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Aussage
Thema:
Verweigerung
und verhörmethoden
Auch am Haken
V.i.S.d.P. M. Krause über Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. Postfach 3255 37022 Göttingen
Druck Eigendruck im Selbstverlag
Stand September 2007
Nachdruck, auch auszugsweise, ausdrücklich erwünscht (bitte Belegexemplar zusenden).
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Vorweg
••• Die Erkenntnis, dass jede fortschrittliche Naziaufmärsche, Bildungsreform o. ä. sehen sich
politische Bewegung, die gegen die herrschenden Anti-Repressionsgruppen immer häufiger damit
Zustände kämpft, über kurz oder lang mit den konfrontiert, dass zu dem Zeitpunkt, an dem
Repressionsorganen des Staates konfrontiert wird, jemand zur Beratung kommt, der /die Betroffene
ist so alt wie die Geschichte dieser Bewegungen sich bereits zur Sache eingelassen und Aussagen
selbst. Denn Proteste und Widerstand – etwa gegen gemacht hat. Dann ist das Kind quasi schon in den
Kriegspolitik, Abschiebungen, die kapitalistische Brunnen gefallen.
Globalisierung oder Atomtransporte – werden auch Gefördert wird ein solches Verhalten von Grup-
immer wieder dazu führen, dass Menschen nicht pen die einen »kreativen Umgang mit Polizei und
nur gegen diese Missstände angehen, sondern sie Justiz« propagieren und damit von Repression
als Resultat aus dem kapitalistischen System Betroffenen das Gefühl vermitteln, die Polizei mit
begreifen und damit auch beginnen, die bestehen- harmlosen Aussagen im Verhör ›austricksen‹ zu
den Machtverhältnisse zu hinterfragen. können. Aber: Es gibt keine ›harmlosen‹ Aussagen!
Ebenso wie aber Ausbeutungs- und Unterdrü- Jede Äußerung hilft der Polizei bei ihren Ermitt-
ckungsverhältnisse zwangsläufig aus der vorherr- lungen, entweder gegen dich oder gegen andere.
schenden kapitalistischen Profitwirtschaft resul- Scheinbar ›entlastende‹ Aussagen können entweder
tieren, sind auch die Angriffe des Staates auf die- andere belasten, oder der Polizei Tipps geben, nach
jenigen, die sich der bestehenden Ordnung ent- weiteren Beweisen gegen dich zu suchen oder sie zu
gegenstellen, systemimmanent. So ist auch die erfinden. Deshalb: Bei Polizei und Staats-
Linke in der BRD seit eh und je mit Einschüchte- anwaltschaft konsequente Aussageverweigerung!
rungsversuchen, Hausdurchsuchungen, (politischer) Der Trend sich bei der Polizei, der Staatsan-
Strafverfolgung und Knast konfrontiert. Um den waltschaft oder vor Gericht zur Sache einzulassen
Repressionsorganen des Staates keinen Einblick in zeigt, dass Wissen und Bewusstsein über den rich-
die eigenen Strukturen zu gewähren und sich tigen Umgang mit Polizei und Justiz nicht selbst-
selbst und andere vor Repression zu schützen, galt verständlich sind. Das liegt vor allem daran, dass
in der Linken lange Zeit strömungsübergreifend das die Linke in ihrer Vielfältigkeit eher über lose als
»Anna und Arthur halten’s Maul«-Prinzip. verbindliche Strukturen verfügt und damit eine
Seit einigen Jahren aber nehmen wir als Rote generationsübergreifende Vermittlung bestimmter
Hilfe zur Kenntnis, dass viele Menschen bei der Grundsätze in der Regel nicht stattfindet.
Polizei Aussagen machen, um entweder ihre eige- Deshalb muss das Thema Aussageverweigerung
ne ›Unschuld‹ zu beweisen oder weil sie einge- ein permanenter Bestandteil der politischen Arbeit
schüchtert sind. Auch bei der Staatsanwaltschaft sein. Nur wenn wir diesen Grundsatz kontinuierlich
wird geredet, vor Gerichten werden Zeugenaussa- an die neuen GenossInnen weitergeben, können wir
gen gemacht. Beispielhaft hierfür sind sowohl die uns und unsere Strukturen schützen. Die vorlie-
Einlassungen im Berliner Verfahren gegen mut- gende Broschüre soll ein Beitrag hierfür sein. Sie
maßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen soll aufzeigen welche Rechte wir als BeschuldigteR
(03/2001–03/2004), als auch Aussagen, die im oder ZeugIn gegenüber Polizei, Staatsanwaltschaft
Zusammenhang mit den Anti-Globalisierungspro- und Gerichten haben, welche Konsequenzen eine
testen in Göteborg oder Genua (2001) gemacht Aussageverweigerung haben kann und warum es
wurden. Doch auch nach lokalen Aktionen gegen trotzdem richtig ist, die Klappe zu halten.
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1
... Polizei und
Staatsanwalt-
schaft
06 Rote Hilfe e.V. Bitte sagen Sie
jetzt nichts !
••• Grundsätzlich empfiehlt es sich, mit Poli- Aussage verweigerst. Wenn sie merken, dass du auf
zeibeamtInnen nur das allernotwendigste zu reden ganz ›unverfängliche‹ Fragen – vielleicht auch
(Verlangen nach Anwaltstelefonat, Toilettengang widerwillig – noch eingehst und antwortest, werden
etc.) bzw. am besten einfach durchgängig zu sie ihre Chance wittern und auch dann gnadenlos
schweigen. Es empfiehlt sich dringend, jeden Kon- weiterbohren, wenn du auf andere Fragen schon
takt auf eine ausschließlich formale Ebene zu zie- nicht mehr antworten willst: Sie werden keine
hen, das heißt z.B. sich nicht duzen zu lassen und Ruhe geben, solange du überhaupt auch nur auf
die BeamtInnen zu siezen. das Gespräch eingehst. Völlig anders ist die Situa-
Der Polizei gegenüber besteht lediglich die Ver- tion, wenn du unmissverständlich klar machst,
pflichtung, »Angaben zur Person« zu machen. Das dass du die Aussage verweigerst: Auf jede, aber
sind: auch jede Frage Schweigen oder eintönig wie eine
• Name, ggf. Geburtsname kaputte Schallplatte wiederholen: »Ich verweigere
• (Melde-)Adresse die Aussage!«. »Wollen Sie eine Zigarette?« »Ich
• Familienstand (z.B. »ledig«) verweigere die Aussage!« »Regnet es draußen?«
• Staatsangehörigkeit »Ich verweigere die Aussage!« Keine Angst, nie-
• allgemeine Berufsbezeichnung mand wird dich für blöd halten, auch wenn dein
(z.B. »Angestellte«, »Student«). Gegenüber so tun wird. Er /sie wird im Gegenteil
Diese Angaben kannst du natürlich verweigern, sehr schnell kapieren, dass es dir ernst ist, dass du
nur wird den PolizistInnen damit ein Vorwand nicht zu übertölpeln bist und genau weißt, was du
gegeben, dir Fingerabdrücke abzunehmen, dich zu tust. Das heißt für dich auf jeden Fall erstmal raus
fotografieren und zur Identitätsfeststellung festzu- aus der Verhörmühle und im besten Fall, dass du
halten. Generell ist die Verweigerung der Persona- nach Hause gehen kannst.
lien eine Ordnungswidrigkeit und kostet ein paar
Hunderter Bußgeld. Nichts sagen – aber auch nichts
Auch wenn dir Sachen vorgeworfen werden, mit unterschreiben!
denen du gar nix zu tun hast, möglicherweise auch
Sachen, die du nie tun würdest – halte bitte trotz- Du bist nicht verpflichtet, Beschlagnahmeproto-
dem die Klappe. Was dich entlastet, kann jeman- kolle, Verhörprotokolle usw. zu unterschreiben.
den anderes belasten. Hat von zwei Verdächtigen Nichts unterschreiben heißt, nicht zu bestätigen
eine/r ein Alibi, bleibt der /die andere übrig. Auch was dir angeblich gehört oder was du gesagt oder
Informationen darüber, was du nicht getan hast, getan haben sollst. Auch nichts »zur Kenntnisnah-
helfen dem Staatsschutz, ein Gesamtbild gegen me« unterschreiben! Im Zweifelsfall werden solche
dich und andere zu konstruieren. Zu schweigen ist Angaben nur gegen dich verwendet. Falls du
nicht nur ein Gebot der Solidarität gegenüber beschlagnahmte Gegenstände zurückhaben möch-
anderen und der Vernunft im Hinblick auf ein test, kannst du dich immer noch später bzw. nach
eventuell anstehendes eigenes Strafverfahren. In Rücksprache mit deiner Anwältin oder deinem
einer solchen Situation ist es darüber hinaus auch Anwalt darum kümmern, wenn die Risiken besser
schlichtweg am einfachsten, am bequemsten und abschätzbar sind.
am schmerzlosesten, von vorneherein den Verneh-
merInnen klar zu machen, dass du umfassend die
... Polizei und 07
Staatsanwalt-
schaft
• Ein blick in die Fachliteratur ... politische Diskussionen, aber auch Versuche, die
PolizistInnen zu verarschen, sind einfach unange-
»Trotz entscheidender Fortschritte der Krimi-
bracht und gehen nach hinten los.
naltechnik zur Optimierung des Sachbeweises
Beispiel Vorkontrolle: Die bei einer Vor-
hat der Personalbeweis nicht an Bedeutung
kontrolle offensichtlich scherzhaft geäußerte
verloren. Insbesondere zur Erforschung des
Bemerkung »Wir wollen zum Winterschlussver-
subjektiven Tatbestandes hat er nach wie vor
kauf« – über die die BeamtInnen ebenfalls lachten
große Bedeutung. Dazu sind Aussagen des
– fand Eingang in den polizeilichen Bericht über
Beschuldigten direkt oder aber auch Aus-
den Vorgang und wurde vom erstinstanzlichen
sagen, die er gegenüber Zeugen gemacht hat,
Gericht als Täuschungsmanöver interpretiert, das
eine wichtige Erkenntnisquelle.«
die wahren Absichten verschleiern sollte.
(aus Brockmann/Chedor, Vernehmung –
Neben den Verhörsituationen nach einer Fest-
Hilfe für den Praktiker, Hilden 1999)
nahme oder Vorladung versuchen die Ermittlungs-
behörden über vielfältige Anquatschversuche an
Informationen zu kommen. JedeR kennt sie wohl,
Im alltäglichen Konflikt die ›Deeskalationsbeamten‹, die mittlerweile bei
mit der Polizei jeder größeren Demo aufkreuzen und nett ihre Flu-
gis verteilen. Und während den einen in Arbeits-
Die meisten von euch werden die häufigsten Erfah- teilung das Prügeln und Dreschen überlassen wird,
rungen mit Polizei und Repression auf Demonstra- labern die anderen dich voll: Demo und so sei ja
tionen machen – um hier gut vorbereitet und ein gutes Recht, der Zweck legitim, aber bitte ohne
geschützt zu sein, empfiehlt es sich: Gewalt usw. usf. ... und dann, so nebenbei: »Von
• die Nummer des Ermittlungsausschusses (EA) welcher Schule seid ihr denn?«, »Wie viele seid ihr
zu notieren denn?«, »Wohin geht’s denn?«. Leider fallen
• auf Durchsagen der Demo-Leitung zu achten immer noch zu viele auf diese Masche rein, aber
und mach dir nichts vor: Es handelt sich hier um
• sich möglichst innerhalb seiner Bezugsgruppe psychologisch besonders geschulte PolizistInnen,
zu bewegen – es hilft im Falle eines Falles unge- die die erhaltenen Informationen sammeln und
mein, von Menschen umgeben zu sein, die du auswerten. Und nur darum geht es: Informationen!
kennst! Informationen! Und die sollten sie von dir nicht
• kein Alkohol und keine Drogen vor und wäh- bekommen. Nichts spricht dagegen, sich ein Flug-
rend der Demo, du brauchst einen klaren Kopf blatt zu sichern bevor ein Argloser darauf reinfällt,
und gefährdest sonst dich und andere. aber rede nicht mit ihnen!
Dabei gibt es vielfältige Situationen, in denen Denn auch wenn kein Ermittlungsverfahren
die Gefahr besteht, Informationen preiszugeben. läuft, du nicht gerade festgenommen wurdest usw.
Am Rande von Kundgebungen und Demons- ist es ratsam, sich einen bewussten Umgang mit
trationen, bei Vorkontrollen und bei Alltagseinsät- der Polizei anzugewöhnen, wobei das Prinzip der
zen wie z. B. Verkehrskontrollen – immer wieder ist »Aussageverweigerung« eine gute Richtschnur ist,
ein sorgloser Umgang mit den polizeilichen Ein- denn alles was bei Polizei und Staatsanwaltschaft
satzkräften zu beobachten. Fröhliche Plaudereien, gesagt wird, kann gesammelt und als Beweismittel
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jetzt nichts !
sInnen, Ermittlungsausschuss (EA), Roter Hilfe RichterIn oder StaatsanwältIn angeordnet werden
und Rechtsanwältinnen / Rechtsanwälten bespre- (bei »Gefahr im Verzug« auch Anordnung von DNA-
chen (siehe Seite 15ff, »... vor Gericht«). Analysen durch die Polizei.1 Dieses Vorgehen ist
Alle möglichen Verteidigungsstrategien, wirk- umstritten – insbesondere nach der höchstrichter-
lich alles ist auch nach umfassenden Gesprächen lichen Feststellung, dass die bei der Polizei aus-
und nach Akteneinsicht durch deine Verteidige- ufernde Anwendung der »Gefahr im Verzug«-Ein-
rInnen noch möglich! Das verfrühte Ausplaudern griffbefugnisse rechtswidrig ist). Die Blutentnahme
von Alibis oder entlastenden Tatsachen kann dir muss von einem Arzt/ einer Ärztin durchgeführt
selbst und anderen ein Bein stellen – und den werden.
