitalistischen Länder. Das

205
setzt nicht nur die weitere Entwicklung der direkten Verbindung
gen der Exekutive mit den nationalen Befreiungsbewegungen des
Orients voraus, sondern auch eine nähere Verbindung der Sektio*
nen der imperialistischen Länder mit den Kolonien dieser Länder
und vor allem einen unaufhörlichen, rücksichtslosen Kampf in
jedem Lande gegen die imperialistische Kolonialpolitik der Bour*
geoisie. In dieser Hinsicht ist die kommunistische Arbeit noch
überall sehr schwach.

Der Kampf gegen den Krieg.


Bei der Arbeit innerhalb der Armee hat die Exekutive gemein*
sam mit der Exekutive der Jugendinternationale ausgezeichnete
praktische Vorbereitungen treffen können (Ruhrgebiet.) Indessen
haben die Sektionen, die gegen die stärksten imperialistischen
Mächte kämpfen mußten, zu oft die Lehre Lenins über den Kampf
gegen den Krieg vernachlässigt, und die Exekutive hat sie zur
Ordnung rufen müssen.
Diese von der Exekutive befolgte Linie der leninistischen
Strategie, T aktik und Organisation, sie und keine andere muß auch
weiterhin für die Führung der Komintern als Richtschnur dienen.

Die Bolschewisierung der kommunistischen Parteien.


Die Bolschewisierung der kommunistischen Partei ist getreu
dem Vermächtnis Lenins durchzuführen, w obei man die kon *
kreten Verhältnisse jed es Landes in Betracht ziehen muß.
Ein Anfang dieser Entwicklung ist schon da. Die Aktivität
der "Parteileitungen, Organisationen und der einzelnen Mitglieder
ist in vielen Sektionen, wepn auch langsam, im Steigen begriffen.
Von Fall zu Fall tritt schon jetzt bei den besten Parteien die echt
revolutionäre Initiative hervor, die zähe Energie und Schlagkraft,
die kluge Manövrierfähigkeit und die bewußte eiserne Disziplin
einer wirklich revolutionären Kampforganisation.
Diese Ansätze der Bolschewisierung sind fortgesetzt und
unermüdlich, unentwegt, systematisch und zielbewußt weiter*
zubilden. Das Bewußtsein der revolutionären Führerrolle der
Kommunistischen Partei und der Kommunistischen Internationale
muß jeder Parteiorganisation, wie jedem einzelnen Mitglied ins
Blut gehen, damit aus diesem Bewußtsein der kommunistischen
Kampfgemeinschaft die felsenfeste Treue herauswächst, die die
Partei zusammenschweißt zu einer bolschewistischen Organisation
und die Internationale zu einer siegreichen W eltpartei.

206

Wir müssen eine wirkliche Weltpartei werden.


Gegenwärtig fehlt noch vieles ah der Entwicklung der K.I. zur
wirklichen Weltpartei. Der Kongreß erinnert die Sektionen an
ihre Pflicht, tatkräftiger als bisher durch ihre Beteiligung an der
Lösung der internationalen Fragen durch regelmäßige Information
nen und Korrespondenzen, wie auch durch ihre besten Mitglieder
in der Exekutive zur weiteren Entwicklung der Leitung der K.I.
kollektiv mitzuwirken.
Die Erfahrung hat bewiesen, daß es oft unmöglich ist, die
nationalen Parteikongresse nach dem Weltkongreß einzuberufen.
Darum hebt der Kongreß den betreffenden Beschluß auf. Alle
nationalen Parteikongresse (ordentliche wie außerordentliche)
können aber nur in Uebereinstimmung mit der Exekutive ein?
berufen werden. *
9

Der Kai pf für eine eiserne Disziplin.


Der Kongreß beauftragt die Exekutive, noch strenger als bis?
her eine eiserne Disziplin von allen Sektionen und allen Partei?
führern zu fordern. Der Kongreß konstatiert, daß in einigen Fällen
die Exekutive, um das Prestige, verdienter Genossen zu schonen,
nicht energisch genug gegen Fälle von Disziplinbruch auf getreten
ist. Der Kongreß bevollmächtigt die Exekutive, wenn es nötig ist,
viel entscheidender zu handeln und vor den äußersten Maßregeln
.nicht zurückzuschrecken.
In jedem Lande und in jeder einzelnen kommunistischen Orga?
nisation ist darauf hinzuarbeiten, daß die Kommunistische Inter?
nationale zu einer einheitlichen W eltpartei zusammengeschweißt
wird.
Mit diesem Beschluß geht die K.I. der nächsten Kampfetappe
entgegen, reicher an Erfahrungen, stärker an Tatkraft, fester an
Kampfeswillen und Zuversicht.

*■' -

4
« ~ t

k Sh
X
)

$ %

I
THESEN ZUR TAKTIKTRAGE
ANGENOMMEN A U T DEM V. KONGRESS DER KOMINTERN.
*

I. IN T E R N A T IO N A LE PROBLEME.

1. Die de: okratisciupazifistische Phase.


II

Das Neue, das bei Betrachtung der gegenwärtigen internatio*


nalen Lage in die Augen springt, ist das Einsetzen einer gewissen
demokratisch^pazifistischen Phase. Das Eintreten einer solchen
Wendung in der Weltpolitik der Bourgeoisie hat der IV. Welt*
kongreß der Komintern, der zu einer Zeit zusammentrat, da die
bürgerliche Weltreaktion ihren Höhepunkt erreicht hatte, voraus*
gesagt.
Die in Erscheinung getretene Verschiebung in der Weltpolitik
der Bourgeoisie zeigt im gegenwärtigen Augenblick folgende Merks:
male: 0

In England ist die sogenannte Arbeiterregierung, mit den


Führern der II. Internationale an der Spitze, an der Macht. In
Frankreich hat der sogenannte Linksblock einen Wahlsieg er*
rungen, wobei die französische sozialistische Partei, eine der Haupt*
Parteien der II. Internationale, in Wirklichkeit ein Bestandteil der
gegenwärtigen französischen Regierung geworden ist. In Deutsch*
land zeigt sich zwar in Verbindung mit der Propaganda für das
Sachverständigengutachten gleichfalls eine Tendenz zur Stärkung
der demokratisch*pazifistischen Illusionen und der Sozialdemo*
kratie, als der Trägerin dieser Politik, zugleich aber macht sich
eine starke Gegentendenz geltend, indem die herrschende Klasse
mit Hilfe der S.P.D. zur praktischen Durchführung des Sachver*
ständigengutachtens eine noch offenere, brutalere Ausbeutungs*
Politik als bisher bei der Unterdrückung der revolutionären Bewe*
gung durchführt. Die deutsche Sozialdemokratie bleibt bei allen
Formwechseln doch unverändert eine mitregierende Partei der
deutschen Bourgeoisie und nimmt in der einen oder anderen Weise
an der Konsolidierung der bürgerlichen Diktatur über das Prole*
tariat teil. In A m erika hat jener Flügel des Imperialismus, der sich
zur Einmischung in die europäischen Angelegenheiten herabläßt
und bereit ist, das sogenannte Sachverständigengutachten zu

208
unterstützen, gesiegt. Die wachsende Bewegung zugunsten der
Bildung einer „Dritten“ (kleinbürgerlichen) Partei in Amerika
stellt ebenfalls eine gewisse Verschiebung in der Richtung einer
demokratisch*pazifistischen Phase amerikanischer Politik dar. In
Ja p a n nähert sich die „demokratische“ Bourgeoisie der Macht und
bereitet sich darauf vor, der feudalen Partei die Regierungsgewalt
abzunehmen. Der kürzlich in Japan erfolgte’ Regierungswechsel
wird ebenfalls als ein Sieg der „Demokratie“ und des Pazifismus
gedeutet. In Dänemark ist eine sogenannte Arbeiterregierung an
der Macht, an deren Spitze ein prominenter Vertreter der
II. Internationale steht. In Belgien können im Gefolge der bevor*
stehenden Wahlen die Führer der belgischen Arbeiterpartei zur
M acht gelangen, die de facto schon heute Minister, nur ohne
Portefeuille, sind. In O esterreich hat die Sozialdemokratie einen
7 m

großen Wahlsieg errungen und bildet faktisch ebenfalls eine Stütze


des bürgerlichen Regimes. In der Tschechoslow akei, in Polen und
zum Teil auch auf dem Balkan, wo die Bourgeoisie sich in voll*
kommener Abhängigkeit von den Imperialisten der größten
Ententeländer befindet, beginnen sich die Veränderungen, die sich
in England, Frankreich usw. abgespielt haben, widerzuspiegeln.
*

2. Die wahre Bedeutung der gegenwärtigen Etappe


der internationalen Politik.
Was jetzt vorgeht, ist in Wirklichkeit nicht etwa der Beginn
einer Stabilisierung der kapitalistischen „Ordnung“ auf dem
Boden der „Demokratie“ und des Friedens, sondern lediglich eine
Gestaltung der Herrschaft, die die weitere Verschärfung der
bürgerlichen Weltreaktion maskiert und einen neuen Volksbetrug
vorbereitet.
Die „demokratisch*pazifistische“ Aera hat keine Einschrän*
kung der Rüstungen herbeigeführt und kann sie auch gar nicht
herbeiführen. Die Steigerung der Rüstungen vollzieht sich im
Gegenteil auch weiter in rasendem Tempo. Intrigen der Geheim*
diplomatie florieren mehr denn je. Jede Demokratie rüstet mehr
oder weniger offen zur unversöhnlichsten imperialistischen Aus*
einandersetzung mit der „befreundeten Demokratie“.
Der grundlegende Antagonismus zwischen dem amerikanischen
und japanischen Imperialismus ist keineswegs beigelegt. Die
treibende Kraft dieses Gegensatzes, der unvermeidlich zum Aus*
bruch eines neuen imperialistischen Krieges führen. muß, wirkt
automatisch fort.
Der Interessengegensatz zwischen den imperialistischen
Cliquen Englands und Frankreichs ist durch den Sieg der „Demo*
kratie“ in den beiden Ländern weder gemildert noch beseitigt
14
209
worden. Die Form des Wettstreites hat sich geändert, nicht das
Wesen.
Die Ausräubung der Kolonien und der halbkolonialen Länder
bildet nach wie vor eine selbstverständliche Voraussetzung des
,»Fortschrittes“ und der „Zivilisation“.