Genossinnen und Genossen die dich unterstützen
sowie der Verteidigung kostbare Zeit nehmen. Im Verhör
Im Fall einer drohenden Ein Verhör ist eine kommunikative Situation, in der
DNA-Analyse die Verhaltensweisen des zu Vernehmenden beob-
achtet werden und die jeweilige Vernehmungs-
Zunehmend wird versucht, Festgenommenen DNA- technik bestimmen. Es ist kaum möglich, sich die-
Proben zu entnehmen. Wie immer gilt: Keine Auss- ser Situation zu entziehen und selbst wenn du
sagen, keine Unterschriften! Besonders keine Ein- nichts sagst, keinen Kaffee und keine Zigaretten
willigung zur freiwilligen Speichelprobe unter- annimmst, so lieferst du damit doch ein Bild von
schreiben! dir, auf das sich die PolizistInnen in aller Regel
• Wie gegen jede erkennungsdienstliche schnell einstellen.
Behandlung, legt explizit auch gegen eine Spei- Da, wo die Betroffenen die Aussage total ver-
chelprobe Widerspruch ein und lasst diesen weigern, ist es für die PolizistInnen entscheidend,
schriftlich festhalten, unterschreibe aber nichts! die Beschuldigten zum Reden zu bringen – egal,
• Anwesende AnwältInnen können solche recht- über was. Ist erst einmal der Anfang gemacht und
lich fragwürdigen Maßnahmen manchmal verhin- aus der Sicht der PolizistInnen der Durchbruch
dern. Informiere eine Anwältin/ einen Anwalt dei- geschafft, ist schnell nichts mehr zu retten. Diese
nes Vertrauens oder den EA über eure Festnahme Einschätzung wird so auch in Bezug auf politische
und die geplante DNA-Analyse. Verfahren in der entsprechenden Fachliteratur der
• Lass dich von eventuellen Drohungen der Poli- Polizei vertreten.
zeibeamtInnen nicht einschüchtern, sondern Die Schwierigkeit liegt darin, dass du einerseits
behalte einen klaren Kopf. Bedenke die Konse- nicht einfach nur dasitzen und den Mund halten
quenzen einer Speicherung in der DNA-Datei. kannst. Du willst den Grund der Festnahme erfah-
• Und das war’s dann aber auch maximal! Kei- ren, willst Angehörige, Rechtsbeistand oder
nen Ton mehr! Nichts über Eltern, Schule, Firma, Bekannte anrufen, brauchst vielleicht einen medi-
Wetter ...; einfach: Gar nix! zinische Versorgung ... und andererseits sind das
Wenn die PolizeibeamtInnen mit einer zwangs- genau die Punkte, an denen die PolizistInnen
weisen Blutentnahme drohen: Dies stellt einen
Eingriff in die gesetzlich geschützte körperliche 1 • Beachte: Hier gelten auf polizeirechtlicher Ebene unter-
Unversehrtheit dar und muss deshalb von einem/r schiedliche Bestimmungen in den einzelnen Bundesländern!
... Polizei und 11
Staatsanwalt-
schaft
hang, kann es vorkommen, dass Post von den Poli- Vorbereitet sein!
zistInnen oder der Staatsanwaltschaft im Briefkas-
ten liegt. Hierbei kann es sich um ganz unter- Wichtig ist, dass du die Rahmenbedingen, mit
schiedliche Schriftstücke handeln, die auch eine denen die ErmittlerInnen dadurch, dass sie dich
unterschiedliche Reaktion erfordern: festhalten, Druck ausüben können, so weit wie
• Es kann ein polizeilicher Anhörungsbogen sein möglich selbst reduzierst. Dafür solltest du im Vor-
(muss nicht ausgefüllt werden), aus all die in dieser Situation beunruhigenden
• eine Vorladung als ZeugIn oder als Beschul- Bereiche soweit wie möglich regeln:
digteR (sorgfältig lesen), • Kläre vor einem Termin ab, wer sich um eure
• ein Strafbefehl (Beachte: Formaljuristische Kinder kümmert. Du wirst ruhiger sein, wenn du
Fristen laufen ab Datum der postalischen Zustel- weißt dass deine Kinder bei Leuten sind, bei
lung – auch wenn du im Urlaub bist! Rechtzeitig denen sie sich wohl fühlen,
Einspruch einlegen!) • Check’ ab, wer sich um deine FreundInnen
• oder aber auch nur ein Bußgeldbescheid (Frist oder (wenn dir deine Familie wichtig ist) um
beachten und Widerspruch einlegen!). deine Verwandtschaft kümmert,
• Manchmal rufen die Ermittlungsbehörden aber • Organisiere jemanden, die /der sich um
auch zu Hause an. Fristen bei Schriftkram, um Wohnung, Arbeit,
Egal welches Schreiben dir zugeht, es ist wich- Arbeitsagentur, Ämter usw. kümmert,
tig, nicht in Panik zu verfallen und sich nicht ein- • Überlege, wer wichtige Sachen erledigt, wenn
schüchtern zu lassen. Zunächst sollte frühzeitig (!) du verhindert sein könntest.
das Gespräch mit der Roten Hilfe e.V. oder einer
Anti-Repressionsgruppe gesucht und das weitere
Vorgehen besprochen werden. Vielleicht bist du ja
nicht die/der einzige Betroffene. Dabei sollte über-
legt werden, ob es bereits jetzt sinnvoll wäre,
Öffentlichkeit herzustellen und Solidarität einzu-
werben. Grundsätzlich gilt, dass du zu Vorladungen • Ermittlungsakte
der Polizei nie erscheinen musst.
Hier wollen wir kurz auf die Ermittlungsakte
Bei Vorladungen durch die Staatsanwaltschaft
eingehen; bei vielen Verfahren mag der Anlass
sollte unterschieden werden, ob du als Beschul-
und der Vorwurf ja auf der Hand liegen, aber
digteR oder ZeugIn vorgeladen bist. Einer Vor-
generell kann bis zur Einsicht in die Ermitt-
ladung zur Staatsanwaltschaft solltest du Folge
lungsakte (über Anwältin / Anwalt) NIEMAND
leisten, da du sonst unter Umständen zwangsweise
wissen, in welchem Zusammenhang genau
vorgeführt werden kannst. Gehe aber nie alleine
ermittelt wird. Erst nach Einsicht in diese
und ohne Absprache mit deiner Anti-Repressions-
(manchmal – natürlich aus Versehen – unvoll-
gruppe, dem örtlichen Ermittlungsausschuss (EA)
ständig (!) oder nachlässig geführte) Akte
oder der Roten Hilfe zu einer Vorladung. Bereite
kannst du und deine Anwältin /dein Anwalt
dich vor! Besprich dich mit AnwältInnen!
ermessen, was wann Bedeutung erlangen
Aber auch bei Vorladungen gilt: Keine Aus-
kann.
sagen vor der Staatsanwaltschaft (siehe 4)!
14 Rote Hilfe e.V. Bitte sagen Sie
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••• Vor Gericht gibt es unterschiedliche Mög- HaftrichterInnen erlassen den Haftbefehl
lichkeiten der Betroffenheit: wegen »dringenden Tatverdachts« (dringender Tat-
• als BeschuldigteR/ AngeklagteR verdacht besteht dann, wenn nach dem gegenwär-
• als ZeugIn der Anklage tigen Stand der Ermittlungen die Wahrscheinlich-
• (als ZeugIn der Verteidigung) keit groß ist, dass der/die Beschuldigte schuldigeR
Je nach der Rolle im Prozess bestehen unter- TäterIn oder TeilnehmerIn ist). Zu den Tatvorwür-
schiedliche Rechte und Einschränkungen. fen, die auf den Ermittlungen der Repressions-
Um eine sinnvolle Anti-Repressionsarbeit vor organe beruhen und die zum Haftbefehl führen
Gericht zu machen, sehen wir zwei mögliche Her- können, kommen noch so genannte ›Haftgründe‹
angehensweisen: dazu.
1. Die konsequente Weigerung, vor Gericht Ein- »Haftgründe« gibt es vier: »Fluchtgefahr«, »Ver-
lassungen zu machen bzw. überhaupt vor Gericht dunkelungsgefahr« (damit sind Versuche gemeint,
zu agieren, Beweise verschwinden zu lassen oder Zeugen unter
2. Ein zielgerichteter, politisch geführter Prozess. Druck zu setzen), »Wiederholungsgefahr« oder be-
sonders schwere Tatvorwürfe (bei Vorwürfen wie
Aussageverweigerung als »Mord«, »Totschlag« oder 2Unterstützung einer
BeschuldigteR vor dem Haftrichter terroristischen Vereinigung« wird oft grundsätzlich
Haftbefehl erlassen).
Bei bestimmten Vorwürfen besteht nach einer Für eine angenommene Fluchtgefahr spricht
Festnahme die Gefahr der Untersuchungshaft, die »ohne festes soziales Umfeld«, ohne Kinder, keine
durch einen Haftrichter verhängt werden muss. eingetragene Partnerschaft / Ehe etc. Sagst du
Spätestens achtundvierzig Stunden nach einer etwas zu den Punkten Verdunkelungs- oder
Inhaftierung muss eine so genannte Haftprüfung Wiederholungsgefahr, dann hast du ruck-zuck eine
stattfinden: Hier entscheidet ein/e RichterIn, ob du Diskussion über die Tatvorwürfe am Hals. Sagst du
in Untersuchungshaft kommst oder freigelassen etwas zum Thema Fluchtgefahr, zu deinen Part-
wirst. nern, Bindungen oder deiner Wohngemeinschaft,
Hier ist zu beachten: Selbst wenn eine Aussage liegt die Gefahr auf der Hand: Du nennst Namen
vor dem Haftrichter die U-Haft abwenden könnte – und gibst Hinweise. Sollten diese »Haftgründe«
es ist zu diesem Zeitpunkt nicht klar, ob die bis- nicht in dem für eine Inhaftierung notwendigen
herigen Ermittlungen überhaupt genug verwertbare Maß zutreffen, wird als Argument gerne angeblich
Erkenntnisse für einen späteren Prozess hergeben. fehlendes soziales Umfeld bzw. fehlende polizeili-
Wenn alle Betroffenen schweigen, kommt es even- che Meldeadresse (»Ohne festen Wohnsitz« – OfW)
tuell gar nicht zu einem Prozess. genommen.
Ein Haftbefehl kann »außer Vollzug« gesetzt Aber aufpassen, es kann so ablaufen, dass der
werden. Das heißt jedoch nicht, dass damit die Tat- Haftrichter sagt, »erzählen Sie mir etwas oder Sie
vorwürfe aus der Welt geschafft wären, sondern der bleiben hier«. Es besteht immer die Gefahr, dass
Haftbefehl wird gegen Auflagen – regelmäßige man dir die Freilassung gegen Aussage anbietet –
Meldung bei der Polizei, kein Kontakt zu anderen was zwar rechtswidrig ist, aber erst Mal verlockend
Mitbeschuldigten (§ 116 Strafprozessordnung) oder erscheint. Verlange hier am besten eineN Rechts-
Kaution – zunächst nicht ausgeführt. anwalt / Rechtsanwältin deines Vertrauens! Wie
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Entscheidung zur Aussageverweigerung akzeptie- ihrem Auftreten aber nicht berechenbar. Die Art
ren, auch wenn sie in ihren Augen juristisch von und Weise sowie der Grad ihrer Schärfe hängen von
Nachteil sein mag! Außerdem muss klar sein, dass vielerlei Umständen ab; sie ist nicht wirklich vor-
Aussagen von VerteidigerInnen im Prozess, die hersehbar, etwa in dem Sinne von »für dieses und
nicht in der festgelegten Prozessstrategie einge- jenes gibt es das und das«. Je nach RichterIn,
bettet sind, ebenso gefährlich sein können wie StaatsanwältIn, politischer Großwetterlage, Ort
Aussagen des/der Beschuldigten. Sie sollten daher (Bundesland) des Verfahrens, Prozessstrategie und
unbedingt vermieden werden. Das Vorgehen und deinem persönlichem Verhalten vor Gericht kann
die Ziele müssen schon im Vorfeld mit der Vertei- das Strafmaß für gleiche Vorwürfe völlig unter-
digung abgeklärt und besprochen werden. schiedlich ausfallen.
Die gesetzliche Regelung, dass bei einem Ver- Es will gut überlegt sein, ob und wie ein
fahren mit mehreren Angeklagten keine gemeinsa- Rechtsstreit geführt werden soll. Weil in gewisser
me Vertretung durch eine Anwältin /einen Anwalt Weise jedem Gerichtsverfahren ein ›politischer
möglich ist, zwingt zu teuren und komplizierten Kern‹ innewohnt – sei es im sozialen Sinn als
Einzelvertretungen durch mehrere AnwältInnen. In Repression gegen Arme, Widerständige und Unan-
solchen Fällen ist eine genaue Absprache unter gepasste oder weil es im Zusammenhang steht mit
allen Beteiligten und ihren VerteidigerInnen sehr Polizeiaktionen gegen politische Strukturen oder
wichtig – sollten die einen die Aussage verweigern, Widerstandszusammenhänge – sprechen wir im
die anderen aber munter drauflos plaudern, geht Folgenden nicht von »politischen Prozessen«, son-
dies mit Sicherheit für alle Beteiligten schief! dern von »politisch geführten Prozessen«. Damit
wird deutlich, dass bewusst entschieden wurde,
EntlastungszeugInnen den Prozess zu führen.
Zentrales Ziel des Prozesses ist das Öffentlich-
»EntlastungszeugInnen« zu benennen ist grund- machen bzw. das Durchsetzen bestimmter politi-
sätzlich abzulehnen und meist gefährlich! Erstens scher Positionen und Forderungen (z.B. »Wir lassen
hilft das ohnehin nichts, und zweitens werden nur uns keine Parole verbieten! Wir nennen Kriegstrei-
andere mit in die Ermittlungen hineingezogen. Es ber auch so«). Im Vordergrund steht hier nicht
haben schon ZeugInnen, die von unverteidigten, unbedingt ein möglichst geringes Strafmaß oder
unvorsichtigen Angeklagten benannt wurden, gar ein Freispruch. In einem politisch geführten
genau dasselbe Verfahren bekommen und außer- Prozess entschließen sich die Angeklagten gezielt
dem noch eins wegen »Meineides« in dem Verfah- in Absprache mit ihrem politischen Umfeld mittels
ren, in dem sie ZeugInnen waren (siehe 4). Gerichtsverfahren eine Öffentlichkeit anzuspre-
chen, zu informieren, etwas zu erkämpfen, zu ver-
Politisch geführte Prozesse ändern bzw. zu erhalten.
Es lohnt oft, für bestimmte kriminalisierte
Unklare Zuständigkeiten, Konkurrenzdenken unter Parolen und Meinungsäußerungen oder gegen
Diensten, Behörden und / oder Funktionsträgern, Beschneidungen der Demonstrationsfreiheit vor
Profilierungsversuche usw. können zu unterschied- Gericht zu kämpfen, auch wenn es dabei häufig
lichen Reaktionen des Machtapparates führen: ›nur‹ um geringe Geldstrafen geht. Die Höhe des zu
Staatliche Repression ist zwar eine feste Größe, in erwartenden Strafmaßes – egal ob Geldstrafe oder
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Knast – sollte bei der Beantwortung der Frage, ob immer bedacht werden, dass Aussagen hier auch
und wie ein Prozess politisch geführt wird, nicht im besonders viel Schaden anrichten können.
Mittelpunkt stehen. Unter politisch geführten Prozessen ver-
Es darf keine Unterschiede im gemeinsamen stehen wir (im Idealfall):
Umgang mit Aussageverweigerung und dem Auf- • kollektiv vorbereitete, durchgeführte und nach-
treten vor Gericht, auch nicht festgemacht an der bereitete Prozesse, und zwar durch Soli- und Pro-
›Wichtigkeit‹ oder ›Schwere‹ des Repressions-Fall- zessgruppen, EA oder Rote Hilfe,
les, geben. Bei einem einfachen Verstoß gegen das • die juristische Vertretung erfolgt durch Rechts-
Versammlungsrecht muss ebenso gemeinsam dis- anwältInnen, die mit dem politischen Umfeld des /
kutiert, überlegt und bewusst entschieden und der Angeklagten konstruktiv zusammenarbeiten,
gehandelt werden wie bei mehrfach angedrohter • vor, während und nach dem Prozess wird
Beugehaft wegen kollektiver Aussageverweigerung Öffentlichkeitsarbeit gemacht,
von Zeuginnen und Zeugen, einem Ermittlungsver- • Voraussetzung dafür ist eine Grundüberein-
fahren wegen §129a StGB (›Bildung‹, ›Unterstüt- stimmung zwischen Angeklagten, Rechtsbeistand
zung‹ oder ›Werbung‹ für eine ›terroristische‹ Ver- und Unterstützungsgruppen.
einigung) oder bei skandalösen Massenverhaftun- Um eine passende und möglichst erfolgreiche
gen. Prozesstaktik zu entwickeln, ist eine Vielzahl von
In jedem Fall ist absolut wichtig, dass die politischen und individuellen Aspekten zu klären:
Betroffenen nicht alleine dastehen und dass ihnen • Wer strebt den Prozess an – die eigenen politi-
nicht isoliert von den politischen Zusammenhän- schen Zusammenhänge oder die Gegenseite?
gen stellvertretend für alle anderen der Prozess • Vor welchem politischen Hintergrund findet der
gemacht wird. Kollektive politische Prozessarbeit Prozess statt? (Antifa, Sozialabbau, Anti-Atom ...)
ist sozusagen Pflicht! Es hat sich einfach gezeigt, • Welche persönliche, juristische und politische
dass es sehr viel weiterhilft, vorher mit FreundInn- Zielsetzung gibt es – was soll /kann erreicht wer-
nen zu reden, alle Ängste zu besprechen, Hoffnun- den? (z.B. Schadensbegrenzung, Freispruch, Auf-
gen zu diskutieren, mitzukriegen, wie es den ein- decken von Konstrukten oder Vertuschungen von
zelnen geht und alles anzusprechen, was euch in Repressionsorganen und / oder Geheimdiensten,
den Kopf kommt, auch wenn es blöd erscheint. Es Widerstand, Zuspitzung oder Nutzen für die Linke)
sind solche Dinge, die uns in Verhörsituationen auf • Wie ist die politische und persönliche Situation,
die Füße fallen, wenn wir alleine oder nur mit wie sehen die persönliche Bereitschaft und die
Anwältin/Anwalt vor Staatsanwaltschaft und Rich- Kapazitäten des /der Angeklagten aus?
terIn sitzen. • Welche juristischen und politischen Möglich-
In der Praxis zeigt sich, dass bei politisch keiten bieten sich nach eingehender Analyse und
geführten Prozessen mit der Frage, ob und welche Abwägung der bekannten Fakten?
Aussagen, Einlassungen und Erklärungen vor • In welchem Maße soll Öffentlichkeitsarbeit
Gericht gemacht werden, sehr differenziert umge- gemacht werden?
gangen werden muss. Alle Äußerungen, die von • Gibt es Presse- und Bündnisarbeit?
Seiten der / des Angeklagten gemacht werden, • Welches Verhältnis hat die Prozessführung zum
besitzen eine politische Tragweite, sowohl in der Grundsatz der Aussageverweigerung?
Prozessführung als auch nach außen. Dabei muss
... Vor Gericht 19
Aussageverweigerung
in Schnellverfahren/ keine schriftliche Anklage vonnöten ist. Außerdem
Hauptverhandlungshaft haben die Angeklagten keine angemessene Vorbe-
reitungszeit für ihre Prozessführung. Die Anklage
Das Schnellverfahren (oder auch »Beschleunigte wird vom Staatsanwalt erhoben, muss aber nicht
Verfahren« §§417ff. StPO) gibt es in dieser Form schriftlich erfolgen. Auch ist die Beweiserhebung
seit 1994. Es wurde hauptsächlich für so genann- eingeschränkt, weil ZeugInnen nicht unmittelbar
te »reisende Gewalttäter«, also für DemonstrantIn- aussagen müssen, sondern die Angeklagten auf
nen, eingeführt. Es wurde bisher beispielsweise bei Grund von vorgelesenen Vernehmungsprotokollen
Anti-Castor-Aktionen und Antifa-Aktionen ange- verurteilt werden können. Dies gilt aber NUR dann,
wandt. Das deutsche Rechtssystem wirbt für dieses wenn der /die Angeklagte damit einverstanden ist.
Verfahren, da es angeblich schnell, einfach und Deshalb: Der Verlesung widersprechen, damit
billig sei. Diese Verfahren werden bei einfachen mehr Zeit zur Verfügung steht und die Möglichkeit
Tatvorwürfen praktiziert, wie z. B. bei Verstößen zur Beratung gegeben ist!
gegen das Versammlungsverbot, Haus- und Land- Seit 1997 gibt es dazu noch die Hauptverhand-
friedensbruch und Sachbeschädigung. Auf »fri- lungshaft (§ 127b StPO), da viele Angeklagte nicht
scher Tat« erfasste StraftäterInnen sollen nach zum Prozesstermin erschienen sind, weil sie diesen
Möglichkeit sofort nach der Festnahme, häufig am ›kurzen Prozess‹ nicht freiwillig mitmachen woll-
nächsten Tag, vor Gericht gestellt und verurteilt ten. In der Hauptverhandlungshaft kann der / die
werden können. Nur so könnten die Strafen »erzie- Festgenommene, welche/r für das Schnellverfahren
herisch wirksam« und »abschreckend« sein. Bei vorgesehen ist, ohne einen Haftgrund wie z. B.
Schnellverfahren werden die Verteidigungsrechte Flucht- und/ oder Verdunklungsgefahr bis zu eine
der Angeklagten massiv eingeschränkt, da u. a. Woche in Haft genommen werden.
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Voraussetzungen für das beschleunigte Verfah- brauchst während des Schnellverfahrens nur Anga-
ren sind: ben zu deiner Person zu machen. Wenn es zur Ver-
• ein nach Meinung von Staatsanwaltschaft handlung kommt, solltest du auch nichts sagen
und/oder Gericht einfacher Sachverhalt (auch nicht zum Tatvorwurf oder zur Festnahmesi-
• angeblich klare Beweislage tuation) und nichts unterschreiben. Du solltest
• ein, wie behauptet, nicht allzu schweres Delikt. keine Anträge stellen und auch keine Einverständ-
niserklärung abgeben, aber unbedingt Widerspruch
• Wie verhalte ich mich, wenn ein gegen eine Verlesung von Zeugenaussagen etc.
Schnellverfahren auf mich zukommt? einlegen. Wirst du verurteilt, kannst du innerhalb
einer Woche Berufung dagegen einlegen. Danach
Du solltest auf jeden Fall immer einen Anwalt/eine ist genügend Zeit, dich auf den Berufungsprozess
Anwältin deines Vertrauens verlangen! Es steht dir vorzubereiten.
ein Telefonanruf zu. Diesen solltest du nutzen um
jemanden draußen zu verständigen, eventuell eine Umgang mit der
Anwältin / einen Anwalt (auch über Anwaltsnot- Jugendgerichtshilfe
dienst), eine Rechtshilfegruppe wie den EA oder
die Rote Hilfe oder FreundInnen, die sich um Zunächst solltest du dir bereits bei der Vorberei-
rechtliche Unterstützung kümmern können. Auch tung von Aktionen die Frage stellen, was du deinen
im Rahmen von Schnellverfahren kann es sehr Eltern erzählst, falls die Sache anders verläuft, als
gefährlich sein irgendwelche Aussagen zu machen. du es dir vorgestellt hast. Denn unter 18 bzw. teil-
Eine konsequente und umfassende Aussageverwei- weise bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres
gerung ist auch hier allemal besser, selbst wenn weichen einige Punkte eines Strafprozesses bei
ein gestellter Anwalt etwas anderes rät! Du Jugendlichen (14 bis 17 Jahre) und Heranwach-
... Vor Gericht 21
senden (18 bis 21 Jahre) von dem Erwachsener ab. be, dem Gericht von dir begangene Verstöße zu
Für alle gilt zwar die Strafprozessordnung (StPO), melden. Die JGH ist ein ausgefeilter Teil des Kon-
bei Jugendstrafverfahren werden jedoch Teile der troll- und Überwachungssystems und hat die Auf-
StPO durch das Jugendgerichtsgesetz (JGG) gabe, dich wieder in die Gesellschaft ›einzuglie-
ersetzt. dern‹ und zu verhindern, dass du weiter an den
Bei Strafverfahren von Jugendlichen, also von Aktivitäten festhältst, die dir den Ärger mit den
14- bis 17jährigen, werden die Eltern oder der Strafverfolgungsbehörden erst eingebracht haben.
erziehungsberechtigte Elternteil von dem Verfahren Es ist nicht auszuschließen, und auch schon
informiert und auch zur Verhandlung geladen. Des- vorgekommen, dass die Ergebnisse der Ermittlun-
halb macht es Sinn, sich hiermit bei Zeiten aus- gen der Jugendgerichtshilfe dem Verfassungss-
einanderzusetzen. In der Regel wird das Jugend- schutz als Arbeitsgrundlage dienen. Die Mitarbei-
gerichtsgesetz JGG auch für Heranwachsende im terinnen und Mitarbeiter der JGH haben vor
Alter von 18 bis 21 Jahren angewandt, hier besteht Gericht kein Zeugnisverweigerungsrecht, dass
aber keine Anwesenheitspflicht der Eltern wäh- heißt, falls sie gefragt werden, sind sie zur Aussa-
rend des Verfahrens und sie werden von den Jus- ge über alles, was sie über dich zusammenge-
tizbehörden auch nicht über das Verfahren infor- schnüffelt haben, verpflichtet. Deshalb gilt: Auch
miert. beim Umgang mit der Jugendgerichtshilfe: Mach
Neben dir als angeklagter Person sind dann keine Aussagen zur Sache. Die MitarbeiterInnen
evtl. deine Erziehungsberechtigten, die Jugendge- der JGH haben sogar das Recht, sich in der Ver-
richtshilfe, die Staatsanwaltschaft und der / die handlung selbstständig zu äußern, auch wenn sie
RichterIn während des Prozesses anwesend. Die nicht gefragt werden. Die ›Nachforschungen‹
Verhandlungen sind bei Jugendlichen im Alter von anstellenden MitarbeiterInnen sollen während der
14 bis 17 Jahren nicht öffentlich. Verhandlung anwesend sein.