3. Das Sachverständigengutachten.
Das Evangelium des gegenwärtigen „Pazifismus“ und der
modernen „Demokratie“ stellt das sogenannte Sachverständigen*
gutachten dar. In Wirklichkeit bezweckt das Expertenprogramm
die Ausräubung der werktätigen Massen Deutschlands. Darüber
hinaus stellt es einen Versuch der Imperialisten der gestern noch
im Kriege miteinander gelegenen Länder dar, ihre Geschäfte auf
Kosten der Werktätigen zu verbessern. Die Ruhrbesetzung hat
nicht das Ergebnis gehabt, das die französischen Imperialisten er*
hofften. •Der zynische Versuch einer unverhüllten Raubaktion
blieb erfolglos. Der einzige Weg zur „Lösung“ des Reparations*
Problems ist der Weg einer auf längere Zeit ausgedehnten, mit
„demokratisch*pazifistischen“ Phasen verbrämten Raubmethode.
Diesen Weg sehen wir denn auch nunmehr die Imperialisten der
Entente betreten. Dabei werden sie von den in erster Linie daran
interessierten Schichten der deutschen Bourgeoisie und von der
im Dienste der letzteren stehenden deutschen Sozialdemokratie
unterstützt. Das Sachverständigengutachten, das nun die Billigung
der gesamten internationalen konterrevolutionären Sozialdemo*
kratie gefunden hat, stellt in Wahrheit das schmachvollste Doku*
ment der Gegenwart dar. Es wird zu einer Schlinge um den Hals
nicht nur aller Werktätigen Deutschlands, sondern auch der werk*
tätigen Massen einer ganzen Reihe anderer Länder. Die Unter*
Stützung des Sachverständigengutachtens durch die Sozialdcmo*
kratie ist ein ebensolcher Verrat an der Sache des werktätigen
Volkes wie die Unterstützung des verflossenen imperialistischen
Krieges, da das Sachverständigengutachten nichts anderes ist als
die Fortführung dieses Krieges mit anderen Mitteln.
Doch das Sachverständigengutachten vermag selbst im Falle
seiner entschiedenen Durchführung den Interessengegensatz der
verschiedenen Gruppen des Weltimperialismus unter keinen Um*
ständen zu beseitigen. Je mehr man jetzt diese Interessen auf
dem Papier zu versöhnen sucht, desto stärker wird der sie be*
..herrschende Gegensatz in kurzer Frist wieder zutage treten.

4. Die internationale Lage der Sowjetunion.


Das einzige Land, das eine Politik des Friedens folgerichtig
und restlos durchführt, ist die Sowjetunion. Das erste Land der
siegreichen proletarischen Revolution, das rund herum von bürger*
liehen Feinden umringt ist, verfolgt hartnäckig und heldenmütig
eine Politik wahren Friedens. In der verflossenen Periode ist es
der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in erheblichem
Maße gelungen, ihre internationale Lage zu befestigen. Das Ans
wachsen des Wohlstandes im Lande, die Unterstützung, die das
Land von seiten alles dessen erfuhr, was es Ehrliches und Bewußtes
in der internationalen Arbeiterklasse gibt, die geschickte Politik
der Sowjetmacht, haben zur de jure*Anerkennung der Sowjets
union seitens einiger der größten Staaten geführt. Dessens
ungeachtet ist es keineswegs ausgeschlossen, daß gerade die
„demokratischspazifistische“ Aera dem ersten proletarischen Staat
neue Schwierigkeiten bringt. Es besteht kein Zweifel, daß der
verräterische Teil der „Demokratie“ jetzt daran arbeitet, auf dem
Gebiet der internationalen Politik eine Einheitsfront gegen die
Sowjetunion zustandezubringen, um die siegreiche proletarische
Revolution auf die Knie zu zwingen und ihr die Bezahlung der
alten Schulden, sei es in einer dem Sachverständigengutachten
analogen oder in einer anderen Form, abzuringen.
Man darf nicht vergessen, daß die „demokratischspazifistische“
Phase eine der letzten Phasen des Kapitalismus darstellt. Je näher
das Ende des Kapitalismus heranrückt, je schwieriger und wider*
spruchsvoller sich die Lage der internationalen Bourgeoisie ge*
staltet, desto wahrscheinlicher wird die Inszenierung eines direkten
Kriegsabenteuers ihrerseits gegen die Sowjetunion. Die Teilnahme
der Sozialdemokraten an den gegenwärtigen „demokratischen“
Regierungen vergrößert nur die Gefahr eines solchen Kriegsaben*
teuers. Die konterrevolutionären Führer der Sozialdemokratie
werden sich in ihrem grenzenlosen Haß gegen die Sowjetmacht
eher zu Kriegsabenteuern entschließen, als selbst mancher offen*
herzige Bourgeois. Die Arbeiterklasse der ganzen Welt muß
darauf vorbereitet sein, daß es der internationalen Reaktion, die
gegenwärtig unter der Flagge des „demokratischen“ Pazifismus
segelt, gelingen kann, eine solche Einheitsfront gegen die Sowjet*
union zu schaffen. Die Arbeiter der ganzen Welt werden eine
solche Politik der herrschenden Klassen mit größter Hingabe be*
kämpfen und ihre ganze Energie einsetzen, um diese Kette zu zer*
reißen, noch ehe sich deren einzelne Glieder zusammenschließen.

5. Die internationale Politik der Sozialdemokratie.


Die konterrevolutionäre internationale Sozialdemokratie, die
der August 1914 zwang, die Maske der Heuchelei abzuwerfen und
die Bourgeoisie „ihres“ Landes offen zu unterstützen, setzt heute
dieselbe auswärtige Politik, nur in einer etwas verhüllteren Form,
fort. In allen Ländern, wo die Sozialdemokratie eine erhebliche
Macht repräsentiert, unterstützt sie nach wie vor die „Imperia*
listen“ ihres Vaterlandes, verdeckt diese verräterische Politik aber
gleichzeitig durch Phrasen über Demokratie und Pazifismus. Es
unterliegt keinem Zweifel, daß gerade die Führer der Sozialdemo*
kratie bei der Durchführung erstens der Politik des Sachverstän*
digengutachtens lind zweitens der Vorbereitung einer neuen inter*
nationalen Isolierung der Sowjetunion, ja selbst eines direkten
Feldzuges des internationalen Kapitals gegen die erste proleta*
rische Revolution der Welt den größten Eifer an den Tag legen.
Um die Wachsamkeit der Massen einzuschläfern, ergehen sich die
Führer der konterrevolutionären Sozialdemokratie auf ihren
Parteitagen gleichzeitig in heuchlerischen Phrasen über die Be*
kämpfung des Krieges auf dem Wege des Generalstreiks und der*
gleichen mehr.
Zwischen den politischen Führern der Bourgeoisie und den
Führern der konterrevolutionären Sozialdemokratie vollzieht sich
eine Arbeitsteilung: erstere schaffen den Anschein einer „demo*
kratisch*pazifistischen“ Aera, letztere setzen alles ein, um die
„demokratisch*pazifistischen“ Illusionen unter den werktätigen
Klassen zu stärken.

//. DAS PROBLEM DER M ACHT.

1. Die Lockerung der bürgerlichen Ordnung.


Die bürgerliche Ordnung hat, trotzdem der erste imperia*
listische Weltkrieg in seiner Endphase einen gewaltigen Ausbruch
elementaren Unwillens der Massen ausgelöst hatte, ihre Existenz
für einen gewissen Zeitabschnitt dennoch aufrechtzuerhalten ver*
mocht. Die Kräfte des internationalen Proletariats erwiesen sich
als nicht genügend organisiert, die Parteien der internationalen
proletarischen Revolution als nicht stark genug, und somit der
Sieg der proletarischen Revolution am Ende des imperialistischen
Krieges als unmöglich. Nichtsdestoweniger hat der erste imperia*
listische Weltkrieg tiefe Erschütterungen hervorgerufen. Die
Folgen dieses Krieges werden sich noch im Laufe einer ganzen
Reihe von Jahren auswirken. Noch sind seine sozialpolitischen
Ergebnisse nicht in vollem Umfange in Erscheinung getreten.
Die imperialistischen Friedensverträge waren, wie auch die
Ruhrbesetzung zeigte, nur eine Fortsetzung des Krieges mit anderen
Mitteln; sie haben die Wunden nicht heilen können, die der Krieg
geschlagen hat. Die Folgen des Krieges sind nicht überwunden
und können mit kapitalistischen Methoden nicht überwunden
werden. Tatsache ist, daß das kapitalistische System aus dem
ersten imperialistischen Weltkriege nicht nur wirtschaftlich, son*

212
T

dem auch politisch gebrochen und zerrüttet hervorgegangen ist.