Die Jugendgerichtshilfe (JGH) ist verpflichten- Alles, was du den ›netten Leuten‹ von der JGH
der Teil des Verfahrens. Sie hat die Aufgabe der vielleicht im Vertrauen erzählt hast, kann vor
Ermittlungshilfe, der Betreuung und der Überwa- Gericht für dich von Nachteil sein – vielleicht ist
chung. Sie klärt nicht die Tat auf, sondern sie dann plötzlich von ›Verwahrlosung‹ die Rede oder
erforscht deine Persönlichkeit, deine Lebensum- von einem ›geschlossenen politischen Weltbild‹ ...
stände und Familienverhältnisse, deine Biografie Das bedeutet, dass du gegenüber der JGH am
und alle anderen Umstände, die für eine Beurtei- besten keinerlei Aussage zur Sache oder zu betroff-
lung deiner ›seelischen und geistigen Eigenart‹ fenen Personen machst. Distanz zu den Vertrete-
von Bedeutung sein könnten. Das Ergebnis dieser rinnen und Vertretern der JGH ist daher dringend
Ermittlungshilfe hat die JGH in einem Bericht geboten – sie sind Teile des Repressionsapparates
zusammenzufassen; hier soll sich die JGH auch zu und auch als solche zu behandeln.
den zu ergreifenden Maßnahmen und ›Zuchtmit- Deshalb solltest du auf gar keinem Fall etwas zu
teln‹ äußern. Bei den Betreuungsaufgaben geht es einem vermeintlichen Tatgeschehen sagen. Wir
z.B. darum, bei der Suche nach einer Lehrstelle zu legen dir nahe, dich gerade als JugendlicheR von
helfen und bei Problemen im Elternhaus beratend einer Rechtshilfegruppe bzw. deiner Rote-Hilfe-
zur Seite zu stehen. Vor allem bei der Überwachung Ortsgruppe beraten zu lassen, bevor du zur JGH
von gerichtlichen Auflagen hat die JGH die Aufga- gehst.
22 Rote Hilfe e.V. Bitte sagen Sie
jetzt nichts !
3
... Verhalten
als
Zeuge / Zeugin
... Verhalten 23
als
Zeuge / Zeugin
••• Zeuglnnenbefragungen finden in der Regel dich zwangsweise vorführen. Wir raten dringend
als Frage- und Antwort-Spiel statt, d.h. die Zeugln- dazu, mit einem Rechtsbeistand dort zu erschei-
nen bekommen keinen Fragenkatalog vorgelegt, wo nen.
sie von vornherein einen Überblick über die ein- Die Aussagepflicht (gegenüber Gericht und
zelnen Fragen und deren mögliche Bedeutung ha- Staatsanwaltschaft) kann mit Ordnungsgeld und
ben und eventuell in Ruhe entscheiden können, Beugehaft durchgesetzt werden. Daher dürfen
welche Frage sie beantworten. Die Vernehmenden gerade ZeugInnen der Anklage nicht alleine stehen.
bemühen sich um die Atmosphäre eines Gesprä- Solidarität und Unterstützung sind wichtige Bedin-
ches. Blockieren ZeugInnen an einzelnen Punkten gungen. Aber trotz allem: Auch als ZeugIn kein
dieses Gespräches, müssen sie dies häufig begrün- Wort zur Staatsanwaltschaft! Lassen wir sie ruhig
den. Diese zermürbende Situation hat z. B. im Fal- im Dunkeln tappen! Es gibt immer bessere
le eines Hamburger Zeugen drei Stunden gedauert. Momente für entlastende Aussagen als während
Die wenigsten Zeuglnnen werden sich nach einer einer staatsanwaltlichen Vernehmung – so z. B. bei
solchen Prozedur noch erinnern können, welche einem politisch geführten Prozess!
Informationen sie dem Staatsschutz gegeben haben. Grundsätzlich gilt: Informationen, wer mit wem
Als ZeugIn besteht – außer bei der Polizei – in einer Gruppe ist, wer mit wem welche Art von
grundsätzlich die Pflicht zur Aussage. Die Konse- Kontakt hat, wie bestimmte linke Zusammenhänge
quenzen einer Aussageverweigerung als ZeugIn rei- oder Strukturen aufgebaut sind etc. gehen den
chen von Ordnungsgeldern über Zwangsvorführung Staat nichts an! Solche Infos sollten niemals frei-
bis hin zur Beugehaft (zur Beugehaft siehe unten). willig (oder versehentlich) preisgegeben werden.
Es ist unbedingt notwendig, sich durch die Schweigen ist Gold!
Rote Hilfe, andere Rechtshilfegruppen und eine Auch solltest du keine irrationale Angst vor
Rechtsanwältin / einen Rechtsanwalt beraten zu Strafen bzw. Beugehaft haben. Von der Androhung
lassen! Darüber hinaus ist ein Öffentlichmachen eines Ordnungsgeldes durch die Staatsanwalt-
der Repression sinnvoll. schaft bis zur Verhängung von Beugehaft (dies ist
nur durch Richterin / Richter möglich) vergehen
Polizei immer ein paar Tage, in denen du dich mit Anwäl-
tInnen, FreundInnen und GenossInnen beraten
Auch als ZeugIn solltest du in der ersten Phase des kannst und solltest.
Verfahrens – unmittelbar nach der Aktion, nach
Festnahme, Durchsuchung, im Verhör – die Aussa- Vor Gericht
ge verweigern (s.o.). Bei polizeilichen Vorladungen
zur Zeugenvernehmung besteht nicht die Pflicht zu Wirst du später als ZeugIn zum Gerichtsprozess
erscheinen – deshalb noch mal der dringende Rat: geladen, solltest du dich im Vorfeld genau mit dei-
Nicht hingehen! nen VerteidigerInnen beraten, welche Konsequen-
zen eine Aussage oder eine Aussageverweigerung
Staatsanwaltschaft / RichterIn haben könnte. Weil die Staatsschutzjustiz in poli-
tischen Prozessen nicht nur die Überführung und
Vorladung der Staatsanwaltschaft, der Richterin / Verurteilung Einzelner sondern immer auch das
des Richters solltest du befolgen, sonst können sie Ausforschen von Widerstandszusammenhängen,
24 Rote Hilfe e.V. Bitte sagen Sie
jetzt nichts !
Spaltung durch das Fordern von Unterwerfungs- • Ach übrigens ... Falschaussagen
gesten usw. usf. zum Ziel hat, ist auch während des
Zeuginnen und Zeugen sind zu wahrheitsge-
Prozesses konsequente und umfassende Aussage-
mäßer Aussage verpflichtet. Vor der Staatsan-
verweigerung oft das einzige richtige Verhalten als
waltschaft gibt es zwar keinen Straftatbe-
ZeugIn. In den Fällen, in denen sich Betroffene
stand der »Falschaussage«, möglich ist aber,
nicht an die zwischen ihnen gemeinsam getroffe-
dass sie euch dann »Strafvereitelung« anhän-
nen und gemeinsam beschlossenen Absprachen
gen wollen! (Tatbestand: Falsche uneidliche
halten und damit eine Entsolidarisierung unter den
Aussage, Strafrahmen laut Gesetz: Drei Mona-
Beteiligten fördern, kann die Rote Hilfe eine
te bis fünf Jahre. Meineid vor Gericht: Nicht
Unterstützung ablehnen.
unter einem Jahr.) Von ›Falschaussagen als
Verteidigungsstrategie‹ raten wir ab. Falsch-
• Verhalten als ZeugIn der Verteidigung
aussagen sind immer ein Wagnis und können
unter Umständen zu Verwicklungen oder gar
Es gibt keine ungefährlichen Aussagen! Daher ist
Namensnennungen führen, sie sind gefährlich
es immer heikel, für die Verteidigung ZeugInnen in
und können schnell nach hinten losgehen! Die
den Prozess einzuführen. Vor allem Alibi-Aussagen
PolizistInnen sind auch nicht so blöde, wie sie
von ZeugInnen der Verteidigung sind gefährlich.
gerne dargestellt werden; angesichts ihrer
Sollte sich trotzdem für die Benennung von Zeu-
Möglichkeiten – gerade auch technischer Art
ginnen für die Verteidigung entschieden werden,
– können Falschaussagen zu einer enormen
muss dies sehr gut überlegt werden. Aussagen von
Gefahr werden.
ZeugInnen der Verteidigung sollten ausschließlich
gemacht werden, wenn dies wirklich notwendig
und unumgänglich erscheint, also nur für zielge- wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit
richtete, unvermeidliche Aussagen. Und: ZeugIn- verfolgt zu werden, besteht nach §55 Strafprozess-
nen der Verteidigung sollten grundsätzlich NUR mit sordnung (StPO) das das sog. Auskunftsverweige-
Einverständnis der Betroffenen benannt werden! rungsrecht.
Bitte denkt daran: Auch Zeuginnen oder Zeugen
der Verteidigung können in Situationen geraten, in Beispiel: In einem §129a-Verfahren (K.O.M.I.T.E.E.-
denen von ihnen die Preisgabe von Informationen Verfahren) 1994 beriefen sich z. B. ZeugInnen auf
verlangt wird, die sie nicht geben wollen. Auch die den § 55. Begründet wurde dies mit der Unüber-
Staatsanwaltschaft und eventuell auftretende geg- sichtlichkeit eines 129 a-Verfahrens, damit, dass
nerische AnwältInnen können Fragen stellen, die die Aktenlage nicht bekannt sei und deshalb unklar
dann beantwortet werden müssten ... wäre, ob eine ZeugIn sich nicht selber belasten
würde. Insbesondere, weil in 129 a-Verfahren auch
• Das Auskunftsverweigerungsrecht gegen das Umfeld ermittelt würde. Daraufhin
nach §55 der Strafprozessordnung wurde die Befragung abgebrochen und die Reaktion
der Bundesanwältin ließ fünf Wochen auf sich war-
Bei Antworten auf Fragen, die dich selbst oder ten. Obschon Ordnungsgeld verhängt wurde, war
deine Angehörige eventuell belasten und damit der Vorteil in diesem Fall ein Zeitgewinn von fünf
der Gefahr aussetzen könnten (nicht: würden!), Wochen.
... Verhalten 25
als
Zeuge / Zeugin
Gut – wir müssen nicht immer zu jeder Zeit und Ermittlungsverfahren, in dem die Zeugin / der
in jeder Situation 100%ig unsere ganze politische Zeuge Aussagen machen soll, nicht übersteigen.
Einstellung zum Ausdruck bringen. Wir können Beugehaft wird manchmal bereits von der
auch taktisch vorgehen. Einem taktischen Verhal- Staatsanwaltschaft angedroht. Aber auch hier gilt:
ten geht eine Entscheidung für einen bestimmten Ruhe bewahren. Nur der/die RichterIn darf Beuge-
Zweck voraus. In diesem Fall heißt der Zweck: haft anordnen, nicht die Staatsanwaltschaft. Vor
Schutz der eigenen Person und der, über die aus- einer eventuellen Beugehaft steht also in der Regel
gesagt werden soll, Schutz vor ZeugInnenvorla- die Möglichkeit, sich darauf vorzubereiten, mit
dung, Schutz vor Knast. Die Voraussetzung, eine FreundInnen und GenossInnen zu reden, Verteidi-
solche Entscheidung fällen zu können, ist aller- gerInnen zu Rate zu ziehen, eine Kampagne zu pla-
dings eine solidarische Diskussion. Hierbei muss nen und auch ganz praktisch für Miete u.ä. zu sor-
offen diskutiert werden, ob die Berufung auf den gen, die Folgen für Arbeitsplatz, Schule etc. zu
§52 StPO lediglich die Entscheidung für den Weg minimieren.
des geringsten Widerstandes ist. Geht es doch Oftmals bleibt es jedoch bei der Androhung der
darum, Aussageverweigerung politisch zu begrün- Beugehaft. In den vergangenen Jahren wurde diese
den und durchzustehen, und nicht darum, dass Drohung unseres Wissens nach hauptsächlich in
jedeR sofort jeden sich bietenden Strohhalm großen politischen Prozessen umgesetzt, genauer
ergreift. gesagt bei solchen, bei denen (hohe) Haftstrafen zu
erwarten waren.
Erzwingungshaft (›Beugehaft‹) Trotzdem muss davon ausgegangen werden,
als Zwangsmittel dass RichterInnen weiterhin von diesem Mittel
Gebrauch machen werden – auch um der Diskus-
Wer nicht als ZeugIn aussagt, obwohl er /sie müss- sion um Aussageverweigerung etwas entgegen zu
te, wer weder Zeugnis- noch Auskunftsverweige- setzen. Deshalb sollten sich alle, die als ZeugInnen
rungsrecht hat, kann mit dem Zwangsinstrument in politischen Ermittlungen befragt werden mit
eines einmaligen Ordnungsgeldes (abhängig vom dem Thema Beugehaft auseinandersetzen – v.a.
Einkommen – ersatzweise Haft) oder Beugehaft wenn es um §129a geht.
belegt werden, beides nach §70 der Strafprozess-
ordnung. Damit sollen Aussagen erzwungen wer-
den. Beugehaft wird aber auch als reine Schikane
und Repressionsmaßnahme genutzt, gerade wenn
die Ermittelnden sehr wohl wissen, dass sie auch
nach der Beugehaft keine Aussagen bekommen
werden.
Wenn eine Zeugin/ ein Zeuge erst zu einem und
dann zu einem anderen Komplex Angaben machen
soll, und auch für diesen zweiten Komplex die
Angaben verweigert, so darf die Erzwingungshaft
zwar mehrmals verhängt werden. Sie darf aber die
Obergrenze von sechs Monaten für das gesamte
... Verhalten 27
als
Zeuge / Zeugin
• Schnüffelparagraf 129
Der §129 Strafgesetzbuch (StGB) ist ein Kern des politischen Strafrechts in der Bundesrepublik. Mit
dem §129a wurde 1976 ein Organisationsverbrechen eingeführt. Es muss nun keine konkrete Straf-
tat mehr nachgewiesen werden, sondern die bloße »Mitgliedschaft« in einer Organisation, die für
bestimmte Straftaten verantwortlich gemacht wird, reicht aus. Es handelt sich um einen »Verein-
igungstatbestand«, d.h. die »Mitgliedschaft« oder lediglich die »Unterstützung« bzw. »Werbung« für
eine als »kriminell« oder »terroristisch« definierte Gruppierung kann strafrechtlich verfolgt werden.
Mit dem §129 a als Ermittlungsparagrafen wurde ein strafprozessuales Sonderrecht mit Erweite-
rung der Ermittlungsbefugnisse und der Einschränkung der Verteidigerrechte entwickelt. Es reicht
aus, einen Verdacht gegen eine Person oder eine Gruppe zu konstruieren, um willkürlich Telefone
abzuhören, Wohnungen zu durchsuchen, Material zu beschlagnahmen sowie Menschen zu schika-
nieren und zu inhaftieren.
Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz vom 30.08.2002 wurde der §129b in das Strafgesetzbuch
aufgenommen und damit der ohnehin umstrittene §129 a StGB auf Vereinigungen im Ausland aus-
geweitet. Damit kann die BRD gegen Vereinigungen, die es in Deutschland nicht gibt und die in
Deutschland nicht aktiv sind, vorgehen und deren Mitglieder überwachen und bestrafen, ohne selbst
im Ausland ermitteln zu können. In Verfahren nach §129 b StGB können die Ermittlungsbehörden
und die Gerichte eine Organisationsstruktur nur mit Hilfe von Beweismitteln feststellen, die von aus-
ländischen Strafverfolgungsbehörden oder Geheimdiensten ermittelt wurden. Dies führt dazu, dass
z.B. die Erkenntnisse türkischer Polizei oder Geheimdienste, auch durch Einsatz von Folter in Ver-
hören gewonnene Informationen, in Verfahren nach §129b ohne Überprüfung übernommen werden.
Von diesem Paragrafen sind in erster Linie MigrantInnen betroffen. Eine Verfolgung setzt immer
eine Qualifikation einer bestimmten Gruppe als »terroristisch« voraus. Dies ist schon im Inland pro-
blematisch und bei einer Organisation im Ausland erst recht willkürlich. Schon immer haben Macht-
haber Oppositionsgruppen aller Art als »terroristisch« bezeichnet, um sie zu delegitimieren. In der
Praxis dient eine solche Vorschrift vor allem dazu, Solidaritätsarbeit mit ausländischen Opposi-
tionsgruppen zu kriminalisieren. Dazu kommen ausländerrechtliche Sanktionen gegen Flüchtlinge
und MigrantInnen, die für eine ›falsche‹ Gruppe politisch aktiv sind.
Die Aussageverweigerung als ZeugIn geht daher Anders als oft unterstellt wird, bedeutet ein
aller Erfahrung nach nicht ohne Ängste vor persön- solches Vorgehen keinesfalls, die Ängste und
lichen Konsequenzen über die Bühne. Wir sind alle Schwierigkeiten zu leugnen, die angesichts einer
nur zu gerne bereit, unser bisschen Freiheit hier drohenden Inhaftierung auftauchen, oder sie gar
draußen unter allen Umständen zu behalten. Trotz- einfach als »bürgerliche Kacke« abzutun. Es geht
dem bzw. gerade deshalb gilt es, den persönlichen vielmehr darum, sie nicht zur Grundlage der
Bedürfnissen die politischen Notwendigkeiten ent- Debatte zu machen und damit den Anschein zu
gegenzusetzen. erwecken, das jeweilige Verhalten von »ZeugIn-
28 Rote Hilfe e.V. Bitte sagen Sie
jetzt nichts !
nen« sei Ergebnis ihrer persönlichen Lebensum- Solidarität. Zu dieser Solidarität gehört auch, dass
stände – denn ob sich jemand entscheidet, in Beu- wir die Beugehaft als ein Druckmittel zur Denunzi-
gehaft zu gehen oder mit so genannten ›begrenzten ationspflicht gesellschaftlich ins Gerede bringen
Aussagen‹ den Weg zur Kooperation zu beschrei- und sie schlussendlich kippen.
ten, ist in erster Linie eine Frage des politischen Unsere Erfahrungen in der letzten Zeit haben
Kopfes. Und so muss das Ganze vor dem Hinter- aber auch gezeigt, dass eine Auseinandersetzung
grund möglicher Probleme und Folgen für das über Knast und mit Leuten, die schon mal längere
Leben der/des Betroffenen diskutiert werden. Wie Zeit in Haft waren, das Schreckgespenst Beugehaft
sinnvoll ein gemeinsames und entschlossenes Vor- etwas relativiert hat. Die Berichte haben uns
gehen bei ZeugInnenvorladungen vor Gericht ist, gezeigt, dass der Druck auszuhalten ist. Es gibt
zeigt sich am Beispiel des Magdeburger §129a Ver- auch ein Leben im Knast, auch wenn der einen
fahrens. Hier sollten 2005 zwölf Leute vor Gericht oder dem anderen die vermeintliche Einsamkeit
als ZeugInnen gegen zwei beschuldigte Genossen schwer fällt. Gut ist es, wenn Freundinnen und
aussagen. Die Betroffenen verweigerten kollektiv Freunde eineN im Vorfeld, während der Knastzeit
mit einer gemeinsamen Erklärung die Aussage. Die und auch noch danach begleiten.
angedrohte Beugehaft wurde aufgrund der gelebten Wer in diese miese Situation gerät, sollte sofort
Solidarität und der geschaffenen Öffentlichkeit Kontakt zur Roten Hilfe aufnehmen. Wir lassen nie-
nicht angeordnet. Einzig ein bereits verurteilter manden, der /die in Beugehaft sitzt, alleine!
und erneut vorgeladener Genosse musste in • FÜR EINE OFFENE UND SOLIDARISCHE
Erzwingungshaft. AUSEINANDERSETZUNG!
• AUSSAGEVERWEIGERUNGSRECHT FÜR ALLE!
• Venceremos! • SOLIDARITÄT IST EINE WAFFE!
Wir müssen davon ausgehen, dass nicht alle • Aussage konsequent verweigert –
selbstverständlich die praktische Zusammenarbeit was erwartet eine/n im Knast?
bei Verfahren und Aburteilungen verweigern. Um
die Konfrontation mit den Repressionsorganen auf- Gefangene im Knast werden mit einer ungeheueren
zunehmen brauchen wir eine ehrliche Diskussion Bürokratisierung der Abläufe konfrontiert. Grund-
über unsere Ängste, z.B. in Zusammenhang mit sätzlich gelten in der Beugehaft laut Strafvollzugs-
möglichen Verlusten von Beziehungen und / oder gesetz (StVollzG) hauptsächlich die Bedingungen
Arbeitsplatz, Sorge um Kinder, persönliche Un- der Strafhaft (Vollzug der Freiheitsstrafe, §§ 3–122
sicherheiten etc. Aussageverweigerung als bloße StVollzG), was bedeutet, dass die Bedingungen in
politische Direktive ist zu wenig. Um dahin zu der Beugehaft gegenüber den Bedingungen für die
kommen, konsequente Aussageverweigerung mög- U-Häftlinge lockerer sind. Es ist aber auch schon
lich zu machen, bedarf es einer grundsätzlichen vorgekommen, dass der zuständige Ermittlungs-
Auseinandersetzung mit FreundInnen und dem richter die Haftbedingungen festgelegt hat. Aus-
politischen Umfeld über sich selbst und die nahmen regeln die §§ 171–175 StVollzG, die
momentane Situation, in der jedeR gerade steckt. besondere Rechte für Beugehäftlinge beinhalten.
Dazu gehören auch Ängste, Fragen der materiellen So unter anderem, dass kein Zwang zur Arbeit
Absicherung, der eigenen politische Identität und besteht, dass eine »Unterbringung« zusammen mit
... Verhalten 29
als
Zeuge / Zeugin
30 Rote Hilfe e.V. Bitte sagen Sie
jetzt nichts !
anderen Gefangenen nur mit Zustimmung erfolgen genau wollen (Welche Fragen werden gestellt?
kann und dass der Einkauf im Knast (Lebensmittel, Welche Untersuchungen werden durchgeführt?)
Tabak, etc.) mit »Eigengeld« erlaubt ist, d. h. über und welche Konsequenzen kann eine, auch teil-
ein persönliches Knastkonto erfolgt, auf das Geld weise, Verweigerung mit sich bringen. Wichtig ist
von außen überwiesen werden darf. Für diese ›Vor- auch, sich vorher zu überlegen, welche Informatio-
zugsbehandlung‹ müssen die Betroffenen aber nen gleich in der ersten Zeit im Knast wichtig sind.
auch zahlen: Für Unterkunft und Verpflegung Hier nur ein Beispiel: Der Einkauf ist nur an einem
20,– Euro/Tag. festgelegten Wochentag möglich, meist auch zu
Nach dem Strafvollzugsgesetz bestehen außer- einer bestimmten Uhrzeit – wird dieser versäumt,
dem bei Verheirateten besondere Besuchsrechte für weil der Einkauf z.B. direkt am Morgen vor der Ein-
Gefangene. So können Kontakte nach außen lieferung ist, muss sich ausschließlich mit dem
gewährleistet und emotionale Wärme nach drinnen Knastfraß zufrieden gegeben werden.
transportiert werden. Empfehlenswert für die Vorbereitung auf den
Das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) bestimmt Gefängnisalltag sind der »Ratgeber für Gefangene«
Pflichten und Rechte von gefangen gehaltenen (nicht mehr erhältlich, also nach alten Exemplaren
Menschen. Über die Pflichten werden die Betroff- rumfragen) und Gespräche mit Leuten, die Knast-
fenen, wenn auch unzureichend, informiert. Mit erfahrung haben. Zum einen nimmt es ein Stück
den Informationen über die gesetzlich festgelegten Unsicherheit, schwarz auf weiß zu sehen, welche
Rechte wird dagegen richtig gegeizt bzw. sogar Rechte bestehen. Zum anderen hilft eine gute Vor-
regelrecht desinformiert. Durch das StVollzG in bereitung, sich bei den gerade am Anfang ver-
Verbindung mit den (vor der Föderalismusreform mehrt zu führenden Auseinandersetzungen mit der
noch bundeseinheitlichen) Verwaltungsvorschrif- Knastbürokratie zu behaupten. Und es besteht die
ten und der »Hausordnung« der jeweiligen Anstalt Möglichkeit, sich Respekt gegenüber Wachpersonal
ist der alltägliche Ablauf und die Rahmenbedin- und PolizeibeamtInnen zu verschaffen, wenn klar
gungen peinlich genau geregelt. Die Unterschiede ist, dass nicht jeder Mist geglaubt und gefressen
von Knast zu Knast können deshalb sehr groß sein. wird, mit dem sie eineN abspeisen wollen.
Dies betrifft vor allem Anzahl, Ablauf und Dauer
von Besuchen, ob ein zweiwöchentlicher oder
wöchentlicher Einkauf gestattet wird etc.
Im Knastalltag werden permanent die Rechte
von Gefangenen verletzt. Um sich dagegen wehren
zu können und die bestehenden Rechte durchzu-
setzen gehört das Wissen um diese Rechte zur
Grundausstattung. Es ist wichtig sich auf jeden Fall
vorher zu informieren, was im Rahmen von ange-
drohter oder zu erwartender Beugehaft möglich ist.
Und ein paar konkrete Fragen sollten schon vorher
gestellt bzw. mit FreundInnen durchgesprochen
werden. Z.B. wäre es bei der ärztlichen Eingangs-
untersuchung von Vorteil zu wissen, was »sie«
31
4
Verhalten bei
Anquatsch-
versuchen des
Verfassungs-
schutzes
32 Rote Hilfe e.V. Bitte sagen Sie
jetzt nichts !