Die Symptome mangelnder Stabilität des Kapitalismus treten
sogar auf rein politischem Gebiete zuweilen noch deutlicher als
auf ökonomischem Gebiete in Erscheinung. Der unausgesetzte
und rasche Wechsel der Regierungen in einer ganzen Reihe von
Ländern ist eins dieser Symptome. In einer ganzen Reihe von
Ländern steht das Problem der Macht auf der Tagesordnung, dazu
in einer Form, wie es vor dem imperialistischen Kriege nie der
Fall war.
2. Zwei Richtungen in der Politik der Weltbourgeoisie.
Im Laufe der letzten Nachkriegsjahre und teilweise schon vor
dem Kriege haben sich mit voller Deutlichkeit zwei Richtungen in
der Politik der Weltbourgeoisie herausgebildet: eine offen reaktio*
näre und eine demokratisch*reformistische. Der ausgeprägteste
Vertreter der ersten ist Poincare, der der zweiten Lloyd George.
In den Jahren des allmählichen Reifens der revolutionären Krise
ist das Auftreten einer solchen zweifachen Politik innerhalb der
Führung der Weltbourgeoisie kein Zufall. Sobald der Boden unter
I„ den Füßen zu schwanken beginnt, die „normalen“ Zeiten der ge*
sicherten Herrschaft der Bourgeoisie der Vergangenheit anheim*
zufallen drohen, revolutionäre Stürme sich merkbar ankündigen
und die Mächte des proletarischen Umsturzes drohenden Umfang
annehmen, müssen sich unter den Führern der herrschenden
Klasse unvermeidlich zwei Systeme der Politik geltend machen:
eine Politik, die die revolutionären Kräfte durch offene und
wütende Bekämpfung zerschmettern und niederschlagen will, noch
ehe sie herangewachsen sind, und eine andere, weitsichtigere
Politik, die bestrebt ist, durch kleine Zugeständnisse und Be*
stechung der Spitzen der Arbeiterklasse, kurz durch die Methoden
der „Demokratie“, des Pazifismus und Reformismus, das Kräfte*
___ •

Verhältnis zugunsten der Bourgeoisie zu ändern.

3. Zwischen Sozialdemokratie und Faschismus.


Die Bourgeoisie kann schon nicht mehr mit den früheren
Methoden regieren. Darin offenbart sich eines der Symptome
des langsamen aber sicheren Anwachsens der proletarischen Revo*
lution. Die Bourgeoisie bedient sich bald des Faschismus, bald
der Sozialdemokratie. In beiden Fällen ist sie bestrebt, den kapita*
listischen Charakter ihrer Herrschaft zu maskieren, ihr mehr oder
weniger „volkstümliche“ Züge zu verleihen. Sowohl die Faschisten
(die erste Periode des Regiments Mussolini) wie die Sozialdemo*
kraten (die erste Periode des Regiments Noske) stellen sich der
Bourgeoisie im erwünschten Augenblick als offene Kampforgani*

2 13
*
4

sation der Konterrevolution, als bewaffnete Banden, als Knüppel?


garden gegen die wachsende proletarische Umsturzarmee zur Ver?
fügung. Zugleich sucht die Bourgeoisie mit Hilfe des Faschismus
und der Sozialdemokratie eine Umgruppierung der gesellschaft?
liehen Kräfte vorzunehmen, indem sie den Anschein eines
politischen Sieges des Kleinbürgertums und einer Teilnahme des
„Volkes“ an der Ausübung der Macht erzeugt.

4. Die Sozialdemokratie als „Dritte“ Partei der Bourgeoisie.


In Amerika wird viel Lärm geschlagen wegen der Gründung
einer „Dritten“ Partei der Bourgeoisie (des Kleinbürgertums). In
Europa ist die Sozialdemokratie in gewissem Sinne bereits zur
„Dritten“ Partei der Bourgeoisie geworden. Das zeigt sich beson?
ders anschaulich in England, wo außer den beiden klassischen
Parteien der Bourgeoisie, die einander in der Herrschaft ablösten,
jetzt die sogenannte Arbeiterpartei zum regierenden Faktor gewor?
den ist, eine Arbeiterpartei, die in Wirklichkeit eine dem einen der
beiden Flügel der Bourgeoisie verwandte Politik verfolgt. Es
unterliegt nicht dem mindesten Zweifel, daß die sozialverräteri?
sehen Führer der englischen Arbeiterpartei nun im Verlaufe einer
ganzen Reihe von Jahren an der einen oder anderen Kombination
zur Befestigung der Macht der englischen Bourgeoisie teilnehmen
werden.
Ebenso unzweifelhaft ist die Tatsache, daß sowohl in Frank?
reich wie in einer Reihe anderer Länder die Führer der II. Inter?
nationale die Rolle bürgerlicher Minister spielen und de facto
Führer einer Fraktion der „demokratischen“ Bourgeoisie sind. Die
Sozialdemokratie ist seit einer Reihe von Jahren in einem Um?
Wandlungsprozeß begriffen, aus einem rechten Flügel der Arbeiter?
bewegung in einen Flügel der Bourgeoisie, stellenweise sogar in
einen Flügel des Faschismus. Darum ist es historisch falsch, von
einem „Siege des Faschismus über die Sozialdemokratie“ zu reden.
Der Faschismus und die Sozialdemokratie sind (soweit es sich um :
ihre führenden Schichten handelt) die rechte und linke Hand des
modernen Kapitalismus, der durch den ersten imperialistischen
Krieg und die ersten Kämpfe der Werktätigen gegen ihn gelockert
worden ist.
5. Die Sozialdemokratie erneut an der Macht.
4

Wir haben die Führer der II. Internationale schon während


des Krieges und unmittelbar nach dem Kriege in einer ganzen Reihe
von Ländern an der Macht gesehen. Die Heranziehung der Sozial?
demokraten zur Teilnahme an der Macht während des Krieges er?
klärte sich ausLden grob?praktischen Bedürfnissen der Imperialisten,

214
0
ft

die Spitzen der Arbeiter „ihres“ Landes der Arbeiterbewegung


der anderen Länder entgegenzustellen.
Gegenwärtig zieht die Bourgeoisie in einer Reihe von Ländern
die Führer der Sozialdemokratie zum zweiten Male zur Teilnahme
an der Macht heran. Jetzt geschieht es in „normalen“ Zeiten, in
denen kein Krieg geführt wird. Gerade das aber beweist die Um
Sicherheit der bürgerlichen Herrschaft. Es bestätigt ferner, daß
die gegenwärtigen „normalen“ Zeiten in Wirklichkeit sehr viel
Unnormales für die Bourgeoisie in sich bergen und mit schweren
Krisen schwanger gehen.

6. Zwischen weißem Terror und „Arbeiterregierungen“.


Trotz der scheinbaren Festigung des bürgerlichen Regimes
wird seine Macht in Wirklichkeit immer mehr und mehr unter*
höhlt.* Die Gesamtlage ist äußerst unsicher. Der Parlamentarismus
geht seinem Ende entgegen. Von Tag zu Tag wächst für die Bour*
geoisie die Schwierigkeit, sich aus den Trümmern des alten Par*
lamentarismus eine einigermaßen feste Position zu schaffen. Der
Ausgang der letzten Wahlen in Frankreich und Deutschland be*
stätigt dies anschaulich. In den bürgerlichen Parlamenten der zwei
wichtigsten Staaten Europas, in Paris und Berlin, gibt es gegen*
wärtig keine einigermaßen sichere Mehrheit. Die Bourgeoisie wird
sich notwendigerweise bald nach der einen, bald nach der anderen
Seite werfen müssen, bald zum offenen weißen Terror greifen, bald
versuchen, sich auf eine sogenannte „Arbeiterregierung“ zu stützen.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß wir in den nächsten Jahren
eine sogenannte „Arbeiterregierung“ nicht nur in einem oder zwei,
sondern bereits in einer ganzen Reihe von Ländern erleben werden.
Diese „Arbeiterregierungen“ sind eine Funktion des Kampfes des
revolutionären Proletariats um die Macht und der Schwankungen
innerhalb der Bourgeoisie, die in der gegenwärtigen Periode unver*
meidbar sind. Objektiv können diese sogenannten Arbeiterregie*
rungen einen Fortschritt insofern bedeuten, als sie von dem fort*
schreitenden Zerfall der bürgerlichen Ordnung, von dem Mangel
an Geschlossenheit in der Politik der herrschenden Klassen zeugen.
In diesem Sinne stellt auch die gegenwärtige konterrevolutionäre
„Arbeiterregierung“ (in Wirklichkeit liberale Regierung) Macdo*
nalds einen historischen Fortschritt dar. Aber die Aufgabe der
wahren Anhänger der proletarischen Revolution darf selbstver*
ständlich nicht darin bestehen, solche „Arbeiterregierungen“ zu
loben, sondern nur darin, die proletarische Armee für den unver*
söhnlichen revolutionären Kampf zu sammeln, und darauf hin*
zuwirken, daß es gelingt, möglichst rasch über die sogenannte

215
„Arbeiterregierung“ hinweg zur Diktatur des Proletariats zu
schreiten.
7. Die objektive Bedeutung und die wahrscheinlichen Perspektiven
der demokratisch^pazifistischen Aera.
Der objektive Sinn der gegenwärtigen eigenartigen demo?
kratisch?pazifistischen Phase besteht darin, daß die Bourgeoisie
schon nicht mehr mit den alten Methoden regieren kann. Diese
Aera ist ein Ausdruck für die Unsicherheit der kapitalistischen
Ordnung, für ihren Verfall, ihre Entwicklung in absteigender Linie.
Die gegenwärtigen demokratisch?pazifistischen Regierungen,
wie analoge Regierungen, die noch entstehen können, werden nicht
nur keine wirklich demokratische Friedenspolitik führen, sondern
sich im Gegenteil selbst sehr rasch in der Richtung des Faschismus
entwickeln. Der Klassenkampf wird nicht nur nicht abflauen, son?
dern im Rahmen der „Demokratie“ und des „Pazifismus“ noch
stärker entbrennen. Der Wechsel der Regime (Demokratie — Fa*
schismus — Demokratie) wird das Fundament des angefaulten Ka?
pitalismus noch mehr untergraben. Nach jedem Wechsel werden
die Volksmassen und in erster Linie die proletarischen Massen,
einen größeren Reichtum an politischer Erfahrung aufweisen und
einen gestählteren Willen zum Kampf zeigen, während die Bour?
geoisie und die ihr dienenden Führer der Sozialdemokratie aus
jedem Regimewechsel mit geschwächter Kraft, demoralisierter
und mit geringerem Glauben an sich selbst und an ihre Politik
hnvorgehen werden.
Auf diesem Wege wird die Mehrung der Kräfte der proleta*
rischen Revolution erfolgen bis zum entscheidenden Siege.

IIL DAS PROBLEM DER BILD U N G KOMMUNISTISCHER


M ASSENPARTEIEN ALS KA RD IN A LA U FG A BE DER
KOM INTERN.