Haftstrafe wurde schon angeboten – obwohl es son leichter zum Reden zu bringen. Die Mitarbei-
zweifelhaft ist, ob der Verfassungsschutz darauf terInnen des Verfassungsschutzes sind psycholo-
überhaupt Einfluss hat. Wer auf Bestechung nicht gisch geschult und können auch durch scheinbar
reagiert, wird dann auch unter Druck gesetzt, z. B. harmlose Gespräche Erkenntnisse über Personen
damit, eineN in der nächsten Zeit genau ins Visier und linke Strukturen gewinnen.
zu nehmen, Eltern oder Arbeitgeber zu informieren. Wenn also der Verfassungsschutz plötzlich vor
Als Gegenleistung für ihre ›Hilfe‹ fordern sie Infor- euch steht, ist es erst einmal wichtig ruhig Blut zu
mationen über linke Strukturen und das politische bewahren. Wer von den Schnüfflern angesprochen
Umfeld. wird, hat nichts falsch gemacht! Das ist erstmal
nichts Tragisches und nichts, wofür Betroffene
• Wie verhalte ich mich, sich schämen müssten.
wenn ich angesprochen werde? Auch wenn VSler im Auftreten anders agieren
als PolizistInnen, auch sie wollen Informationen
Meistens kommt der Anquatschversuch überra- gegen dich und deine Zusammenhänge sammeln.
schend. Bevor der Verfassungsschutz (VS) jeman- Sie wollen dich benutzen und aushorchen. Wenn
den anspricht, werden genaue Erkundigungen über du durch VerfassungsschützerInnen angesprochen
die Zielperson eingeholt. Deshalb wissen die wirst, beende das Gespräch sofort. Schlag ihnen
BeamtInnen im Gespräch oft viele Details, die die Tür vor der Nase zu oder geh einfach weg.
eine/n im ersten Augenblick überraschen und ver- Macht den VS-BeamtInnen klar, dass du mit ihnen
unsichern. Sie hoffen so, die angesprochene Per- in keinerlei Hinsicht zusammenarbeiten wirst und
34 Rote Hilfe e.V. Bitte sagen Sie
jetzt nichts !
sie schleunigst zu verschwinden haben. Und ganz wichtig: Redet mit FreundInnen,
Lasst euch keine Angst machen. Wenn es geht, Bekannten und GenossInnen über den Anquatsch-
den Ausweis zeigen lassen, den Namen, das Aus- versuch. Unsere wirksamste Waffe ist ein offener,
sehen der Person, gegebenenfalls Auto und Auto- vertrauensvoller und solidarischer Umgang mitein-
kennzeichen möglichst genau einprägen. Dies ander. In einer solidarischen Atmosphäre unter
schützt zwar nicht davor, dass sie ihren Namen und GenossInnen sollte es dabei auch möglich sein ein-
das Auto wechseln, macht es ihnen aber bei Veröf- zugestehen, wenn Fehler gemacht wurden – der
fentlichung schwerer, weiterhin Leute zu belästigen Verfassungschutz eventuell etwas erfahren hat. Ein
und herumzuschnüffeln. Prinzipiell ist es sehr solcher Vorfall macht Angst, und auch wenn ihr
nützlich nach dem Vorfall ein schriftliches Ge- euch nicht vorbildlich verhalten habt: Es ist nie zu
dächtnisprotokoll anzufertigen. spät, mit jemandem darüber zu reden.
Anquatsch- 35
versuche des
Verfassungs-
schutzes
Um dich und deine Zusammenhänge vor sind um keinen Deut besser als Spitzeltätigkeit sel-
Repressalien zu schützen ist es sinnvoll, den ber. Angst vor totaler Überwachung, vor Spitzeln
Anquatschversuch nach Rücksprache mit Genos- und Provokateuren können die politische Arbeit
sInnen öffentlich zu machen. Öffentlichkeit ist der hemmen und der Bewegung schaden und fügen
einzige Schutz vor Anquatschversuchen. Es ist sich nahtlos in das Konzept polizeilicher und
wichtig, dass diese Vorfälle nicht verschwiegen geheimdienstlicher Zersetzungsarbeit!
werden – geheime Dienste scheuen das Licht! 5. Macht den Anquatschversuch öffentlich, denn
der Verfassungsschutz ist ein Geheimdienst und
• Grundsätzliches zum Umgang scheut nichts so sehr wie die Öffentlichkeit! Sonst
mit dem Verfassungsschutz versuchen sie es auch immer wieder. Auch sollten
lokale Antirepressionsstrukturen, der Ermittlungs-
1. Als von staatlicher Repression Betroffene trifft ausschuss (EA) und soweit vorhanden auch die
euch keine Schuld, ihr habt nichts falsch gemacht; Ortsgruppe der Rote Hilfe informiert und gegebe-
ihr seid nicht mit den ›falschen‹ Leuten zusamm- nenfalls auch aufgesucht werden.
men gekommen; ihr seid aus den unterschiedlich- Wie bei allen anderen Strafverfolgungsbehörden
sten Gründen vom staatlichen Repressionsapparat gilt auch beim Verfassungsschutz: Keine Aussagen!
›ausgewählt‹ worden.
2. BeamtInnen des Verfassungsschutzes, deren
Arbeit sich im Gegensatz zum polizeilichen
Staatsschutz ausschließlich auf geheimdienstliche
Erkenntnisse bezieht, haben keinerlei Befugnisse,
eine Aussage oder Mitarbeit zu verlangen; sie
haben keine Macht, juristischen oder sonstigen
Druck auf dich auszuüben (auch wenn sie in
Extremfällen damit drohen); deshalb verweist sie
am Besten gleich des Hauses.
3. Bei VS-BeamtInnen handelt es sich immer um
geschultes, professionell ausgebildetes Personal,
das euch in jeder Hinsicht immer um mehrere
Schritte voraus ist. Zu denken, ihnen bei einem
Gespräch etwas ›vorspielen‹, sie auf falsche Fähr-
ten locken zu können, ist fatal – ihr wurdet ja eben
deshalb ausgewählt, weil sie genauestens über
euch, euren (ehemaligen) Freundeskreis und über
Freizeitverhalten etc. Bescheid wissen. Ihr werdet
niemals zufällig ausgewählt.
4. Übertriebene Vorsicht oder gar Verfolgungs-
wahn bei der politischen Arbeit sind genau so
schädlich wie Arglosigkeit und Naivität. Unbewie-
sene Spitzelvorwürfe und Gerüchte schaden und
36 Rote Hilfe e.V. Bitte sagen Sie
jetzt nichts !
... FAzit
... Fazit 37
••• Wir sollten uns nichts vormachen: Ermitt- Es gibt keine harmlosen Aussagen!
lungs- oder Gerichtsverfahren sind das ureigenste
Terrain des Staates – nicht das unsere. In aller Schon aus der Begründung laufender Ermittlungs-
Regel sind wir im Konflikt mit der Justiz auf die verfahren wird ersichtlich, dass es in den Augen der
Hilfe von Menschen angewiesen, die dafür ausge- Staatsschützer kaum Unverdächtiges gibt.
bildet sind und / oder über dementsprechende So müssen z.B. als Indizien herhalten:
Erfahrung – oder auch nur einen nüchternen Blick • das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln,
von außen – verfügen. Wer sich mit Aussagever- obwohl ein eigenes Auto vorhanden ist,
weigerung und Verhörmethoden auseinanderge- • die Beschäftigung mit so genannten ›anschlags-
setzt hat, kann sich auf etwas stützen, wenn er oder relevanten Themen‹ wie Gentechnik und Human-
sie in eine dementsprechende Situation kommt – genetik, Rüstungs- und Repressionstechnologie
es hilft ungemein, wenn dich nichts mehr wirklich etc.,
überraschen und überrumpeln kann. Trotz der an • das Verabreden im Hinterzimmer einer Kneipe
sich schon unangenehmen Situation kann das ohne am Telefon ausdrücklich den Zweck des
Wissen um die eigenen Rechte, um das Vorgehen Treffens zu nennen,
der Ermittlungsbehörden und das Lernen aus • die Bekanntschaft mit Personen, die ihrerseits
Erfahrungen Anderer Sicherheit geben und helfen, einer dieser Unverschämtheiten bezichtigt werden.
gegen derlei Angriffe besser gewappnet zu sein! In der Begründung einiger in Prozessen gestellter
Beugehaftanträge hieß es z. B., dass »Umstände
Es gibt keine aus dem persönlichen Lebensbereich« beweis-
entlastenden Aussagen! erheblich seien, oder dass »durch persönliche,
berufliche oder gesellschaftliche Interessen erklär-
Es gibt keine entlastenden Aussagen. Das Interes- bares Verhalten der Beschuldigten ermittelt werden
se der Ermittlungsbehörden besteht gerade darin, muss, um es von Verhaltensweisen zu unterschei-
Belastendes gegen dich und andere zu finden. den, die ihre Erklärung in dem Engagement der
Anscheinend entlastende Aussagen können schnell Beschuldigten für die Vereinigung XYZ finden«.
in ihr Gegenteil verkehrt werden. Zumal es kaum Auch im privaten Bereich, z. B. dem Zusammen-
absehbar ist, welche Informationen von den Re- wohnen in einer WG, wird es schwierig auf schein-
pressionsorganen in Verfahren, in denen es häufig bar harmlose Fragen nach FreundInnen, Bekann-
noch nicht einmal einen konkreten Tatvorwurf gibt, ten, Aufstehgewohnheiten, Krankheiten, Lese- und
zu Indizien gemacht werden können. Die Ermitt- Telefoniergewohnheiten der beschuldigten Person
lungsbehörden sind in dieser Hinsicht sehr phan- zu antworten. Dass diese Dinge nicht bekannt
tasievoll! seien, kann für die Ermittlungsbehörden den
Gilt ihre Aufmerksamkeit doch linken Struktu- Schluss nahelegen, dass diese Person konspirativ
ren im allgemeinen und politisch aktiven, system- gehandelt habe.
kritischen Menschen im besonderen! Beispiel Telefongespräche: Eine Zeugin wird
Der Schutz unserer Strukturen muss unser aller gefragt, ob ihre Mitbewohnerin X mit Y bekannt ist.
Anliegen sein! Im Bemühen möglichst schwammig und unver-
bindlich zu antworten, sagt die Zeugin: »Ich weiß
nicht«. Nun hat aber das Bundeskriminalamt (BKA)
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die Person X schon länger bespitzelt und ein Tele- Sie können den Repressionsorganen bei Fahndun-
fongespräch zwischen X und Y abgehört. Vor die- gen wichtige Anhaltspunkte liefern.
sem Hintergrund, der der Zeugin nicht bekannt ist,
wird die Aussage »ich weiß nicht« zur relevanten Es gibt keine banalen Fragen!
Information. Verheimlicht die Zeugin die Bezie-
hung, weil sie ihr heikel erscheint, oder hat gar X Auch scheinbar banale Fragen und solche, auf die
selbst gegenüber der Zeugin die Beziehung zu Y ver- es amtliche Antworten gibt, erfüllen ihren Zweck!
heimlicht? Beides deutet auf eine möglicherweise Prinzipiell gilt, dass die MitarbeiterInnen der Re-
konspirative Beziehung zwischen X und Y hin. pressionsorgane keine dummen Fragen stellen.
Beispiel Rasterfahndung: Auch scheinbar ba- Beispiel Verhörsituation: Die Staatsanwalt-
nale Aussagen können zur Aufstellung von Rastern schaft stellt eine Reihe Fragen wie: »Wo hat X zu
dienen. Die harmlose Eigenschaft, Leser der Frank- einem bestimmten Zeitpunkt gewohnt?« – natürlich
furter Rundschau zu sein, ließ XY in das Fangnetz wo er gemeldet war –, »Wo hat X gearbeitet?« etc.
des Bundeskriminalamtes laufen. Durch Observie- Die Zeugin überlegt angestrengt, welche Frage ihr
rung der Zeitungskioske in einer bestimmten Stadt relativ harmlos erscheint, welche nicht. Ihr Zögern,
wurde er beim Kauf einer solchen festgenommen. Ausweichen, ihre schnelle Antwort bieten den Ver-
Im Rahmen von Fahndungen ergeben dann nehmenden Hinweise auf für sie möglicherweise
auch Aussagen nach Krankheiten, Medikamenten, interessante Punkte in der Biographie der gesuch-
Allergien, Kontaktlinsen, Musikgeschmack, nach ten Person.
bevorzugten Genussmitteln usw. usf. einen Sinn.
39
Begriffserklärungen
Immer wieder ist festzustellen, dass mit der Verwendung von Begriffen aus der bürgerlichen Justiz in der
Anti-Repressionsdiskussion oft sehr unterschiedliche Inhalte verbunden werden. Im Gegensatz zur bür-
gerlichen Justiz werden Begriffe oft sehr unkonkret und politisch verschwommen verwendet. Daher an die-
ser Stelle eine knappe Begriffsklärung, um Missverständnissen vorzubeugen und eine inhaltlich klare Aus-
einandersetzung zu erleichtern.