1. Die Krise des Kapitalismus und der subjektive Faktor.


Die Weltbourgeoisie ist am Ausgang des imperialistischen
Krieges vor allem deshalb nicht besiegt worden, weil wir in den
ausschlaggebenden Ländern noch keine kommunistischen Massen?
Parteien besaßen, die imstande gewesen wären, die Revolution
zu organisieren und die Massen, die sich spontan gegen die Kriegs?
Verbrecher erhoben, in den Kampf zu führen. Dadurch erhielt der
Kapitalismus eine gewisse Atempause.
In einer Situation, in der der Kapitalismus schon nicht mehr
ohne Unterstützung der Sozialdemokratie herrschen kann, in der

2 16
die Krise des Kapitalismus zwar langwierig, aber immer hoffnungs?
loser wird, ist der „subjektive Faktor“, das heißt die Organisa?
tionshöhe der proletarischen Massen und ihrer kommunistischen
Vorhut (Partei) die Kardiinalfrage der gesamten historischen
Epoche.
2. Die Losung: Heran an die Massen.
Die Losung: heran an die Massen, die vom III. Weltkongreß
der Komintern ausgegeben wurde, bleibt unverändert in Kraft. Die
Erfolge, die die Komintern in der verflossenen Periode errungen
hat, sind erst einleitende Errungenschaften. Die Erfolge der ein*
zelnen Sektionen sind noch nicht verankert. Sofern wir in der Er?
oberung der Massen nicht weiterkommen, kann leicht eine rück?
läufige Bewegung entstehen.

3. Die Eroberung der Mehrheit.


Die Formulierungen des III. und IV. Kongresses zur Frage der
Eroberung der Mehrheit lauten:
„Unter diesen Umständen bleibt die grundlegende Anweisung
des III. Weltkongresses, einen kommunistischen Einfluß unter der
Mehrheit der Arbeiterklasse zu gewinnen und den entscheidenden
Teil dieser Klasse in den Kampf zu führen, voll bestehen.“
Noch mehr als zur Zeit des III. Kongresses hat heute die Auf?
fassung Gültigkeit, daß bei dem jetzigen labilen Gleichgewicht
ganz plötzlich die schärfste Krise ausgelöst werden kann durch
einen großen Streik, einen Kolonialaufstand, einen neuen Krieg
oder selbst eine Parlamentskrise. Aber gerade deshalb gewinnt
der „subjektive“ Faktor ungeheure Bedeutung, das heißt, der Grad
des Selbstbewußtseins, des Kampfeswillens und der Organisation
der Arbeiterklasse unter ihrer Avantgarde.
Die Mehrheit der Arbeiterklasse Amerikas und Europas zu
gewinnen — das ist nach wie vor die Kardinalaufgabe der Kom?
intern.
In den kolonialen und halbkolonialen Ländern hat die Kom?
intern zweierlei Aufgaben:
1. einen Kern von kommunistischen Parteien zu schaffen, die
die Gesamtinteressen des Proletariats vertreten.
2. Mit allen Kräften die national?revolutionäre Bewegung zu
unterstützen, die sich gegen den Imperialismus richtet, zur Avant?
garde dieser Bewegung zu werden und innerhalb der nationalen
Bewegung die soziale Bewegung hervorzurufen und zu steigern
(aus den Beschlüssen des IV. Weltkongresses).
Der V. Weltkongreß der Komintern bestätigt vollauf die For?
mulierungen des III. und IV. Kongresses. Er weist mit Entschie?

217
clenheit als unrichtig einerseits die Tendenzen der Rechten zurück,
die eine vorherige Eroberung der statistischen Mehrheit der werk?
tätigen Masse fordern und der Ansicht sind, daß von keinerlei
ernsten revolutionären Kämpfen die Rede sein kann, solange die
Kommunisten nicht womöglich 99 Prozent aller Werktätigen er?
obert hätten, andererseits die Fehler der „Ultralinken“, die bis
auf den heutigen Tag die entscheidende welthistorische Bedeutung
der Losung: heran an die Massen! nicht begriffen haben und sich
zuweilen bis zur Behauptung versteigen, die kommunistischen Par?
teien könnten Parteien „terroristischer Minderheiten“ sein, also
glauben, die kommunistischen Parteien könnten, ohne Massen?
Parteien geworden zu sein, die Massen in jedem Augenblick in den
Kampf führen.

IV. DIE GRU N D LEGEN D EN VORAUSSETZUNGEN FÜR


DIE BILD U N G KOMMUNISTISCHER M ASSENPARTEIEN.

Diese Voraussetzungen sind:


1. Der organisierte Aufbau der Partei auf der Grundlage von
Betriebszeilen der Partei.
Die große Mehrheit der europäischen Kommunistischen Par?
teien hält noch bis heute an den von den Sozialdemokraten über?
nommenen Grundsätzen des organisatorischen Aufbaues der Partei
fest. Das ist ein Ueberbleibsel jener Zeiten, da man die Partei
noch als eine Hilfsmaschine für die Wahlen ansah. Von dem Auf?
bau einer ernsten, innerlich gefestigten kommunistischen Massen?
partei kann keine Rede sein, solange die Partei ihr Fundament
nicht in Parteizellen in den Betrieben selbst hat. Das gilt auch für
die Jugendorganisationen, die Frauenorganisationen usw. Es ist
das nicht nur eine organisatorische, sondern eine ernste politische
Frage. Keine Kommunistische Partei wird ausschlaggebende Massen
des Proletariats in den Kampf führen und die Bourgeoisie besiegen
können, solange sie keine solide Grundlage in den Betrieben hat,
solange nicht jeder Großbetrieb eine Burg der Kommunistischen
Partei geworden ist.

2. Richtige ko] munistische Arbeit innerhalb der Gewerkschaften.


Die Bildung verzweigter kommunistischer Fraktionen in den
Gewerkschaften (wo möglich — legal, wo nicht illegal) nicht nur
auf dem Papier, sondern in Wirklichkeit, und ein systematischer,
hartnäckiger, jahrelanger Kampf um die Eroberung der Gewerk*
schäften, *ein Kampf, der die auf die Spaltung und den Austritt
aus den Gewerkschaften gerichteten Provokationen der sozial?
demokratischen Führer mit einer um so intensiveren Tätigkeit
in den Gewerkschaften für die Einheit der Gewerkschaften be?
antwortet, sind weitere grundlegende Voraussetzungen für die
Bildung gefestigter kommunistischer Massenparteien.

3. Auslösung einer Betriebsrätebewegung.

Die Betriebsräte sind eine neue Organisationsform des Pro?


letariats, die allmählich neue, wahrhaft revolutionäre Gewerk?
schäften erzeugen wird und die unter günstigen Umständen den
Keim für die Bildung von Arbeiterdeputiertenräten bilden können.
Die Kommunistische Partei, der es noch nicht gelungen ist, eine
ernst zu nehmende Betriebsrätebewegung in ihrem Lande hervorzu?
rufen oder in der schon vorhandenen Betriebsrätebewegung sich ,
stärkeren Einfluß zu sichern, kann nicht als ernste kommunistische
Massenpartei angesehen werden.
Die richtige Lösung der in diesen fünf Punkten aufgezählten
Aufgaben bildet die grundlegende und elementare Voraussetzung
für den Aufbau kommunistischer Massenparteien. Ohne richtige
Lösung dieser fünf* Auf gaben kann über andere Fragen der kommu?
nistischen Politik nicht ernst gesprochen werden.

4. Richtiges Verhalten der Partei gegenüber der Bauernschaft,

Nicht nur in den Agrar? und Halbagrarländern, sondern auch


in den typischen Industriestaaten hat die nach dem ersten imperia*
listischen Kriege entstandene Krise erhebliche Schichten des
Bauerntums für die revolutionären Ideen der Kommunisten we?
i

sentlich empfänglicher gemacht, als sie es vor dem Kriege waren.


Das Proletariat kann nicht siegen und die Sowjetmacht aufrichten,
wenn es nicht Jahre hindurch eine Politik der Neutralisierung
der einen Schichten des Bauerntums und der Gewinnung anderer
bäuerlicher Schichten für seine Sache verfolgt. Die Kommunisti?
sehen Parteien, die revolutionäre Massenparteien werden wollen,
können sich nicht mit Leitsätzen zur Bauernfrage begnügen, son?
dern müssen es lernen, eine lebendige Verbindung zwischen der
proletarischen Vorhut und dem besten Teil der Bauernschaft her?
zustellen. Diese Verbindung (sie hat eine ungeheure Bedeutung
auch für die Verbindung mit der Armee, die sich hauptsächlich
aus Bauern rekrutiert) kann hauptsächlich durch Arbeiter herge?
stellt werden. Man muß es zur Regel machen, daß die revolu?
tionären Arbeiter der Betriebe, in denen die Kommunisten großen
Einfluß besitzen, systematisch größere Delegationen aufs Land

4
entsenden, zu diesem Zweck Geldsammlungen veranstalten usw.
Mangelnde Aufmerksamkeit unsererseits für die Frage der Bauern*
schaft ist ein Ueberibleiibsel des Sozialdemokratismus. Kommu*
nistische Parteien, die es nicht gelernt haben, die revolutionäre
Arbeit unter der Bauernschaft zu leisten, können nicht als kommu*
nistische Massenparteien gelten, die die Frage der Eroberung der
Macht ernst behandeln. Selbstverständlich haben dabei unsere
Sektionen marxistische Arbeiterparteien zu bleiben, nicht aber
sich in „Arbeiter* und Bauernparteien“ zu verwandeln.