Aussage • »Aussage ist im Verfahrensrecht jede mung, die den Beschuldigten dazu veranlassen,
sprachliche Mitteilung ...« (aus: Köbler – Juristi- keine, absichtlich falsche oder entsprechend seiner
sches Wörterbuch. Für Studium und Ausbildung. tatsächlichen Erinnerungen wahrheitsgemäße
München, 1977) »Aussage ist eine sprachlich ge- Angaben zu machen.« (aus: Brockmann /Chedor –
fasste Mitteilung, ein kurzer Bericht, eine Erklä- Vernehmung – Hilfe für den Praktiker. Hilden
rung vor einer Behörde.« (aus: Wahrig – Wörterbuch 1999)
der deutschen Sprache. München, 1978) Aussageerpressung • »Die Herbeiführung einer
Aussagebereitschaft • »Geht es um die Aus- Aussage unter Anwendung verbotener Verneh-
sage- und auch Geständnisbereitschaft, stellt sich mungsmethoden durch Strafverfolgungsorgane
die Frage nach den entscheidenden psychischen stellt regelmäßig eine Aussageerpressung (§ 343
Abläufen eines Beschuldigten und der optimalen StGB) dar. Daneben können, je nach Art und Fol-
Situationsgestaltung im Rahmen einer Verneh- gen der angewandten verbotenen Vernehmungsme-
40 Rote Hilfe e.V. Bitte sagen Sie
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thoden §§223ff. [Körperverletzung, d.Red.] und (aus: Brockmann /Chedor – Vernehmung – Hilfe für
§ 340 StGB [Körperverletzung im Amt, d.Red.] ein- den Praktiker. Hilden 1999)
schlägig sein.« (aus: Clages (Hrsg.): Der rote Faden Einlassung • »Einlassung ist die Verhandlung
– Grundsätze der Kriminalpraxis. Heidelberg 2004) (Zugestehen, Bestreiten, Vorbringen von Einreden)
Beugemittel • [Beugemittel sind: Zwangsgeld des Beklagten (bzw. Angeklagten) im Verfahren.
(Ordnungsgeld) und Erzwingungshaft (Ordnungs- Sie ist gegeben, sobald nicht mehr nur Prozessfra-
haft), die so genannte Beugehaft.] »Beugemittel ist gen, sondern auch Sachfragen behandelt werden.«
ein staatliches Mittel zur Erzwingung bestimmter (aus: Köbler – Juristisches Wörterbuch. Für Stu-
Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen sei- dium und Ausbildung. München, 1977)
tens einer Person. Beugemittel sind insbesondere Gerichtsverfahren • »Gerichtsverfahren ist das
im Verfahrensrecht zulässig (z. B. zur Erzwingung vor und von Gerichten durchgeführte Verfahren. Es
einer Zeugenaussage).« (aus: Köbler – Juristisches ist in den Prozessgesetzen geregelt.« (aus: Köbler –
Wörterbuch. Für Studium und Ausbildung. Mün- Juristisches Wörterbuch. Für Studium und Ausbil-
chen, 1977) dung. München, 1977)
Behördeninterne Akten • »Berichte über ver- Geständnis • »Geständnis ist das Zugestehen der
deckte Informationsgewinnung wie Observationen, Wahrheit einer von einer anderen Seite behaupte-
Einsatz von V-Personen, Verdeckten Ermittlern, ten Tatsache durch einen Verfahrensbeteiligten.«
Erkenntnisgewinnung unter Einsatz von Informan- (aus Köbler, Juristisches Wörterbuch. Für Studium
ten, Überwachung der Telekommunikation usw. und Ausbildung. München, 1977) »Das Wesen des
gehören im Original nicht in die Hauptakte. Sie Geständnisses besteht darin, dass der Beschuldig-
enthalten Angaben, die der Geheimhaltung bedür- te einen Sachverhalt einräumt und Umstände dar-
fen und regelmäßig auch unter die eingeschränkte stellt, mit denen er sich selbst der Begehung einer
Aussagegenehmigung (§ 62 BBG) des Beamten Straftat bezichtigt. (...) Ermittlungstechnisch ist
fallen.« (aus: Clages (Hrsg.): Der rote Faden – die Bedeutung des Geständnisses dadurch begrün-
Grundsätze der Kriminalpraxis. Heidelberg 2004) det, dass es aufgrund des gewonnenen Informa-
Beschuldigte • »Beschuldigter ist derjenige, tionsgehaltes prinzipiell weitere Ermittlungs- und
gegen den das Strafverfahren konkret betrieben Beweisansätze erlangt werden können.« (aus Cla-
wird. Dieses geschieht durch die förmliche Einlei- ges (Hrsg.): Der rote Faden – Grundsätze der Kri-
tung eines Ermittlungsverfahrens. (...) Es müssen minalpraxis. Heidelberg 2004)
Tatsachen vorliegen, die auf eine nahe liegende Kooperieren • »Auf wirtschaftlichem oder politi-
Möglichkeit der Täterschaft oder der Teilnahme schem Gebiet zusammenarbeiten.« (aus: Duden,
schließen lassen. Das beurteilt die entsprechende Fremdwörterbuch 1997)
Strafverfolgungsbehörde nach pflichtgemäßem Er- Kooperation mit dem Repressionsapparat •
messen. Ist aber die Einleitung eines Ermittlungs- Kooperation / Zusammenarbeit meint mehr als
verfahrens geboten, so darf der Verdächtige nicht »nur« eine Aussage zu machen. Zusammenarbeit
als Zeuge vernommen werden. (...) Ist der Sach- meint aktive Unterstützung der bürgerlichen
verhalt aber so gelagert, dass mehrere Personen Justiz. Sie beginnt mit der bewussten Herausgabe
hinreichend tatverdächtig sind, so müssen diese von geforderten Informationen bzw. mit dem Han-
alle als Beschuldigte behandelt werden, auch wenn deln im Interesse von Staat und Justiz. Zusam-
sich ihre Täterschaft gegenseitig ausschließt.« menarbeit geschieht häufig zwischen Rechtsan-
Begriffe 41
eines Verdächtigenprofils in der Form eines Rasters gleichgesetzt und damit verboten sind. Verboten
zusammengestellt und als Suchkriterien mit Daten, ist, den Beschuldigten als Zeugen zu vernehmen
die an anderen Stellen und aus anderen Gründen oder zu erklären, er sei zur Aussage verpflichtet.
gespeichert sind, maschinell abgeglichen. Der Verboten ist auch, dem Beschuldigten zu offenba-
Zweck liegt in dem Herausfiltern von Personen, die ren, der Mittäter habe schon gestanden. – Keine
dem vorgegebenen Raster entsprechen und die Täuschung ist das Vorspiegeln einer freundlichen
sodann durch weitere Ermittlungsmaßnahmen kri- Gesinnung. Zulässige kriminalistische List ist es,
minalistisch abgeklärt werden müssen.« (aus: Fangfragen zu stellen oder doppeldeutige Erklä-
Clages (Hrsg.) – Der rote Faden – Grundsätze der rungen abzugeben.« (aus: Brockmann / Chedor –
Kriminalpraxis. Heidelberg 2004) Vernehmung – Hilfe für den Praktiker. Hilden
Reueerklärung/Entsolidarisierung vor Gericht 1999)
• Eine oft von der Justiz geforderte Handlung, die Vernehmung • »Vernehmung ist die strafprozes-
beim ersten Hinsehen keinen anderen Menschen sual bestimmte und zum Teil geregelte, beweis-
gefährdet und als nebensächliches Blabla erschei- orientierte Gestaltung personenzentrierter sozial-
nen mag, ist das Formulieren einer Reueerklärung. kommunikativer Einflussnahmen und Maßnahmen
Dies bedeutet aber konkret das öffentliche Ausdrü- mit dem Ziel der Gewinnung selbst bestimmter,
cken des Bedauerns über das eigene Handeln, also wahrheitsgemäßer (und identifikationssicherer)
die offizielle Distanzierung von linkem, eigenem, Aussagen, ihrer Bewertung und beweisrelevanten
z.B. antifaschistischem Handeln – anders ausge- Dokumentation. (...) Das alles setzt (eigentlich)
drückt ein Schritt der Entsolidarisierung mit linken kommunikatives Basis- und Spezialtraining voraus
Strukturen und Zusammenhängen und ein öffent- (...).« (aus: Clages (Hrsg.) – Der rote Faden –
lich formulierter Bruch mit der eigenen Geschichte. Grundsätze der Kriminalpraxis. Heidelberg 2004)
Verbotene Vernehmungsmethoden • »Darunter Vernehmungstaktiken • »Sieht sich ein Verneh-
fällt jedes Mittel, das geeignet ist, die Freiheit der mender z.B. mit dem Hinweis eines Beschuldigten
Willensentschließung und Willensbetätigung in konfrontiert: ›Ich sage überhaupt nichts aus!‹, ist
nicht unerheblichem Maß zu beeinträchtigen. Die es wesentlich zu wissen, was denjenigen dazu ver-
nach dem Gesetz verbotenen Vernehmungsmetho- anlasst, die Aussage zu verweigern. (...) Erst das
den überschneiden sich im Einzelnen auch in Art Wissen um die Beweggründe des in der Verneh-
und Wirkung. Das Verbot der im §136 I & II StPO mung gezeigten Verhaltens ermöglichen es dem
näher bezeichneten Vernehmungsmethoden gilt Vernehmenden, adäquat damit umzugehen und
unabhängig von der Einwilligung des Vernomme- den Beschuldigten hinsichtlich seiner Aussagebe-
nen. Zu den verbotenen Mitteln zählen insbeson- reitschaft und seines -verhaltens mittels der Aus-
dere: Körperliche Misshandlung, Quälerei, (...), wahl geeigneter Vernehmungstaktiken und -strate-
Ermüdung, Täuschung, Zwang, Versprechen oder gien zu beeinflussen.« (aus: Brockmann /Chedor –
Gewährung von Vergünstigungen oder Vorteilen, Vernehmung – Hilfe für den Praktiker. Hilden
Drohung, (...).« (aus: Clages (Hrsg.) – Der rote 1999)
Faden – Grundsätze der Kriminalpraxis. Heidel- Verwertungsverbot • »Nach § 136 a III S. 2
berg 2004) StPO dürfen Aussagen, die unter Verletzung des
»Wichtig für den Vernehmenden ist, zu beachten, Verbotes zustande gekommen sind, nicht verwertet
dass falsche Rechtserklärungen Täuschungen werden. Das trifft auch zu, wenn der Beschuldigte
Begriffe 43
(ebenso der Zeuge oder Sachverständige) der Ver- machen (§ 68 Abs. 4 StPO). Für Zeugen besteht
wertung zustimmt. Das Verwertungsverbot gilt für auch die Verpflichtung, an Gegenüberstellungen
alle Abschnitte des Strafverfahrens und sowohl für teilzunehmen (§ 58 Abs. 2 StPO). Darüber hinaus
belastende als auch entlastende Aussagen. Sind besteht die Verpflichtung zur Teilnahme an In-
zunächst bei der Vernehmung unzulässige Metho- augenscheinnahme, z. B. Tatrekonstruktionen. Der
den angewandt worden, kann die Vernehmung spä- Zeuge ist ebenfalls verpflichtet, körperliche Unter-
ter in ordnungsgemäßer Weise wiederholt werden. suchungen entsprechend den Bestimmungen des
Die erneute Aussage kann verwendet werden.« §81c StPO zu dulden.« (aus: Brockmann/Chedor –
(aus: Clages (Hrsg.) – Der rote Faden – Grundsätze Vernehmung – Hilfe für den Praktiker. Hilden
der Kriminalpraxis. Heidelberg 2004) »Eine Fern- 1999)
wirkung, die darauf abzielt, andere durch die Aus- Zeugenrechte • »Von den genannten Zeugen-
sagen bekannt gewordene Beweismittel nicht ver- pflichten ist befreit, wer Weigerungsrechte für sich
werten zu dürfen, besteht nicht. Diese Auffassung in Anspruch nehmen kann. Weigerungsrechte
ist allerdings äußerst umstritten. Die Prüfung des können sich aus unterschiedlichen Gründen erge-
Verfahrensverstoßes muss von Amts wegen durch- ben. Das Zeugnisverweigerungsrecht für Angehöri-
geführt werden. Wird der Verstoß nicht bewiesen, ge (§ 52 StPO) räumt dem Schutz der engeren fa-
ist die Aussage verwertbar. Der Grundsatz: ›Im miliären Situation eine größere Bedeutung ein, als
Zweifel für den Angeklagten,‹ gilt nicht.« (aus: die Verpflichtung, zu Zwecken der Strafverfolgung
Brockmann /Chedor – Vernehmung – Hilfe für den gegen einen nahen Angehörigen aussagen zu
Praktiker. Hilden 1999) müssen. (...) Das Auskunftsverweigerungsrecht
Zeuge • »Zeuge ist eine Person, die über Tat- (§55 StPO) regelt, dass derjenige nicht auszusagen
sachen, die sie wahrgenommen hat, aussagen soll. braucht, der sich oder einen nahen Angehörigen
Der Zeuge ist ein Beweismittel. Er ist grundsätzlich mit der Aussage der Gefahr aussetzen würde,
zum Erscheinen, zur Aussage und zur Beeidigung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit
der Aussage vor Gericht verpflichtet.« (aus: Köbler verfolgt zu werden.« (aus: Brockmann /Chedor –
– Juristisches Wörterbuch. Für Studium und Aus- Vernehmung – Hilfe für den Praktiker. Hilden
bildung. München, 1977) 1999)
Zeugenpflichten • »Zeugen haben die Verpflich- Zeugnisverweigerungsrecht • »Zeugnisverwei-
tung, vor Gericht und vor der Staatsanwaltschaft zu gerungsrecht ist das Recht eines zu einem
erscheinen und auszusagen (§ 51 StPO). Diese Rechtsstreit geladenen Zeugen, sich der grund-
Erscheinungspflicht haben sie nicht vor der Polizei. sätzlich bestehenden Pflicht, als Zeuge eine Aus-
Dieses gilt für alle deutschen Staatsangehörigen, sage zu machen, zu entziehen. Das Zeugnisverwei-
auch wenn sie sich im Ausland aufhalten. Für Aus- gerungsrecht kann auf persönlichen Gründen (z.B.
länder und Staatenlose gilt diese Verpflichtung Verwandtschaft) oder auf sachlichen Gründen
nur, wenn sie sich in Deutschland aufhalten. Die (z. B. Gefahr, sich durch Aussagen einer strafrecht-
Erscheinungspflicht kann mit staatlichen Zwangs- lichen Verfolgung auszusetzen) beruhen.« (aus:
maßnahmen durchgesetzt werden. Zeugen haben Köbler – Juristisches Wörterbuch. Für Studium und
die Verpflichtung, Wahrnehmungen zur Prüfung Ausbildung. München, 1977)
der Glaubwürdigkeit oder der Zuverlässigkeit in
dem konkreten Sachverhalt oder allgemein zu
44 Rote Hilfe e.V. Bitte sagen Sie
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Literatur + Quellen
• AutorInnenkollektiv (Hrsg.): Wege durch • Schneider, Heinz-Jürgen; Schwarz, Erika
die Wüste – ein Antirepressions-Handbuch für die und Schwarz, Josef: Die Rechtsanwälte der
politische Praxis (Unrast-Verlag, Münster, 2007). Roten Hilfe Deutschlands, S. 316 ff,
ISBN-13: 978-3897714496 komplett im Faksimile wiedergegeben:
• Brack, JÜrgen; Thomas, Norbert: Halle, Felix, 1931: Wie verteidigt sich der
Kriminaltaktik (Boorberg Verlag, Stuttgart, 1986). Proletarier (Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn, 2002).
vergriffen ISBN-13: 978-3891443309
• Brockmann, Claudia und Chedor, Reinhard: • Schuster, Leo: Polizeiliche Vernehmung.