5. Richtige Politik in der nationalen Frage.


In einer ganzen Reihe von Staaten ist infolge der Neuauftei*
lung der Welt nach dem ersten imperialistischen Kriege die Unter*
drückung der Nationalitäten gewachsen und eine Irredenta ent*
standen. In einer Reihe von Ländern Europas, weit mehr noch
in den Kolonien und Halbkolonien, hat sich eine Menge Zünd*
Stoff angehäuft, der die Herrschaft der Bourgeoisie in die Luft
sprengen kann. Die richtige Politik der Kommunisten in der na*
tlonalen Frage, die in den Leitsätzen des II. Weltkongresses ein*
gehende Begründung erfahren hat, bildet einen der wichtigsten
Bestandteile der Politik der Eroberung der Massen und der Vorbe*
reitung der siegreichen Revolution. Der Nihilismus und die oppor*
tunistischen Entgleisungen in der nationalen Frage, die noch bis
jetzt in einer ganzen Reihe kommunistischer Parteien herrschen,
stellen die schwächste Seite dieser Parteien dar, die ihre historische
Aufgabe niemals erfüllen können, wenn sie diese Schwäche nicht
überwinden.

V. ZW ISCHEN ZW EI W ELLEN DER PROLETARISCHEN


REVOLUTION.

Im Laufe des letzten Jahres machen sich Anzeichen des An*


Wachsens einer neuen Revolutionswelle bemerkbar. Der Beginn
der Revolutionskämpfe in Deutschland, die Aufstände in Bulgarien
und Polen, die großen wirtschaftlichen Streiks in einer ganzen
Reihe von Staaten zeugen vom Heranreifen neuer revolutionärer
Ereignisse.
Gerade die Periode zwischen zwei Revolutionen oder zwei
aufsteigenden revolutionären Wellen fördert meistenteils sowohl
opportunistische rechte Abweichungen wie „ultralinke“ Tendenzen
einer in radikale Phrasen sich hüllenden Passivität, eines umge*
kehrten Menschewismus.
VI. SCHONUNGSLOSER KAMPF G E G E N DIE OPPORTU*
NISTISCH EN RECHTSTENDENZEN.

Die zwischen dem IV. und V. Kongreß der Komintern liegende


Periode hat gezeigt, daß die opportunistischen Tendenzen in der
kommunistischen Bewegung stärker sind, als man voraussetzen
konnte. Eine Reihe von Sektionen der Komintern ist aus dem
Schoß der sozialdemokratischen Parteien hervorgegangen. Dabei
haben diese Sektionen einige bisher noch nicht überwundene
Ueberbleibsel sozialdemokratischer Traditionen mitgebracht. In
dem Maße, wie die Parteien der Komintern zu Massenparteien
werden, können die Rechtstendenzen einen besonders gefährlichen
Charakter annehmen.
Auf dem V. Kongreß hat sich in voller Klarheit herausgestellt,
daß in einigen der in der Arbeiterbewegung wichtigsten Länder
die Vertreter der rechten Tendenz in der verflossenen Periode
den Versuch unternommen hatten, die Taktik der Einheitsfront
und der Arbeiter* und Bauernregierung vollkommen zu verdrehen,
und zwar in der Richtung einer Auslegung dieser Taktik im Sinne
eines engen politischen Bündnisses, einer organischen Koalition
„aller Arbeiterparteien“, das heißt eines politischen Bündnisses
der Kommunisten mit der Sozialdemokratie. Während für die
Komintern der Hauptzweck der Taktik der Einheitsfront in dem
Kampf gegen die Führer der konterrevolutionären Sozialdemokratie
und in der Befreiung der sozialdemokratischen Arbeiter vom Ein*
fluß dieser konterrevolutionären Führer bestand, versuchten die
Vertreter der rechten Tendenzen, diese Taktik im Sinne eines
politischen Bündnisses mit der Sozialdemokratie auszulegen.
Der V. Weltkongreß der Komintern verurteilt entschieden
diese kleinbürgerliche Tendenz, lehnt kategorisch die Verzerrung
der Idee der Einheitsfronttaktik, die sich in einigen Sektionen der
Komintern gezeigt hat, ab, und erklärt, daß er diese Politik, die
den Beschlüssen der Kommunistischen Internationale grundsätzlich
widerspricht, schonungslos bekämpfen wird.

VII. KLA RSTELLU N G DER „U LTRA LIN KEN “ TEN DENZEN.

Der Bolschewismus als Bewegung des revolutionären Proleta*


riats Rußlands entwickelte sich nicht nur im schonungslosen Kampf
gegen den Menschewismus und Zentrismus, sondern auch im
Kampf gegen „ultralinke“ Tendenzen. Die Komintern als inter*
nationale bolschewistische Organisation führte vom ersten Tage
ihres Bestehens an einen schonungslosen Kampf nicht nur gegen

221
den rechten Opportunismus, sondern auch gegen die „ultralinken“
Tendenzen, die häufig nur die Kehrseite des Opportunismus dar*
stellen. In der Periode zwischen dem IV. und V. Kongreß nahmen
die „ultralinken“ Tendenzen einen besonders bedrohlichen Cha*
rakter in der Frage des Arbeitens in den reaktionären Gewerk*
schäften an. Die Bewegung zugunsten des Austritts der Kommu*
nisten aus den Gewerkschaften ist für den Kommunismus mit den
größten Gefahren verbunden. Wenn die Komintern diese Ten*
denzen, die nur den konterrevolutionären Führern der Sozialdemo*
kratie, die sich der Kommunisten in den Gewerkschaften entledigen
möchten, Vorschub leisten, nicht immer wieder aufs entschiedenste
zurückweist, werden wir niemals wahrhaft bolschewistische Par*
teien schaffen können.
Die „ultralinken“ Tendenzen fanden ferner ihren Ausdruck
in der „prinzipiellen“ Verwerfung der Taktik des Manövrierens
als solcher, insbesondere auch in der Verständnislosigkeit für die
Taktik der Einheitsfront, der Ablehnung ihrer praktischen Durch*
führung, oder in Versuchen, die Taktik der Einheitsfront nur für
das wirtschaftliche, nicht aber auch für das politische Gebiet gelten
zu lassen und ähnliches mehr. Das Manövrieren darf zu opportu*
nistischen Methoden nicht ausgenützt werden.
In dem die Komintern die rechten opportunistischen Ten*
denzen schonungslos bekämpft, muß sie gleichzeitig systematisch
die Fehlerhaftigkeit und Verderblichkeit der „ultralinken“ Ten*
denz, die den Aufbau kommunistischer manövrierfähiger Massen*
Parteien unmöglich macht, darlegen.

VIII. ZUR EIN H EITSFRO N TTAKTIK.


*

Trotz der großen opportunistischen Fehler und Verzerrungen


der Einheitsfronttaktik seitens der Rechten — Verzerrungen, die
mancherorts beinahe den direkten Verfall der Kommunistischen
Parteien herbeigeführt hätten — hat die Anwendung der Einheits*
fronttaktik in der Zeit zwischen dem IV. und V. Kongreß der
Komintern alles in allem uns zweifellos genützt und den Prozeß
der Verwandlung einer Reihe von Sektionen der Komintern in
Massenparteien gefördert.
In einer Periode, in der die Kommunistischen Parteien in einer
Reihe der wichtigsten Länder noch in der Minderheit sind, die
Sozialdemokratie infolge bestimmter geschichtlicher Umstände
noch bedeutende Massen des Proletariats hinter sich hat, die
Offensive des Kapitals in verschiedener Form andauert, die Ar*
beiterklasse noch nicht einmal genügend Energie zur Führung

222
i

ernstlicher Abwehrkämpfe aufbringt, war und ist die Einheits?


fronttaktik richtig und notwendig.
Die Erfahrungen mit der Anwendung der Einheitsfronttaktik,
auf die die Kommunistische Internationale schon des öfteren hin?
gewiesen hat, bleiben bestehen. Es hat sich gezeigt, daß man mit
einer bloßen Rahmenformel nicht mehr auskommt, und daß die
Parteien der Komintern in der gegenwärtigen Periode häufig mit
der Taktik der Einheitsfront „an sich“ nichts anzufangen ver?
stehen, und daß dabei diese Taktik zu einer opportunistischen
Taktik und zum Quell des Revisionismus zu werden drohte.
Die Einheitsfronttaktik ist nur eine Methode der Agitation
und der revolutionären Mobilisierung der Massen für die Dauer
einer ganzen Periode. Alle Versuche, diese Taktik als politische
Koalition mit der konterrevolutionären Sozialdemokratie auszu?
legen, sind Opportunismus, der von der Kommunistischen Inter?
nationale verworfen wird.
Die revolutionäre Einheitsfronttaktik kann nur dann richtig
angewandt werden, wenn jede einzelne Sektion in vollem Bewußt?
sein der Gefahren dieser Taktik ohne jede Uebernahme mecha?
nischer Formeln, konkret sich die Aufgabe stellt, für bestimmte
Tagesziele und Teilforderungen die Massen zum Kampfe zu er?
fassen, zu organisieren, um sich zu sammeln, immer mit der Orien?
tierung auf die Revolution und mit dem Ziel, die Mehrheit der
ausschlaggebenden Schichten des Proletariats in den Kampf zu
bringen, um dadurch den Uebergang zum Angriff auf die Bour?
geoisie zu bewerkstelligen.
1. Die Anwendung der Einheitsfronttaktik von unten ist über?
all und immer notwendig, mit Ausnahme vielleicht seltener Mo?
mente im Feuer der Entscheidungskämpfe, in denen die revolu?
tionären kommunistischen Arbeiter genötigt werden, mit der Waffe
in der Hand selbst gegen Gruppen des Proletariats zu kämpfen,
die infolge mangelnden Klassenbewußtseins- beim Feinde stehen.
Doch selbst in diesen Ausnahmefällen muß alles getan werden, um
die Einheit von unten mit Arbeitern, die den Kommunisten noch
nicht folgen, zu verwirklichen. Die Erfahrungen der russischen
Revolution und des Revolutionskampfes in Deutschland haben ge?
zeigt, daß auch das möglich ist.
2. Einheit von unten und gleichzeitig Spitzenverhandlungen.
Diese Methode muß ziemlich oft in den Ländern angewandt wer?
den, in denen die Sozialdemokratie noch eine bedeutende Macht
ist. Diese Spitzenverhandlungen dürfen die Partei in ihrer kommu?
nistischen Selbständigkeit nicht binden. Die Grundlage für die
Durchführung der Binheitsfronttaktik muß jedoch auch in diesem
Falle die Einheit von unten bilden. Die Aufforderung an die offi?
ziellen Organe der Sozialdemokratie (offene Briefe und ähnliches)

223
dürfen nicht zur Schablone herabsinken. Das wichtigste hierbei ist,
zuvor in den Arbeitermassen (auch unter den sozialdemokratischen
Arbeitern) eine Stimmung zugunsten dieser oder jener Aktion, den
Eintritt in diesen oder jenen Kampf zu erzeugen, um darauf erst
an die offiziellen Organe der Sozialdemokratie heranzutreten, sie
so bereits vor die vollendete Tatsache der Existenz bestimmter
Stimmungen in der Arbeiterklasse stellend, und um sie im Falle
ablehnenden Verhaltens vor den Massen zu entlarven.
Es versteht sich von selbst, daß die kommunistischen Par?
« teien ihre volle und absolute Selbständigkeit aufrechtzuerhalten
und in jeder Phase der Verhandlungen unter allen Umständen ihr
kommunistisches Gesicht zu wahren wissen müssen. Zu diesem
Zweck müssen alle Verhandlungen mit den Spitzen der Sozial?
demokratie öffentlich geführt werden. Zudem müssen die Kommu?
nisten alles tun, um das Interesse der Arbeitermassen an diesen
Verhandlungen lebendig zu erhalten.
3. Einheitsfronttaktik nur von oben. Diese Methode wird
von der Kommunistischen Internationale kategorisch und entschied
den verworfen. Die größte Bedeutung kommt der Einheitsfront?
taktik von unten zu, das heißt eine Einheitsfront, die unter der
Führung der Kommunistischen Partei unter den kommunistischen,
sozialdemokratischen und parteilosen Arbeitern im Betrieb, Be?
triebsrat, der Gewerkschaft und darüber hinaus in einem Industrie?
Zentrum oder einem ganzen Gebiete, einem ganzen Lande oder
einem ganzen Berufe und so fort verwirklicht wird.
Selbstverständlich kann und muß die Art der Anwendung der
Einheitsfronttaktik entsprechend der konkreten Lage in jedem
Lande und jeder Zeitpeniode wechseln. Eine allgemeine schab?
ionenmäßige Durchführung der Einheitsfronttaktik beraubt diese
Taktik jeglicher Bedeutung und verwandelt sie in ihr direktes
Gegenteil.
Bei der Konkretisierung der taktischen Methoden müssen alle
Umstände des betreffenden Landes, seine Struktur, der Zustand
der betreffenden Sektionen in Betracht gezogen werden, unter
Verlegung des Schwergewichtes auf* die Mobilisierung der Massen
von unten, die Schaffung von Kampforganen, die Verbindung mit
den wichtigsten Schichten der werktätigen Massen (Proletariat,
Bauern, Landproletariat), die in Kämpfe hinemgezogen werden
sollen.
Die Einheitsfronttaktik war und bleibt eine Methode der Re?
volution, nicht aber eine Taktik der friedlichen Evolution. Die
Einheitsfronttaktik war und bleibt die Taktik eines revolutionären
strategischen Manövers der von Feinden umringten kommunisti?
sehen Vorhut in ihrem Kampfe vor allem gegen die verräterischen
Führer der konterrevolutionären Sozialdemokratie. Sie ist keines?
*
224
falls eine Taktik des Bündnisses mit diesen Führern. Die Einheits*
fronttaktik war und bleibt die Taktik eines allmählichen Herüber*
Ziehens der sozialdemokratischen und des besten Teiles der par*
teilosen Arbeiter auf unsere Seite, darf dagegen unter keinen Um*
ständen zu einer Taktik der Herabsetzung unserer Ziele ent*
sprechend dem Niveau des Verständnisses der letzteren degradiert
werden.

IX . DIE A RBEITER* UND BA U ER N R EG IER U N G .

Die Losung der Arbeiter* und Bauernregierung wurde und


wird von der Komintern als Folgerung aus der Einheitsfrönttaktik
in ihrem obengeschilderten Inhalt aufgefaßt.-Die opportunistischen
Elemente der Komintern haben in der verflossenen Periode ver*
sucht, auch die Losung der Arbeiter* und Bauernregierung zu ent*
stellen, indem sie sie als eine Regierung „im Rahmen der bürger*
liehen Demokratie“ und als ein politisches Bündnis mit der Sozial*
demokratie auslegten. Der V. Weltkongreß der Komintern ver*
wirft eine solche Auslegung ,auf das entschiedenste. Die Losung
der Arbeiter* und Bauernregierung ist für die Komintern, in die
Sprache der Revolution, in die Sprache der Volksmassen übersetzt,
die Losung der Diktatur des Proletariats. Die Formel, Arbeiter*
und Bauernregierung, die der Erfahrung der russischen Revolution
entstammt, war nichts anderes und kann nichts anderes sein als
eine Methode der Agitation und Mobilisation der Massen zum
Zwecke des revolutionären Sturzes der Bourgeoisie und der Auf*
richtung der Sowjetmacht. Um eine wirkliche Arbeiterregierung
oder Arbeiter* und Bauernregierung zu errichten, muß man in
erster Reihe die Bourgeoisie, die heute noch überall außerhalb
der Sowjetunion an der Macht ist, stürzen. Der Sturz und die Un*
schädlichmachung der Bourgeoisie, die Ueberwindung ihres Wider*
Standes und wirkliche Voraussetzungen für eine wahre Arbeiter*
und Bauernregierung sind zu erreichen nur auf dem Wege des be*
waffneten Aufstandes des auch den besten Teil der Bauernschaft
führenden Proletariats, ist nur zu verwirklichen von den Werk*
tätigen im Bürgerkrieg.
Die Losung der Arbeiter* und Bauernregierung war und ist
die beste Formel, um sich den Zutritt zu den Massen, den breiten
Schichten der Werktätigen zu verschaffen.
In der gegenwärtigen Periode, wo die Führer der Sozialdemo^
kratie sich immer fester in Regierungskombinationen mit der
Bourgeoisie verstricken, während die breiten Schichten der der
Sozialdemokratie noch folgenden Arbeiter immer mehr verelenden,
ergibt sich eine Lage, die der Durchführung der Einheitsfront*
15
225
taktik und der Anwendung der Losung der Arbeiter* und Bauern*
regierung oft besonders günstig ist.
Gelingt es uns, just in der jetzigen Periode, da die offizielle
Sozialdemokratie sich in eine „Dritte“ Regierungspartei der Bour*
geoisie verwandelt und die Führer der Sozialdemokratie sich immer
mehr in Regierungskombinationen mit der Bourgeoisie ergehen,
durch geschicktes Operieren mit der Einheitsfronttaktik um«
fassende Massen einfacher sozialdemokratischer Arbeiter in die
wirtschaftlichen und darüber hinaus auch in die politischen Kämpfe
zu gemeinsamen Aktionen mit uns hineinzuziehen, so wird das für
die Liquidierung des Einflusses der konterrevolutionären Führer
der Sozialdemokratie und die Gewinnung erheblicher Schichten der
Werktätigen für den Kommunismus die denkbar günstigste Lage
schaffen.
Die Losung der „Arbeiter* und Bauernregierung“ ist für die
Kommunisten niemals eine Taktik parlamentarischer Ueberein*
künfte und Kombinationen mit den Sozialdemokraten. Im Gegen*
teil, auch die parlamentarische Tätigkeit der Kommunisten muß
auf die Entlarvung der konterrevolutionären Rolle der Sozialdemo*
kratie gerichtet sein und den Zweck verfolgen, den breitesten
Massen der Werktätigen die verräterische Natur und den Surro*
gatcharakter der sogenannten „Arfoeiterregierungen“, die ihre Ent*
stehung der Bourgeoisie verdanken und de facto liberale bürger*
liehe Regierungen darstellen, klarzumachen.

X. TEILFO RD ERU N G EN .

Die Taktik der Kommunistischen Internationale schließt die


Einfügung von Teilforderungen in unsere Agitation und Politik
nicht nur nicht aus, sondern umgekehrt, setzt sie sogar voraus.
Hierbei muß jedoch dreierlei im Auge behalten werden:
a) Die von uns aufgestellten Teilforderungen müssen der leben*
digen Wirklichkeit entspringen, das heißt, sie müssen derart sein,
daß mit Unterstützung derselben durch die breiten Massen der
werktätigen Bevölkerung gerechnet werden kann.
b) Solche Forderungen müssen in der Richtung der revolutio*
nären Entwicklung liegen.
c) Solche Forderungen müssen stets mit dem Endziel verknüpft
werden. Wir müssen vom Speziellen zum Allgemeinen, von Teil*
forderungen zum Gesamtsystem jener Forderungen schreiten, die
zusammengefaßt die sozialistische Revolution bedeuten.
Während die Teilforderungen der Reformisten den Zweck
verfolgen, die proletarische Revolution zu ersetzen, verfolgen die
Kommunisten mit der Aufstellung von Teilforderungen gerade
umgekehrt den Zweck, die proletarische Revolution erfolgreicher
vorzubereiten. Die gesamte Agitation der Kommunisten für Teil*
forderungen verknüpft jede dieser Teilforderungen aufs engste
mit dem Programm des revolutionären Umsturzes. Das gilt beson*
ders für diejenigen Länder, in denen die Krise der bürgerlichen
Ordnung eingesetzt hat.

XL DIE D EM O KRA TISCH TAZIFISTISCH EN ILLU SIO N EN .