Vernehmung – Hilfen für den Praktiker. (Verlag Formen – Verhalten – Protokollierung.
Deutsche Polizeiliteratur GmbH, Hilden, 1999). (Band 7, BKA-Forschungsreihe Praxisbezogene
ISBN-13: 978-3801104054 Auswertung, Wiesbaden, 1. Auflage, 1977).
• Clages, Horst (Hrsg.): Der rote Faden – vergriffen
Grundsätze der Kriminalpraxis • Uwer, Thomas / Organisationsbüro (Hrsg.):
(Kriminalistik-Verlag, Heidelberg, 2004). Bitte bewahren Sie Ruhe.
ISBN-13: 978-3783200119 Leben im Feindrechtsstaat
• Dettenborn, H.: Täter, Opfer, Zeuge. (Vereinigung Berliner Strafverteidiger,
Streifzüge durch die Gerichtspsychologie, 1988. Berlin, 2006).
• Egg, R.: Brennpunkte der Rechtspsychologie, ISBN-13: 978-3980827560
1991. • Wenn die Sache irre wird, werden die irren
• Gössner, Rolf: Widerstand gegen die zu profis – infos und Texte zu Aussageverwei-
Staatsgewalt. Handbuch zur Verteidigung gerung und Beugehaft, Broschüre
der Bürgerrechte (3. erweiterte Auflage, Zürich, 1987).
(Konkret Literatur Verlag, Hamburg, 1988). www.freilassung.de /div /texte /aussagev /irre /
ISBN-13: 978-3922144786 irre0.htm
• Gössner, Rolf: Erste Rechts-Hilfe • Zeug_Innen-AG der Soligruppen zum 13.6.95
(Verlag Die Werkstatt, Göttingen, 2004). (HRSG.): We’ll never give up – Ergänzung
ISBN-13: 978-3895332432 zur Diskussion um Aussageverweigerung,
• Gundlach, Rainer: Die Vernehmung des Neumünster, 1996
Beschuldigten im Ermittlungsverfahren. • Zimbardo, P. G.: Psychologie. 5. Aufl., 1992
Europäische Hochschulschriften. Reihe 2:
Rechtswissenschaft, Band 375 Gerichtsurteile zum § 55 StPO
(Lang Verlag, Frankfurt/M, 1984). • KG Berlin, vom 19.07.2001, Az: 1 AR 1424 /96
ISBN 978-3-8204-8025-2 – 4 Ws 109/01
• Lösel, F.: Kriminalpsychologie. • BGH, vom 04.02.1993, Az: 1 StR 917 /92
Grundlagen und Anwendungsbereiche, 1983. • BGH, vom 01.06.1994, Az: StB 10 /94,
1 BJs 182 /83
45
an einer Demonstration teilnehmen und im Falle und Prozessen. Wir streben an, dass der finanziel-
ihrer Festnahme nicht unbedingt auf einen Unter- le Druck durch Prozesskosten, Bußgelder, Anwäl-
stützungskreis zurückgreifen können. Manchmal tInnenkosten kollektiv getragen wird. Deshalb leis-
sind aber auch die Belastungen durch Prozesskos- tet die Rote Hilfe auf Antrag eine Gesamtkosten-
ten oder auch für die Öffentlichkeitsarbeit so hoch, beteiligung (d.h. von allen anfallenden Kosten) von
dass sie von einer Gruppe allein nicht getragen wer- zurzeit 40 % (Regelsatz der Roten Hilfe; in begrün-
den können. Hier kann durch eine bundesweite, deten Einzelfällen kann auch ein höherer Satz
mitgliederstarke Organisation geholfen und unter- durch einen zweiten Antrag angefragt werden). Im
stützt werden. Oftmals ziehen sich politische Ver- Jahr 2005 hat die Rote Hilfe so insgesamt ca.
fahren aber auch über Jahre hin und werden erst 150 000 Euro an Unterstützungsgeldern auszahlen
dann aktuell, wenn die ehemaligen politischen können. Auch weiterhin gehört es zu den Grund-
Zusammenhänge nicht mehr in ihrer alten Form sätzen der Roten Hilfe, auch Nicht-Mitgliedern, die
existieren. Durch die kontinuierliche Arbeit der wegen ihrer politischen Betätigung staatlich ver-
Roten Hilfe soll verhindert werden, dass Repression folgt werden, Unterstützung zu leisten. Neben dem
als individuelles Problem empfunden wird und bundesweiten Unterstützungsfonds gibt es häufig
sich Einzelpersonen oder Gruppen mit Prozesskos- noch zweck- und themengebundene Spendenkon-
ten oder Knaststrafen alleingelassen fühlen. Die ten.
Unterstützung für die/den Einzelne/n soll zugleich Die Rote Hilfe versteht sich allerdings nicht als
ein Beitrag zur Stärkung der Bewegung sein. Jede »Rote Caritas« oder linke Rechtsschutzversiche-
und Jeder, die/der sich an politischen Kämpfen rung. Die Rote Hilfe leistet daher nicht nur mate-
beteiligt, soll dies in dem Bewusstsein tun, dass rielle, sondern auch politische Unterstützung. Dies
sie/ er später bei eventueller Strafverfolgung nicht geschieht in Form von Spendensammlungen, Soli-
alleine dasteht. Durch das Herausgreifen Einzelner daritätsveranstaltungen, Prozessbeobachtungen und
wollen Staat und Reaktion exemplarisch gegen -begleitungen, Betreuung von politischen Gefange-
linke Politik vorgehen. Dieser Strategie liegt die nen. Darüber hinaus sieht die Rote Hilfe ihre Auf-
Isolierung bestimmter Personen/ Gruppen von an- gabe darin, sich im allgemeinen Sinne an der Ab-
deren Teilen der Linken und der Gesellschaft zu- wehr politischer Repression zu beteiligen. So ver-
grunde. Die Rote Hilfe setzt diesem Isolierungs- suchen wir seit Gründung der Roten Hilfe schon
und Spaltungsversuch das Prinzip der Solidarität weit im Vorfeld von Demonstrationen über die ver-
entgegen. Der von den Herrschenden betriebenen schiedenen Formen politischer Repression und die
Spaltung und Einschüchterung wollen wir gemein- damit beauftragten Institutionen (Polizei, Staats-
sam (jenseits aller innerlinken Differenzen hin- schutz, Geheimdienste, Militär, Justiz) aufzuklä-
sichtlich politischer Theorie und Praxis) entgegen- ren. Mit Veranstaltungen, Flugblättern und Bro-
treten und damit alle ermutigen, weiterhin für ihre schüren wollen wir darauf hinwirken, dass die Akti-
politischen Ziele zu kämpfen. vistInnen sich selbst und andere möglichst effektiv
vor Verletzungen und Verhaftungen schützen und
Was leistet die Rote Hilfe? um ihre jeweiligen (jedenfalls formalen) Rechte
Bescheid wissen. Die Rote Hilfe engagiert sich all-
Die wohl wichtigste Aufgabe der Roten Hilfe ist die gemein gegen Verschärfungen im Versammlungs-
konkrete finanzielle Unterstützung bei Anklagen recht, gegen Staatsschutzgesetze, gegen den
Die Rote Hilfe E.V. 47
Abbau von VerteidigerInnenrechten, gegen Isola- zungszusagen machen kann. Eine bundesweite
tionshaft und Folter, gegen Beschränkungen im Solidaritätsorganisation wie die Rote Hilfe ist not-
Bereich der Meinungsfreiheit und anderer Bürge- wendig, um sich für die politisch Verfolgten auch
rInnenrechte. im kleinsten Dorf und aus allen Teilen der linken
Bewegungen verantwortlich zu fühlen. Die Rote
Schafft Rote Hilfe! Hilfe ist notwendig, um auf Gesetzesverschärfun-
gen und Prozesswellen bundesweit reagieren zu
Die Rote Hilfe fordert alle auf, politische Unter- können und in der Lage zu sein, bundesweite Kam-
drückung und Verfolgung – nicht nur in der BRD – pagnen finanziell und politisch zu initiieren oder zu
nicht hinzunehmen, sondern sich zu organisieren unterstützen.
und dagegen anzugehen! Nur eine kontinuierlich
arbeitende und überparteiliche Solidaritätsorgani- Solidarisch sein.
sation, die mitgliederstark ist, bietet die Gewähr Mitglied werden.
dafür, dass möglichst allen politisch Verfolgten in Aktiv sein!
möglichst großem Umfang geholfen werden kann.
Eine bundesweite Solidaritätsorganisation ist not- Jeder Mitgliedsbeitrag oder auch jede einmalige
wendig, da sie unabhängig von politischen Kon- Spende ist Ausdruck von Solidarität, hilft und
junkturen kontinuierlich arbeiten und auf Grund ermutigt, trotz politischer Repression weiter zu
eines regelmäßigen Spenden- und Beitragsauf- kämpfen. Fast alle Mitglieder der Roten Hilfe ar-
kommens verlässlich und langfristig Unterstüt- beiten und kämpfen noch in anderen Gruppen und
48 Rote Hilfe e.V. Bitte sagen Sie
jetzt nichts !
Organisationen. Die Rote Hilfe kann nur dann ihre Weiteres Informationsmaterial bekommt Ihr von:
volle Kraft entwickeln, wenn sich viele bewusst dar-
über sind, dass jeder einzelne Mitgliedsbeitrag Rote Hilfe e.V.
zählt und sich nicht darauf verlassen wird, dass Bundesgeschäftsstelle
andere bereits bezahlen. Die Rote Hilfe kann ihre Postfach 3255 · 37022 Göttingen
volle Kraft nur dann entwickeln, wenn sich die Mit- Tel.: 0551 -770 80 08
glieder nicht darauf verlassen, dass es die anderen (Di + Do 15:00 –20:00 Uhr)
sind, die Arbeit leisten. Die Arbeit der Roten Hilfe Fax: 0551 -770 80 09
muss auf vielen Schultern ruhen. Darum gilt: bundesvorstand@rote-hilfe.de
Mitglied der Roten Hilfe werden! www.rote-hilfe.de
In der Roten Hilfe aktiv sein! Spendenkonto: Rote Hilfe e. V.
Schafft Rote Hilfe! Kontonummer: 19 11 00 - 462
• Als Mitglied durch den Mitgliedsbeitrag BLZ: 440 100 46 – Postbank Dortmund
• Durch Mitarbeit in einer Orts- oder Regional-
gruppe Nächste Orts- bzw. Regionalgruppe
• Durch Beteiligung an konkreter Arbeit, wie der Roten Hilfe:
z.B. die Betreuung politisch Verfolgter oder die
Beteiligung an einer politischen Kampagne
• Durch Werbung für unsere Arbeit – Verkauf der
Rote Hilfe-Zeitung, Auslegen unserer Broschüren
und Faltblätter.
Mitglied werden!
49
häftlingstraum
packen Sie
Ihre sachen
Sie werden
sofort entlassen
Ihr richter
hat gestanden
Peter-Paul Zahl
1983
Eigentumsvorbehalt • Nach diesem Eigentumsvorbehalt ist die Broschüre solange Eigentum des Absen-
ders, bis sie der/dem Gefangenen persönlich ausgehändigt worden ist. »Zur-Habe-Nahme« ist keine per-
sönliche Aushändigung im Sinne des Vorbehalts. Wird die Broschüre der/dem Gefangenen nicht persönlich
ausgehändigt, ist sie dem Absender unter Angabe des Grundes der Nichtaushändigung zurückzusenden.
Wird die Broschüre der /dem Gefangenen nur teilweise persönlich ausgehändigt, so sind die nicht aus-
gehändigten Teile, und nur sie, dem Absender mit dem Grund der Nichtaushändigung zurückzusenden.
ote Hilfe e.V Gegen Spende
www.aussageverweigerung.info