Im Zusammenhang mit der internationalen Lage entstehen


zeitweilig in gewissen Schichten der Werktätigen demokratisch*
pazifistische Illusionen. Die Führer der Sozialdemokratie werden
nichts unterlassen, um diese Illusionen neu zu beleben.
Der Kampf gegen diese Illusionen, der für die Kommunisten
eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Periode bilden wird,
schließt die Anwendung der Einheitsfronttaktik keineswegs aus.
Im Gegenteil, gerade eine geschickte Anwendung der Einheits*
. fronttaktik (Heranziehung breiter Schichten der Sozialdemokratie
sehen Arbeiter zum ökonomischen Kampf gemeinsam mit den
Kommunisten und Aufstellung elementarer politischer Forde*
rungen, die von den gegenwärtigen demokratischen „Arbeiterre*
gierungen nicht erfüllt werden können) kann zum besten Mittel
der Ueberwindung demokratisch*pazifistischer Illusionen werden.
Die Anwendung der Einheitsfronttaktik wird nur unter der
Bedingung erfolgreich ausfallen, wenn die demokratisch^pazifisti*
sehen Illusionen nicht in unsere eigenen Reihen eindringen, und die
Kommunisten alle Gefahren bei der Anwendung der Einheitsfront*
taktik und der Losung der Arbeiter* und Bauernregierung, auf die
die Komintern wiederholt hingewiesen hat, berücksichtigen.

XII. DER W ESTEN UND DER OSTEN.

Die Kommunistische Internationale ist eine Organisation für


die Weltrevolution. Nun ist aber infolge einer Reihe besonderer
Umstände die Aufmerksamkeit der Komintern allzu sehr vom
Westen in Anspruch genommen. Der Arbeit im Osten, im breite*
sten Sinne des Wortes, muß bedeutend größere Aufmerksamkeit
als bisher gewidmet werden. In Indien, Japan, China und der
Türkei sind in der verflossenen Periode erste Keime kommunisti*
scher Bewegungen entstanden. In allen diesen Ländern setzt ein
umfassender wirtschaftlicher Kampf der Arbeiter ein. Die
Komintern muß dieser Bewegung die größte Aufmerksamkeit zu*
wenden. Sie muß gleichzeitig die gegen den Imperialismus gerich*
15
*
227
tete Bewegung aller unterdrückten Nationalisten im Geiste der
Resolution des II. Weltkongresses allseitig unterstützen, dessen
eingedenk, daß die Bewegung einen der wichtigsten Bestandteile
der großen Befreiungsbewegung bildet, die allein den Sieg der Re*
volution, nicht nur im europäischen, sondern auch im Weltmaß?
stab zu gewährleisten vermag.

XIII. ZW EI PERSPEKTIVEN.

Die Epoche der internationalen Revolution hat begonnen. Das


Tempo ihrer Gesamtentwicklung, wie insbesondere das Entwick?
lungstempo der revolutionären Ereignisse auf dem einen oder an?
deren Kontinent, in dem einen oder anderen Lande, kann nicht
mit Bestimmtheit vorausgesagt werden. Die Gesamtlage ist eine
solche, daß zwei Perspektiven möglich sind:
a) Möglichkeit einer langsameren und schleppenden Entwick?
lung der proletarischen Revolution und
b) infolge der Tatsache, daß der Kapitalismus bereits stark
unterminiert ist und seine inneren Widersprüche sich im allge?
meinen außerordentlich rasch verschärfen, kann die Katastrophe
in dem einen oder anderen Lande in sehr kurzer Zeit eintreten.
Die Taktik der Komintern muß mit der Möglichkeit beider
Perspektiven rechnen. Die Manövrierfähigkeit der Komintern muß
sich auch darin zeigen, daß sie in der Lage ist, sich dem Tempo?
Wechsel rasch anzupassen. Unter allen Umständen aber hat die •
Komintern selbst bei einem verlangsamten Tempo der Entwicklung
als die unversöhnliche internationale kommunistische Massenpartei
der proletarischen Revolution, die Massen um sich zu sammeln
und für den revolutionären Machtkampf vorzubereiten.

XIV. BOLSCHEWIS1ERUNG DER PARTEIEN UND BILD U N G


EIN ER EIN H EITLICH EN KOM M UNISTISCHEN W ELT?
PA RTEI.

Die wichtigste Aufgabe in der gegenwärtigen Periode der


K.I. ist die Bolschewisierung der Sektionen der K.I. Diese Losung
darf jedoch keineswegs als eine mechanische Uebertragung der
gesamten Erfahrung der bolschewistischen Partei in Rußland auf
alle übijgen Parteien aufgefaßt werden. Die grundlegenden Züge
einer wirklich bolschewistischen Partei sind folgende:
1. Die Partei muß eine wirkliche Massenpartei sein, das heißt,
sie muß sowohl, wenn sie legal, wie, wenn sie illegal ist, verstehen,

228 %
\

den engsten und festesten Kontakt mit der Masse der Arbeiter
aufrechtzuerhalten und deren Nöten und Erwartungen Ausdruck zu
verleihen.
2. Sie muß manövrierfähig sein, das heißt ihre Taktik darf keine
dogmatische, sektiererische sein. Sie muß es verstehen, alle jene
strategischen Manöver gegen den Feind in Anwendung zu bringen,
die es ihr ermöglichen, dabei ihren eigenen Charakter unverändert
zu erhalten. Es ist ein Hauptfehler unserer Parteien, daß sie dies
sehr häufig nicht verstehen.
3. Sie muß ihrem Wesen nach revolutionärsmarxistisch sein,
unentwegt ihrem Ziele zustreben, in jeder Situation das Maximum
an Energie zur Förderung der Vorbereitung des Sieges des Prole?
tariats über die Bourgeoisie entwickeln.
«

4. Sie muß eine zentralisierte Partei sein, die keine Fraktionen,


Strömungen oder Gruppierungen zuläßt, muß wie aus einem Gusse
sein.
5. Sie muß eine regelmäßige und beharrliche Propaganda und
. Organisation in der bürgerlichen Armee durchführen.
Die Bolschewisierung der Parteien bedeutet, daß sich unsere
Sektionen alles das aneignen, was am russischen Bolschewismus
von internationaler Bedeutung ist.
Nur in dem Maße, wie die ausschlaggebenden Sektionen der
K. I. sich tatsächlich in bolschewistische Parteien verwandeln, wird
die Komintern nicht in Worten, sondern in Taten zu einer einheit?
liehen, von den Ideen des Leninismus durchdrungenen bolsche?
wistischen Weltpartei werden.

XV. KO N KRETE A U FG A BEN DER W IC H TIG STEN


SEKTIO N EN DER K. I.

Die Aufgaben dieser Sektionen sind im wesentlichen folgende:


1. England. Infolge der jetzigen Weltlage spielt England mit
seinen Besitzungen gegenwärtig die erste Rolle in allen internatio?
nalen Fragen. Daraus folgt, daß auch die KPE. außerordentlich
an Bedeutung gewinnt. Die KPE. zur Erfüllung ihrer Pflichten zu
erziehen, bildet eine der wichtigsten Aufgaben der K. I. Die KPE.
hat in ihrem Verhalten gegenüber der Labour?Regierung einige
ideologische und taktische Abweichungen gezeigt. Die KPE. muß
in der kommenden Periode ihre Kraft auf folgende Fragen konzen?
trieren:
a) Innerhalb der Labour Party den linken Flügel so zu unter?
stützen und weiterzutreiben, daß er zu einem wirklich revolu?
tionären Flügel innerhalb der Labour Party sich herausbildet und

229
intensivste Arbeit in der Minoritätsbewegung der Gewerkschaften
leistet;
b) die sogenannte „Arbeiterregierung“ Macdonalds klar und
eindeutig in den Massen zu bekämpfen durch Aufzeigung ihres
bürgerlichen und arbeiterfeindlichen Charakters;
c) bei allen etwaigen Nachwahlen und in der kommenden Wahl*
kampagne eine klare, entschiedene, eindeutige kommunistische
Linie zu beziehen;
d) die wirtschaftlichen Kämpfe so zu führen, daß die Haupt*
kraft auf die Schaffung von Einheitsfrontorganen von unten
(Streikkomitee, Betriebsräte usw.) gelegt wird, um den Arbeiter*
massen den politischen Sinn dieser wirtschaftlichen Kämpfe klar*
zumachen;
e) die K.P.E. muß eine aktive Kampagne durchführen zur
Schaffung von Aktionskomitees in den Betrieben und Gewerk*
schäften, um einen Druck auf die sogenannte Arbeiterregierung
auszuüben zur Durchführung desjenigen Teiles des Programms
der sogenannten „Arbeiteregierung“, der von ihr fallen gelassen
worden ist, nämlich der Sozialisierung der Eisenbahnen und Berg*
werke, der Erhöhung der Unterstützung der Arbeitslosen, Bau von
Arbeiterwohnungen usw. Nur, wenn die KPE. an Hand der täg*
liehen Nöte der Arbeiterklasse den Verrat der „Arbeiterregierung“
aufzeigt, und wenn sie versucht, die breiten Arbeitermassen in
den Kampf für diese Ziele zu führen, wird sie in den Arbeiter*
massen die Illusionen über die sogenannte „Arbeiterregierung“
zerstören;
f) eine besondere Bedeutung muß die KPE. der Verbindung mit
den Kolonien, der Unterstützung der nationalrevolutionären Bewe*
gungen der Kolonialländer, der Frage des Militarismus und Marinis*
mus, der Abrüstung, der Beziehungen Englands zu Sowjetrußland,
zu dem imperialistischen Frankreich, dem Sachverständigengut*
achten beilegen;
g) ferner muß die KPE. eine besonders sorgfältige Arbeit zur
Beeinflussung der Erwerbslosen beginnen;
h) die KPE, muß ferner ihr besonderes Augenmerk richten
auf die innere Durchorganisierung der Partei, auf die Bildung von
Betriebszellen, auf die kommunistische Durchbildung der Mit*
glieder, auf die Verbreitung von Kenntnissen über die internatio*
nale Arbeiterbewegung.
2. Frankreich. Der Kongreß stellt mit Genugtuung die bedeut*
samen Erfolge der französischen Partei fest, die alle zweifelhaften
Elemente aus ihrer Mitte vertrieben hat und zu einer wirklichen
proletarischen Partei heranreift. Gleichzeitig aber weist der Kon*
greß die französische Bruderpartei auf die unaufschiebbare Not*
wendigkeit der Durchführung folgender Aufgaben hin:

2 3 0
a) Aufbau eines wirklichen Parteiapparates, ohne den das
Bestehen einer proletarischen Partei unmöglich ist;
b) gründliche Arbeit der Partei in den Industriezentren des
Landes neben Paris, in jenen großen Industriezentren, in denen,
wie die jüngsten Wahlen gezeigt haben, die Sozialisten noch einen
großen Einfluß besitzen. Paris ist für das Land selbstverständlich
von ungeheurer Bedeutung. Dennoch ist ein Sieg der proletarischen
• Revolution ohne Gewinnung der übrigen wichtigsten Industrie*
Zentren ausgeschlossen;
c) ernste Massenarbeit unter den breiten Schichten der Bauern?
schaft;
d) Durchführung der Einheitsfronttaktik in entsprechender
Form. Zwar haben es die Führer der französischen Sozialisten
nicht gewagt, offen in die HerriotsRegierung einzutreten, bilden
aber dessenungeachtet einen faktischen Bestandteil dieser Regie*
rung. Daraus ergibt sich für uns eine Modifikation unserer Agi*
tation unter strenger Befolgung der Einheitsfronttaktik;
e) die Partei muß der Bildung von Parteizellen in den Betrieben
ernsteste Beachtung schenken. Ohne Parteizellen kann es keine
kommunistische Massenpartei geben;
f) Werbung neuer Parteimitglieder unter den Arbeitern. Das
Departement Seine muß sich für die nächste Zukunft die Aufgabe
stellen, seinen Mitgliederbestand auf nicht weniger als 25 000 Par*
teimitglieder zu bringen. Eine gleiche Werbekampagne ist im ganzen
Lande zu entfalten;
g) die Partei muß alles daran setzen, eine Massenbewegung
im ganzen Lande zugunsten der Bildung von Betriebsräten wach?
zurufen;
h) die Partei muß danach streben, die Ueberreste rechter
Stimmungen zu überwinden, ihre gesamte Organisation unter dem
Banner der Komintern fest zusammenzuschließen und einen wirk?
liehen arbeitsfähigen, festen Kern im Zentrum zu schaffen. Alle
Reibungen zwischen der Linken und dem früheren „Zentrum“
haben zu verschwinden. Die gesamte Partei muß zu einer
geschlossenen K. I.*Linken werden;
i) die internationalen Verbindungen der französischen kommu?
nistischen Partei müssen intensiver werden. Vor allem ist ein
dauernder, ununterbrochener Kontakt mit der KPD. zu schaffen;
Die französische Schwerindustrie gewinnt immer größere
Bedeutung für die imperialistische Auseinandersetzung und für die
innerpolitischen Verhältnisse. Die KPF. hat den Kampf gegen den
zunehmenden Einfluß der Schwerindustrie, vor allem in Verbind
düng mit dem Kampf gegen die Durchführung des Sachverstän*
digengutachtens und in engster Kampfgemeinschaft mit der KPD.
zu führen;
t r .

k) die Aufnahme aller klassenbewußten kommunistischen Eie* v


■O
mente der CGTU., die bisher der Partei fernstanden, in die Partei
ist zu beschleunigen;
l) die Führer der CGTU. müssen im Kampfe gegen den t
Anarchismus und den vulgären Syndikalismus der alten Schule
einen klaren Standpunkt einnehmen. In diesem Kampfe dürfen der
falschen Theorie der „Neutralität“ der CG TU . in den den Kom*
munismus betreffenden Grundfragen keine Konzessionen gemacht
werden;
m) es darf nie aus dem Auge verloren werden, daß trotz
aller Erfolge, die die französische Kommunistische Partei und die
CGTU. erzielt haben, bisher weder die Partei, noch die revolutio*
nären Gewerkschaften die Massen tatsächlich erobert und ihren
Einfluß organisatorisch gefestigt haben, sie somit noch zu keinem
wirklichen Vortrupp des französischen Proletariats geworden sind;
n) die Losung der Arbeiter* und Bauernregierung behält für
das gesamte Frankreich ihre besondere Bedeutung. Die Agitation
für diese Losung im Sinne des Beschlusses des V. Kongresses der >

K. I. muß zum Mittelpunkt der gesamten Agitation der franzö*


sischen kommunistischen Partei gemacht werden.
3. Deutschland. Die Hauptperspektive der deutschen Revo*
lution, wie sie im Exekutivkomitee der K. I. im Herbst 1923 gegeben
wurde, bleibt bestehen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Sieg
des „demokratischen Pazifismus“ in England und Frankreich der
deutschen Bourgeoisie und der deutschen Sozialdemokratie vor*
übergehend eine gewisse Kraft verleiht. Die „demokratisch*pazi*
fistischen“ Illusionen werden von England und Frankreich auch
auf Deutschland überspringen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß
Macdonald und die Herriot*Regierung vorübergehend das parla*
mentarische Gewicht der deutschen Sozialdemokratie erhöhen, ja
sie sogar für eine gewisse Zeit in den Sattel heben werden. All
das kompliziert die politische Lage in Deutschland und ergibt die
Möglichkeit einer langsameren Entwicklung. Trotzdem bleibt die
internationale Lage der deutschen Bourgeoisie und der deutschen
Sozialdemokratie ihrem Wesen nach hoffnungslos. Daran wird
auch all ihre Bereitwilligkeit, die Interessen des „Vaterlandes“
immer von neuem zu verraten, dem Sachverständigengutachten
ihren Segen zu erteilen usw., nichts ändern. Die innere Krise
kann sich sehr schnell zuspitzen. Das beweisen die großen
Klassenschlachten der letzten Zeit.
Die Krise der Partei ist überwunden. Um aber die restlose
Ueberwindung der Krise zu gewährleisten und der Entstehung
neuer Gefahren vorzubeugen, muß die gegenwärtige Zentrale der
Partei verstehen,

232
a) jedwede Neigung zum Austritt aus den Sozialdemokrat
tischen Gewerkschaften aufs energischste mit eiserner Faust zu
bekämpfen, alle Parteimitglieder, ohne Ausnahme zu verpflicht
ten, die Taktik der K.I. und des Frankfurter Parteitages in der
Gewerkschaftsfrage zu verwirklichen, entschieden und energisch
die Umorganisierung der Partei auf der Grundlage von Betriebst
zellen durchzuführen, was für die Partei von ungeheurem Nutzen
beim Uebergang zur Illegalität sein wird.
b) den Tendenzen, die unter der Maske des Radikalismus in
die Partei theoretischen Revisionismus und menschewistische Abt
weichungen einschmuggeln wollen, entschieden und schonungslos
entgegenzutreten;
c) die Linie der K.I. in der Frage des Verhältnisses zur
Bauernschaft mit Festigkeit und Energie durchzuführen;
d) dasselbe in der nationalen Frage zu tun;
e) in ihrer parlamentarischen Tätigkeit entschiedene, unvert
söhnliche prinzipielle kommunistische Haltung mit Sachlichkeit zu
verbinden;
f) der Betriebsrätebewegung eine weit größere Beachtung als
bisher zu widmen.
Das Exekutivkomitee der K.I., wie sämtliche Brudersektionen,
müssen der gegenwärtigen Zentrale der KPD. eine unbegrenzte
Unterstützung gewähren. Dann wird die KPD. die rechten
Tendenzen, die der Partei einen so ungeheuren Schaden zugefügt
haben und hier und da Wiedererstehen können, mit Leichtigkeit
überwinden.
4. T schechoslow akei. Rechte Tendenzen, die sich in Deutsch*
land konsequent zu Ende entwickelt und erst dadurch ihre Halt*
losigkeit vollauf offenbart haben, gab und gibt es auch in der
tschechoslowakischen Partei. Wenn dieselben Tendenzen hier
nicht denselben Bankrott erlebten wie in Deutschland, so nur
darum, weil das politische Entwicklungstempo in der Tschecho*
Slowakei ein langsameres war. Die Komintern hat neben ihren
anderen Funktionen auch die Aufgabe, dahin zu wirken, daß die
Sektionen voneinander lernen, daß Fehler einzelner Sektionen
nicht von anderen wiederholt werden. Das sollte im vorliegenden
Falle auch die tschechoslowakische Partei tun. Die tschechoslo*
wakische Kommunistische Partei, die in ihrer überwiegenden
Mehrheit aus vortrefflichen proletarischen Elementen besteht, ver*
mochte ungeachtet dieses Umstandes bisher keine wirkliche
bolschewistische Partei zu werden. Daher muß man:
a) vor allem die theoretische Linie der Partei korrigieren;
b) die Fehler in den Formulierungen des Prager Parteitages
und der jüngstens Konferenz in Brünn als solche anerkennen;

2 3 3
*ft
' 1

c) die ganze Partei darauf einstellen, daß es nicht allein genügt,


die Massen zu erfassen, sondern daß es notwendig ist, sie zu
revolutionären Teilkämpfen zu führen und ideologisch und orga*
nisatorisch auf die Führung des Endkampfes vorzubereiten;
d) bei der Durchführung der Einheitsfronttaktik die rechten
Tendenzen bekämpfen und entschieden die Beschlüsse des V. Welt*
kongresses vertreten und ausführen;
e) eine erhöhte Aktivität bei der Arbeit unter der Bauern*
tej schaft entfalten;
v .. ‘ -
f) das nationale Programm der Partei und die zu verstärkende
\f
^ % *
nationale Politik in klar leninistischem Sinne einstellen;
V" ' g) die parlamentarische Tätigkeit der Partei im Sinne des
V > revolutionären Parlamentarismus führen;
r ^ h) die Tätigkeit des Z.K. reger gestalten, die Führung steti*
;; ger, angespannter, energischer machen;
.ß .

i) dem ZJC. frische Kräfte aus der Mitte der wertvollsten


Arbeiter zuführen;
\■

r j) in kameradschaftlicher Weise und ohne Voreingenommen*


0
1
heit den begründeten Forderungen der auf dem V. Kongreß her*
^ ' i

V vorgetretenen Minderheit, besonders auch der Jugendbewegung,


entgegenkommen.

f *

. +
. n
k
%


i

Você também pode gostar